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Full text of "Archiv der Brandenburgia, gesellschaft für heimatkunde der provinz Brandenburg zu Berlin"

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Archiv  der 
Brandenburg 

gesell  schaff 


heimatkunde 


Brandenburgia, 
gesellschaft  für 
heimatkunde  der 


H 

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V.'. 

>..•; 


IN  COMMKMORVTION  OF  THE  VISIT  OF 
HIS    ROYAL  HIGHNESS 

PRINCE  HENRY  OF  PRUSSIA 

MAKCII  SIXTH.I90* 

ON  HE  HALF  OF  IIIS  MAJESTY 

THE  GERMAN  EMPEROR 


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ARCHIV 

DER 

„BRANDENBURGS" 

GESELLSCHAFT  FÜR  HEIMATKUNDE 

DER 

PROVINZ  BRANDENBURG 

ZU 

13ER.L.IIV.  -  ' 


Unter  Mitwirkung  des  Märkischen  Provinzial-Museums 

herausgegeben 
vom 

Gesellschafts  -  Vorstande. 


1.  Band. 


Berlin,  1894. 
Druck  und  Verlag  von  P.  Stankicwicz'  Buchdruckerei, 
Bernburgcrstrasse  14. 

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Hasard  College  Library 
APR  23  1909 

Hohcnzollorn  Collection 
Gift  of  A.  C.  Cooüc'-e 


1 


3j 


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Ankündigung 

betreffend  das 

Archiv  der  „Brandenburgia" 

Gesellschaft  für  Heimatkunde  der  Provinz  Brandenburg. 


In  Bezug  auf  die  Herausgabe  des  „Archivs"  ist  bei  den  mehrfachen 
Erörterungen  im  Vorstand  und  Ausschuss  übereinstimmend  Folgendes 
beschlossen  worden. 

1.  Das  Archiv  erscheint  in  zwanglosen,  zu  Bänden  zu  vereinigenden 
Heften  oder  in  fertigen  Bänden,  unter  Mitwirkung  des  Märkischen 
Provinzial-Museums,  in  Druck  und  Verlag  von  P.  Stankiewicz' 
Buchdruckerei  hierselbst  mit  einer  Auflage  von  500  Exemplaren 
und  der  Ausstattung  des  Monatsblatts  unserer  Gesellschaft,  heraus- 
gegeben vom  Gesellschafts- Vorstande. 

2.  Die  Verfasser  der  einzelnen  Aufsätze  und  Mitteilungen  sind  für 
den  formellen  wie  materiellen  Inhalt  derselben  verantwortlich. 

3.  Die  Mitglieder  der  Gesellschaft  erhalten  ein  Exemplar  des  Archivs 
unentgeltlich. 

4.  Die  zu  2  bezeichneten  Verfasser  erhalten  zwanzig  Sonderabzüge 
ihrer  Aufsätze  und  Mitteilungen  unentgeltlich.  Zu  diesem  Behnfe 
hat  der  Drucker  es  so  einzurichten,  dass  jeder  Aufsatz  pp.  mit 
einer  vollen  Seite  und  entsprechendem  Titel  beginnt.  Die  Pagi- 
nirung  läuft  aber  durch  den  jedesmaligen  Band  des  Archivs 
ununterbrochen  fort. 

5.  Im  Tauschverkehr  wird  der  Regel  nach  diesseitig  nur  das  Monats- 
blatt abgegeben,  das  Archiv  ausserdem  nur  dann,  wenn  die 
Gegenleistungen  sei  es  durch  ihren  Inhalt,  sei  es  durch  ihre 
Ausstattung  (Abbildungen  pp.)  besonders  werthvoll  sind. 

6.  Der  Ladenpreis  für  das  Archiv  wird  von  Band  zu  Band  in  jedem 
einzelnen  Falle  durch  ßeschluss  festgesetzt  werden. 

Berlin  den  1.  April  1894. 

Vorstand  und  Ausschuss  der  Gesellschaft  für  Heimatkunde 
der  Provinz  Brandenburg. 


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Übersicht. 


S«ita 


1.  Einleitung  von  Ernst  Friedel  VII 

2.  Dr.  Emil  Bali rfeld:  Das  markische  Münzwesen  im  Mittelalter.  (Mit  Ab- 
bildungen.)   1 

3.  G.  Bluth,  Geh.  Baurat  und  Konservator  der  Kunstdenkmaler  der  Provinz 
Brandenburg:  über  neuaufgefundene  Tafelbilder  in  der  Kirche  zu  Zielenzig. 
(Mit  Abbildungen.)    25 

4.  Dr.  Georg  Galland:  Was  eine  Brandenburgische  Kurfüretin  an  Schmuck, 
Gerätschaften  und  dgl.  besass   28 

5.  Emil  von  Maltitz,  Major  z.  D.:  Zur  Geschichte  des  Cistercienser- Jungfrauen- 
Klosters  und  Stifts  zum  Heiligen  Grabe  bei  Wilsnack  in  der  Priegnitz.   ...  36 

6.  Erich  Schild,  Divisionspf  arrer :  Das  brandenburgisch  -  preussische  Feld- 
predigerwesen in  seiner  geschichtlichen  Entwickelung   85 

7.  Rodert  Mielke:  Das  Bauernhaus  in  der  Mark.    M(it  Abbildungen.)   .  .  .  104 

8.  Dr.  Paul  Schwartz-Friedenau:  Kirchliches  Leben  in  einer  märkischen 
Stadt  während  des  siebzehnten  Jahrhunderts  (Königsberg  N.-M.)  127 

9.  Dr.  Wilhelm  Schwartz,  Geheimer  Regierungsrat  und  Professor:  Vom 
Sagensammeln.  Erinnerungen  aus  meinen  Wanderungen  in  den  Jahren 
1837-1849    143 

10.  Register  159 


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■ 


Einleitung. 


Laut  Beschluss  des  Vorstandes  und  Ausschusses  giebt  die  Gesell- 
schaft für  Heimatkunde  der  Provinz  Brandenburg  neben  dem  regelmässig 
erscheinenden  „Monatsblatt"  ein  „Archiv"  heraus  in  zwanglosen  Heften, 
welche  nach  Bedarf  zu  Bänden  vereinigt  werden. 

Anlässlich  der  Veröffentlichung  des  ersten  Heftes  unsers  Archivs 
wird  es  angezeigt  erscheinen,  auf  das  satzungsgemässe  Forschungsgebiet 
der  Gesellschaft  hinzuweisen:  Landeskunde,  Altertumskunde,  Ge- 
schic  htskunde. 

Die  Landeskunde,  oder  wie  wir  es  lieber  ausdrücken,  die 
Heimatkunde  unserer  Provinz  Brandenburg,  ist  absichtlich  voran- 
gestellt, denn  unsere  Gesellschaft  betrachtet  sich,  ihrer  Entstehung  gemäss, 
zuvörderst  als  ein  dienendes  Glied  der  Zent ral-Kommission  für 
wissenschaf tliche  L andeskunde  von  Deutschland  und  wird  sich 
diesbezüglich  gern  auch  dem  zu  begründenden  Zentral-Verein  für 
wissenschaftliche  Landeskunde  von  Deutschland  unterordnen.  Die  nahe 
Verwandtschaft  der  Landeskunde  mit  der  angewandten  Erdkunde  springt 
ins  Auge,  steht  doch  die  Pflege  der  Landeskunde  unsers  Vaterlandes  auf 
der  Tagesordnung  der  Deutschen  Geographentage  fast  ebenso  lange,  als 
diese  abgehalten  werden;  so  nachhaltig  haben  die  Anregungen  gewirkt, 
welche  Richard  Lehmann  1882  gegeben  hat,*)  und,  fügen  wir  hinzu, 
welche  durch  Alfred  Kirchhof!'  und  Albrecht  Penck  so  unermüdlich 
in  fachkundigster  Weise  gefördert  und  unterstützt  worden  sind. 

Wenn  wir  in  u nsei  en  Satzungen  die  Förderung  der  A 1 1  e  r  t u  m  s  - 
kuude  besonders  hervorheben,  obwohl  dieselbe  unter  den  Begriff  der 
Landes-  und  Heimatkunde  allgemein  gerechnet  wird,  so  geschieht  dies 
zunächst  aus  dem  äusserlichen  Grunde,  weil  anderweitig  keine  Zeitschrift 

*)  Vgl.  Penck:  Berieht  der  Zentral- Kommission  für  Wissensch.  Landeskunde 
von  Deutschland  Aber  die  zwei  Geschäftsjahre  von  Ostern  1891  bis  Ostein  18fl;l. 
Bcvlir.  iso.-i.    s.  4. 


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VIII 


Einleitung. 


und  keine  Gesellschaft  sich  der  Altertumskunde  der  gesammten  Provinz 
Brandenburg  widmet,  insbesondere  aber  auch  deshalb,  weil  die  Begründung 
einer  wissenschaftlichen  Altertumskunde  unseres  Landes  erst  wenige 
Jahrzehnte  alt  ist,  dieselbe  gleichwohl  aber,  namentlich  soweit  die  Vor- 
geschichte umfassend,  das  allgemeinste  Interesse  erregt  und  doshalb 
besonders  in  den  Vordergrund  gestellt  zu  werden  verdient. 

Was  die  Geschichtskunde  anlangt,  so  sind  die  bedeutendsten 
Forscher  im  Gebiet  der  Landeskunde  bis  jetzt  über  die  Gebiete  der 
Geschichte,  welche  sich  für  die  landes-  oder  heimatkundliche  Bearbeitung 
eignen,  bis  zum  heutigen  Tage  schwankend.  Friedrich  Bach  mann  in 
seinem  vortrefflichen  Werk:  Die  landeskundliche  Literatur  über  die 
Grossherzogtümer  Mecklenburg  (Güstrow  1889)  hat  die  politische 
Geschichte  ganz  fortgelassen.  Als  unsere  „Braudenburgia"  begründet 
wurde,  haben  über  diesen  Punkt  unter  Zuziehung  von  bewährten  Sach- 
verstandigen im  Schoosse  des  Vorstandes  und  Ausschusses  eingehende 
Erörterungen  stattgefunden,  welche  ohne  Widerspruch  einstimmig  dahiu 
übereinkamen,  die  eigentliche  politische  und  archivalische  Geschichte 
auszuschliessen  und  sich  mehr  auf  die  Kulturgeschichte  zu  beschränken. 
Solches  muss  heut  nochmals  auf  das  Nachdrücklichste  betont  werden.*) 
Es  sind  mehrere  wissenschaftliche  Vereinigungen  in  Berlin  und  der 
Provinz  Brandenburg  vorhanden,  welche  jene  Geschichts- Gebiete  pflegen; 
unser  Arbeitsplan  ist  ohnehin  ein  ausserordentlich  weiter  und  in  vielen 
Feldern  noch  kaum  augebaut,  sodass  wir  auf  die  politische  Geschichts- 
forschung verzichten  zu  sollen  vermeinen,  desgleichen  auf  die  archi- 
valische Herausgabe  von  Urkunden  u.  dgl.  Allerdings  sind  die  Grenzen 
zwischen  Staaten-  und  Kultur-Geschichte  schwer  zu  ziehen,  sie  können 
im  gegebenen  Falle  sich  vermengen,  und  es  mag  ein  Aufsatz  oder  Vor- 
trag, den  wir  gern  annehmen,  wohl  auch  einmal  unter  das  Schema  der 
politischen  Geschichte  rubrizierbar  sein.  Das  ändert  aber  an  dem  Prinzip, 
wie  wir  es  im  Allgemeinen  bezüglich  der  Geschichtsforschung  für  unsere 
Gesellschaft  aufgestellt  haben,  in  keiner  Weise  etwas. 

Immerhin  wird  es  unseren  Mitgliedern  uud  manchen  ausserhalb 
unserer  Braudenburgia  stehenden  Gelehrten  von  Wichtigkeit  sein,  eine 
genauere  Inhalts- Übersicht  der  hauptsächlicheren  Fächer  unsere  wissen- 
schaftlichen Forsehungsstoftes  kennen  zu  lernen.  Die  nachfolgende  Ver- 
teilung des  letztern  schliesst  sich  an  das  von  Friedrich  Bachmann  a.  a.  O. 
aufgestellte  System  im  Wesentlichen  an. 

I.  Bibliographie  der  Heimatkunde. 
II.  Landesvermessung,  Karten,  Pläne  u.  dgl. 
III.  Heimatkundliche  Gesamtdarstellungen  und  Statistik. 


*)  Siehe  Monatsblatt.  I.  S.  'JS. 


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Einleitung. 


IX 


IV.  Landesnatur. 

A.  Oberflächengestaltung  und  geologischer  Bau. 

B.  Gewässer. 

C.  Klimatische  Verhältnisse. 

D.  Pflanzenwelt. 

E.  Tierwelt. 

V.  Bewohner. 

A.  Allgemein  Kulturgeschichtliches. 

B.  Die  Bewohner  nach  Körperbau,  Herkunft  und  Wohnsitzen 
von  der  Ur-  und  Vorgeschichte  ab. 

C.  Die  Bewohner  nach  ihrer  Sprache. 

D.  Die  Bewohner  nach  Volksglaube  und  Volkssitte. 

E.  Bevölkerungsstatistik. 

F.  Gesundheitsverhältnisse. 

G.  Wirtschaftliche  Kultur. 

H.  Geistige  Kultur. 

VI.  Spezielle  Ortschaftskunde. 
VII.  Vergleichende  Heimatkunde. 

Was  uns  besonders  not  thut,  ist  —  zu  I  des  Forschungsplans  — 
ein  wissenschaftliches  Repertorium  über  die  gesamte  landes- 
kundliche Literatur.  An  Vorarbeiten  fehlt  es  nicht  ganz,  dem  Märkischen 
Museum  sind  im  Lauf  der  letzten  Jahre  einzelne  Anfänge  (namentlich 
atif  die  Münzkunde  und  die  Mediziualkunde  bezüglich)  zugegangen,  welche 
aber  der  Ergänzung  und  Anpassung  an  ein  allgemeineres  System  be- 
dürfen. Dadurch,  dass  Berlin  von  der  Provinz  Brandenburg  weder  aus- 
geschlossen werden  soll  noch  kann,  häufen  sich,  wie  auf  der  Hand 
liegt,  die  Schwierigkeiten  bei  Aufstellung  der  Literatur  -Verzeichnisse 
ganz  ausserordentlich. 

Soll  die  Literatur,  wie  Dr.  E  r  man  (Verh.  der  Gesellsch.  für  Erdkunde 
zu  Berlin,  XH.  1885  S.  96  —  113)  es  verlangt,  d.  h.  mit  peinlichster 
archivalischer  Genauigkeit  und  Umständlichkeit,  was  ja  zweifellos  an 
sich  recht  wünschenswert  ist,  zusammengestellt  werden,  so  bedingt  dies 
an  die  Opferwilligkeit  freiwilliger  Bearbeiter  recht  grosse  Anforderungen 
inbezug  auf  Zeit,  Arbeitskraft  und  auch  Geld.  Veröffentlicht  man  da- 
gegen die  Schriften -Titel  in  der  meist  beliebten  abgekürzten  Form,  so 
wird  man  auf  kritische  Angriffe  und  Bemängelungen  gefasst  sein  müssen. 
Die  „Brandenburgia"  wird  Veranlassung  nehmen,  auf  diesen  wichtigen 
Punkt,  der  hier  nur  angestreift  werden  kann,  in  ihren  Arbeits-Sitzungen 
und  in  ihrem  „Archiv"  eingehend  zurückzukommen. 

Nach  diesseitiger  Auffassung  wäre  die  Aufstellung  eines, 
alle  deutschen  Landesteile  umfassenden  heimatkundlichen 
Literatur-Verzo  ichnisses  recht  eigentlich  Sa  che  des  Deutschen 


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X 


Ernst  Friedel. 


Reichs,  welches  einen  besoudern  wissenschaftlichen  und 
geschäftlichen  ständigen  Ausschuss  dafür  berufen  und  die 
nicht  unbeträchtlichen  Mittel  für  die  Besoldung  der  Mit- 
arbeiter, die  Korrespondenz  und  die  sonstigen  Kosten  (der 
Drucklegung  u.  s.  f.)  zu  bestreiten  haben  würde.  Es  ist  eine 
Ehrensache  des  Deutschen  Reichs  diese  hochwichtige  vaterländische  und 
wissenschaftliche  Angelegenheit  neben  der  Herausgabe  der  Monumenta 
Germaniae,  neben  der  Erforschung  des  römischen  Grenzwalls  (limes 
romanus)  und  ähnlichem  von  Amtswegen  zu  betreiben. 

Soweit  die  heimatkundliche  Literatur  der  Provinz  Brandenburg  in 
Frage  kommt,  würde  unsere  Gesellschaft  zu  einer  Förderung  und  Unter- 
stützung jeder  Zeit  sich  willig  bereit  finden  lassen. 

Berlin  den  18.  April  1894. 

Ernst  Friedel. 


Das  märkische  Münzwesen  im  Mittelalter.*) 

Von 

Dr.  Emil  Bahrfeldt. 

Selbst  in  unseren  sonst  so  aufgeklärten  Tagen  hört  man  bisweilen 
noch  die  Frage  aufwerfen,  ob  denn  der  Beschäftigung  mit  alten  Münzen 
in  der  That  ein  tieferer  Wert  innewohne,  ob  die  Münzkunde  wirklich 
eine  so  wichtige  Wissenschaft  sei,  wie  die  Numismatiker  behaupten. 
Manche  können  sich  von  dein  Wesen  dieser  Wissenschaft  keine  rechte 
Vorstellung  machen,  sie  sehen  den  Numismatiker  lediglich  als  Kuriosi- 
tätensammler  an,  der  seiner  Liebhaberei  frölint,  ohne  ein  tieferes,  ernstes 
Streben  damit  zu  verbinden.  Man  kann  es  nicht  recht  verstehen,  dass 
nicht  allein  die  öffentlichen,  staatlichen  wie  städtischen,  Münzsammlungen 
kultiviert  werden,  sondern  dass  auch  Privatleute  mit  grossen  Opfern  an 
Zeit  und  Gehl  es  sich  angelegen  sein  lassen,  eine  Münzsammlung  zu 
halten,  zu  pflegen  und  ihrem  Studium  sich  hinzugeben. 

Früher  urteilte  mau  freilich  noch  härter  in  dieser  Beziehung,  das 
belegt  z.  B.  eine  alte  Nachricht,  die  den  ehrwürdigen  Bischof  v.  Culm, 
Stephan  v.  Heideburg,  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts  betrifft.  Ihn 
hatte  nämlich  das  damals  immer  schlechter  werdende  Geld  veranlasst, 
auf  seinem  Residenzschlosse  Lübau  in  Preussen  eine  sehr  bedeutende 
Anzahl  Münzen  zu  wissenschaftlichen  Untersuchungen  zu  sammeln.  Je 
vereinzelter  aber  ein  solches  numismatisches  Studium  für  damalige  Zeiten 
war,  desto  mehr  war  der  gelehrte  Greis  dem  verkehrten  Urteile  der 
grossen  Menge  ausgesetzt.  Und  so  lieisst  es  denn  über  ihn  wört- 
lich: „Er  sass  uf  seinem  schlösse  zu  Luhe  und  besag  den  tag  über  die 
fremde  und  seltsame  muntze,  die  er  hatte.  Denn  man  sagte  von  yiu, 
das  er  sich  vorhin  beflissen  hette,  das  er  aller  lande  muntze  bette.  Dys 
that  er  mehr  aus  dumbheit,  denn  anders  warumb,  den  er  war  seer 
ein  alter  manu!" 


*)  Vortrag,  gehalten  in  den  Sitzungen  der  Bramlenhurgia  vom  25.  Januar  und 
22.  Februar  ISO:}.    Vgl.  Monatsblatt  der  Oes.  für  Heimatkunde  Heft  11  u.  12. 

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2 


Emil  RahrfeMt: 


Nun,  wenn  auch  heute  ein  solches  Urfeil  über  den  Numismatiker 
nicht  mehr  vorkonunen  kann,  so  sind  die  von  ihm  verfolgten  Ziele  doch 
immerhin  noch  nicht  allgemein  erkannt  und  gewürdigt.  Die  Aufgabe 
und  das  Ziel  des  Münzforschers  ist  es  aber,  die  Münzen  unserer  Vor- 
fahren nach  Zeit  und  Ort  ihrer  Prägung  festzustellen,  ihre  Prägejierren 
zu  ermitteln,  die  Darstellungen,  Zeichen  und  Inschriften  auf  den  Münzen 
zur  Erklärung  zu  bringen,  die  Münzen  nach  Metall,  Form,  Grösse, 
Schrot,  Korn  und  Wert  zu  bestimmen,  die  Münztechnik  zu  beleuchten, 
die  Entwickelung  und  das  Fortschreiten  in  der  Kunst  des  Stempelschnei- 
dens und  Prägens  durch  die  Münzbeamten  zu  verfolgen,  —  Alles  in 
Allem:  die  Münzen  in  historischer  und  kulturgeschichtlicher  Beziehung 
zu  erforschen. 

Die  Münzkunde  gehört  zur  Archäologie,  während  die  Geldlehre, 
um  einen  Schritt  weiter  zu  gehen,  einen  Zweig  der  Nationalökonomie 
bildet  und  die  Münzen  als  gesetzliches  Zahlungsmittel  und  als  Wert- 
mass  für  die  wirtschaftlichen  Güter  behandelt.  Münzkunde  und  Geld- 
lehre greifen  eng  in  einander.  Bei  dem  jetzigen  Stande  der  Wissenschaft 
ist  es  für  den  Numisiuatiker  durchaus  unerlässlieh,  auch  die  Geldlehre 
zu  berücksichtigen.  Leider  Oberseiten  das  selbst  heute  noch  Münzforscher, 
die  zu  den  hervorragenderen  gezählt  sein  wollen. 

Die  hauptsächlichsten  Quellen,  aus  denen  der  Numismatiker  bei  seinem 
Studium  zu  schöpfen  hat,  sind  die  Münzfunde  und  die  Archive.  Die 
ersteren  bringen  die  ehernen  Zeugen  dahingeschwundener  Jahrhunderte 
aus  Licht,  und  die  letzteren  machen  mit  dem  geschriebenen  Worte  über 
das  Münz-  und  Geldwesen  bekannt.  Nur  die  Benutzung  beider  Quellen 
führt  zum  Ziele;  wer  die  eine  oder  andere  entbehren  zu  können  glaubt, 
gerät  auf  Abwege  und  kommt  zu  falschen  Schlüssen,  die  sich  bitter 
rächen. 

Und  nun  der  Nutzen  der  Münzkunde,  —  wie  wird  er  meist  unter- 
schätzt! Und  doch  ist  er  von  höchster  Wichtigkeit.  Denn  die  Münzen 
geben  Aufschluss  über  die  Kultur  längst  untergegangener  Völker,  sie 
leltren  uns  ihre  Sitten  und  Gebräuche  kennen,  die  Entwickelung  ihrer 
Industrie  und  Gewerbe,  ihrer  Handels-  und  Verkehrsverhältnisse.  Die 
Münzen  zeigen  uns  die  früheren  Bauwerke  und  deren  Einrichtung,  die 
Geräte  und  sonstigen  Gegenstände  des  täglichen  Lebens,  die  Watten  und  die 
Ausrüstungen  in  kriegerischen  Zeiten.  Sie  sind  die  sprechenden  Beweise 
für  den  einstigen  Bildungsgrad  der  Völker,  sie  führen  uns  das  Auf- 
steigen, die  Blüte  und  den  Niedergang  der  Kunst  vor  Augen.  Sie  über- 
liefern die  getreuen  Gesichtszüge  der  Herrscher  früherer  Jahrhunderte, 
und  oftmals  weisen  sie  allein  die  Namen  verschollener  Fürsten,  unter- 
gegangener Städte  nach,  wiederholt  sind  durch  sie  Personen  und  Orte 
ermittelt  worden,  die  die  historische  Ueberlieferung  garnicht  kennt. 
Dunkele  geschichtliche  Thatsachen  werden  durch  die  Münzen  aufgehellt 


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Das  milrkische  Münzwesen  im  Mittelalter.  3 

und  erforscht,  irrige  Angaben  der  Schriftsteller  berichtigt.    Und  endlich 

sind  bei  Altertuinsfunden  oft  ausschliesslich  die  beigegebenen  Münzen 

es  gewesen,  aus  denen  mit  Zuverlässigkeit  das  Alter  der  Gegenstände 
gesichert  werden  konnte. 

Dies  sind  alles  Punkte,  die  eiue  so  weittragende  Bedeutung  in  sich 
schliesseu,  dass  es  nur  dieses  kurzen  Hinweises  bedürfen  wird,  um  den 
Glauben  an  die  Wichtigkeit  und  den  Nutzen  des  Studiums  der  Münz- 
kunde bei  Jedermann  zu  festigen. 

Auf  eingehendere  Auslassungen  über  den  Begriff  Münze,  über  den 
Anfang  der  Münzprägung  überhaupt,  die  Herstellungsweise  des  Geldes, 
die  verschiedenen  Münzsysteme  und  dergleichen  an  dieser  Stelle  näher 
einzugehen,  muss  ich  mir  versagen.  Ich  berühre  nur,  dass  man  ebenso 
wie  die  Geschichte,  auch  die  Münzkunde  in  drei  grosse  Abschnitte  teilt: 
die  alte,  die  mittelalterliche  und  die  neue.  Die  Grenzen  sind  nicht  in 
allen  Ländern  gleichmässig  zu  ziehen,  aber  im  allgemeinen  wird  man 
die  antike  Münzprägung  von  etwa  600  vor  Christi  bis  ungefähr  zum  Jahre  500 
nach  Christi  Geburt,  die  mittelalterliche  bis  etwas  über  das  Jahr  1500 
hinaus,  bis  gegen  1520,  die  neue  von  da  ab  bis  zur  Jetztzeit  zu  rechnen 
haben. 

Für  unsere  engere  Heimat,  dio  Mark  Brandenburg,  deren  Münz- 
wesen ich  als  Gegenstand  meiner  Abhandlung  gewählt  habe,  kommen 
die  antiken  Münzen  nur  in  sofern  in  Betracht,  als  es  von  numis- 
matischem Interesse  ist,  die  spärlichen  Auffindungen  solcher  Gepräge 
in  ihr  zu  verzeichnen.  Die  Mark  hat  selbstständige  Gepräge  erst  aus 
mittelalterlicher  Zeit  geliefert,  erst  verhältnissmässig  spät  eigenes  Geld 
gehabt,  nicht  vor  dem  2.  Viertel  des  12.  Jahrhunderts.  Was  vor  dieser 
Zeit  im  Lande  in  beschränktem  Masse  umlief,  das  waren  von  Westen 
her  gekommene  deutsche  Denare,  zweiseitige  Silber-Pfenninge,  wie  sie 
heute  noch  in  den  Funden  öfter  zu  Tage  treten. 

Es  ist  eine  alte  Erfahrung,  dass  die  Münzprägung  fast  immer 
neben  dem  Christentum  einhergeschritten  ist,  so  auch  in  der  Mark.  Als 
im  12.  Jahrhundert  die  Bekehrung  des  Hevellerfürsten  Przibislaw  zum 
Christentum  geschehen,  da  ist  auch  alsbald  die  erste  märkische  Münz- 
prägung zu  verzeichnen.  Die  Zeit  Przibislaws  ist  immer  noch  dunkel, 
viel  Sagenhaftes  umgiebt  ihn.  Die  Quelle,  aus  der  früher  die  Nach- 
richten über  ihn  geflossen,  ist  die  Chronik  des  Pulkava,  geschrieben  um 
1373  und  entnommen  aus  der  Chronica  episcoporum  Brandeuburgensium. 
Pulkava  berichtet  ausführlich,  dass  Przibislaw  mit  seiner  Gemahlin  zum 
Christentum  übergetreten  sei  und,  da  er  keinen  Leibeserben  gehabt,  seinen 
Nachbarn  Albrecht  den  Bären  zu  seinem  Erben  eingesetzt  habe.  Auch 
sei  er  Pate  von  Albrechts  ältestem  Sohne  Otto  gewesen,  dem  er  die 
Zauche  als  Patengeschenk  gegeben  habe.  In  Folge  der  Annahme  des 
christlichen  Glaubens  habe  Przibislaw  oder,  wie  er  als  Christ  hiess, 

J 

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4 


Emil  BahrfeMt: 


Heinrich,  «Iii*  Praemonstratcnser  als  Canonici  des  heiligen  Petrus  nach 
Brandenburg  berufen,  wobei  er  sich  der  Unterstützung  des  branden- 
burgisehen  Bischofs  Wigger  bedient  habe.  Als  Heinrich  hoch  betagt 
in  Brandenburg  gestorben  sei,  habe  seine  Gattin  Petrissa  den  Tod  zu- 
erst verheimlicht  und  schleunigst  Albrecht  dem  Bären  davon  Nachricht 
gegeben,  damit  er  käme  und  Besitz  von  dem  Lande,  seinem  Erbe,  nähme. 
Das  sei  geschehen.  Indessen  habe  Heinrichs  Verwandter,  der  Fürst 
Jacza,  der  Erbansprüche  zu  besitzen  geglaubt,  die  Feste  Brandenburg 
Albrecht  dem  Bären  durch  Bestechung  entrissen,  letzterer  aber  habe  sie 
mit  Hülfe  des  Erzbisehofs  Wichmann  von  Magdeburg  am  11.  Juni  1157 
wieder  erobert. 

Die  Zweifel,  mit  denen  man  diese  Nachrichten  früher  betrachtet 
hat,  sind  später  geschwunden  gegenüber  dem  Fragment  einer  Chronik 
aus  dem  Anfange  des  14.  Jahrhunderts,  aufgefunden  durch  O.  v.  Heine- 
mann, die  fast  wörtlich  mit  Pulkavas  Bericht  übereinstimmt,  und  weiter 
auch  durch  eine  gleichzeitige  Chronik,  die  Annalen  von  Pöhlde.  Und 
nun  treten  schliesslich  auch  noch  die  Münzen  in  die  Reihe,  die  wenigstens 
die.  einstige  Existenz  der  sagenhaften  Fürstin  Petrissa  bestätigen. 

Im  Herbste  1880  ist  nämlich  bei  Michendorf,  unweit  Potsdam,  ein 
Münzenfund  von  so  hervorragender  Wichtigkeit  gehoben  worden,  wie  er 
für  die  brandenburgische  Münzkunde  seines  Gleichen  im  entferntesten 
nicht  hat,  und  in  diesem  Funde  traten  zum  ersten  Male  Münzen  auf, 
die  auf  der  Vorderseite  das  Brustbild  Heinrichs,  gesichert  durch  die 
Umschrift  HF:iN  BRAND,  und  auf  der  Rückseite  das  Brustbild  Petrissas 
mit  der  Umschrift  ihres  Namens  tragen.  (Abbild  No.  1  u.  2.)  Das  war 
eine  Entdeckung,  die  in  der  numismatischen  Welt  das  grösste  Aufsehen 
hervorrief. 


Der  Name  Petrissa,  nicht  etwa  slavisch,  sondern  gut  deutsch,  ist 
Femininalform  von  Petrus,  also  Petra,  Petrussa,  Petrissa.  Der  Name 
kommt  auch  anderweitig  unter  christlichen  Namen  vor.  Wie  Heinrichs 
Gemahlin  vor  ihrem  Übertritte  zum  Christentum  geheissen,  steht  noch 
nicht  fest;  den  Namen  Petrissa  hat  sie  zu  Ehren  des  heiligen  Petrus, 
Brandenburgs  Schutzpatron,  angenommen. 

Neben  diesem  Gepräge  giebt  es  noch  zwei  sichere  andere  Pfenninge 
Przibislaw- Heinrichs   (No.  3  u.  4),  beide  mit  seinem  Reiterbilde,  der 


i. 


2. 


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Das  markische  Münzwesen  im  Mittelalter. 


5 


eine  mit  einein  viertürmigen  Gebäude,  der  andere  mit  einem  Bischöfe, 
wahrscheinlich  dem  Bischöfe  Wigger  von  Brandenburg,  auf  der  Rückseite. 
Dieser  stammt  aus  einem  schon  1858  bei  Schollehne,  unweit  Havelberg 
gemachten  Funde,  jener  wie  der  Petrissapfenning  aus  dorn  Schatze  von 
Michendorf. 


Anzuschliessen  ist  auch  noch  ein  Pfenning  (No.  5),  der  freilich 
nicht  mit  derselben  Sicherheit  wie  die  vorigen  au  Przibislaw-Heinrich 
gegeben  werden  kann.  Er  hat  zwei  sitzende  Fürsten,  deren  verstümmelte 
Beisehriften  auf  Heinrich  und  auf  Albrecht  den  Raren  deuten  können 
und  den  Gedanken  an  eine  Gemeinschaftsprägung  der  beiden  Nachbarn 
nicht  ganz  unterdrücken  lassen. 

Heinrich  starb  im  Jahre  1150  uud  es  reihen  sich  an  seine  Münzen 
diejenigen  seines  Verwandten,  des  vorher  schon  genannten  VVendenfürsten, 
oder  -Knaes,  Jakza,  der  seinen  Sitz  in  Köpenick  bei  Berlin  hatte.  Waren 
die  Münzen  Przibislaw-Heinrichs  zweiseitige  Denare,  so  haben  wir  es 
bei  denen  Jakzas  mit  ganz  dünnen,  einseitig  geprägten  Denaren  zu  thun,  die 
von  den  Numismatikern,  nicht  aber  zur  Zeit  ihrer  Prägung,  mit  dem 
Kunstausdruck  Bracteaten  bezeichnet  werden,  nach  dem  lateinischen 
bractea,  dünnes  Metallblech. 

Abgesehen  von  einem  Stücke  (No.  10)  sind  die  Bracteaten  .lakzas 
mit  einer  Umschrift  versehen,  die  in  abgekürzter  Form  IACZA  KNES, 
IACZA  COPNIO  CNES,  IACZA  DE  COPNIC  und  einmal  sogar,  auf  dem 
kostbaren  Unikum  meiner  Sammlung  (No.  11),  TACZO  DE  COFNING 
DEN  AK  11  lauten. 


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G 


Euiil  Bahrfeldt: 


10  11  12 


Diese  7  Bracteaten  (No.  6  bis  12)  zeigen  den  Knaes  viermal  im 
Brustbilde,  einmal  stehend  in  ganzer  Figur,  zweimal  sitzend.  Er  ist 
bewehrt  mit  Schwert,  Schild,  Fahne,  vereinzelt  trägt  er  das  Patriarchen- 
kreuz, bei  sechs  Exemplaren  ist  ein  Palmzweig  angebracht.  Die  Münzen 
sind  von  zierlicher  Arbeit,  die  Aufschriften  korrekt,  ja  bei  dem  einen 
Bracteaten  (No.  7)  mit  dem  grossen,  langbärtigen  Profilkopfe  wird  man 
sogar  glauben  dürfen,  das  Portrait  Jakzas  vor  sich  zu  haben.  Die 
Münzen  schliessen  sich  aufs  engste  an  gleichzeitige  magdeburgische 
Bracteaten  an.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  die  Attribute  Palm- 
zweig und  Patriarchenkreuz  magdeburgischen  Pfenningen  entlehnt  sind, 
dass  letztere  die  Vorbilder  für  Jakzas  Prägung  abgegeben  haben.  In 
Magdeburg  waren  Bracteaten  mit  dem  heiligen  Moriz,  sogenannte  Moriz- 
pfenninge,  gang  und  gäbe.  Es  bietet  keine  Schwierigkeiten  einzelne  davon 
als  Vorbilder  herauszufinden.  Auch  schon  bei  den  Denaren  Heinrichs 
waren  die  magdeburgischen  Pfenninge  die  Muster,  und  gleiches  werden 
wir  auch  unter  den  nächsten  Herrschern  der  Mark  noch  mehrfach  zu 
sehen  haben;  in  der  Münzprägung  kam  dem  jungen  brandenburgischen 
Staate  die  Kultur  von  Magdeburg. 

Das  Alter  der  Bracteaten  Jakzas  von  Köpenick  lässt  sich  ziemlich 
genau  bestimmen  und  zwar  aus  den  Urkunden.  Jakzas  Münzen  tragen 
sämmtlich  sichere  Embleme  des  Christentums;  er  hat  sie  also  zu- 
versichtlich erst  schlagen  lassen,  nachdem  er  Christ  geworden  war. 
Als  er  Brandenburg  einnahm  und  bis  zur  Wiedereroberung  durch  Albrecht 
den  Bären  am  11.  Juni  1157  besass,  war  er  noch  Heide,  das  steht  fest 
aus  einer  Urkunde  des  Bischofs  Wilmar  von  Brandenburg  vom 
Jahre  1161.  Jakza  hat  also  erst  nach  1157  den  christlichen  Glauben 
angenommen  und  dann  die  Prägung  vor  sich  gehen  lassen. 

Es  ist  wiederholt  der  Nachweis  versucht  worden,  dass  unser  Jakza 
von  Köpenick  nicht  der  Münzherr  der  besprochenen  Bracteaten  sei.  Rabe 
war  es  im  Jahre  1856,  der  die  Ansicht  vertrat,  dass  der  Jakza  ein 
polnischer  Heerführer  und  das  auf  seinen  Münzen  genannte  Köpenick 
das  Kopuitz  in  der  Provinz  Posen  gewesen  sei.  Nachdem  dieser  Ver- 
such widerlegt,  ist  Sello  1885  wieder  auf  die  Frage  zurückgekommen 
und  hat  die  Behauptung  aufgestellt,  der  Münzjakza  sei  mit  dem 
urkundlich  als  a\  unculus  des  Przibislaw-Hcinrich  genannten  Jakza  nicht 


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Das  märkische  Münzwesen  im  Mittelalter. 


7 


identisch,  weil  letzterer  in  den  Urkunden  dux  Poloniae  genannt  werde 
und  der  Name  Jakza  häufig  vorkomme.  Nur  das  Letztere  ist  richtig: 
es  hat  viele  I Torren  des  Namens  Jakza  gegeben,  denn  dieser  ist  lediglich 
die  slavische  Form  für  .Johannes,  —  alles  Andere  ist  hinfällig.  Der  Münz- 
kenner weiss  die  Unmöglichkeit,  dass  die  Umschrift  der  Münzen  einen 
anderen  Ort  als  unser  Köpenick  an  der  Spree  bezeichnen  kann.  Und 
ferner  hat  man  da,s  Polonia  zu  damaligen  Zeiten  ganz  gewiss  im  weiteren 
Sinne  zu  verstehen,  nicht  in  dem  engen  Rahmen  des  eigentlichen  Polens, 
so  dass  es  sich  sehr  wohl  auf  einen,  vom  deutschen  Einflüsse  unab- 
hängigen Wendenfürsteu,  auf  unsern  Jakza  beziehen  kann.  Der  historische 
Jakza,  «1er  avunculus  Przibislaws,  ist  unbedingt  identisch  mit  dem 
Köpenicker  Müuzjakza. 

Die  Münzen  der  slavischen  Herrscher  in  der  Mark  sind  hiermit 
erschöpft.  Wir  kommen  nun  zu  denen  der  Markgrafen  aus  dem 
askanischen  Hause,  von  1134  bis  1323,  deren  Ahnherr  Albrecht 
der  Bär,  von  1134  bis  1170,  eine  stattliche  Reihe  der  schönsten  Ge- 
präge hinterlassen  hat. 


Seine  älteste  Münze  (No.  13)  ist  noch  zweiseitig  geprägt.  Sie 
schliesst  sich  ganz  eng  an  die  Heinrichs  an  und  ist  wohl  sicher  noch 
zu  des  letzteren  Lebzeiten  geschlagen.  Die  Münze  zeigt  die  geharnischte 
Gestalt  Albrechts  mit  Fahne  und  Schild  bewehrt  auf  der  Vorder-  und  einen 
Palmzweig  zwischen  zwei  Th firmen  auf  der  Rückseite.  Sie  ist  wieder 
ein  Kabinetstück  ersten  Ranges  und  nur  in  zwei  Exemplaren,  eins 
in  der  Sammlung  des  Herrn  Killisch  v.  Horn  zu  Berlin,  das  andere 
in  meiner  Sammlung,  bekannt. 

An  diesen  Denar  reihen  sich  im  Altersrange  ein  Bracteat  (No.  14) 
mit  dein  geharnischten  Markgrafen  zu  Pferde  und  der  Umschrift  ALBRKII, 
das  ist  die  deutsche  Form  Albrech,  gerade  so  wie  .  auf  dem  einen  Denar 
Przibislaw-Heinriehs   das  Brandburh  als   Brandeburch  aufzulösen  ist. 

Diese  beiden  Münzen  sind  danach  also  die  ersten  märkischen,  die 
mit  deutscher  Aufschriftsform  versehen  sind. 

Bei  dieser  Gelegenheit  möchte  ich  darauf  hinweisen,  dass  man  bei 
einer  Reihe  von  Schriftstellern,  die  sich  mit  der  Geschichte  der  Mark 
beschäftigt  haben,  als  alten  Namen  für  die  Stadt  Brandenburg  die  Be- 
zeichnung Brennabor  findet.*)    Wer  dies  zuerst  aufgebracht  hat,  weiss 

*)  Neuerdings  noch  in  einem  Vortrage  iles  Dr.  Hammer  über  „märkische  Ort* 
namen"  in  der  Sitzung  der  „Brandenburgia"  am  2:5.  Mai  1891. 


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Emil  Bahrfeldt: 


ich  nicht,  aber  es  steht  fest,  dass  diese  Namensform  erst  neueren 
Ursprunges  ist  und  urkundlich  nicht  vorkommt.  Die  alten  Urkunden  haben 
die  Form  Brande-,  Branden-  oder  Brandeinburg,  bezw.  -bureh,  auch 
Brandunburg,  Branneburch  und  Brandanbur,  aber  meines  Wissens 
niemals  Brennabor. 

Aus  der  nun  folgenden  Keine  der  Bracteaten  Albrechts  sind  zu- 
nächst noch  zwei  herauszuheben  (Nr.  15  u.  16),  die  sein  Brustbild  zwischen 
Türmen  darstellen  und  infolge  ihres  altertümlichen  Aussehens  wohl 
dem  eben  genannten  Keiterbracteaten  angefügt  werden  dürfen. 


Bis  hierher  wird  die  Folge  der  Albrechtsmünzen  als  chronologisch 
richtig  anzusehen  sein,  bei  seinen  anderen  Geprägen  lässt  sich  eine 
Altersreihe  nicht  innehalten.  Ich  zähle  noch  14  Stück  Bracteaten  Al- 
brechts, z.  T.  mit  Namensaufschrift,  z.  T.  stumm,  d.  h.  ohne  Schrift.  Der 
Markgraf  wird  meist  geharnischt  und  mit  der  Beckenbaube  dargestellt, 
stehend,  sitzend  oder  im  Brustbilde;  als  Wehr  führt  er  wechselnd 
Schwert,  Schild  und  Fahne,  aber  auch  friedliche  Embleme  trägt  er  bis- 
weilen: die  Lilie,  den  Palmzweig,  das  Kreuz. 

Aus  dieser  vortrefflichen  Gruppe  ist  vor  allen  ein  Bracteat  zu 
nennen  (No.  17),  der  die  besondere  Aufmerksamkeit  auf  sich  lenkt.  Es 
ist  der,  auf  welchem  neben  Albrecht  dem  Bären  auch  seine  Gemahlin, 
die  Markgrälin  Sophie,  erscheint.  Sie  stammt  nicht  aus  hohenstaufenschein 
Geschlechte,  sondern  war  eine  Tochter  des  Grafen  v.  Formbach  und 
Winzenburg  (f  1122)  und  der  Hedwig  von  Waltingerode.  Sophie  starb 
im  Jahre  1160,  und  das  giebt  einen  Anhalt  für  das  Alter  des  Bracteaten: 
er  muss  naturgemäss  vor  diesem  Jahre  und  zwar,  dem  schönen  Stile 
nach,  kurz  zuvor  geschlagen  worden  sein. 


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Das  märkische  Mttiizwesen  im  Mittelalter. 


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Ei»  weiteres  sehr  wichtiges  Stück  ist  ein  Bracteat  mit  dem 
baarhäuptigen  Brustbilde  des  Markgrafen,  mit  erhobenen  Händen,  in 
der  Kecltten  eine  Lilie  haltend  und  mit  der  Umschrift  4-  AÜELDEHTVS 
+  MAKCIIIO  -f  ANEHALDENSI.  Er  stammt  aus  dem  grossartigen 
Bracteatensehatze  von  Frecklebeu  im  Anhaltischen,  der  im  Jahre  1804 
gehoben  worden  ist.  Auf  Münzen  tritt  der  Name  Anhalt  hier  zuerst  auf, 
und  die  Bezeichnung  Albertus  marchio  Anehaldensis :  Markgraf  Albrecht 
von  Anhalt  ist  urkundlich  überhaupt  noch  nicht  vorgekommen. 

Zweifellos  sind  nicht  alle  Münzen  Albrechts  in  der  Mark  Branden- 
burg gepraegt  worden,  bei  der  Ausgedehntheit  seiner  Besitzungen  ist 
dies  nicht  anders  zu  erwarten.  Aber  z.  Zt.  steht  es  noch  nicht  fest, 
um  welche  Stücke  es  sich  dabei  handelt,  und  so  muss  eine  Trennung  vor- 
läufig noch  unterbleiben. 

Nach  dem  Tode  Albrechts  des  Bären  folgte  auf  dem  branden- 
burgisehen  Throne  sein  ältester  Sohn  Otto  J.  von  1170  bis  1184.  Er 
hat  nur  Bracteaten  geprägt,  die  meist  mit  seinem  Namen  versehen  sind. 
(No.  18 — 24.)  Die  Darstellungen  sind  im  allgemeinen  sehr  überein- 
stimmend mit  denen  auf  seines  Vaters  Münzen,  ja  bei  einzelnen  stummen 
kann  man  mit  unbedingter  Sicherheit  nicht  einmal  sagen,  ob  sie  vom  Vater 
oder  vom  Sohne  herrühren. 


18  19  20  21 


Besonders  aufmerksam  zu  machen  ist  auf  den  Bracteaten  mit  dem 
Stehenden  geharnischten  Markgrafen,  der  Fahne  und  Schild  trägt  und 
die  deutsche  Umschrift  MAKCGKAVE  OTTO  hat  (No.  24).  In  letzterer 
Hinsicht  gesellt  sich  der  Pfenning  jenen  mit  deutscher  Aufschriftsform  von 
l'rzibislaw- Heinrich  und  Albrecht  dem  Bären  bei.  Und  so  kommt  denn 
auch  in  der  Mark  die  deutsche  Sprache  auf  Münzen  weit  früher  zur  An- 
wendung als  auf  Siegeln;  denn  letztere  führen  solche,  soweit  bis  jetzt 
bekannt,  nicht  vor  dem  14.  Jahrhunderte. 


10 


Emil  Bahrfeldt: 


Wenn  ich  die  bisherigen  Gepräge  ausführlicher  behandelt  habe,  als  es 
bei  den  folgenden  der  Fall  sein  wird,  so  liegt  der  Grund  dafür  in  dem 
Umstände,  dass  gerade  diese  ältesten  Münzen  ein  besonderes  historisches 
Interesse  gewähren  und  dass  auch  vom  künstlerischen  Staudpunkte  aus, 
namentlich  die  Pfenninge  der  beiden  ersten  askanischen  Markgrafen  im 
höchsten  Grade  beachtenswert  sind.  Denn  unter  ihnen  befand  sich  die 
Stempelschneidekunst  auf  einer  Höhe,  wie  sie  im  Mittelalter  für  die 
Mark  nie  wieder  erreicht  worden  ist.  Wenn  man  die  ausserordentliche 
Feinheit  der  Arbeit  bei  den  meisten  dieser  Münzen  betrachtet,  so  muss 
man  staunen  über  die  Kunstfertigkeit,  die  sich  in  ihnen  ausdrückt.  Dass 
die  Künstler,  die  die  Stempel  geschnitten,  indessen  sämmtlich  Märker 
gewesen  seien,  das  ist  stark  zu  bezweifeln,  denn  wie  schon  bei  Heinrich 
und  Jakza  erwähnt,  sind  als  Vorbilder  zu  den  märkischen  Münzen  viel- 
fach magdeburgische  Gepräge  benutzt  worden,  das  lässt  sich  auch  bei 
Albrecht  dem  Bären  und  Otto  I.  verfolgen.  Mit  den  magdeburgischen 
Vorbildern  werden  aber  gewiss  auch  magdeburgische  Künstler  in  die 
Mark  gekommen  sein,  die  belehrend  und  erziehend  auf  die  einheimischen 
Steinpelschneider  gewirkt  haben. 

Diese  Blüte  der  Stempelschneidekunst  in  der  Mark  ist  schnell 
vorübergegangen.  Schon  bei  den  Bracteaten  des  nächsten  Markgrafen, 
Ottos  IT.  1184 — 1205,  springt  ein  ganz  wesentlicher  Rückgang  in  dieser 
Beziehung  in  die  Augen.  Sie  werden  kleiner,  die  Arbeit  wird  gering- 
wertiger, roher,  und  das  Bild  ist  meist  mit  einem  ziemlich  starken 
Wulstrande  umgeben.  Diese  Kennzeichen  ermöglichen  es,  die  Bracteaten 
der  beiden  gleichnamigen,  in  der  Regierung  sich  folgenden  Markgrafen 
auseinander  zu  halten  und  gestatten  für  den  jüngeren  Otto  35  Stück 
Bracteaten  auszusondern,  von  denen  übrigens  ungefähr  der  dritte  Teil 
als  besonders  selten  anzusprechen  ist. 

Unter  Otto  II.  kommt  zuerst  auf  Münzen  der  brandenburgische 
Adler  vor  und  zwar  in  einem  Schilde,  den  der  Markgraf  nebst  einer 
Fahne  trägt.  (No.  25.)  Auch  beginnt  unter  ihm  wieder  die  Prägung 
zweiseitiger  Denare,  von  denen  sich  ein  paar  erhalten  haben.    (No.  26.) 


25  '20 


Iiis  in  die  Zeit  Ottos  II.  hinein  haben  wir  keine.  Sicherheit,  in 
welchen  Prägestätten  des  Landes  die  Pfenninge  gesehlagen  worden  sind. 
Zwar  spricht  die  starke  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  Przibislaw-Hein- 
rieh  in  Brandenburg  und  Jakza  in  Köpenick,  auch  vielleicht  Albrecht  der 

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Das  markische  Münzwesen  im  Mittelalter. 


11 


Bär  z.  T.  in  ersterer  Stadt  geprägt  habe,  aber  die  Belege  dafür  fehlen, 
<lenn  wie  ans  der  ältesten  Zeit  Urkunden  im  Allgemeinen  sehr  spärlich 
vorhanden  sind,  so  mangeln  Münznrkunden  aus  jener  Periode  überhaupt. 
Meines  Wissens  werden  sicher  erst  im  Jahre  1232  stendalisches  Silber, 
1245  der  erste  märkische  Münzmeister  (Herbord  in  Kyritz)  und  1248 
zuerst  brandenburgische  Pfenninge  genannt.  Wir  sind  deshalb  gezwungen, 
bis  zum  Auftreten  sicherer  numismatischer  Belege  lediglich  aus  dem 
vorhandenen  Münzmaterial  unsere  Schlüsse  zu  ziehen,  so  trügerisch  das 
manchmal  auch  sein  mag.  Erschwert  wird  die  Aufgabe  auch  noch  da- 
durch, dass  vom  13.  Jahrhunderte  ab  die  Münzen  meist  stumm  sind.  Da 
müssen  denn,  soweit  es  angängig  ist,  auch  die  Siegel  mit  ihren  Bildern 
zur  Deutung  herangezogen  werden.  Wenn  Münzbild  und  Wappenbild 
übereinstimmen,  dann  wird  man  die  betreffende  Münze  mit  Zuversicht- 
.  lichkeit  oftmals  auf  die  Prägestätte  beziehen  dürfen,  deren  Wappen  sie 
zeigt.  Dabei  muss  man  aber  immerhin  sehr  vorsichtig  sein  und 
nicht  nebensächliche  Figuren  ausschlaggebend  sein  lassen.  Nicht  jeder 
Schlüssel  im  Münzbilde  deutet  auf  Salzwedel,  nicht  jede  Lilie  auf  Kyritz, 
nicht  jeder  Helm,  Stern,  Adlerschild  auf  Spandau,  Perleberg,  Branden- 
burg, weil  diese  Städte  die  genannten  Zeichen  im  Wappen  führen.  Oft 
sind  solche  Figuren  nur  der  Laune  des  Stempelschneiders  entsprungen, 
oft  dienen  sie  zur  Kennzeichnung  der  verschiedenen  Jahrgänge  der  Münzen. 

Der  erste  märkische  Pfenning,  der  sicher  seine  Prägestätte  nennt, 
ist  der  unter  Otto  II.  geschlagene  Bracteat  mit  der  Aufschrift  MARCHIO 
STENDALE,  in  wenigen  Exemplaren  im  Jahre  1877  bei  Letzlingen  in 
der  Altmark  gefunden.  Daran  schliessen  sich  Bracteaten,  hervorragend 
kostbare  Stücke  von  Salzwedel  mit  den  Aufschriften  MARCHIO  SALT- 
WEDEL, SALTWELDEL  EST  DANARIVS  und  ähnliche,  die  nur  in 
den  Kabinetten  zu  Christiania,  Leipzig  und  in  meiner  Sammlung  bekannt 
sind.  Auch  von  dem  Bruder  Ottos,  dem  Grafen  Heinrich  von  Garde- 
legen, 1184— 1192,  sind  in  Salzwedel  Denare  und  Bracteaten  geschlagen 
worden  und  ebenso  von  dem  letzten  des  Brüdertriumvirats,  Alb  recht  II. 
1205—1220.  Er  hat  hauptsächlich  Denare  schlagen  lassen,  die  den 
Aufschriften  und  den  Fundorten  nach  in  Stendal  entstanden  sind. 

Ich  berühre  diese  altmärkischen  Münzen  hier  nur  nebenbei,  da  die  Alt- 
mark ausserhalb  des  Interessenkreises  unserer  Gesellschaft  gelegen  ist. 

Die  drei  Brüder  haben  jedenfalls  auch  gemeinsam  geprägt,  das 
deuten  einige  Bracteaten  und  Denare  au,  doch  ist  hier  die  Sicherheit 
der  Zuteilung  etwas  beschrankt,  da  an  ihnen  auch  die  nachfolgenden 
Söhne  Albrechts  IL,  Johann  1.  und  Otto  HL,  1220—1266  67,  Auteil 
haben  mögen,  die  teils  gemeinsam,  teils  einzeln  Bracteaten  und  Denare 
gepraegt  haben,  unter  denen  besonders  die  beiden  Bracteaten  Johanns 
ml  der  Umschrift  MARCHIO  JOHANNES  und  ähnlich  (No.  27,  28.) 
durch  ihre  Seltenheit  hervorragen. 


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12 


Emil  Hahrfeldt: 


27    .  28 


Da  es  sich  bei  dieser  Besprechung  nicht  um  ein  ganz  spezielles 
Eingehen  auf  jeden  einzelnen  Münztypus,  sondern  nur  um  einen  all- 
gemeinen AbrLss  des  märkischen  Münzwesens  zu  handeln  hat,  so  darf 
ich  mir  gestatten,  über  die  nächste  lange  Reihe  der  Gepräge  unter  den 
Markgrafen  askanischen  Stammes,  die  bis  zum  Jahre  1323  dauert,  kürzer 
hinwegzugehen.    Ich  weise  nur  auf  die  bildliche  Darstellung  einiger 


35  36  37 


dieser  Denare  (No.  29  bis  37)  und  Bracteaten  (No.  38  bis  47)  hin  und 
bemerke  dazu,  dass  von  ersteren  etwa  150,  von  letzteren  ungefähr 
180  verschiedene  Typen  bekannt  sind,  die  eine  ziemlich  eintönige  Folge 
bilden.  Die  Darstellungen  wechseln  zwar  vielfach,  haben  aber  doch  das 
Übereinstimmende,  dass  bei  den  Denaren  meist  auf  der  einen  Seite  der 
Markgraf,  auf  der  anderen  Gebäude,  Tiere,  Blumen,  Kreuze,  Sterne  und 
dergl.  sich  finden,  während  bei  den  Bracteaten  in  der  Hauptsache  der 
Markgraf,  weniger  häufig  Darstellungen  wie  auf  den  Rückseiten  der 
Denare  angebracht  sind.  Es  befinden  sich  unter  diesen  Pfenningen 
ebenfalls  sehr  bemerkenswerte  und  interessante  Stücke,  im  allgemeinen 
aber  reichen  sie  weder  in  artistischer  Beziehung,  noch  im  Werte  an  die 
bisher  besprochenen  älteren  Gepräge  heran.  Man  verfolgt  deutlich,  wie 
unter  Albrecht  dem  Bären  und  Otto  1.  die  Blüte  in  der  Münzprägung 
bestanden,  und  wie  sich  dann  von  Otto  II.  ab  allmälich  ein  Rückgang 
vollzieht,  der  weiterhin  unter  den  Markgrafen  aus  dem  bayerischen  und 


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Das  märkische  Münzwesen  im  Mittelalter. 


13 


Iützelburgi  sehen  Hause,  wie  wir  selten  werden,  noch  schroffer  in  die 
Erscheinung  tritt. 


43  44  46  40  47 


Unter  den  slavischen  Herrschern  sind  die  mutmasslichen  Münz- 
schmieden Brandenburg  etwa  1150  und  Köpenick  ungefähr  1157  schon 
erwähnt  worden;  unter  den  Askaniern  waren  sodann  im  Betriebe,  nach 
der  Reihenfolge  ihres  Auftretens,  urkundlich  oder  durch  die  Münzen 
belegt, 


die  markgräfliehen  Münzstätten: 

Stendal  1269,  zuerst  urkundlich;  nach  den  Münzen  schon  Ende 

des  12.  Jahrhunderts, 
Salzwedel,  Ende  des  12.  Jhdts.,  nach  den  Münzen, 
Crossen,  etwa  1275,  auf  Grund  der  Münzen, 
Berlin  1280,  zuerst  urkundlich, 
Schwedt  1281,  desgleichen 
Brandenburg  1280  „ 
Görzke  1293 
Lydien  1302 

Prenzlau  1309  „  unter  Pommern  schon  gegen  1185  vor- 

kommend. 
Guben  1311,  zuerst  urkundlich, 
Spandau  1319,  desgleichen 
Luckau,  1321 

die  städtischen  Münzstätten: 

Salzwedel  1314,  zuerst  urkundlich, 
Guben  1319  desgleichen 
Beeskow  1321 


14 


Etnil  Bahrfeklt: 


Im  12.  und  13.  Jahrhundert*'  hatte,  wie  aus  dieser  Aufstellung 
folgt,  noch  keine  märkische  Stadt  das  Münzreeht  erworhen,  erst  im 
14.  Jahrhunderte  treten  Stadtmünzen  auf. 

Für  alle  vorgenannten  Orte  ist  es  nicht  möglich  die  Erzeugnisse 
ihrer  Münzschmieden  nachzuweisen,  es  sind  aus  dieser  Zeit  nur  die 
Prägungen  iu  Stendal,  Salzwedel,  Crossen,  Brandenburg,  Spandau  zu 
belegen.  Und  so  ist  denn  für  die  Mehrzahl  der  märkischen  Mittelalter- 
münzen wohl  die  Zeit  ihrer  Entstehung  festgestellt,  nicht  aber  iu  gleichem 
Masse  sind  es  ihre  Heimatsstätten. 

Was  das  System  betrifft,  nach  welchem  in  der  Mark  gerechnet 
wurde,  so  kann  es  nur  dasjenige  gewesen  sein,  «las  Kaiser  Karl  der 
Grosse  in  seinem  Reiche  eingeführt  hatte,  nämlich  die  Rechnung  nach 
Pfunden.  Ein  Gewichtspfuud  (\\brn)  feinen  Silbers  zertiel  in  20  Schillinge 
(solidi),  je  zu  12  Pfenningen  (Deuarii),  mithin  in  240  Pfenninge.  Diese 
letzteren  bildeten  also  einen  festen,  mit  dem  Gewichtspfunde  überein- 
kommenden Geldwert,  der  natürlich  aber  nur  solange  im  richtigen  Ver- 
hältnisse zum  Pfunde  feinen  Silbers  stand,  als  die  Pfenninge  vollwichtig 
und  fein  ausgebracht  wurden.  Anfangs  geschah  dies  wohl  bei  den 
deutschen  Münzen  im  allgemeinen,  bald  jedoch  trat  eine  Verringerung 
der  Pfenninge  ein,  die  um  so  mehr  sich  steigerte,  als  nach  und  nach 
von  den  Kaisern  mehr  weltlichen  wie  geistlichen  Herren  das  Münzrecht 
verliehen  wurde.  Die  Fürsten  sahen  aber  in  der  Anbringung  ihrer  Bild- 
nisse und  ihres  Namens  auf  den  Münzen  nicht  etwa  ein  ehrendes  Zeichen 
ihrer  Würde,  sondern  sie  betrachteten  das  Münzreeht  einzig  und  allein 
als  ein  gewinnbringendes  Monopol,  das  zu  Gunsten  ihrer  Kasseu  zu 
pflegen  sei.  So  ist  es  erklärlich,  dass  überall  gegen  die  kaiserliche 
Verordnung  gesündigt,  die  Pfenninge  geringer  als  vorgeschrieben  aus- 
gebracht wurden.  Trotz  dieser  Verschlechterung  der  einzelnen  Pfenninge 
galten  indessen,  nach  alter  Gewohnheit,  immer  noch  240  abgezählte 
Pfenninge  gleich  einem  Pfunde  feineu  Silbers  und  das  ursprüngliche 
Gewichtspfuud  sank  dadurch  zum  Zählpfuude  herab. 

Neben  der  Bezeichnung  libra  für  Pfund  tritt  in  den  Urkunden, 
wenig  später  als  erstere,  die  gleichbedeutende  Benennung  talentum  auf. 
Die  libra  verschwindet  aus  den  brandenburgischen  Nachrichten  etwa  im 
3.  Viertel  des  12.  Jahrhunderts,  das  talentum  hält  sich  dagegen  selbst 
noch  vereinzelt  bis  Mitte  des  15.  Jahrhunderts.  Daneben  kommt  aber 
noch  eine  zweite  Rechnung  vor,  nach  Marken,  in  Brandenburg  schon 
seit  dem  2.  Viertel  des  12.  Jahrhunderts,  so  dass  also  die  Rechnung 
nach  Pfunden  (libris  beziehentlich  talentis)  neben  der  nach  Marken  fort- 
bestand. Die  Mark  Silber  (marca  pura,  marca  puri  argenti)  als  Geldwert 
bestand  ursprünglich  aus  einzelnen  Barren  feinen  Silbers,  nach  der 
Schwere  einer  Gewiehtsmark  bereitet.  Bald  aber  ward  es  Gebrauch, 
auch  auf  die  Pfenningrechuung  die  Bezeichnung  Mark  anzuwenden  und 


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Das  märkische  Mttnzwesen  im  Mittelalter. 


15 


»ach  Mark  Pfenningen  (inareis  denarioruin)  zu  rechnen,  d.  Ii.  soviel 
Pfenninge  als  dem  Gewichte  nach  auf  eine  Mark  gingen,  dafür  zu 
gehen.  Dadurch  ward  aber  der  geringhaltigen  Ausprägung  der  einzelnen 
Pfenninge  ein  sehr  weiter  Spielraum  gewährt  und  der  Münzverschlechter- 
uug  nicht  nur  nicht  begegnet,  sondern  sie  geradezu  befördert. 

Die  erwähnten  Silbermarkstücke  wurden  in  den  Münzschinieden 
von  den  Münzbeamten  bereitet.  Nur  diesen  und  den  Goldschmieden,  in- 
soweit es  die  Prüfung  ihrer  Arbeiten  erforderte,  war  es  erlaubt,  Silber 
zu  schmelzen.  Übertretungen  wurden,  wie  die  Falschmünzerei,  schwer  be- 
straft. Zur  Beglaubigung  des  Feingehaltes  wurden  die  Barren  mit  dem 
Stempel  der  Münzstätte  versehen.  Besonders  war  stendalisches  Silber, 
auch  über  die  Grenzen  der  Mark  hinaus,  beliebt,  dann  auch  branden- 
burgisches und  frankfurtisches.  Das  Gewicht  der  Barren  wurde  nach 
der  in  Deuteehland  allgemein  üblichen  kölnischen  Mark  bestimmt,  und 
die  urkundlichen  Stellen,  in  denen  von  Marken  stendalischen,  frank- 
furtischen und  dergl.  Gewichtes  die  Rede  ist,  weisen  nicht  etwa  auf  eben- 
so viele  verschiedene  Gewichtsmarken  hin,  sondern  bedeuten  nur,  dass 
die  betreffenden  Barren  mit  den  von  den  Obrigkeiten  der  bezeichneten 
Städte  geaichten  Gewichten  nach  der  kölnischen  Mark  abgewogen  seien. 

Von  den  Münzen  der  slavischen  Herrscher,  die  abseits  von  denen 
ihrer  brandenburgischen  Zeitgenossen  stehen,  abgesehen,  hält  sich  der 
Wert  der  Pfenninge  unter  Albrecht  dem  Bären,  Otto  I.  und  Otto  IT.  auf 
ziemlich  gleicher  Stufe.  Erst  nach  dieser  Zeit  tritt  ein  allmäliges  Sinken 
im  Gewicht  und  Gehalt  ein,  dem  der  Beginn  des  artistischen*  Verfalles, 
wie  bereits  erwähnt,  schon  seit  Ottos  II.  Zeiten  vorangegangen  war. 
Der  Rückgang  in  dem  Werte  der  Pfenninge  stellt  sich  so  dar,  dass  die 
ältesten  Pfenninge  unter  Albrecht  dem  Bären  etwa  12-lötig  waren  und 
ihrer  gegen  276  Stück  auf  eine  Mark  gingen,  während  am  Ende  der 
Regierung  der  Askanier  die  Pfenninge  —  einige  Schwankungen  unbe- 
rücksichtigt —  bis  auf  ungefähr  13  Lot  fein  und  361  Stück  aus  der 
Mark  gesunken  waren. 

Die  wirklich  ausgeprägten  Geldstücke  sind  in  der  Mark  der  Pfen- 
ning und  der  halbe  Pfenning.  Der  Schilling  oder  Solid us,  12  Pfenningen 
gleich,  der  sich  oft  in  Geschichtswerken  als  Geldstück  angeführt  findet,  ist 
niemals  in  der  Mark  geschlagen  worden,  sondern  lediglich  Rechnnngsmünze 
gewesen.  Pfenninge  oder  Denare  waren,  wie  schon  erwähnt,  sowohl  die 
zweiseitigen,  wie  die  einseitigen  Stücke,  die  zu  gleicher  Zeit  auch  den 
gleichen  Wert  hatten.  Ein  Mittelding  zwischen  zwei-  und  einseitigem 
Pfenning  sind  die  sogenannten  Halbbractcatcn,  das  sind  die  Denare 
l'rzibislaw-Heinrichs  und  der  einzige  Denar  Albrechts  des  Bären  (No.  1 
bis  4  u.  13.),  die  so  dünn  sind,  dass  beim  i 'rügen  der  Stempel  der  einen 
Seite  selbst  auf  der  entgegengesetzten  Seite  der  Münze  sich  bemerkbar 
macht,  wodurch  das  Bild  in  den  meisten  Fällen  undeutlich  wird. 


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IG 


Kmil  Bahrfeldt: 


lu  der  2.  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  kommen  halbe  Pfenninge 
in  der  Mark  auf,  zweiseitige  und  einseitige,  Obole  und  Schorf«  genannt, 
Sie  sind  selten.  Uni  daher  dem  Mangel  an  kleinem  Golde  im  täglichen 
Verkehre  abzuhelfen,  war  es  Gebrauch  geworden,  die  ganzen  Pfenninge 
mit  der  Scheere  zu  halbieren.  Oft  kommen  solche  in  den  Funden  in  ver- 
hältnissmässig  grosser  Anzahl  vor. 

Die  märkischen  Pfenninge  hatten,  wahrscheinlich  seit  dem  13.  Jahr- 
hunderte, nur  für  ein  Jahr  Gültigkeit.  Um  Jacobi  jedes  Jahres  wurden 
sie  „verrufen",  d.  h.  ausser  Kurs  gesetzt,  und  Jedermann  war  bei  Strafe 
verpflichtet,  sie  bei  den  Münzmeistern  in  der  Münze  gegen  neue  Pfen- 
ninge umzuwechseln.  Statt  16  alter  erhielt  man  einen  Schilling  = 
12  Stück  neuer  Pfenninge,  der  Gewinn  aus  dieser  Umwechslung  tloss 
dem  Landesherrn  zu. 

Diese  alljährliche  Erneuerung  der  Pfenninge  ist  auch  die  Ursache 
der  grossen  Mannigfaltigkeit  in  ihren  Typen.  Damit  die  neuen  von  den 
alten  Pfenningen  zu  unterscheiden  waren,  mussten  alljährlich  neue 
Münzbilder  geschaffen  werden,  denn  Jahreszahlen  gab  es  damals  auf  den 
Münzen  noch  nicht.  Um  diesen  Zweck  zu  erreichen,  setzten  die 
Stempelschneider  oft  die  Wappen  der  Städte,  in  denen  sie  prägten,  auf 
die  Pfenninge,  häufiger  noch  nahmen  sie  ihre  Zuflucht  zu  Darstellungen 
aus  der  Tier-  und  Pflanzenwelt,  aus  dem  täglichen  Leben.  So  finden 
sich  denn  auf  den  Münzen  alle  möglichen  Dinge  und  Gegenstände  ver- 
treten, oft  auch  solche,  die  heute  jeder  Deutung  spotten. 

Die  Münzmeister  waren  die  Vorsteher  der  Münz  Werkstätten.  Sie 
wurden  —  abgesehen  von  den  späteren  städtischen  Münzmeistern  — 
vom  Landesherrn  ernannt  und  unterlagen  als  Staatsbeamte  der  Hofge- 
richtsbarkeit. In  der  Kegel  waren  sie  reiche  und  angesehene  Leute,  die 
neben  ihrem  Amte  als  Münzer  auch  noch  einen  Münzwechsel,  d.  h.  eine 
Wechselstube  zu  halten  hatten,  deren  hauptsächlichster  Zweck  es  war, 
dem  Einwechseln  des  benötigten  Silbers  für  den  Münzenschlag  zu  dienen. 
Niemand  anders  als  die  Münzmeister  durfte  einen  Wechsel  halten.  Als 
später  die  Münzstätten  an  reiche  Kapitalisten  verpachtet  wurden,  hielten 
die  Pächter  sich  ihre  Meister  für  den  Betrieb  der  Münze,  doch  waren 
oft  auch  die  Pächter  selbst  Münzmeister.  — 

Es  ist  vorher  erörtert  worden,  wie  sich  unter  den  Markgrafen  aus 
dem  askanischen  Hause  ein  allmäliger  Rückgang  in  der  Güte  der  Pfen- 
ninge vollzogen  hatte,  und  dieser  war  noch  keineswegs  zum  Stillstande 
gekommen,  als  das  wittelsbachsche  oder  bayerische  Haus,  das  von 
1323  bis  1373  regierte,  den  brandenburgischen  Thron  bestieg.  Im  Gegenteil 
gerade  unter  den  Regenten  dieses  Hauses  war  in  münzpolitischer  Be- 
ziehung die  trübste  Zeit  in  der  Mark.  Ludwig  I.,  der  Bayer,  der  erste 
Markgraf  aus  diesem  Hause,  hatte  grosse  pekuniäre  Opfer  zu  bringen 
für  die  Wiedererwerbung  der  vor  ihm  abgefalleneu  Teile  der  Mark. 


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Das  märkische  Mfinzwesen  im  Mittelalter. 


17 


Was  Wunder,  wenn  er  sich  fortwährend  in  Geldnöten  befand  und  diesen 
dadurch  zu  begegnen  trachtete,  dass  er  die  Münzen  noch  leichter  und 
geringhaltiger  schlagen  Hess,  als  bisher  geschehen.  So  finden  sich  seine 
und  auch  seiner  beiden  Nachfolger,  Ludwigs  T.  und  Ottos  VIII.,  des  Faulen, 
Pfenninge  nur  noch  12-lötig  und  auf  die  Mark  gingen  etwa  410  Stück. 
Dieser  Rückgang  hatte  zur  Folge,  dass  man  sich,  wo  immer  es  anging, 
des  Barrensilbers  bediente  und  •  bei  grösseren  Geldzahlungen  nach 
Marken  reinen  Silbers  rechnete;  für  den  Kleinverkehr  gab  es  freilich 
keinen  Rettungsweg,  den  Verlusten  durch  die  geringe  Münze  zu  entgehen. 

Unter  den  Markgrafen  des  bayerischen  Hauses  traten  zu  den  Präge- 
stätteu,  die  zur  Zeit  der  askauischen  Herrscher  genannt  worden  sind, 
noch  folgende  landesherrliche  Münzstätten  hinzu: 

Kyritz,     zuerst  urkundlich  1325. 

Königsberg,  „  „  1335. 

Soldin,        „  „        1340.  (?) 

Perleberg,     „  „  1347. 

Morin,         ,  „  1352. 

Bärwalde,    „  „  1353. 

Frankfurt,    „  „  1365. 

Um  nun  den  fortwährenden  Geldkalamitäten  abzuhelfen,  kamen 
die  Markgrafen  leider  auf  das  Auskuuftsmittel,  die  Münzstätten  zu  ver- 
pachten. Von  einem  Teile  der  eben  genannten  Münzschmieden  sind  die 
betreffenden  Kontrakte  erhalten  geblieben.  So  wurde  Stendal  schon  vor 
1333,  Brandenburg  und  Kyritz  im  Jahre  1333,  Königsberg  1344, 
Bärwalde  1353  an  bemittelte  Unternehmer  z.  T.  auf  lange  Jahre 
hinaus  in  Pacht  gegeben.  Dass  die  Pächter  natürlich  ihr  Privileg 
ausnutzten,  so  weit  sie  irgend  konnten,  und  dass  bei  diesen  Zu- 
ständen das  Publikum  schlechter  daran  war,  als  bei  direkter  Ver- 
waltung der  Münzstätten  für  Rechnung  des  Laudesherrn,  bedarf  keiner  ' 
besonderen  Betonung.  Die  Klagen  über  diese  Missstände  nahmen  denn 
auch  überhand  und  führten  endlich  dahin,  dass  die  Städte  der  Münz- 
bezirke Stendal  und  Berlin  zusammentraten,  und,  wie  schon  1314  die 
Ritterschaft  und  Städte  der  Bezirke  Salzwedel  und  der  Grafschaft  Lüchow 
die  Münze  zu  Salzwedel  an  sich  gebracht  hatten,  nun  im  .fahre  1369 
ebenfalls  dem  Markgrafen  Otto  das  Müuzrecht  abkauften  und  damit  die 
Berechtigung  erwarben,  Münzen  zu  schlagen,  die  fortwährend  Gültig- 
keit hatten  uud  der  üblichen  alljährlichen  Uniwechselung  nicht  unter- 
worfen waren.    Mau  nannte  dies  Privileg  das  Recht  des  ewigen  Pfennings. 

Aus  der  Urkunde  von  1369  ersehen  wir,  dass  Münzbezirke,  soge- 
nannte Münzyser  (von  Müuzysen,  Münzeiseu,  Münzstempel)  bestanden. 
Der  berlinische  umfasste  die  Städte  Berlin,  C'öln,  Frankfurt,  Spandau, 
Bernau,  Eberswalde,  Laudsberg,  Straussberg,  Münrheberg,  Drossen, 
Fürstenwalde,  Mittenwalde,  Wriezen,  Freienwalde.    Zum  s tenda lischen 

2 

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18 


Emil  TlahrfrMt: 


gehörten  Stendal, Gardelegen,  Seehausen,  Tangermünde,  Osterburg,  Werben, 
Havel  berg. 

Im  berlinischen  Münzyser  wurde  nur  in  Berlin  und  Frankfurt  ge- 
prägt, im  stendalischen  Bezirke  nur  in  Stendal.  Diese  Münzstätten 
versorgten  je  ihren  ganzen  Bezirk  mit  Geld.  Es  ist  deshalb  ein  Miss  ver- 
stehen der  Urkunde  von  1369,  wenn  besonders  in  manchen  Chroniken 
der  Städte  häufig  davon  die  Rede  ist,  dass  die  vorgenannten  Orte  mit 
Erwerbung  des  ewigen  Pfennings  auch  je  einzeln  das  Münzrecht  er- 
worben hätten. 

Wann  diese  Einteilung  in  Münzbezirke  aufgekommen  ist,  hat  sich 
nicht  ermitteln  lassen,  ebensowenig  ob  ausser  den  genannten  drei,  noch 
andere  solche  Bezirke  bestandeu  haben.  Letzteres  ist  wahrscheinlich. 
So  wird  jedenfalls  die  Ukermark  mit  Prenzlau,  die  Neumark  mit  Königs- 
berg und  Morin,  die  Gegend  von  Brandenburg  mit  dieser  Stadt  selbst, 
die  Priegnitz  mit  Perleberg  und  Kyritz,  oder  einer  dieser  beiden  Städte, 
je  einen  besonderen  Münzbezirk  gebildet  haben.  Mutmassen  lässt  sich 
dies,  abgesehen  von  den  nachgewiesenen  Beispielen  von  Salzwedel, 
Stendal  und  Berlin,  auch  aus  dem  Umstände,  dass  die  märkischen  Pfen- 
ninge in  der  späteren  Zeit  nicht  überall  gleichen  Wert  hatten.  Die  aus 
Brandenburg  waren  am  besten,  dann  folgten  die  stendalischen,  zuletzt 
die  berlinischen;  6  braudenburgische  waren  gleich  7  stendalischen,  gleich 
8  berlinischen.  Dieser  Wertsunterschied  machte  das  Ganze  nur  noch  ver- 
worrener, und  es  ist  in  der  That  zu  verwundern,  wie  das  Volk  in  diesen 
verwickelten  Verhältnissen  überhaupt  sich  noch  zurecht  gefunden  hat. 

Bei  den  markgräflichen  Verordnungen  über  Münzausprägungen,  bei 
den  Verpachtungen  der  Münzstätten,  den  Verkäufen  des  Münzrechts  an 
die  Städte  und  bei  allen  sonstigen  landesherrlichen  Massnahmen  und 
Verfügungen  die  Münze  betreffend,  findet  sich  in  den  Urkunden  stets 
der  Zusatz  seitens  der  Markgrafen  gebraucht  „mit  rade  unseres  rades", 
oder  „mit  rate  unserer  land  und  der  stete"  und  ähnlich  so.  Mit  dieser 
Bezeichnung  sind  die  Stände  in  der  Mark  gemeint,  und  die  Beschränkung, 
die  sich  in  diesen  Worten  ausspricht,  beweist,  dass  die  Landesherren 
ungeachtet  ihres  unbestrittenen  Hoheitsrechtes  auch  damals  verpflichtet 
waren,  über  alle  Massnahmen  in  Münzsachen  die  Zustimmung  der 
Stände  auf  den  Landtagen  einzuholen.  Dass  diese  Befragung  der  Stände 
nicht  etwa  leere  Phrase  gewesen  ist,  wird  u.  a.  auch  dadurch  belegt, 
dass  z.  B.  an  dem  Widerspruche  der  Stände  die  im  Jahre  1345  von 
Ludwig  I.  beabsichtigte  sehr  wesentliche  Verringerung  des  Geldes 
scheiterte. 

Das  unter  den  bayerischen  Markgrafen  geschlagene  Geld  besteht 
nur  in  Denaren  und  Obolen;  die  Bracteaten  hören  schon  vorher  auf. 
Ihre  Schriftdenare  tragen  meist  den  Namen  des  Münzherrn.  So 
werden  die  drei  Typen  mit  stehendem  Markgrafen,  der  einmal  zwei 


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Das  märkische  Mttnzwesen  im  Mittelalter. 


19 


Schwerter,  in  zwei  anderen,  selteneren  Fällen  (No.  48,  49)  zwei  Lilien 
hält  und  mit  LODEVIC,  LDEYIO,  LIDVTO  um  einen  grossen  Helm,  an 
Ludwig  L  (1323-1351)  zu  legen,  und  zwei  andere,  der  eine  mit  kleinem 
Helme  und  der  Umschrift  LODEVICH,  der  andere  nur  mit  einem  L  an 
Ludwig  II.  (1351—1365)  zu  geben  sein,  während  im  Hinblick  auf  die 


48  49 

vorher  entwickelten  Feingehaltsangaben,  natürlich  unter  allen  branden- 
burgischen Denaren,  die  den  Namen  OTTO  tragen,  die  allerschlechtesten 
an  Otto  Vni.,  den  Faulen  1365—1373,  zu  überlassen  sind. 

Die  städtischen  Prägungen  nach  Erwerbung  des  ewigen  Pfennings 
sind  leider  den  einzelnen  Münzschmieden  nur  in  beschränktem  Grade 
mit  Sicherheit  zuzuteilen.  Für  die  unsere  Gesellschaft  besonders  in- 
teressirenden,  aus  Berlin  und  Frankfurt,  kann  ich  indessen  ein  Paar 
siehere  vorführen.  Das  ist  für  Berlin  ein  Denar  (No.  50),  der  auf  der 
Hauptseite  den  Markgrafen  mit  Lanze  und  Schwert,  und  auf  der  Kehrseite 
das  Wappentier  Berlins,  den  Bären,  zur  Darstellung  bringt.  Ein  Obol 
dazu  (No.  51),  von  dem  nur  zwei  Exemplare  existiren,  hat  ganz  die- 
selben Münzbilder,  nur  in  verkleinertem  Massstabe.  Diese  beiden  Stücke 
sind  die  einzigen  sicheren  Münzen  der  Stadt  Berlin  aus  jener  Zeit. 
Berlinische  Stadtmünzen  treten  dann  erst  wieder  unter  Kurfürst 
Joachim  I.  etwa  1511  auf. 


50  51  52 


Der  Denar,  den  ich  der  Stadt  Frankfurt  zueigne  (No.  52),  zeigt 
den  Markgrafen  mit  einem  Schlüssel  in  jeder  Hand  und  auf  der  Kehr- 
seite das  Stadtzeichen,  den  Hahn,  —  der  einzig  sichere  Denar  dieser 
Stadt.  Die  Berechtigung  bei  den  genannten  drei  Münzen  Berlins  und 
Frankfurts  von  einer  Sicherheit  in  der  Zuteilung  sprechen  zu  können, 
beruht  mit  darin,  dass  die  Münzbilder,  Bar  und  Hahn,  sonst  niemals 
in  der  Bracteaten-  und  der  Denarzeit  auf  brandenburgischen  Geprägeu 
vorkommen. 

Nachdem  die  obigen  Denare  mit  Regentennamen  und  diese  wenigen 
städtischen  Schlages  aus  der  bayerischen  Zeit  herausgesoitriert  sind, 
bleibt  für  die  übrigen  Denare  dieser  Periode  nur  übrig,  ohne  Rücksicht 

2* 


20 


Emil  Bahrfeldt: 


auf  ihre  mutmasslichen  Prägestätten ,  sie  in  Gruppen  für  die  drei  Re- 
genten Ludwig  I.,  Ludwig  II.  und  Otto  VIII.  zusammenzustellen.  Da 
sie  ohne  Aufschriften  sind,  so  würde  dies  nicht  gelingen  können,  wenn 
hier  nicht  die  Funde  zu  Hülfe  kämen.  Besonders  aufklärend  haben 
nach  dieser  Kichtung  hin  zwei  Funde  gewirkt,  das  ist  der  von  Aschers- 
lebeu  und  ein  anderer  ohne  Fundortsangabe  aus  der  Provinz  Sachsen, 
denen  ich  eingehende  Untersuchungen  widmen  konnte,  —  der  erstere 
umfasste  nicht  weniger  als  11500  Stück!  — 

Die  letzte  markgräfliehe  Periode  war  die  unter  den  Regenten  aus  dem 
luxemburgischen  oder  lützelburgischen  Hause  von  1373  bis  1415. 
Aber  mit  Ausnahme  der  kurzen  Regierung  Kaiser  Karls  IV.,  als  Vormund 
seines  Solines  Wenzel,  war  die  Herrschaft  der  Lützelburger  für  die 
Mark  nichts  weniger  als  segensreich.  Unter  ihnen  herrschten  die  aller- 
trübsten  Zustände,  hervorgerufen  teils  durch  ihre  Unfähigkeit,  teils  durch 
ihre  Abwesenheit  von  der  Mark,  die  infolge  dessen  Statthaltern  über- 
lassen werden  musste,  deren  hauptsächlichstes  Streben  nur  danach  ging, 
möglichst  viel  Einkünfte  aus  dem  Lande  zu  ziehen.  Im  Innern  stand 
das  Faustrecht  in  voller  Blüte,  von  aussen  machten  die  Nachbarn  Ein- 
fälle und  Eroberungszüge  in  das  Land. 

Darf  es  da  überraschen,  wenn  auch  das  Müuzwesen,  das  schon 
unter  den  bayerischen  Markgrafen  in  stark  abwärts  gehenden  Bahnen 
sich  bewegt  hatte,  nicht  wieder  zum  Aufblühen  kommen  konnte.  Zwar 
wurden  die  Pfenninge  im  Gewichte  etwas  schwerer  ausgebracht  als  in 
der  bayerischen  Periode,  nämlich  zu  etwa  370  Stück  aus  der  Mark,  aber 
ihr  Gehalt  war  noch  geringer  als  vorher,  nämlich  im  Durchschnitte  nur 
11  Lotli  fein.  Sie  an  die  einzelnen  Regenten  Karl,  Wenzel,  Sigismund, 
Johann  und  Jobst  zu  verteilen,  ist  unmöglich,  da  sie  sämmtlich  stumm 
und  fast  durchweg  von  geringwertiger,  nachlässiger  Arbeit  sind.  Sie 
können  nur  in  einer  gemeinsamen  Gruppe  behandelt  werden,  um  so  mehr 
als  auch  für  die  Prägestätten,  aus  denen  sie  gekommen  sind,  keine 
sicheren  Merkpunkte  vorliegen. 

Die  Zahl  der  Münzstätten  scheint  übrigens  unter  den  Lützelburgern 
eine  wesentliche  Erweiterung  nicht  erfahren  zu  haben,  denn  urkundlich 
nachweisbar  ist  nur  das  Hinzutreten  der  städtischen  Münzschmiede 
in  Spremberg,  die  1397  erwähnt  wird. 

In  dieser  Zeit  war  in  der  Mark  auch  schon  die  Rechnung  nach 
Groschen  gang  und  gäbe.  Ich  linde  sie  schon  unter  den  bayerischen 
Markgrafen,  und  zwar  zuerst  1343  urkundlich  erwähnt.  Unter  den 
Lützelburgern  traten  die  Groschen  besonders  stark  auf,  so  dass  sie  fast 
die  Pfenninge  verdrängten.  Das  waren  aber  nicht  märkische  Groschen, 
sondern  böhmische,  die  man  nach  Schocken  und  Mandeln  rechnete. 
Die  ersten  brundunburgischen  entstanden  erst  unter  Kurfürst  Friedrich  II. 


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Das  märkische  Münzwesen  im  Mittelalter. 


21 


Über  die  Rechnung  nach  böhmischen  Groschen  giebt  am  ausführ- 
lichsten das  Landbuch  Kaiser  Karls  IV.  vom  Jahre  1375  Auskunft,  ob- 
scfaon  es  in  den  vorliegenden  Bearbeitungen  von  Hendrick,  Herzberg 
und  Fidicin,  der  vielen  Fehler  wegen,  nur  mit  Vorsicht  zu  benutzen  ist. 
Auf  diese  Groschenrechnung  hier  näher  einzugehen,  erscheint  nicht  von 
Nöten,  da  es  sich  noch  nicht  um  märkische  Groschen  handelt;  es  wird 
besser  sein,  an  anderer  Stelle  bei  Besprechung  der  hohenzollernschen 
Prägungen  dies  zu  thun.  Iiier  sei  indessen  einer  anderen  eigentümlichen 
Rechnungsweise  gedacht,  der  Rechnung  nach  Frusta  oder  Stücken  Geldes, 
die  anscheinend  nur  in  der  Mark  vorkommt.  Sie  ist  wohl  nur  an- 
gewendet worden,  wenn  es  sich  um  die  Bemessung  von  Lasten  und 
Abgaben,  die  von  Liegenschaften  zu  entrichten  waren,  oder  um  Gefälle 
von  Gerechtsamen  handelte.  Nicht  immer  war  der  Wert  eines  Frustums 
gleichmässig,  aber  im  allgemeinen  rechnete  er  gleich  einem  Wispel 
Roggen,  oder  zwei  Wispeln  Hafer,  oder  zwei  Schock  Hühnern,  oder 
einem  Pfunde  Pfenninge.  — 

Neben  den  Markgrafen  von  Brandenburg  haben  auch,  wenngleich  in 
sehr  beschränktem  Masse,  die  märkischen  Bistümer  den  Münzenschlag 
ausgeübt.  Die  Geringfügigkeit  ilirer  Prägung  liegt  in  den  damaligen 
politischen  Verhältnissen  begründet,  die  sie  nicht  im  entferntesten  eine 
so  grosse  Rolle  spielen  Hessen,  wie  z.  B.  die  Stifter  Magdeburg,  Halber- 
stadt und  Quedlinburg.  So  sind  denn  so  gut  wie  gar  keine  Münz- 
urkunden und  nur  wenig  Münzen  von  ihnen  vorhanden. 

Im  Bistum  Brandenburg  hat  Bischof  Otto  1251  —  1260,  ein 
Paar  Bracteaten  ausgehen  lassen,  darunter  als  Leitstück  den  mit  den 
Buchstaben  E  =  0  (No.  53),  was  berechtigterweise  Episcopus  Otto  ge- 
lesen wird. 


53 


Bischof  Friedrich  v.  Plötzke,  1306—1316,  hat  einen  Denar 
(No.  54)  und  einen  Obol  hinterlassen,  Heinrich  III.  v.  Bodendyk, 
1393  —  1406,  ebenfalls  einen  Obol  (No.  55),  dessen  einzig  noch  vor- 
handenes Exemplar  sich  in  meinem  Besitze  befindet. 

Dem  Bistum  Havelberg  wurden  bis  zu  meiner  Entdeckung  des 
Bracteaten  Dietrichs  I.,  1325—1341,  sichere  Münzen  überhaupt  nicht 
zugeteilt,  doch  nahm  man  mit  Recht  an,  dass  man  in  der  Reihe 
unbestimmter  Denare,  die  sich  durch  den  Bischof  mit  zwei  Krummstäben 
als  geistliche  Gepräge  kennzeichnen,  ebenso  wie  brandenburgisch- 
bischöfliche,  so  auch  havelbergische  zu  suchen  habe. 


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22 


Emil  Bahrfeldt: 


56  57  58 


Das  dritte  märkische  Bistum  ist  Lelms.  Ihm  werden  drei  von 
mir  aus  dem  Bracteatenfunde  von  Lübhen  neu  entdeckte  ßracteatcn 
(No.  56,  57,  58)  zugewiesen. 

Dass  die  Bischöfe  mit  ihrer  Münzprägung  sich  nach  dem  gleich- 
zeitigen markgräflich  brandenburgischen  Oelde  gerichtet  haben,  ist  aus 
der  territorialen  Lage  ihres  Gebietes  und  dessen  Handelsbeziehungen 
zur  Mark  erklärlich. 

Es  erübrigt  nun  noch  auch  der  Münzgerechtigkeit  der  Edelherren 
in  der  Mark  zu  gedenken.  Da  sind  in  erster  Linie  zu  nennen,  die 
Edlen  Herren  von  Plotho  und  die  Edlen  Herren  v.  Friesack. 
Von  ihnen  ist  ein  gemeinsamer  Denar  ausgegangen  (No.  59),  der  auf 
der  Hs.  die  Lilie,  das  plothosehe  Wappen  zeigt,  und  deren  Umschrift 
auf  Johannes  v.  Plotho  deutet.  Die  Kehrseite  der  Münze  trägt  ein 
Seeblatt  und  die  Umschrift  R1CHARDVS  DE  VRT  (sach).  Der  Denar 
stammt  aus  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  und  hat  schon  eine  ganze 
Literatur  hervorgerufen.  Zuletzt  wurde  in  den  Mitteil,  des  Vereins  für 
die  Gesch.  Berlins  die  irrtümliche  Nachricht  über  ihn  gebracht,  dass  er 
sich  auf  die  Stadt  Plaue  bei  Brandenburg  a.  H.  oder  die  Schlossherren 
von  Plaue  beziehen  sollte.  Das  hat  bereits  in  der  genannten  Zeitschrift 
selbst  Widerlegung  gefunden.  Wenn  ich  hier  indessen  noch  einmal  kurz 
auf  die  näheren  Einzelheiten  des  wichtigen  Pfennings  zurückkommen 
darf,  so  sei  dieserhalb  Folgendes  erwähnt. 

Die  Edlen  Herren  von  Plotho,  jetzt  Freiherren  v.  Plotho,  waren 
ehemals  reich  begütert  in  der  Mark  und  in  Meklenburg  und  lassen 
sich  urkundlich  bis  1142  zurück  verfolgen.  Sie  waren  Gründer  und 
Besitzer  der  Städte  Kyritz  und  Wusterhausen,  die  beide  noch  heute  die 
plothosehe  Lilie  als  Wappenbild  tragen.  Das  PLOVC  auf  der  Münze 
hat  zu  der  Deutung  Plaue  Anlass  gegeben,  aber  es  kann  lediglich  für 
['LOTE  stehen,  eine  Corrnmpirung,  die  ähnlich  im  Mittelalter  sehr 
häufig  vorkommt.  Mit  Plaue  an  der  Havel  oder  Plaue  in  Meklenburg 
kann  es  nicht  in  Verbindung  gebraeht  werden,  da  dieser  Name  vor  1350 
nur  in  der  Form  Plave  oder  Plawe,  niemals  als  Plove  oder  Plowe  an- 
getroffen wird. 

Die  Kehrseite  des  Denars  weist  auf  die  Familie  der  Edlen  Herren 
von  Friesack  in  der  Mark,  die  aus  dem  Geschlechte  der  Herren  von 
Jericho w  im  Magdeburgischen  stammen,  von  denen  sie  sich  gegen  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts  abtrennen.     Der  Richard  von  Friesack  der  Münze 


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Das  niälrkische  Münzwesen  im  Mittelalter. 


23 


kommt  1256  bis  12G1  urkundlich  vor;  das  friesaeksche  Wappenbild  war 
«las  sog.  Seeblatt,  das  Blatt  der  weissen  Wasserlilie  (Nymphaea  alba). 

Es  unterliegt  keinem  Bedenken,  den  Denar  als  Gemeinschaftsmünze 
der  genannten  Herren,  die  Nachbarn  und  wohl  auch  verschwägert  mit 
einander  waren,  anzusehen.  Er  wird  vermutlich  in  der  plothoschen 
Stadt  Kyritz  geschlagen  sein,  wo  1245  --  wie  schon  vorher  erwähnt  — 
ein  Münzmeister  Herbord  vorkommt. 


69  00  61 


Auch  jedem  Einzelnen  der  beiden  Edelherren  habe  ich  Münzen  zu- 
gewiesen, so  den  Plothos  einen  Denar  mit  der  Lilie  u.  2  Fischen  (No.  60) 
und  den  Friesacks  drei  Denare  mit  dem  Seeblatte.  (No.  61). 

Von  märkischen  Geschlechtern  sind  z.  Z.  weitere  sichere  Münzen 
nicht  bekannt.  Z war  hat  man  den  G  r  a  f e  u  von  Lindow  und  K  u  p  p  i  n , 
den  Herren  v.  d.  Schulenburg,  v.  d.  Knesebeck,  von  Alvensleben, 
ferner  den  Edlen  Herren  zu  Putlitz  und  den  Herren  v.  Dahme 
Münzen  beilegen,  beziehungsweise  ihnen  das  Müuzreeht  zusprechen  wollen, 
aber  zu  Unrecht.  Die  Grafen  v.  Lindow  und  Ruppin  haben  weder  eine 
Nachricht  noch  eine  Münze  hinterlassen,  die  auch  nur  die  geringste 
Wahrscheinlichkeit  einer  Prägung  annehmen  Hesse.  Was  die  Schulen- 
burgs,  Knesebecks  und  Alvenslebeus  anlangt,  so  haben  diese  früher  in 
Beziehung  zu  der  Münze  in  Salzwedel  gestanden  insofern,  als  sie  zu  den 
Ständen  gehörten,  die  1314  in  den  Distrikten  Salzwedel  und  Lüchow 
die  salzwedelsche  Münze  kauften.  Sie  haben  auch,  wie  die  Urkunden 
lehren,  öfter  zusammen  mit  den  Städten  Vereinbarungen  wegen  des 
Münzenschlages  in  Salzwedel  geführt,  —  aber  persönlich  haben  sie  das 
Hecht  zu  münzen  deswegen  doch  niemals  besessen. 

Auch  die  Edlen  Herren  zu  Putlitz  sind  nie  münzberechtigt 
gewesen.  Die  Gans,  ihr  Wappentier,  die  man  angeblich  auf  einigen 
märkischen  Pfenningen  hat  sehen  wollen,  habe  ich  als  Adler  entlarvt, 
und  damit  fallt  der  einzige  Halt  für  die  Annahme  ihrer  Prägegerechtigkeit. 

Zweifelhaft  liegt  die  Sache  bei  den  Herren  von  Dahme.  Hier 
werden  noch  fortgesetzte  Forschungen  es  entscheiden  müssen,  ob  man 
ihnen  mit  Recht  oder  Unrecht  gewisse  Bracteateu  zuteilt. 

Zum  Schlüsse  sind  noch  zwoi  nieder  laus  itzi  sehe  Familien  zu 
nennen,  die  tatsächlich  gemünzt  haben.  Zunächst  die  Herren  von 
Strele,  denen  unter  anderen  Besitzungen  die  Herrschaft  Beeskow-Stor- 
kow  gehörte,  und  zwar  Beeskow  schon  seit  1272,  nicht  erst  seit  1316 
wie  Riedel  und  v.  Ledebur  augeben.     Die  Prägung  der  Stadt  Beeskow 


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24 


Emil  Bahrfeldt:  Das  märkische  Mflntwesen  im  Mittelalter. 


habe  ich  schon  unter  den  Askaniern  berührt;  die  Münze  der  Herren  von 
Strahle  darin  wird  1314  erwähnt.  Aus  ihr  mag  ein  Bracteat  hervorge- 
gangen sein,  der  leider  nur  halbirt  vorhanden  ist  und  der  das  Wappen  der 
Herren,  die  drei  Senseuklingen,  zu  tragen  scheint, 

Daun  folgen  die  Herreu  v.  Cottbus  in  der  Stadt  gleichen  Namens. 
Die  Herren  sind  urkundlich  schon  1156  nachzuweisen;  sie  führten  einen 
Krebs  im  Wappen,  der  auch  das  Zeichen  der  Stadt  ist.  Einen  Krebs 
lässt  auch  ein  Bracteat  von  niederlausitzischer  Fabrik  in  meiner  Sammlung 
sehen,  den  ich  den  Herren  von  Cottbus,  wahrscheinlich  dem  Friedrich 
oder  Johann  beilegen  darf,  die  1304  unkundlich  auftreten.  — 

Soweit  die  Betrachtungen  über  das  märkische  Münzwesen  während 
der  Bracteaten-  und  Denarperiode.  Sie  bildet  ein  selbststündiges  Ganzes. 
Die  nächste  Periode  unter  den  Hoheuzollern,  deren  erste  Kegenten  zwar 
noch  dem  Mittelalter  angehören,  steht  unter  der  Herrschaft  des  Groschens 
und  hat  einen  so  völlig  veränderten  Charakter,  dass  es  angebracht  erscheint, 
mit  der  markgräflichen  Zeit  hier  abzuschliessen  und  die  kurfürstliche 
einer  späteren  Besprechung  vorzubehalten. 


Ueber  neu  aufgefundene  Tafelbilder  in  der  Kircbe  zu  Zielenzi«. 


25 


Ueber  neu  augefundene  Tafelbilder  in  der 

Kirche  zu  Zielenzig. 

Von  G.  Bluth. 

Geh.  Bauratb  und  Konservator  der  Baudenkmäler  in  der  Provinz  Brandenburg. 

An  dem  in  der  Kirche  zu  Zielenzig  befindlichen  Flügelaltare 
wurde  vor  Kurzem  die  Entdeckung  gemacht,  dass  auf  der  Rückseite  des- 
selben sich  auf  den  daselbst  angebrachten  —  in  C'harniereu  beweg- 
lichen —  Tafeln  sogenannte  Tafelbilder  befanden,  welche  bisher  unbe- 
kannt geblieben  waren,  weil  der  Schnitzaitar  stets  geöffnet  war;  dieser 
konnte  auch  nicht  geschlossen  werden,  da  dies  durch  in  späterer  Zeit 
au  den  senkrechten  Aussenseiten  der  beweglichen  Flügel  befestigte  Ba- 
rockverzieningen  verhindert  wurde.  Der  Raum  hinter  dem  Altare  ist 
aber  so  wenig  beleuchtet,  dass  die  auf  der  Rückseite  befindlichen 
—  übrigens  mit  starker  Staubschicht  bedeckten  —  Gemälde  nicht  zu 
erkennen  waren.  Der  geöffnete  Altarschrein  war  demnach  bisher,  wie 
in  der  Figur  I  angedeutet,  geöffnet  gehalten  und  bezeichnet  darin  a  den 


•trrmriirmutitttfiimii  u. 


,,,,,,,.,,1,11, 


mittleren  festen  Teil,  b  die  seitlichen  Flügel  des  eigentlichen  Schnitzaltares, 
in  welchemdie  figürlichen  Darstellungen  sieh  befinden,  wie  sie  in  No  4(i 
des  Sonntagsblattes  des  Reiehsboten  von  Dr.  Reinhold  Hoffmann  näher 
beschrieben  sind.  Die  auf  der  Rückseite  befindlichen,  in  Charnieren  dreh- 
baren Tafeln  c  der  Fig.l  nehmen  die  aufgefundenen  Tafelbilder  auf,  welche 
sich  dem  Beschauer  zeigten,  sobald  die  Flügel  des  Schnitzaltars  ge- 
schlossen, bezw.  vor  den  mittleren  Teil  desselben  vorgelegt  wurden, 
wie  in  Figur  II  angedeutet.  In  letzterer  Darstellung  sind  die  gleichen 
Teile  mit  denselben  Buchstaben  wie  iu  Fig.  1  bezeichnet.    Es  fallen  aber 


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2ß 


G.  Bluth: 


in  Fig.  II.  die  Barocknm 
rahmungen  d  fort,  weil  diese 
die  Drehung  der  Fügel  be- 
hindern würden. 

Ist  der  Altarschrein  voll- 

^:v.v,v,vvy.; . ■  J  ESg^,..^J-  Ständig   geschlossen,    —  wie 

in  Fig.  II  angegeben  —  so  boten  sieh  dem  Beschauer  zwei  Bildtafeln 
dar,  deren  jede  durch  einen  horizontalen  Rahinen  in  zwei  Flächen  ge- 
teilt ist.  Auf  den  sc»  gebildeten  ingesamt  vier  Bildflächen  sind  die 
12  Apostel  —  auf  jeder  derselben  deren  3  —  dargestellt  und  zwar  in 
den  beiden  oberen  Bildern  der  Reihe  nach  Simon  Alphäus,  Juda,  Mat- 
thias, Petrus,  Johannes  und  Paulus,  in  den  unteren  wie  vor  Thomas, 
Jacobus,  Matthäus,  Andreas,  Philippus  und  Bartholomäus. 

Werden  die  beiden  Flügel  geöffnet,  sodass  sie  die  in  der  Fig.  II  punktirt 
angedeutete  Stellung  annehmen,  so  treten  auf  den  darunter  befindlichen 
beiden  Tafeln,  deren  jede  nicht  nur  horizontal,  sondern  auch  vertikal 
durch  Rahmen  geteilt  ist,  acht  Bilder  hervor,  welche  die  Verherrlichung 
der  Jungfrau  Maria  zum  Gegenstande  haben. 

Die  vier  Bilder  auf  der  einen  dieser  Tafeln  stellen  dar: 

1.  Die  Verkündigung  und  zwar  die  Jungfrau  mit  dem  Engel 
der  Verkündigung  und  dem  Spruchbande  „Ave  Grntiae  Plenae;* 
Gott  Vater  thront  in  den  Wolken:  darunter  befindet  sich 

2.  Die  Begegnung  der  Maria  mit  der  heiligen  Elisabeth 
im  Hintergründe  Zacharias;  oben  neben  dem  Bilde  zu  1: 

3.  Die  Geburt  Christi  und  unter  diesem 

4.  Die  Anbetung  der  heiligen  drei  Könige. 

Die  vier  Bilder  auf  der  zweiten  diesen'  Tafeln  behandeln 

5.  den  Tempelgang  der  Maria,  welche  eine  Treppe  zu  dein 
geöffneten  Tempel  emporschreitet.  Seitwärts  befindet  sich  die 
heilige  Elisabeth  und  Zacharias,  sowie  noch  eine  männliche 
und  eine  weibliche  Figur  —  wahrscheinlich  die  heilige  Anna 
und  Joseph  —  Unter  diesem  Bilde 

o\  Die   Ausgiessung  des   heiligen   Geistes.     In  der  Mitte 
Maria  als  Wittwe  aufgefasst,  zu  jeder  Seite  6  Apostel;  jede 
dieser  Figuren  ist  mit  einer  Flamme  auf  dem  Haupte  darge- 
stellt.   Darüber  schwebt  der  heilige  Geist  als  Taube. 
Rechts  neben  dem  Bilde  zu  5 

7.  Die  Himmelfahrt  der  Maria 

und  unter  diesem 

8.  Die  Krönung  der  Maria. 

Die  Malerei  dieser  im  Ganzen  wohlerhaltenen  Bilder  ist  auf  einem 
Kreidegruude,  der  auf  den  llolztafelu  aufgebracht  ist,  in  Temperafarben 


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Ueber  neu  aufgefundene  Tafelbilder  in  der  Kirche  iu  Zielenzig. 


27 


ausgeführt,  wobei  Gold  nicht  zur  Verwendung  gelangt  ist,  während  man 
von  diesem  an  den  Figuren  bezw.  an  dem  Hintergrunde  des  Schnitzaltars 
ausgiebigen  Gebrauch  gemacht  hat.  Die  Gestalten  —  namentlich  die 
der  Apostel  sind  kernig  mit  charakteristischen  Köpfen  und  mit  dem 
Ausdrucke  grosser  Innigkeit  und  Andacht  dargestellt  und  es  ist  bemer- 
kenswert, dass  auf  den  verschiedenen  Bildern,  auf  welchen  die  Apostel 
abgebildet  sind,  jeder  von  ihnen  nach  demselben  Modelle  aufgefasst  ist. 
Maria  ist  überall  —  mit  Ausnahme  des  Bildes  der  Ausgiessung  des 
heiligen  Geistes  —  mit  dem  Sehleier,  als  dem  Symbole  der  .Jungfräulich- 
keit und  niemals  mit  dem  Heiligenscheine  dargestellt.  Haare  und  Augen 
der  Figuren  sind  mit  grosser  Sorgfalt  behandelt.  Dasselbe  ist  von  der 
Gewandung  hinsichtlich  ihres  Faltenreichtums  und  der  Farbengebung, 
bei  welcher  gelb,  grün  und  rot  vorherrschen,  aber  auch  gemusterte 
Stoffe  vorkommen,  zu  sagen.  Weniger  befriedigend  sind  Hände  und 
Füsse  gezeichnet. 

Das  sanfte  innige  Empfinden,  welches  in  den  zur  Darstellung  ge- 
langten Köpfen  zum  Ausdrucke  kommt,  sowie  die  zarte  Auffassung  und 
die  weiche  Behandlung,  in  welcher  die  Gemälde  ausgeführt  sind,  dürfte 
die  Annahme  rechtfertigen,  dass  wir  es  mit  Bildern  zu  thun  haben, 
welche  um  die  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  entstanden  sind,  zu  einer 
Zeit^  in  welcher  die  Kölner  Schule  von  grossem  Einflüsse  auf  die  Be- 
handlung derartiger  Tafelbilder  war. 

Berlin,  den  5.  December  1893. 


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28  Georg  Galland. 


Was  eine  Brandenburgische  Kurfürstin  an  Schmuck, 
Gerätschaften  u.  dgl.  besass. 

Von 

Georg  Galland. 

Im  Preussisehen  Geh.  Staatsarchiv*)  befindet  sich  ein  früher  der 
Künigl.  Bibliothek  zu  Berlin**)  einverleibt  gewesenes  Munuscript,  ein 
Buch  der  Kurfürstin  Louise  Henriette  mit  eigenhändigem,  holländisch 
geschriebenem  Inhalt.    So  viel  ich  weiss,  ist  letzterer  bisher  unbekannt 
geblieben.    Das  Interesse,  welches  die  hohe  Schreiberin,  die  Gemahlin 
Friedrich  Wilhelms  des  Grossen,  beanspruchen  darf,  rechtfertigt  wohl 
die  Veröffentlichung  dieses  holländischen  Notizbuches,  eines  der  Zeug- 
nisse der  sorgfältigen  Wirtschaftsführung  jener  Kurfürstin.     Da  die 
Blätter  des  Manuscripts  keinerlei  Datierung  aufweisen,  Ist  die  Frage 
nach  der  Zeit  der  Abfassung    der    unten   mitgeteilten  Verzeichnisse 
leider  schwer  zu  lösen.    Ich  gestehe  offen,  dass  ich  nicht  hinlänglich 
Kenntnis   von    den  Wandlungen   der  Handschrift   der  kurfürstlichen 
Schreiberin    besitze,  um  die  vorliegende  Frage  mit  absoluter  Sicher- 
heit zu  beantworten.    Aber  ich  glaube  das  Richtige  zu  vermuten,  wenn 
ich  annehme,  dass  diese  Verzeichnisse  gegen  Anfang  der  kurfürstlichen 
Ehe  und  wohl  bei  Gelegenheit  der  Uebersiedelung  des  Hofes  von  Cleve 
nach  der  Mark  Brandenburg  im  October  1649  entstanden.  Meine  Annahme 
stützt  sich  auf  folgende  Wahrnehmungen.    Erstens  steht  auf  dem  Titel- 
blatt des  Buches:  „Louise  de  Nassau  d'Orange".    Meines  Wissens  hat 
sich  die  Kurfürstin  später  gewöhnlich  der  kurzen  Namenschrift  „Louise 
Corvorstin"  bedient.  Aber  in  jenein,  ihrem  Vaterland  benachbarten,  damals 
eigentlich  halbholländischen  Ländchen  Cleve,  glaubte  sie  sich  wohl  noch 
anfänglich  nicht  verpflichtet,  auf  ihre  bisherigen  Gewohnheiten  zu  ver- 
zichten und  ihren  Familiennamen  abzulegen.    Ferner  entnehme  ich  aus 
den  zahlreichen  Gegenständen,  die  das  Verzeichnis  anführt,  dass  es  sich 
hier  um  einen  bestimmten  Teil  der  Aussteuer,  der  Ilochzeitsgaben  und 
älterer  Andenken  der  Prinzessin  von  Oranien  handelt,  besitzt  sie  doch 
damals  sogar  noch  ihr  „poppen  goet",  ihr  Kinderspielzeug)  als  Erinnerung 
an  die  glückliche  Zeit  ihrer  Jugend. 

♦)  R.  f>4  IV.  H«  ü. 

*♦)  Ms.  boruss.  quart  17*2. 


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Was  eine  Brandenbg.  KurfOrstin  an  Schmuck,  Gerätschaften  u.  dgl.  besass.  29 


Leider  ist  die  Handschrift  der  hohen  Schreiberin  an  mehreren 
Stellen,  zumal  am  Ende  des  Manuskriptes,  sehr  undeutlich,  so  dass  die 
Entzifferung  und  die  Uebersetzung  ins  Hochdeutsche  erhobliehe  Schwierig- 
keiten verursachte,  um  so  mohr,  als  die  von  der  Kurfürstin  gewählte 
Bezeichnung  verschiedener  Gegenstände  in  Holland  längst  ausser  Gebrauch 
und  Kenntuis  gekommen  ist.  Einzelne  Bezeichnungen  waren  beim  bestem 
Willen  nicht  zu  verdeutschen.  Für  Winke  und  Belehrung  von  Seiten 
besserer  Sprachkenner  wäre  ich  daher  sehr  dankbar. 

Berlin,  Weihnachten  1893.  G.  G. 


Silver  warde. 
twalf  schoetels. 

een  lumppet*)  Schoettel  ende 
beneven  vier  en  twintich  telluren. 

leppels  twalf. 

nach  een  leppel. 

gafellins  twalf. 

twee  sout  vaetten. 

een  schaevoer. 

een  groetten  silveren  korf. 

twee  klinne  silverre  korven  met 
deksels  daer  op  de  een  is  vergult. 

vier  silverre  kandellaers. 
een  beet  pan. 

twee  silverre  pilpotten**;  opt  nacht 
goet. 

twee  kistlins  opt  nacht  goet  met 
deksels. 

een  kistlien  opt  nacht  goet,  haes 
gheeu  dekselopen  Lseen  Schims***) 
paen  van  silver. 

een  leppellien  met  een  houtte  steel. 

een  klin  bet  paneken. 

noch  saeventien  stuck  alderhande 

poppengoet. 
een  silverren  ding  daer  men  braet 

op  rostert. 


*)  lomp. 

*•)  pi spotten? 

•♦•)  8cherm,  Slym  oder  Schims? 


Silber  Werte. 
Zwölf  Schüssel. 

Eine  massive  Schüssel  und  dazu 
vierundzwanzig  Teller. 

Zwölf  Löffel. 

Noch  ein  Löffel. 

Zwölf  Gabelchen. 

Zwei  Salzfässer. 

Ein  Schaber  (Reibeisen?). 

Ein  grosser  silberner  Korb. 

Zwei  kleine  silberne  Körbe  mit 
Deckeln  darauf,  der  eine  ist  ver- 
goldet. 

Vier  silberne  Candelaber. 

Eine  Buttpfanne  (Bettwärmer). 

Zwei  silberne  Pillentöpfe  als  Nacht- 
zeug. 

Zwei  Kästchen  als  Nachtzeug  mit 
Deckeln. 

Ein  Kästchen  als  Nachtzeug  hat 
keinen  Deckel  drauf  und  ist  eine 
Schutzpfaime  (?)  von  Silber. 

Ein  Lötfelcheu  mit  einem  hölzernen 
Stiel. 

Ein  kleines  Bettpfännehen. 

Noch   siebenzehn  Stück  allerhand 

Puppenzeug. 
Ein  silbernes  Ding  damit  man  auf 

Rost  bratet. 


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30 


Georg  Galland: 


een  kanneken  inet  een  silverren  lit. 

een  ding  in   een    kustody*)  van 

silver. 
een  kristallen  beker. 
twee  tabberretten**)  inet  silver. 
een  groette  silverren  blaeker. 
een  potlyn  inet  een  koein  daer  op. 
een  silverre  koein. 
twee  koussen  en  van  silver. 

Aen  porselyn. 
twee  groette  potten. 
een  die  wat  klinder  is. 
acht  groette  langhe  potten. 
noch  vier  die  onder  wiet  syn. 
noch  acht  die  wat  klinder  syn. 
twee  groette  schotteis. 
twee  klinne  schotteis. 
een  baksken. 

vier  bakskens  die  wat  klinder  syn. 
noch  twee  schotteis  die  klin  syn. 
twee  kandellaers. 
vier  klinne  baxkens. 
vier  die  noch  klinder  syn. 
vier  vyoellins. 
twee  klinne  vyollins. 
twee  klinne  schotellyns. 
twee  sout  /aetten. 
twe  bekerlyns. 
een  olli  kan. 
twee  mostter  potten. 
tien   deel   van  alder    haende  wit 
goets. 

swenen***)  deel  van  alderhande  aem- 
ber  ende  kristal  dat  in  koesen  is, 
daer  is  een  koes  onder  daer  soe 
alderhaende  aember  in  is. 

dertien  schilderyen  dit  is  in  de 
groette  holtte  kist. 


Ein  Kännchen  mit  einem  silberneu 
Glied. 

Ein  Ding  in  einem  Futteral  von 

Silber. 
Ein  krystallener  Becher. 
Zwei  Sessel  mit  Silber. 
Ein  grosser  silberner  Leuchter. 
Ein  Töpfchen  mit  einem  Napf  darauf. 
Ein  silberner  Napf. 
Zwei  Filtrirbeutel  von  Silber. 

An  Porzellan. 
Zwei  grosse  Töpfe. 
Einer  der  etwas  kleiner  ist. 
Acht  grosse  hohe  Töpfe. 
Noch  vier  die  unten  weit  sind. 
Noch  acht  die  etwas  kleiner  sind. 
Zwei  grosse  Schüsseln. 
Zwei  kleine  Schüsseln. 
Eine  Schale. 

Vier  Schalen  die  etwa6  kleiner  sind. 

Noch  zwei  Schüsseln  die  klein  sind. 

Zwei  Candelaber. 

Vier  kleine  Schalen. 

Vier  die  noch  kleiner  sind. 

Vier  Violinchen. 

Zwei  kleine  Violinchen. 

Zwei  kleine  Schusselchen. 

Zwei  Salzfässer. 

Zwei  Becherchen. 

Eine  Oelkanue. 

Zwei  Senftöpfe. 

Zehn  Teile  von  allerhand  Porzellan- 
zeug. 

Sieben  Teile  von  allerhand  Bern- 
stein und  Kristall  das  in  Beuteln 
i8t,da  Ist  ein  Beutel  darunter,  darin 
allerhand  Bernstein  ist. 

Dreizehn  Malereien  diese  sind  in 
der  grossen  Holzkiste. 


*)  Nach  Sanders  Deutschem  Wörterbuch:  „Wächter". 
**)  tabonret«  (franx.). 
♦•*)  seven. 


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Was  eine  Brandenbg.  Kurfüretin  an  Schmuck,  Gerätschaften  u.  dgl.  besass.  31 


Dit  is  dat  in  bot  uieuwe kabvnet 
yn  is  aen  lint  ende  handschoen. 

onghemackt  lint. 

veertien  stuck  Huts  dat  breet  is. 

achttien  stuk  lints  dat  oek  breet  is. 

noch    drie    stuk    lints    dat  heel 
breet  is. 

noch  vicf  stuck  lins  dat  smaldcr 

is  als  hier  boeven. 
neeghen  stuck  lint  dat  smal  is. 
noch   vief  stuck    op  planghskens 

ghe  wunden. 


Dies    ist    was   in   dem  neuen 
Schrank  darin  ist  an  Band  und 
Handschuhen. 

Umgearbeitetes  Band. 
Vierzehn  Stück  Band  das  breit  ist. 
Achtzehn  Stück  Band  das  auch  breit 
ist. 

Noch  drei  Stück  Band  das  sehr 
breit  ist. 

Noch  fünf  Stück  Band  das  schmäler 

ist  als  voriges. 
Neun  S{ück  Band  das  schmal  ist. 
Noch    fünf  Stück    auf  Brettchen 

gewickelt. 


Aen  haentschoen. 

een  pack  daer  drie  doesyn  haent- 
schoen in  syn  die  wite  syn. 

noch  een  pack  daer  drieentwintich 
paer  in  syn. 

eelf  paer  brunne  haentschoen. 

Aen  boecken  groet  ende  klin 
dat  in  dt«  aender  kist  is. 

viefentsestich     met     leder  oener 

trohen.  (?) 
vier  met  vlouwcel. 
groette  bocken  by  sonder  ses  bocken 

met  paepier  beneven  twaelf. 


een  leerre  kistlyn  met  aller  haende 
goet. 

twee  kislyns  met  silver. 

een  klin  kabynetyn. 

noch  een  silverre  kistyen. 

een  parle  moeder  kistyn. 

twee  groette  spighels. 

twee  speldewercks  kuseus. 

een  niew  schriftoerken*)  van  hout. 

een  klin  kusentyen. 


An  Handschuhen. 

Ein  Pack  da  drei  Dutzend  Hand- 
schuhe darin  sind,  die  weiss  sind. 

Noch  ein  Pack  da  dreiundzwanzig 
Paar  darin  sind. 

Klf  Paar  braune  Handschuhe. 

An  Büchern  gross  und  klein, 
die  in  der  audem  Kiste  sind. 

Fünfundsechzig  mit  Leder  (in  einer 

Truhe?) 
Vier  mit  Snnimct. 

Grosse  Bücher  besonders  sechs 
Bücher  mit  Papier  nebst  zwölf. 


Ein   Lederkästlein    mit  allerhand 

Sachen. 
Zwei  Kästlein  mit  Silber. 
Ein  kleines  Schränkehen. 
Noch  ein  silbernes  Kästchen. 
Ein  Perlmutter-Kästchen. 
Zwei  grosse  Spiegel. 
Zwei  Spitzenarbcits  Kissen. 
Uine  neue  Hl.  Schrift*)  in  Hoiss. 
Ein  kleines  Kissenchen. 


*)  schriftuur? 


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32 


Georg  Galland  : 


Dit  is  all«;  de  yuwellen  euch» 
dat  van  gout  is  dat  de  Cour- 
vnrstin  lieft. 

vief  diamautte  boetteu. 

een  groette  boette    tuet  Robinuen. 

een  boette  van  schavier  met  een 
spieghel  achtter  aen. 

twee  pacr  diaemanttc  pendanten. 

vief  diaemantten  poyntsons*). 

drie  vraye  diamantten  ringhcu. 

twee  goude  sloetyens  met  dia- 
mantten. 

twee  braselletten  met  robiiiiien  daer 
goude  sloetyens  aen  syn  met 
diaemantten. 

acht  goude  ringhen  klyn  ende  groet. 

een  orllosy  met  diaemaentten. 

twee  (irllosyen. 

acht  stak   daer    emeroeden  ende 

diaemantten  op  syn  0111  op  liet 

hoeft  te  setten. 
een  toer  paerllen  daer  is  int  ghetal 

ses  en  dartieh  stuk  aen. 
noch  een  toer  van  veertich  parllen. 
twee  brasselletten  van  perllen  daer 

aen  elcks  is  twe  borniert  vier  en 

twintich  stuck, 
een  kelderken  van  gout  met  vlessen 

daer  is  de  sehilderi  van  de  prin- 

ses  Rovael. 
een  goude  doesken. 
de  order  van  de  prinses  Royael. 
een  gowde  kastlcn  daer  men  tan- 

stoekers  in  doen. 
een  gowde  spighel  met  aeghaetten 

beset. 

een  ghebet  boek  met  diamantten 
beset. 

een  Uobin  die  inet**)  en  is  in 
ghevat. 


Dies  sind  alle  die  Juwelen  und 
das    von  Gold    ist,    was  die 
Kurfürs  tili  hat. 

Fünf  diamantene  Vorstecknadeln. 
Eine  grosse  Vorstecknadel  mit  Ru- 
binen. 

Kine  Vorstecknadel  von  Saphir  mit 
einem  Spiegel  dahinter. 

Zwei  Paar  Diamanten-Gehänge. 

Fünf  diamantene  Haarnadeln. 

Drei  hübsche  Diamant-Ringe. 

Zwei  goldene  Schlösschen  mit  Dia- 
manten. 

Zwei  Armbänder  mit  Rubinen,  de- 
ren goldene  Schlösschen  mit  Dia- 
manten sind. 

Acht  goldene  Ringe  klein  und  gross. 

Eine  Uhr  mit  Diamanten. 

Zwei  Uhren. 

Acht  Stück  darauf  Smaragde  und 

Diamanten    siud,    um  auf  das 

Haupt  zu  setzen. 
Eine  Kette  Perlen,  daran  in  der 

Zahl  sechsunddreissig  Stück. 
Noch  eine  Kette  von  vierzig  Perlen. 
Zwei  Armbänder  von  Perlen  daran 

je   zweihundert  vierundzwanzig 

Stück . 

Ein  Flaschenkörbchen  von  Gold  mit 

Flaschen,  daran  die  Malerei  vou 

der  Prinzcss  Royal  ist. 
Ein  goldenes  Doschen. 
Der  Orden  der  Prinzess  Royal. 
Ein  goldenes  Kästchen,  darin  man 

Zahnstocher  thut. 
Ein  goldener  Spiegel  mit  Achaten 

besetzt. 

Ein  Gebetbuch  mit  Diamanten  be- 
setzt. 

Ein  Rubin  der  mit  ist  ein- 

gefasst. 


*)  französisch:  puiueons.   -  +*)  Wohl  verschrieben. 


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Was  eine  Brandenburgische  Kurfürstin  an  Schmuck,Gerätschaften  u.  dgl.  besass.  33 


twee  naeltyns  daer  in  mersekeu*) 

in  hanghen. 
een  gout  postoltyu. 
vier  gowde  penigben  groot  ende  klin. 
een  gout  uaeltyn  met  een  eineroede 

daer  in. 
een  krus  van  dieamantcn. 
een  pelikaen  van  diamanten, 
een  duyfken  met  diamanten, 
twee  kruyskens  de  een  van  roe- 

binnen  ende  het  aeuder  vau  eme- 

roede. 

een  hartyeu  van  emeroude. 

een   gowde  lompet  Schottel  ende 

beker. 
twee  gowde  kandlaers. 
een  gowde  kam***)  ende  een  gowde 

leppel. 

dit  is  het  nieuwe  linneu  soe 
de  Corvorstin  lieft. 

tes  paer  slaeplaekens 
twaelf  paer  kussentiettcn.f ) 
vier  entwiutich  nachts  hemden. 
vier  entwiutich  dacli  hemden. 
vier  entwiutich  nachts  halsdoeken. 
vier  entwiutich  schortel  doeken. 
vier  entwiutich  paer  nacht  mntsen. 
vier  entwiutich  nusdoeken  in  de 

sack  te  draeghen. 
sveveu  nachts  kleeden. 
kaeinysoellen  acht, 
twaelf  uerstyens.ff) 
twee  met  befkeus  ock  nerstyens. 
acht  mousoers.fft) 
twaelf  toer  met  kautteu. 
twaelf  kalsons*f) 
kowsen  twalf  paer. 
nervetten  drie  doesyn. 


Zwei  Nadelchen  daran  Körbchen 
hängen. 

Eine  goldene  Pistole.**) 

Vier  Goldpfennige  gross  und  klein. 

Ein  goldenes  Nadelchen  mit  einem 
Smaragd  daran. 

Ein  Kreuz  von  Diamanten. 

Ein  Pelikan  von  Diamanten. 

Ein  Täubchen  mit  Diamanten. 

Zwei  Kreuzchen  das  eine  von  Ru- 
binen und  das  andere  von  Sma- 
ragd. 

Ein  Herzchen  von  Smaragd. 

Eine  goldene  massive  Schüssel  und 
Becher. 

Zwei  goldene  Kandelaber. 

Ein  goldener  Kamin  und  ein  gol- 
dener Löffel. 

Dies  ist  das  neue  Linnen,  so 
die  Kurfürstin  hat. 

Sechs  Paar  Sehlaftücher. 
Zwölf  Paar  Kissen  (?). 
Vierundzwauzig  Nachthemden. 
Vierundzwanzig  Taghemden. 
Vierundzwanzig  Nachthalstücher. 
Vierundzwanzig  Schurztücher. 
Vierundzwanzig  Paar  Nachtmützen. 
Vierundzwauzig  Schneuztücher  in 

der  Tasche  zu  tragen. 
Sieben  Nachtkleider. 
Acht  Camisols. 
Zwölf  Busen westen. 
Zwei  mit  Bäffchen  auch  Busen  westen. 
Acht  Hauben. 
Zwölf  Köllen  mit  Spitzen. 
Zwölf  Strümpfe  (?). 
Strümpfe  zwölf  Paar. 
Servietten  drei  Dutzend. 


*)  ineers  (veraltet)  heisst  bei  Vondel:  Kiepe.  Hier  ist  wohl  ein  korhähnliches 
Gehänge  gemeint  —  **)  Wohl  Goldmünze.  —  ***)  kann  oder  kurn? 

f,  Die  Endung  ist  wohl  ungenau.  —  f|)  heute:  neerstik  oder  neerstuk.  —  fff)  Wohl 
moutsens.  —  *f)  Wohl  koesens 


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34 


Georg  Galland. 


dit.  is  het  linneji  soe  de  Cour- 
vorstin   lieft  dat    niet  nieuw 
en  is. 

drie  pacr  laekens. 

heeindcn,  nachts  lienulen  ende  dach 

hemden  ouder  malkauderren  dar- 

ticli . 

vief  olde  slechtte  nusdoeken. 
noch  sveven  slechtte  nusdoeken. 

vief  kolleretten. 
drie  inet  befkens. 

aenderhalf    doesyn    in   de  sulses 

kalsons. 
vier  witte  linnen  onderkussen. 
ses  kaemysoellen. 
vief  nachts  halsdoeken. 
sveven  voersehoetten. 
ses  pacr  kousen. 

ses  ondermutsehen  ende  ses  boeven 
mutschen. 

tabberts. 

een  sittron  silverre  laekens  tabart. 
yesebel  silverre  laekens  tabbart. 
een  yessebel  silverre  inoewe. 
een  witte  silverre  laekens  tabl)art 

met  kant  gheboert. 
sittron  koullar  inoewe. 
stof  tot  een  tabbart  dat  niet  en  ist 

op  ghcmackt. 
noch  twee  tabberts  die  niet  en  syn 

op  ghemaekt   die  ut   vra nkrick 

syn  ghekoemen. 
een  blaw  satinne  tabbart. 
een  as  graw  satinne  tabbart. 
een   yessebel  satinne  tabbart  van 

poede  soy*). 
een  swarttc  satinne  tabbart. 
een  swartte  tabbynne**)  tabbart. 


Dies   ist  das   Linnen    so  die 
Kurfürstin     hat,    das  nicht 
mehr  neu  ist. 

Drei  Paar  Tücher. 
Hemden,   Nachthemden  und  Ti\g- 
heinden   durcheinander  dreissig. 

Fünf  alte  gewöhididieTaschentücher. 
Noch  sieben  gewöhnliche  Taschen- 
tücher. 
Fünf  Halskragen. 
Drei  mit  Bäflehen. 
Anderthalb  Dutzend  in  (?) 

Vier  weissleinene  Unterkissen. 
Sechs  Kamisols. 
Fünf  NTacht-I  lalstücher. 
Sieben  Schürzen. 
Sechs  Paar  Strümpfe. 
Sechs    Unter -Mützen    und  sechs 
Ober-Mützen. 

Mäntel. 

Ein  Citron-silberner  Tuch- Mantel. 

Isabel-silberner  Tuch-Mantel. 

Ein  isabel-silberner  Aermel. 

Ein  weiss-silberner  Tuch- Mantel 
mit  Spitze  eingefasst. 

Citronfarbiger  Aermel. 

Stoff  zu  einem  Mantel,  der  noch 
nicht  vollendet  ist. 

Noch  zwei  Mäntel  «lie  nicht  vollendet 
sind,  die  aus  Frankreich  ge- 
kommen sind. 

Ein  blauer  Satin-Mantel. 

Ein  asch-grauer  Satin-Mantel. 

Ein  isabelfarbener  Satin  -  Mantel 
von  starkem  Seidenzeug. 

Ein  schwarzer  Satin-Mantel. 

Ein  schwarzer  Taffet-Mantel. 


*)  Pou  de-soie  (franziisieh). 
**)  Tabijn  ist  gewasserter  starker  Tati'et  (Doppeltaffet). 


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Was  eine  Brandenburgische  Kurfürstin  an  Schmuck,  Geratschaften  u.  dgl.  besass.  35 


een  koullur  de  roesse  nacht, 
tabbart  het   plus  daer  onder  het 

bovenste    Ls    van    alder  hande 

koullur. 

een  konllur  de  roesse  onghevlin. 
as  graw  sarsye  onghelin. 
twe  silvere  laekense  oukevroeken. 
silvere  laekens  daer  koulur  in  Ls 

tot  eeu  ander  roek  dat  niet  en 

is  ghemaekt. 
ten  koullur  de  roese  silveren  ock 

noch  een  gant  laekens  noch  daer 

Ls  een  buen  ut  glienoemen  die 

lieht  daer  by. 
in  kornaet  sattinue  rock, 
eeu  yessebel  armoesyne  rock, 
een  arinoesynue  pelsken. 
vier  satinue  rocken, 
een  koullur  de  roesse  sunrlif. 
tvvee  nachts  kleden,  een  van  silverre 

moeve  ende  een  van  koullur  de 

naekerre  armoesyn. 
eeu  armocsinne  dekentyeu  inet  bont. 
een  ostiukese  nachtabl)art. 
een    yndyaense   dcken   niet  pluys 

ghevoedert. 
vier  sinken   silverre   laekens  dat 

tot  de  sleep  is  ghewest. 
noch  een  silverre  kaut  tot  eeu  rock. 

een   annoesinne   Sluyer    niet  eeu 
kunt  daroni. 


Ein  rosafarbiger  Nacüt(mantel). 
Mantel,  der  Plüsch  unter  dem  äussern 
Stoff  ist  verschiedenfarbig. 

Ein  rosafarbiger  

Aschgrauer  Sarsche  

Zwei  silberne  Tücher  ungearbeitet. 

Silberne  Tücher,  gefärbt,  zu  einem 
andern  Hock,  der  noch  nicht  ge- 
macht ist. 

Eiu  rosafarbiger  

. . .  herausgenommen, der  liegt  dabei. 

 Satinrock. 

Ein  isabel farbiger  Arinoisin*)  Kock. 

Ein  Arinoisiu-Pelzehen. 

Vier  Satin-Röcke. 

Ein  rosafarbiges  Schuürleib. 

Zwei  Nachtkleider,  eius  mit  süber- 
neu  Aerinelu  und  eins  aus  schwarz- 
farbigem  Armoisiu. 

Ein  Arinoisin-Deckchen  mit  Bunt. 

Ein  ostiukese  Nachtmantel. 

Eine  indianische  Decke  mit  Plüsch 
gefüttert. 

Vier  Stück  silberne  Tücher  die  zur 
Schleppe  gedient  haben. 

Noch  eine  silberne  Spitze  zu  einem 
Rock. 

Eiu  Armoisiu -Schleier  mit  einer 
Spitze  darum. 


♦)  Armoisiu  ist  bekanntlich  eine  Art  ganz  dünner  Taffet. 


Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen- 
Klosters  und  Stifts  zum  „Heiligen-Grab e"  bei 
Wilsnack  in  der  Priegnitz. 

Aus  urkundlichen  Quellen  zusammengestellt 

von 

Emil  von  Maltitz,  Major  z.  D. 


Vorgeschichte. 

Es  war  im  4.  und  5.  .lahrhuiulert  nach  der  Geburt  unsers  Herrn, 
als  in  unsenn  deutschen  Volke  das  merkwürdige  Bewegen  und  Hegen 
sich  kund  gab,  was  wir  in  der  Geschichte  mit  dein  Namen  der  „  Völ  ker- 
wanderung"  bezeichnen.  Grosse  und  zahlreiche  deutsche  Völker- 
schaften erhoben  sich  aus  ihren  Sitzen  und  zogen  dem  fernen  Westen 
und  Süden  zu. 

Auf  diesen  Wegen  begegnete  ihnen  das  Kreuz,  die  Predigt  von  dem 
Weltheilande,  von  der  Versöhnung  und  Erlösung  der  verlorenen  Mensch- 
heit und  anbetend  sanken  sie  nieder  vor  dein  gottseligen  Geheimnis, 
da ss  Gott  geottenbaret  ist  im  Fleische.  Die  wandernden  Deutschen  werden 
Erben  des  römischen  Keiches  und  zugleich  des  Christentums. 

In  die  von  den  Deutschen  verlassenen  (fegenden  drängte  von  Osten 
her  ein  anderer,  grosser  Volksstamm  —  die  Slaven  —  nach.  Wirtinden 
sie  unter  verschiedenen  Namen  das  bisherige  deutsche  Land  bis  zur 
Elbe  und  Saale,  bis  zum  Fiehtelgebirge  und  den  Böhmer- Wald  einnehmen. 
Westwärts  von  Elbe  und  Saale  sass  der  mächtige  deutsche  Volksstanim 
der  Sachsen,  der  seine  heimischen  Sitze  nicht  verlassen  hatte,  der  auch 
noch  festhielt,  am  angeerbten  germanischen  Heidentum.  Die  Kriege  und 
Fehden,  welche  in  den  Grenzgebieten  zwischen  Slaven  und  Sachsen  statt- 
gefunden, verlieren  sich  in  ein  unerhellbares  Dunkel.  Erst  mit.  Karl 
dem  Grossen  beginnt  für  diese  Gebiete  und  die  sie  bewohnenden  Völker- 
schaften die  geschichtliche  Zeit. 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen  Klosters. 


37 


Nachdem  dieser  mächtige  Fürst  die  Sachsen  in  langwierigen  Kriegen 
unterworfen  hatte,  legte  er  an  den  deutschen  Ostgrenzen  verschiedene 
Marggrafschaften  an,  in  der  Absicht,  das  Volk  der  Slaven  allmählig 
zu  unterwerfen  und  zu  Christen  zu  machen.  Die  Anfänge  zu  diesem 
Werke  gingen  in  den  unruhigen  Zeiten  der  Karolinger  zu  Grund«1.  Erst 
Heinrich  I.,  aus  dein  Stamme  der  Sachsen,  nahm  das  Werk  Karl  des 
(i  rossen  wieder  auf. 

Dem  sächsischen  Volksstamme,  der  unter  allen  deutschen  Stämmen 
sein  germanisches  Gepräge  rein  bewahrt,  und  zugleich  das  Christentum 
am  tiefsten  erfasst  hatte,  fiel  die  grosse  Aufgabe  zu,  «lie  einst  deutschen 
—  jetzt  mit  Slaven  bevölkerten  Gebiete  für  das  deutsche  Wesen  wieder 
zu  gewinnen  und  zugleich  das  Christentum  in  diese  Gegenden  zu  ver- 
pflanzen. Diese  grosse  Aufgabe  brachte  das  Volk  der  Sachsen  in  jahr- 
humlertlanger,  schwieriger  Arbeit,  in  Kämpfen  und  Ringen  —  auch  im 
Dulden  und  Leiden,  zu  Stande. 

Zunächst  wurden  hierbei  die  Slaven  nach  hartnäckigem  Kampfe 
unterworfen;  alsdann  wurden  in  den  unterworfenen  Gebieten  Bisthümer, 
Kirchen  und  Klöster  gegründet,  als  die  Pflanzstätten  des  Christentums. 
Priester  und  Mönche  missionierten  unter  den  unterworfenen  Völker- 
schaften. Wie  die  Missionare  den  Kriegern,  so  folgten  den  Missionaren 
deutsche  Kolonisten,  das  Land  bebauend  und  deutsche  Kultur  verbreitend. 

Nach  einigen  Jahrhunderten  zählen  wir  in  der  Mark  3  Bistümer: 
Havelberg,  Brandenburg  und  Lebus  mit  einer  zahlreichen  Domgeistlich- 
keit;  eine  grosse  Menge  von  Kirchen   mit  zahlreicher  Priesterschaft: 
gegen  cO  Klöster  mit  etwa  2000  Insassen.    Von  diesen  Klöstern  sagt  . 
Spieker  in  seiner  Kirchengeschichte  der  Mark  Brandenburg: 

„Die  Mönche  haben  die  errettende  Lehre  des  Christentums  mit 
„Aufopferung  und  Lehensgefahr  unter  wilde  Völker  verbreitet 
„und  der  Kirche  viele  treffliche  Lehrer  und  treue  Hirten  erzogen." 

Wenden  wir  uns  nach  diesem  Blick  auf  die  allgemeinen  Verhält- 
nisse der  Mark  zu  der  Landschaft  derselben,  in  welcher  das 

„Kloster  zum  Heiligen-Gra be" 
gegründet  wurde  —  zur  Priegnitz. 

Nächst  der  auf  dem  linken  Ufer  der  brandenburger  Elbe  gelegenen 
Altmark  ist  die  Priegnitz  der  älteste  Teil  der  prenssischen  Monarchie. 
Auch  die  Priegnitz  war  von  Slaven  besetzt,  hier  den  Namen  „Pritzencr" 
trugen,  von  welchen  das  Land  vermutlich  auch  seinen  Namen  trägt.  In 
früherer  Zeit  wurde  die  Priegnitz  häutig  „Land  IIa velberg"  genannt, 
weil  «1er  grösstc  TVil  derselben  im  Besitz  der  Bischöfe  von  Havelberg, 
un<l  diese  Stadt  die  hervorragendste  der  Landschaft  war.  Auch  findet 
sich  häufig  der  Name  „Die  Vormark",  weil  die  Priegnitz  von  der 
Altmark  aus  die  vorderste  Mark  im  alten  Wendenlamle  war.  Der 
Name  ,,Priegnitz,{  scheint  erst  seit  dem  vorigen  Jahrlmmlert  ausschliess- 
lich herrschend  geworden  zu  sein. 


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38 


Emil  von  Maltitz,  Major  z.  D. 


Am  linken  Ufer  der  Elbe,  dem  Priegnitzer-Lande  gegenüberliegend, 
hatte  Heinrich  I.  im  Jahre  927  die  Mark  „Nord-Sachsen"  gegründet. 
Sie  sollte  eine  starke  Wacht  des  deutschen  Reiches  gegen  den  slavischen 
Osten  sein.  Unter  dem  grossen  Sohne  des  Königs  Heinrich  —  dem 
Kaiser  Otto  I.  —  wurde  von  hier  aus  die  Unterwerfung  und  Christiani- 
sirung  des  slavischen  Grenzgebietes  —  der  Priegnitz  —  ernstlich  in 
Angriff  genommen.  Otto  ernannte  den  mächtigen  und  energischen  Gero 
zum  Markgrafen  der  Nordmark  und  gründete  im  Jahr  939  im  Lande 
der  Pritzener  —  in  Havelberg —  ein  Bistum.  Die  Stiftungs-Urkunde 
wurde  von  Otto  erst  am  9.  Mai  946  vollzogen. 

„Im  Namen  der  heiligen  und  unteilbaren  Dreieinigkeit  Otto 
„durch  Gottes  Güte  König." 

„Weil  es  der  christlichen  Gottesverehrung  würdig  ist,  dass 
„Wir  Uns  für  die  Ausbreitung  des  Glaubens  bemühen,  so  gründen 
„Wir,  indem  Wir  den  allein  vor  Augen  haben,  welcher  kein 
„gutes  Werk  unvergolten  lässt,  auf  Rath  und  Veranlassung  des 
„Uns  geliebten,  ehrenwürdigen  Oberpriesters  Mariuus,  des  Ge- 
sandten der  römischen  Küche,  und  des  Erzbischofs  Friedrich, 
„anderer  Bischöfe  und  Unseres  Bruders  Bruno  und  des  Gero, 
„unsers  geliebten  Markgrafen,  in  der  Burg  Havelberg,  welche 
„in  jenes  Mark  gelegen  ist  —  zur  Ehre  des  Herrn  und  Heilandes 
„Jesu  Christi  und  seiner  heiligen  Mutter  Maria,  einen  bischöf- 
lichen Sitz,  indem  Wir  ihm  den  ehrwürdigen  und  frommen 
„Oberpriester  Oudo  zum  Vorsteher  geben." 

Das  neue  Bistum  wurde  von  seinem  kaiserlichen  Stifter  mit  reichen 
Gütern  und  Gerechtsamen  ausgestattet,  die  sich  in  der  erwähnten 
Urkunde  aufgeführt  finden. 

Der  Bischof  und  seine  Kleriker  waren  Missionare.  Sie  durch- 
zogen, das  Evangelium  verkündend,  die  unwirtlichen  Gegenden  der 
Priegnitz  und  der  angrenzenden  Gebiete.  Aber  nur  die  Furcht  vor  der 
Obmacht  des  deutschen  Kaisers  konnte  den  Bischof  Udo  und  seine 
Priester  gegen  die  Rache  des  über  den  Verlust  seiner  Selbstständigkeit 
erbitterten  Volkes  schützen.  Als  Kaiser  Otto  aber  nach  Süddeutschland 
gezogen  war,  um  die  dort  hausenden  Ungarn  zu  züchtigen,  da  loderte 
der  verhaltene  Hass  der  Prizaner  gegen  Christentum  und  Deutschtum 
in  hellen  Flammen  anf.    Das  neue  Bistum  geriet  in  die  grösste  Gefahr. 

Nachdem  Otto  die  Ungarn  im  Jahre  955  auf  dem  Lechfelde  besiegt 
hatte,  eilte  er  schnell  mit  einem  Heere  an  die  Nordost-Grenze  seines 
Reiches  In  der  Nähe  von  Wittstock  brachte  er  in  Gemeinschaft  mit 
dem  Markgrafen  Gero  von  der  Nordmark  den  Prizancrn  samt  den  mit 
ihnen  verbündeten,  benachbarten,  slavischen  Völkerschaften  eine  empfind- 
liche Niederlage  bei. 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen- Klosters. 


39 


Durch  geheime  Boten  wurden  alle  wendischen  Völkerschaften  an 
dem  rechten  Elbufer  zum  Aufstande  gegen  die  deutsche  Herrschaft  auf- 
gefordert.   Es  begannen  langjährige,  erbitterte  Kämpfe. 

Da  man  das  Christentum  als  ein  Mittel  zur  Unterdrückung  ansah, 
so  wandte  sich  der  Hass  der  Aufständischen  vornehmlich  gegen  die 
Bistümer  und  Klöster. 

Am  28.  Juni  983  wurde  die  Stadt  Havelberg  überfallen,  die  Burg 
erobert,  die  kaiserliche  Besatzung  niedergemacht,  die  Kirche  verwüstet, 
und  der  Ort  angezündet.  Gegen  die  Christen  wurden  ohne  Unterschied 
des  Alters  und  des  Geschlechts  die  abscheulichsten  Frevel  verübt.  Der 
erste  Bischof  von  Havelberg  -  Udo  —  fand  mit  den  meisten  Priestern 
an  diesem  Schreckenstage  seinen  Tod.  Sie  besiegelten  ihr  christliches 
Bekenntnis  mit  ihrem  Blute. 

Später  wurden  zwar  die  Slaven  durch  den  Herzog  Bernhard  von 
Sachsen  genötigt,  die  zerstörten  Kirchen  im  Wendenlande  wieder  herzu- 
stellen, aber,  da  dieser  Fürst  in  einen  Streit  mit  dem  Kaiser  verwickelt 
wurde,  brachen  die  gegen  Christentum  und  Deutschtum  erbitterten  Slaven 
von  neuem  los. 

Von  Hamburg  bis  weit  über  Havelberg  hinaus  wütete  der  Aufstand. 
Alle  Güter  der  Deutschen  wurden  verwüstet,  die  Kirchen  dem  Erdboden 
gleich  gemacht,  die  Kreuze  geschändet,  die  Priester  gemordet,  die  Ge- 
fangenen in  wildem  Jubel  zu  Tode  gequält. 

Die  Götzenaltäre  wurden  durch  das  Blut  christlicher  Priester 
geweiht. 

In  allen  Landen  vom  rechten  Elbufer  blieb  keine  Spur  vom 
Christentum. 

Die  deutschen  Kaiser  dieser  Zeit  waren  durch  den  Kampf  mit  den 
Päbsten  —  überhaupt  durch  die  italienischen  Angelegenheiten  —  so  in 
Anspruch  genommen,  dass  sie  den  bedrängten  Ostgrenzen  des  Reiches 
keine  Hilfe  bringen  konnten.  — 

So  ist  auch  in  unsere  Mark  die  Saat  des  Christentums  aus  dem 
Blut  der  Märtyrer  erwachsen.  Die  cluistlichc  Kirche  ist  unter  harten 
Kämpfen  geboren,  kann  sich  nur  durch  Kampf  behaupten,  kann  nur 
durch  Leiden  und  Dulden  vollendet  werden. 

Diese  Wahrheit  predigt  auch  die  Geschichte  der  Einführung  des 
Christentums  in  unsern  Marken. 

In  jener  schweren  Kampfeszeit  bestand  zwar  das  Bistum  Havelberg 
dem  Namen  nach  fort,  aber  die  Bischöfe  konnten  sich  in  ihrem  Sprengel 
nicht  behaupten.  Durch  anderthalb  Jahrhunderte  finden  wir  die  Bischöfe 
von  Havelberg  an  dem  Hofe  des  Erzbischofs  von  Magdeburg,  dem  das 
Bistum  Havelberg  unterstellt  war.  — 

Endlich  fanden  die  empörten  Slaven  ihren  Bändiger  in  dem 
Markgrafen  Albrecht  den  Bären  aus  dem  Hause  der  Anhaltiner, 


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40 


Emil  von  Maltitz,  Major  %.  V). 


dem  die  Nordmark  im  Jahre  1133  vom  Kaiser  Lothar  verliehen 
wurde. 

Nun  erst  begann  das  Werk  der  Germanisiemng  und  Christianisie- 
rung der  Priegnitz,  wie  überhaupt  der  Mark  Brandenburg,  mit  dauern- 
dem Erfolge. 

Auch  das  Bistum  Havelberg  wurde  wieder  hergestellt.  Zu  jener 
Zeit  sass  Norbert,  der  berühmte  Gründer  des  Prämenstratenser-Ordens, 
auf  dem  bischöflichen  Stuhl  von  Magdeburg.  Dieser  ernannte  seinen 
Freund,  den  Magdeburger  Domherrn  Anselm  zum  Bischof  von  Havel- 
berg. Anselm,  der  in  nahem  Verhältnis  zu  den  Kaisern  Lothar  und 
Conrad  III.  stand,  und  zu  wichtigen  diplomatischen  Sendungen  benutzt 
wurde,  widmete  sich  doch  auch  mit  Eifer  seinen  bischöflichen  Pflichten, 
besonders  seit  er  sich  mehr  vom  Hofleben  zurückzog. 

Der  Abt  Wibold  von  Corvey  war  sein  Freund,  mit  dem  er  in  dem 
frömmsten  Briefwechsel  stand. 

Gestützt  auf  die  Macht  des  befreundeten  Kaisers  und  des  Mark- 
grafen Albrecht,  stellte  Anselm  die  in  den  langen  Kriegen  verwüsteten 
Kirchen  wieder  her,  gründete  Klöster  und  rief  deutsche  Kolonisten  in 
das  Land.  Anselm  wurde  1155  Erzbisehof  von  Ravenna.  Das  Werk, 
welches  er  begonnen,  wurde  unter  dem  Schutze  der  anhaltinischen 
Fürsten  von  seinen  Nachfolgern  auf  dem  bischöflichen  Stuhle  fortgeführt. 
An  den  Ufern  der  Elbe  folgte  auf  eine  Zeit  langwieriger  blutiger  Kriege 
eine  Zeit,  stiller,  gesegneter  Arbeit. 

Unter  den  zahlreichen  Klöstern,  die  unter  den  Anhaltinern  in 
der  Mark  entstanden  und  von  welchen  aus  das  Werk  der  Gerinanisierung 
und  Christianisierung  unter  dem  Slavenvolke  vollendet  wurde,  befindet 
sich  auch  das  Cistercienser  Nonnenkloster  „Zum  Heiligen- 
GrabeM,  zu  dessen  Geschichte  wir  nunmehr  übergehen. 

Die  Quellen,  welche  zur  Entwerfung  eines  Geschichtsbildes  unseres 
Klosters  zur  Verfügung  stehen,  sind  sparsam. 

Tn  den  Stürmen  des  d reissigjährigen  Krieges  sind  die  meisten 
Urkunden  verloren  gegangen.  Wir  können  uns  daher  nur  auf  Nach- 
stehendes beschränken. 

Das  Cistercienser  Jungf  rau en-K lostor  zum  „Hei  II  gen -Grabe" 

bei  Techow  in  der  Priegnitz. 

Das  Blut,  welches  aus  geweihten  Hostien  hervorquoll,  wenn  diese 
gemissbraucht  oder  misshandelt  wurden,  und  welches  hernach,  zum 
Gegenstande  frommer  Verehrung  und  Anbetung  gemacht,  wunderthätig 
wirkte,  hatte  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  in  der  Bischöflich 
Brandenburgischen  Diöcese  schon  zur  Errichtung  von  2  Wallfahrts-Orteu 
Veranlassung  gegeben. 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen-Klosters. 


41 


Im  Jahre  1247  entstand  zu  Belitz,  im  Jahre  1249  zu  Zehdcnick 
ein  solcher  Quell  wunderthätiger  Kraft,  und  am  letztern  Orte  führte 
uns  die  Stiftung  des  dortigen  Cistercienser  Nonnen-Klosters  herbei,  damit 
das  Heiligtum  von  jungfräulicher  Hand  in  würdiger  Weise  aufbewahrt 
werde.  In  dem  Bischöflich  Havelbergischen  Stiftssprengel  fehlte  es  da- 
mals, ausser  dem  Stifte  Stevenitz  an  solchen  Heiligtümern  und  Wall- 
fahrtsorten, da  das  heilige  Blut  zu  Wilsnack,  welches  hernach  der  be- 
rühmte Wunderquell  dieser  Art  wurde,  erst  viel  später  seinen  Anfang 
nahm.  Bald  aber  gab,  wie  die  Legende  berichtet,  die  Frevelthat,  welche 
ein  Sächsischer  Jude  an  einer  aus  der  Kirche  zu  Techow  gestohlenen 
Hostie  verübte,  in  diesem  Dorfe  solchem  heiligen  Blute  und  mittelbar 
dadurch  dem  Kloster 

„zum  Heilige  n-Grabett 

den  Ursprung. 

Die  Legende  wird  mit  einigen  andern  Nachrichten  von  diesem 
Kloster  von  Hindenberg  in  Bernollrs  Sammlungen  von  Reisebesrhrei- 
bungen  Bd.  VI  und  VII,  in  Hey's  handschriftlicher  Geschichte  der  Stadt 
Pritawalk,  welche  letztere  in  der  Königl.  Bibliothek  zu  Breslau  auf- 
bewahrt wird,  sowie  in  Klödcn's  Werke  „Die  Quitzow  und  ihre  Zeit", 
Teil  III,  87,  mehr  oder  weniger  nach  modernem  Geschmacke  aus- 
geschmückt, erzählt. 

Hier  möge  die  Erzählung  in  den  Worten  Platz  finden ,  womit  ein 
altes  noch  aus  der  Zeit  vor  der  Reformation  herrührendes  Werk  den 
Vorfall,  der  zur  Stiftung  des  Klosters  Veranlassung  gab,  in  altertüm- 
licher, einfacher  Form  überliefert. 

Dies  Werk  wurde  1516  in  lateinischer  Sprache,  1521  in  deutscher 
Sprache  bei  Ludwig  Dietz  in  Rostock  gedruckt,  und  in  vielen  Exemplaren 
von  dem  Geistlichen  verbreitet.  Dennoch  ist  es  so  selten  geworden,  dass 
in  keiner  zugängig  gewesenen  Bibliothek  noch  ein  Druck-Exemplar  zu 
finden  war,  und  nur  eine  in  der  Königlichen  Bibliothek  zu  Breslau  auf- 
bewahrte, im  Jahre  1679  angefertigte  Abschrift  in  den  Stand  setzte,  dies 
altertümliche  Schriftstück,  um  dasselbe  hierdurch  zugleich  zu  erhalten, 
hier  mitzuteilen: 

„De  wisslike  Gelowe,  so  dicke  unde  vaken  de  van  den  ungclo- 
„vigen  bekört  wert,  So  wert  he  dennoch  nicht  dardoch  (wo  se 
„verhopen)  vorringert,  ed  dir  verschwekket,  Sünder  vulmer  unde 
„alle  tyt  mit  groten  billigkeit  vorlüchtet,  dat  mannigerley  Wyse 
„befunden  unde  sünderlich  durch  eynen  Jeden  van  Fryberg,  ut 
„dem  Lande  tu  myssen;  welker  allersnödeste  Jude,  alse  de  ge- 
„herberget  ward  in  enem  dorpe  Techow  genand,  belegen  in  dem 
„Stichte  to  Havelberg,  nnnen  de  Herrstop  des  dorchlüchtigesten 
„hochgebornen  Forsten  unde  Herrn,  Herrn  Jochens,  des  heilligen 
„Römischen  Richs  Ertzkamraerers,  Kurfürsten  Marg  Grafen  to 


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Emil  von  Maltitz,  Major  z.  D. 


„Brandenborg  etc  an  ejnem  Frydage  na  der  hilligen  himmelfart, 
„Christi  unsere  Herrn  in  dein  Jare  dusend  twehundert  unde 
„Söven  unde  achtentich,  in  de  naclit  dess  filfftcn  frydags,  also 
„he  sick  vennoden  was  goder  tyt  to  synein  böfen  vornehmen, 
„so  öpente  he  de  Kereken  darsülves,  unde  stall  trefliken  daruth 
„dat  werdige,  hillige  Sacrament  mit  dem  Kresem,  unde  gedachte 
„ylend  darmet  to  Prisswalk  (hv  euer  Myle  weges  van  dar  be- 
„legen)  to  lopende.  to  etliken  synes  Gelowes  darfülves  wohu- 
„hafftig.  Owers  dem  allweldigen  behagede  nicht  also  syn  holsker 
„Vornehmcnt,  wurte  aljs  he  gar  geringes  weges  unde  doch  mit 
„groter  Swarheit  van  dein  dorp  gekamen  was,  do  wart  he  dorch 
„Gottlicke  Straffe  so  harte  met  euer  S waren  borde  heladen,  dat 
„he  nich  forder  kamen  konde,  sondern  muste  under  ener  Eyken 
„(noch  hüte  dages  yn  dem  wege  stahnde)  rouven.  Alse  avers 
„darna  de  sulffte  Jöde  was  to  syk  siilvers  gekamen,  nnde  gar 
„nouve  enese  stenworp  weges  vort  gegahn  was,  so  quam  he  an 
„enen  See,  bye  wolcher  etz  eyne  Galge  stunt,  darna  ehn  mann 
„gehangen,  unde  darbaven  ehn  Kad,  darup  he  gestott  unde  gelegt 
„was,  in  welkeren  der  heden  Middele  de  Jöd  ehno  Kuhle  makete, 
„darinn  he  dat  hillige  Sacrament  (So  he  to  vorne  in  Klein  Stücke 
„wreef)  lede,  unde  herackede  dat  darsülves,  unde  lepe  dar  van 
„(met  groten  torchten,  na  Prysswalk,  sik  vaken  umbsehende, 
„unde  quam  also  heu  na  Prysswalk,  doch  also,  das  syne  hostike 
„daet,  dorch  den  Gottlichen  Willen  vormiddelss  synen  henden 
„de  gantz  unde  met  alle  blodig  weren)  beteykent  ward.  So 
„nun  de  leonis  lüde  offlte  housvolck  yn  dem  dorpe  des  morgens 
„up  den  Kirchhoff  kamende,  de  Kereken  upgebraken  sehgen,  ock 
„theyken  dat  dat  hillige  Sacrament  gestohlen  was,  do  worden 
..se  alle  seer  vorschrecket  unde  bedrövet;  unde  so  see  avers  er- 
koren, dat  in  de  vergangenen  Nacht  ehn  Jöde  in  dem  Kroge 
„geherberget  hadde,  de  met  blodigen  bänden  na  Prysswalgk  ge- 
„lopen  was,  so  sümende  se  nich  lange,  sundern  lupen  unde  fol- 
„geden  ylends  im  groten  thorm  so  lange,  dat  see  en  funden  to 
„Prysswalgk,  met  annern  Joden  sittende  unde  Spraken  hollende, 
„De  Buren  frageden  den  Jöden  unde  beden  en,  ümme  de  Geschieht 
„to  openbaren  unde  bekennen,  vermachten  overs  nich  en  jengger- 
„ley  wyse  darben  to  bryngen,  dat  he  en  wolde  de  warheyt  seggen, 
„offte  he  des  jehm  were,  de  sodahne  öveldath  begahn  hed<le.tt 

„Se  gyngen  to  Rade  unde  weren  alle  enes  sinnes,  den 
„Missdeder  met  stide  to  vorvorsken,  so  was  dar  ehn  borger, 
„an<lechtigen  goden  levendes,  de  tarede  em,  dat  he  sick  wolde 
„laten  em  Platten  skeren,  unde  gantz  to  bereden,  alls  en  Preester 
„unde  ock  Preestern  Kleeder  anthoen,  Welcker  een  Jöden  met 


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Zur  Geschieht«  des  Cistercienser  Jungfrauen  Klosters. 


43 


„söten  Worten  anqvam  un  bath  ein,  doch  den  eversten  Gott,  de 
„loef  unde  Grass  geschapen  hebbe,  ock  durch  leve  der  Oltvädere 
„des  Jödescken  Voleks,  dat  he  emme  doch  mochte  de  Warheit 
„seggen,  denn  he  möchte  dat  ane  allen  forchten  dhoen,  he  seghe 
,jo  woll,  dat  hei  elin  Preester  were,  de  jümmers  dat  jene,  wat 
„in  de  Bycht  gesegt,  by  Strafte  lives  unde  Godes  vermöge  de 
„Geestliken  Rechte  nich  melden  moste.  De  Jöde  wart  dorch  de 
„söten  Wörde  det  falsken  Preesters  beweget,  unde  gyngk  met  ein 
„an  den  Ort,  dar  he  det  billige  Sacrament  begraben  hädde,  doch 
„wolde  he  em  dat  nich  met  synen  Kynghern  odder  hovende 
„wysin,  odder  führ  etlicken  maten  antögen,  sondern  met  synen 
Jachtern  Volke  flott  he  darupp  unde  sprak: 

„Hie  ligt  jouwe  God!" 
„De  Jöde  wosste  nicht  de  behendichoyt  det  falschen  Preesters, 
„unde  wart  also  dorch  syne  lyst  bedragen  unde  to  stund  van 
„den  baren  (de  sick  in  dem  busk  verborgen  hadden)  angeyrepen, 
„unde  vort  in  Gefengniss  gevort,  dar  he  syne  Missedad  bekennen 
„musste.  An  dem  dage,  dar  he  scholde  verordelt  werden,  dar 
„quam  da  vele  grotes  solopes,  de  Richters  Spraken  ehn  billich 
„ördel,  dat  de  Jöde  scholde  pynliken  geradebraket  werden  to 
„enem  byspöl  offte  Exeinpel  der  groten  ummildicheyt,  de  he  be- 
„begahn  hadde.  Alse  nun  de  Jöde  dem  smeliken  dod  geleden 
„hadde,  so  wart  dat  hyllige  Sacrament  yu  der  mathen,  also  dat 
„was  vn  klene  stücken  towreven  van  den  Preestern  vn 
„groter  Versammlynge  det  jnnigen  Voleks  upgehaven,  unde  de 
„grötesten  dele  rotfarff  vans  blöde  in  ebnen  fedderkyhl  bewart, 
„also  de  kleensten  dele  yn  enem  roden  syden  dok  gewunnen, 
„doch  nit  so  gar  eygenlik,  dat  de  Gottheyt  darvon  off  gefunder 
„het,  alssdenn  dat  sülvers  van  euer  frawen,  van  dem  höfen 
„Geeste  heseten,  dorch  etliche  hillige  Zegeninge  ervahren  und 
„openbahre  tüchnisse  gebort  wart,  dat  welke  ghar  kleyne,  offryss 
„dargebleven,  so  man  gar  nouve  hedde  erkennen  möghen ,  in 
„welkeren  doch  nich  weynigher  derGotheyt  dran  yn  dem  andern 
„were,  unde  ock  nich  weniger  in  dem  bröckesken,  denn  in  dem 
„gantzen,  unde  ahn  allen  twifel  unde  bedroch  de  wahe  Gott  von 
„den  hilligen  Engeln  geehret  und  gelavet  alle  tyd  dar  were. 
„Unde  dat  ist  de  erste  Ursprung  des  Klosters  unde  Ordens, 
„welkeren  ock  to  stunde  hehhere  erluchtet,  de  mannichvoldich- 
„heit  der  Mirakel  dat  men  de  alle  met  der  Körte  nich  ver- 
bellen kan.a 

„Overs  de  Kirchherr  to  Prysswalgk  to  der  sülfften  tyt  (her 
„Werner  genant.)  de  dat  hillige  Sacrament  also  in  der  blodigen 
„Gestalt,  wo  dat  gefunden,  geweldichlichen  weggenamen  hadde, 


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Emil  von  Maltitx,  Major  z.  D. 


„behelt  dat  ehn  Jahr  lang  yn  Yorhopeninge ,  dat  yt  darsülver 
„ock  theken  dhon  scholde,  dannit  he  dorch  besökinge  der  Pel- 
„grinnen  rike  werren  möchte,  Avers  dar  geschegen  keynerley 
„theken  odder  Myrakel,  sunder  allem  an  der  vorigen  stede,  dar 
„dat  gefunden  war,  dar  de  Wundertheken  nich  affleten." 

„Also  beghaff  et  sick,  das  Bisohop  Hinrich  tho  Havel  borg 
„wolde  yn  Prysswalgh  ryden,  de  och  nich  alto  vele  gelevede  der 
„nyen  geschichte,  unde  dewyl  he  Untrüwelick  daroon  gedachte, 
„so  befeel  he  inet  froarer  unde  groter  Krankheyt,  dat  men  cm 
„musste  van  den  Pferde  hören  und  up  de  Erde  legen,  darup  he 
„dat  hillige  Sacrament  an  unde  lavede,  dat  to  hesöcken,  unde 
„to  stunde  an  wart  he  widder  gesund." 

„Als  ho  övers  dat  nich  allein  besochte,  sunder  ock  dem 
„Yolck,  dat  ungefehrlick  dar  was,  de  Mirakel  van  dem  Bredigstohl 
„verkündigen  wolle,  so  ward  end  van  dem  hem  met  getöget  de 
„hyllioheit  der  stede,  wente  he  haven  dem  Graven  up  de  sülfften 
„Stede  den  han  met  open  Sack,  dardorch  he  myt  so  velen  innighen 
„trauen  hegoten  ward,  dat  he  ehn  wort  nich  spoken  konde, 
„sunder  bevohl  synen  Cappellan  allent  wat  ein  bejent  was,  dem 
„Yolcke  to  open  hahrende:  Van  de  tyt  an  was  de  Bischop  der 
„hilligen  Stede  to  gedhan,  unde  gehod  ernstlyken  dem  Kerckherrn 
„to  Prysswalk,  dat  he  das  hyllige  Sacrament  in  der  Gestalt,  wo 
„he  dat  wegghenamen  hedde,  scholde  werlder  overgeven.  Dat 
„he  denne  (we  wol  inet  Unduldichevt)  dede  unde  met  groten 
„Ehre,  unde  bernenden  Kersszen,  di  dorch  nyum  Unstymieheyt 
„des  Weders  mochten  utgelöschet  werden,  an  dat  Ende,  da  dat 
„erste  gehabt,  wedder  hengebracht  word. 

„Id  beghaflf  sick,  dat  de  dorchluehtige  hochgebohrne  fforste, 
„herre  Otte  Marggraff  to  der  tyt  yn  der  Ukermarke,  dorch  syne 
„Rederd  unde  havedenerers  angeherdet  unde  von  dar  togeraden 
„wart,  dath  yd  hether  were  unde  seer  nütte  scholde  syn,  dar- 
„sülvers  an  den  Ort  ehn  slott  to  legende,  dot  dem  gantzen  lande 
„darsülvers  met  syn  möchte,  Dorch  wolkum  Rath  unde  Anter- 
„dinge  des  Synen  he  beweget  ward  unde  gantz  geneget,  dat  he 
„de  Stede  to  eynen  slote  wolde  bruken  laten,  dat  ok  also  ge- 
„schegen  wird,  wo  ein  de  Göttlicke  Wille,  nich  widderstahn 
„hedde.  So  beghaff  yd  sick  dat  he  darum  länger  rette  de  Stede 
„to  besehende,  unde  so  he  denne  a vormals  von  synen  Rederern 
„unde  denern  angeröget  wart,  dat  nich  nütte  syn  scholde  ehm 
„Geestlike  Stede  an  dem  sülfften  Ort  to  loggende  don  befohl  he 
„etliken  synen  denerern,  de  finen  dish  plegeu  to  besorgunde, 
„unde  och  andern,  den  dat  mede  helwede,  dat  se  alle  dat  offer, 
„dat  se  das  fundennemm  unde  darran  ene  gode  Maleltyt  to  be- 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen-Klosters.  45 

„neydeii  scholden,  yn  ema  dorne,  dar  benaven  belcgeu,  Manekmus 
„benennet,  wenn  er  hena  gvesser,  dat  alsdenn  also  geskach,  Overs 
„so  he  niet  den  Synen  to  diske  sat,  unde  angericht  was,  so  wart 
„alle  de  Spise,  (bede  gesoden  unde  gebraden)  to  Blöde,  nnde  so 
„man  dat  tum  andermahl  besochte  unde  up  dat  nye  anrichtete, 
„So  geschach  yd  avennabls.  Also  derhalveu  de  framdfförste 
„gar  sehr  verskrack,  unnde  vul  inet  den  Synen  up  ere  Knee,  unde 
„bededen  den  Allmäclitigen  God  üinine  Gnade.  De  Here  lavede 
„by  synen  Treu  wen,  so  an  de  all  weidige  God  gefund  van  dar 
„liülpe,  so  wolde  be  de  Stede  sülvers  inet  ynnicbeyt  besöben, 
„unde  darsttlves  eyn  Kloster  bawen. 

„Als  he  nun  inet  groten  Auxte  yn  euer  Nacht  betrachtede, 
„wat  mathe  he  dat  Kloster  wolde  buwen,  so  quam  ein  eyne 
„Stimme  van  dem  heinmele,  dat  he  siek  man  uninütte  bekümmerde, 
„denn  yd  were  van  Anbeginn  der  Welt  geordnet,  unde  uthgesegen, 
„dat  een  Jungfruwen  Kloster  an  dem  Orde  stahn  scholde  Cister- 
„cien  Ordens,  mit  graven  Kappen  gekledet,  alse  sünte  Bera- 
„hardus  gedragen  hadde,  ander  der  Regulen  S.  Benedicti.  Alse 
„nun  de  fforst  durch  soleke  Vorkündinge  des  Klusters  Stiebtinge 
„erinnert  ward,  so  bad  he  de  Ebdissin  to  Nyendorp  dat  se  ein 
„twelff  Jungfruwen  uth  crem  Kloster  skieken  wolde,  unde  wes- 
„voll  se  dat  sülffk  dem  forsten  nicht  weygeren  wolde  edder 
„mochte,  so  gedachte  se  ein  doch  twelff  de  aller  unnöttesten  to 
„skickende,  derhalveu  se  yn  volgender  Nacht  gar  swarliken  durch 
„Göttlike  Geschichte  gestraffet  word,  dardorch  se  denn  bewoget 
„ward,  dat  se  sülver  inet  eylff  andern  Jungfruwen  an  dem 
„Orte  tog,  unde  dem  All  weidigen  (rode  darsülvers  met  erend 
„y  innigen  Geheder  unnde  Wcrcken  de  dage  erer  levens  denede. 
„An  weichern  Orthe  datsülffte  Kloster  gebuwet  ward,  dar  inen 
„noch  dat  sülffte  hyllige  Sacrament  so  blodig  yn  enen  Crystalleu 
„yn  sv den  doch  hylligliken  toget." 

„Welkere  Stede  ock  to  dysser  ty dt  und  by  Regimente  det 
„dorchlüchtigsten  unde  hochgebohrnen  fförsten  unde  Herrn,  Herrn 
„Jochims  Marg-Craven  to  Brandenburg,  Korfforsten  etc  dorch 
„groten  tolop  veler  Pelgrimme  uth  ohrsacken  de  Myrakel  inet 
„Ynniehevt  heymgesoket  ward." 

Soweit  gebt  das  alt»*  Druckwerk:  dann  folgen,  die  Erzählung  an- 
^'liaulieber  zu  machen,  in  demselben  die  Abbildungen  einzelner  Scenen 
*li«*s*er  Legende,  wie  sie  am  Chor  der  heiligen  Grabes-Kapelle  zu  er- 
^Wii  sind. 

Die  Stiftuugs-Urkuudc  des  Klosters,  welche  ausgefertigt  sein 

S°H,  ist  nicht  erhalten;  auch  die  ersten  Besitzungen,  mit  welchen  das- 


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46 


Emil  von  Maltitz,  Major  z.  D. 


selbe  dotiert  ist,  sind  daher  nicht  mehr  bekannt.  Gewiss  aber  erhielt 
das  Kloster  bei  seiner  Stiftung  schon  den  Ort  Techow  durch  die  Frei- 
giebigkeit  des  Markgrafen.  Der  Bischof  von  Ilavelberg  soll  ihm  einige 
Besitzungen  in  der  Altmark  überwiesen  haben,  nämlich  Wende  mark 
in  der  altmärkischen  Wische,  2  Höfe  zu  Paris  und  die  Zehnterhebung 
von  einigen  Hufen  Landes  zu  Werben.  Die  letzteren  Güter  wurden  in 
der  Folge  zum  Teil  vielleicht  gegen  näher  und  bequem  gelegene  Be- 
sitzungen vertauscht,  zum  Teil  gehören  sie  bis  auf  die  heutige  Zeit  dein 
Stifte  an,  wie  der  Werbeifsehe  Zehent  und  einige  WVndeinark'sehe  Prä- 
stationen, die  1782  in  Erbpacht  ausgethan  sind.  Gegen  Ende  des 
13.  Jahrhunderts  Ritter  Yo  von  Königsmarck  und  Ritter  Degenhard 
von  Krackow  ihren  in  das  Kloster  aufgenommenen  Töchtern  eine 
Getreidehebung  aus  der  Mühle  zu  Papen brück,  welche  nach  dem  Tode 
dieser  Conventualinnen  zur  Vermehrung  der  Präbenden  dem  Stifte  ver- 
blieben. 

1306  hatte  das  Kloster  in  Folge  früherer  Erwerbung  das  Dorf 
Breiten  fei d  in  Besitz,  und  bewog  es  die  Markgrafen  Otto  und  Wal- 
demar, dem  Kloster  das  lehnsherrliche  Eigentum  für  60  Mark  Silbers 
zu  überlassen. 

Bald  hernach,  im  Jahre  1317,  kaufte  das  Kloster  vom  Markgrafen 
Waldemar  das  Dorf  K  ü  nie  kend  o  rf  mit  14  Wohnungen  für  506  branden- 
burgische Mark.  Nach  dem  hohen  Preise  zu  schliessen,  war  das  Dorf 
vorher  zu  den  unmittelbaren  markgräflichen  Besitzungen  gehörig  gewesen 
und  der  Lelmsbesitz  desselben  daher  nicht  schon  anderweitig  von  dem 
Stifte  erworben.  In  späterer  Zeit  wurde  «las  Dorf  wüst  und  erst  zwischen 
1747  unter  dem  Namen  „  K  ön  ckeudor  f"  wieder  aufgebaut. 

1318  erkaufte  das  Stift  von  Rutger  von  Bluinentlial  das  Dorf 
Hennickendorf,  einen  unter  diesem  Namen  jetzt  nicht  mehr  be- 
kannten Ort. 

Bald  darauf  erwarb  das  Kloster  von  der  Familie  von  Plaue  dan 
Dorf  Kemnitz.  Zwar  machte  ein  Vasall  derer  von  Plaue,  Namens 
Heinrich  Krämer,  noch  Ansprüche  auf  einige  Lehnstüeke  im  gedachten 
Dorfe:  doch  das  Kloster  Hess  ihn  vor  «las  geistliche  Gericht  des  Probstes 
zu  Wittstock  eitieren  und  hier  gab  Heinrich  Krämer  seine  Ansprüche  auf. 

6  Jahre  darnach  vereiguete  und  verkaufte  Markgraf  Ludwig  dem 
Kloster  eine  Wassermühle  zwischen  Breitenfeld  und  Lankonow, 
welche  schon  damals  die  „G  räv  e  n  dick  sin  ühle  M  genannt  wurde. 

1328  erwarb  das  Kloster  wiederum  im  Wege  des  Kaufes  ein  Dorf 
Namens  ,,  He\ d  clberg",  was  den  Gebrüdern  Johann  und  Friedrich 
von  Osterb urg  gehörte.  Viele  angesehene  Knappen  der  Umgegend 
verbürgten  sich  für  die  Rechtsbeständigkeit  dieses  Kaufes,  gegen  welchen 
das  Kloster  Einspruch  befürchtet  zu  haben  scheint.  Doch  besitzet  das 
Stift  noch  gegenwärtig  in  der  ,.Ileidelbergsmühleu,  welche  um  1381 


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Zur  Geschichte  des  Cislercienser  Jungfrauen  Klosters. 


47 


mit  besonderer  Genehmigung  derer  von  Blumenthal  angelegt,  und 
auch  mit  Gerechtigkeiten  auf  der  Blumentharschen  Feldmark  ausgestattet 
wurde,  ein  Überbleibsel  des  schon  in  alter  Zeit  eingegangenen  uud  mit 
Holz  bewachsenen  Dorfes  Heidelberg. 

CIn  einer  Urkunde  von  1350  ist  noch  eines  Schulzen  von  Heidelberg 
als  Zeuge  gedacht  in  der  Nähe  von  Blumenthal.) 

1339  kaufte  das  Kloster  die  Hälfte  des  Dorfes  Damelack  von 
dein  Lehnsbesitzer  desselben,  dem  Ritter  Arnold  Sack  uud  dessen 
Brüdern,  und  Markgraf  Ludwig  schenkte  in  demselben  Jahre  bei  seinem 
damaligen  Aufenthalte  zu  Pritzwalk  dein  Stifte  das  Eigentum  daran. 

1350  verkaufte  Junker  Coneke  von  Crusemark  dem  Probate 
uud  Convente  das  Dorf  Boltzic,  das  heute  „ßoltzke"  heisst. 

Um  dieselbe  Zeit  uberlicss  Joachim  von  Pinnow  und  dessen 
Mutter  dem  Kloster  das  Dorf  Vollmersdorf,  einen  nicht  mehr  be- 
kannten Ort. 

Damals  besass  das  Kloster  auch  schon  einen  Anteil  an  Wilmers- 
dorf; Markgraf  Ludwig  schenkte  ihm  das  Eigentum  daran  durch  Ver- 
mittelung  des  wahrscheinlichen  früheren  Besitzers,  eines  Knappen  Conrad 
von  Platen,  der  im  Stifte  eiuen  Altar  zu  Ehren  St.  Johannis  des 
Evangelisten  errichtet  hatte,  zu  dessen  Bewidmung  von  dem  Kloster 
6  Hufen  aus  dein  Dorfe  Wilmersdorf  unter  bischöflicher  Genehmigung 
ausgesetzt  wurden.  Im  Übrigen  besassen  Wilmersdorf  damals  noch 
die  von  Platen,  die  es  13Gb'  der  rittermässigen,  aus  dem  Braunsen  wei- 
bischen stammenden  Familie  Bogel  überliesseu,  durch  deren  Häude  das 
Dorf  später  ganz  an  das  Stift  gekommen  zu  sein  scheint. 

Bald  nach  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  wurde  auch  Bläsen- 
dorf von  dem  Kloster  erworben.  Ywan  von  Uetzdorf,  der  zwei 
Schwestern  in  dem  Kloster  hatte,  gab  davon  zuerst  1354  zehn  Hufen 
her.  Dann  wurden  die  der  Familie  von  Scheplitz  in  diesem  Dorfe 
zuständigen  Besitzungen  nach  Urkunden  von  1356  und  1397  vom  Stifte 
erkauft. 

1371  vereinigte  Markgraf  Otto  mit  dem  Kloster  das  Dorf  Klein- 
Woitersdorf,  dessen  Besitz  von  Henning,  Beteke  und  Vibianz 
v»n  Kirch berg  als  früheren  Lehnsträger  dieses  Dorfes,  erworben  war. 

1387  erlangte  das  Kloster  im  Wege  des  Kaufes  von  llenneke 
Scheplitz  und  von  Ilse  von  Quitzow  auch  Hebung  im  Dorfe  Sarnow 
und  einige  Jahre  hernach  erkaufte  es  von  den  Gebrüdern  von  Sacken 
oder  von  Kolrep  das  Dorf  Kohlrep.  Wegen  dieser  Besitzungen  ent- 
standen mehrfache  Streitigkeiten*),  aber  Kurfürst  Johann  von  Branden- 
burg vergleicht  die  von  Klitziug: 


•)  Riedel,  cod.  diplom.  brand.  I.,  Hptteil  B.  3  pag.  506/507;  Kunnark.  LehnCop. 
Bach  im  Geh.  Staats- Arch.  Berlin,  Bd.  28  p.  210. 


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Emil  von  Maltitz,  Major  i.  D. 


Herrn  Dietrich  und  Herrn  Joachim,  Domherrn  zu  Magdeburg, 
und 

Dietrich,  Henning,  Hans,  Otto,  Lippold,  Viske,  und  Jorgen,  Ge- 
brüder und  Vettern 
die  von  Klitzing  vor  sich  und 

Claws  Kliczing  nachgelassene  unmündige  Kinder,  und  das 
Kloster  H  eiligen-G  rabe  wegen  der  streitigen  Besitzungen 
zu  Sarnow,  Kohlrep  (Kollrep)  und  Schönebeck  im 
Jahre  1494. 

de  dato  Cölln  an  der  Spree,  Donnerstag  nach  Conversionis 
Pauli  1494. 

Aus  einer  im  Jahre  1394  geschlichteten  Streitigkeit,  welche  dieser 
Erwerbung  halber  entstanden  war,  ersieht  man  zugleich,  dass  dem 
Kloster  damals  auch  das  Patronat  in  Vehlow  zuständig  war.  Der 
Markgraf  Ludwig  der  Ältere  von  Brandenburg  hatte  dem  Kloster  damals 
auch  das  Patronat  über  die  Pfarrkirche  zu  Pritzwalk  geschenkt  und  zu 
Perleberg  hatte  das  Kloster  von  dem  Bürger  Hans  Dossow  ein  Ver- 
mächtnis erhalten. 

Das  14.  Jahrhundert  brachte  also  eine  ausserordentliche  Vermehrung 
der  dein  Stifte  angehörigeu  Besitzungen  mit  sich,  und  während  andere 
Klöster,  wie  z.  B.  Stepnitz,  ihre*  ineisten  Erwerbungen  nur  durch  Dota- 
tion der  Nonnen,  die  sie  aufnahmen,  oder  aus  Vermächtnissen  für  Seel- 
messen  entnahmen,  so  wurde  von  dem  Kloster  „zum  He iligeu-Grabe" 
das  Meiste  baar  erkauft.  So  gross  war  also  das  Maass  der  Opfer,  welche 
von  frommen  Händen  auf  dem  Altar  des  heiligen  Blutes  dargebracht 
wurde.  Ausser  dem  Kapital,  womit  das  Kloster  einen  grossen  Teil  der 
benachbarten  Dörfer  ankaufte,  hatte  es  auch  öfter  noch  Geld  in  der 
damals  üblichen  Form  auf  Zins  ausgethan,  wie  Schuldverschreibungen 
von  1327  und  1354  erwiesen.  Zwar  klagt  der  Bischof  Bernhard  1368, 
da  er  einen  in  der  Kloster-Kapelle  gegründeten  Altar  dem  Kloster  in- 
corporirte,  dass  die  geweihten  Jungfrauen  und  deren  notwendige  Be- 
diente nicht  einmal  ihreu  Unterhalt  hätten,  wegen  der  Kriegsleideu, 
welche  sie  zu  erdulden  gehabt.  Doch  musste  die  Armut,  in  der  sich 
das  Stift  damals  befand,  eine  vorübergehende  sein,  wie  denn  auch  die 
bischöfliche  Urkunde  von  1368  als  Grund  derselben  nicht  den  Mangel 
an  Besitzungen,  sondern  deren  Verwüstung  durch  Krieg  und  Fehden 
bezeichnet.  Die  Verheerungen,  welche  die  inneren  Kriege  jener  Zeit 
besonders  in  der  Priegnitz  verbreiteten,  tasteten  nicht  selten  die  geist- 
lichen Besitzungen  in  verderblicher  Weise  an:  Raub,  Brand  und  Zer- 
störung der  ihnen  ungehörigen  Dörfer  entzogen  auch  den  reichsten 
Stiftern  zu  Zeiten  die  Möglichkeit  des  Auskommens  mit  ihren  Einnahmen 
und  besonders  war  dies  in  dein  ersten  Dezennium  des  folgenden  Jahr- 
hunderts der  Fall,  in  welchem  die  Fehden  in  der  Priegnitz  die  grösstc 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen-Klosters. 

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Ausdehuung  erreichten.  In  diese  Zeit  muss  auch  das  Kloster  „Heiligen- 
grabe" an  seinen  Besitzungen  bedeutend  gelitten  haben,  da  es  während 
derselben  überall  keine  neuen  Erwerbungen  zu  machen  im  Stande,  viel- 
mehr zu  manchen  Anleihen  gezwungen  war. 

Im  Jahre  1403  hatten  zwar  noch  einige  Nonnen,  meistens  aus  der 
Familie  von  Rohr,  einige  Baarschaft,  die  sie  ihrer.  Familie  gegen 
Verpfändung  von  Hebungen  in  Ilohrdorf  darliehen,  dagegen  legen  die 
folgenden  Urkunden  bis  gegen  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  nur  Zeug- 
nisse von  der  Insuffizienz  der  Kloster-Keveuuen  ab,  wie  z.  B.  dass  die 
von  Predöhl  sich  1420  bewegen  Hessen,  den  zum  Seelenheil  ihrer  Vor- 
fahren in  der  Klosterkirche  errichteten  eigenen  Familien-Altar  aufzugeben, 
damit  die  dazu  gewidmeten  Einkünfte  für  die  Tafel  der  Conventualinnen 
mit  verwendet  werden  möchten,  und  dass  das  Kloster  nach  einer  Urkunde 
von  1422  von  einem  Bürger  zu  Wittstock  60  Schock  böhmische  Groschen 
zu  hohen  Zinsen  geliehen  hatte,  von  welcher  Schuld  es  dadurch  befreit 
wurde,  dass  eine  Nonne  diese  Schuldforderung  aus  ihrem  Privatvermögen 
an  sich  kaufte  und  den  Schuldbrief  dem  Kloster  vermachte. 

Als  aber  im  Anfange  des  15.  Jahrhunderts  die  Hohenzollern  in  die 
Mark  einzogen,  mit  starker  Hand  den  ltaubadel  niederhielten,  Friede 
und  geordnete  Zustände  zurückführten,  da  gelangte  auch  das  Kloster 
Heil  igen -Grabe  bald  wieder  zu  seinem  alten  Wohlstande.  Indess  sank 
in  dieser  Zeit  die  Blüte  des  Klosterlebens  dahin.  —  Ihre  Aufgabe,  das 
Christentum  unter  die  Heiden  zu  verkündigen,  deutsches  Wesen  im 
Slavenlande  zu  pflanzen  und  unwirtliche  Gegenden  zu  kultivieren,  hatten 
die  Klöster  in  der  Mark  erfüllt.  Mit  dem  Müssiggange,  dem  man  sich 
häufig  in  den  Klöstern  ergab,  ging  die  einfache  strenge  Lebensordnung 
und  damit  der  Segen  des  Klosterlebens  zu  Grunde. 

Auch  die  Nonnenklöster  wurden  von  dem  allgemeinen  Verderben 
angegriffen,  wie  zahlreiche  Klagen  und  Ausführungen  aus  jener  Zeit  be- 
wiesen. Gewiss  waren  nicht  alle  Klöster  in  gleicher  Weise  der  Corrup- 
tion  verfallen.  Uber  den  damaligen  iiinern  Zustand  des  Klosters 
Heiligen-Grabe  fehlen  uns  die  nähern  Nachrichten. 

Die  Sehnsucht  aller  Bessergesinnten  nach  einer  Reformation  der 
Kirche  an  Haupt  und  Gliedern  wurde  endlich  durch  die  göttliche  Gnade 
in  Martin  Luther  erfüllt.  Aus  den  Arbeiten,  Ringen  und  Nöthen  eines 
um  die  Gewisheit  seiner  Seelen-Seligkeit  bekümmerten  Mönches  wurde 
die  Reformation  der  Kirche  geboren,  wurde  zu  Stande  gebracht,  was 
drei  glänzende  Concilieu  vergeblich  erstrebt  hatten.  Unter  dem  Kur- 
fürsten Joachim  II.  faud  die  Reformation  auch  Eingang  i r i  unsere 
Marken.  Bevor  wir  diese  Zeit  weiter  behandeln,  wollen  wir  den 
Grundbesitz  des  Klosters  seit  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  näher  be- 
trachten. 

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Emil  von  Maltitz,  Major  %.  D. 


Gegen  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  muss  es  dem  Kloste  r  Heilige  n- 
Grabe  wieder  gelungen  sein,  seine  zerstörten  Besitzungen  wieder  auf- 
zubauen und  seinen  zerrütteten  ökonomischen  Zustand  wieder  in  früherer 
Art  herzustellen,  da  hiernach  wieder  neue  Erwerbungen  folgen. 

Zuerst  finden  sieh  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  Zeugnisse 
von  Kloster-Besitzungen  in  Sadenbeck,  wo  das  Kloster  um  diese  Zeit 
die  Ablösung  einiger  Ländereien  von  dem  Lelmsehulzenhofe  gestattete, 
wodurch  die  noch  jetzt  in  dem  Dorfe  bestehenden  Abhängigkeiten  zum 
Lelmsehulzenhofe  entstanden. 

Dann  erkaufte  das  Kloster  1455  von  denen  von  Königsmarck 
deren  Besitzungen  in  Damelack,  einem  Dorfe,  welches  im  14.  Jahr- 
hundert bereits  zur  Hälfte  erworben  war,  und  welches  durch  das  Hin- 
zukommen dieser  neuen  Anjuisition  wahrscheinlich  völlig  in  die  Gehörig- 
keit  des  Stiftes  überging. 

Im  folgenden  Jahre  war  das  Kloster  vermögend  genug,  den  Er- 
mahnungen eines  herumreisenden  Commissarius  des  Dreifaltigkeits-Ordens 
Gehör  zu  geben,  und  sich  mit  allen  seiner  zugehörigen  Personen  in  den 
Dreifaltigkeits-Orden  einzukaufen,  wodurch  nach  näbstlichen  Privilegien 
ihnen  das  Hecht  zustand,  sich  jährlich  fast  von  allen  und  jeden  Sünden, 
namentlich  auch  von  der  Sünde  der  Vernachlässigung  ihrer  „lloren- 
oder  Betstunden"  absolvieren  zu  lassen. 

In  dieser  Zeit  scheint  auch  die  Erwerbung  von  Boddin  zu  fallen. 
Es  gab  damals  2  Orte  dieses  Namens,  nämlich  „besessen"  (d.  h.  bewohnt) 
Boddin  und  „wüsten  Boddin". 

Vom  Jahre  1458  ist  ein  vom  Gonvent  ausgefertigter  Lehnbrief  fin- 
den Schulzen  in  den  besessen  Boddin  vorhanden,  dies  Dorf  inuss 
also  damals  schon  dem  Kloster  gehört  haben.  Die  von  Blumenthal 
genehmigten  diesen  Lelmbrief  durch  ihre  Mituntersehrift ,  wonach  es 
scheint,  als  hätten  sie  konkurrierende  Hechte  daran  gehabt;  dieser  be- 
stätigt denn  eben  auch  1495  die  Erwerbung  von  „wüsten  Boddin u, 
welches  der  Konvent  des  Klosters  von  Otto  und  Hans  v.  Blumen- 
thal erkaufte.  Zwischen  diesen  Erwerbungen  beider  Dörfer,  von  denen 
das  letztere  nicht  wieder  aufgebaut  ist,  lagen  aber  noch  mehrere  andere 
Erwerbungen. 

Kitter  Werner  von  Bülow  schenkte  dem  Kloster  14G8  zu  seinem 
Seelenheil  100  Mark  Silbers,  die  wahrscheinlich  zu  Erwerbungen  von 
Halenbeck  mit  verwendet  wurden:  welchen  Kauf  der  Konvent  im 
nächsten  Jahre  von  Dietrich  und  II  ans  Mann,  dessen  Lehnsbesitzern, 
erstand.  Gegen  die  Bedingung,  dass  der  Konvent,  ausser  der  gewöhn- 
lichen Gedächtnisfeier  für  die  markgräfliche  Familie,  noch  jährlich  an 
einem  bestimmten  Tage  am  Morgen  und  Abend  feierlichst  Seelinessen 
für  die  Landesherrschaft  halten  lassen  sollte,  genehmigte  Kurfürst 
Friedrich  als  Lehnsherr  diesen  Kauf. 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen  Klosters. 


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Der  Probst  Konrad  Voss  bereichert«  das  Kloster  1482  um  einige 
Besitzungen  zu  Reugcrslage  in  der  Altuiark. 

(Gereken,  Fragm.:  March.  III.  j».  98.) 

Dietrich  Manu  verkaufte  1474  den  Klostcrdauien  Marianne  und 
Klisabeth  v.  Jagow,  Gertrud  v.  Grabow  und  Adrlhaid  v.  Bis- 
marck zur  Stiftung  einer  in  dem  Kloster  vor  dem  Marienbilde  hangen- 
den, ewig  brennenden  Lampe  einige  Hebungen  im  Dorfe  Buchhol  t% 
hei  Pritzwalk,  jedoch  wiederverkäuflich. 

Demnächst  verlieh  Berend  von  Rohr  in  seinem  Testamente  dein 
Kloster  die  Pachte  von  den  Bauer-  und  Kossäthenstellen  im  Dorfe 
Kos  so  w,  worüber  seine  Sohne  und  Enkel  1485  ein  Anerkennt  nis 
ausstellen. 

Aus  spätem  Kloster-Nachrichten  erfahren  wir  dann  noch  von  Be- 
sitzungen, welche  das  Stift  zu  Sehönbeek,  welche  die  von  Winter- 
feld 1380  denen  von  Kerberg  abgetreten  hatten,  zu  Krüssow, 
welches  1367  an  die  Familie  v.  Kohr  gekommen  war,  und  auf  der 
wüsten  Feldmark  Rühehof,  worüber  es  1525  mit  denen  von  Rohr  in 
Srreit  geraten  war,  inne  hatte. 

Neben  solchen  Erwerbungen  von  Grundstücken  und  Grundrenten, 
die  das  Stift  gemacht  hatte,  und  die  hier  wegen  nicht  vollständig  er- 
haltener Erwerbungsurkunden,  nicht  einmal  in  ihrem  ganzen  Umfange 
aufgeführt  sind,  besass  es  noch  verschiedene  Geld-Kapitalien,  die  bei 
benachbarten  Gutsbesitzern  ausstanden.  So  grosse  Reichtümer  konnte 
der  fromme  Glaube  jener  Zeit  in  einem  armen  Lande  schnell  in  die 
Hände  einer  geistlichen  Stiftung  zusanunenhäufen,  die  mit  Verheissung 
jenseitigen  Lohnes  den  Besitz  zeitlicher  Habe  gering  zu  schätzen  und 
willig  zu  opfern  lehrte! 

„Das  Dorf  Alt-Krüssow  war  in  der  katholischen  Zeit  durch 
„ein  wunderthätiges  St.  Annen-  oder  St.  Marien-Bild  berühmt, 
„zu  welchem  viel  Wallfahrten  stattgefunden  und  durch  dessen 
„mit  Opfer  begleitete  Anbetung  viel  Kranke  gesund  geworden 
„sein  sollen. 

„Auch  Ludicus  in  seiner  Geschichte  des  heiligen  Blutes 
„gedenkt  des  Aberglaubens,  der  mit  St.  Annen  zu  Krüssow 
„getrieben  ist.  Im  Anfange  des  18.  .Jahrhunderts  soll  der  Pfarrer 
„George  Krause  die  Krücken,  welche  in  der  Kirche  zum  Zeichen 
„der  Wunderkuren  des  Bildes  aufgehäuft  waren,  schockweise 
„herausgeworfen  haben,  nur  ein  Paar  wurde  zur  Erinnerung  auf- 
bewahrt. Das  Dorf  verdankt  diesem  Aberglauben  aber  die 
„schone  gewölbte  Kirche,  die  Bischof  Johann  von  Havel- 
„berg  1520  daselbst  erbauen  Hess.  Das  Kloster  II  eilige n- 
„Grabe  hatte  indessen  wahrscheinlich  an  den  reichen  Einnahmen, 
„welche  diese  Wallfahrten  nach  Krüssow  zu  Wege  brachten, 

4* 


52 


Emil  von  Maltitz,  Major  z.  D. 


„keinen  Teil;  da  nicht  ihm,  sondern  dem  Domstifte  zu  Havel- 
„berg,  das  Patronat  über  die  Kirche  zuständig  war.  (Riedel  I, 
„III  pag  469.)" 

Rücksichtlich  seiner  Verwaltung  erfreute  das  Stift  sich  der  beson- 
dern Obhut  der  Bischöfe  von  Havelberg,  die  bei  der  Nähe  ihrer 
Residenz  Wittstock  das  Kloster,  worin  sie,  sowie  die  Markgrafen,  des 
Rechtes  freien  Ablegens  genossen,  mit  häufigen  persönlichen  Besuchen 
beehrt  haben  sollen,  und  deren  eigne  Verehrung  des  heiligen  Blutes  auf 
das  Ansehen  des  Heiligtums  in  der  Umgegend  vorteilhaft  einwirkte. 

Die  spezielle  Wahrnehmung  der  Angelegenheit  des  Klosters  lag  zu- 
nächst einem  Probste  ob,  dem  Vorgänger  des  jetzigen  Stiftshaupt- 
manns.   Der  Probst  war  ein  Weltgeistlicher,  bald  adliger,  bald  bürger- 
licher Herkunft;  er  genoss  als  Probst  einen  grossen  Anteil  an  den 
gesamten  Klostereinkünften  und  ausserdem  öfters  noch  als  Pfarrer  in 
fremden  Paroehien,  die  er  durch  V  teure  versehen  Hess,  oder  als  Altar  ist 
von  einzelnen  in  der  Kapelle  der  Klosterkirche  errichteten  Altären,  er- 
heblichen Einnahmen.    Männer,  welche  als  Verwalter  dieses  Amtes  in 
unseren  Urkunden  namhaft  gemacht  werden,  waren: 
im  Jahre  1318  Theoderich  oder  Dietrich, 
im  Jahre  1350  Jan  vtm  rore  (d.  i.  Johann  von  Rohr  ,  vor 
diesem  in  nicht  zu  bestimmenden  Jahren  Heinrich  von 
Rossow; 

ferner: 

1351  ein  anderer  Heinrich,  der  keinen  Familiennamen  führte, 
demnächst 

ein  gewisser  Albert,  den  man  zugleich  als  Pfarrer  zu  Pankow 
kennen  lernt, 

im  Jahre  1380  Hüneke  Karstedt, 

im  Jahre  1422  Nicolaus  Poppentiu, 

im  Jahre  1450  Peter  Kuhbier, 

1455  und  1458  Johann  Jordan, 

1469  und  1482  Curd  Voss, 

1495  Meinhard  Kruseke, 

1510  Heinrich  Kegel, 

1529  Jodocus  Nagel  und 

1538  Heinrich  Müller. 
Der  Convent  bestand  anfänglich  aus  12  Personen  Die  Fähigkeit 
zur  Aufnahme  war  nicht  an  die  (iehurt  aus  bestimmten  Familien  ge- 
knüpft, wiewol  gewiss  den  Nachkommen  grosser  Wohlthäter  des  Stifts 
auch  in  Ansehung  der  Reception  ein  billiger  Vorzug  zugestanden  wurde. 
Die  reichsten  Familien  bewarben  sich  um  die  Aufnahme  ihrer  Töchter 
in  die  Schaar  der  Gott  geweihten  Jungfrauen,  um  dadurch  sie  und  sich 
besonderer  göttlichen  Gnade  teilhaftig  zu  macheu.    Denn  das  Kloster 


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Zur  Geschichte  des  Cisterciensei  Jungfrauen  Klosters. 


53 


war  keine  Versorgungs- Anstalt  derer,  welchen  die  Ehe  keinen  anderen 
Beruf  anwies,  sondern  die  Einsegnung  zur  Nonne  galt  eine  geistliche 
Vermählung  mit  der  Gottheit,  der  keine  weltliche  Vermählung  an  Würdig- 
keit gleichgeschätzt  werden  konnte.  Daher  achtete  man  für  Jungfrauen 
im  Alter  der  zartesten  Kindheit  schon  dem  stillen  Klosterleben  unwider- 
ruflich gewidmet  zu  werden,  für  ein  Glück,  welches  Eltern  für  ihre 
Kinder  und  Brüder  für  ihre  Geschwister  mit  den  grössten  Opfern  an 
Uabo  und  Gut,  wodurch  sie  der  Convent  dafür  zu  bestimmen  suchte, 
als  Ziel  verfolgen. 

Familien,  wie  die  von  Rohr,  v.  Quitzow,  Edlen  zu  Putlitz 
u.  s.  w. ,  welche  bei  ihrem  damaligen  grossen  Güterbesitz  das  Kloster 
ausnehmend  bereicherten,  sahen  daher  oft  einen  grossen  Teil  des  Con- 
vents  aus  Töchtern  ihrer  Häuser  bestehen,  wie  z.  B.  eine  Urkunde  des 
Anhangs  vom  Jahre  1403  zeigt. 

Um  den  Convent  zur  Aufnahme  günstig  zu  stimmen,  wurden  dem 
Kloster  von  solchen  Familien  reiche  Schenkungen  gemacht.  Besonders 
finden  wir  die  Töchter  des  Priegnitzer  Adels  im  Kloster  11  eil  igen - 
Grabe  vertreten. 

Dem  Convent  stand  eine  Äbtissin  und  eine  Priorin  nach  den 
Regeln  des  Cistercienser-Ordens  vor.  Äbtissinnen  aus  der  katholischen 
Zeit,  welche  die  Urkunden  namhaft  machen,  waren 

1330  Gertrud  von  Osterburg, 

1351  Margarethe, 

1380  Elisabeth, 

1422  Elisabeth  von  Rohr, 

1450  Adelhaid  von  Wartenberg, 

1455  und  1-158  Anna  Konow, 

1469  Elisabeth  von  Lüderitz, 

1495—1519  Anna  von  Rohr, 

1538—1549  Anna  von  Quitzow;  sie  starb  am  Tage  St.  Mau- 
ritius 65  Jahre  alt.    Sie  nahm  das  Evangelium  an. 
Prior  innen  in  derselben  Zeit  waren: 
1350  und  1351  Margarethe  Grassow, 
1380  Christiane, 

1422  Katharina,  wahrscheinlich  von  Rohr, 

1450  Anna  Konow, 

1455  und  1458  Katharina  Sc  he  plitz, 

1469  Anna  v.  Borchhagen, 

1495  Anna  von  der  Weide, 

1498  und  1502  Euphemia  von  Möllendorff, 

1510  Anna  von  Klitzing, 

1529  Anna  von  Rochow, 

1538  Elisabeth  von  Alvensleben. 


54 


Emil  von  Maltitz.,  Major  t.  D. 


Die  letztgedaehte  Priorin  und  die  Äbtissin  Anna  von  Quitzow 
waren  es,  unter  denen  die  kirehliclie  Reformation  sieh  in  der  Mark  zu 
•  verbleiten  begann.  Die  Reformation  wurde  1539  schon  fast  in  allen 
Städten  der  Priegnitz  ausser  in  Wittstock  und  Wilsnack  angenommen. 
Kurfürst  Joachim  wollte  in  weiser  Zurückhaltung  Zwang  in  kirchlichen 
Dingen  nämlich  nicht  anwenden;  daher  es  kam,  dass  in  der  Priegnitz 
vorläufig  der  Katholicismus  herrschend  blieb.  Bei  dem  nahen  Einflüsse 
des  bis  zu  seinem  Tode  staudhaft  den  katholischen  Kirchengebräuchen 
anhangenden  Bischofs  Busso  von  Alvensleben  auf  das  klosterliche 
Sti ft  Heiligen-Gra.be  gelang  es  dem  Bischof,  den  ihm  treu  ergebenen 
Convent  in  gleicher  Beharrlichkeit  zu  erhalten.  Er  wehrte  daher  nicht 
nur  dem  Eindringen  der  evangelischen  Lehre  während  der  Jahre  1539, 
1540  und  1 541,  sondern  die  mannhafte  Äbtissin  wagte  es  bei  dieser  Rück- 
stärkung  auch,  sich  der  Annahme  der  kurfürstlichen  Kirchen-Ordnung 
von  1542  und  seiner  Neuerung  dreist  zu  widersetzen. 

Mit  gleichem  Mute  verweigerte  sie  daneben  die  Erhebung  der  all- 
gemeinen Landessteuern  zuzulassen,  die  auf  kurfürstlichem  Befehl  auch 
von  den  Unterthanen  des  Klosters  erhoben  werden  sollten.  Diese  in 
einer  Zeit,  welche  so  viel  allen  geistlichen  Stiften  ein  Ende  machte,  um 
so  kühnere  Widersetzlichkeit  bewog  den  Kurfürsten,  der  sonst  die  im 
Bereiche  der  bischöflichen  Herrschaft  gelegenen  Orte  nachsichtig  schonte, 
zu  strengen  Maassregeln.  Der  Landeshauptmann  der  Priegnitz,  Curt  von 
Rohr,  hatte  5000  Gulden  der  kurfürstlichen  Kammer  vorgestreckt  und  es 
bedurfte  dafür  eines  einträglichen  Pfandstückes,  woran  es  bei  den 
damaligen  Domainen  in  der  Priegnitz  gebrach.  Da  nun  das  Kloster 
Heiligen-G rabe  verschmähte,  als  evangelisches  Stift  fortzubestehen, 
so  erhielt  Curt  von  Rohr  noch  im  Jahre  1542  den  Befehl,  dasselbe  in 
Besitz  zu  nehmen  und  zu  sequestrieren. 

Der  Convent  wurde  bis  auf  wenige  Glieder,  die  die  Annahme  der 
neuen  Lehre  sich  nicht  weigerten,  ganz  aus  dem  Kloster  entfernt.  Ver- 
mutlich nahmen  die  flüchtigen  Damen,  zumal  da  die  Priorin  eine  nahe 
Verwandte  des  Bischofs  von  Havelberg  war,  bei  diesem  ihren  Zufluchts- 
ort, Sie  traten  dann  zugleich  mit  dem  Pabste  und  dein  katholischen 
Hofe  zu  Wien  in  Unterhandlungen,  und  die  Äbtissin  soll  im  Begriff  ge- 
standen zu  haben ,  mit  ihren  treu  verbliebenen  Nonnen  zu  Fuss  nach 
Wien  zu  wandern,  als  Bischof  Busso  und  mit  ihm  die  letzte  Stütze 
des  Katholicismus  in  der  Priegnitz  dahinsank.  Es  gelang  nun  den  Be- 
mühungen ihrer  Familie,  die  Äbtissin  zur  Aufgabe  ihres  beharrlichen 
Festhalten*  au  der  alten  Kirchenreforni  zu  vermögen,  worauf  der  Kurfürst 
unter  der  Bedingung,  dass  die  evangelische  Kirchenordnung  angenommen 
und  die  Schuld  an  Curt  von  Rohr  zur  Auslösung  der  Klosterbesitzungen 
von  dem  Convente  übernommen  werde,  der  Äbtissin  und  ihren  Jungfrauen 
nach  vorheriger  Abbitte  wegen  ihres  Ungehorsams,  die  Rückkehr  in  das 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen  Klosters.  55 

Kloster  gestattete.  Vermittler  dieser  Ausführung  zwischen  dem  Kur- 
fürsten Joachim  II.  und  dem  Convent,  wodurch  das  Kloster  seine 
Herstellung  fand,  waren 

die  Gevattern  von  Quitzow,  nämlich 

Dietrich  der  Ältere  zu  Ruhstädt, 

Lüdeke  zu  Stavenow,  und 

Dietrich,  Hauptmann  zu  Lenzen. 
Der  Kurfürst  Hess  dem  Stifte  a  lle  früher  er  worbe neu  Hechte 
and  Besitzungen,  und  so  kehrte  die  Äbtissin  mit  ihren  Gon- 
ventuali nnen  nach  sechsjähriger  Abwesenheit,  den  Dienstag  nach 
Misericordias  domini  mit  Lob-  und  Freuden-Liedern  in  ihr  Kloster 
zurück.  Dieser  Tag  ist  noch  lange  nachher  jährlich  gefeiert,  und  an 
demselben  über  den  129.  Psalm  eine  Dankpredigt  gehalten  worden.  Man 
nannte  ihn 

„des  Klosters  Einzugs-Fest. " 

Ungeachtet  der  erwähnten  Religionsveränderung  behielt  das  Kloster 
jedoch  noch  lange  Manches  aus  der  katholischen  Zeit  bei,  namentlich 
die  Ordenskleidung  und  das  Begräbnis.  Freilich  das  Nonnengelübde  und 
die  strenge  Ordensregel  fielen  weg.  Das  Kloster  wurde  in  ein  ade- 
liges Fräuleinstift  verwandelt. 

Die  Conventualinnen  Hessen  sich  darnach  ohne  Sang  in  ihren 
Kappen  begraben  und  das  Gesicht  mit  einer  hölzernen  Schüssel  bedecken. 
Die  Kappen  legten  sie  erst  nach  dem  dreissigjährigen  Kriege  ab  Der 
Verdienst  des  Pritzwalk'schen  Tuchmachers,  welcher  dem  .luden  das 
Geständnis  abgelockt  hatte,  zog  bis  dahin  dem  dortigen  Ge werke  den 
Vorteil  zu,  dass  es  diese  Kappen  lieferte.  Nach  anderer  Nachricht  gaben 
die  Tuchmacher  die  den  Jungfrauen  nötigen  Kappen  unentgeltlich  her. 

Die  Umwandlung  des  Klosters  Hei  I igen -Grabe  in  ein  evange- 
lisches Stift  führte  zugleich  manche  Veränderung  seiner  äusseren  Ver- 
fassung mit  sich.  Zunächst  war  die  Würde  eines  Probstes  entbehr- 
lich und  wurde  abgeschafft.  Nur  in  der  neuesten  Zeit  wurde  sie 
auf  wenige  Jahre  hergestellt,  indem  das  Stift  1790  dem  Minister  der 
geistlichen  Angelegenheiten  von  Wöllner,  die  Winde  eines  Stiftsprobstcs 
antrug,  welche  auch  von  diesem  angenommen  und  vom  Könige  Friedrich 
Wilhelm  IL  bestätigt  wurde. 

Es  war  dies  jedoch  eine  blosse  Ehrenbezeugung.  Dem  neuen 
Probste  standen  als  solchem  weder  Rechte  noch  Einkünfte  im  Stifte  zu. 

Die  weltliche  Verwaltung  der  Stiftsangelegenheiten ,  die  schon  in 
den  letzten  katholischen  Zeiten  eine  Hauptobliegenheit  der  Probstei 
gebildet  hatte,  ging  zur  Zeit  der  Reformation  auf  einen  weltlichen  Be- 
amten, den  Stiftshauptmann,  über.  Derselbe  nahm  nun  in  der 
»Kemnade"  oder  „Kembde",  eigentlich  „eaminata",  welches  im  mittel- 
alterlichen Latein  ein  „festes  Haus"  —  bezeichnet,  auf  dein  frühern  Sitze 


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56 


Emil  von  Maltitz,  Major  r..  P. 


der  Pröbste,  seine  Wohnung.  Der  Stiftshauptmann  wurde  vom 
Convent  erwählt  und  bestellt  und  vom  Landesherrn  confirmiert. 

Nach  Aussage  des  Kirchenbuches  vom  Heiligen-Grabe  war  die 
von  Kröche r  die  letzte,  die  sich  auf  diese  Weise  beerdigen  Hess. 

Die  ganze  Reihe  der  Ilauptloute  des  Stiftes  ist  aus  den  vorhan- 
denen Nachrichten  nicht  mehr  zu  ersehen.  Wir  vermögen  sie  vielmehr 
nur  bis  an  das  Ende  des  16.  Jahrhunderts  zurückzu verfolgen,  wobei  die 
Namen  derer  verschwiegen  bleiben,  die  von  1550  —  1600  dem  Stifte  vor- 
standen. Nur  wird  uns  Hans  v.  Quitzow  zu  Gottberge  genannt,  der 
Erbzinssessener  und  von  1552—1576  Stiftshauptmann  gewesen.  Femer 
wissen  wir  aus  diesem  Zeitraum  zu  nennen,  den  Bürgermeister  zu  Pritz- 
walk,  Antonius  Rau,  der  den  13.  Mai  1589  im  56.  Jahre  seines  Alters 
starb,  und  nacli  zuverlässigem  Zeugnisse  Hauptmann  des  Klosters  war. 
(Hays  Beschr.  der  Stadt  Pritzwalk,  manuserpt.  Anh.  p.  301.) 

Im  17  Jahrhundert  versahen  die  Hauptmannschaft:  von  1600 
bis  1606  Einer  von  Scharfenberg;  von  1606  bis  in  den  dreissig- 
jährigen  Krieg:  Joachim  von  Winterfeld.  Dieser  starb  in  der  Kriegs- 
zeit mit  dem  grössten  Teil  des  Convents  an  der  Pest  und  seine  Stelle 
blieb  eine  Zeit  lang  unbesetzt.  Dann  übernahm  dieselbe  1645  Erd mann 
von  Bartekow,  der  im  Jahre  1680  starb,  worauf  ihm  Reimar 
Christoph  von  Karstedt  folgte,  der  bis  ins  Jahr  1705  die  Stiftshaupt- 
mannschaft verwaltete;  den  20.  Mai  1705  succedierte  demselben  Christian 
Ludwig  von  Rohr  auf  Ilolzhanscn. 

Alle  diese  Stiftshauptleute  hatte  der  Convent  erwählt  und  bestallt, 
nur  bei  dem  letzteren  war  eine  Königliche  Confirmation  der  Bestallung 
erfolgt. 

Im  Jahre  1722  aber  erteilte  der  König  dem  in  der  Armee  dienen- 
den Lieutenant  von  Werdeck  eine  Anwartschaft  auf  diese  Hauptmann- 
schaft, die  dem  Offizier  auch  im  Jahre  1730  durch  den  Tod  des  von 
Rohr  erledigt  wurde. 

Der  Convent  sträubte  sich  vergebens  gegen  die  Anerkennung  des 
Offiziers,  der  im  Militärdienste  blieb.  Durch  Irrtum  wurde  1738  der 
Oberforstmeister  von  Jürgas  zum  Stiftshauptmann  ernannt.  von 
Werdeck  war  noch  am  Leben  und  die  jenem  erteilte  Bestallung  wurde 
daher  als  Adjunctions-Patent  gedeutet,  welches  ohne  Folgen  blieb.  Als 
der  inzwischen  zum  Oberst  avancierte  von  Werdeck  bei  Chotnsitz  im 
Jahre  1742  das  Leben  verlor,  bestallte  der  König  unterm  31.  Mai  dieses 
Jahres  einen  Oberst  von  Röel,  der  gleichfalls  dienstthuender  Offizier 
blieb,  zum  Nachfolger  des  Verstorbenen  in  der  Stiftshauptmannschaft. 
Stellvertreter  des  von  Röel  in  diesem  Amte  war  anfänglich  der  Bürger- 
meister Schmidt  zu  Pritzwalk,  und  nachdem  dieser  dem  Convente  grosse 
Verdriesslichkeiten  verursacht  hatte,  Joachim  Dettlof  von  Winter- 
feld, der  mit  dem  Titel  eines  „Yicestiftshauptmanns"  und  mit  der 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen-Klosters.  57 

Hoffnung  anf  Nachfolge  in  die  Stiftshauptmannsehaft  nach  von  Röel's 
Abgange  sich  der  Amtsführung  unterzogen  hatte. 

Als  der  Oberst  von  Röel  jedoch  im  Jahre  1745  starb,  wurde  unterin 
7.  Januar  1746  der  General-Major  Reimer  Julius  von  Schwerin  mit 
der  erledigten  Stifthauptmannschaft  begnadigt,  bevor  der  von  Winter- 
feld seine  Ansprüche  anmeldete. 

Diesem  wurde  daher  nur  nachgelassen,  dem  General  seine  erlangten 
Ansprüche  auf  die  Stifthauptmannschaft  abzukaufen.  Man  wurde  über 
eine  Abstandssumme  von  3500  Thaler  einig,  nach  deren  Erlegung  der 
Vicestiftshauptmann  von  Winter  fehl  als  ordentlicher  und  alleiniger 
Stiftshauptmann  eintrat. 

Die  Stifthauptmannschaft  schien  hiernach  ein  Objekt  von  Handels- 
spekulation zu  werden,  denn  von  Winterfeld,  der  sein  daran  ge- 
wandtes Kapital  wieder  herauszuziehen  wünschte,  trat  darüber  mit  meh- 
reren Personen,  namentlich  mit  einem  Herrn  von  Rochow,  der  in 
sächsischen  Militärdiensten  stand,  in  Unterhandlung.  Der  Convent  gab 
dazu  auch  seine  Genehmigung,  unter  dem  Bedinge,  dass  der  von 
Rochow  sich  im  Voraus  anheischig  machte,  nicht  wieder  eine  ähnliche 
Veräusserung  vorzunehmen.  Doch  inzwischen  war  der  König  von  der 
dem  Stifte  eigentlich  gebührenden  freien  Wahl  des  Hauptmanns  unter- 
richtet worden,  und  es  wurde  daher  diesem  Veräusserungsvertrage  die 
Allerhöchste  Genehmigung  mit  der  Erklärung  versagt, 

„dass  der  Convent  des  Stiftes  künftig  wieder  freie  Wahlgerech- 
„tigkeit  in  Ansehung  seines  Stiftshauptmannes  ausüben  solle." 

Da  nun  der  bejahrte  Hauptmann  von  Winterfeld  einer  Unter- 
stützung bedurfte,  so  machte  der  Convent  im  Jahre  1768  einen  von 
Karstedt  zum  Adjunkten  und  dieser  trat  1787,  da  der  altersschwache 
von  Winterfeld  völlig  resignierte,  als  wirklicher  Stiftshauptmann  ein. 

Die  Hauptmannschaf t  des  Stifts  war  noch  im  17.  Jahrhundert 
sehr  einträglich,  denn  der  Hauptmann  empfing  alle  Einnahmen  des  Stiftes, 
gab  davon  den  Conventnalinnen  und  übrigen  Klosterbedienteil  ihre 
Gehalte  und  Deputatstücke ,  sorgte  für  die  Bestreitung  der  übrigen  not- 
wendigen Ausgaben,  und  behielt  den  Uberschuss  für  sich.  Auf  der  Kem- 
nade fand  daher  auch  in  der  Regel  ein  sehr  liberaler  Haushalt  statt,  der 
timsomehr  zu  Beschwerden  Anlass  gab,  je  kärglicher  oft  den  Conventna- 
linnen ihre  Geld-  und  Natural hebnngen  zugemessen  wurden.  Wenn  man 
die  bis  in  das  18.  Jahrhundert  in  altertümlicher  Form  beibehaltene  Be- 
stallung der  Klosterhauptleute,  wie  noch  der  von  Rohr  sie  erhielt,  in\s 
Auge  fasst,  so  lassen  zwar  die  dem  Hauptmann  verschriebenen  86  Gulden 
Gehalt,  die  halben  Gerichtsgefälle,  das  Annahmegeld  von  den  Bauern, 
die  freien  Stiefel  und  Schuhe,  die  ihm  gegeben  werden  sollten ,  und  die 
6  Stein  Wolle,  die  er  bei  jeder  Wollschur  zu  seiner  Kleidung  empfing 


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58 


Eroil  von  Maltitz,  Major  z.  D. 


und  dergleichen  kleine  Vorteile,  eine  so  günstige  ökonomische  Stellung 
des  Stiftshauptmanns  gar  nicht  vermuten. 

Darin  aber,  dass  dem  Hauptmann  freier  Tisch  und  freie  Fütterung 
für  Reit-  und  Wagenpferde  zugesichert  war,  lag  die  Möglichkeit  unge- 
messener Ausdehnung  seiner  Natural-Consumtion.  Die  gewöhnliche  Be- 
stellung der  Hauptleute,  wie  sie  zuletzt  noch  dem  Stifts-Hauptinann  von 
Hohr  auf  IJolzhausen  erteilt  wurde,  lautete  folgendermaassen  1705: 

„Wir  Hedwig  Maria  von  Vietstrucken,  Domina,  Anna  Elisa- 
beth von  Ketzdorfiin,  Priurissa  und  gesampter  Capitel  des 
„adelichen  Jungfräulichen  Clusters  heiligen-Grahe,  uhrkunden 
„undt  Bekennen  hiermit  vor  unss  und  unsere  Nachkommen  am 
„Cluster  auch  sonst  männigliehen : 

„Nachdem  wir  nach  gehabten  reiften  Käthe  und  tleissiger 
„deliberation  den  wohlgebohrnen  horrn,  herrn  Christian  L  ud- 
„wig  von  Rhor  auf  llolzhausen  Erbgesessen,  zum  Hauptmann 
„dieses  Clusters,  solchem  nach  aller  Möglichkeit  fleisig  und  treu- 
lich vorzustehen  und  dessen  bestes  überall  zu  suchen  und  zu 
„befordern,  einhellig  eligiret  und  beruften,  Er  auch  diese  Haupt- 
„mannschaft  jetzt  berührtermassen  acceptiret,  und  angenommen, 
„dass  wir  derowegen  wohlgedachten  herrn  Hauptmann  zum 
Jährlichen  Salario  Sechs  und  Achtzig  G  üblen  Märkischer  Wäh- 
„rung  am  Gelde,  einem  freyeu  Tisch,  die  halbe  Gerichts-Gefälle, 
„das  Annahmegeld  von  den  Bauern,  freye  Stiefeln  und  Schuhe, 
„Sechs  Steine  Wolle  von  jeder  Schar«»,  und  wenn  Mast  vor- 
„banden,  zehn  freye  Mast-Schweine,  darzu  Er  aber  die  Schweine 
„seihst  schaffet,  von  seinen  eigenen  Mitteln,  auch  freye  Reit-  und 
„Wagen-Pferde  yn  des  (.Mosters  Verrichtungen,  nebst  andern  ge- 
wöhnlichen Accidentien  versprochen  und  zugesaget.  Wir  unss 
„denn  auch  in  Kraft  dieses  nochmals  vorptlichten,  solches  alles 
„jährlich  dem  herrn  Hauptmann  Christian  Ludwig  von 
„Rhore  zu  verschaffen  und  abfolgen  zu  lassen. 

„Uhrkundlich  haben  wir  obbenbenahmte  Domina  und  Prio- 
„rissa  diesen  Brieft'  eigenhändig  unterschrieben  und  mit  des 
„Clusters  gewöhnlichen  Secret  versiegeln  lassen.  Actum  Cluster 
„heiligen  Grabe  den  13.  Marty  des  Eintausend  Siebenhundert 
„und  fünftten  Jahres.4' 

Diese  Stellung  des  Hauptmanns  änderte  sich  jedoch  in  Folge  der 
neuen  Einrichtung,  welche  König  Friedrich  Wilhelm  I.  dem  Stifte 
geben  Hess. 

Dieser  die  Sparsamkeit  und  Einfachheit  der  Lebensweise  so  sehr 
liebende  Monarch,  war  17H  selbst,  in  Heiligen-Grabe  anwesend  und  vun 
dem  damaligen  Stiftshauptniaiin  vun  Ruhr  aufs  Prächtigste  bewirtet 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen -Klosters. 


worden.  Der  König  —  über  diesen  Aufwand  ungehalten  —  .soll  geäussert 
haben:  „So  was  conveniert  sieb  vor  die  Frölens  nicht." 

Desto  mehr  Eingang  fanden  die  Klagen,  welche  die  Stiftsdamen 
dem  Könige  persönlich  vortrugen,  dass  auf  der  Hauptmanuschaft  Ver- 
schwendung und  in  ihren  Zellen  dagegen  die  grösste  Dürftigkeit  herrsche. 
Der  König  Hess  die  Angelegenheiten  des  Stifts,  wie  er  bei  seiner  An- 
wesenheit versprochen  hatte,  durch  eine  Kommission  regulieren.  Der 
dieser  Kommission  erteilten  Instruktion  wurden  aber  besonders  die 
Worte  eingerückt: 

„des  Klosterhauptmanns  Besoldung  auf  ein  Gewisses  zu  setzen 
„und  dagegen  Defraiirung  oder  Diäten  gänzlich  abzuschaffen;  im 
„Übrigen  es  auch  dahin  zu  richten  und  den  neu  zu  entwerfen- 
„den  Statuten  mit  einzuverleiben,  dass  die  bisherige  grosso  Gast- 
freiheit*),  —  welche  «lern  Verlaut  nach  dem  Kloster  jährlich 
„ein  Beträchtliches  gekostet,  einigermaßen  eingeschränkt  oder 
„zum  wenigsten  nicht  nach  Gefallen  gemissbraucht  werde." 
Diese  Anordnung  wurde  von  den  Kommissarien  genau  beobachtet 
und  die  Einnahme  des  Stiftshauptmanns  dadurch  so  sehr  mindert,  dass 
der  Convent  selbst  bald  hernach  dieselbe  für  unangemessen  geringe  er- 
achtete, und  dem  Hauptmann  aus  den  Überschüssen  des  Klosters,  ohne 
höhere  Genehmigung  längere  Zeit  eine  beträchtliche  Zulage  gewährte. 

Die  Statuten  sind  ein  Denkmal  des  frommen  Sinnes  dieses  Fürsten. 
Es  heisst  darin  unter  Anderem: 

„Weil  denn  das  vornehmste  in  dergleichen  Oonventen  der  Gottes- 
dienst ist  und  sein  muss,  so  soll  fürnehmlich  über  denselben  ge- 
lullten und  dahin  gesehen  werden,  dass  der  allmächtige,  allsehende 
„und  allgegenwärtige  Gott  nicht  aus  eitler  Gewohnheit,  dem 
..Munde  und  Lippen  allein,  sondern  aus  Herzensgründe  in  wahrem 
„Glauben  auf  das  vollkommene  Verdienst  unseres  Erlösers  Jesu 
„Christi,  jedesmal  andächtig  angebetet  und  demüthig  verehrt 
„werde." 

Es  folgt  nun  eine  spezielle  Anweisung,  wie  die  täglichen  Betstunden 
zu  halten  seien,  die  mit  den  Worten  schliesst: 

„Wobei  sie  aber  die  Privatübung  des  Christentums  im  Beten, 
„Singen,  Lesen  der  heiligen  Schrift,  gottseligen  Discursen  unter 

*)  In  der  1622  zu  Tübingen  gedruckten  Beschreibung  der  Mark  Brandenburg 
von  Gottfried  von  Warnsteden,  heisst  es  in  Bezug  auf  diese  Gastfreiheit: 

„Dieses  Kloster  (.heiligen  Grabe)  jährliche  Einkommen  sind  so  stattlich  und 
„ansehnlich,  dass  sie  nicht  allein  zu  ihrer  Notdurft,  sondern  auch  an  fremden 
„Nationen  können  Gutes  daran  thun,  ininassen  allda,  ein  fremder  vom  Adel 
„3  Tage  samt  Tferde  und  Dienern  zu  bleiben  hat,  und  wird  mit  ansehnlicher 
„Tractation  auf  der  Probstei  von  dem  Hauptmann,  so  dazu  verordnet,  sovi0| 
„möglich  versehen." 


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60 


Emil  von  Maltitz,  Major  z.  D 


„sich  und  mit  Andern  nicht  aus  der  Acht  lassen,  sondern  täglich, 
„ja  unaufhörlich,  soweit  es  die  nöthige  Arbeit  zulassen  will, 
„damit  umgehen  soll." 

In  dringlichen  Worten  wird  zur  Sparsamkeit  aufgefordert;  aber 
dabei  gesagt: 

„Es  hat  aber  nicht  das  Absehen,  dass  der  Anmuth  ein 
„Allmosen  dadurch  entzogen  werden  solle,  denn  dieses  alles 
„Pflichten  seien,  die  dem  Kloster  insonderheit  obliegen  —  und 
„ohne  bei  Gott  und  der  ehrbaren  Welt  gröblich  sich  zu  ver- 
sündigen, und  anzustossen  nicht  unterlassen  werden  können, 
„wie  denn  insonderheit  Domina  und  Conventualinnen  vor  die 
„Armut  zu  allererst  zu  sorgen,  dieselbe  reichlich,  soviel  immer 
„des  Klosters  Zustand  und  Vermögen  zulassen  will,  zu  begaben 
„und  dadurch  des  Herrn  reichen  Segen  auf  sich  und  das  Kloster 
„zu  deriviren." 

Der  Stiftshauptmann  ist  übrigens  der  beständige  Deputierte  des 
Stifts  und  ein  Vorstand  desselben  in  ähnlicher  Verfassung,  wie  solche 
bei  dem  Stift  in  Ausführung  kam.  Wie  dort,  wird  auch  zum  Heiligen- 
Grabe  die  Justiz  durch  einen  Hechtsgelehtten  unter  Leitung  des  Stifts- 
hauptmanns verwaltet,  und  ist  demselben  zu  untergeordneten  Dienst- 
verrichtungen ein  Stifts -Secretair  zugegeben.  Die  Stelle,  welche  zu 
Stepnitz  das  erbliche  Patronat  einnimmt,  vertreten  hier  zwei  aus  der 
Ritterschaft  gewählte  Curatoren,  deren  Befugnisse  jedoch  nicht  so  gross 
sind,  wie  das  Patronat,  welches  über  „Heiligen-Grabe"  dem  Landes- 
herrn angehört,  es  mit  sich  bringt. 

Das  Alter  dieses  eingerichteten  Curatoriums  scheint  einer  neueren 
Zeit  ihren  Ursprung  zu  verdanken,  da  solche  erst  aus  dem  Jahre  1708 
in  den  vorliegenden  Nachrichten  ersichtlich.  So  wird  uns  der  Oberst 
von  Quitzow  auf  Bullendorf  genannt,  der  1816  Einer  der  beiden 
Stifts- Vorsteher  war. 

Die  evangelischen  Prediger  des  Klosters  Heiligen-Grabe  waren 
der  erste:  Joachim  Freienstein,  der  noch  katholischer  Geistlicher  daselbst 
gewesen  war,  und  1556  verstarb.  Ihm  folgte  Andreas  Renchlin  und 
diesem  Thomas  Benzin,  der  1626  verstarb.  An  seine  Stelle  kam  Arnold 
Krusemark  bis  zur  Verwüstung  des  Stifts  im  dreissigjährigen  Kriege. 
Nach  der  Herstellung  des  Klosters  stand  bis  1651  George  Krause  dem 
Gottesdienste  des  Klosters  vor,  den  er  wegen  seines  schwächlichen 
Körpers  bei  der  Geringheit  des  Convents  im  Zimmer  der  Domina  zu 
halten  pflegte.  Nach  seinem  Tode  wurde  1651  M.  Wilhelm  Sauer  nach 
dem  Kloster  berufen;  es  war  aber  eine  üble  getroffene  Wahl;  dieser 
Geistliche  führte  ein  böses  Leben  und  erstach  zuletzt  1667  den  Stuhl- 
schreiber zu  Wittstock  Havekenthal.  Nun  folgte  ihm  M.  Johann  Helwig 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen- Klosters 


61 


bis  1681;  diesem  Johann  Georg  Bersenius  bis  1692,  darnach  Paul 
Krambiegel  bis  1711,  demnächst  Georg  Dietrich  Lüdewald  u.  s.  w. 

In  Rücksicht  auf  die  Würdenträgerinnen  im  Convent  brachte  die 
Reformation  zunächst  nur  eine  Veränderung  der  Bezeichnung  der 
Äbtissin  mit  sich.  Sie  hiess  jetzt  Domina.  Sie  wurde  am  Sarge 
ihrer  Vorgängerin  oder  doch  spätestens  4  Wochen  nach  dem  Tode  der- 
selben vom  Convent  gewählt. 

Durch  Allerb.  Kabinets-Ordre  vom  4.  Oktober  1876  ist  dieses  Recht 
dem  Convente  entzogen.  Des  Königs  Majestät  haben  sich  vorbehalten, 
die  Äbtissin  zu  ernennen,  weil  die  Einfügung  der  wohlthätigen  Anstalten 
in  den  Organismus  des  Stifts  eine  Änderung  in  diesem  Punkte  wünschens- 
wert erscheinen  lasse.  — 

Täglich  wurden  noch  bestimmte  Gebetsstunden  —  Hören  genanut  — 
im  Kloster  gehalten.  Die  übrige  Zeit  konnten  die  Conventualinnen  nach 
Gefallen  verwenden;  auch  lebten  manche  zeitweise  ausserhalb  des  Klosters 
in  ihren  Familien  oder  bei  Verwandten. 

Die  Conventualinnen  wurden  teils  vom  Landesherrn  ernannt, 
teils  vom  Convent  recipiert,  indem  die  adeligen  Familien  ihre  Töchter 
oft  noch  in  ganz  jungen  Jahren  gegen  bedeutende  Geld-Zahlungen  zur 
künftigen  Aufnahme  einschreiben  Hessen.  Auch  dieses  findet  in  der 
neusten  Zeit  in  Folge  Allerhöchster  Kabinets-Ordre  nicht  mehr  statt, 
sondern  Sr.  Majestät  behalten  sich  auch  diese  Besetzung  vor. 

Neben  der  Domina  blieb  aber  die  Stelle  der  Priorin  als  einer 
Gehilfin  und  Stellvertreterin  der  Domina,  die  daher  auch  von  der  Domina 
dem  Convent  zur  Wahl  in  Vorschlag  gebracht  werden  soll.  Nur  in 
neuerer  Zeit  stellte  König  Friedrich  II.  den  Titel  „Äbtissin"  für  die 
Vorsteherin  des  Convents  her,  indem  die  Domina  von  Winterfeld, 
eine  besonders  verehrungswerte  und  auch  vom  Könige  persönlich  hoch- 
geschätzte Dame,  mit  der  Würde  einer  Äbtissin  des  Stifts  beehrt  wurde. 
Ausser  der  Domina  gab  es  im  vorigen  Jahrhundert  öfter  auch  eine 
Domina  „Adjuncte  oder  eine  Vice- Domina"  im  Stifte. 

Am  12.  November  1720  wurde  die  Conventualin  Julianne  Doro- 
thea Edle  zu  Putlitz,  die  nicht  einmal  als  Conventualin  durch  Wahl- 
beschluss  aufgenommen,  sondern  durch  die  Gnade  der  Königin,  vermöge 
des  zum  ersten  Male  dabei  geübten  Rechtos  der  primae  preccs  in  den 
Convent  gekommen  war,  zum  grossen  Verdruss  des  letztern,  der  Domina 
von  Jargard  mit  der  Hoffnung  zur  Nachfolge  adjunctiert.  Als  diese 
darnach  Domina  geworden  war,  stellte  der  Convent  durch  Wahlbeschluss 
das  Fräulein  Christine  Charlotte  von  Einsiedel n  zur  Vice- 
Domina  auf. 

Die  Reihe  der  Damen,  welche  seit  der  Reformation  dem  klösterlichen 
Stifte  zu  Heiligeu-Grabe  als  Domina  vorstanden,  ist  schon  aus 


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02  Eini!  von  Maltitx,  Major  z.  I>. 

Hindcnhcrga   zu  Anfang  dieser  Abhandlung  erwähnten  Nachrichten  zu 

erselien.    Die  nächste  Nachfolgerin  der  von  Quitzow  war 

Ursula  von  der  Schulen bn rg,  die  im  Alter  blind  geworden  sein  und 

ihr  Amt  daher  niedergelegt  haben  soll,  worauf 
Lucia  von  Königsinarek  aus  Kölin  succedierte,   die  1581  verstarb. 

Dann  folgte 

Anna  von  llinttorff  aus  Plessow,  die  nach  29 jähriger  Führung  ihres 
Amtes  1010  verstirbt.    Dieser  folgte 

Ilsabe  von  Kapellen  aus  Mankmus,  die  1635  mit  Tode  abging.  Wäh- 
rend ihrer  25 jährigen  Amtsführung  hatte  sie  einen  grossen  Teil 
der  Lasten  und  Leiden  des  dreissigjährigen  Krieges  zu  tragen 
gehabt.  Doch  der  Tod  überhob  sie  den  ärgsten  Ereignissen, 
welche  während  «lieser  Zeit  das  Stift  betrafen.  Ihre  Nach- 
folgerin 

Elsa  von  Wartenberg  aus  Nebelin  erlebt«'  die  traurige  Verwüstung 
des  Stiftes,  sah  im  Jahre  1036  die  (lebäude  der  Hauptmann- 
schaft  oder  die  „Kembde"  in  Flammen  aufgehen  und  sich  ge- 
zwungen, mit  den  4G  dem  Kloster  ungehörigen  Personen  dasselbe 
zu  verlassen.  Die  Kostbarkeiten,  Urkunden  und  Briefschaften 
des  Klosters  schickte  sie  nach  Hamburg,  von  wo  dieselben  zum 
Teil  niemals  zurückgekehrt  und  wobei  namentlich  —  (mehreren 
Erklärungen  des  Convents  aus  dem  17.  Jahrhundert  zufolge)  viele 
der  älteren  Urkunden  eingebüsst  sind.  Die  Domina  selbst  begab 
sieh  mit  ihrem  zahlreichen  (iefolge  nach  W'ittstock,  wo  sie  im 
Jahre  1(537  mit  dem  grössten  Teil  ihrer  (  ouventualinnen  ein 
Opfer  der  damals  hier  wütenden  Pest  wurde. 

Anna  von  Rathenow  sammelte  um  das  Jahr  1645  die  noch  übrig  ge- 
blichenen, durch  die  Kriegsunruheu  zerstreuten  ('ouventualinnen 
wieder  und  sorgte  mit  dem  Beistände  des  zum  Stiftshauptmann 
erwählten  Hans  Erdmann  von  Bertikow  für  die  Herstellung 
des  Stiftes  und  seiner  Besitzungen.  Damals  entstanden  wahr- 
scheinlich auch  zuerst  die  Wohnungen  der  ( 'ouventualinnen  ausser 
dein  eigentlichen  Klostergebäude.  Ein  eigenes  Wohnhaus  für 
den  Klosterhanptmann  wurde  erst  1070  wieder  aufgerichtet.  In- 
zwischen war  die  Duinina  Anna  von  Rathenow  aus  IMöuitz 
im  Jahre  1063  gestorben  und  ihr 

Elisabeth  von  Eimbeck,  doch  nur  auf  2  Jahre  gefolgt,  worauf 

Anna  Dorothea  von  Munthen  im  Jahre  1065  zur  Stiftregierung  ge- 
langte, der  sie  33  Jahre  hindurch  vorstund.  Im  Jahre  1098 
folgte  ihr 

Hedwig  Maria  von  Wittstruck  aus  Berlit  und  derselben 
Maria  von  Jagard  im  Jahre  17o7.    Unter  der  letztgenannten  Domina 
erhielt  das  Kloster  seine  Statuten   vom  Jahre  1710  und  vom 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen  Klosters. 


7.  November  1714  und  trugen  sich  die  Verändern ngen  zu,  deren 
rücksichtlieh  des  Einkommens  der  Stiftshauptinannsehaft  bereits 
oben  gedacht  ist. 

Am  12.  November  1720  wurde,  wie  oben  erwähnt  worden, 
dieser  Doinina,  welche  1713  ihr  klösterliches  Jubeljahr  gefeiert 
hatte,  die  Gonventualin 

Julian ii e>  Dorothea  Freiin  Gans  Edle  zuPutlitz  durcli  des  Königs 
Befehl  adjungiert.  Doch  *lu»  ganze  Versammlung  des  Klosters 
war  sehr  feindselig  gegen  dies  gebildete  und  thätige  Fräulein 
gesinnt,  schon  weil  sie  ohne  Wahl  zu  der  bald  erledigten  Stelle 
der  Domina  emporstieg 

Es  gelang  ihrer  Klugheit  nicht,  diese  Feindschaft  zu  ver- 
söhnen. Obwohl  sie  die  Revenuen  der  Stiftsdamen  über  die 
Gebühr  vermehrte,  auch  dem  Hauptmann  die  schon  früher  er- 
wähnte Zulage  gab,  so  blieb  sie  doch  in  ununterboehenen 
Streitigkeiten  mit  dein  Convente  verwickelt,  die  ihre  Gesundheit 
untergruben  und  ihrem  Leben  schon  im  Jahn-  1732  ein  Ende 
setzte.    Ihr  folgte  die  im  Jahre  1727  erwählte  Vice-Domina 

Christ  ine  Charlotte  von  Einsiedeln  aus  dein  Hause  Fatcnrode  im 
Mansfeldisehcn,  die  im  Jahre  1740  verstarb  und  der  nachmaligen 
Äbtissi  n 

.luliaune  Auguste  Henriette  von  Winterfeld  aus  dein  Hause 
Sehmarsow  in  der  rkermark  Platz  machte.  Diese  Domina  hat 
über  50  Jahre  dem  Stifte  vorgestanden,  denn  sie  stirbt  erst  den 
14.  Dezember  1790,  und  nach  ihrem  Tode  fiel  die  Wahl  des 
Convente  auf 

Magdalena  Marie  Rosina  von  CJuitzow  a.  d.  H.  Kuhsdorf.  Durch 
die  besondere  Gnade,  worin  die  Doinina  von  Winterfeld  bei 
Hofe  stand,  wurde  ihr  im  Jahre  1743  nicht  nur  die  Wind«' 
einer  Äbtissin  zu  Teil,  sondern  auch  zu  der  melancholischen 
schwarzen  wollenen  Kleidung,  welche  die  Conventualinuen 
mit  weissem  Halskragen  und  weisser  Schärpe  trugen,  der  Schmuck 
eines  Orden sk  reuzes  verstattet,  welches  an  einem  gris-de-liu 
farbenen,  mit  Silber  eingefassten  Bande  getragen  wird,  weiss 
emaillirt,  mit  Gold  eingefasst  und  auf  der  einen  Seite  mit  den 
Worten  in  goldenen  Buchstaben  im  goldenen  Grunde 

„par  grace" 

und  an  den  4  Ecken  mit  dem  gekrönten  Namenszug  des  Königs 
versehen  ist:  auf  der  andern  Seite  aber  in  der  Mitte  mit  der 
Inschrift: 

„pour  la  Conservation  de  la  maison  royale" 
und  iu  den  Ecken  mit  4  Paar  zum  Gebet  aufgehobenen  Händen. 

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64  Euiil  von  Maltitz,  Major  %.  D. 

s 

Im  Jahre  1776  wurde  diesem  Kreuze  auf  den  Antrag  der  Äbtissin 
auch  noch  ein  auf  der  linken  Brust  im  Kleide  gestickter  Stern 
hinzugefügt,  welchen  die  jedesmalige  Äbtissin  und  die  wirklich  zur 
Hebung  gekommenen  und  eingeführten  Stiftsdameu  zu  tragen  berechtigt 
wurden. 

Die  Coucession  lautet: 

„Wir  Friedrich  von  Gottes  Gnaden,  König  von  Preussen  etc. 
„Urkunden  und  bekennen  hiermit  für  Uns  und  Unsere  Nach- 
„kommen  und  fügen  männiglich  zu  wissen,  was  maassen  die 
„Aebtissin  des  Stifftes  heil  Grabe,  von  Winterfeld,  bey  Uns  aller- 
„demüthigst  Ansuchen  gethan.  gedachten  adlichen  Stitt't  zum 
„heiig.  Grabe  allergnädigst  zu  erlauben,  einen  Stern  auf  der 
„linken  Seite  des  Kleides  eingestickt  zu  tragen.  Wir  auch  in 
„allergnädigster  Erwägung  derjenigen  Devotion  und  Ergebenheit, 
„so  mehr  erwehntes  adl.  Stitt't  zum  heiligen  Grabe  Uns  jederzeit 
„bezeiget,  zum  Merkmahl  und  beständigen  Andenken  Unserer 
„darüber  hegenden  Zufriedenheit,  sothanen  geziemenden  Gesuch 
„in  allerhöchsten  Gnaden  zu  deferiren  geruhet.  Als  wollen  Wir 
„hiermit  und  kraft't  dieses  offenen  Briefes  der  jedesmaligen 
„Aebtissin  und  deren  zur  Hebung  gekommenen  würklich  intro- 
„ducirten  Chanoinessen,  ausser  dem  zeitherigen  Ordenszeichen 
„den  von  besagter  Aebtissin  eingesandten  und  von  Uns  allerhöchst 
„genehmigten  Stern  mit  der  Umschrift 

„Par  Grace  1776", 

„und  in  dem  runden  felde  den  gekrönten  Namenszug  F.  H.  wie 
„solcher  Stern  nach  seinen  natürlichen  färben  alliier  abgebildet 
„worden,  allergnädigst  erlauben,  sothanen  Stern  auf  der  linken 
„Seite  dos  Kleides  zu  besonderen  distinction  und  immerwehrren- 
„den  Andenken  Unsers  gnädigsten  Wohlwollens  von  nun  an  zu 
„ewigen  Zeiten  zu  tragen. 

„Wie  Wir  denn  oftermeldetes  adl.  Stifft  bey  diesen  Unseren 
„demselben  verliehenen  Gnadens  Bezeugung  bedirffenden  falls 
„jederzeit  königlich  schützen  und  handhaben  wollen. 

„Des  zu  Urkund  haben  Wir  diese  Coucession  höchst  Eigen- 
„händig  unterschrieben  und  Unser  königliches  Tnsiegel  daran 
„hängen  lassen;  so  geschehen  und  gegeben  in  Unserer  König- 
lichen Residenzstadt  Berlin,  den  17.  Tag  Monaths  Octobris 
„nach  Christi  Unsers  Herrn  Geburth  im  Eintausend  Sieben- 
hundert Sechs  und  Siebenzigsten  Unser  königlichen  Regierung 
„aber  im  Sieben  und  dreysigsten  .lahrs." 

„gez.  Friedrich. 


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Zur  Geschichte  dea  Ciatercienaer  Jungfrauen- Klosters. 


65 


(Abbildungen  des  Ordenszeichens,  sowie  des  ganzen  Ilabits  der 
Stiftsdamen  des  Klosters  Heiligen-Grabe  findet  man  in  den  Beilagen 
zu  Joh.  Bernoulli's  kurzen  Reisebeschreibungen  Jahrgang  1782  Bd.  VII.) 

Die  Domina  Magdalena  Marie  Uosina  von  Quitzow  war  seit 
1730  eingekleidet,  seit  1741  Conventualin,  seit  1790  Domina  uud  verstarb 
am  4.  Juni  1802  im  76.  Lebensjahre. 

Ihr  folgte  ihre  Schwester  Eleonore  Elisabeth  von  Quitzow 
1802  als  Domina.  Sie  war  seit  1730  eingekleidet,  ward  den  4.  Februar 
1800  Priorin,  und  verstarb  den  1.  Juni  1816  im  Alter  von  85  Jahren. 

Ihr  folgte  als  Äbtissin  Henriette  Wilhelmine  Elisabeth  von 
Stein  wehr,  welche  am  13.  Mai  1843  verstarb. 

Sie  hatte  als  Nachfolgerin  die  später  vielfach  erwähnte  Äbtissin 
Katharina  Elisabeth  Auguste  Ernestine  Luise  von  Schierste  dt. 

Im  Jahre  1790  den  16.  Dezember  wurde  endlich  auch  dem  Stifts- 
hauptmann bewilligt,  den  Orden  anzulegen. 

Durch  Allerh.  Kabinets-Ordre  vom  8.  Oktober  1847  wurde  den 
Stiftsdamen  statt  des  bisherigen  Stifts-Ordens  das  alte  Ordenszeichen 
des  heiligen  Grabes  zu  Jerusalem  verliehen.  Dasselbe  besteht  aus  einem 
achteckigen  silbernen  Stern  mit  5  roten  Kreuzen.  Die  Äbtissin  trägt 
einen  goldenen  Stern.  An  einem  breiten  schweren  Ordensbande  mit 
Silberstreifen  au  dem  Rande,  das  von  der  rechten  Schulter  zur  linken 
Hüfte  hinabreicht,  werden  noch  5  rote  Kreuze  getragen. 

Bei  festlicher  Gelegenheit  wird  ein  weiter,  weisser  bis  auf  die 
Füsse  reichender  Schleier  angelegt. 

Die  ursprüngliche  Anzahl  der  12  Nonnen  ausser  der  Doinina 
oder  Äbtissin  wurde  vermutlich  schon  im  14.  Jahrhundert  verdoppelt; 
und  diese  Anzahl  von  25  Mitgliedern  des  klösterlichen  Convents,  jedoch 
einschliesslich  der  Äbtissin  oder  Domina  und  der  IViorin  blieb  bis  in 
das  17.  Jahrhundert  unverändert  fortbestehen.  Im  Anfange  des  17.  Jahr- 
hunderts wurden  jedoch  an  die  Stelle  der  jüngsten,  Major-Präbenden 
gesetzt,  wodurch  der  Conveut  auf  25  Mitglieder  ausser  der  Doinina  an- 
wuchs. Von  diesen  25  Conventualin  neu  hatten  23  volle  Hebungen  oder 
Major-Präbenden,  und  jede  ihre  eigene  Wohnung,  die  beiden  letzteren 
genossen  nur  Minor-Präbendeu, '  welche  aus  einer  geringem  jährlichen 
Geldhebung  bestanden,  und  womit  keine  Naturalvorteile  und  keine  eigene 
Wohnung  verbunden  waren.  Diese  Minoren  wurden  jedoch  dessen- 
ungeachtet bei  ihrem  Autritte,  nachdem  sie  das  gewöhnliche  Probejahr 
im  Kloster  vorher  gehalten  hatten,  förmlich  eingekleidet  und  introducirt, 
hatten  gleich  jenen  23  Sitz  und  Stimme  auf  dem  Chor  und  im  Kapitel 
und  standen  jenen  in  keiner  anderen  Beziehung  nach,  als  in  Rücksicht 
auf  die  Einkünfte.  Daher  rückten  die  beiden  Besitzerinnen  der  Minor- 
Präbendeu  auch  ohne  alle  weitere  Feierlichkeit  in  die  höhern  Präbenden 
nach  der  Reihenfolge  ein,  sobald  sich  solche  Urnen  erledigten.  Diese 

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GÜ 


Emil  von  Maltitz,  Major  z.  D. 


schon  vor  dein  dreissigjährigen  Kriege  bestehende  Besetzung  des  Convents 
winde  auch  in  den  Statuten  des  Klosters  vom  20.  Februar  1710  anerkannt. 

Die  Statuten  von  1714  veränderten  dieselbe  jedoch  durch  das  Zuthun 
von  zwei  neuen  Miuor-Prübeuden.  Die  Domina  von  Putlitz  nahm  es  in 
der  Folge  sogar  über  sich,  allen  Minoren  die  Hebungen  voller  Präbenden 
zuzugestehen.  Bis  1734  wurden  daher  wirklich  ausser  der  doppelten  Prä- 
bende  der  Doinina  27  volle  Präbenden  aus  den  Kloster- Revenuen  gezahlt. 

Nach  dem  Tode  der  Domina  vereinigten  sich  indess  die  sämtlichen 
Conventualinnen  zu  dein  unter  dem  18.  Januar  1734  gefassten  Kapitel- 
Beschlüsse  nach  dem  Uebertritt  der  zeitigen  Besitzerinnen  der  4  letzten 
Präbenden,  die  eigentlich  Minor -Präbenden  sein  sollten,  zum  Genuss 
voller  Hebungen,  den  4  jüngsten  Conventualinnen  wieder  nur  die  statuten- 
mässigen  Minor -  Präbenden  zu  reichen.  Unter  dem  25.  Dezember  1768 
und  dem  26.  April  1760  machte  dann  aber  das  Ober-Consistorium  bei 
Hofe  den  Vorschlag,  noch  4  neue  halbe  Präbenden  bei  dem  Stifte  zu  er- 
richten, indem  das  Consistorium  aus  dem  Einnahme-Etat  die  Mittel  dazu 
nachwies.  Diesem  Vorschlage  wurde  Folge  gegeben  und  1773  sogar  noch 
die  32.  Stelle  hinzugefügt. 

Die  Präbenden  der  Stiftsdamen  bestanden  bis  in  das  18.  Jahr- 
hundert grösstenteils  aus  Naturalien  und  nur  aus  sehr  geringer  Geld- 
hebung.   Es  bekam  nämlich 
jede  Conventualiu  jählich  an  Geld  25  Thlr.  und  1  Thlr.  von  der  Domina ; 
au  Victnalien  1  Wispel  Roggen, 

1  dito  Gerste, 

2  Scheffel  Buchweitzen, 

2    dito     weissen  Hafer, 

2    dito  Rauhhafer, 

1     dito  Weitzel), 

1     dito  Erbsen, 

1  fettes  Schwein, 

1  Hammel, 

17t  Scheffel  Salz, 

22  Pfund  Stockfisch  und 

14  Lot  Dorsch. 

Noch  wurde  dem  Fräulein  von  der  Domina  jährlich  an  Gewürz  u.  dgl. 
gereicht  1  Quart  Wein, 

1  Lot  Nelken, 

1  dito  Muskat-Xuss, 

1  dito  Zimmet, 

7.  Viertel  Pfeiler, 

Vi    dito  Ingwer, 

Vi  Pfund  Rosinen, 

V«  dito    kleine  Rosinen, 

1  ger.  Semmel. 

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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen  ■  Klosters. 


67 


Ferner  wurde  von  dem  Hauptmann  den  Conventaalinnen  jährlich  gereicht 
and  unter  dieselben  verteilt, 

2  Hirsche,  9  Ochsen,  10  Kühe,  8  Schweine,  6  Hammel  und 
4  Tonnen  Heringe,  und 
von  beiden  Wollschuren  jährlich  einer  jeden  4  Pfund  Wolle  und  von  den 
Meier-  und  Schäfereien  nach  Advent  etwas  an  Butter  und  Käse,  wenn 
die  Pacht  davon  einkam,  sowie  einige  Eier  und  Pachthühner,  welche  die 
Unterthauen  bei  den  Damen  einliefern  mussten. 

Dabei  hatte  jedes  Fräuleiu  jährlich  eine  Schulzeufuhre,  nach  ihrer 
Bequemlichkeit  damit  zu  reisen,  jedoch  dass  sie  in  der  Saat-  und  Ernte- 
zeit die  Schulzen  damit  verschonen  musste. 

Die  Priorin  hatte  dagegen  eine  doppelte  Schulzenfuhre.  Die 
Dom  in  a  hatte  in  Allem  eine  doppelte  Portion  und  überdies  noch  20  Thlr. 
Dienstgeld  aus  Sarnow  von  Hans  Schültken  und  Hans  Dahlen^ 
bürg s  Höfen,  ungleichen 

12  Stein  Wolle,  2  Scheffel  Leinsamen, 
welche  ihr  auf  der  Meierei  nalenbeck  gesäet  wurden,  wogegen  sie  der 
Meierei,  welche  das  gesamte  Vieh  futterte,  20  Ellen  Leinen,  und  wenn 
deren  Laken  und  Betttücher  entzwei  waren,  deren  9  geben  musste. 

Auch  bekam  die  Domina  6  fette  Gänse  und 
die  Priorin  4  Gänse. 

Im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  wurden  diese  Naturalhebungen  je- 
doch allmählich  mehr  und  mehr  in  Geldhebungen  verwandelt  und  die 
Commission  von  1714  liess  sich  mit  dem  Bestreben,  die  ärmlichen 
Präbenden  überhaupt  zu  erhöhen,  zugleich  die  möglichste  Abschaffung 
aller  Natural-Leistungen  angelegen  sein. 

Die  Vollhebung  der  Conventualinnen,  welche  die  Domina  doppelt 
genoss,  bestand  nach  den  Statuten  von  l714,  ausser  in  Wohnung,  Garten, 
Holz  und  dergleichen 

in  jährlichen  115  Thlrn, 
nebst  12  Scheffel  Roggen  und 
12    dito  Gerste. 

Als  nachher  aber  die  Einkünfte  des  Stiftes  sich  vermehrten,  be- 
sonders durch  ansehnlichen  Holzvcrkauf  Kapitalien  angesammelt  waren, 
so  wurden  die  daraus  erwachsenden  Mehreinnahmen  in  der  Stille,  damit 
nicht  die  in  den  Statuten  von  1714  für  den  Fall  der  Vermehrung  der 
Stifts-Revenuen  vorbehaltene  Vergrösserung  des  Convents  stattfinde,  ohne 
höhere  Approbation  jährlich  unter  die  Conventualinnen  verteilt. 

Überdies  machten  sich  dieselben  eigenmächtig  ansehnliche  Zulagen 
von  ihrer  Natural-Getreidehebung  und  bedachten  auch  den  Stiftshauptmanu 
von  Winterfeld  mit  einer  beträchtlichen  Gehalts  Vermehrung.  Ebenso 
eigenmächtig  wurde  einigen  Conventualinnen  wegen  des  Vorsingens  be- 
sondere Remunerationen  ausgesetzt.  Diejenigen  Kapitalien  und  Einkünfte, 

6* 


68 


Kuail  von  Maltitz.,  Major  z.  D. 


die  zum  Überschuss  gerechnet  wurden,  kamen  niemals  in  die  Hanpt- 
rechnung  zur  Einnahme  oder  Ausgabe,  sondern  bildeten  eine  besondere 
Kasse,  und  wurden  jahrlich  um  Johanni  verteilt,  daher  diese  Gelder  den 

„des  Johannis -Termins" 

bekamen. 

Als  dieses  statutenwidrige  Verfahren  aber  durch  die  kommissarfsche 
Untersuchung  im  Jahre  1767  dem  Consistorio  bekannt  wurde,  so  geschah 
demselben  sogleich  Einhalt,  und  trat  demnächst  die  schon  erwähnte 
Erweiterung  des  Convents  ein;  doch  wurde  dabei  auch  auf  die  veränderten 
Zeitumstände  und  die  gestiegenen  Preise  aller  Dinge  billige  Rücksicht 
genommen,  und  den  Conventualinneu  sowohl  an  ihrer  Geldhebung,  als  an 
Naturalien  eine  Zulage  gegeben. 

Zur  wirklichen  Einkleidung  und  zu  dem  Genuss  einer  Präbende  im 
Stift  ist  nach  einer  Königlichen  Anordnung  vom  15.  Juli  1771  sowohl 
bei  dem  vom  Könige  exspectivirten,  als  bei  den  durch  Einschreiben  von 
Seiten  des  Stifts  zur  Ascensiou  stehenden  Personen  das  zurückgelegte 
15.  Lebensjahr  erforderlich;  jedoch  treten  die  früher  berechtigten,  nur 
wegen  nicht  vollständigen  Alters  ausgeschlosseneu  Personen,  wenn  sie 
das  Alter  erreicht  habeu,  den  ihnen  inzwischen  „vortütenen"  (vorgetreten eu), 
sowohl  rücksichtlich  der  Revenuen,  als  der  Wohnung  demnächst  wieder  vor. 

Die  Verfassung  des  Klosters  kommt  übrigens  mit  der  Verfassung 
des  Klosters  Stepenitz  (Riedel,  cod.  diplom.  brandenburg,  B.  I  p.  236) 
in  den  meisten  Punkten  genau  überein. 

Das  Kloster  gehörte  dem  Orden  der  Gistercienser  an.  —  Dieser 
Orden  wurde  im  Jahre  1098  von  Robert  zu  Citeaux  bei  Dijon  gestiftet. 
Der  berühmte  und  gewaltige  Abt  Bernhard  von  Clairvaux,  der  diesem 
Orden  angehörte,  erhob  ihn  zu.  grossem  Anselm.  Im  13.  Jahrhundert 
zählte  der  Orden  schon  2000  Mannes-  und  6000  Frauenklöster.  Die 
Gistercienser- Mönche  .teilten  ihre  Zeit  zwischen  gottesdieustlichen  Ver- 
richtungen und  der  Arbeit.  Solche  arbeitsamen  Mönche  waren  recht 
geeignet,  die  unwirtlichen  ( legenden  des  Wendenlandes  zu  kultivieren,  und 
sie  haben  darin  auch  Grosses  geleistet. 

Bei  dein  hohen  Rufe  der  Heiligkeit,  in  welchem  die  Gistercienser 
standen,  konnte  es  nicht  fehlen,  dass  zur  Entsngung  geneigte  Frauen 
nach  einein  Leben-  unter  der  Regel  dieses  Ordens  sich  sehnten. 

Je  höher  der  Ruhin  des  Ordens  stieg,  um  so  zahlreicher  wurden 
die  Gesuche  von  Fürsten  und  Adeligen,  dein  Orden  Nonnenklöster  ein- 
verleiben oder  neue  nach  seiner  Regel  gründen  zu  dürfen.  Als  man  sich 
anfangs  des  13.  Jahrhunderts  dazu  entschloss,  verbreiteten  sich  die 
Nonnenklöster  mit  wissender  Schnelligkeit  im  Abendlande  und  auch  im 
Morgenlande.  —  Das  Mittelalter  löste  durch  seine  Frauenklöster  zugleich 
seine  Frauenfrage  —  um  mit  einem  anderen  Ausdruck  zu  sprechen.  


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen  •  Klosters.  fJ9 

Hatte  eine  Jungfrau  oder  Wittwe  den  Entschluss  gefasst,  ins  Kloster 
zu  treten,  so  wurde  sie  ins  Kapitel  geführt,  und  nachdem  sie  vor  der 
Äbtissin  niedergekniet  war,  fragte  diese: 

„Was  suchest  Du?" 
Sie  antwortete:  „Gottes  und  Eure  Gnade". 

Dann  stand  sie  auf.    Die  Äbtissin  hielt  nun  folgende  Ansprache: 
„Liebe,  bist  Du  in  der  Absicht  hier,  um  den  heiligen  Orden 
„anzunehmen  und  das  Ordenskleid  zu  empfangen  und  willst  Du 
„unserm  Herrn  gern  dienen,  so  musst  Du  zum  Ersten  Gott  Deine 
„Reinheit  geloben  und  Dein  Eigentum  übergeben,  darfst  kein  Gut 
„ohne  den  Willen  Deiner  Oberin  haben  und  musst  Deiner  Oberin 
„in  jedem  Stück  gehorsam  sein.  Auch  musst  Du  Dein  Wesen  um- 
wandeln, demütig  sein  und  gelassen  in  Worten  und  Werken, 
„musst  alle  Deine  Arbeit  treulich  nach  allen  Deinen  Kräften  thun. 
„Aus  diesem  Kloster  darfst  Du  nicht  gehen,  ausser  wo  es  zum 
„Nutzen  desselben  geschieht  und  dann  auch  nur  mit  Urlaub.  Im 
„Chor,  Schlafsaal  und  im  Kreuzgang  musst  Du  Schweigen 
„beobachten  und  die  bestimmten  Zeiten  im  Gebet  zubringen." 
Nach  dieser  Annahme  musste  sie  als  Schwester  ein  Probejahr  durch- 
machen.   War  dieses  zu  Ende,  so  kam  der  Vaterabt  —  der  Visitator 
und  Vorgesetzte  des  Klosters  — ,  um  sie  ordentlich  aufzunehmen. 

Mit  dem  Gesänge:  „Komm  hcil'ger  Geist  — "  begann  die  Feier. 
Singend:  „Prüfe  mich,  Herr,  und  versuche  mich,  läutere  meine  Nieren 
und  mein  Herz"  (Ps.  26,2)  trat  die  Nonne  vor  den.  Altar,  machte  ein 
Kreuz,  neigte  sich  und  legte  den  Professbrief  auf  den  Altar. 
Derselbe  lautete: 

„Ich  verspreche  Euch  —  dem  Vaterabt,  der  Äbtissin  und 
„Euren  Nachfolgern  in  allen  göttlichen,  ordentlichen  und  redlichen 
„Sachen  gehorsam  zu  sein,  und  ein  keusches,  reines  und  wohl- 
„berüchtigtes  Leben  zu  führen.  Und  würde  ich  hierin  gebrechlich 
„gefunden,  dann  will  ich  darum  die  gesetzliche  Pönitenz  leiden 
„und  mich  bessern.  Würde  mir  ein  Amt  von  dem  Kloster  über- 
tragen, so  will  ich  das  zu  des  Klosters  Nutzen  treulich  führen. 
„So  helfe  mir  Gott  und  seine  Heiligen". 
Dann  trat  sie  zu  den  Altarstufen  zurück  und  sang  dreimal  „Nimm 
mich  an",  warf  sich  dann  vor  dem  Altar  nieder,  während  der  Chor  der 
Jungfrauen  sang:  „Herr  sei  mir  gnädig'*.    Der  Abt  weihte  nun  das 
Ordenskleid,  indem  er  betete: 

„Herr  Gott,  Geber  aller  guten  Gaben  und  Spender  alles  Segens, 
„wir  bitten  Dich  inbrünstig,  Du  wollest  dies  Gewand,  welches 
„Deine  Magd  zum  Zeichen  Deines  Dienstes  anziehen  will,  segnen 
„und  heiligen,  damit  sie  unter  den  übrigen  Frauen  erkannt  werde, 
„als  Dir  geweiht.'* 


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70 


Emil  vou  Maltitz,  Major  i.  D. 


Dann  besprengte  er  das  Gewand  und  die  Nonne  mit  Weihwasser, 
nahm  den  Kopfschmuck  vom  Haupte  und  schor  ein  wenig  vom  Haupt- 
haare ab.  Nachher  zog  er  ihr  das  weltliche  Kleid  aus,  indem  er  sprach : 
„Es  ziehe  der  Herr  Dir  den  alten  Menschen  aus  mit  seinem 

„Wesen". 

Darauf  that  er  ihr  das  Ordensgewand  an  und  legte  den  Schleier 
auf  ihr  Haupt,  indem  er  sprach: 

„Der  Herr  ziehe  Dir  den  neuen  Menschen  an,  der  nach  Gott 
„geschaffen  ist  in  rechtschaffener  Gerechtigkeit  und  Heiligkeit". 
Während  nun  die  neue  Nonne  an  den  Stufen  des  Altars  kniete, 
sang  der  Chor: 

„Gieb  Segen  Deiner  Magd",  und  der  Abt  betete:  „Nimm,  o  Herr, 
„Deine  Magd  auf  unter  die  Zahl  Deiner  Gläubigen,  und  da  wir 
„sie  in  unsere  Gemeinschaft  aufgenommen  haben,  so  gieb  ihr 
„Beständigkeit  auszuharren  und  Gnade,  zur  ewigen  Seligkeit  zu 
„gelangen". 
Die  Communion  beschloss  die  Feier. 

Nach  der  Reformation  änderte  sich  diese  Ceremonie  confessions- 
gemäss,  so  dass  das  Gelübde,  womit  die  Novizen  nach  Ablegung  des 
Probejahrs  sich  mit  ihrer  öffentlichen  Vorstellung  auf  dem  Chor  und  der 
Leistung  des  Handschlages  der  Domina  verwandt  machen  mussten,  nach 
den  Statuten  von  1710  folgendermassen  lautete: 

„Ich  promittiere  und  verspreche  Gehorsam,  schuldige  Reverenz 
„und  Ehrerbietung  im  Angesicht  Gottes,  Euch  der  hoch  würdigen, 
„hochedlen  und  andächtigen  N.  N.  dieses  jungfräulichen  Klosters 
„zum  Heiligen -Grabe,  so  Gott  zu  Ehren  und  dem  jungfräulichen 
„Stande  erbauet,  wohlverordneten  Dominae". 
Die  vorgeschriebenen  Cistercienser- Regeln  mussten  auch  in  den 
Cistercienser -Nonnenklöstern  aufs  Gewissenhafteste  beobachtet  werden. 
Die  Hauptbeschäftigung  der  Klosterfrauen  war  Gebet,  Teilnahme  am 
Gottesdienste    und  Versenkung   in  die  Geheimnisse  des  christlichen 
Glanbens.  Aber  die  Nonnen  beschäftigten  sich  auch  sonst  noch.  Da  sie 
in  der  Regel  die  Mauern  des  Klosters  nicht  verlassen  durften,  60  be- 
schränkte sich  die  Beschäftigung  im  Freien  auf  die  Arbeit  in  den  Kloster- 
gärten, die  —  wie  das  noch  heute  in  Heil  igen- Grabe  der  Fall  ist,  — 
von  hohen  Mauern  umschlossen  waren  und  nur  vom  Klosterhofe  ans  Zu- 
gänge hatten.    Vorzugsweise  beschäftigten  sich  die  Nonnen  mit  Hand- 
arbeiten; ihre  Stickereien  wurden  sehr  gerühmt.   Sie  wählten  dazu  nur 
heilige  Gegenstände  aus  dem  Alten  und  Neuen  Testamente,  um  mit  ihnen 
die  heiligen  Altäre  zu  schmücken  und  die  Anbetung  Gottes  zu  fördern.  — 
Die  Eintrittsgebühren  bestanden  ausser  in  einem  Einbringen  an  Betten 
und  Leinenzeug,  in  109  Thalern;  die  Häuser  der  ausser  dein  Kreuzgange 
wohnenden  Conventualiunen  waren  auch  hier  eigentlich  Privateigentum, 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen  Klosters. 


71 


wie  zu  Stepnitz,  und  mussten  von  den  Bewohnerinnen  gebaut  und  ge- 
bessert werden;  doch  übernahm  das  Kloster  im  Jahre  1710  gleichfalls 
die  Bauten  an  Kellern,  Wänden  und  Dächern.  Von  den  durch  die  Con- 
ventualinnen  bestrittenen  Baukosten  wohnten  dieselben  jährlich  den 
vierzigsten  Teil  ab;  was  nach  ihrem  Abgänge  übrig  blieb,  musste  die 
Nachfolgerin  ausbezahlen. 

Von  bemerkenswerten  Veränderungen  in  den  früheren  Besitzungen 
des  Klosters,  die  sich  seit  den  Zeiten  der  Reformation  ereignet  hätten, 
liegen  in  unsern  Quellen  keine  Nachrichten  vor.  Nur  das  scheint  in 
dieser  Beziehung  erwähnungswert,  dass  George  von  Rohr  und  Caspar 
Köne  von  Burghagen  den  9.  November  1650  dem  Kloster  die  Feld- 
mark Veltenhagen  für  4000  Gulden  verkauften.  Unter  dem  4.  Juni  1652 
wurde  auch  der  lehnsherrliche  Consens  des  Kurfürsten  zu  dieser  Ver- 
äussemng  erteilt,  jedoch  die  Lehnseigenschaft  der  Feldmark  nicht  auf- 
gehoben. Das  Stift  musste  daher  die  Bclehnung  mit  diesem  Gute  suchen, 
und  da  diese  später  versäumt  wurde,  im  Jahre  1685  um  Verzeihung 
seines  Lehnsfehlers  bitten.  Diese  wurde  ihm  unter  dem  11.  Januar  1685 
zu  teil,  auch  den  3.  März  desselben  Jahres  dem  Stiftshauptmann  von 
Karstedt  die  Belehnung  erteilt.  Bei  der  bald  darauf  erfolgten  Regierungs- 
veränderung wurde  das  Lehn  zwar  von  neuem  gemutet,  die  nachherige 
ordentliche  Belehnung  aber  wieder  versäumt.  Letzteres  kam  1710  zur 
Sprache,  worauf  der  begangene  Lehnsfehler  zwar  nochmals  verziehen, 
aber  die  Bclehnung  unter  der  Bedingung  erteilt  wurde, 

„dass  hinführo  der  jetzige  Hauptmann  des  Klosters  nicht  mehr 
„das  Lehn  tragen  noch  verfolgen,  sondern  damit  possibilitas  der 
„Caducität  existiren  möge,  entweder  durch  das  Geschlecht  des 
»jetzigen  Hauptmanns  a.  D.  der  von  Rohr,  oder  einem  anderen, 
„welchen  Wir  (nb.  der  König)  praesentiren  werden,  und  durch 
„dessen  ersten  Lehnsträgers  Descendenten,  nicht  aber  collaterales, 
„dieses  Lehn  von  Fällen  zu  Fällen  verfolgt  werden  sollte." 

Gegen  diese  Einrichtung  verwandte  sich  zwar  der  Convent  mit 
dringenden  Bitten,  es  bei  der  alten  Observanz  und  bei  dem  im  Edikt 
vom  25.  März  1685  bestätigten  Herkommen,  dass  nur  die  Domina  das 
Lehn  trage,  bewenden  zu  lassen.  Doch  wurde  dadurch  nichts  Anderes 
erreicht,  als  dass  dem  Stifte  durch  die  Königliche  Resolution  vom 
5.  März  1711  die  Versicherung  gegeben  wurde,  dass,  wenn  die  erwähnte 
Feldmark  einmal  zur  Apertur  kommen,  und  vom  Könige  einem  andern 
Vasallen  verliehen  werden  sollte,  alsdann  dieser  gehalten  sein  werde,  dem 
Stifte  den  für  das  Lehn  gezahlten  Kaufpreis  zu  restituiren. 

(Diese  Urkunden-Sammlung  zum  Stift  Heiligen-Grabe  aus  dem  Archiv 
des  Stifts  daselbst  entnommen;  Riedel  B.  I  von  pag.  463  -  479.) 


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72 


Emil  von  Maltitz,  Major  z.  D. 


Kloster  und  Ruinen  Heiligen  -  Grabe  bei  Wittstock. 
Bruchstück  aus  einem  Reisetagebuch  des  Professors  Riedel. 
(Märkische  Forsc  hungen  B.  I  pag.  165.) 
In  dem  zwischen  der  Elbe  und  der  Oder  belegenen  Teile  der  Kur- 
mark  Brandenburg  ist  die  Priegnitz,  sowie  an  mannigfaltigen  Spuren  des 
Altertums  auch  an  alten  Klostergebäuden,  Burggebäuden  und  altertüm- 
lichen Befestigungswerken  der  Städte  besonders  reich;  während  dagegen 
die  Überbleibsel  der  Vorzeit  in  keinem  Teile  der  Mark  Brandenburg  in 
dem  Grade  mangeln,  als  in  der  Mittelmark,  wo  das  moderne  Leben,  was 
sich  von  der  Residenz  aus  verbreitet,  die  Spuren  des  Altertums  am 
meisten  verwischt  hat.  Nach  Burgruinen,  welche  nur  in  das  13.  und 
\i.  Jahrhundert  zurückreichen,  sucht  man  in  einem  ziemlich  weiten  Um- 
kreise um  die  Residenzstadt  vergebens :  die  Stadtmauern  von  Mittenwalde 
sind  fast  die  einzigen  noch  wohl  erhaltenen  Umwehrungen  einer  mittel- 
märkischen  Stadt,  und  von  den  vielen  geistlichen  Stiften  der  Mittelmark 
zeigen  eigentlich  nur  Leitzkav  und  Lehnin  noch  ansehnliche  Uberreste. 
Dagegen  bestehen  in  dem  nördlichen  Teile  der  Kurmark  Brandenburg, 
nämlich  in  der  Priegnitz,  in  der  Ukermark  und  in  der  Herrschaft  Ruppin 
nicht  nur  noch  jetzt  4  stattliche  Klöster  aus  der  Zeit  des  13.  Jahrhunderts 
her  in  der  Form  von  adligen  Fräuleinstiften,  sondern  auch  zahlreiche 
Ruinen  von  anderen  in  der  kirchlichen  Reformation  eingezogenen  geistlichen 
Stiftungen,  sowie  von  alten  landesherrlichen  und  Ritterburgen  führen  hier 
in  die  ältesten  Zeiträume  der  Geschichte  dieses  Landes  zurück.  Selbst 
die  Städte  dieser  Gegenden  sind  noch  meistens  mit  ihren  altertümlichen 
Befestigungswerken  ganz  oder  zum  Teil  umgeben  und  gewähren  mit 
ihren  Mauern  und  Wallgräben,  mit  ihren  Warttürmen  und  Thortürmen, 
Wykhäusern  und  sonstigen  mittelalterlichen  Schutzwehren  interessante 
Denkmale  vorzeitiger  Verhältnisse. 

Heiligen-Grab e  ist  von  den  noch  gegenwärtig  bestehenden  vier 
Klöstern  zwar  nicht  das  älteste,  aber  das  bedeutendste. 

Es  wurde  im  Jahre  1287  bei  dem  Dorfe  Techow  zwischen  Witt- 
stock und  Pritzwalk  durch  den  Markgrafen  Otto  den  Langen  gestiftet, 
nachdem  der  Sage  zufolge  die  Misshandlung  einer  geweihten  Hostie 
durch  einen  Juden,  welche  nach  der  Entdeckung  des  Frevels  hier  feierlich 
begraben  wurde  und  demnächst  wunderthätig  wirkte,  dazu  Veranlassung 
gegeben  hatte. 

Das  Stift  liegt  in  einem  reizenden  von  Bächen  und  Teichen  durch- 
zogenen und  von  mannigfaltigen  Waldgruppierungen  umgebenen  Wiesen- 
Thale  und  sehr  abgeschieden  von  der  Aussenwelt.  Jede  der  beiden 
nächsten  Städte  ist  zwei  Meilen  vom  Kloster  entlegen;  selbst  das  Dorf 
Techow  liegt  noch  eine  ziemliche  Strecke  vom  Kloster  entfernt  und  durch 
Gärten  davon  getrennt.  Diese  umschliesst  eine  weitausgedehnte  Kloster- 
niaiier  mit  dem  eigentlichen  Klostergebäude,  mehreren  Wohnhäusern  der 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen  •  Klosters. 


73 


Conventualinnen,  der  Stiftsbauptmannschaft ,  der  Klosterkirche,  der 
Heil  igen -Grabes-Kapelle,  dem  Klostervorwerke  und  anderen 
Gebäuden. 

Die  Gebäude  des  alten  Klosters  zu  Heiligen-Grabe  sind  sehr 
sehenswert  und  dürften  wohl  merkwürdiger  als  die  den  Freunden  vater- 
ländischer Altertümer  gewöhnlich  bekannten  Ruinen  von  Lehnin  und 
Chorin  sein;  denn  Heiligen-Grabe  ist  das  einzige  Kloster  in  der  Kur- 
mark, dessen  Gebäude  noch  vollständig  erhalten  sind.  Nun  gewahrt  man 
aber  bei  Vergleichung  der  verschiedenen,  von  Märkischen  Klöstern  er- 
haltenen Ruinen  sehr  leicht,  dass  bei  Weitem  die  meisten  gleichsam  nach 
einem  Plane  angelegt  sind.  In  allen  übrigen,  von  Märkischen  Klöstern 
erhaltenen  Ruinen  findet  man  nur  mehr  oder  minder  deutlich  das  Bild 
des  Klosters  Heiligen-Grabe  wieder  vor.  Die  Betrachtung  dieser 
Klostergebäude  giebt  daher  die  beste  Anleitung  sich  in  Märkischen 
Klosterruinen  überhaupt  zurecht  zu  finden. 

Das  älteste  Gebäude  des  Ortes  ist  indessen  nicht  das  eigentliche 
Kloster,  sondern  die  der  Einfahrt  etwas  nähere,  den  Hauptgebäuden  des 
Klosters  abgesonderte  Grabkapelle.  Die  in  der  Sage  erwähnten 
zwölf  Nonnen  aus  dem  Cistercienser-Kloster  Neuendorf  in  der 
Altmark  Hessen  sich  zunächst  in  dem  Dorfe  Techow  nieder,  bauten  aber 
sofort  diese  Kapelle  über  den  Ort,  wo  das  heilige  Blut  seine  Wunder 
that,  und  bildeten  darin  das  Heilige  Grab  nach.  Daher  Kloster  „zum 
Heiligen-Grabe*.  Sie  ist  von  Backsteinen  erbaut,  in  Vergleich  mit 
der  gewöhnlichen  Grösse  von  solchen  Klosterkapellen,  sowohl  von  ausser- 
ordentlicher Höhe,  als  von  ungewöhnlicher  Ausdehnung.  Man  sieht,  es 
ist  darauf  gerechnet,  dass  die  Kapelle  eine  grosse  Menge  von  Ver- 
ehrern des  Heiligtums  auf  einmal  aufzunehmen  vermöge.  Äusserlich  ist 
die  Kapelle  mit  ausserge wohnlich  schönen  Giebeln  geziert  der  Art,  wie 
man  sie  bei  Gebäuden  der  Mark  selten,  doch  öfters  in  den  ihr  südlich 
benachbarten  Ländern,  z.  B.  an  den  Wohngebäuden  des  Abts  zu  Zinna, 
und  an  dem  schönen  Rathause  zu  Zerbst  erhalten,  antrifft.  Wie  diese 
schönen  Giebel  der  Kapelle  auf  den  Baustil  der  Gegend  eingewirkt,  er- 
kennt man  aber  aus  dem  Umstände,  dass  in  dieser  Gegend  viele  sonst 
in  gewöhnlicher  einfachen  Weise  aufgeführten  Landkirchen,  namentlich 
von  Heiligen-Grabe  aus  gegen  Putlitz  und  Freienstein  hiu,  mit  Giebeln 
im  Character  der  Giebel  dieser  Grabkapelle  verziert  sind.  Auch  bei  dem 
erst  1520  vollendeten  Bau  der  ausserordentlich  schönen  Kirche  zu  Alt- 
Krüssow,  welche  dieser  Ort  den  Wallfahrten  zu  einem  dortigen  wunder- 
tätigen St.  Annen-  oder  Marienbilde  verdankt,  die  bis  zu  den  Zeiten  der 
Reformation  fortgesetzt  wurden,  scheint  die  Grabkapelle  noch  zum  Vor- 
bild gedient  zu  haben. 

Im  Innern  der  Kapelle  in  den  Aussenwänden  der  Chöre  hat  sehr 
alte  Malerei  die  Legende  bildlich  dargestellt,  wie  der  Jude  aus  Meissen 


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Emil  von  Maltitz,  Major  z.  D. 


die  geweihte  Hostie  aus  der  Kirche  zu  Techow  stahl,  wie  er  sie  auf  der 
Stelle,  wo  jetzt  die  Kapelle,  ehemals  aber  ein  Galgen  stand,  zerrieb  und 
blutend  unter  Schmähungen  einscharrte,  wie  die  Schlauheit  eines  Pritz- 
walker  Bürgers,  welcher  sich  als  Geistlicher  verkleidete,  dem  Juden  das 
Geständnis  der  Frevelthat  ablockte,  wie  der  Jude  dann  hingerichtet,  die 
Hostie  aber  von  Pritzwalk,  wohin  sie  anfangs  gebracht  war,  mit  grossem 
Gepränge  nach  ihrem  Fundorte  zurückgebracht  wurde,  wie  der  Bischof 
Heinrich  von  llavelberg  von  seinem  in  die  Wunderkraft  der  Hostie 
gesetzten  Zweifel  durch  eine  Krankheit,  welche  ihn  beim  beabsichtigten 
Vorbeiziehen  vor  dieser  Stelle  überfiel  und  hier  des  Heiligtums  zu  ge- 
denken zwang,  durch  die  Kraft  des  heiligen  Blutes  geheilt  wurde,  wie 
der  Markgraf  Otto  der  Lange,  indem  er  ein  Jagdschloss  statt  eines 
Klosters  hier  zu  errichten  beabsichtigte,  und  von  den  hier  durch  Gläubige 
bereits  zusammengebrachten  Opfern  seine  Tafel  bestellen  Hess,  durch  die 
Verwandlung  der  Speisen  in  Blut  und  durch  eine  nächtliche  Vision  zur 
Gründung  des  Klosters  aufgefordert  wurde,  u.  s.  w.,  wie  solche  im  Ver- 
folg der  Legende. 

In  späterer  Zeit  stand  die  Kapelle  zum  Heiligen-Grabe  unbenutzt; 
endlich  wurde  sie  sogar  als  Kornspeicher  gebraucht.  — 

Der  hochselige  König  Friedrich  Wilhelm  IV.  interessierte  sich  bei 
seiner  Anwesenheit  im  Stift  für  den  schönen  mittelalterlichen  Bau;  er 
Hess  die  Kapelle  im  Innern  würdig  restaurieren  und  durch  den  General- 
Superintendenten  Dr.  Hoffmann  im  Jahre  1855  neu  weihen  zum  gottes- 
dienstlichen Gebrauch.  Der  König  selbst  war  bei  der  Feier  zugegen. 
An  der  Stelle  des  „Heiligen  Grabes"  erhebt  sich  nun  der  Altar  der 
Kapelle. 

Solche  Erläuterungen  der  Sagen  von  der  Stiftung  des  Klosters  durch 
bildliche  Darstellungen  waren  in  frühern  Zeiten  sehr  gewöhnlich.  Dahin 
gehört  z.  B.  die  bis  in  das  18.  Jahrhundert  erhaltene  Vorstellung  der 
Fundation  des  Bistums  Havelberg  durch  Kaiser  Otto  in  einem  Saale 
der  bischöflichen  Burg  zu  Wittstock. 

Wahrscheinlich  sind  auch  die  beiden  bekannten  in  der  Klosterkirche 
zu  Lehnin  aufbewahrten  alten  Tafeln  von  der  Ermordung  des  ersten 
Abtes  Siboldus,  der  versuchten  Auswanderung  der  Mönche  und  der 
Erscheinung  der  Jungfrau  Maria  mit  dem  Christuskinde,  welche  sie  zur 
Rückkehr  aufforderte,  nur  Bruchstücke  solcher  altertümlichen,  in  den 
Klöstern  häufig  anzutreffenden,  in  Bildern  dargestellten  Geschichts- 
erzählungen der  ersten  Schicksale  des  Stiftes.  Denn  selbst  bis  in  die 
neuere  Zeit  hinab  erstreckte  sich  die  alte  Sitte,  den  Akt  der  Gründung 
solcher  Stiftungen  durch  die  Sprache  des  Pinsels  zu  beschreiben,  wie 
namentlich  Pinacker's  schönes,  bis  jetzt  zii  wenig  beachtetes  Gemälde 
zeigt,  wodurch  des  Grossen  Kurfürten  Stiftung  des  Waisenhauses  zu 
Oranienburg  verherrlicht,  und  welches  dort  im  Waisenhause  zu  sehen  ist. 


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Zur  Geschichte  des  Cißtercienser  Jungfrauen -Klosters. 


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Ganz  ähnlich  den  Chor-Gemälden  von  Heiligen-Grabe  sind  aber 
im  Umfange  der  Priegnitz  selbst,  die  in  das  14.  Jahrhundert  gehörigen 
bildlichen  Darstellungen  der  Geschichte  des  Wilsnacker  Wunderlandes  an 
dem  Chore  in  der  Kirche  zu  Wilsnack.  Auch  hier  ist  die  ganze  be- 
kannt« Sage  von  der  Einäscherung  der  dortigen  Pfarrkirche,  der  blutigen 
in  der  Asche  gefundenen  Hostie  und  von  den  Wundern,  welche  dieselben 
wirkten,  in  einer  Reihe  von  vielen,  die  einzelnen  Scenen  vor  Augen 
führenden  Gemälden  dargestellt.  Diese  Gemälde  sind  zwar  der  Gegen- 
wart noch  erhalten,  aber  bei  der  Baufälligkeit  der  Chöre,  welche  deren 
baldige  Erneuerung  erwarten  lässt,  in  der  höchsten  Gefahr  des  Unter- 
ganges. Da  der  —  ohnehin  durch  das  grossartige  Gebäude  der  Pfarr- 
kirche zu  Wilsnack  ungewöhnlich  beschwerte  adlige  Patron  —  Fritz 
von  Saldern  —  dasselbe  —  sich  schwerlich  veranlasst  fühlen  dürfte, 
kostbare  Anstalten  zur  Conservation  der  wurmstichigen  Bretter,  welche 
von  diesen  Gemälden  überdeckt  sind,  zu  treffen. 

Was  sonst  das  Innere  unserer  Kapelle  des  Heiligen-Grabes 
betrifft,  so  ist  die  freie  Ansicht  dessolben  seit  längerer  Zeit  durch  die 
Einrichtung  einer  Zwischendecke  und  dergleichen  mehreren  Anstalten  ge- 
raubt; denn  seit  langer  Zeit  war  diese  ehemals  frommer  Andacht  ge- 
widmete Stätte  zu  gemeinem  Wirtschaftsgebrauche  bestimmt,  welcher 
dergleichen  Eingebäude  erforderlich  machte.  Doch  die  Sorgfalt,  womit 
der  zeitige  Stiftshauptmann  und  Ritterschaftsrat  von  Avemann  für  die 
Conservation  und  Herstellung  aller  altertümlichen  Zierden  des  ihm  an- 
vertrauten Stiftes  bemüht  war,  lässt  zuverlässig  die  bald  erfolgende 
Hinwegräumung  auch  dieser  Verunstaltung  der  gedachten  Kapelle  er- 
warten, —  wenn  solche  nicht  vielleicht  in  dieser  Zeit,  seitdem  der  Bericht- 
erstatter selbige  nicht  gesehen,  schon  vorgenommen  sein  sollte. 

Das  eigentliche  Kloster  mit  der  Klosterkirche  liegt  einige 
Schritte  entfernt  von  dieser  Kapelle.  Es  bildet  ein  aus  Backsteinen  auf- 
geführtes Viereck,  wovon  die  eine  (östliche)  Seite  durch  die  Klosterkirche, 
die  andern  drei  Seiten  durch  die  ehemaligen  Wohnungen  der  Nonnen  und 
des  Convents  eingenommen  werden.  Diese  Gebäude  umschliessen  einen 
geräumigen  Klosterhof.  Ein  breiter  Kreuzgang  mit  schöner  Wölbung 
läuft  im  Innern  des  Klostergebäudes  an  allen  vier  Flügeln  hin  und  um- 
giebt  zugleich  den  innern  Klosterhof,  die  Begräbnisstätte  der  Nonnen.  — 
Im  Innern  des  Gebäudes  sind  die  Zellen  verschwunden;  sie  sind  zu 
wohnlichen  Sälen,  Zimmern  und  Schulräumen  ausgebaut,  denn  eine 
fröhliche  Kinderschar  tummelt  sich  jetzt  in  den  Räumen  und  Gängen, 
wo  früher  die  schweigsamen  Nonnen  in  düsterer  Tracht  umhergingen. 
Im  obern  Stock  ist  ebenfalls  ein  Gang,  der  jedoch  ungewölbt  und  zum 
Teil  mit  einem  Getäfel,  was  Spuren  sehr  alter  Malerei  zeigt,  bedeckt, 
auch  wegen  neuerer  Einbauten  nicht  mehr  ganz  erhalten  ist.  Von  diesen 
Gängen  begab  man  sich  in  die  Zellen,  welche  jetzt  meistens  nicht  mehr 
von  den  Stiftsdamen  bewohnt  werden. 


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Emi!  von  Maltitz,  Major  z.  D. 


In  dem  untern  Gange  sind  einige  Begräbnissteine  alter 
Äbtissinnen  und  Stiftshauptleute.  Die  Inschriften  derselben  hat  jedoch 
der  Fusstritt  zerstört.  Auffallend  ist  unter  denselben  besonders  ein  Stein 
von  ausserordentlicher  Länge  und  Breite,  der  unmittelbar  vor  dem  Ein- 
gange zu  einer  Zelle  liegt,  und  zwei  Begräbnisse  zu  decken  scheint.  Auf 
demselben  sieht  man  die  Umrisse  von  den  Bildnissen  zweier  geharnischter 
Ritter  mit  einer  Umschrift,  welche  die  Namen  und  die  Veranlassung  des 
Todes  dieser  Ritter  angegeben  haben  soll,  von  der  jedoch  jetzt  nur  noch 
an  einer  Ecke  die  Jahrzahl  „MCCCCXXXI«  zu  lesen  ist.  Die  Sage  er- 
gänzt aber  die  Inschrift  also: 

„Zwei  Ritter  liebten  eine  dem  Himmel  geweihte  Jungfrau,  welche 
„in  dieser  Zelle  wohnte;  beide  gleich  hoffnungslos,  gaben  sich 
„hier  gegenseitig  den  Tod,  wo  der  Convent  ihnen  mit  weiblicher 
„Milde  verzeihend,  wenigstens  eine  Begräbnisstätte  verstattete". 
Jetzt  wohnen  die  Stiftsdamen  meistens  in  kleinen  Häusern  hinter 
dem  Kloster  und  stehen  die  Zellen  zum  Teil  unbewohnt.    So  wohnte 
z.  B.  Dorothea  Anna  Charlotte  Gottliebe  von  Zieten  a.  d.  II.  Gross- 
Gotsehow  zur  Miete  im  Stift  Heiligen-Grabe,  und  starb  hierselbst 
den  29.  Juli  1813  in  einem  Alter  von  53  Jahren.  Doch  die  Gebäude  sind 
wohl  erhalten  und  nach  Hinwegräumung  von  allerhand  Vorgebäuden, 
welche  die  freie  Ansicht  beschränkten,  bieten  sich  die  alten  Spitzbogen 
der  Kreuzgänge  in  grosser  Schönheit  noch  vollständig  dem  Blicke  dar. 

Die  Kirche  ist  ein  ebenfalls  schön  gewölbtes  geräumiges  Gebäude, 
jedoch  ohne  sonderlichen  Merkwürdigkeiten.  Ihr  grosser  Umfang  erklärt 
sich  aus  der  Menge  von  Fremden,  welche  ehemals  hier  an  hohen  Fest- 
und  Feiertagen  zusammen  kamen,  und  aus  der  grossen  Anzahl  von 
einzelnen  Altären,  welche  darin  betanden.  Jetzt  ist  sie  freilich  für  das 
Bedürfnis  der  kleinen  Gemeinde,  zu  deren  Gottesdienst  sie  gebraucht 
wird,  viel  zu  gross. 

Altäre,  deren  in  den  Urkunden  gedacht  wird,  waren  namentlich: 
ein  Altar  der  Familie  von  Predöhl  und 
ein  Frühmessen-Altar  nach  einer  Urkunde  von  1420; 
ein  Altar  der  Jungfrau  Maria  und  des  Evangelisten  Johannes, 
den  Conrad  von  Plate n  gestiftet  hatte,  und  dessen  im  Jahre 
1351  gedacht  wird,  und  -  • 

ein  Altar  der  Familie  von  Rohr,  der  zu  Ehren  der  Apostel  Petrus 
und  Paulus  geweiht  war,  dessen  1468  Erwähnung  geschieht. 
Diese  bestanden  in  der  Pfarrkirche. 

Ausserdem  gab  es  aber  auch  in  der  Kapelle  eigene  Nebenaltäre,  z.  B. 

nach  einer  Urkunde  von  1386  einen  Marien-  und  Johannis- Altar. 
Nach  dec  Reformation  sind  diese  Altäre  vermutlich  bald  aus  der 
Kirche  entfert  worden,  und  jetzt  findet  sich  keine  Spur  ihres  ehemaligen 
Vorhanden  mehr. 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen-Klosters. 


77 


Dagegen  steht  noch  eine  kleine,  in  den  Klosterhof  hineingebante 
Kapelle,  welche  unmittelbar  mit  der  Klosterkirche  zusammenhängt  und 
jetzt  als  Aufbewahrungsort  eines  reichhaltigen  Archives  des  Klosters 
benutzt  wird. 

Auf  der  andern  Seite  der  Kirche  ist  die  Ruhestätte  der  Entschlafenen, 
der  Klosterkirchhof.  Die  ehemalige  Probstei  —  die  jetzt  Stifts- 
hauptmanuswohnung  —  mit  den  Wirtschaftsgebäuden,  ist  einige  Schritte 
vom  Kloster  entfernt. 

Der  Zeit  nach  gehört  die  Erbauung  der  Kapelle  des  Heiligen- 
Grabes  wahrscheinlich  in  das  13., 

Der  Bau  des  Klostorgebäudes  und  der  Klosterkirche  in  das 
U.  Jahrhundert. 

Es  lag  nämlich  diese  Kapelle  eine  ziemliche  Strecke  vom  Dorfe 
Techow  entfernt,  überdies  war  es  in  Tcchow  auch  zu  einer  abgeschlossen 
klösterlichen  Einrichtung  nicht  gekommen,  so  dass  man  an  den  Bau 
eines  Klosters  nahe  jener  Grabkapelle  ging.  Uni  1317  muss  dieser  Bau 
begonnen  sein.  Während  bis  dahin  nur  der  Name  „K  loste r  Techow" 
vorkommt,  tritt  nun  die  Bezeichnung  „Kloster  zum  Heiligen-Grube 
in  Techow"  auf.  1819  verspricht  —  nach  einer  alten  Urkunde  im 
Stifts-Archiv  —  die  Familie  von  G  üblen  zum  Heile  ihrer  Seelen  76  Mark 
Silber  zum  Bau  des  Klosters  zum  Heiligen  Grabe  herzugeben.  Man 
führte  dergleichen  Bauten  damals  nicht  so  schnell  auf,  wie  in  neuerer 
Zeit;  sondern  baute,  gewöhnlich  mit  Unterbrechungen,  Jahrzehnte  daran 
fort,  sowie  unentgeltliche  Hilfeleistungen,  unentgeltliche  Hergabe  von 
Materialien  oder  Geldspenden  frommer  Wohlthäter  die  Fortsetzung  ge- 
statteten. Wenn  daher  gleich  schon  im  Jahre  1287  oder  1289  der  Anfang 
mit  der  Errichtung  des  Klosters  gemacht  worden  ist,  so  kann  doch  sehr 
wohl  sein,  dass  selbiges  erst  nach  50  oder  100  Jahren  vollendet  wurde. 

Das  Jahr  1803  war  verhängnissvoll  für  die  Bistümer,  Klöster  und 
geistlichen  Stifte  in  Deutschland.  Im  Frieden  zu  Luneville  1801  inusste 
das  linke  Rhein-Ufer  an  Frankreich  abgetreten  werden:  zugleich  wurde 
hier  stipuliert,  dass  die  deutschen  Fürsten  für  die  am  linken  Rhein-Ufer 
abgetretenen  Gebietsteile  sich  schadlos  halten  sollten  durch  die  Media- 
tisieruug  der  kleineren  Reichsfürsten  und  der  Reichsstädte  und  durch  die 
Säcularisierung  der  geistlichen  Güter.  Durch  den  am  25.  Februar  1803 
erfolgten  Reichsdeputations-Hauptsehluss  wurde  die  Säcularisierung  in 
Vollzug  gesetzt.  Preussen  wurde  dadurch  «las  Recht  beigelegt,  alle  in 
seinem  Gebiete  liegenden  Bistümer  und  Stifte  einzuziehen.  —  Indess 
blieben  die  evangelischen  Frauenstifte  bestehen:  unter  ihnen  auch 
Heiligen -Grabe.  In  der  bezüglichen  ;m  das  Stift  Heiligen -Grabe 
unter  dem  5.  Dezember  1805  erlassenen  Kabiuets-Ordre  heisst  es: 

„Von  Gottes  Gnaden  Friedrich  Wilhelm  König  von  Preussen  etc. 
„Unsern  gnädigen  Gruss  zuvor.  Würdige  und  Andächtige,  Liebe, 


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Emil  von  Maltitz,  Major  t  D. 


„Besondere.    Obwohl  Wir  durch  den  Reichs-Deputations-Schluss 
„die  Befugnis  erhalten  haben,  die  Stifte  in  allen  Unsern  alten, 
„mit  dem  Deutschen  Reiche  in  Verhältnis  stehenden  Landen 
„aufzuheben,  so  haben  Wir  dennoch  Uns  allergnädigst  entschlossen, 
„solche  fortdauern  zu  lassen,  jedoch  Uns  das  Recht  vorbehalten, 
„die  bisherige  Verfassung  zu  modificieren".  — 
Diese  Modifikation  bestand  unter  anderem  darin,  dass  der  König  je 
zwei  Stiftsstellen  besetzte,  sich  bei  der  dritten  das  Recht  der  ersten  Bitte 
vorbehielt,  ausserdem  das  Recht  auf  die  Vorschläge  des  Kapitels  zur 
dritten  Stelle  nach  Befinden  Rücksicht  zu  nehmen.  Ausserdem  wird  be- 
stimmt, dass  fortan  nicht  allein  au  Damen  lutherischer  Confession 
—  wie  bisher  —  sondern  auch  an  solche  reform irten  Bekenntnisses 
Stiftsstellen  im  Stifte  verliehen  werden  sollen. 

Als  durch  den  unglücklichen  Krieg  mit  Frankreich  1806/1807  uud 
durch  die  zu  leistenden  Kriegs -Contributioneu  die  Finanzen  des  Staates 
aufs  äusserste  erschöpft  waren,  sah  sich  der  König  Friedrich  Wilhelm  III. 
genötigt,  durch  Edikt  vom  30.  October  1810  zu  verfügen: 

„Alle  Klöster,  Dom-  und  andere  Stifte,  Collegen  und  Kommenden 
„werden  von  jetzt  ab  als  Staatsgüter  betrachtet    Über  die  pro- 
testantischen, weiblichen  Stifte  aber  wird  bestimmt,  dass  in  den 
„Verhältnissen  derselben  nichts  geändert,  sondern  sie  in  ihrem 
„Wesen  erhalten  bleiben  sollen". 
Indess  verlor  das  Stifts -Capitel  das  —  freilich  sehr  bedingte  — 
Vorschlagsrecht  zur  dritten  Stelle.  Alle  Präbonden  wurden  von  Sr.  Majestät 
vergeben  und  dabei  ist  es  seitdem  verblieben. 

In  den  äussern  Verhältnissen  des  Stifts  traten  in  jenen  Zeiten  noch 
weitere,  bedeutende  Veränderungen  ein.  Auf  Grund  des  Gesetzes  vom 
14.  September  1811  erhielten  die  Bauern  der  dem  Stifte  zugehörigen 
Dörfer  die  freie  Verfügung  über  ihren  Grundbesitz;  die  an  das  Kloster 
zu  leistenden  Hand-,  Spann-  und  andere  Frohndienste  und  Abgaben 
wurden  abgelöst. 

Der  Besitz  des  Stiftes  beschränkte  sich  von  nun  an  auf  die  drei 
gutsherrlichen,  dem  Stifte  gehörigen  Rittergüter  mit  einem  Vorwerk  uud 
auf  die  Kapitalien,  die  dem  Stifte  durch  die  eben  erwähnten  Ablösungen 
zuflössen.  So  bestanden  die  Verhältnisse  des  Stiftes  bis  in  die  vierziger 
Jahre  fort,  dann  fanden  neue  Veränderungen  statt. 

Der  hochselige  König  Friedrich  Wilhelm  IV.,  der  in  lebendigem 
Interesse  für  die  Kirche  und  kirchlichen  Stiftungen  das  aus  alter  Zeit 
noch  als  lebensfähig  Vorgefundene  zu  erhalten,  das  Veraltete  zeitgemäss 
zu  reformieren  und  mit  dem  Geiste  christlichen,  evangelischen  Lebens  zu 
erfüllen  suchte,  wandte  dem  Stifte  Heiligen  -  Grabe  besonderes 
Interesse  zu.  Die  thatkraftige,  mit  christlichem  Geiste  und  Sinn  erfüllte 
Äbtissin  von  Schierstädt,  von  der  wir  noch  später  einiges  erfahren 


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Zur  Geschichte  <les  Cisteroienser  Jungfrauen  Klosters. 


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werden,  und  die  im  Jahre  1843  zur  Äbtissin  erwählt  worden  war,  kam 
dein  Könige  in  dem  Streben,  die  Verfassung  des  Stifts  in  dem  auge- 
deuteten Sinne  neu  zu  gestalten,  willig  entgegen.  Nach  eingehender 
Prüfung  der  Stifts -Verhältnisse  wurde  beschlossen,  die  Revenuen- Über- 
schüsse des  Stifts  zu  Werken  christlicher  Liebe  im  Dienste  der  Kirche 
zu  verwenden.  Der  König  besuchte  wiederholt  das  Stift  und  wandte  den 
.Stifts-Angelegenheiten  ein  lebendiges  Interesso  zu.  Unter  dein  11.  Üctober 
1853  erschien  eine  Königliche  Kabinets-Ordre,  in  welcher  es  unter 
Auderem  heisst: 

„Ich  habe  Mich  bewogen  gefunden,  unter  Berücksichtigung  des 
„kirchlichen  Ursprungs  und  Charakters  des  Klosters  zum 
„Heiligen-Grabe  —  dieser  von  Meinen  in  Gott  ruhenden  Vor- 
„fahren  gegründeten,  frommen  Stiftung  durch  Emanation  eines 
„neuen  Statuts  wiederum  eine  solche  Einrichtung  und  Verfassung 
„zu  geben,  dass  die  Dienste  der  in  das  Kloster  aufgenommenen 
„Frauen  und  die  aus  der  Vermögens-Verwaltung  desselben  auf- 
kommenden Überschusse  fortan  dauernd  zu  christlichen  Liebes- 
„zweeken  gewidmet  sein  sollen.  Um  aber  den  rechtlichen 
„Charakter  des  Klosters  als  einer  Anstalt  der  evangelischen 
„Kirche  für  alle  Folgezeit  sicher  zu  stellen,  habe  Ich  ferner  be- 
schlossen, die  Aufsicht  über  dasselbe  dem  Evangelischen  Ober- 
„kirchenrate  zu  übertragen". 
Nach  Massgabe  dieser  Allerhöchsten  Ordre  wurden  nun  die  Statuten 
von  1714  in  verschiedenen  Punkten  geändert,  so  dass  die  Stifts-Ver- 
hältnisse in  folgender  Weise  geordnet  wurden: 

Die  oberste  Verwaltungsbehörde  des  Stiftes  bildet  der 
Evangelische  Oberkirchenrat,  der  in  wichtigen  Fällen  die  Entscheidung 
Se.  Majestät  des  Königs  einzuholen  hat.  Der  Evangelische  Oberkirchen  rat 
hat  ein  aus  drei  Mitgliedern  bestehendes  Kuratorium  gebildet,  welches 
zunächst  mit  der  Verwaltung  der  Stiftsangelegen heiten  betraut  ist.  Zwei 
Mitglieder  desselben  gehören  dem  Evangelischen  Oberkirchenrat,  eins  dem 
Ministerium  des  Innern  an. 

Die  Stiftshauptinannschaft  war  eine  Zeitlang  aufgehoben  und 
die  Verwaltung  der  äussern  Stifts -Angelegenheit  führten  zwei  Stifts- 
Vorsteher,  welche  schon  in  frühern  Zeiten  zur  Stiftsverwaltung  gehörten. 

Durch  die  Allerhöchste  Kabinets-Ordre  vom  31.  Mai  1881  ward  dem- 
nächst unter  Beseitigung  der  Stifts -Vorsteher  von  Neuem  ein  Stifts - 
Hauptmann  eingesetzt,  —  zunäch  der  Landgerichts-Präsident  Petrenz 
in  Neu-Ruppin,  1884  Magdeburg  —  und  unter  wesentlicher  Beschränkung 
der  Rechte  des  Kapitels,  der  Äbtissin  unter  Zuziehung  des  Stiftshauptmanns 
bei  gewissen  wichtigeren  Geschäften  im  Wesentlichen  die  Verwaltung 
des  Stift-Vermögens  übertragen. 

Zugleich  wurde  die  Stelle  eines  Stift-Probstes  wiederhergestellt, 


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HO 


Emil  von  Maltitx,  Major  z.  D. 


aber  die  Funktionen  desselben  auf  die  inneren  Angelegenheiten  des  Stifts 
beschränkt.  —  Das  Kapitel  nebst  der  Äbtissin  ist  an  den  Beirat  des 
Probstes  in  allen  Angelegenheiten,  welche  die  wohlthätigen  Anstalten, 
die  Besetzung  der  unter  dein  Stifts  -  Patronate  stehenden  Pfarr-  und 
Schulstellen,  und  welche  das  Verhältnis  der  Äbtissin  zum  Convente  be- 
treffen, gebunden.  Derselbe  hat  feiner,  so  oft  er  im  Stifte  anwesend  ist, 
das  Recht  der  Predigt  und  Seelsorge.  Der  Probst  soll  ein  angesehener 
Geistlicher  der  Landeskirche  sein. 

Das  Stifts-Kapitel  besteht  aus  der  Äbtissin  und  den  Conventua- 
linnen,  die  im  Stifte  wohnen.  Ihre  Zahl  betrug  im  Jahre  1884  zwölf. 
Die  übrigen  vierzehn  Stiftsdamen,  welche  Präbenden  beziehen,  wohnen 
ausserhalb  des  Stiftes,  üben  aber  keine  Rechte  in  Bezug  auf  die  Stifts- Ver- 
waltuug  aus.  Wenn  eine  Conventualin  ernannt  ist,  so  wird  sie  —  in- 
sonderheit wenn  sie  im  Stift  Wohnung  nehmen  will  —  auf  feierliche 
Weise  und  unter  specieller  Verpflichtung  zum  Gehorsam  gegen  die 
Kloster  -  Ordnung  von  der  Äbtissin  in  Gegenwart  des  Kapitels  aufge- 
nommen. 

Das  der  Äbtissin  speciell  geleistete  Gelöbnis  —  das  in  die  Hand 
derselben  abgelegt  wird  —  lautet: 

„Ich  N.  N.  promittire  und  verspreche  willigen  Gehorsam, 
„schuldige  Reverenz  und  Ehrerbietung  im  Angesichte  Gottes  Euch 
„der  Hochwfirdigen ,  Hoehedelen  und  Andächtigen  N.  N.  dieses 
„jungfräulichen  Klosters  zum  lleiligen-Grabe  —  so  Gott  zu  Ehren 
„und  dem  jungfräulichen  Stande  erbaut  ist  —  wohlverordneten 
„Äbtissin*. 

Der  Aufnahme  schliesst  sich  eine  kirchliche  Feier  unmittelbar  an. 
Der  Conventualin  wird  auf  das  Gelübde  eines  frommen,  gottseligen 
Lehens  der  kirchliche  Segen  erteilt. 

In  der  durch  die  neuen  Statuten  mit  dein  Stifte  verbundenen  Er- 
ziehung*-A  ustalt  werden  16  Töchter  aus  bedürftigen  adeligen  Familien 
erzogen  und  unterrichtet.  Die  Art  und  Weise,  in  welcher  diese  Er- 
ziehung geführt  werden  soll,  wird  durch  das  Reglement  vom  H.  September 
1853  unter  anderen  in  folgenden  Worten  bezeichnet:  „Die  Aufgabe  der 
„Anstalt  ist,  —  eingedenk  der  Worte  des  Herrn: 

„Lasset  die  Kindlein  zu  mir  kommen  und  wehret  ihnen  nicht!" 
„—  die  ihr  anvertrauten  Kinder  auf  Grund  des  Wortes  Gottes  also  zu 
„erziehen,  unterrichten  und  auszubilden,  dasssie  in  demselben  gewurzelt, 
„sich  durch  des  Herrn  Gnade  im  Leben  erweisen  lernen  als  Bäume  der 
„Gerechtigkeit,  Pflanzen  des  Herrn  zum  Preise  —  und  nach  vollendeter 
„Erziehung  im  Stande  sind,  in  der  Kette  der  menschlichen  Gesellschaft, 
„nach  Massgabe  ihrer  Gaben  und  Fälligkeiten,  den  ihnen  vom  Herrn 
„angewiesenen  Platz  —  sei  es  als  Hausfrauen,  Erzieherinnen,  Lehrerinneu 
„oder  Gesellschafterinnen  —  einnehmen,  ausfüllen  und  sich  auf  diesem 


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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen  Klosters. 


81 


„Wege  ohne  Verleugnung  ihres  Standes  eine  anstündige  Existenz  bereiten 
„zu  können.  Insbesondere  sollen  die  Befähigteren  tinter  den  Kindern 
„soweit  ausgebildet  werden,  dass  sie  den  Anforderungen  für  das  Lehrerinnen- 
„Examen  zu  genügen  vermögen." 

Die  Leitung  der  Erziehung  dieser  Kinder  soll  unter  Oberaufsieht 
der  Äbtissin  einer  sich  dazu  eignenden  Conventualin  übertragen  werden. 
Der  Unterricht  wird  von  einein  Theologen,  der  das  Rektors-Examen  ab- 
solviert hat,  und  der  Vorsteherin  der  Anstalt  unter  Teilnahme  und  Kenntnis- 
nahme der  Äbtissin  und  des  Frohstes  geleitet.  Mit  der  Revision  der 
Schule  ist  der  Provinzial-Schulrat  betraut.  Die  vier  unterrichtenden 
Minorinneu  haben  Anwartschaft  auf  eine  Conventualinnenstelle.  Die 
je  dritte  Präbende  soll  an  eine  solche  thätige  Dame,  die  vor  ihrer  An- 
stellung ein  Probejahr  an  der  Anstalt  zu  absolvieren  hat,  verliehen  wer- 
den. Die  Vorsteherin  der  Anstalt,  die  Lehrerinnen  und  die  Kinder 
wohnen  in  der  Abtei,  dem  alten  Klostergebäude;  sie  bilden  gleichsam 
die  Familie  der  Äbtissiu,  die  als  Hausmutter  unter  ihnen  waltet. 

In  der  Abtei  werden  ausserdem  acht  Waisenkinder  aus  den  untern 
Ständen  frei  erzogen  und  ausgebildet. 

In  dem  sogenannten  „Beginenhause"  des  Stifts  finden  alte,  arbeits- 
unfähige Wittwen  aus  den  Stiftsgütern  Aufnahme  und  Verpflegung.  Eben- 
so werden  in  dem  im  Dorfe  Techow  gelegenen  Armenhause  des  Stiftes 
unterstützungsbedürftige  Personen  oder  auch  ganze  Familien  aufgenommen 
und  nach  Bedürfnis  versorgt. 

Endlich  geniessen  die  Bedürftigen  in  dein  Dorfe  Techow  aus  den 
Tagelöhnerhäusern  der  Stiftsgüter  Unterstützung  an  Nahrungsmitteln, 
Arzt  und  Arzneien. 

Es  sind  also  wirklich  Werke  der  christlichen  Barmherzigkeit  an 
den  Verlassenen,  Armen  und  Elenden,  zu  welcher  die  Revenuen -Über- 
schüsse des  Stiftes  verwandt  werden. 

Eine  praktische  Lösung  der  socialen  Frage  in  diesem  kleinen 
Bereiche. 

Die  Stifts-Conventualinnen,  von  denen  jede  ein  eigenes  kleines 
Haus  nebst  Garten  inue  hat,  —  erweisen  sich  thiitig  für  die  Zwecke  der 
äussern  und  inneren  Mission,  auch  in  den  Werken  christlicher  Barm- 
herzigkeit an  den  Armen  und  Kranken. 

So  ist  das  Leben  in  dem  frühern  alten  Nonnenkloster  mit 
der  Zeit  ein  anderes  geworden,  dem  Leben  und  Wesen  der 
evangelischen  Kirche  entsprechend. 

Ehe  wir  zum  Schluss  übergehen,  möge  noch  Nachstehendes  hier 
eine  Anreihuug  finden. 

Wir  haben  gesehen,  dass  im  letzten  halben  .Jahrhundert  sich  Vieles 
in  der  Organisation  im  Klosterstift  Heiligeu-Grabe  geändert  hat, 
und  so  wollen  wir  solche  Reorganisation  nochmals  kurz  durchgehen. 

6 

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82 


Emil  von  Maltitz,  Major  z.  D. 


Es  ist  nicht  bloss  die  Stifts  probatste  He  besetzt  worden,  der 
zeitige  Probst  hat  nicht  bloss  das  Stifts-Ordens -Kreuz  erhalten, 
sondern  es  ist  auch  eine  Erziehungs-Anstalt  für  adlige  Töchter 
und  ein  Waisenhaus  eingerichtet  und  damit  verbunden  worden. 

Am  23.  August  1876,  Morgens  VU  Uhr,  ward  durch  einen  sanften 
Tod  von  ihrem  jahrelangen  schweren  Leiden  die  FrauÄbtissin  Katharina 
Elisabeth  Auguste  Ernestine  Luise  von  Schierstedt  erlöst  und 
sie  aus  dem  dunklen  Thal  der  Trübsal  in  die  ewige  Herrlichkeit  des 
Herrn  eingeführt. 

Sie  war  im  tiefsten  Sinne  des  Wortes  eine  treue,  liebevolle,  un- 
ermüdlich sorgende  Mutter  dieses  Stiftes,  der  Abtei,  der  wohlthiitigen 
Anstalten  und  jedes  einzelnen  Gliedes  derselben,  eine  Mutter  der  Armen, 
eine  Trösterin  der  Verlassenen,  der  Wittwen  und  Waisen,  und  Aller,  die 
der  Hilfe  und  des  Beistandes  bedurften.  —  Der  Herr,  Der  gesagt  hat: 

„Was  Ihr  gethan  habt,  diesen  geringsten  unter  meinen  Brüdern, 

„das  habt  Ihr  Mir  gethan"; 
wolle  ihr  ein  reicher  Vergelter  sein  aller  Liebe,  die  sie  dem  Ganzen  und 
jedem  Einzelnen  unter  den  Stiftsdamen,  Beamten  und  Waisen,  erwiesen 
hat,  und  in  Gnaden  zu  ihr  sprechen: 

„Ei  Du  fromme  und  getreue  Magd,  Du  bist  über  Wenigen  ge- 

„treu  gewesen.  Ich  will  Dich  über  Viel  setzen,  gehe  ein  zu  Deines 

„Herrn  Freude". 

Mit  diesen  Abschiedsworten  und  mit  diesem  Nachruf  betrauerten 
dieselbe  ausser  dem  Stiftshauptmann  "n(l  den  anderen  weltlichen  und 
geistlichen  Beamten  das  Stiftskapitel  zum  Heiligen-Grabe: 

Gräfin  von  Schlippenbach,  Vertreterin  der  Frau  Äbtissin, 

Fräulein  von  Greiffenberg, 

Gräfin  Herzberg, 

Fräulein  von  Trützschler, 

Fräulein  Clara  von  Banchet, 

Fräulein  Marie  von  Lancizollc, 

Fräulein  Clara  von  Hagen, 

Fräulein  Sophie  von  Schmeling, 

Fräulein  Luise  von  Tippelski rch, Thätige  Stiftsdanie  der  Abtei, 
Fräulein  Adelhaid  von  Wentzel, 

Fräulein  Agathe  von  Folie r,  Stiftsdame,  früher  Zögling  der 

Erziehungs-Anstalt, 
Fräulein  Minna  von  Wedel  1,  Thätige  Stiftsdanie  der  Abtei, 
Fräulein  Marie  von  Clausewitz,  Thätige  Minorin  der  Abtei, 
Fräulein  Therese  von  Foller,  Thätige  Minorin  der  Abtei, 
Fräulein  Fanny  Scheder,  Sprachlehrerill  der  Abtei. 
Die  früheren  Zöglinge  der  Erziehungs-Anstalt,   die  der  dahin- 
geschiedenen Frau  Äbtissin  aber  dem  Herzen  nach  noch  angehörten: 

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Zur  Geschichte  des  Cistercienser  Jungfrauen  -  Klosters. 


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Fräulein  Paula  von  Wedel,  Pflegetochter, 
Fräulein  Ida  von  Wedel, 
Fräulein  Eveliue  von  Oer  teil, 
Frau  Marie  Ciaessen,  geborene  von  Dollen, 
Frau  Clara  Hankey,  geborene  von  Cellani, 
Fräulein  Marie  von  Kaphengst, 
Fräulein  Sophie  von  Hheinbaben, 
Fräuleins  Martha,  Käthe  und  Rosa  von  Wulf fen, 
Fräulein  Martha  von  der  Osten, 
Gertrud  Gräfin  von  Rittberg, 
Fräulein  Mathilde  von  S chachtmey er, 
Fräulein  Hedwig  von  Enckevort, 
Frau  Clara  Ger  lach,  geborene  von  Förster, 
Fräulein  Elisabeth  von  Dewitz, 
Frau  Ida  von  Bülow,  geborene  von  Dewitz, 
Fräulein  Anna  von  Seehausen, 
Fräulein  Anna  von  Milecka, 
Fräulein  Luitgard  von  Bünau, 
Fräulein  Ida  von  Alten, 
Fräulein  Eva  von  Eickstedt, 
Fräulein  Cilly  von  Briesen, 
Fräulein  Marie  von  der  Goltz, 
Fräulein  Anna  von  Albedyil. 
Die  Kinder  der  Erziehungs-Anstalt: 
Martha  von  der  Decken, 
Meta  von  Goddenthow, 
Camilla  von  Gfug, 

Therese  und  Anna  von  Wietersheim, 
Anna  und  Ida  von  Dorpowska, 
Ethelka  von  Kl  och, 
Agathe  von  Böhmer, 
Luise  und  Edith  von  Z an t hier, 
Adele  von  Dambska, 
Anna  von  Ramm, 
Agnes  von  Enckevort, 
Erika  von  Pfeil, 
Hedwig  von  Restorff, 
Edith  von  Zedlitz. 
Die  acht  Kinder  des  Waisenhauses. 

In  der  letzten   Woche   des  Monats  Juni  1881   fand   im  Stift 
Heiligen-Grabe  eine  für  dasselbe  bedeutungsvolle  Doppelfeier  statt. 
1)  An  Stelle  des  verewigten  Oberhofpredigers   von  Hengsten- 
berg  war  von  dem  Capitel  der  Hof-  und  Dom-Prediger  Dr.  Baur 


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Emil  von  Maltitz,  Major  z.  D. 


zum  Stiftsprobst  gewählt  und  als  solcher  von  Se.  Majestät  dem 
Kaiser  und  König  bestätigt  worden.  Derselbe  erhielt  im  Juni 
1883  die  Berufung  als  General-Superintendent  nach  Coblenz. 
2)  Ferner  wurde  die  seit  1876  erledigte  Stelle  der  Äbtissin  wieder 
besetzt  und  von  Se.  Majestät  die  Conveutualin  Gräfin  Mathilde 
von  Schlippenbach,  welche  bereits  viele  Jahre  die  Erziehungs- 
Anstalt  des  Stiftes  geleitet  und  seit  1876  auch  die  Geschäfte 
des  erledigten  Äbtissin-Amtes  mit  voller  Anerkennung  versehen 
hatte,  zur  Äbtissin  ernannt  worden. 
Zu  dieser  Doppelfeier  versammelten  sich  die  Mitglieder  und  Freunde 
des  Stiftes. 

Aber  auch  diese  Äbtissin  verstarb  schon  nach  kaum  vierjähriger 
Amts-Thätigkeit  am  19.  Mai  1887  nach  kurzem,  aber  schwerem  Leiden 
im  Alter  von  72  Jahren  und  2  Monaten. 

Ihre  Beerdigung  war  ausserordentlich  feierlich  in  Gegenwart  des 
Stiftshauptmanns,  Präsidenten  Petrenz  aus  Magdeburg,  des  neuernannten 
Stiftsprobstes,  Oberconsistorialrats  Hofpredigers  Bayer,  nebs  den  Geist- 
lichen aus  dem  Stiftspatronat  mit  ihrem  Superintendenten,  Oberpfarrer 
Spiess,  des  Capitels,  der  Zöglinge  der  Erziehungs-Anstalt  und  des  Waisen- 
hauses, und  vielen  andern  Freunden  und  Bekannten. 

Auf  dem  Stiftskirchhofe  im  Schatten  ehrwürdiger  Bäume  wurde  der 
Sarg  der  Entschlafenen  beigesetzt.  Hier  am  offenen  Grabe  sprach  der 
langjährige  Gehilfe  und  Freund  der  Heimgegangenen,  der  Orts-  und 
Stiftsgeistliche,  Pastor  Lütgert,  noch  ein  wehmütiges  Abschiedswort  im 
Anschluss  an  die  Stelle  1.  Petri  1,  8—4. 

Mittelst  Erlass  Sr.  Maj.  des  Kaisers  und  Königs  vom  8.  Oktober  1887 
ward  die  Conventualiu  und  bisherige  Vertreterin  der  Äbtissin,  Adelhaid 
von  Wentzel  zur  Äbtissin  ernannt. 

Manches  wird  sich  im  Stifte  und  vielleicht  schon  in  der  nächsten 
Zukunft  wandeln  und  ändern  —  dabei  ist  unser  Wunsch,  dass  dem  Stifte 
in  Bezug  auf  die  äussern  Mittel  auch  ferner  die  Möglichkeit  bleibe,  die 
Armen  und  Elenden  thatkräftig  zu  unterstützen  und  der  christliche  Sinn 
und  Geist  erhalten  werde,  der  solche  Werk«  übt  aus  Liebe  zu  Gott  und 
dem  Nächsten,  um  dem  Herrn  zu  dienen  in  seinen  unmündigen  und  armen 
Gliedern. 

Möge  das  alte  Kloster  ein  Ort  des  stillen  Lebens  sein  und  bleiben, 
damit  auch  hier  Gottes  Name  geheiligt  werde. 

„Sein  Reich  komme  und  Sein  Wille  geschehe!" 
„Das  walte  Gott  in  Gnaden!" 

(Pastor  Lütgert  im  Dorf  Techow,  1884;  Evang.  Vereiu  in  Berlin  1879.) 


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Das  brandenburgisch -preussische  Feldprediger- 
wesen in  seiner  geschichtlichen  Entwickelung. 

Vortrag, 

gehalten  in  der  öffentlichen  Sitzung  dea  Vereins  für  Heimatkunde  der  Provinz  Brandenburg 

zu  Berlin,  am  29.  November  1898  von 

Divisionspfarrer  Erich  Schild  aus  Torgau. 


Der  Ursprung  des  preussischen  Foldpredigerwesens  ist  in  jener  Zeit 
zu  suchen,  in  der  den  brandenburgischen  Landen  alle  Triebe  einer  grossen 
Entwickelung  eingepflanzt  wurden,  also  unter  der  Regierung  Friedrich 
Wilhelm's,  des  Grossen  Kurfürsten.  Gleich  nach  seinem  Regierungs- 
antritt machte  er  den  Anfang  mit  der  Bildung  eines  stehenden  Heeres. 
Von  seinem  Vorgänger  hatte  er  5  Regimenter  Fussvolk  und  3  Regimenter 
Reiterei,  in  Starke  von  3600  bezw.  2500  Mann,  41  Mann  Artillerie  und 
1  Kompagnie  Leibwache  überkommen.  Aber  bereits  im  Jahre  1651,  als 
—  bald  wieder  vermittelte  —  Streitigkeiten  zwischen  dem  Kurfürsten 
und  dem  Herzoge  von  Pfalz-Neuburg  entstanden  waren,  hatte  die  Starke 
des  brandenburgischen  Heeres  derartig  zugenommen,  dass  Friedrich 
Wilhelm  48  Geschwader  zu  Ross  und  86  Hauptin  annschaften  zu  Fuss  auf- 
stellen konnte.  Vier  Jahre  später,  anno  1655,  war  das  brandenburgische 
Heer,  mit  welchem  der  Grosse  Kurfürst  nach  Preussen  in  den  schwedisch- 
polnischen Krieg  zog,  26800  Mann  stark  und  bestand  aus  15  Regimentern 
zu  Ross,  7  Dragonerregimentern,  10  Regimentern  zu  Fuss,  wozu  noch 
eine  zahlreiche  Feldartillerie,  72  Stücke,  73  Rüstwagen  wie  auch  Schiff- 
brücken und  anderes  erforderliches  Kriegsgerät  umfassend,  kam.  Das 
Jahr  1655  ist  dasjenige,  seit  welchem  der  Kurfürst  ein  grösseres  Heer 
fortwährend  in  seinen  Diensten  hielt. 

Diesen  brandenburgischen  Truppen  wurden  zu  Kriegszeiten  besondere 
Prediger  beigegeben.  Das  Jahr  1655,  wo  der  Kurfürst  seine  erste  kriege- 
rische Expedition  unternahm,  ist  deshalb  auch  Geburtsjahr  des  preussi- 
schen Feldpredigerwcsens.  Die  in  diesem  Jahre  vom  Kurfürsten  erlassene 
Interims- Verpflegungsordonnanz  bestimmt  bereits  Sold  und  Servis  für  die 
bei  den  Regimentern  zu  Fuss  und  zu  Ross  angestellten,  auf  der  Prima 
Plana  der  Musterrolle  unter  den  Personen  des  Regimentsstabes  aufge- 
führten Prediger.    Der  Feldprediger  im  Regimentsstab  zu  Ross  bekam 


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86 


Erich  Schild,  Divisionspfurrer. 


monatlich  10  Thaler,  der  im  Kegimentsstab  zu  Fuss  monatlich  12  Thalcr 
Traktatucnt.  Als  Feldprediger  bei  der  kurfürstlichen  Leihgarde  und  zu- 
gleich der  Zeit  nach  erster  Garnisonprediger  von  Berlin  wird  1655  Hanisius 
genannt,  dem  1663  Georg- Jordan  im  Amt  folgte. 

Bekannt  ist  des  Grossen  Kurfürsten  frommer  Sinn  und  fester  Glaube 
an  die  evangelische  Wahrheit.  Wir  haben  noch  ein  von  ihm  eigenhändig 
niedergeschriebenes,  jetzt  im  Hohenzollernmuscum  uuter  Glas  und  Kähmen 
aufbewahrtes  Gebet,  das  höchstwahrscheinlich  sein  täglicher  Huf  zu  Gott 
gewesen  ist.  Dasselbe  Ist  ungemein  charakteristisch  für  des  Kurfürsten 
ganze  religiöse  Denkweise  und  lautet  buchstäblich  also: 

„O  Almechtiger  Herr  Herr,  Alle  deine  straffen  undt  Züchtigungen 
so  ich  von  Deiner  vatterlichen  Hundt  empfange,  seindt  nur  alle 
zeichen  Deiner  Gnaden  gegen  mich,  denn  ein  Vatter,  so  sein 
Kindt  liebet,  züchtiget  selbiges;  verlei  mir  die  Gnadt,  dass  ich 
sie  auch  also  erkenne  undt  aufnehme,  dass  Du  dadurch  recht 
Dein  vattcrliehes  Hertze  gegen  mich  erweissest  und  mich  prüffest, 
auf  dass  ich  mich  an  dich  desto  fester  in  inbrünstiger  Liebe, 
Vertrauen  undt  Hoffnung  zu  volführung  deines  heilligen  Willens 
halte,  undt  gewis  des  Ewigen  Lebens  und  Selligkeit  versichert 
sein  undt  in  Ewigkeit  genissen  möge.  Amen." 
Noch  in  späteren  Jahren  hat  er  verzeichnet,  wie  seine  Mutter  ihm 
die  Lehre  gegeben,  Gott  vor  allem  und  seine  Unterthanen  zu  lieben, 
dann  werde  Gott  seinen  Stuhl  bestätigen.    Weil  nun  solchergestalt  die 
Religion  recht  eigentlich  der  innerste  Kern  seiner  gewaltigen  Persönlich- 
keit, seines  thatkräftigen,  geistig  umfassenden  Lebens  war,  so  wollte  der 
Kurfürst,  dass  dieselbe  Gesinnung  auch  auf  seine  Soldaten  übergehe  und 
der  feste  Grund  werde,  auf  dem  die  Tüchtigkeit  seines  Heeres  sich  er- 
baue. Das  zeigt  deutlich  der  von  ihm  im  Jahre  1656  erlassene  „Articuls- 
Brieff  oder  Churfürstlich  Brandenburgisch  Krieges-Recht",  dem  nach  kur- 
fürstlichem Willen  „männiglich  insgemein  und  insonderheit  unsere  hohen 
und  niederen  Kriegs -Offiziere  und  gemeine  Soldatesca  stricte  nachleben 
sollen".  Da  heisst  es  im  §  1 :  „Da  von  dem  grundgütigen  und  allmächtigen 
Gott  alles  Glück,  Segen  und  Gedeihen  herrühret,  derselbe  auch  von  allen 
wahren  Christen  einzig  und  allein,  wie  er  sich  in  seinem  heiligen  Worte 
geoffenbart  hat,. geehrt  und  angebetet  sein  will:  so  verbieten  wir  hiermit 
alle  Abgötterei  dergestalt,  dass  nun  und  hinführo  kein  anderer,  als  der 
einige  wahre  Gott  angebetet  werden  soll,  alle  falschen  Anbeter  dagegen, 
Abgötterei*,   Zauberer,   Waffenbeschwörer,  Teufelskünstler  in  unseren 
Lagern,  Guarnisonen  und  Quartiren  unter  unserem  Kriegsvolk  nicht  ge- 
litten werden  sollen,  sondern  da  einer  betreten  würde,  der  Abgötterei, 
falsche  und  dem  Worte  Gottes  zuwiderlaufende  Handlung  treibet,  die 
Leute,  Waffen  und  Gewehr  beschwöret,  mit  Zauberei  und  sothanem 
teuflischen  Wesen  und  Führnehmen  umgeht  und  auf  geschehene  Warnung 


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Das  brandenbg.  preuBS.  Feldpredigerwesen  in  seiner  goschichtl.  Entwickelung.  87 

und  Unterrichten  davon  nicht  abstehen  will,  mit  einem  Solchen  nach 
göttlichen  und  unseren  Rechten  verfahren  werden,  oder,  da  während  der 
Exekution  Ober  einen  solchen  ruchlosen  Menschen  etwas  Bedenkliches 
fürfallen  würde,  er  unseres  Lagers  und  Landes  verwiesen  werden  soll.  — 
§  2:  Welcher  Soldat  Gottes  Wort  lästert  oder  mit  demselben  und  mit 
dem  Gottesdienst,  es  sei  auf  was  Mass  es  wolle,  trunkenen  oder  nüchternen 
Mundes  Alfenspiel  treibet,  von  den  Hochwürdigen  Sacramenten  lästerlich 
und  spöttisch  redet,  der  soll  ohne  Gnade  am  Leben  gestraft  werden.  — 
§  3:  Der  hochheilige  Name  Gottes  soll  mit  Fluchen,  Schwören,  Lügen  und 
Trügen  nicht  gemis*braucht  werden;  wer  darüber  betreten  wird,  der  soll 
nach  Gelegenheit  seines  Standes  Etwas  in  die  Armenbüchse  zur  Busse  geben, 
und,  da  er  sich  weigert,  beim  Gottesdienst  in  Gegenwart  seines  Regiments 
gepfändet  werden.  —  §  4:  Der  Gottesdienst  soll,  damit  die  wahre  Gottes- 
furcht in  der  Kriegsleute  Herzen  eingepflanzt  werde,  vor  allem  Kriegs- 
volk im  Lager  Morgens  und  Abends  abgewartet,  und  allemal  durch  des 
Lagercommandeurs  Pauken,  Trompeten  und  Trommelschlag  vor  und  nach 
dem  Gottesdienst  ein  Zeichen  gegeben  werden,  und  soll  kein  Priester  bei 
Verlust  eines  Monatssoldes,  der  den  Armen  verfallen  sein  soll,  ohne  er- 
hebliche Ursachen  denselben  versäumen,  auch  kein  Soldat  bei  Vermeidung 
der  Strafe  des  Halseisens  vom  Gottesdienst  wegbleiben.  —  §  5:  Es  soll 
sich  kein  Priester,  wenn  er  den  Gottesdienst  halten  soll,'  trunken  finden 
lassen,  oder  auf  solchen  Fall  aus  dem  Lager  relcgiret  werden.  — 
§  6:  Welcher  Priester  sonsten  ausser  der  Zeit,  da  der  Gottesdienst  gc- 
schiehet,  einen  ärgerlichen  Wandel  führet  und  sein  Leben  nicht  nach 
seiner  Lehre  anstellet,  derselbe  soll  durchaus  in  unserem  Lager,  wenn  er 
vorher  davon  abzustehen  dreimal  ermahnet  und  sich  nicht  bessert,  nicht 
gelitten  werden.  —  §  7  :  Unter  währendem  Gottesdienst  sollen  die  Schenken 
und  Markedenter  bei  Verlust  der  Waaren  kein  Fressen  und  Saufen  ge- 
statten, sondern  ihre  Buden  verschlossen  halten." 

Wenn  in  diesen  Kriegsartikeln  (im  Ganzen  einige  60  Paragraphen) 
des  Grossen  Kurfürsten  —  die  sich  übrigens  auf  die  Verordnungen 
Karl's  V.  für  die  Landsknechte  und  auf  das  Kriegsrecht  Gustav  Adolfs 
von  Schweden  gründeten  —  auch  die  Trunkenheit  der  Feldprediger  mit 
besonderen  Strafen  bedräuet  wird,  so  muss  man  berücksichtigen,  dass 
das  nur  der  Auffassung  und  Lebensweise  einer  Generation  entsprach, 
die  erst  durch  acht  Jahre  von  der  wilden  Zeit  des  dreissigjährigen 
Krieges  getrennt  war. 

Ausser  deu  angeführten  Paragraphen  des  Articuls- Briefes  gab  es 
besondere  schriftliche  Verordnungen  für  die  Feldprediger  damals  noch 
nicht  Zwar  fehlt  es  nicht  an  einzelnen  kurfürstlichen  Erlassen  aus 
jener  Zeit,  die  auch  das  Militärkirchenwesen  berühren.  So  wird  im 
Februar  1665  dem  Garnisonprediger  in  Berlin  befohlen,  keinen  Soldaten 
zu  kopulieren,  er  sei  denn  von  ihm  drei  Sonntage  nach  einander  im 


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Erich  Schild,  Divisionspfarrer. 


Militärgottesdienst  aufgeboten  worden.  Ferner  befahl  der  Kurfürst  im 
Jahre  1682,  dass  sich  kein  Soldat  ohne  Vorwissen  seiner  Offiziere  ehelich 
trauen  lassen  dürfe,  eine  Verordnung,  die  seitdem  in  voller  Kraft  ge- 
blieben ist.  Aber  eine  eigentliche,  ausführliche  und  schriftliche  Amts- 
anweisung für  die  Feldprediger  war  noch  nicht  vorhanden.  Das  Gesetz 
des  Gewissens  veitrat  die  Stelle  vieler  gedruckter  Befehle.  Der  Grosse 
Kurfürst  instruierte  selbst  den  in  seiner  unmittelbaren  Umgebung  be- 
findlichen Generalstabs-Feldprediger  und  überwachte  seine  Amts- 
tätigkeit. Nach  diesem  richteten  sich  die  Regimentsprediger  der  kur- 
fürstliehen Prinzen,  Generale  und  Obersten.  Es  wurden  für  die  Feld- 
prcdigerstellen  in  der  Regel  schlecht  besoldete,  schon  im  Amt  gestandene, 
erfahrene  kräftige  Männer  gewählt,  die  nach  Beendigung  des  Krieges, 
wenn  die  Regimenter  auf  Friedensfuss  gesetzt  wurden,  bessere  Zivil- 
pfarrstellen erhielten. 

In  Berlin  war  eine  eigene  Garnisonkirche  noch  nicht  vorhanden, 
vielmehr  winden  daselbst  zum  Militärgottesdienst  die  Hospitalkirche  zum 
Heiligen  Geist  und  der  dabei  gelegene  Kirchhof  benutzt. 

Um  das  Jahr  1670  fing  auf  Befehl  des  Grossen  Kurfürsten  die  so- 
genannte Kirchen -Parade  in  der  Weise  an,  dass  die  Garnison  von 
Berlin  jeden  Sonntag  Vormittag  in  Parade  zur  Kirche  geführt  wurde. 
Die  Ileilige-Geist-Kirche,  mit  der  die  Garnison  sich  behelfen  musste,  war 
aber  so  klein,  dass  sie  kaum  den  dritten  Teil  der  am  Sonntag  Vormittag 
ihr  zugeführten  Truppen  fassen  konnte.  „Die  übrigen  zerstreuten  sich 
indessen  hierhin  und  dorthin,  auch  entzogen  sich  einige  freche  Gemüter 
bei  solcher  (Gelegenheit  dem  Gehör  göttlichen  Wortes  wohl  ganz  und 
gar,  und  trieben  unter  währendem  Gottesdienst  allerlei  Unordnungen." 

Die  vom  Garnisonprediger  hierüber  erhobene  Klage  veranlasste 
unter  dem  Nachfolger  des  Grossen  Kurfürsten  den  Bau  einer  besonderen 
Garnisonkirche  in  Berlin. 

In  Bezug  auf  die  Ausstattung  anderer  kurbrandenburgischer  Garni- 
sonen mit  besonderen  Garnisonkirchen  ist  bemerkenswert  eine  Stelle  in 
den  Ratsprotokollen  der  Stadt  und  Festung  Küstrin  vom  Jahre  1683,  wo 
einer  Verordnung  des  Grossen  Kurfürsten  gedacht  wird,  dass  „boi  genüg- 
samer Versicherung  die  kleine  Kirche  am  Walle  der  das  igen  Garnison 
vergönnt  werden  solle",  nachdem  bis  dahin  für  die  Soldaten  in  Küstrin 
auf  dem  Rathause  durch  einen  Diakonus  Predigten  gehalten  worden 
waren.  Es  kam  am  21.  Mai  1683  zu  einem  Vergleich  zwischen  Magistrat 
und  Garnison,  demzufolge  crsterer  besagte  Kirche  der  Garnison  zur  be- 
ständigen Benutzung  einräumte.  Die  Garnison  von  Küstrin  betrug  da- 
mals (J00  Gemeine  und  150  Gefreite  in  6  Kompagnien.  Ausserdem  stand 
dort  eine  kleine  Artillerie-Besatzung. 

Aus  der  Rangliste  des  20.  Leibregimentes  zu  Fuss.  Kurfürstin,  vom 
Miirz  1683  entnehmen  wir,  dass  damals  Feldprediger  beim  Regiment  war 


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Das  brandenbg.  preuss  Feldpredigerwesen  in  seiner  geschicbtl.  Entwickelung.  89 


Ernst  Daniel  Jablonski.  Er  wurde  später  Königlicher  Ober-Hofprediger 
bei  der  reformierten  Hof-  und  Dom -Gemeinde  und  als  solcher  persona 
grata  beim  König  Friedrich  Wilhelm  I.  Auch  als  Gelehrter,  namentlich 
als  Kenner  der  rabbinischen  Schriften  und  Sprache  hat  er  sich  später 
einen  Namen  gemacht. 

Als  der  Grosse  Kurfürst  im  Jahre  1674  den  Versuch  machte,  das 
elsässische  Land  dem  deutschen  Volke  zurückzuerobern,  war  jedes  der 
mitgeführten  Regimenter  von  seinem  Feldgeistlichen  begleitet,  während 
in  der  Umgebung  des  Kurfürsten  selbst  sich  sein  „calvinistiseher  Hof- 
prädikant"  befand,  welcher  sowohl  in  der  Reichsstadt  Strossburg,  als 
auch  im  kurfürstlichen  Hauptquartier  zu  Kolinar  amtlich  fungieren 
musste.  Der  grosse  Hohenzoller  scheint  dabei  die  Konfession  der 
evangelischen  Bürger  der  Stadt  Kolmar  in  fürstlicher  Toleranz  respektiert 
zu  haben,  denn  er  Hess  seinen  calvinischeu  Hofprädikanten  nicht  in  dem 
Gotteshause  Augsburgischer  Konfession,  sondern  in  der  Schneiderzunft 
predigen.  Über  eine  Predigt  „Von  des  Deutschlands  Wehr  und  Waffen 
wider  Frankreich",  die  einer  der  kurbrandenburgischen  Feldprediger 
damals  gehalten,  findet  sich  eine  Notiz  in  dem  interessanten  Protokoll 
der  sogenannten  Dreizehner  der  freien  deutschen  Reichsstadt  Strass- 
burg,  welche  das  diplomatische  Korps  der  städtischen  Republik  dar- 
stellten. Aus  dem  Jahre  1674  steht  im  Protokoll  folgender  Vermerk: 
Montag  den  5.  Octobris  1674.  Ses.  ord.  M.  g.  Herren  d.  XIII.  Der 
regierende  Herr  Ammeister  berichtet,  es  habe  ein  Chur-Brandenburgischer 
Feldprediger  Namens  Johann  Hermann  Thal  hausen  Meinen  gnädigen 
Herren  eine  Predigt  von  des  Deutschlands  Wehr  und  Waffen  wider 
Frankreich  dedicirt  und  ihm  6  exemplaria  zugestellt,  werde  zu  M.  g. 
Herren  stehen,  was  sie  ihm  erkennen  wollen,  dass  ihm  dagegen  verehrt 
werden  solle.    Bekandt:  Soll  ihm  6  Reichsthaler  verehrt  werden." 

Auch  nach  Ofen,  der  von  8000  Türken  besetzten  Festung,  haben 
brandenburgische  Feldprediger  das  im  April  1686  vom  Grossen  Kur- 
fürsten entsandte,  8269  Mann  starke,  unter  dem  Kommando  des  General- 
lieutenants von  Schöning  stehende  brandenburgische  Hilfskorps  begleitet 
und  angesichts  des  türkischen  Halbmondes  evangelischen  Gottesdienst 
gehalten. 

Unter  dem  Nachfolger  des  Grossen  Kurfürsten,  Kurfürst  Friedrich  HI., 
dem  nachmaligen  ersten  König  in  Preussen,  trat  eine  für  die  Weiter- 
entwickelung des  brandenburgisch -preussischen  Feldpredigerwesens  be- 
deutsame Änderung  des  früheren  Modus  dadurch  ein,  dass  der  Kurfürst, 
als  er  1692  seine  Armee  gegen  die  Franzosen  vermehren  musste,  durch 
den  zum  WTirkl.  Geh.  Staats-  und  Kriegsrat  ernannten  Eberhard  von 
Dankelmann  die  erste  -schriftliche  Instruktion  (vom  7.  April  1692)  für 
seine  Feldprediger  geben  Hess,  die  Errichtung  eines  besonderen  Militär- 
Konsistoriums  verfügte  und  von  da  an  die  Feldprediger  auch  in  Friedens- 


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90 


Krich  Sehild,  Divisionspfarrer. 


Zeiten  beibehielt.  Der  Regimentschef  bekam  das  Recht  der  Wahl  des 
Feldpredigers  für  sein  Regiment,  den  dann  die  kirchliche  Behörde  exami- 
nierte und,  wenn  es  sich  um  einen  Kandidaten  handelte,  ordinierte.  Das 
Militär-  oder  Feld-Konsistorium  (Consistorium  Militare  Castrense)  hatte 
als  beständigen  Präsidenten  den  General-Auditeur.  Beisitzer  waren  zwei 
Stabsoffiziere  und  zwei  gottesfürehtige  und  verständige  Feldprediger  vom 
Generalstabe  oder  von  den  Regimentern.  Unter  dem  Militär-Konsistorium 
als  ihrem  forum  competens  standen  alle  Garnison-  und  Feldprediger  so- 
wohl in  Amts-  als  Personalsachen,  ferner  alle  übrigen  Militärpersonen, 
Ofliziere  und  Gemeine,  mit  ihren  Frauen  und  Kindern,  auch  Domestiken 
in  Militärfamilien  oder  bei  einzelnen  Militärs,  sowie  die  Enrollirten,  die 
noch  den  Pass  hatten.  Alle  Ehesachen  dieser  Personen,  insonderheit  alle 
Ehescheidungsprozesse ,  die  bei  der  Armee  vorkamen,  wurden  vor  dem 
Militär-Konsistorium  geführt,  nachdem  vorher  der  Garnison-  oder  Regi- 
ments-Auditeur  des  Ortes,  wo  der  Beklagte  sich  aufhielt,  die  Akten  zum 
Spruche  instruiert  hatte.  Insonderheit  sollte  das  Militär-Konsistorium  auch 
dahin  sehen,  dass  „Gottes  Ehre  und  dessen  Dienst  bei  der  Armee  befördert, 
die  Hochachtung  und  Feierung  des  Sonntages  und  der  Besuch  der  Bet- 
stunden gehandhabt  würde,  auch  alle  scandala,  Ärgernisse  und  Steine 
des  Anstosses  gänzlich  aufgehoben  oder  zum  Wenigsten  so  viel  als 
menschenmöglich  aus  dem  Wege  geräumet  und  vermieden  werden."  Zu 
dem  Zweck  sollen  „etwa  befindliche  ruchlose  und  einen  ärgerlichen 
Wandel  führende  Regiments-Prediger  vom  commandirenden  General  und 
Officirer  dem  Feld-Consistorio  angezeiget  und  von  demselben,  dem  Be- 
linden nach,  angesehen  werden  aus  dem  Grunde,  weil  das  Krieges-Volk 
durch  der  Priester  exemplarisches  Leben  zur  Gottesfurcht,  zu  aller  Zucht 
und  Ehrbarkeit  erbauet  und  gebessert  werden  muss.  Wie  dann  denen 
Feldpredigern  sonderlich  recommandiret  wird,  einen  unsträflichen  Wandel 
zu  führen  und  den  Soldaten  mit  gutem  Exempel  vorzugehen." 

Im  Jahre  1704  Hess  König  Friedrich  I.  einen  „Unterricht  für  christ- 
liche Kriegesleute"  aus  dem  Englischen  übersetzen,  auf  seine  Kosten 
drucken  und  in  fünftausend  Exemplaren  unter  seine  Soldaten  verteilen. 

Die  kriegerische  Thätigkeit  der  Brandenburger  ist  niemals  ausge- 
breiteter gewesen,  als  unter  Friedrich  I.  Da  haben  sie  in  der  Schlacht 
von  Höchstädt  und  zwei  Jahre  später  bei  Turin  auf  das  tapferste  ge- 
fochten. Mit  den  Türken  haben  sie  sich  in  gefährlichen  Feldschlachten 
gemessen.  Im  südlichen  Frankreich  erschienen  sie  bei  dem  Unternehmen 
von  Toulon.  Auf  dem  Gebiete  des  Papstes,  ganz  nahe  bei  Rom,  wurde 
der  protestantische  Feldgottesdienst  zuerst  in  ihrer  Mitte  gehalten;  denn 
überall  hin  folgten  ihnen  ihre  geistlichen  Pfleger  und  Berater,  die  Feld- 
prediger. Brandenburgische  Truppen,  die  in  Italien  überhaupt  eine  neue 
Erscheinung  waren,  nahmen,  allerdings  nur  in  der  Stärke  von  einem 
Regiment  zu  Pferde  (es  war  das  kronprinzliche  Reiterregiment),  im 


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Das  brandenbg.  preusB.  Feldpredigerwesen  in  seiner  geschieht!.  Entwicklung.  91 


Jahre  1708  an  dem  Zuge  teil,  den  der  Graf  Daun  auf  Befehl  des  Kaisers 
gegen  den  Papst  ausführte.  Um  letzterem  die  Galle  möglichst  zu  er- 
regen ,  hatte  Graf  Daun  gerade  dies  Regiment  ketzerischer  Prcussen 
mitgenommen.  Mit  seinen  Truppen  trieb  er  die  päpstlichen  Völker,  die 
ihm  Widerstand  leisten  sollten,  immer  vor  sich  her,  bis  ganz  nahe  vor 
Koin.  Der  Papst  wurde  dadurch  gezwungen,  sich  dem  Kaiser  zu  fügen 
und  Karl  III.  als  König  von  Spanien  anzuerkennen.  Während  Daun  mit 
seinen  Truppen  vor  Horn  stand,  hielt  der  Feldprediger  des  preussisehen 
Reiterregiments  des  Öfteren  angesichts  der  „einzigen"  Stadt,  wie  s'u-  der 
römische  Bürger  heute  noch  in  stolzem  Selbstgefühl  nennt,  den  evangeli- 
schen Gottesdienst  für  seine  Soldaten  ab.  Dieser  Feldprediger  wurde 
nachmals  Zivilpfarrer  in  einer  kurmärkischen  Stadt  und  hat  da,  wie 
Buchholtz  in  seiner  Geschichte  der  Kurmark  Brandenburg  berichtet,  gern 
und  vielfältig  erzählt,  „welch  eine  Menge  Menschen  aus  Rom  und  anderen 
Orten  des  Kirchenstaates,  als  die  erste  Furcht  vorbei  gewesen  und  sie 
gemerkt,  dass  die  Preussen  eben  keine  Menschenfresser  wären,  in  das 
deutsche  Lager  gekommen  seien  und  sonderlich  gern  dem  preussisehen 
Feldgottesdienst  beigewohnt  hätten  mit  den  richtigsten  äusserliehen  Kenn- 
zeichen ihrer  Erbauung,  obwohl  sie  die  deutsche  Sprache  nicht  ver- 
standen. Ja,  es  hätteu  auch  sehr  viele  Deutsche,  die  man  in  Korn  für 
Katholiken  gehalten,  weil  sie  da  gewohnt,  um  deren  Gottesdienst  sich 
aber  dortselbst  Niemand  bekümmert,  sich  des  Abendmahls  mit  den 
preussisehen  Soldaten  bedienet." 

Neue  Förderung  erhielt  das  preussische  Feldpredigerwesen  durch 
Friedrich  Wilhelm  I.,  dem  die  Pflege  religiöser  Gesinnung  in  seinen 
Soldaten  ganz  besonders  am  Herzen  lag.  Er  trennte  die  Feldprediger- 
stellen  ganz  von  der  kirchlichen  Verfassung  des  Landes,  vereinigte  sie 
für  sich  in  ein  besonderes  System  und  ernannte  im  Jahre  1717  den  ersten 
Feld-Inspektor  oder  Feld-Propst.  Lampertus  Gedike,  bis  dahin  Garnison- 
Prediger  in  Berlin,  erhielt  die  Stelle.  Ihm  als  beständigem  Beisitzer  des 
Militär- Konsistoriums  in  Friedenszeiten  wurden  die  Feldprediger  vor- 
nehmlich in  Rücksicht  des  Inneren  der  Militär -Kirchen-  und  Schul- 
angelegenheiten unterstellt. 

Man  versteht,  dass  bei  der  Zusammensetzung  des  preussisehen 
Heeres  in  jener  Zeit  die  Arbeit  der  Feldprediger  ihre  besonderen 
Schwierigkeiten  hatte.  Damals  bestand  ja  nach  und  nach  ein  immer 
grösserer  Teil,  ja  endlich  die  Hälfte  des  preussisehen  Heeres  aus  frei- 
willig oder  gewaltsam  geworbenen  Fremden,  zum  Teil  dem  Auswurf  aller 
Nationen,  die  nur  durch  die  allerschärfsten,  bis  zur  Grausamkeit  gehen- 
den Strafen  in  Zucht  und  Gehorsam  erhalten  werden  konnten.  Das  jetzt 
vergessene  Sprüchwort:  „Wer  Vater  und  Mutter  nicht  hören  will,  muss 
dem  Kalbfell  folgen",  stammt  aus  jener  Zoit  und  zwar  aus  der  innersten 
Anschauung  der  sozialen  Verhältnisse  jener  Tage.  Mit  Abneigung  sahen 


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Ü2 


Erich  Schild,  Divieionepfarrer. 


Bürger  und  Bauer  den  übelbeleumundeten  Soldatenstand  an.  Betrat  ein 
Soldat  die  Gaststube  eines  Wirtshauses,  so  entfernten  sich  die  etwa  an- 
wesenden Gäste  bürgerlichen  Standes  augenblicklich.  Einzelne  Feld- 
prediger, die  es  mit  der  Katechismuslehre  und  dem  von  ihnen  für  die 
Mannschaften  eingeführten  Unterricht  im  Lesen  und  Schreiben  besonders 
ernst  nahmen,  wie  z.  B.  1729  Feldprediger  Michaelis  vom  Regiment 
v.  Kalkstein,  zogen  sich  dadurch  den  Hass  roher  und  unwissender 
Soldaten  in  solchem  Masse  zu,  dass  sie  zu  Zeiten  ohne  Lebensgefahr 
nicht  ausgehen  konnten,  und  Nachts,  wenn  sie  zu  Kranken  gerufen 
wurden,  auf  Befehl  des  für  sie  besorgten  Regimentschefs  durch  eine 
Wache  begleitet  werden  mussten.  „Unter  einem  solchen  Haufen  un- 
wissender, roher,  boshafter  Menschen",  seufzt  eine  Hirtenstimme  aus 
jenen  Tagen,  „muss  ein  Feldprediger  das  Wort  führen.  Und  darin  hat 
er  von  den  Befehlshabern  und  Officieren  schlechten  Beistand.  Denn  ein 
Teil  derselben  ist  im  Grunde  nicht  viel  besser.  Der  wahre  Feldprediger 
mag  sagen,  was  er  will,  er  findet  wenig  oder  nichts  Gehör.  Und  sei  er 
um  den  Schaden  Josephs  noch  so  bekümmert,  so  ist  doch  Niemand,  der 
Lust  hätte,  ihm  seinen  Kummer  zu  erleichtern." 

Wir  sehen  sie  vor  uns,  jene  gewaltthätige,  absolutistisch  willkürliche 
Zeit,  wo  ein  roher  General  im  Despotismus  so  weit  geht,  dass  er  aus 
einer  kleinlichen  Ursache  seinen  Feldprediger  in  Arrest  setzen  und,  weil 
täglich  Betstunden  gehalten  werden  mussten,  ihn  acht  Tage  lang  durch 
ein  Kommando  zum  Versammlungsorte  hin-  und  nach  beendigtem  Gottes- 
dienste wieder  in  die  Wache  zurückführen  lässt;  wo  ein  anderer  Regiments- 
chef, dessen  Sohn  der  Feldprediger  noch  dazu  aus  Gefälligkeit  Privat-Unter- 
richt  erteilte,  sich  nicht  schämte,  den  Feldprediger  nach  Beendigung  eines 
Spazierganges,  den  derselbe  mit  seinem  Zögling  zu  einem  Amtsbruder 
im  benachbarten  Dorfe  unternommen,  am  Thore  der  Stadt  arretieren 
und  in  die  Wache  setzen  zu  lassen,  weil  er  sich  um  mehrere  Stunden 
mit  der  Rückkehr  verspätet  habe.  An  interessanten  Willkürakten  wird 
in  den  alten  Militärkirchenbüchern,  denen  als  verschwiegenen  Freunden 
die  Feldprediger  nicht  selten  ihre  Klagen  vertrauten,  ferner  gemeldet, 
dass  das  Regiment  N.  N.  vier  Jahre  ohne  Feldprediger  gewesen,  weil  des 
damaligen  Herrn  Generallieutenants  v.  N.  N.  Excellenz  das  Tractament  des 
Feldpredigers  —  monatlich  16  Thaler  —  als  ein  „Douceur"  bezogen ;  in- 
gleichen, dass  der  Rittmeister  v.  N.  N.  von  Ihro  Königlichen  Majestät  zum 
Offizial  des  Pommeranischen  Konsistoriums  gesetzt  wurde,  eine  Ernennung, 
dio  uns  unwillkürlich  an  den  Kandidaten  der  Theologie  erinnert,  der,  ge- 
waltsam zum  „langen  Kerl"  gepresst,  von  da  unerwartet  zum  General- 
Superintendenten  von  Pommern  avancierte  und,  als  das  Stettincr  Kon- 
sistorium gegen  diese  Ernennung  geltend  gemacht  hatte,  dass  der 
solchergestalt  Beförderte  nicht  die  zur  Prüfung  der  Kandidaten  erforder- 
liche Fertigkeit  im  mündlichen  Gebrauch  der  lateinischen  Sprache  habe, 


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Das  brandenbg.-preuss.  Feldpredigerwesen  in  seiner  geschieht).  Entwicklung.  93 

in  seinem  neuen  Amt  bestätigt  wurde  durch  ein  Reskript  Friedrich 
Wilhelms  I.  an  das  pommersche  Konsistorium  des  Inhaltes:  „Kann  er 
kein  Latein,  so  kann  ich  es  auch  nicht;  bedürfenden  Falls  soll  er  sich 
einen  lateinischen  Lesebengel  halten." 

Heutzutage  sehnt  sich  vielleicht  Mancher  nach  der  angeblich  „guten 
alten  Zeit"  zurück.  Würde  ihm  sein  Begehren  erfüllt,  könnte  er  um 
160  Jahre  plötzlich  zurückversetzt  werden,  er  würde  sich  mit  Schrecken 
in  einer  hässlichen,  uns  Kindern  der  Gegenwart  völlig  unerträglichen 
Wirklichkeit  finden,  wo  viel  Rohheit  der  Sitte  unter  gefirnisster,  ge- 
schnörkelter  und  gezierter  Oberfläche  sich  nur  schlecht  verbarg;  es 
würden  ihm  Bildungselemente,  sittliche  Lebensfaktoreu  fehlen,  die  uns 
so  in  Fleisch  und  Blut  übergegangen  sind,  dass  wir  sie  gar  nicht  mehr 
als  solche  spüren  und  würdigen ;  kurz,  es  würde  sich  an  ihm  im  vollsten 
Masse  erfüllen  das  Shakespeare'sche  Wort: 

So  geschieht's, 
Dass,  was  wir  haben,  wir  nach  Wert  nicht  achten, 
So  lange  wir's  gemessen;  ist's  verloren,  ja  dann 
Erkennen  wir  den  Wert,  den  uns  Besitz 
Missachten  Hess. 

Bei  vielem  Trüben  fehlten  jedoch  für  die  damaligen  Feldprediger 
die  Lichtseiten  nicht  ganz.  Neben  den  Geworbenen  diente  ja  eine  giHis.se 
Zahl  gutgearteter  kantonpflichtiger  Landeskinder,  an  denen  der  Feld- 
prediger schon  eher  Früchte  seiner  Wirksamkeit  wahrnehmen  konnte. 
Die  alten  Autoren  wissen  auch  von  manchem  „ausbrechenden  Segen  und 
bleibenden  Nutzen"  zu  berichten,  den  die  Amtsführung  treuer  Feld- 
prediger geschaffen.  Hatten  diese  doch  an  dem  obersten  Kriegsherrn, 
dem  König  selbst,  den  besten  Rückhalt  und  eifrigsten  Beförderer  für 
alle  ihre  auf  sittlich -religiöse  Hebung  des  Soldatenstandes  gerichteten 
Bestrebungen!  Auf  das  ernstlichste  Hess  es  sich  der  König  angelegen 
sein,  durch  Unterricht  im  Christentum  wie  auch  im  Lesen  und  Schreiben 
deu  gemeinen  Soldaten  zum  guten  Christen  und  brauchbaren  Menschen 
heranzubilden.  Die  Arbeit  seiner  Feldprediger  an  den  Soldaten  suchte 
der  König  auf  jede  Weise  zu  unterstützen,  unter  anderem  dadurch,  dass 
er  Exemplare  des  neuen  Testaments,  in  einem  Anhange  die  Psalmen 
Davids  sowie  eine  Anzahl  kirchlicher  Gesänge  enthaltend,  an  die  Kom- 
pagnien verteilen  liess.  Für  den  Feldzug  sollte  jede  Kompagnie 
22  Exemplare,  jedes  Zelt  eines  haben.  Er  verordnete,  dass  die  in  jenem 
Anhange  gedruckten  Gesänge  regelmässig  beim  Militärgottesdienst  wieder- 
kehren sollten,  damit  der  Soldat  sich  daran  gewöhne,  sie  auswendig 
lerne.  „Die  rechten  Eigenschaften  eines  Kriegsmannes",  sagt  Leopold 
v.Ranke,  „entwickelte  man  damals  an  den  Beispielen  des  alten  Testaments, 
au  Benaja,  der  mit  seinem  Stecken  deu  wohlbewaffueteu  Egypter  er- 
schlägt, oder  an  Samma,  der  mitten  unter  dem  flieheuden  Volk  sein 


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94 


Erich  Schild,  Divisionspfarror. 


Ackerstück  gegen  den  Feind  verteidigt.  So  nährte  sich  an  den  ältesten 
Urkunden  der  menschlichen  Geschichte  die  künftige  Tapferkeit  des 
preussischen  Heeres." 

Am  22.  Januar  1720  erschien  eine  Königliche  Verordnung,  durch 
welche  den  Feldpredigern  besonders  das  Halten  von  Katechismus- 
predigten und  Katechisationen  zur  Pflicht  gemacht  wurde,  damit  die  Un- 
wissenden, vornehmlich  die  Jugend,  gehörig  unterrichtet  würden.  Wie 
schwach  es  damals  mit  der  in  der  Armee  vorhandenen  allgemeinen 
Bildung  bestellt  war,  zeigen  die  vielfach  sehr  ungünstigen  Resultate  des 
Katechismusexamens,  das  die  Feldprediger  mit  jedem  Soldaten,  der  zur 
Kommunion  ging,  ja  auch  mit  deren  Frauen,  vorher  abzuhalten  pflegten. 
Bei  einer  grossen  Zahl  von  Soldaten  und  Frauen  findet  sich  in  den 
Kommuiükantenlisten  aus  jener  Zeit  die  Note:  „Kann  nicht  lesen",  bei 
noch  mehreren  die  Bemerkung:  „Hat  den  Katechismus  nicht  inne",  oder 
„Kann  ihn  so  so",  oder  „Kanu  nur  die  Gebote,  nicht  die  Erklärungen", 
oder  „Kann  die  Gebote  nur  bis  zu  dem  oder  dem  Gebot."  Einmal  heisst 
es  auch:  „Kann  den  Katechismus  so  so,  aber  vor  vielem  Lachen  weiss 
er  nichts";  meist  aber  wird  bemerkt:  „Doch  will  er  ihn  lernen." 

An  Sonn-  und  Festtagen  sollte  der  Feldprediger  in  der  ihm  ange- 
wiesenen Kirche  predigen  und  dabei  besonders  auf  die  Bedürfnisse  der 
hohen  und  niederen  Kriegsmänner  Rücksicht  nehmen.  Inbetreff  des 
dogmatischen  Inhalts  seiner  Predigten  hatte  er  sich  bei  schwerer  Ahndung 
der  Verunglimpfung  der  Reformierten  und  anderer  Religionsverwandter 
zu  enthalten,  sollte  auch  keine  bitteren  Kontroverspredigten  über  die 
Gnaden  wähl  und  andere  streitige  Lehren  halten.  Die  Predigt  selbst 
durfte  nicht  länger  als  eine  Stunde  dauern;  im  Übertretungsfalle  konnte 
der  betreffende  Prediger  vom  Wache  habenden  Adjutanten  mit  einer 
Geldbusse  zu  Gunsten  der  Invalidenkasse  belegt  werden. 

Nach  Friedrich  Wilhelm's  I.  Willen  sollten  eben  die  Prediger  aller 
Religionsparteien  die  ihnen  anvertrauten  Seelen  nur  „in  der  Furcht  dos 
Herrn  und  den»  wahren  thätigen  Christentum"  unterweisen,  Kontroversen 
aber,  die  dazu  nicht  dienen,  nicht  auf  die  Kanzel  bringen.  Der  König 
wollte  also  Erbauung,  Seelsorge,  Toleranz,  wie  er  denn  selbst  in  voll- 
kommener Tolerenz  voranging.  „Ich  bin  gut  reformirt",  schreibt  er  in 
der  Instruktion  für  den  Kronprinzen  1722,  „glaube  aber,  dass  ein 
Lutherischer  eben  so  gut  selig  werden  kann,  und  der  Unterschied  nur  von 
den  Predigerzänkereien  herrührt."  Für  seine  katholischen  Soldaten,  die 
infolge  der  ausländischen  Werbungen  so  zahlreich  waren,  dass  zu  Zeiten 
ein  Vierteil  des  ganzen  Heeres  aus  Katholiken  bestand,  billigte  er  nicht 
allein,  sondern  beförderte  er  die  Wirksamkeit  einiger  Dominikanermönche, 
sorgte  auch  dafür,  dass  neben  jenen  Ordensleuten  katholische  Welt- 
geistliche  die  Garnisonen  regelmässig  bereisten,  um  monatlich  einmal 
die  Katholiken  in  seinen  Regimentern  zum  Gottesdienst  zu  versammeln. 


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Das  brandenbg.  prcuss.  Feldpredigerwesen  in  seiner  geschieht!.  Entwickelung.  95 

Er  hat  sich  die  Namen  derjenigen  katholischen  Soldaten  angeben  lassen, 
die  in  den  herkömmlichen  Zeiten  nicht  zur  Beichte  gekommen  waren. 
„Er  wusste  wohl,  dass  ohne  die  allgemeinste  religiöse  Verpflichtung,  die 
Heilighaltung  des  Eides,  weder  sein  Staat,  noch  sein  Heer  bestehen 
würden"  (Leopold  v.  Ranke).  Nur  die  Jesuiten  wollte  er  durchaus  nicht, 
weder  in  der  Armee,  noch  in  seinen  Ländern  überhaupt  sehen. 

Da  die  Riesengardo  des  Königs  aus  allen  Ecken  und  Enden  der 
Welt  zusammengeholt  war  und  die  Grenadiere  den  verschiedensten 
Glaubensbekenntnissen  angehörten  (auch  Moliren  waren  darunter,  die 
mit  einem  türkischen  Bunde  auf  dem  Kopfe  in  militärischem  Aufzuge 
vor  dem  Riesenregimente  einherschritten),  so  hatte  man  auf  königlichen 
Befehl  neben  dem  evangelischen  und  römisch-katholischen  auch  einen 
griechisch- katholischen  Gottesdienst  eingerichtet;  ja  es  Hess  der  König 
mit  grossen  Kosten  sogar  griechische  Priester  und  Kirchensänger  aus 
Russland  kommen,  um  für  das  geistliche  Wohl  der  blauen  Riesen  zu 
sorgen.  Den  Türken,  die  er  vom  Herzog  von  Kurland  für  sein  Leib- 
regiment geschenkt  erhielt,  liess  er  einen  Saal  in  Potsdam  zur  Abhaltung 
des  muhammedanischen  Gottesdienstes  überweisen.  Grosse  Summen  ver- 
schlang der  Militärkirchhof  in  Potsdam,  wo  der  König  seine  Riesen  be- 
grub, die  in  ihrer  engen  und  uuzweckmässigen  Kleidung  meist  durch 
Schwindsucht  und  Blutbrechen  schnell  weggerafft  wurden. 

In  Berlin  war  die  von  dem  Vater  des  Königs  erbaute  Garnison- 
kirche durch  die  Explosion  eines  benachbarten,  als  Pulvermagazin  be- 
nutzten, alten  Vertoidigungstunnes  am  12.  August  1720  teilweise  zer- 
stört worden.  Kurze  Zeit  nach  der  Katastrophe  befahl  Friedrich  Wilhelm  I. 
den  Neubau  der  Kirche  auf  derselben  Stelle.  Ende  Mai  1722  war  der 
Bau  vollendet.  Die  feierliche  Einweihung  der  neuen  Kirche  fand  am 
Sonntag  den  31.  Mai  statt. 

Betreffs  des  geordneten  Kirchenbesuches  der  Soldaten  erging  unter 
unter  dem  4.  Juni  1725  eine  Königliche  Cirkular-Ordre  an  alle  Regiments- 
chefs, die  Kapitäns  anzuhalten,  dass  sie  in  Person  ihre  Leute  in  die 
Kirche  führen.  Die  lutherischen  Offiziere  sollen  allemal  in  die  Kirche 
gehen  und  die  Schildwachen  an  den  Kirchentüren  Niemanden  vor  dein 
Segensprechen  herauslassen.  Offizieren  und  Gemeinen  wird  in  derselben 
Ordre  eingeschärft,  den  Genuss  des  heiligen  Abendmahls  nicht  zu 
unterlassen. 

Aus  der  trüben  Zeit  tiefgreifender  Konflikte  in  der  Familie  des 
Königs  ist  besonders  der  Feldprediger  Müller  von  dem  in  Berlin  stehen- 
den Regiment  Gensd'armes,  dem  Musterregiment  unter  der  Reiterei  des 
Heeres,  bekannt  geworden.  Der  König  hatte  viel  Gutes  von  ihm  gehört. 
Anf  Königlichen  Befehl  musste  Müller  den  Lieutenant  v.  Kattc  zum  Tode 
vorbereiten  und  mit  ihm  nach  Küstrin  gehen,  wo  der  unglückliche  junge 
Mann  auf  dem  Wege  zum  Blutgerüst  von  Müller  und  dem  in  Küstrin 


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Erich  Schild,  Divisionspfarrer. 


stationierten  Garnisonpredigfi*  Besser  begleitet  wurde.  Dem  Feldprediger 
Müller  war  vom  König  noch  besonders  befohlen,  er  solle  nach  der 
Exekution  zu  dem  gefangenen  Kronprinzen  gehen  und  ihm  ins  Gewissen 
reden,  in  sieh  zu  gehen  und  Gott  mit  zerknirschtem  Herzen  um  Ver- 
zeihung der  schweren  Süude  zu  bitten,  die  er  begangen,  indem  er  Leute 
verführt,  deren  einer  das  mit  dem  Leben  gebüsst  habe.  Müller,  dem  der 
Kronprinz  viel  Zuneigung  und  Vertrauen  bezeigte,  konnte  Gutes  be- 
richten und  erhielt  Weisung  vom  König,  bei  dem  Prinzen  in  Küstrin  zu 
bleiben,  unablässig  an  dessen  Bekehrung  zu  arbeiten  und  ihm  vorzüglich 
den  schweren  Irrtum  von  der  unbedingten  Gnadenwahl  zu  benehmeu, 
eine  dem  König  besonders  widerwärtige  Lehre,  die  der  Prinz  früher 
wiederholt  seinem  Königlichen  Vater  gegenüber  verteidigt  hatte.  Wie 
Müllers  Bemühungen  vom  besten  Erfolg  gekrönt  wurden,  der  Kron- 
prinz seinen  Vater  schriftlich  bat,  ihm  zu  verzeihen,  und  der  Gnade 
seines  Vaters  sich  völlig  unterwarf,  ist  aus  der  vaterländischen  Ge- 
schichte bekannt. 

Am  31.  Mai  1740  beschloss  der  König,  dessen  Bedeutung  für  die 
innere  Geschichte  Preusseus  erst  in  unserer  Zeit  voll  und  ganz  erkannt 
und  gewürdigt  worden  ist,  mit  den  Worten:  „Herr  Jesu!  Du  bist  mein 
Gewinn  im  Leben  und  im  Sterben",  seine  irdische  Laufbahn.  Einige 
Tage  vor  seinem  Tode,  am  27.  Mai,  hatte  er  den  Feldpredigor  Oesfeld 
rufen  lassen,  um  sich  zum  Tode  vorbereiten  zu  lassen.  Gute  treue  Seel- 
sorger hatte  der  König  stets  gern  gehabt,  wenn  sie  ihm  auch  die  herbsten 
Wahrheiten  sagten.  So  durfte  der  strenge  Kousistorialrat  und  Propst 
Roloff,  der  mit  den  beiden  Feldpredigern  Oesfehl  und  Cochius  am  30.  Mai 
am  Bette  des  Königs  weilte,  dem  sterbenden  Monarchen  noch  so  scharfe 
Ermahnungen  erteilen,  wie  sie  sich  wohl  selten  jemals  ein  Fürst  hat 
gefallen  lassen.  Der  König  behauptete,  dass  er  die  Geistlichen  immer 
geehrt,  Gottes  Wort  gern  gehört,  die  Kirche  tleissig  besucht,  auch  keinen 
Ehebruch  begangen  habe,  sondern  seiner  Frau  unverbrüchlich  treu  ge- 
wesen sei,  und  wollte  von  Siunesäuderung  nichts  wissen.  Roloff  wider- 
sprach ihm  aber,  indem  er  anführte,  dass  der  König  z.  B.  durch  er- 
zwungenes Häuserbauen  in  Berlin  viele  seiner  Unterthanen  gedrückt, 
dass  er  Todesurteil«?  geschürft  und  ungerechte  Hinrichtungen  verfügt 
habe.  Da  sagte  der  König:  „Er  schont  meiner  nicht;  er  spricht  als  ein 
guter  Christ  und  als  ein  ehrlicher  Mann  mit  mir.  Ich  danke  ihm  dafür 
und  erkenne,  dass  ich  ein  grosser  Sünder  bin."  So  starb  er  mit  der 
frommen  Ergebung  eiues  Christen  in  der  gewissen  Hoffnung  auf 
Gottes  Gnade. 

Seinem  Nachfolger  hinterliess  er  ein  trefflich  geübtes  und  mit  allem 
zum  Kriege  Notwendigen  reichlich  ausgerüstetes  Heer,  das  er  während 
seiner  Regierungszeit  von  38000  bis  auf  einige  und  80000  Manu  ver- 
mehrt hatte.    Bei  keinem  stehenden  Heere  der  damaligen  Zeit,  ja  des 


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Da*  bramlunbg.-preuss.  FeMpredigonvesen  in  seiner  geschieht!.  Entwicklung  97 

vorigen  Jahrhunderts  überhaupt,  war  für  (Ho  religiösen  Bedürfnisse  der 
regulären  Truppen  in  Friedens-  uud  Kriegszeiten  so  ausgezeichnet  ge- 
sorgt, als  bei  diesem,  wo  jedes  auf  dem  Feldetat  stehende  Infanterie- 
und  Kavallerieregiment  seinen  eigenen  evangelisch-lutherischen  Feld- 
prediger hatte,  wahrend  mit  der  Seelsorge  für  die  reformierten  und 
katholischen  Soldaten,  die  in  Friedenszeiten  der  geistlichen  Fürsorge 
bestimmter  Zivilpfarrer  ihrer  Konfessionen  empfohlen  waren,  in  Kriegs- 
zeiten (seit  Friedrich  'dem  Grossen)  eigens  für  die  Dauer  des  Krieges 
angestellte  und  besoldete  evangelisch  -  reformierte  Feldprediger  bez. 
katholische  Feldpater  betraut  wurden. 

Friedrich  der  Grosse,  obwohl  für  seine  Person  dem  Glauben  der 
Kirche  abgewandt,  wollte  doch  die  Religion  in  Armee  uud  Volk  erhalten 
wissen.  Carlyle,  sein  englischer  Biograph  und  begeisterter  Verehrer,  sagt 
von  ihm:  „Er  giebt  sich  viel  Mühe  mit  seiner  predigenden  Geistlichkeit 
von  dem  Feldprediger  an  aufwärts  —  giebt  ihnen  wohl  mitunter  bei 
Gelegenheit  Text  und  Thema  für  ihre  Predigt  an;  ist  allezeit  bedacht, 
zum  geistlichen  Beamten  den  rechten  Mann  am  wichtigen  Platze  zu 
haben;  .  .  .  und  es  ist  bemerkenswert,  welch  ein  Fond  von  Gottesfurcht 
und  religiösem  Glauben  in  rauher,  wirksamer  Form  in  den  Armeen  und 
Völkern  eines  solchen  Königs  existirt." 

Unter  Friedrich  dem  Grossen  trat  an  die  Stelle  aller  früheren  Ver- 
ordnungen eine  ausführliche  Aintsordnung  für  die  Feldprediger  des 
preussischen  Heeres,  die  sogenannte  Feldpredigerordnung  vom  lü.  Juli 
1750,  die  vom  Feldpropst  Decker  in  Gemeinschaft  mit  dem  damaligen 
General -Auditeur  Mylius  ausgearbeitet  ist  und  bis  zum  Erlass  des 
Militär-Kirchenreglements  vom  2^.  März  1811  Geltung  gehabt  hat.  Sie 
handelt  im  ersten  Hauptabschnitt  vom  Militär-  oder  Krieges-Konsistorium, 
im  zweiten  von  der  Kirchenordnung  der  Feldprediger:  im  dritten  giebt 
sie  agendarische  Formulare.  Die  Gesammtzahl  der  evangelischen  Feld- 
prediger belief  sich  nach  einem  im  geheimen  Staatsarehiv  befindlichen 
vollständigen  Verzeichnis  aus  dem  Jahre  1756"  auf  118.  Die  Armee  war 
damals  152  000  Mann  stark.  Rechnet  man  die  Katholiken -ah,  so  hatte 
jeder  Feldpredigcr  durchschnittlich  etwa  1000  Mann  geistlich  zu  versorgen. 

Friedrich  der  Grosse  hielt  etwas  auf  tüchtige  Feldprediger.  Man 
darf  dies  wenigstens  aus  der  Weisung  schliesscn,  die  er  einige  Jahre 
vor  dem  siebenjährigen  Kriege  dem  Fehlpropst  Decker  erteilte,  keinem 
Kandidaten  ein  Feldpredigeramt  zu  geben,  wenn  er  nicht  „im  Examen 
seiner  Wissenschaften  und  Moraütät  wohl  bestanden  wäre."  Auch  seine 
Äusserung  zu  dem  englischen  Gesandten  Mitehel:  „Nun  wird  das  Land 
und  die  Armee  bald  mehr  Prediger  bekommen,  denn  ich  lasse  an  der 
Verbesserung  der  Schulen  und  Universitäten  tüchtig  und  tapfer  arbeiten", 
zeigt,  dass  der  ihm  früher  gemachte,  jedoch  schon   von   seinem  Zeit- 

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Erich  SchiM,  DivisionHpfarrer. 


genossen  «lern  Oberkonsistorialrat  Abrah.  Teller  widerlegte,  Vorwurf,  er 
habe  die  Verminderung  des  Predigerstandes  bei  seiner  Armee  eingeführt, 
ein  ungerechter  war. 

Andererseits  freilich  gab  es  doch  auch  wieder  Zeiten,  wo  er  un- 
gerechter Weise  die  Thätigkeit  der  Feldprediger  gering  schätzte  und  die 
Feldprediger  selbst  mit  dem  Spottnamen  Chekers  (in  seiner  Schreibart) 
belegte.  Das  geschah  besonders,  wenn  er  im  Gespräch  mit  Voltaire 
oder  anderen  französischen  Gelehrten  seiner  Umgebung  auf  die  Unduld- 
samkeit der  katholischen  Priester  zu  reden  kam,  wobei  er  sein  abfälliges 
Urteil  wohl  auch  auf  die  protestantischen  Geistlichen  ausdehnte,  sie 
„dumme  Pietisten  oder  Heuchler"  schalt,  die  nach  seiner  Ansicht  nicht 
„helle"  genug  dächten. 

Diesem  Vorurteil  des  grossen  Königs  steht  die  Thatsache  entgegen, 
dass  in  den  schlesischen  Kriegen  und  im  siebenjährigen  Kriege  im  Heere 
Friedrichs  eine  grosse  Zahl  nachweislich  ausgezeichneter  Feldprediger 
diente,  die  durch  unermüdcte  Sorgfalt  für  die  Kranken  und  Blessirten, 
durch  Beförderung  und  Verbreitung  einer  religiösen  Gesinnung  unter 
den  Soldaten,  durch  Besonnenheit  und  Klugheit  in  entscheidenden  Augen- 
blicken sich  rühmlichst  hervorthaten.  Es  genügt,  in  dieser  Beziehung 
zu  nennen  Seegebart,  von  dem  F.  L.  .Jahn  im  deutschen  Volkstum 
sagt:  „Seegebarts  Bildniss  —  der  als  Feldprediger  das  Regiment  Erb- 
prinz von  Dessau  und  einige  Schwader  Reuterei  in  dem  Treffen  bei 
Chotusitz  sammelte  und  gegen  den  Feind  führte  —  sollte  jeder  Feld- 
prediger auf  einer  Denkmünze  tragen."  Ferner:  Tiede,  gestorben  als 
Konsistorialrat  in  Schweidnitz;  Herrnschmid ,  später  Hauptpastor  zu 
St.  Michaelis  in  Hamburg;  die  Feldpröpste  Carsted,  Decker,  Balk. 
Letzterer  war  früher  Feldprediger  beim  Seydlitzschen  Regiment  Kürassiere 
gewesen,  mit  welchem  er,  jedoch  ohne  selbst  ein  Schwert  zu  führen, 
bei  Rossbach  die  berühmte  Attacke  gegen  die  feindliche  Kavallerie  mit- 
geritten hatte.  Seydlitz  hielt  grosse  Stücke  auf  diesen  seinen  Feldprediger, 
der  dem  berühmten  Reitergeneral  auch  insofern  eine  geistige  Rüstkammer 
war,  als  er  sämmtliche  Bücher,  die  Seydlitz  vom  König  zur  Lektüre 
erhalten,  indessen  selbst  durchzulesen  keine  Lust  hatte,  eingehend 
studieren  und  Seydlitz  kurz  über  den  Inhalt  berichten  musste,  damit 
dieser  an  der  Tafel  des  Königs,  wenn  das  Gespräch  auf  jene  Bücher 
sich  lenkte,  darüber  mitreden  konnte.  Zur  Aufbewahrung  für  solche 
ihm  von  seinem  Regimentschef  übergebene  königliche  Bücher  führte 
Balk  im  Felde  ein  besonderes  Kistehen  mit  sich.  Andere  tüchtige 
Feldprediger  aus  jener  Zeit  waren  Protzen,  Feldprediger  bei  dem 
Prinz  Leopold  Braunschweig'schen  Infanterie-Regiment,  später  Inspektor 
und  Oberprediger  in  Züllichau,  Verfasser  der  ausgezeichneten,  in 
mehreren  Auflagen  erschienenen,  jetzt  noch  für  den  Militärprediger 
sehr    lesenswerten    „Feldaudachten    und   Predigten    für  Kriegsleute"; 


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Das  brandenbg.preuss.  Feldpredigerwesen  in  seiner  gesebiehtl  Entwicklung.  99 

Töllner*),  später  Professor  der  Theologie  in  Frankfurt  a.  0.;  Karl 
Daniel  Küster,  reformierter  Stabsfeldprediger,  später  Konsistorialrat, 
Inspektor  und  erster  Prediger  der  reformierten  Gemeinde  in  Magdeburg; 
Samuel  Christian  Küster,  Feldprediger  des  Graf  Gessler'schen  Kürassier- 
regimentes, später  Inspektor  und  erster  Prediger  auf  dem  Friedrichs- 
Werder  und  der  Dorotheenstadt  in  Berlin;  Sadewasser,  von  1741  an 
Fehlprediger  bei  dem  damals  neuerrichteten  Dragoner -Regiment  von 
Nassau,  später  Ober-Konsistorialrath  in  Berlin;  Borowsky,  am  5.  Juli 
1762  in  Berlin  zum  Regimentsprediger  ordiniert,  später  geadelt  und  zum 
evangelischen  Erzbisehof  ernannt;  Süssmilch,  später  Ober-Konsistorial- 
rat,  Propst  und  Inspektor  in  Berlin:  Fischer,  Verfasser  von  „Homilien", 
die  ihrer  Zeit  mit  vielem  Beifall  aufgenommen  wurden:  Haehn,  bis 
1752  Feldprediger  beim  Regiment  Gensdarmes,  später  Generalsuperinten- 
dent von  Ostfriesland:  Pappelbaum,  Feldprediger  beim  von  Bornstedt'- 
sehen  Regiment  und  der  Berliner  Garnisonkirche,  Verfasser  von  „Feld- 
predigten": Schröter,  Goldbeck,  Benike,  und  viele  andere.  Benike 
war  Garnisonprediger  in  Küstrin,  wo  am  5.  Juli  1762  gegen  4000,  in 
den  Kasematten  der  Festung  liegende,  österreichische  Gefangene  revol- 
tierten, die  Wachen  ermordeten  und,  nachdem  sie  der  vor  den  Eingängen 
der  Kasematten  aufgepflanzten  Kanonen  sowie  der  Gewehre  der  Wach- 
mannschaften sich  bemächtigt,  auf  die  Wälle  drangen  und  aus  dem 
Geschütz  von  hier  in  die  Strassen  der  Stadt  feuerten.  Der  Kommandant 
Oberstlieutenant  v.  Heyderstädt  wurde  dadurch  am  Fasse  verwundet. 
Da  wagte  sich  Garnisonprediger  Benike  mit  Lebensgefahr  auf  den  Wall, 
redete  den  Rebellen  gütlich  zu  und  trug  dadurch  sehr  viel  zur  Stillung 
der  gefährlichen  Revolte  bei. 

Neben  den  pastoralen  Funktionen,  war  die  Thätigkeit  des  Feld- 
predigers für  den  Jugendunterricht  vielfach  in  Anspruch  genommen,  da 
sich  in  den  Garnisonsorten  viele  Soldatenfainilien  befanden,  deren  Kinder 
auf  Kosten  des  Regimentes  Schulunterricht  empfingen.  Tin  preussischen 
Heere  war  die  Zahl  der  Soldatenkinder  erstaunlich  gross,  weil  das 
Heiraten  der  Unteroffiziere  und  Gemeinen  „ zur  Steigerung  der  Population" 
von  allerhöchster  Stelle  aus  im  vorigen  Jahrhundert  in  jeder  Weise  be- 
fördert wurde.  Stabsfehlprediger  Küster  rechnet  im  Durchschnitt  auf 
1000  Mann  500  Kinder,  so  dass  nach  seiner  Meinung  gegen  Ende  der 


•)  Töllner  war  Feldprediger  im  Regiment  des  Fcldmarschalls  Schwerin,  der  dem 
König  wiederholt  bei  Tafel  von  der  Amtswirksamkcit  seines  Feldpredigers  erzählt 
hatte.  Als  nun  Töllner  vom  Feldprcdiger  zum  Frankfurter  Universitätsprofessor  be- 
fördert war,  sagte  der  König  dem  FHdmarschnll  Schwerin:  „Empfehle  er  seinem 
bisherigen  Fehlprediger  nur,  dass  er  du-  künftigen  jungen  Priester  besser  unterrichtet, 
als  es  von  so  vielen  butten  Professoren  geschieht.  Die  Studenten  müssen  zuvörderst 
Locke's  und  Wolff's  Philosophie  studiren  und  dann  erst  ihre  Theologie  verstehen  und 
prüfen  lernen;  sonst  werden  sie  Saalhaders." 

7* 


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loo 


Erich  Schild,  Divisionspfarrer 


Regierung  Friedrich  des  Grossen  „die  auf  200,000  Mann  angestiegene 
Armee  gewiss  100,000  Söhne  und  Töchter  zählte."  Schon  im  .Jahre  1740 
hatte  das  aus  dem  Potsdamer  Riesenregiment  nach  Autlösung  desselben 
hervorgegangene  Grenadier-Garde-Bataillon  allein  5*3.  Kinder.  Und  eine 
„Seelenliste  der  Berliner  Garnison  vom  Jahre  17 76"  berechnet  die  Starke 
der  letzteren  ohne  die  Beurlaubten,  die  mit  ihren  Frauen  und  Kindern 
auf  dem  platten  Lande  lebten,  auf  18,052  Köpfe,  wozu  552(3  Soldaten- 
frauen mit  6662  Kindern  gehörten. 

Die  Soldatenfrauen  und  Soldatenkinder  wurden  als  zur  Armee 
gehörig  betrachtet.  Für  den  Unterricht  der  letzteren  sorgten  die  Regi- 
ments- oder  Garnisonschulen,  deren  Inspektor  der  Regiments-  oder 
Garnisonprediger  war.  Die  Regiments-  oder  Garnisonschule  war  eine 
niedere  Bürgerschule.  Als  Lehrer  fungierte  vielfach  der  Regimentsküster. 
Den  Religionsunterricht  erteilte  der  Feldprediger  oft  selbst,  dem  auch 
die  Führung  des  Rechnungswesens  der  Schule  oblag. 

Im  allgemeinen  empfahl  Friedrich  der  Grosse,  man  solle  die  Kinder 
nicht  mit  der  „sogenannten Schultheologie"  belästigen;  denn  dieSoldaton- 
und  Bürgerkinder  sollten  „nicht  gelehrte,  sondern  nur  vernünftige 
Christen"  werden,  welche  Gott  und  ihrem  Landesherrn  gehorchten  und 
einen  guten  Wandel  führten,  der  Gott  und  Menschen  wohlgefiele.  Dazu 
werde  aber  nur  ein  einfacher  und  auf  den  Charakter  des  Menschen  ein- 
wirkender Unterricht  erfordert.  Namentlich  sei  recht  deutlich  zu  lehren, 
was  der  grösste  Menschenkenner  Christus  als  wichtig  klar  vorgestellet  hätte. 

Wie  die  Regiments-  und  Garnisonschulen,  so  hatten  die  Feldprediger 
auch  die  Lazarette  fleissig  zu  besuchen  und  von  Zeit  zu  Zeit  daselbst 
Betstunden  zu  halten.  Den  Fahnjunkern  aber  sollten  sie  in  der  Friedens- 
garnison wöchentlich  zweimal  über  religiöse  Moral  und  über  geschicht- 
liche Themata  Vorlesungen  halten.  Später  wurde  diese  Einrichtung 
durch  Kabinetsordre  dahin  erweitert,  dass  der  Feldprediger  in  der 
Junkerschule  seines  Regimentes  den  Fähnrichen  Unterricht  im  deutschen 
Stil,  Geographie,  Geschichte,  Moral,  französischer  Sprache  und  in  den 
Anfangsgründen  der  Mathematik  zu  erteilen  hatte. 

Ihr  schmales  Einkommen  suchten  manche  Feldprediger  dadurch 
zu  verbessern,  dass  sie  einem  oder  mehreren  Fahnjunkern  gegen  Be- 
zahlung Wohnung  und  Essen  in  ihrem  Hause  gewährten,  sie  also  zu 
sich  in  Pension  nahmen.  Männer  wie  York  von  Wartenburg,  der 
preussische  Generalfeldmarschall,  haben  nach  Drovsens  Zeugnis  ausser 
dem  Elementarunterricht  in  früher  Jugend  keine  andere  geistige  Aus- 
bildung in  ihren  Jünglingsjahren  genossen,  als  diejenige,  die  sie  als 
Fahnjunker  durch  den  Feldpredigcr  ihres  Regimentes  erhielten. 

Betreffs  der  Amtskleidung  der  Feldprediger  hatte  schon  eine  könig- 
liche Ordre  vom  14.  Dezember  1742  bestimmt:  „Wegen  der  Feldprediger 
ist  es  mein  Wille,  dass  solche  ebenso  gekleidet  sein  sollen  als  der  jetzige 


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Das  brandenbg.  prenss  Feldpredigerweson  in  seiner  geschieht!.  Entwiekelung.  101 

Feldprediger  von  meinem  Regiment  (Gartie). u  Eine  besondere  Tracht 
für  seine  Feldprediger  anzuordnen,  war  der  gross«  König  im  ersten 
sehlesischen  Kriege  durch  den  Umstand  veranlasst  worden,  dass  einige 
katholische  Ordensleute  um  desswillen  mit  Verachtung  von  den  prote- 
stantischen Feldpredigern  gesprochen  hatten,  weil  diese  für  gewöhnlich, 
wenn  sie  nicht  Amtshandlungen  zu  verrichten  hatten,  einen  einfachen 
blauen  Kock  trugen.  „Seheu  die  Herren  auf  die  Kleidung",  sagte  der 
König,  „so  will  ich  meine  protestantischen  Feldprediger  bald  in  den 
Augen  dieser  Schwachköpfe  Schätzungswert  machen.  Ich  will  ihnen  den 
Anzug  eines  distinguirten  katholischen  Geistlichen  geben".  Und  so  er- 
hielten denn  die  Feldprediger  Befehl,  ein  kurzes  gekräuseltes  Haar, 
seidenen  Mantel,  blau-weisse  Kragen,  seidene  Strümpfe  und  kurze  blaue 
Manschetten,  wie  ein  französischer  Abbe,  anzulegen.  Als  in  Preussen 
durch  Königliche  Verordnung  vom  1.  Januar  1811  die  Amtskleidung 
der  evangelischen  Geistlichen  geregelt  und  überall  der  „Chorrock  oder 
Hube  von  Satin,  oder  anderen  leichten  wollenen  Zeugen  von  schwarzer 
Farbe  nebst  Sammtbarett  und  weissem  Halskragen  unter  dem  Kinn" 
eingeführt  wurde,  verschwand  auch  die  bisherige  Amtstracht  der  Feld- 
prediger. Doch  ist  speziell  das  blaue  Päftchen  vielfach  noch  in  den 
Freiheitskriegen  das  Abzeichen  des  Feldpredigers  gewesen.  In  einer 
jetzt  im  Hohenzollern- Museum  befindlichen  Sammlung  kleiner  Wachs- 
ligürehen  von  Offizieren  aller  Regimenter  der  friderieianischen  Annen, 
dem  Unifo einschnitt  nach  aus  der  Zeit  kurz  vor  dein  siebenjährigen 
Kriege,  ist  auch  die  Figur  eines  Feldpredigers,  die  in  ihrem  Anzüge 
ganz  der  erwähnten,  vom  König  1742  für  die  Feldprediger  erlassenen 
Bekleidungsordre  entspricht. 

Die  Rangliste  der  prenssischen  Armee  vom  Jahre  1801  zählt  auf 
bei  jedem  Infanterie-  und  Kavallerieregiment  sowie  bei  jedem  der  sechs 
Füsilier-Bataillone  (deren  Garnisonorte  Bialystok,  Plock,  Bielsk,  Petrikau, 
Wloclawek  und  Kreuzberg  waren)  einen  Feldprediger  —  mit  Ausnahme 
des  Husaren regimeutes  Nr.  10  (im  Jahre  1800"  Regiment  Usedom),  das 
zwei  Feldprediger,  nämlich  bei  jedem  Bataillon  «'inen  hatte.  Ausserdem 
gab  es  Garnisonprediger  in  Königsberg,  Magdeburg,  Kosel,  Kolberg, 
Spandau,  Küstrin,  Pillau,  1  Prediger  beim  Invalidenkorps  und  1  Prediger 
beim  Kadettenkorps  in  Berlin.  Auch  zwei  katholische  Militärgeistliche 
verzeichuet  die  genannte  Rangliste,  1  beim  Invalidenkorps  und  1  beim 
Regiment  Courbiere  Nr.  58.  Merkwürdigerweise  war  damals  auch  ein 
muhamedanischer  Feldgeistlicher  in  der  prenssischen  Armee  angestellt. 
Bei  dein  fünf  Eskadrons  starken  Bataillou  der  Towarczys  nämlich  (einer 
Art  Ulanen,  1788  als  selbstständiger  Truppenteil  aus  dem  Bosniakenkorps 
gebildet,  heute  1.  und  2.  Ulanen-Regiment)  bestand  die  fünfte  Eskadron, 
die  sogenannte  Tataren-Eskadron,  aus  wirklichen  Tataren.  Sie  hatten 
einen  eigens  für  sie  besoldeten  inuhainedanischen  Kaplan  (fmam). 


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Erich  Schild,  Diviftionspfarrer. 


Nach  der  Zertrümmerung  der  alten,  durch  den  Tilsiter  Frieden  von 
Napoleon  auf  42,000  Mann  verringerten  preussischen  Armee  brach  eine 
furchtbare  Not  herein  wie  über  so  viele  entlassene  Offiziere  und  Staats- 
beamte, so  auch  über  die  grosse  Mehrzahl  der  preussischen  Feldprediger. 
Einer  derselben  schreibt  im  März  1807:  „Jetzt,  in  den  Tagen  allgemeiner 
Zerrüttung  und  Auflösung,  ohne  Amt,  ohne  Besoldung,  müssen  wir  die 
harte  Hand  des  Schicksals  männlich  ertragen  und  uns  durch  die  Hoffnung 
besserer  Zeiten  beruhigen. *  Von  den  Beamten  aller  Grade,  welche 
schaarenweise  durch  das  Unglück  des  Staates  brotlos  geworden  waren, 
sah  man  damals  Männer  aus  hohen  Stellungen,  Regierungs-  und  andere 
Räte,  selbst  Dorfschullehrerstellcu  annehmen,  um  nur  das  nackte  Leben 
zu  fristen.  Ein  Feldprediger  in  Neisse,  dein  es  in  dieser  furchtbaren 
Zeit  der  Prüfung  nicht  gelang,  auch  nur  die  dürftigsten  Existenzmittel 
zu  finden,  gab  sich  aus  Verzweiflung  über  seine  Lage  mit  seiner  Frau 
in  den  Wellen  des  Flusses  den  Tod. 

Sehr  instruktiv  für  diese  Zeit  und  zugleich  interessant  für  die 
bürgerlichen  Zustände  der  letzten  dreissig  Jahre  des  vorigen  Jahrhunderts 
ist  das  bis  zum  Jahre  1810  reichende  Tagebuch  des  w  eiland  preussischen 
Feldpredigcrs  Johann  Adam  Stahr,  Vaters  des  im  Jahre  187ü  verstorbenen 
bekannten  Aesthetikers  und  Literarhistorikers  Adolf  Stahr.  Vor  etwa 
zehn  Jahren  schrieb  mir  des  letzteren  Wittwe  Frau  Fanny  Lehwald  Stahr, 
dass  sie  beabsichtige,  diese  Lebensbeschreibung  ihres  Schwiegervaters 
selbst  durch  den  Druck  zu  veröffentlichen.  Leider  hat  der  Tod  sie  er- 
eilt, ehe  sie  diese  ihre  Absicht  zur  Ausführung  bringen  konnte. 

Im  Jahre  1811  unter  dem  28.  März  erschien  das,  die  Feldprediger- 
ordnung vom  Jahre  1750  aufhebende,  umfangreiche  Königl.  Preuss. 
Militair-Kirchen-Reglement,  wodurch  die  religiöse  Versorgung  des  nume- 
risch so  stark  reduzierten  Heeres  von  neuem  fest  geordnet  wurde.  Bei 
jeder  der  sechs  Brigaden  der  Armee  wurden  sowohl  im  Frieden,  als  im 
Kriege  drei  Prediger  angestellt,  deren  Gehalt  im  Frieden  jährlich  für 
jeden  400  Thaler  betrug.  Sie  hatten  ihre  Gemeinden  überallhin,  es  sei 
im  Kriege,  oder  im  Frieden,  zu  begleiten.  In  jeder  der  drei  Hauptstädte 
Berlin,  Königsberg  und  Breslau  befand  sich  ausserdem  ein  „für  immer 
an  diesem  Ort  fixierter"  besonderer  Garnisonprediger,  von  denen  der 
in  Königsberg  auch  der  littauischen  Sprache  völlig  kundig  sein  musste. 
Besondere  Festungsprediger  wurden  für  Pi Mau  und  Silberberg  angestellt. 
Bezüglich  der  Militärprediger  überhaupt  bestimmte  das  Reglement:  „Sie 
sind  sämtlich  der  evangelisch -lutherischen  Konfession  zugethan.  in 
Kriegszeiten  sollen  jedoch  ausserdem  bei  einem  jeden  Armeekorps  auch 
ein  oder  einige  reformierte  und  katholische  Geistliche  angestellt  werden, 
auch  soll  bei  den  Haupt- Lazaretten,  wo  es  nötig  ist,  ein  besonderer 
Prediger  alsdann  angesetzt  werden." 


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Das  brandenbg.preuss.  Feklpredigerwesen  in  seiner  geschichtl.  Entwickelung.  103 

Das  Kriegskonsistorium  wurde  aufgehoben.  Sämtliche 
Militärprediger  standen  nunmehr  unter  der  Civil -Konsistorial- Behörde. 
Auch  die  Stelle  des  Feldpropstes  ging  ein.  Ebenso  ward  das 
Recht  der  Wahl  des  Feldpredigers  durch  den  Regiments-  oder  jetzt 
Brigade-Chef  beseitigt.  Die  Vokation  für  den  Militärprediger  fertigte 
nunmehr  diejenige  geistliche  Regierungs-Deputation  aus,  in  deren  Bezirk 
die  dem  Prediger  zum  Wohnort  angewiesene  Garnison  lag. 

Als  nach  den  Befreiungskriegen,  aus  denen  leider  nur  wenige  Auf- 
zeichnungen preussischer  Feldprediger  vorliegen  —  der  namhafteste  unter 
ihnen  war  Offelsmeyer  — ,  das  preussische  stehende  Heer  wieder  eine 
Stärke  von  130,000  Mann  erhalten  hatte,  wurden  durch  die  jetzt  noch 
geltende  Militär-Kirchen-Ordnung  vom  12.  Februar  1832  die  kirchlichen 
Verhältnisse  der  Armee  dementsprechend  neu  geregelt.  Die  1811  ein- 
geführte Unterstellung  der  Militärprediger  unter  die  Superintendenten 
wurde  wieder  aufgehoben  und  die  Zahl  der  Militärgeistlichen  dadurch 
etwas  vermehrt,  dass  bei  jeder  Division  zwei  Divisionspfarrer  und  eine 
Anzahl  Garnisonpfarrer  für  die  Festungen  angestellt  wurden. 

In  Bezug  auf  die  Thätigkeit  der  preussischen  Feldgeistlichkeit  irn 
letzten  Kriege  darf  ich  zum  Schluss  mitteilen  das  Telegramm,  das  der 
verewigte  Kaiser  Wilhelm  I.  am  8.  März  1871  von  Ferneres  aus  dem 
Feldpropst  Thielen  zusandte: 

„Erst  jetzt,  nachdem  der  Friede  gesichert,  vermag  Ich  Ihnen  Meinen 
aufrichtigen  Dank  für  Ihr  Glückwünschungsschreiben  auszusprechen. 
Wenn  der  Herr  der  Heerschaaren  mit  uns  ist,  wer  will  wider  uns  sein? 
Es  hat  sich  hier  erwiesen  in  den  gewaltigen  Kämpfen,  die  immer  zum 
Siege  führten,  und  in  dem  ehrenvollen  Frieden.  Dass  er  dauernd  sein 
möge  nach  so  schweren  Opfern,  die  das  Heer  im  Felde  und  die  Vater- 
landsliebe in  der  Heimat  brachte!  Mir  ist  ein  Loos  zugefallen,  das  Ich 
niemals  erträumt  hatte  und  das  Ich  in  Demut  von  Gottes  Willen  an- 
nehme. Ihre  Feldgeistlichen  haben  allgemeines  Lob  und  An- 
erkenntnis gefunden  und  sind  in  ihrem  Berufe  gefallen  und 
haben  geblutet. 

Wilhelm.14 


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Das  Bauernhaus  in  der  Mark. 

Von  Robert  Mielke. 

Mit  1  Tnfel  und  33  Textabbildungen. 

Die  reiche  Literatur,  welche  sich  mit  iler  Geschichte  und  der  Ver- 
breitung des  deutscheu  Bauernhauses  beschäftigt,  ist  bisher  im  Wesent- 
lichen bei  den  einzelnen  Arten  desselben  stehen  geblieben,  ohne  Rücksicht 
auf  die  Abwandlungen  zu  nehmen,  die  der  herrschende  Typus  im  Rahmen 
eines  bestimmten  Territoriums  erlitten  hat.  Dabei  ist  die  Mark  Branden- 
burg insofern  zu  kurz  gekommen,  als  man  sie  im  Allgemeinen  mit  in 
jenes  umfangreiche  Gebiet  einschloss,  für  welches  der  fränkische  Typus 
als  der  vorherrschende  gilt.  Meitzen*)  lässt  zwar  in  der  seiner  Schrift 
beigegebenen  Verbreitungskarte  das  sächsische  Haus  den  nördlich  der 
Spree  gelegenen  Teil  der  Mark  bis  zur  Oder  einnehmen,  ohne  jedoch  in 
dem  Text  weiter  darauf  einzugehen;  während  Henning**),  der  für  die 
norddeutsche  Tiefebene  zwischen  Elbe  und  Weichsel  drei  Stilgattungen 
annimmt,  die  Grenzlinie  zwischen  fränkischem  und  sächsischem  Haus 
von  Taugermündo  nach  den  Odermündungen  zieht.  Wenn  auch  in  den 
nachfolgenden  Ausführungen,  die  als  Ergebnisse  mancher  tag-  oder 
wochenlangen  Wanderung  auf  märkischen  Boden  nur  eine  bescheidene 
Würdigung  beanspruchen,  diese  Trennungslinie  nicht  weiter  verändert 
wird,  so  werden  sie  doch  erkennen  lassen,  dass  sich  innerhalb  des  be- 
schränkten Gebietes  eine  rege  Tliätigkeit  in  dem  Häuserbau  entwickelt 
hat,  die  im  engsten  Zusammenhange  mit  der  Kolonisationsbeweguug 
steht.  Denn  wie  sich  hier  die  einzelnen  Völkerstämme  durcheinander- 
schoben, nicht  ohne  ihre  besonderen  Eigentümlichkeiten  in  breiten 
Schichten  abzusetzen,  so  haben  sich  auch  die  Typen  des  Bauernhauses 
deutlich  abgelagert.  Wie  wir  slavische,  flämische,  sächsische  und 
fränkische  Elemente  in  der  Bevölkerung  nachweisen  können,  die  teil- 
weise vermischt,  teilweise  auch  noch  getrennt  in  lokalen  Distrikten 
nebeneinander  bestehen,  so  zeigt  sich  auch  in  der  bäuerlichen  Architektur 
der  formale  Niederschlag  dieser  so  verschieden  beanlagten  Stämme. 

*)  Meitzen.  Das  deutsche  Haus  in  seinen  volkstümlichen  Formen.  Berlin  1882. 
**)  Henning.    Das  deutsche  Haus  in  seiner  historischen  Eutwiekelung.  Strasa- 
burg  1882. 


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Das  Bauernhaus  in  der  Mark. 


105 


Zwar  beherrscht  das  fränkische  Haus,  das  ja  nachweisbar  immer 
.siegreicher  in  Deutschland  vordringt,  und  das  eines  Tages  vielleicht  alle 
anderen  verdrängt  haben  wird,  auch  im  Lande  des  roten  Adlers  alle 
anderen  Formen;  doch  tritt  schon  in  dem  slavischen,  wie  es  sich  mehr 
oder  minder  beeinflusst  in  den  Spreewaldlandschaften  erhalten  hat,  eine 
in  sich  abgeschlossene  Abart  deutlich  hervor.  Hei  aufmerksamer  Be- 
obachtung zeigt  sich  aber,  dass  die  Mark  reicher  an  Stilgattungen  ist, 
als  ein  flüchtiger  Umblick  erwarten  lässt,  wenn  auch  so  prachtvolle 
Entwickelungen,  wie  sie  Norwegen,  die  Schweiz  und  einzelne  Gegenden 
Mitteldeutschlands  hervorgebracht  haben,  hier  nicht  zu  suchen  sind. 
Gegen  das  Übergewicht  des  fränkischen  Hauses  haben  sich  die  anderen 
nur  schwer  und  das  zum  Teil  unter  Aufgeben  einzelner  ihrer  Eigentüm- 
lichkeiten halten  können;  dazu  kommt  dann  noch,  dass  der  Einfluss  des 
städtischen  Hauses,  der  von  einer  so  beherrschenden  Centrale  wie  Berlin 
auf  das  Land  getragen  wird,  umgestaltend  auf  die  altererbten  Über- 
lieferungen einwirkt  und  neue,  den  ländlichen  Bedürfnissen  schon  ent- 
fremdete Formen  erzeugt.  Es  ist  nicht  schwer  diese  letzteren,  zum 
grössten  Teil  recht  geschmacklosen  Einflüsse,  herauszufinden;  schwieriger 
ist  es  schon,  die  ursprünglich  nebeneinander  bestehenden  1  laustypen  zu 
erkennen.  Hier  kann  nur  ein  Verfolgen  der  einzelnen  und  ihre  Ver- 
gleichung  mit  den  anderen  in  Deutschland  vorkommenden  Hausarten 
Klarheit  geben.  Haben  wir  also  einerseits  mit  erheblichen  Schwierig- 
keiten zu  kämpfen,  um  zur  Erkennung  der  Urformen  zu  gelangen,  so 
haben  wir  andererseits  die  Befriedigung,  der  Entwicklung  der  Typen 
auf  einem  Boden  nachzugehen,  der  wie  wenige  einen  Reichtum  von  den- 
selben besitzt,  und  dessen  festgelagerte  Schichten  das  allmälige  Werden 
illustrieren.  Von  der  armseligen  Lchmkuthc  durch  alle  Stadien  des 
Holzbaues  hindurch  bis  zum  feuersicheren  Backsteinbau  lässt  sich  in 
der  Mark  die  Entwicklung  und  mit  dieser  zugleich  die  Wechselbeziehung 
des  Bauernhauses  mit  dem  Stadthause  verfolgen. 

Von  den  vier  Typen,  die  sich  deutlich  von  einander  abheben,  nimmt 
der  fränkische  den  grössten  Raum  ein;  obwohl  auch  das  wendische 
Haus  in  verhältnismässig  zusammenhängenden  Komplexen  erscheint. 
Daneben  sind  die  Grenzdistrikte  im  Osten  von  dem  polnisch-slavischen, 
im  Norden  von  dem  sächsischen  reichhaltiger  durchsetzt.  Während  aber 
das  letztere  sich  in  einzelnen  Linien  bis  zur  Spree  hinzieht,  finden  sich 
auf  dem  ganzen  Gebiet  die  Einflüsse  des  wendischen  mehr  oder  minder 
deutlich  ausgesprochen.  Das  fränkische  Gehöft  kehrt  überall  in  seinen 
typischen  Grundanlagen  wieder,  bestehend  aus  dem  grossen,  an  der  Dorf- 
strasse gelegenen  Thorhause,  der  gegenüber  liegenden  Scheune  und  den 
die  beiden  anderen  Seiten  des  Grundvierecks  abschliessenden  Wohn- 
und  Stallgebäuden  (Abb.  1).  In  der  Regel  steht  das  Wohnhaus  links 
von  dem  in  den  Hof  Eintretenden ;  doch  ist  es  auch  vereinzelt,  z.  B.  in 


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10G 


Robert  Mieike. 


1.  Seegefeld  bei  Spandau. 


Mellon  bei  Zossen  (Abb.  2)  auf  der  rechten  Seite  angeordnet  Der  Haus- 
eingang ist  stets  auf  der  Langseite  nach  dein  Wirtschaftshof  zu.  Das 

Thorhaus ,     welches  häufig 
Kammern  für  die  Wirtsehafts- 
geräte  enthält,  ist  nicht  immer 
vorhanden,  sondern  wird,  be- 
sonders nördlich  von  Berlin, 
durch  ein  einfaches  Bretter- 
portal  ersetzt.  Zu  einer  neuen 
Variante  ist  es  auf  dem  öst- 
ft^'i^/p  liehen  Ende  des  Fläming,  wo 
sich  überhaupt  viel  wendische 
Einflüsse  geltend  gemacht  haben, 
ausgebildet,  dadurch,  dass  es  den 
ganzen  Raum  zwischen  dem  Wohn- 
und  dem  Stallgebäude  ausfüllt  und 
auch   in   gleicher  Frontlinie  mit 
beiden  steht    (Abb.  3  u.  4).  Nur 
ein  schmaler  Gang  bleibt  in  diesem 
'/w^  Falle  zwischen  den  Mauern  stehen, 
'  der  auch  noch  bisweilen  kassirt 
wird,  so  dass  dann  das  Thorhaus  mit  den 
beiden  oder  einem  der  beiden  Nachbarhäuser 
organisch  zusammenwächst,  eine  um  so  be- 
fremdendere Bildung,  als  sie  an  das  in 
Dänemark  vorkommende  Gehöft  oder  den 
bayrischen  Einödhof  erinnert,  ohne  dass 
an  eine  gegenseitige  Einwirkung  zu  denken 
wäre.    Sie  unterstützt   aber  die 
Behauptung  Bank  alaris*),  dass 
der  sogenannte  oberösterreichische 
Vierkant,  der  ein  ganzes  Carre 
bildet,  aus  Einzelhäusern  zusam- 
mengewachsen sei,  eine  Behaup- 
tung, der  sich  Dr.  R.  Meringer 
4.  Horsdorf.  anschliesst  **j 

Eine  bemerkenswerte  Erscheinung  und,  wie  es  scheint,  noch  nicht 
als  Wegweiser  für  die  Besiedelungsgeschichte  der  Mark  herbeigezogen, 
ist,  dass  sich  vorzugsweise  in  der  westlichen  Hälfte  der  Provinz  und 
auf  Anhöhen  ganze  Wirthschaftsgehöfte  linden,  die  in  ihrer  einsamen 


2.  Mellen  bei  Zossen. 


3  Görsdorf. 


•j  Ausland  1891. 

*•)  Sitzungsberichte  der  Anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien  XXII.  Band  181)2. 


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Das  Bauernhaus  in  der  Mark. 


107 


Lage,  von  stämmigen  Linden  oder  Kastanien  umrauscht,  an  die  Einzei- 
lig fe  Westfalens  und  Manövers  erinnern,  nur  dass  in  der  Mark  das 
Sächsische  Wohnhaus  durch  das  fränkische  ersetzt  ist.  Ob  dies  nun 
eine  spätere  Ersetzung  ist,  oder  ob  gleiche  Verhältnisse  zu  gleichen  An- 
lagen geführt  haben,  sei  dahingestellt.  Jedenfalls  verdienen  diese  Bauern- 
höfe ein  eingehendes  Interesse. 

Neben  diesen  (irosswirthsehaften,  haben  die  Drangsale,  welche  in 
jahrhondertlanger,  reicher  Folge  die  agrarischen  Verhältnisse  Branden- 
burgs mehr  als  andere  Länder  zerrütteten,  vereinfachtere  Anlagen  ge- 
schaffen, die  sich  auf  das  fränkische,  mit  der  Langseite  der  Dorfstrasse 
zugewandte,  Wohnhaus  beschränken,  dem  sich  ein  hinterwärts  parallel 
gebautes  Stall-  und  Scheunenhaus  zugesellt.  In  den  Dörfern  des  Ruppiner 
Kreises  hat  man  den  Häusern  durch  ein  aufgesetztes  Stockwerk  ein  ganz 
stattliches  Aussehen  gegeben,  während  anderwärts,  z.  B.  in  der  Nuthe- 
niederung  mittels  einer  vorgebauten  Laube  eine  höchst  malerische  Wirkung 
erzielt  ist. 

Besonderer  Ausbildung  ist  vielfach  dem  Stallgebäude  gewidmet, 
dessen  Daehranm,  um  für  die  Heuvorräte  den  nötigen  Platz  zu  schaffen, 

oft  um  ein  halbes  oder  ganzes 
Stockwerk  erhöht  und  an  der 
Hofseite  bedeutend  hervorgekragt 
ist.  (Abb.  5.)  Bisweilen  wird 
diese  Her  vorkragung  zu  einer 
offenen  (lalerie  ausgebildet,  die 
bald  weniger,  bald  mehr  künst- 
lerisch verziert  ist.    (Abb.  (>.  7.) 

ß.  Mellon  bei  Zossen. 

Es  scheint  diese  Galerie,  welche  auch  im  Erz- 
gebirge vorkommt*),  eine  alte  Bautradition 
zu  sein,  denn  sie  findet  sich  schon  auf  dem 
Merianschen  Prospekt  des  Amtes  Zehden 
(Abb.  8).  Im  Verein  mit  den  Vorlauben  und 
der  noch  weiterhin  zu  erwähnenden  Holz- 
ornamentik bezeugt  diese,  dass  auch  das  mär- 
kische Bauernhaus  eine  gewisse  künstlerische 

Ausbildung  erfahren,  die  es 
in  der  Gegenwart  leider  auf- 
gegeben bat. 

Da  die  fränkischen  Wohn- 
häuser bei  uns  in  der  Hegel 
selten  älter  als  hundert  Jahre 
sind,  in  den   meisten  Fällen  7  Bucbholi  b  xiemeok. 


f.  Zöllmomlort. 


«  Such  Merian. 


•)  Landau.  Beilagen  zum  Correspond<-n/.Matt  d.  deutsch. Gesch.  u.  Alt -Vereine VI.  S.U. 


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108 


Robert  Mielke 


sind  sie  sogar  erst  in  dem  laufenden  Jahrhundert  entstanden,  so  ist  die 
ursprünglich  einfache  Anlage  durch  die  Bedürfnisse  der  vorgeschrittenen 
Zeit  verwischt.  Die  alte  Einteilung  in  zwei  Haupträume,  welche  durch 
den  quer  das  Haus  durchschneidenden  Gang  hergestellt  wird,  ist  zwar 
noch  vorhanden,  aber  beide  Hälften  sind  jetzt  zu  Wohnstuben  herge- 
richtet und  der  Herdrauin,  einst  den  bedeutenderen  Flur  einnehmend, 
ist  heute  durch  eine  Querwand  von  dein  vorderen  Teil  desselben  getrennt 
und  zu  einer  selbständigen  Küche  umgewandelt,  in  der  die  Feuerstelle 
so  an  die  Seitenwand  gerückt  ist,  dass  von  ihr  aus  der  benachbarte 
Stubenofen  mit  erwärmt  werden  kann.  Doch  giebt  es  ohne  Zweifel  noch 
ursprünglichere  Anlagen.  Herr  Stadtrat  Friede  1  entdeckte  eine  solche 
in  nächster  Umgebung  von  Berlin,  die  nicht  nur  die  älteste  Einteilung 
klar  erkennen,  sondern  sicli  auch  urkundlich  bis  zum  Jahre  1G71  zurück- 
verfolgen lässt.  Wahrscheinlich  ist  diese,  das  in  dem  Dorfe  Dallgow 
bei  Spandau  befindliche  Pfarrhaus,  noch  viel  älter,  denn  erst  von  dem 
gedachten  Jahre  führen  die  noch  vorhandenen  Kirchenrechnungen  die 
einzelnen  Verbesserungen  und  Veränderungen  auf.  Die  Vermutung  ist 
gerechtfertigt,  dass  es  noch  immer  seinem  ursprüng- 
lichen Zwecke  dient,  weil  der  Wirthsehaftshof  (Abb.  D) 
einen  nur  kleinen  Betrieb  voraussetzen  lässt.  Das  zwei- 
geschossige Wohnhaus  ist,  wie  sich  aus  der  Lage  der 
:  Dachbalken  erkennen  lässt,  in  späterer  Zeit  auf  beiden 
•  Langseiten  mit  Anbauten  versehen,  von  denen  einer 
>  (Abb.  10  u.  11)  schon  seit  Ge- 

i—  — *-<  — — i  

*-.i.ip *.r<*+*jn.fi.  nerationen  teilweis  als  Kaum 
i^i^lnndnu  für  Abfälle  benutzt  wird,  die 
denselben  noch  heute  bis  zu  dem  zweiten  Stock 
füllen.  Auch  der  hinterste  Stall  scheint  erst 
nachträglich  hinzugefügt  zu  sein,  denn  die 
durchgehende  Fundamentschwelle  beweist,  dass 
er  mit  dem  benachbarten  Seitenbau  zugleich  Dallgow, 
errichtet  wurde.    Denkt  man  sich  die  durch  Schraffur  in  dem  Grundriss 

angedeuteten  späteren  Anbauten  fort,  so  ist  die 
alte  Aidage  deutlich  erkennbar.  Vom  Flur  aus 
gelangt  der  Eintretende  in  die  jetzt  durch  eine 
Wand  von  diesem  abgeschiedene  überraschend 
grosse  Küche,  in  deren  rechten  vorderen  Ecke 
sich  der  aufgemauerte  breite  Herd  erhebt.  Zu 
beiden  Seiten  führen  Thüren  in  die  nach  der 
li.  Dallgow.  Strasse  gelegenen  Stuben  und,   wenn  man  Bich 

die  eingebaute  Kanuner  fortdenkt,  unmittelbar  in  den  Stall.  Verrät  auch 
die  Eintheilung  eine,  vielleicht  des  besonderen  Zweckes  wegen  beab- 
sichtigte, Neigung  zu  ungewöhnlicher  Wohnlichkeit,  so  gehört  das  Haus 


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Das  Bauernhaus  in  der  Mark 


109 


doch  zu  den  selteneren  Denkmälern,  welche  noch  durch  die  Wertschätzung 
des  Ilerdraumes  an  die  älteste  deutsche  Bautradition  gemahnen. 

Nördlich  der  Spree  haben  die  Dörfer  ein  wesentlich  anderes  Aus- 
sehen als  südlich  derselben.  Zwar  herrscht  auch  hier  der  fränkische 
Hof  vor;  aber  es  schiebt  sich,  erst  bescheiden,  dann  immer  stärker 
hervortretend,  das  sächsische  Haus  dazwischen,  um  sich  an  der  Elb- 
Kreuze  in  dem  reinen  sächsischen  Altmarkshause  zu  verlieren.  Bekannt- 
lieh vereinigt  dieser  Typus  Menschen,  Tiere  und  Ernte  unter  demselben 
Dache.  Die  dafür  bestimmten  Einzelräume  sind  dann  derartig  gruppiert, 
dass  die  ganze  wirtschaftliche  Thätigkeit  nach  demselben  grossen  Räume, 
der  Diele,  zustrebt.  Zu  beiden  Seiten  der  Diele  befinden  sich  die  offenen 
Ställe,  am  Ende  derselben  der,  in  den  ältesten  Häusern  freistehende 
niedrige  Herd,  hinter  dem  mehrere  Zimmer  das  Haus  abschliessen.  Durch 
den  Giebeleingang  steht  es  zu  dem  fränkischen  Hause  in  einem  scharf 
ausgesprochenen  Gegensatz.  Von  dieser  ursprünglichen  Art  sind  Beste 
nur  noch  in  dem  äussersten  nordwestlichen  Zipfel,  der  sich  in  den  von 
Elbe  und  Löcknitz  gebildeten  Winkel  hineinschiebt,  vorhanden,  liier 
tinden  wir  auch  noch  das  uralte  Rauchloch;  hier  beweisen  noch  die 
schwarz   angeblakten  Balken,  dass  der  Rauch  einst  das  ganze  Haus 

durchzog,  ehe  er  in  das  Freie  gelangte.  (Abb.  12).*) 
Abwandlungen  dieses  alten  Grundschemas  lassen 
sich  bis  in  die  Nähe  von  Berlin  nachweisen.  Es 
giebt  solche  in  Marzahne,  2  Meilen  nördlich 
von  Brandenburg,  Neueudorf  a.  Havel,  Wans- 
dorf und  Bötzow  im  Osthavellande,  Seege- 
feld und  Rohrbeek  bei  Spandau,  Liepe  bei 
Oderberg  und  in  Blankenburg  bei  Berlin.  In 
Rohrbeck  stehen  heut  nur  noch  wenige,  von 
denen  mehrere  als  aus  dem  vorigen  Jahrhundert 
stammend  datiert  sind.  Eines  derselben  aus  dem 
i2.  MMiich.  Jahr  1744  lässt  die  ursprüngliche  Anlage  deutlich 

hervortreten.  Die  Dreiteilung  des  Grundrisses  in  Diele  und  seitlich  an- 
geordnete Ställe  ist  erkennbar,  nur  sind  letztere  zu 
Wohnräumen  und  Kammern  umgewandelt,  während  der 
Herd  nach  der  rechten  vorderen  Ecke  des  Flures  gewan- 
dert ist,  um  die  benachbarten  Stuben  mit  zu  erwärmen. 
Noch  lässt  sich  aber  durch  einen  sonst  ganz  unmotivierten 
Wandvorsprung  und  einen  darauf  lagernden,  mächtigen 
**t*  Balken  erkennen,  dass  gerade  der  hintere  Teil  der  Diele 

u  KohrUok.      einschneidenden  Veränderungen  unterworfen  wurde. 


*)  Nähere  Angaben  in:  Zeitschrift  für  Ethn.  etc.  1886  Seite  42(5  fg. 


> 

3i.  I./.  1  1 

JUX./. 

* 

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110 


Robert  Mielke, 


Es  ist  nicht  immer  leicht,  den  sächsischen  Typus  ohne  weiteres 
festzustellen,  da  oft  ausser  dem  Giebeleingang,  der  aus  örtlichen  Gründen 
auch  an  fränkischen  Hänsern  bisweilen  angebracht  wurde  (z.  B.  an  dem 
oben  erwähnten  Pfarrhans  zu  Dallgow)  nichts  weiter  darauf  hinweist 
und  selbst  dieser,  welcher  bei  den  Stammhäusern  in  Westfalen,  Hannover 
und  selbst  bei  den  erwähnten  Häusern  im  Nordwesten  der  Mark  durch 
ein  grosses  zweiflügeliges  Portal  angezeigt  wird,  schrumpft  bei  den 
Märkern  zu  kleinen  unbedeutenden  Thülen  zusammen.  Die  alte  Diele 
ist  zu  einem,  zwischen  den  Wohngelassen  laufenden  Gang  komprimiert, 
der  auf  die  Küche  zu  führt.  Den  hinteren  Teil  des  Hauses  nehmen, 
wenn  nicht  besondere  Gebäude  dafür  vorhanden  sind,  die  Ställe  ein, 
und  häutig  hängt  dann  noch  die  Scheune  hinten  an.  Nichtsdestoweniger 
haben  wir  in  dieser  so  veränderten  Gestalt  Verkümmerungen  des  sachlichen 
Hauses  zu  suchen.  Einmal  ist  das  häutige  Vorkommen  an  der  nördlichen 
und  nordwestlichen  Grenze  der  Mark,  die  an  das  grosse  Verbreitungs- 
gebiet des  sächsischen  Typus  stösst,  nicht  minder  beweisend  als  die  in 
den  Kaumdispositionen  noch  immer  festgehaltene  ursprüngliche  Einteilung; 
es  linden  sich  aber  vereinzelt  auch  noch  Exemplare,  wie  das  Rohrbecker 
Haus,  bei  denen  die  Verkümmerung  noch  nicht  in  dem  skizzierten  Masse 
fortgeschritten  ist.  In  dein  Dorfe  Herzberg  im  Kuppiner  Kreise  steht 
ein  solches,  das  wahrscheinlich  mit  zu  den  ältesten  der  Mark  zu  rechnen 
ist.  Auch  bei  ihm  ist  die  Eingangsthür  nur  klein,  der  Flur  befindet 
sich  in  der  Mitte,  zu  deren  Seiten  die  Wohnzimmer  liegen.  Im  Hinter- 
grunde sehliesst  sich  aber  die  Küche 
an,  die  einen  verhältnismässig  sehr 
grossen  Kaum  einnimmt  und  in  dieser 
Gestalt  an  das  „Flet"  des  sächsischen 
Hauses  erinnert.  Da  die  weiteren  An- 
bauten nach  Aussage  des  Besitzers  1779 
errichtet  sind,  so  können  wir  das  Haus 
selbst  in  den  Anfang  des  Jahrhunderts, 
wenn  nicht  noch  früher  setzen.  Das- 
selbe erregtauch  noch  dadurch  Interesse, 
dass  ein  Teil  als  eine  Art  Blockbau 
mit  Lehmverstopfung  ausgeführt  ist, 
eine  in  der  Mark  ganz  vereinzelt  vor- 
kommende Technik. 

Neben  diesen  beiden  genannten  Haustypen  tritt  in  der  Provinz 
Brandenburg  noch  eine  dritte  auf,  die  weder  mit  der  fränkischen  noch 
mit  der  sächsischen  und  der  noch  zu  erwähnenden  wendischen  zusammen- 
gehört. Bei  derselben  ist  die  Giebelseite  meistens  der  Strasse  zugekehrt, 
häutig  zweigeschossig,  und  es  wird  der  mächtig  vorspringende  obere 
Teil  des  Giebels  derartig  von  Säulen  oder  Pfosten  gestützt,  dass  hier 


L 

14.  Horrberg  bei  Nou-Rappin. 


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Das  Bauernhaus  in  der  Mark. 


111 


eine  räumlich  ganz  bedeutende  Vorlaube  entsteht,  unter  der  sich,  bald 
in  der  Mitte,  bald  an  der  Seite,  der  Eingang  befindet.  Letzterer  öffnet 
einen  Gang,  der  geradenwegs  zu  dem  imponierenden  Herdraum  führt 
An  den  Seiten  liegen  Stuben.  Der  sich  an  die  Küche  schliessende  Kaum 
ist  ursprünglich  für  Stallungen  bestimmt,  in  neuerer  Zeit  jedoch  oft  zu 
Wohnräumen  umgebaut,  während  erstere  dann  in  Nebengebäuden  unter- 
gebracht sind.  Am  interessantesten  ist  der  Herdraum,  welcher  sich  in 
einen  mächtigen  Schlot  nach  oben  öffnet.  Neuerdings  ist  derselbe  nicht 
mehr  im  Gebrauch,  weil  er  zuviel  Feuerung  verschlingt;  man  hat  dann 
eine  Kammer  zur  Küche  umgewandelt,  ihn  aber  meistens  unverändert 
gelassen.  Der  Stall  ist  für  Pferde,  Kinder  und  Schweine  bestimmt.  In 
einem  solchen  Hause  in  Zäckerick*)  am  rechten  Oderufer  führen  einige 
Stufen  von  dem  Herdraum  in  denselben,  der  früher  für  16  Kühe,  die 
mit  dem  Kopf  nach  aussen 
standen,  eingerichtet  war 
I  Abb.  15).  Die  Laube  ist  jetzt 
häufig  zugebaut  (Zäckerick) 
oder  auch  abgebrochen.  In 
dem  letzteren  Falle  ähneln  sie 
dem  sächsischen  Typus,  und 
es  ist  fraglich,  ob  nicht  Häuser  ifc  Ziickori.k  «.  o. 

welehe  demselben  zugesprochen  werden,  hier  hingehören.  Zweifelhaft 
ist  es  mir  bei  Häusern  des  Dorfes  Liepe  bei  Oderberg.  Der  Grundriss 
(Abb.  16)  könnte  sie  zu  sächsischen  machen,  die  Nähe 
jedoch  des  Gebietes  der  I, 
mutung,  dass  sie  verderbte 

Immer  sind  Taubenhäuser  von  sehr  grossen  Ausdehnungen  jr- j  

und  eignen  sich  vortrefflich  für  die  häufig  in  ihnen  betriebene  \*'  \ 
Gastwirtschaft.  Der  Zweck  der  Lauben  wird  von  den  Land- 
leuten übereinstimmend  dahin  gedeutet,  dass  sie  zum 
Unterfahren  des  Erntewagens  gedient  haben.  In  den  Dörfern  des  rechten 
Oderufers,  Alt-lilessin  und  Zäckerick  sind  noch  verhältnismässig  viel 
Exemplare  vorhanden,  in  anderen  wie  Alt-K  üthnick  (1849  durch  Brand) 
hat  sie  die  Zeit  verschwinden  lassen.*)  Wenngleich  von  diesem,  an  der 
Oder  Läwing-  oder  Löwinghäuser  genannten  Typus  immer  mehr  ver- 
schwindet, so  kann  er  doch  als  ein  solcher  gelten.  Denn  wenn  ein 
Haus  in  räumlich  so  entfernten  Punkten  erscheint  und  dabei  nach  Grund- 
riss und  mehr  noch  nach  äusserer  Erscheinung  übereinstimmend  gebaut 
ist,  dann  hat  nicht  nur  der  Zufall  bei  der  Entwicklung  bestimmend 

•)  Das  Dorf,  welches  noch  heute  7  von  diesen  alten  Häusern  besitzt,  ist  nach 
einer  Kircheninschrift  1774  abgebrannt;  es  müssen  die  Häuser  also  nach  diesem  Jahr 
entstanden  sein. 

*♦/  Einige  sind  abgebildet  und  beschrieben  in:  Zeitseh.  f  Kthn.  XXII  JS'io.  S.  530. 


sächsischen  machen,  die  Nähe  ,  . 

aubenhäuser  gestattet  die  Ver-  St^ite*  

e  Formen  derselben  darstellen,  r~   tu  ) 


ltl.  Liepo 
bei  Oilertterg. 


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112  Hubert  Miclkc. 

gewaltet.  Der  gedachte  Aufsatz  in  der  Zeitschrift  für  Ethnologie  er- 
wähnt Alt-Blessin  und  Zäckerick  als  Orte,  wo  solche  Läwinge  noch 
vorhanden  sind  und  Nahausen  bei  Königsberg  i.  N.,  Roderbeck  in 
Pommern  und  ganz  allgemein  den  Templiner  Kreis  (Ukermark),  wo 
welche  stehen  .sollen.  Diesen  kann  ich  noch  anreihen:  Jädiekendorf 
b.  Königsberg  i.  X.  (heute  ohne  Vorlaube),  Butterfelde  b.  Mohrin  i.  N., 
_  Zichow  (Abb.  17)  zwischen  Greifenberg  und  Prenzlau, 

n'i^t_E3  Gr.  Wubiser  bei  Mohrin;  dann  Linn  in*),  Sehönfliess 
''"jZ  /  nördl.  Herlin,  Giesendorf  bei  Berlin  (in  jüngster  Zeit 

j*.  t  jtH^pr^j  erst  verschwunden),  Rüthnick  im  Kreise  Ruppin,  Zinna*) 
17.  zichow.     und  Gerswalde  i.  U. 

Wo  ist  nun  die  Urform  dieses  Hauses  zu  suchen?  Sächsisch  ist  sie 
sicher  nicht,  wie  sehr  auch  der  Grundriss  zu  einer  solchen  Annahme 
herausfordert  ;  denn  sonst  müsste  die  Laube  auch  auf  sächsischem  Boden 
zu  linden  sein.  An  fränkischen  Ursprung  ist  erst  recht  nicht  zu  denken. 
Wohl  aber  giebt  es  in  Pommern,  Posen,  West-  und  Ostpreussen  ein 
Haus,  das  eine  gewisse  Übereinstimmung  mit  unserem  märkischen  Hause 
aufweist,  und  das  bis  nach  Russisch-Polen  und  Galizien  hin  verbreitet 
ist.  Auch  bei  ihm  erhält  das  Äussere  durch  die  mehr  oder  minder 
freie  Vorlaube  sein  charakteristisches  Aussehen;  auch  bei  ihm  schliesst 
sich  an  den  Herdraum  der  Stall,  nur  dass,  je  mehr  wir  nach  Osten 
kommen,  Herd-  und  Wohnraum  zusammenfallen.  Ist  die  Laube  zuge- 
baut, dann  liegen  auch  noch  vor  dem  ersteren  Wohnräume.  Wir  können 
also  eine  dreifache  Entwicklung  der  Grundform  verfolgen:  Im  Osten 
Laube,  Heid-  und  Stallraum,  westlicher  die  erstere  in  Stuben  verwandelt 
und  in  der  Mark  offene  Laube,  aber  der  einfache  Grundriss  hat  sich 
unter  den  Einflüssen  der  überlegeneren  Kultur  zu  einer  grösseren  Wohn- 
lichkeit herausgestaltet.  Je  weiter  wir  nach  Westen  vorschreiten,  um 
so  mehr  entfaltet  sich  die  letzte  Phase  und  um  so  mehr  entfernt  sie  sich 
von  der  Urform.  In  der  Neumark  linden  sich  sicher  noch  mehr  von 
diesen  Laubenhäusern,  da  ja  der  Typus  bei  seinem  Weiterschreiten  von 
Osten  nach  dem  Westen  sicher  häufigere  Spuren  seines  Daseins  jenseits 
der  Oder  zurückgelassen  haben  wird. 

Dass  wir  es  hier  mit  einer  alten  Bautradition  zu  thun  haben,  bezeugt 
Merian,  der  uns  in  seiner  er.  1650  erschienenen  märkischen  Topographie 
ein  solches  Haus  aus  Arnswalde  im  Abbilde  (Abb.  18)  er- 
halten hat  und  ferner  die  in  Schlesien  seit  Jahrhunderten 
übliche  Bauweise,  deren  Reste  nicht  allein  in  den  alten 
18  Nach  Mormn  städtischen  Häusern  noch  erhalten  sind,  sondern  die  auch 
in  der  Mark  seit  langer  Zeit  Eingang  gefunden  hat.  Ein  klassisches 
Beispiel  dieser  Laubenhäuser   bilden    die    am  Ringe    zu  Schwiebus 


'*)  Abbildung  in  Bergan.  Inventarisation  »1.  Hau-  u.  Kunstdunkm.  d.M. Brandenburg 


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Das  Bauernhaus  in  der  Mark 


113 


stehenden,  welche  Berg  au  in  seiner  Inventarisation  erwähnt*),  Suto- 
rius**),  der  im  Anfange  des  vorigen  Jahrhunderts  in  Löwenberg  lebende 
Geschichtsschreiber  dieser  Stadt  schildert  uns  Häuser  in  dieser  ehemals 
slavischen  Gegend,  die  mit  unseren  Laubenhäusern  viel  Ähnlichkeit  be- 
sitzen. Auch  wissen  wir  von  ihm,  dass  schon  1519  die  Lauben  offiziell 
abgeschafft  wurden,  dass  sie  also  entbehrlich  waren,  wie  sie  ja  auch 
heute  in  den  Dörfern  des  Oderbruches  nicht  mehr  ihrem  ursprünglichen 
Zwecke,  sondern  dem  Trocknen  der  Tabackblätter,  dienen.  Es  ist  dies  inso- 
fern von  Bedeutung,  als  diese  Entbehrlichkeit  erklärt,  warum  von  dem  sicher 
einst  viel  verbreiteren  Typus  heut  nur  noch  Spärliches  vorhanden  ist. 
An  einer  anderen  Stelle,  im  Spreewald,  ist,  worauf  noch  zurückzukommen 
sein  wird,  die  Laube  zu  einer  rein  ornamentalen  Bedeutung  zusammen- 
geschrumpft. 

Vorerst  sei  jedoch  des  Spreewaldhauses  gedacht,  das  zwar  keinen 
selbständigen  Typus  darstellt,  das  aber  zu  einer  bestimmten  künstle- 
rischen Ausprägung  gelangt  ist,  welche  wie  keine  andere  auf  die  Ge- 
staltung einer  volkstümlichen  Bauweise  in  der  Mark  eingewirkt  hat. 
Wie  bei  den  anderen  Häusern  liegen  auch  bei  ihm  die  unterscheidenden 
Merkmale  in  der  Grundrissdispositiou  des  Wohnhauses.  In  der  Anlage 
des  Wirtschaftshofes  hat  sich  der  wendische  Bauer  hauptsächlich  an  das 
fränkische  Vorbild  angeschlossen,  indem  er  Thor-,  Wohn-,  Stallhaus  und 
Scheune  in  gleicher  Anordnung  erbaut.  Das  Wohnhaus  ist  ein  lang- 
gestreckter, einstockiger  Bau,  der  auf  grösseren  Bauern  wirtschaften  nur 
Wohnräume,  in  kleineren  Betrieben  aber  Ställe,  Scheune  und  Wohngelasse 
unter  demselben  Dache  vereint.  Der  Eingang  befindet  sich  wie  bei  dem 
fränkischen  Hanse,  aus  dem  das  wendische  ohne  Zweifel  hervorgegangen 
ist,  immer  an  der  Langseite;  er  führt  auf  den  durchgehenden  Flur,  der 
in  älteren  Häusern  noch  den  Kochherd  hat,  bisweilen  durch  eine  tren- 

^  1.  nende  Mauer  zur  eigentlichen  Küche  umgewandelt. 

I  Auf  der  einen  Seite  des  Flures  liegt  die  Stube, 

■^a   I  auf  der  anderen  Stall  und  Scheune,  wenn  nicht 

I  auch  hier  Wohn- 
19.  spreewaidhani.        gelasse  angeord- 
net sind.  (Abb.  19  aus  der  Zeitsch.  f.  Ethn. 
etc.  1836  S.  123.)  Auch 
beschränkt  sich  der  Flur, 
namentlich  bei  ärmliche- 
rer Anlage,    auf  einen 
kleinen  Vorraum,  hinter 
dessen    Rückwand  die 


£5 


e3 

b  L 

<.--|  tu,l.  | 

2J.  Bargor-Kfttipen. 

beiderseitigen  Stuben  direkt  aufeinanderstossen  (Abb.  20). 

* )  Abbildung  in:  Burgau.    Inventarisation  S.  702. 

Vergl.  Latsch.  Die  Kunstdenkmttler  Schlesiens  III.  S.  33:1  ff. 


Die  ganze 


8 


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1U 


Robert  Mielke. 


Anordnung  ist  der  Verbreitung  sein*  günstig,  weil  sie  dem  Bedürfnisse 
des  Kleinbauern,  der  nicht  die  Mittel  für  abgesonderte  Wirtschaftsgebäude 
besitzt,  sehr  entgegenkommen.  Wir  finden  es  darum  auch  in  manchen 
Abschwächungen  über  einen  grossen  Teil  der  Mark  verbreitet,  und  wenn 
die  innere  Einteilung  längst  in  die  rein  fränkische  wieder  aufgegangen 
ist,  zeugt  noch  das  Äussere  von  diesem  Ursprung. 

Das  Interessanteste  und  von  dem  fränkischen  Vorbild  abweichend 
ist,  dass  die  Stuben  einen  besonderen  Vorflur  haben,  den  man  häufig  zur 
Küche  umgewandelt  hat,  nachdem  sich  diese  von  dem  grossen  Hausflur 
zurückgezogen.  Danach  scheint  es  fast,  als  ob  die  Wenden,  bevor 
sie  allgemein  das  fränkische  Haus  aceciitierten,  eine  I rausform  benutzten, 
welche  ihnen  die  Anlage  eines  solchen  Vorraumes  nahelegte.  Dieses 
ältere  Haus  kann  nur  das  oben  erwähnte  Laubenhaus  gewesen  sein,  das 
sich  nun  in  dieser  Vereinfachung  mit  dem  fränkischen  verband.  Es 
lässt  sich  dies  um  so  mehr  annehmen,  als  sich  selbst  im  Spreewahl 
diese  Giebellaube,  wenn  auch  in  verderbter  Gestalt,  erhalten  hat. 

Bevor  ich  jedoch  diesen  Gedanken  weiter  verfolge,  seien  vorerst 
einige  Worte  dem  Baumaterial  im  Allgemeinen  gewidmet.  Das  deutsche 
Bauernhaus  ist  ein  Fachwerkbau,  soweit  nicht  die  Holzbestände  des 
Gebirgslandes  zu  dem  Block-  und  Ständerbau  geführt  haben.  Bei  dem 
fränkischen  und  sächsischen  Hause  ist  an  dem  Fachwerk  festgehalten, 
das  meistens  unverhüllt  bleibt.  So  schildert  sie  uns  auch  unser  märkische 
Chronist  Leutinger  in  seiner  Topographia*),  in  dem  er  sagt:  „Die 
Häuser  der  Reichen  baut  man  aus  Ziegel-  oder  Bruchstein,  Mörtel  und 
Holz;  die  der  Ärmeren  aus  Lehm  und  Holz;  letztere  auch  niedriger. 
In  der  Mittelmark  deckt  man  sie  mit  Ziegeln  oder  Schiefer,  sowohl  des 
besseren  Ansehens,  als  der  geringeren  Feuersgefahr  halber;  in  der  Lausitz 
und  im  Krossenschen  mit  Schindeln,  was  in  letzterer  Hinsicht  weniger 
sicher  ist.  In  der  Ukermark,  sowie  in  der  alten  und  neuen  Mark  sind 
Strohdächer  die  Regel."  **)  —  Haben  die  Einflüsse  der  Backsteintechnik 


*)  Ich  folge  hier  der  vortrefflichen  Übersetzung,  die  Herr  Dr.  Bolle  in  dein 
„Bar"  1893  gegeben  hat. 

**)  Der  Krieg,  der  im  übrigen  Deutschland  bereits  seit  Anfang  des  15.  Jahr- 
hunderts behördlicherseits  gegen  die  Strohdächer  geführt  wird,  entbrennt  in  der  Mark 
erst  mit  dem  Jahre  1540,  in  welchem  der  Markgraf  Johannes  durch  Polizeiverordnung 
befiehlt,  dass  die  Hlluser  in  den  Städten  anstatt  mit  Stroh  mit  Ziegelsteinen  zu  decken 
seien.  Ferner  erliessen  Polizeiverordnungen  in  diesem  Sinne :  Friedrich  Wilhelm  1660, 
1601,  108«.  Friedrich  I  1601,  1701  und  Friedrich  Wilhelm  I.  1718,  1720,  1731,  1732, 
„welcher  letztere  auch  einem  jeden,  der  binnen  4  Jahren  sein  Stroh-,  Rohr-  oder 
Schindeldach  und  Haus  niederreissen  und  ein  neues  Haus  mit  Ziegeln  wieder  auf- 
bauen würde  J3  Thlr.  Procent  reichen  zu  lassen  versprochen."  Nithere  Angaben  in 
Beckmann  I  Tb.  S  287.  Sp.  1. 


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Das  Bauernhaus  in  der  Mark. 


115 


keinen  Eingang  gefunden,  und  das  ist  im  Allgemeinen  überall  der  Fall, 
wo  nicht  eine  besondere  Behäbigkeit  vorherrschend  ist,  da  sind  die 
Räume  zwischen  den  Pfosten  und  Riegeln  des  Fachwerks  mit  Lehm  aus- 
gefüllt. Um  demselben  Halt  zu  geben,  werden  roh  bearbeitete  Holz- 
scheite zwischen  den  Riegeln  senkrecht  eingeklemmt,  die  den  mit  Stroh 
gemischten  Lehm  aufnehmen  und  in  seiner  Lage  erhalten.  Die  Aus- 
füllung mit  roten  Backsteinen  zeigt  einen  Kulturfortschritt  an,  der,  wenn 
er  auch  nicht  immer  eine  zeitliche  Folge  andeutet,  doch  stets  Einfluss 
eines  überlegneren  technischen  Könnens  ist.  In  ihrer  höchsten  Ent- 
wicklung tritt  uns  diese  Bauweise  in  den  unteren  Elbmarschen  entgegen, 
wo  die  Backsteinziegel  zu  mosaikartigen  Gebilden  höchst  malerisch  zu- 
sammengestellt sind.  Bescheidener  ist  sie  in  der  Mark,  die  reine  unver- 
putzte Ziegelbauten  nur  vereinzelt  aufzuweisen  hat.  Nach  meinen  Er- 
mittelungen giebt  es  nur  auf  dem  westlichen  Fläming  solche  Dörfer 
(Grubo,  Buchholz),  in  denen  die  Häuser  dieser  Art  übereinstimmend 
aufgeführt  sind.  Vielleicht  steht  diese  örtliche  Backsteintechnik  nicht 
ohne  Zusammenhang  mit  der  niederdeutschen  Kolonisation,  denn  die 
Häuser,  obwohl  sie  erst  diesem  Jahrhundert  entstammen,  deuten  doch 
mit  der  nahen  Kirche  von  Pechfile  darauf  hin,  dass  eine  solche  Technik 
eine  lange  Tradition  voraussetzt,  die  nicht  nur  von  dem  lehmhaltigen 
Boden  verursacht  sein  kann.  Doch  dies  hier  nur  in  Parenthese.  Die 
Backsteinhäuser,  welche  Mörtelbewurf  tragen,  sind,  wenn  nicht  der 
letztere  nachträglich  auf  das  alte  Mauerwerk  kam,  neueren  Datunis. 
Der  Mörtel  als  Bekleidung  ist  erst  aus  den  Städten  und  zwar  vorwiegend 
seit  der  Mitte  unseres  Jahrhunderts,  wie  aus  den  klassizierendeu  Orna- 
mentformen hervorgeht,  auf  das  Land  gedrungen,  wo  er  die  Periode  der 
Geschmacklosigkeit  und  des  Verfalls  anzeigt. 

Dieser  deutschen  Art  des  Bauens  steht  die  slavisch-wendische  gegen- 
über, welche  auf  dem  reinen  Holzbau  begründet  ist.  Das  Spree  wald- 
haus ist  noch  echter  Blockbau  (Abb.  21) 
der,  je  weiter  er  nach  Westen  gelangt, 
diesen  Charakter  mehr  und  mehr  verliert 
und  sich  mit  Bretterverschalung  begnügt. 
Diese  ist  also  als  Rudiment  des  ehemals 
ganz  aus  Holz  erbauten  Hauses  aus  der 
Konstruktion  hervorgegangen,  während  *i  Burgor-Kaupon. 

die  Bretterverkleidung,  welche  sich  in  reindeutsehen  Gebieten  findet, 
sich  umgekehrt  aus  ornamentalen  Beweggründen  entwickelt  hat,  falls 
nicht  von  vorn  herein  wendischer  Einfluss  angenommen  werden  muss. 
Es  geht  das  daraus  hervor,  dass  bei  dem  deutschen  Hause  die  Bretter 
nicht  schlechtweg  ganze  Mauerwände  sondern  nur  Teile  derselben  be- 
decken, nachdem  sie  zu  runden  oder  eckigen  Profilen  zurechtgeschnitten 
oder  gar  wie  in  Norwegen  und  an  sagenhaften  Bauten  der  deutschen 

8* 

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116 


Robert  Mielke 


Vergangenheit  skulptiert  sind.*)  Auch  die  wagerechte  Lage  der  Bretter 
spricht  für  diesen  Ursprung  der  deutschen  Bretterverkleidung,  während 
sie,  wenn  sie  am  wendischen  Hause  den  Blockbau  verhüllen  mit  einer 
noch  zu  erwähnenden  Ausnahme  senkrecht  angeordnet  sind,  um  den 
Regen  ablaufen  zu  lassen  und  durch  ihre  Struktur  die  Festigkeit  der 
horizontal  geschichteten  Balken  zu  erhöhen.  Je  mehr  man  aber  nach 
Westen  in  ehemals  von  Slaven  bewohnte  Gebiete  kommt,  um  so  mehr 
nimmt  die  Bretterverschalung  zu,  die  dann  Fach-  und  Lehmwerk  bedeckt. 
Zuerst  wird  noch  die  ganze  Langfront  oder  der  Giebel  damit  verkleidet, 
wie  ein  Haus  aus  Hennigsdorf  a.  Havel 
(Abb.  22)  belegt ;  dann  aber  ist  es  nur  der 
obere  Teil  des  letzteren,  der  ohne  Balken- 
unterbrechung mit  langen  Brettern  bedeckt 
wird  und,  da  der  Bodenraum  hauptsäch- 
lich für  Lagerung  der  Stroh-  und  Heu- 
vorräte dient,  also  auch  keinen  Wärme- 
schutz  verlangt,   ohne  Lehmunterlage.  Hennigsdorf  *  Havel. 

Im  Spree wald,  wo  der  Dachraum  demselben  Zwecke  dient,  sind  die 
Giebeldreicke  bei  sonst  streng  durchgeführtem  Blockbau  ebenfalls  nur 
mit  Brettern  in  einer  ganz  charakteristischen  Weise  bekleidet.  Bis  zur 
Mitte  desselben  stehen  nämlich  die  Bretter  senkrecht,  die  obere  Abschluss- 
linie wird  dann  durch  ein  wagerechtes,  nach  vorn  etwas  herabgeneigtes 
Brett  markiert,  worauf  die  übrigen  Bretter  parallel  den  Windlatteu  ein- 
ander zugekehrt  sind  und  in  einer  senkrechten  Linie  aufeinanderstossen 
(Abb.  20,  21,  23).  Es  entstellt  dadurch  ein  sehr  geschmackvolles  Muster, 
das  durch  die,  über  den  Fugen  aufgenagelten,  Leisten  noch  lebendiger 
wird.  Dieses  so  eigenartig  ausgestaltete  Giebeldreieck  kehrt  fast  überall 
da  wieder,  wo  einst  Wenden  gewohnt  haben  und  zeugt  dann,  nachdem 
Sprache,  Sitte  und  Tracht  längst  verschwunden  sind,  noch  immer  von 
ihrer  einstigen  Herrschaft.*) 

Die  slavische  Vorliebe  für  ornamentalen  Holzschmuck  kommt  aber 
auch  an  anderen  Stellen  zum  Vorschein.  Das  wagerechte  Abschlussbrett, 
zu  dem  sich  oft  noch  ein  zweites  oberes  gesellt,  wird  an  den  Enden 
und  in  der  Mitte  profiliert  und  von  schönlinigen  Konsolen  unterstützt. 

*)  Priscus,  der  44S  im  Gefolge  einer  byzantinischen  Gesandschaft  zu  Attila 
kam  und  dessen  Äusserungen  wir  wohl  auf  deutsche  Stamme  beziehen  kennen,  rflhnit 
in  seinem  Bericht  die  mit  Schnitzwerk  verzierten  Bretter,  welche  die  Gebäude  be- 
kleideten (Schnaase  Gesch.  d.  Bild.  Kttnst.  III.  1.  S.  509. 

**)  Üie  Bretterbekleidung  wendischer  Häuser  fiel  schon  dem  preussischen  Mus- 
ketier Dominikus  auf,  der  in  seinem  Tagebuch,  welches  den  siebenjährigen  Krieg 
urnfasst,  bemerkt,  dass  die  Wenden  „haben  kleine  Ililuser,  aber  grosse  Stuben,  sind 
allerorten  mit  Bretter  bekleidet."  (Siehe:  Aus  dem  siebenjährigen  Kriege.  Tagebuch 
des  preussischen  Musketiers  Dominikus.  Nebst  ungedruckten  Kriegs-  und  Soldaten- 
Uedem.   München  1801. 


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Das  Bauernhaus  in  der  Mark. 


117 


Seinen  eigenartigsten  Schmuck  besitzt  aber  das  echte  Spree  waldhaus  in 
der  Behandlung  der  vorderen  Giebelseite,  die  zugleich  auf  den  ursprüng- 
lichen Zusammenhang  mit  dem  sogenannten  nordisch-ostdeutschen  Hause 
hinweist,  dessen  eine  Abwandlung  wir  schon  in  den  Laubenhäusern 
kennen  gelernt  haben.    Wer  den  Spreewald  besucht  hat,  wird  sich  jener 

alten  Häuser  erinnern,  deren  Giebelseiten 
durch  ihre  fremdartige  Behandlung  auf- 
fallen. Es  stehen  bei  diesem  unmittelbar 
vor  der  Blockwand  4  aufrechte  Pfosten, 
je  einer  an  den  beiden  äusseren  Ecken 
und  zwei  in  der  Mitte,  die  einen  wage- 
rechten Querbalken  tragen,  mit  dem  sie 
durch  schräge  Kopf  bänder  verbunden  sind 
(Abb.  23).  Diese  einst  konstruktive  Bil- 
dung ist  nichts  weiter  als  die  in  der 
Form  festgehaltene  Vorhalle,  welche  hier 
nur  noch  eine  ornamentale  Bedeutung 
besitzt.  Dieselbe  ist  aber  nicht  bloss  auf 
das  Gebiet  der  Spreewaldwenden  beschränkt.  Noch  heute  ist  sie  in  Masuren 
zu  finden,  wie  aus  einem  in  der  Gartenlaube*)  unlängst  abgebildeten 
Hause  (Abb.  24)  hervorgeht,  obgleich  der  Abstand 
der  Pfosten  von  der  Wand  hier  etwas  weiter  zu 
sein  scheint.  Auch  Meitzen  bringt  in  seiner  Schrift 
über  das  deutsche  Bauernhaus  (Siehe  dort  Tafel  I. 
Fig.  1)  ein  solches,  das  von  ihm  als  ein  fränkisches 
bezeichnet  wird,  das  aher  wohl  umsomehr  ein  sla-  24.  Masnren. 
visches  ist,  als  auch  das  masurische  wie  jenes  den  Eingang  an  der 
Langseite  hat,  und  die  Grundrissanlage  des  wendischen  Hauses  über- 
haupt viel  Ähnlichkeit  mit  dem  fränkischen  hat.  Am  auffallendsten  ist 
aber  das  Vorkommen  dieses  Giebels  im  nördlichsten  Zipfel  Deutschlands 
in  Caspergaard  bei  Wonsbeck  im  Kreise  Hadersleben,  wo  er  an  dem 
Blockbau  des  Pfarrhauses  erscheint.**)  Hat  dieses  die  Wanderung  vom 
slavischen  Osten  oder  vom  skandinavischen  Norden  dahin  gemacht?  — 
Jedenfalls  haben  wir  es  in  diesen  Fällen  (den  letzten  vielleicht  ausge- 
nommen!)  mit  einer  Venpüekung  zweier  Typen  zu  thun,  bei  der  das 
Innere  nach  dem  wohnlicheren  fränkischen  Vorbilde  umgebildet  ist,  das 
Äussere  jedoch  noch  immer  den  ererbten  Habitus  beibehalten  hat. 

Von  besonderem  Reiz  ist  an  all  diesen  Bauwerken  die  vortreffliche 

*)  Gartenlaube  1892  S.  512 

•*)  Abbildung  in  Haupt.  Die  Bau-  und  Kunstdenkmale  der  Provinz  Schleswig- 
Holstein.  Kiel  1889.  —  Nach  Bericht  eines  Landmannes  au»  der  Ukermark,  der  in 
»einen  jungen  Jahren  in  Schleswig  war,  kommen  auch  Laubenhäuser  ähnlich  den 
markischen  in  jener  Provinz  vor. 


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118 


Robert  Mielko 


künstlerische  Holzbearbeitung.  Die  Pfosten  und  Stützen  sind  mit  einer 
technischen  Sorgfalt  und  mit  einer  KenntuLss  der  stilistischen  Eigen- 
schaften des  Materials  bearbeitet,  die  eine  hohe 
Achtung  vor  der  Zimmerkunst  der  Verfertiger 
!  erweckt.    (Abb.  23,  25.) 

Wie  nachhaltig  sich  auch  an  der  deutsch- 
slavischen  Grenze  die  Bauarten  mischten,  so 
wurde  doch  dabei,  wie  sich  aus  der  reichen  2'»  Detail  an»  zarkerick. 
Verwendung  des  Materials  ergiebt,  fest  an  dem  slavischen  Holzbau  ge- 
halten. Ein  glänzendes  Beispiel  dafür  sind  die  Laubenhäuser  am  Ringe 
zu  Schwiebus.  In  den  Distrikten  mit  ehemals  slavischer  Bevölkerung 
grenzt  die  Verwendung  des  Holzes  zu  Fachwerken  fast  an  Verschwendung. 
Je  mehr  man  nach  dem  Osten  kommt,  um  so  auffallender  ist  diese;  in 
Dahme  und  den  Dörfern  der  Umgebung  giebt  es  Häuser,  deren  Fach- 
werke bis  zur  Hälfte  des  Materials  aus  grossen  dicken  Balken  bestehen, 
deren  Backsteinfüllungen  oft  nur  einen  Fuss  im  Geviert  gross  sind. 
Wenn  wir  sehen,  wie  auch  an  anderen  Orten,  in  Oberbayern,  sich  die 
Fachwerkhäuser  durch  einen  überraschenden  Holzreichtum  auszeichnen, 
der  hier  von  dem  Blockbau  der  Alpen  beeinflusst  ist,  dann  wird  dieses 
Festhalten  an  dem  alten  Material  erklärlich.  Die  Vorliebe  der  Slaven 
für  eine  gestaltungsreiche  Holzornamentik  kommt  auch  an  Thüren,  Zäunen 
und  am  Mobiliar  zum  Ausdruck,  was  auf  einen  jahrhundertelangen 
volkstümlichen  Gebrauch  schliessen  lässt.  Nur  unschwer  trennt  sich  der 
Bauer  von  der  altgewohnten  Bretterverkleidung  und  versucht  noch  lange, 
sie  in  ihren  verblassten  Zügen  festzuhalten.  So  giebt  es  beispielsweise 
in  der  Lieberoser  Gegend  Häuser,  die  vollständig  aus  Backsteinen  erbaut 
sind,  bei  denen  aber  noch  immer  die  oberste  Spitze  des  Giebeldreiecks 
mit  Brettern  bekleidet  ist.  Auch  bei  dem  sächsischen  Hause  ist  zu  be- 
obachten, wie  mit  äusserster  Zähigkeit  die  ehemals  gewalmte  Dachkappe 
festgehalten  ist,  welche  die  Ornamentik  des  Giebelfeldes  beherrscht.*) 
Bis  in  die  Nähe  Brüssels  kann  man  verfolgen,  wie  der  Giebel  mit 
besonderer  Sorgfalt  künstlerisch  ausgeschmückt  wird.  Erinnert  man 
sich  dabei,  dass  bei  den  klassischen  Völkern  das  Giebeldreieck  für  ge- 
heiligt galt  und  nur  an  Tempeln  angebracht  werden  durfte,  dass  anderer- 
seits der  kleine  walmartige  Vorbau  an  der  Spitze  englischer  Häuser,  das 
Thanszeichen,  als  Symbol  eines  grösseren  Bodenbesitzes  galt,  so  scheint 
es  fast,  als  ob  das  Giebeldreieck  bei  einzelnen  Gliedern  der  indogerma- 
nischen Völkerfamilie  eine  gewisse  sakrale  Bedeutung  besessen  hätte, 
die  im  Volksbewusstsein  noch  immer  nachwirkt.  —  —  — 

Eine  offene  Frage  bleibt  es  noch,  wieweit  sich  der  Einfluss  wendischer 


*)  Vergl.  meinen  Aufsatz:  Zur  Giebelentwickelung  des  sächsischen  Bauernhauses 
in  der  Zeitsch.  d,  Ver.  f.  Volkskunde  189"J  S.  134  ff. 


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Das  Bauernbaus  in  der  Mark. 


119 


28  Döbciitz 


Bauart  auf  die  Ausschmückung  der  Häuser  mit  Lauben  erstreckt.  Bei 
den  bisher  erwähnten  Laubenhäusern  befanden  sich  dieselben  stets  an 
der  Giebelseite;  doch  kommen  auch  solche  in  verschiedener  Ausführung 
au  Häusern  von  zweifellos  fränkischer  Art  vor.    Döberitz  bei  Spandau 

(Abb. 26).  Beuten,  Groeben 
im  Nuthethal,  Schünow  bei 
Trebbin  (Abb.  27),  B  o  r n  s t ä  d  t 
bei  Potsdam  (Abb.  28),  Rangs- 
dorf bei  Zossen  (Abb.  29).  In 
Rangsdorf  besteht  sie  aus 
kolossalen  dicken  Mauernfei- 
len], die  noch  ein  oberes  Ge-        «•  Bönstadt, 
schoss  tragen.    Da  auch  fränkische  Häuser  in 
anderen  Provinzen 
mit  solchen  Lauben 
versehen  sind,  so  ist 
es  immerhin  möglich, 
dass    dieselben  auf 
deutsche    Vorbilder  29  Ringsdorf, 

zurückgehen;*;  doch  möchte  ich  auch  hier  auf 
slavischen  Eintluss  schliessen,  weil  in  den  ge- 
nannten Dörfern  andere  Häuser  deutliche  wen- 
dische Züge  bewahrt  haben,  und  weil  das 
russische  Bauernhaus  ganz  allgemein  diese  Vorlaube  besitzt.**)  Vielleicht 
spricht  aber  noch  etwas  anderes  mit,  das  die  Verbreitung  derselben 
förderte.    In  vielen  unserer  märkischen  Laubenhäuser  wird  oder  wurde 
eine  Krugwirtschaft  betrieben.    Ebenso  ist  es  mir  von  mehreren  andern 
bekannt,  dass  teils  heute,  teils  früher  der  Inhaber  zugleich  das  Lehn- 
schulzenamt besass.    Der  Zusammenhang  zwischen  diesen  Häusern  und 
solchen  in  Dörfern  repräsentierenden  Persönlichkeiten,  wie  es  Schulz 
und  Gastwirt  sind,   scheint  demnach  kein  zufälliger  zu  sein,  sondern 
es  liegt  nahe,  dass  sich  ein  gewisses  Standes-  oder  Berufsinteresse  bei 
der  Verbreitung  geltend  gemacht  hat. 

Mit  dem  wendischen  Haus  ist  die  Reihe  der  in  der  Mark  vor- 
kommenden Typen  erschöpft:  es  dürfen  jedoch  bei  einer  Umschau  einige 
Varianten  nicht  unerwähnt  bleiben.  Da  ist  zunächst  das  Haus  des 
Käthners,  welches  als  Wohnung  des  ärmeren  Teils  der  Bevölkerung  eine 
grössere  Verbreitung  hat.  Es  findet  sich  häufig  in  ehemaligen  Fischer- 
dörfern, in  den  Kietzen  und  in  von  den  grossen  Verkehrsadern  abge- 

~7{  Bögen  o<ler  Lauben  dobia)  lassen  sieh  schon  1184  in  Münster  und  zwar  in 
der  Gegend  der  Lambertikirche,  also  am  Markte  nachweisen.    (Nordhoff.   Der  Holz 

und  Steinbau  Westfalens  S.  42ü.) 

Nach  mündlichen  Berichten  und  Haxthausen,  Etudes.  1847. 


27.  Schünow. 


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120 


Robert  Mielke. 


schnittenen  Ortschaften  und  ist  in  den  ineisten  Fällen  eine  Vereinfachung 
des  fränkischen  Hauses.  So  beschränkt  es  sich  auf  die  notwendigsten 
Wohngelasse;  Ställe  befinden  sich  in  kleinen,  ohne  Regel  angebauten 
Annexen.  Der  Eingang  ist  an  der  Langseite;  ein  Gang  führt  auf  die 
Küche,  wenn  nicht  beide  vereint  sind,  während  rechts  und  links  je  eine 
oder  zwei  Stuben  sind.  Mit  dem  freundlichen  Fachwerk,  dem  bretter- 
bekleideten Giebel,  dem  moosbewachsenen  Rohrdache  und  der  Giebel- 
verzierung machen  sie  in  der  Regel  einen  freundlichen  Eindruck,  der 
durch  den  üppigen,  am  Spalier  sich  emporrankenden  wilden  Wein  noch 
sehr  gehoben  wird. 

Den  Landbaumeistern  Friedrichs  d.  Gr.  haben  ohne  Zweifel  diese 
Häuser  vorgeschwebt,  als  sie  die  trockengelegten  Niederungen  des  Oder- 
bruches und  anderer  Flüsse  mit  Kolonistenhäusern  besetzten.  Dieselben 
sind  übereinstimmend  paarig  gebaut,  so  dass  dasselbe  Dach  immer  zwei 
Häuser  vereinigt.  Die  Fluren  sind  in  der  Mitte  gelegen  und  durch  eine 
massive  Brandmauer  getrennt;  hinter  ihnen  sind  die  rzmIZT'~T''~rZZJZl 
Küchen,  eine  Stube  nach  der  Strassenseite  und  da-  h— ^   


hinter  eine  Kammer  vervollständigen  den  Grundriss.  jj*"'*  ( 7t^  j 
Wirtschaftsgebäude  sind  auf  dem  Hof  errichtet  ( Abb.  30).     1o.  DiedendorT* 

Die  Ziegeldächer  märkischer  Häuser  werden  seit  der  Mitte  dieses 
Jahrhunderts  mit  Vorliebe  abgewalmt,  ein  Verfahren,  das  fast  gleich- 
massig  in  dem  nördlichen  Deutschland  verbreitet  ist.  Zweifelhaft  mag 
es  sein,  ob  dieser  Walm  eine  Erinnerung  an  den  ältesten  Hausbau  oder 
eine  fremde,  vielleicht  orientalische  Einwirkung  ist,  die  durch  die  unga- 
rische Tiefebene  und  Böhmen  zu  uns  gelangte.  Sicher  lässt  sich  dieses 
Walmdach  schon  früh  nachweisen.  1649  erscheint  es  auf  einer  Miniatur 
in  der  Handschrift  des  Froissard*)  und  dann  1493  auf  einer  Abbildung 
in  Hartmann  S che d eis  Chronik,  in  der  fast  alle  Häuser  ein  solches 
tragen.  Auch  Merian  zeichnet  in  den  Prospekten  von  Boytzenburg, 
Fürsten  walde,  Wulfshagen  u.  a.  vereinzelte  Wahne.  Für  städtische 
Häuser  scheinen  dieselben  also  schon  sehr  lange  in  Gebrauch  zu  sein, 
von  denen  sie  in  diesem  Jahrhundert  mit  der  Verbreitung  derselben  auf 
dem  Lande  dahin  gelangt  sein  werden. 

Zu  Schluss  seien  auch  der  Giebelverzierungen  gedacht,  (S.  Tafel  1), 
die  in  der  Mark  ebensowenig  fehlen  wie  in  anderen  Gegenden  Deutsch- 
lands. Während  aber  in  anderen  Distrikten  bestimmte  Formen  lokalisiert 
sind,  haben  wir  bei  uns  eine  ganze  Reihe  von  Bildzeichen,  die  vielleicht 
auf  wenige  Urformen  zurückgehen,  aber  im  Laufe  der  Zeiten  zu  unbe- 
stimmten ornamentalen  Gebilden  verflüchtigt  sind.  Der  Pferdekopf  im 
westlichen  und  nördlichen  Deutschland  häufig  vorkommend,  ist  bei  uns 


*)  Stadtbibliothek  Breslau.  .Siehe  auch  A.  Schultz.  Deutsches  Leben  im  15.  und 
16.  Jahrg.  Fig.  10. 


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Das  Bauernhaus  in  der  Mark. 


121 


GrM*chnow.    Gr  G  Um  che.  Jütrylotz  aJ,*,*«  ßtryfeldt.  fihönflitfs. 


Muenclorj,.H.    Xuftei/Uuen,  liebelet  Aaaen.  Byhlcguhrc  ß«^oT\M*<AU. 


£um*nt.  Lähars.  fVfflttndorf.      Wolteridorf    B uytr  XaiyxJt. 


J*d<cktn<io>j.  JadicAenderf  JZdtcktndorf    Mfert&gMW**  Wolterrdorf 


Liepe.  ytueHk<nyt*t.AltCus(rtncht*.ALCustnr*chtn.  ÄärtericA. 


Xxttrick.         Xarkenck.       X*ckerük.        %itfrric*.  Au-MtitfW, 

Tafel  L 


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122 


Robert  Mielke. 


eine  Seltenheit.  Desto  zahlreicher  treten  zwei  Typen  hervor:  Der  Hahnen- 
kopf vorwiegend  bei  wendischen  Häusern  und  ein  sehr  stilisierter,  den 
man  vielleicht  als  Hasen-  oder  Hundskopf  deuten  kann;  wenigstens 
lassen  die  bisweilen  herausgearbeiteten  Extremitäten  auf  einen  Vierfüsser 
schliessen.  Daneben  kommen  dann  rein  ornamentale  Giebelzeichen  vor, 
die  aber  nichtsdestoweniger  nur  Abbreviaturen  des  einstigen  animalischen 
Vorbildes  sind,  was  sich  aus  einer  Reihe  von  Übergängen  erkennen  lässt. 
Die  Deutung  der  manchmal  sehr  abenteuerlichen  Figuren  ist  oft  schwierig, 
denn  mehr  als  in  anderen  Provinzen  Ist  bei  uns  die  Erinnerung  an  die 
einstige  Bedeutuug  erloschen.  Häufig  findet  man  sogar  zwei  verschiedene 
Sinnbilder,  von  denen  das  zweite  nachlässiger  gearbeitet,  also  wohl  eine 
spätere  Ergänzung  ist.  Es  giebt  übrigens  neben  diesen  Giebelfiguren 
noch  geometrische,  die  als  senkrecht  stehende  Bretter  an  die  Stelle  der 
eigentlichen  Windlatten  getreten  sind;  namentlich  ist  die  Neumark  reich 
an  ihnen  (Tafel  1). 

Die  unbeabsichtigte  Wandlungsfähigkeit  der  Giebeltiere  lässt  sich 
bisweilen  gut  verfolgen.  Bekanntlich  entstehen  dieselben  dadurch,  dass 
in  die  über  den  First  hinaus  verlängerten  Windlatteu  Tierprofile  geschnitten 

Ä  werden.  Eine  Verzierung  aus  Rangsdorf 
&   (Abb.  31)  zeigt  noch  die  ausgesprochene  Nacken- 


buchtung,  während  der  Kopf  des  zweifelhaften 
j-^/iz»-  jMVuj    lüi,r*»+  Tieres  nur  ungeschickt  angedeutet  ist.  Bei 
si.  Giebelfiguren.  anderen    Beispielen    aus  Schönwalde  bei 

Bernau  und  Schiepzig  bei  Lübbenau  ist  dieser  Kopf  in  eine  Spitze 
ausgezogen  und  schliesslich  erscheint  eine  Form,  welche,  wie  eine  Ver- 
zierung aus  der  Gegend  von  Lieberose  erkennen  lässt,  beinahe  wie 
zwei  sich  ansehende  Tiere  aussieht.  So  ist  also  aus  den  sich  abkehren- 
den Tieren  die  Umkehrung  geworden;  eine  Mahnung  zur  Vorsicht  bei 
der  Deutung  solcher»  Gebilde.  Wer  das  Beispiel  ohne  die  vorherigen 
Übergänge  sieht,  würde  es  vielleicht  für  zwei  gegeneinander  gerichtete 
Pferde  halten. 

Fragen  wir  nun,  wie  der  geschichtliche  Verlauf  in  der  Entwicke- 
lung  des  märkischen  Hausbaues  war,  so  wird  die  Antwort  nur  im 
Zusammenhange  mit  den  Völkerwellen,  welche  über  das  Land  gingen, 
erfolgen  können.  Aber  wenn  wir  auch  die  politischen  Veränderungen 
in  der  Mark  einigermassen  kennen,  so  sind  wir  um  so  mehr  im  Dunkeln, 
je  weiter  wir  den  Anfangen  der  Kultur  daselbst  nachgehen.  Die  äusserst 
spärlichen  Nachrichten,  welche  römische  Autoren  gelegentlich  über  den 
germanischen  Hausbau  bringen,  sind  einesteils  zu  widersprechend,  als 
dass  wir  ihnen  eine  besondere  Autorität  zusprechen  dürfen,  andererseits 
werden  wir  aber  auch  das  wenige,  welches  unbestritten  bleibt,  nur  mit 
Vorsicht  für  unsere  Gegenden  gebrauchen  können.  Plinius,  der  die 
an  der  unteren  Elbe  sitzenden  Stämme  aus  eigener  Anschauung  kannte, 


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Das  Bauernhaus  in  der  Mnrk. 


323 


berichtet,  dass  die  nördlichen  Völker,  zu  denen  wir  die  in  der  Mark 
sitzenden  Seinnonen  rechnen  dürfen,  sich  des  Rohres  bedienen,  um  ihre 
Häuser  zu  bedecken,  und  dann  rühmt  er,  dass  die  hohen  Dächer  Jahr- 
hunderte dauern.  Erkennen  wir  in  dieser  Beschreibung  unschwer  die 
hohen,  in  Nord  Westdeutschland  fast  bis  zur  Erde  herabreichenden  Dächer 
des  sächsischen  Hauses  wieder,  so  wissen  wir  aus  Funden  prähistorischer 
Wohnstätten,  wie  sie  unter  anderen  nördlich  vom  Harz*)  und  bei  Guben**) 
gemacht  sind,  dass  die  Wände  aus  Lehm  mit  unterstützendem  Holzgeflecht 
bestanden  haben  müssen.  Wir  dürfen  ferner  annehmen,  dass  die  Haus- 
urnen***), welche  teilweise  auf  märkischem  Boden,  in  dem  Stromgebiet 
der  mittleren  Elbe,  der  Havel  und  der  Saale,  gefunden  wordeu  sind,  ein 
schwaches  Bild  des  alten  Semnonenhauses  geben,  das  danach  ans  einem 
rechteckigen  Schiff  mit  hohem  Walmdach  bestand;  auch  sie  weisen  also 
auf  ein,  dem  sächsischen  Typus  nahestehendes,  Hans  hin.  Es  würde 
dem  auch  eine  Nachricht  bei  Strabof),  nach  der  die  sue vischen  Völker 
ihre  Hütten  mit  Leichtigkeit  in  andere  Gegenden  hin  verpflanzten,  durch- 
aus nicht  widersprechen,  wie  man  wohl  angenommen  hat,  denn  der  ein- 
fache Konstruktionsgedanke  des  sächsischen  Hauses,  der  bei  den  bedürf- 
nislosen Germanen  der  Vorzeit  wahrscheinlich  noch  weniger  Umstände 
als  heute  verursachte,  gestattet  eine  solche  Wandelbarkeit  des  Hauses 
leicht. 

Mit  der  hereinbrechenden  Slavenflut  sind  dann  jedenfalls  andere 
Formen  ins  Land  gedrungen,  die,  wenn  sie  auch  weit  unter  der  von  den 
Deutschen  erreichten  Höhe  standen,  doch  eine  abweichende  Fortentwicke- 
lung nahmen  und  sich  neben  den  deutschen  Formen  behaupteten.  Ver- 
mutlich waren  sie  mit  den  primitiven  Hütten  zufrieden,  von  deren 
Bedürfnislosigkeit  uns  die  spärlichen  Pfahlbaureste  eine  schwache  Kunde 
geben.  Noch  aus  dem  12.  Jahrhundert  erzählt  unser  alter  Gewährsmann, 
der  Pfarrer  Helmold  von  Bosau  bei  Plön  von  ihnen  „dass  sie  sich  nicht 
einmal  beim  Häuserban  viele  Mühe  geben,  dass  sie  vielmehr  Hütten  aus 
Flechtwerk  verfertigten,  wo  sie  nur  zur  Not  Schutz  gegen  Sturm  und 
Regen  suchen."  Ein  Anfang  zu  höherer  Kultur  kann  erst  sehr  spät 
versucht  worden  sein;  er  setzte  vor  allen  Dingen  Ersatz  des  Flecht- 
werkes durch  eüi  dauerhafteres  Material  voraus  und  ein  solches  erhielten 
sie  mit  der  Annahme  des  Blockbaues,  der  ihnen  wahrscheinlich  durch 
durch  eine  Verkettung  von  Umständen  von  den  Germanen  mitgeteilt  wurde. 

Während  nämlich  die  Slaven  mit  der  Front  nach  Westen  standen, 

*)  Vergl.  M.  Much.  Über  prähistorische  Bauart  und  Ornaraentierung  der  mensch- 
lichen Wohnungen  in  „Mitt.  d.  anthropol.  Gcsellsch.  in  Wien.  Bd.  7. 

**)  Vergl.  Mitt  d.  Verf  f.  d.  Gesch.  Berlins  1890.  S.  152  flg.  „Ein  Kulturbild 
aus  unserer  Vorzeit. 

***)  3  Abb.  in  Meitzen.    Das  deutsche  Haus.   Tafel  IV. 

f)  Strabo  B  7  c.  1. 


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Robert  Mielke. 


um  die  zurückflutende  deutsche  Völkerwelle  zurückzustauen,  hatte  sich 
hinter  ihrem  Kücken  eine  tiefgehende  Änderung  vollzogen.  Die  Waräger 
überfluteten  von  dem  südlichen  Schweden  aus  den  westlichen  Teil  des 
heutigen  Russland  und  machten  dort  den  in  ihrer  Heimat  hochentwickelten 
Blockbau  heimisch,  der  nun  westwärts  vordringend,  dem  sla vischen 
Hause  eine  bestimmte  Form  gab.*)  Diese  ist  das  langgestreckte,  an  der 
Giebelseite  mit  einer  Vorlaube  versehene,  Haus,  das,  wie  oben  erwähnt, 
in  Russisch-Polen,  Galizien,  Ost-  und  Westpreussen,  Posen  und  Pommern 
heimisch  ist  und  in  seinen  Ausstrahlungen  bis  in  die  Mark  Brandenburg, 
ja  vielleicht  selbst  bis  Schleswig-Holstein  noch  heute  zu  verfolgen  ist, 
und  dessen  Vorbilder  man  in  Skandinavien  zu  suchen  hat.  In  Schlesien 
hat  dann  dieser  Typus  seine  weiteste,  in  Böhmen  aber  seine  künst- 
lerischeste  Ausbildung  erfahren,  während  das  Gros  der  Slaven  bei  dem 
unausgebildeten ,  rohen  Schema  stehen  blieb  oder  dasselbe  zu  Gunsten 
des  fränkischen  Hauses  aufgab.  Der  Blockbau  kann  allerdings  auch 
direkt  von  Deutschland  aus  zu  den  Slaven  gelangt  sein,  denn  auch  hier 
war  derselbe  nicht  ganz  unbekannt.  An  einer  Stelle  des  römischen 
Schriftstellers  Herodianus**)  haben  wir  einen  Beleg  dafür,  dass  der- 
selbe um  236*  in  Deutschland  in  Gebrauch  war;  es  ist  diese  Bemerkung 
aber  wohl  auf  die  nadelholzreichen  südlichen  Gebirgsländer  zu  beschränken. 
Wir  haben  also  wenig  Grund  den  durch  die  heute  noch  stehenden  Häuser 
gekennzeichneten  Weg  aufzugeben  zu  Gunsten  einer  so  unbestimmten 
Äusserung.  Mit  der  Neubesiedelung  der  Mark  durch  die  deutschen  Stämme 
mögen  dann  Kulturströmungen  in  das  Land  gekommen  sein,  die  das 
fränkische  Haus  hier  dauernd  heimisch  machten. 

Merkwürdigerweise  haben  dio  Spreewaldwenden  schon  früh  den 
ihnen  vom  Osten  überbrachten  nordischen  Typus  verlassen,  um  sich  dem 
fränkischen  zuzuweuden.  Dass  sie  ihn  vorher  besessen,  beweist  nicht 
allein  das  Lehdesche  Haus  mit  der  rudimentären  Laube  sondern  auch 
der  Gebrauch  des  Blockbaues  selbst.  Das  fränkische  Haus  ist  ein  Fach- 
werkhaus; nur  das  Schwarz wälder  und  Schweizer  Haus  kennt  den 
Blockbau,  und  keine  Spur  leitet  darauf  hin,  dass  von  ihm  aus  diese 
Technik  zu  den  Wenden  gelangt  sei.  Der  Grnndriss  des  Spreewald- 
hauses ist  aber,  wie  die  oben  besprochenen  Häuser  klar  erkennen  lassen, 
aus  dem  fränkischen  entwickelt.  Durch  das  Hineinziehen  der  Laube 
als  Vorhalle  und  am  Äusseren  kommt  allein  der  nationale  Sinn  zum 
Vorschein. 


*)  Diese  Beeinflussung  ist  um  so  wahrscheinlicher,  als  die  übersiedelten  Skandi- 
navier noch  bis  etwa  1100  mit  ihrer  Heimat  in  lebhafter  Verbindung  blieben  und  die 
nordische  Hausform,  soweit  bis  jetzt  Beobachtungen  vorliegen,  nur  in  den  westlichen 
Gouvernements,  der  alten  transbaltischen  Völkerbrticke  zwischen  Skandinavien  und 
Deutschland,  vorkommen. 

**)  Herodianus.    VII.  c.  2. 


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Das  Bauernhaus  in  der  Mark. 


125 


Können  wir  annehmen,  dass  das  fränkische  Haus  mit  den  deutschen 
Einwanderern  in  die  Mark  gelangt  sei,  so  dürfte  das  sächsische  noch 
eine  ältere  Geschichte  besitzen :  denn  es  sind  sieher  viele  von  den  alten 
Semnonenhäusern  mit  den  zurückgebliebenen  Germanen  im  Lande  ge- 
lassen worden,  die  auch  von  den  neuen  Herren  übernommen  wurden. 
Von  der  Altmark,  dem  hannoverschen  Wendlande  und  Holstein  wissen 
wir,  dass  die  dort  sesshaften  Slaven  ihre  ursprüngliche  Hütte  mit  den- 
selben vertauschten.  Jedenfalls  hatte  in  der  ersten  Zeit  der  christlichen 
Besiedelung  das  sächsische  Haus  eine  ungleich  grössere  Verbreitung  als 
heute,  wo  es  nur  im  äussersten  Nordwesten  und  in  einzelnen  Linien 
bis  zur  Spree  vorkommt.  Noch  im  vorigen  Jahrhundert  mnss  es  weit 
mehr  verbreitet  gewesen  sein,  denn  der  Zeichner  zu  dem  1751  erschienenen 
Buche  des  Christian  Ludwig  Beckmann  giebt  auf  einer  sehr  ausführ- 
lichen Karte  des  oberen  Rhin  nur  sächsische  Häuser  an,  was  doch  ein, 
wenn  auch  ungewisser,  Beleg  für  die  allgemeine  Ausbreitung  ist.  Aber 
auch  abgesehen  von  dem  heutigen  Vorkommen  auf  dem  ebenen  Lande 
deutet  das  Stadthaus  noch  auf  seine  Gleichberechtigung  mit  dem  frän- 
kischen Hause  hin.  Wie  in  allen  Städten  der  norddeutschen  Küstenländer 
die  Häuser  mit  der  Giebelseite  der  Strasse  zugekehrt  sind,  so  ist  dasselbe 
auch  für  viele  märkische  Städte,  namentlich  nördlich  der  Linie  Branden- 
burg-Frankfurt a.  0.,  nachweisbar.  Der  Sehultz'sche  Plan  von  Berlin 
vom  Jahre  1688  lässt  erkennen,  dass  die  Häuser,  je  näher  sie  den  alten 
Stadtteilen  Berlin  und  Köln  stehen,  den  Giebel  nach  der  Strasse  gekehrt 
haben.  Allerdings  giebt  es  auch  solche  Häuser  in  Süd-  und  Mittel- 
deutschland, aber  liier  mischt  sich  schon  früh  dieser  Stadttypus  mit  dem 
Langhaus,  so  dass  wir  annehmen  müssen,  er  sei,  wenn  nicht  direkt 
vom  Norden  übertragen,  nur  aus  Gründen  der  besseren  Raumverwertung 
entstanden. 

In  der  südlichen  Hälfte  der  Mark  überwiegen  denn  auch  die  Lang- 
häuser; in  Jüterbock,  Beizig,  Treuenbrietzen,  Baruth,  Golssen , 
Dahme,  Luckau  sind  fast  nur  solche  erhalten.  Bisweilen  aber  taucht 
in  ihrer  Reihe  ein  Frontgiebel  auf,  der  um  so  mehr  an  sächsischen  Ur- 
sprung gemahnt,  je  mehr  er  isoliert  erscheint.  Ganz  frappierend  ist 
z.  B.  die  Ähnlichkeit,  wenigstens  im  Äusseren,  zwischen  einem  nause 

in  Niemegk  ( Belzigerstr.  362) 
und  einem  solchen  in  dem  Dorfe 
Ma  rz  a  h  n  e  nördlich  Brandenburg 
(Abb.  32,  33).  Für  Berlin  kann 
es  als  sicherstellend  gelten,  dass 
seine  ältesten  Stadthäuser  säch- 
sisch sind;  in  gewissem  Grade 
wird  dies  ja  auch  durch  die  Namen 
der  Bewohner  und  durch  die  Sprache  bestätigt,  die  beide  nach  sächsischer 


33.  Marzabne. 


32.  Niemegk 


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126 


Robert  Mielke. 


Heimat  weisen.  Das  wendische  Haus,  welches  wahrscheinlich  für  die 
Gestaltung  märkischer  Stadtarchitekturen  nicht  ohne  Einfluss  war,  hat 
jedenfalls  erst  spät  Eingang  in  dieselben  gefunden,  was  ja  bei  der 
Aversion  der  Deutschen  gegen  die  Slaven  natürlich  war.  Sein  Einfluss, 
der  besonders  auf  dem  östlichen  Fläming  und  in  den  Spreewaldstädten 
bemerkbar  ist,  beschränkt  sich  aber  immer  auf  den  Giebel  mit  seiner 
eigenartigen  Bretterverkleidung. 

Zum  Schluss  sei  noch  des  Hauses  gedacht,  das  heute  in  der  Mark 
mit  Vorliebe  gebaut  wird.  Was  wir  hier  und  zwar  dicht  vor  den  Thoren 
Berlins  sehen,  ist  in  mehr  als  einer  Hinsicht  bedauerlich.  Nicht  mehr 
die  alten  malerischen  Vorbilder  werden  bevorzugt  sondern  ein  stillose.? 
und  darum  geschmackloses  Surrogat  des  modernen  Schablonenhauses, 
das  in  nicht  seltenen  Fällen  sogar  noch  von  dem  Mörtel  entblösst  bleibt. 
In  der  Gegend  vonTeupitz  sind  ganze  Dorfzeilen  in  dieser  widerlichen 
Armseligkeit  entstanden,  die  sich  aus  Liederlichkeit  und  falsch  ange- 
wandter Sparsamkeit  ergiebt.  Wenn  erst  einmal  dieses  Prinzip  des 
Trivial-Nützlichen  bei  der  Landbevölkerung  zur  Anerkennung  gelangt, 
dann  wird  es  schwer  sein,  seinen  Rückwirkungen  auf  die  Volksseele 
entgegenzutreten.  Schon  ist  das  gemauerte,  teilweise  mit  Stuck  und 
Mörtel  überladene  Haus,  das  in  seiner  stereotypen  Stubenöde  , weder 
Charakter  noch  Reiz  besitzt,  auf  dem  Wege,  neben  den  alten  Formen 
ein  gleichberechtigter  Typus  zu  werden;  schon  siud  vollständige  Dörfer 
in  diesem  gleichförmig-langweiligen  Geisto  entstanden,  erstehen  täglich 
und  erfüllen  den  Bauer  mit  Gleichgültigkeit  gegen  seinen  Hof.  Kein 
Baum  beschattet  diesen,  keine  freundlichen  Fensterladen  oder  Stiegen 
schmücken  das  Haus,  keine  Laube  ladet  zum  Verweilen  ein  —  alles 
traurig  —  monoton  —  nüchtern.  Das  Haus  steht  nicht  mehr  im  Zu- 
sammenhange mit  der  Landschaft,  der  Bewohner  nicht  mehr  mit  dem 
Hause.  Und  mit  der  Nüchternheit  im  Äusseren  zieht  die  Oede  ins  Imaere 
hinein;  die  Häuslichkeit  verliert  ihren  Reiz  und  entfernt  sich  immer 
mehr  von  jenem  Ideal,  das  der  Engländer  so  schön  durch  das  Wort 
ausdrückt:  „My  house  is  my  Castle".  Wenn  auch  die  moderne  Zeit  so 
manche  Änderung  in  dem  Bauernhause  hervorruft,  so  ist  es  doch  zu 
beklagen,  dass  dabei  die  alten  Formen  verschwinden  müssen  zu  Gunsten 
des  langweiligen  Kastenbaues  der  Gegenwart.  Möge  er  wenigstens  in 
der  Mark  wieder  den  alten  Typen  Platz  machen,  dann  werden  wir  auch 
in  den  malerischen  Dörfern  wieder  eine  freundlich  zufriedene  Bevölkerung 
linden,  dann  wird  auch  die  Poesie  wieder  eine  Heimstätte  auf  dem 
Lande  haben. 


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Kirchliches  Leben  in  einer  märkischen  Stadt 
während  des  siebzehnten  Jahrhunderts. 

(Königsberg  N.-M.) 
Von  Dr.  Paul  Schwär tz -Friedenau. 

In  die  Neumark  führen  wir  den  Leser,  zu  einem  Städtchen,  das 
in  einem  Thal  des  baltischen  Landrückens  liegt.  Bei  Schwedt  über- 
schreiten wir  auf  einem  langen,  von  alten  Bäumen  beschatteten  Damm 
die  breite  Oderniederung.  Nun  geht's  den  steilen  Abhang  des  baltischen 
Laudrückens  hinauf.  Oben  empfangt  uns  eine  freundliche  Hügelland- 
schaft,  durch  welche  die  Strasse  bergauf  und  bergab  zieht,  einem  Walde 
zu.  Da  zeigt  sich  in  einer  Senke  ein  schlanker  Kirchturm,  an  den  sich 
ein  gewaltiges  Dach  lehnt;  von  der  Stadt  selbst  ist  nichts  zu  sehen. 
Das  ist  der  Kirchturm  von  Königsberg;  fast  100  Meter  ragt  er  auf, 
das  höchste  Bauwerk  der  Mark.  In  diesem  Jahrhundert  ist  er  aufge- 
führt, würdig  der  alten  Kirche,  die  man  als  eine  der  schönsten  der 
engeren  Heimat  rühmt.  Er  verschwindet  wieder  hinter  dem  Walde. 
Beim  Austritt  aus  demselben  erblicken  wir  das  Städtchen  vor  uns  aus- 
gebreitet. Wie  ein  Riese  ragt  die  Marienkirche  über  alle  Gebäude  hin- 
auf, als  ein  Denkmal  jener  Zeit,  in  der  das  Gotteshaus  die  Seele  der 
Stadt  war,  in  der  sich  die  bürgerliche  Gemeinde  vorwiegend  als  eine 
Gemeinschaft  von  Christen  fühlte.  Von  der  Zeit  wollen  wir  berichten, 
von  den  Äusserungen  und  den  Erscheinungen  kirchlichen  Lebens,  wie 
sie  in  dem  engbegrenzten  Raum  des  genannten  Städtchens  zu  Tage  ge- 
treten sind.    Sie  dürften  aber  für  die  ganze  Mark  typisch  sein. 

Als  das  siebzehnte  Jahrhundert  anbrach,  hatte  die  Mark  Branden- 
burg eine  lange,  glückliche  Zeit  des  Friedens  hinter  sich.  Die  Unruhen 
and  Kriege  der  Reformationszeit  waren  von  ihren  Grenzen  fern  geblieben, 
dank  der  Klugheit  ihrer  Fürsten;  ohne  den  Blutpreis  hatten  die  Märker 
das  Evangelium  erworben.    In  behaglicher  Ruhe  floss  das  Leben  dahin. 


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Dr.  Paul  Schwirls  Friedenau. 


Manchmal  jedoch  wich  die  Freude  am  Dasein  dem  jähen  Entsetzen  vor 
einer  verheerenden  Seuche,  oder  der  Frohsinn  räumte  auf  kurze  Zeit 
dem  Bedenken  das  Feld,  wenn  der  Herr  durch  feurige  Zeichen  am 
Himmel  sprach.  Auch  die  Astrologen  sorgten  für  die  nötige  Unter- 
brechung der  Reihe  von  guten  Tagen,  indem  sie  allerhand  Unheil  ver- 
kündeten, kritische  Tage  erster  Ordnung  oder  wohl  gar  den  Untergang 
der  Welt.  So  hatte  ein  anerkannter  Königsberger  Prophet  für  das 
Jahr  1588  vorausgesagt: 

Geht  alsdann  die  Welt  nicht  unter, 
So  geschehen  doch  viel  Wunder. 

Die  Welt  blieb  zwar  bestehen,  aber  der  Wunder  geschahen  genug: 
in  der  Stadt  wurden  viele  Leute  unsinnig,  und  in  der  Nachbarschaft  be- 
kamen zahlreiche  alte  Leute  Stechen  in  der  linken  Seite,  und  am  dritten 
oder  vierten  Tage  waren  sie  tot  Gern  knüpfte  auch  die  warnende 
Stimme  des  Geistlichen  an  einen  seltsamen  Vorgang  an.  Da  kommt 
1593  ein  Monstrum,  eine  Missgeburt,  zur  Welt,  ein  Kind  mit  Backen- 
und  Yorderzähnen,  statt  der  Oberlippe  trägt  es  unter  der  Nase  ein  Ge- 
wächs wie  einen  Rüssel.  Der  gelehrte  Oberpfarrer  von  Königsberg, 
Pontanus,  hält  darüber  eine  Predigt,  die  auch  im  Druck  erscheint:  die 
Zähne  seien  eine  Mahnung  gegen  den  Kornwucher,  es  drohe  Teurung 
und  der  Einfall  barbarischer  Völker,  die  kommen  werden  wie  das  beissige 
Vieh;  der  Rüssel  aber  deute  hin  auf  das  viehische  Leben  in  Essen  und 
Trinken.  Doch  Hess  man  sich  solche  Warnungen  nicht  anfechten, 
soudern  ass  und  trank  weiter  wie  zuvor. 

Die  Freude  am  Leben  äusserte  sich  auch  in  der  Art,  wie  man  den 
religiösen  Pflichten  nachkam.  Der  neumärkische  Kanzler  Hans  Georg 
von  dem  Borne  hat  bald  nach  dem  Regierungsantritt  des  grossen  Kur- 
fürsten ein  Büchlein  geschrieben  „Über  den  gegenwärtigen,  betrübten 
und  kümmerlichen  Zustand  der  Mark  Brandenburg".  Darin  suchte  er 
die  Ursachen  darzulegen,  weshalb  Gott  die  Mark  so  furchtbar  heimge- 
sucht habe.  Die  erste  Ursache  erkannte  er  in  der  Gottlosigkeit,  die  alle 
Stände  gleichmäßig  ergriffen  hatte.  Von  den  kirchlichen  Zuständen  in 
der  Mark  gab  er  folgende  Schilderung:  „In  den  Städten  überall  hat  man 
es  für  einen  grossen  Gottesdienst  gehalten,  und  noch,  wann  man  an 
den  Sonn-  und  Festtagen  sich  stattlich  ausgeputzet  und  der  Gewohnheit 
nach  zweimal  öfters  ohne  einige  Andacht  in  die  Kirchen  gangen.  Nach 
geendigten  Predigten  hat  man  alsbald  angefangen,  alle  Sünden,  die  man 
auf  den  Werktag  nicht  hat  thun  mögen,  mit  freudigem  Mut  zu  verüben. 
Da  hat  es  müssen  —  wir  bitten  wegen  der  kräftigen  Ausdrücke  um 
Verzeihung,  aber  der  brave  Kanzler  hat  nun  einmal  so  geschrieben  — 
gefressen,  gesoffen,  gespielet,  spazieret,  banketieret,  buhlieret  sein;  da 
hat  man  alle  Gasthöfe,  Sckänken,  Wein-  und  Bierkeller  voller  Gesell- 
schaft gesehen,  die  sich  toll  und  voll  gesoffen  und  bis  in  die  Nacht 


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Kirchliches  Lehen  in  einer  märkischen  Stadt  während  des  17.  Jahrhunderts.  129 

geschwärmet,  ihnen  mit  Trommeln,  Pfeifen  und  Geigen  aufwarten  lassen; 
da  hat  man  müssen  nach  der  Scheiben  oder  den  Vogel  abschiessen; 
öfters  hat  man  Komödianten  auch  wohl  in  den  Kirchen,  Fechtmeister, 
Springer,  Linienflieher,  Tanzmeister,  Bären-,  Affen-  und  anderer  unge- 
wöhnlicher wilden  Tiere  Leiter  und  Führer  auftreten  und  durch  die- 
selbigen  dem  Volke  ein  Spektakel  und  Kurzweil  machen  lassen,  welchem 
auch  der  Magistrat  und  die  Geistlichen  selber  mit  sonderbarer  Ergötz- 
lichkeit beigewohnt.  —  Auf  dem  Lande  in  Flecken  und  Dörfern  ist  es 
mit  dem  Gottesdienst  noch  viel  schlechter  dahergegangen.  Dann  obgleich 
ein  Dorfpriester  in  seinen  zugeordneten  Kirchen  die  Woche  einmal  auf 
den  Sonntag  mit  grosser  Mühe  nur  eine  einige  Predigt  abgeleget  und 
zuwege  gebracht,  so  ist  es  manchmal  mit  solcher  Kaltsinnigkeit  und 
schlechten  Disposition  geschehen,  dass  die  Zuhörer  und  Pfarrkinder  wenig 
Lehre  und  Trost  daraus  begreifen  und  mit  nach  Hause  nehmen  können. 
Wann  etwa  der  Pfarr  mit  den  Patronen  und  Zuhörern  in  Streit  und 
Misshelligkeit  geraten,  so  ist  das  eben  eine  Materia  gewesen,  damit  die 
meisten  Predigten  gespicket,  und  dabei  des  Decems,  Messkorns,  Opfers 
etc.  nicht  vergessen,  der  wahren  Busse  aber,  Bekehrung  zu  Gott  und 
Besserung  des  Lebens  wenig  oder  selten  gedacht  worden.  In  den  Filial- 
kirchen  ist  der  Gottesdienst  mehrenteils  zu  unrechter  Zeit  nach  Mittage 
oder  des  Winters  auf  den  späten  Abend,  wann  sich  die  Leute  und  Zu- 
hörer voll  gesoffen  und  gefressen,  verrichtet  und  mit  Schlafen  zugebracht 
worden.  Nach  gehaltener  Predigt  ist  der  Pfarr  zu  dem  Patron  oder 
Schulzen  des  Dorfes  eingeladen,  die  Bauern  aber  sämtlich  mit  den 
Weibern  und  Kindern  in  den  Krug  oder  Gasthof  gangen,  sich  daselbst 
toll  und  voll  gesoffen  und  die  ganze  Nacht  durehgeschwärmet  und  nach 
der  Sackpfeifeu  herumgesprungen,  dabei  sich  denn  auch  öfters  der  Beicht- 
vater weidlich  mitgebrauchen  lassen."  Diese  Stelle  ist  seltsamerweise 
missverstanden  und  als  ein  Beweis  dafür  angeführt  worden,  wie  entsitt- 
lichend der  dreissigjährige  Krieg  gewirkt  habe,  während  der  Verfasser 
offenbar  die  Zustände  vor  dem  Kriege  gemeint  hat.  Während  des  Krieges 
verging  den  Leuten  das  Singen  und  Springen,  da  lernten  sie  inbrünstig 
beten,  wie  ein  unten  mitgeteilter  Brief  zeigen  wird. 

Weihnachten  1603  wurde  die  Festfreude  der  Königsberger  Gemeinde 
gestört:  die  grosse  Glocke,  die  Marienglocke,  welche  weithin  über  Stadt 
und  Land  ihre  Stimme  hatte  ertönen  lassen,  bekam  einen  Sprung.  Uber 
ein  Jahr  fehlte  im  Dreiklaug  des  Geläutes  der  tiefe  Ton.  Die  Kosten 
eines  Glockengusses  konnte  die  Kirche  allein  nicht  aufbringen;  deshalb 
wandten  sich  die  Kirchenvorsteher  um  Beihülfe  an  die  Gemeinde.  Die 
Gaben  an  Geld  und  Erz  reichten  aus,  eine  100  Centner  schwere  Glocke 
zu  schaffen.  Am  Donnerstag  vor  Johann i  1605  wurde  sie  vor  der  Stadt 
gegossen,  nachdem  sich  die  Gemeinde  in  der  Kirche  versammelt  hatte, 
um  Gottes  Segen  für  die  Arbeit  zu  erflehen.    Unter  welchen  Feierlich- 

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Dr.  Faul  Schwärt»  Friedenau. 


Weiten  sollte  sie  an  ihre  Stelle  geschafft  werden?  In  der  katholischen 
Zeit  hatte  man  die  Glocke  wie  ein  lebendes  Wesen  behandelt.  Für  die 
Taufe  wurde  ihr  wie  einein  Täufling  ein  weisses  Kleid  angelegt.  So 
stand  sie  unten  im  Turm.  Die  Gevattern  aber  —  vornehme  Herren  aus 
der  Nachbarschaft  oder  besonders  freigebige  Spender  —  fassten  die 
Stricke,  wahrend  der  Geistliche  die  Taufrede  hielt  und  der  Glocke  den 
Namen  gab.  Danach  wurde  sie  in  die  Höhe  gezogen.  Da  man  aber 
nun  ängstlich  alles  zu  vermeiden  suchte,  was  an  „den  päpstlichen  Aber- 
glauben" erinnern  konnte,  so  wurde  von  .solcher  Feier  abgesehen.  Die 
Glocke  wurde  auf  einen  Wagen  geladen,  mit  Kränzen  geschmückt  und 
„zu  inehrenteil  vom  gemeinen  Volk,  Frauen,  Jungfern,  Mägden  und 
Kindern"  in  den  Turm  gezogen,  ein  Anblick,  „der  vielen  aus  Freuden 
und  Wehmut  die  Timmen  zu  den  Augen  herausgetrieben*.  Die  Glocke 
trag  die  Aufschrift:  Laudo  Deum  verum.  Plebem  voco.  Congrego  clerum. 
Defunctos  ploro.    Satanam  fugo.    Fes  tu  decoro. 

Allein  die  Freudenrufe  sollten  sich  bald  in  Wehklagen  verwandeln. 
Schon  waren  einzelne  verdächtige  Krankheitsfälle  in  der  Stadt  vorge- 
kommen; aber  kaum  hatte  man  die  Glocke  in  den  Turm  geschafft,  da 
brach  das  Verderben  herein  —  die  Pest.  Im  Juni  erlagen  ihr  20,  im 
Juli  202,  im  August  354,  im  September  324,  im  Oktober  109,  im 
November  21;  im  ganzen  1030  von  etwa  3000  Einwohnern.  Dabei  hatte 
die  Stadt  erst  vor  zwanzig  und  vor  fünfzig  Jahren  eine  gleiche  Heim- 
suchung erfahren:  1585  waren  1085  au  der  Pest  gestorben,  1550  sogar 
1900.  Erst  am  Sonnabend  vor  Palmarum  160G  wurde  die  Glocke  auf 
den  Turm  gebracht,  um  das  Osterfest  einzuläuten. 

In  höchste  Aufregung  geriet  die  Gemeinde,  als  Kurfürst  Johann 
Sigismund  1613  zum  reformierten  Bekenntnis  übertrat.  In  der  Voll- 
macht, welche  im  Namen  der  Gemeinde  den  städtischen  Abgeordneten 
zum  Landtage  1014  ausgestellt  wurde,  ward  denselben  eingeschärft:  sie 
sollten  namentlich  dahin  sehen,  dass  die  Bürger  und  ihre  Nachkommen 
zuvörderst  bei  der  reinen  Lehre  göttlichen  Wortes  mögen  erhalten  und 
geschützet  werden.  Ähnlich  lauteten  die  Weisungen  auch  für  die  übrigen 
Abgeordneten,  und  so  äusserte  denn  der  Landtag  in  einer  Vorstellung 
an  den  Landesherrn  die  Besorgnis :  es  scheine,  dass  man  das  Land  vom 
Hofe  aus  zum  reformierten  Bekenntnis  bringen  wolle.  Die  besorgten 
Stände  erhielten  aber  vom  Kurfürsten  die  Versicherung,  dass  jedem 
Freiheit  des  Gewissens  vergönnt  sein,  dass  keiner  wegen  der  Religion 
gehasst  oder  verfolgt  wei  den  solle :  doch  forderte  der  Kurfürst  auch  für 
sich  Gewissensfreiheit  und  das  Recht,  in  der  Religion  zu  leben,  in  der 
er  selig  zu  werden  festiglieh  vertraue. 

Die  ersten  Jahre  des  d reissigjährigen  Krieges  verschonten  die  Mark 
vor  Kriegesnot.  Aber  zahlreiche  Flüchtlinge,  zumal  aus  Böhmen,  durch- 
zogen das  Land  und  wussteu  von  der  entfesselten  Kriegswut  zu  berichten. 


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Kirchliches  Leben  in  einer  märkischen  Stadt  wahrend  des  17.  Jahrhundert».  18 1 

Dann  kamen  die  erbarmungslosen  Feinde  selbst,  im  Jahre  1626.  Vor 
ihnen  aber  meldete  sieh  1625  noch  ein  anderer  Feind  an  den  Thoren 
Königsbergs,  die  Pest.  Schon  zu  Pfingsten  hatte  keine  rechte  Fest- 
stimmung aufkommen  wollen,  denn  einige  Häuser  waren  von  dem  un- 
heimlichen Gast  heimgesucht  worden.  Zahlreicher  wurden  die  Opfer, 
und  am  Trinitatissonntag  musste  der  Geistliche  der  geängstigten  Gemeinde 
die  vom  Rat  erlassene  Pestordnung  vorlesen.  „Wegen  der  grossen 
Sünden",  so  leitete  er  die  Mitteilung  ein,  „lässt  Gott  seine  ernste  Straf- 
rute sehen,  um  allhier  auch  mit  der  abscheulichen  Seuche  der  Pestilenz 
die  Menschen  etlichermassen  anheimzusuchen."  Schwer  war  die  Heim- 
suchung der  von  allem  Verkelir  mit  der  Nachbarschaft  abgesperrten 
Stadt.  Als  im  Oktober  die  Seuche  erlosch,  hatte  sie  990  Opfer  gefordert. 
Daun  kam  der  Feind. 

Nunmehr  begann  eine  Zeit,  in  der  die  Geistlichen  sich  als  gute 
Hirten  bewähren  konnten.  In  der  schweren  Bedrängnis,  welche  jetzt 
ihren  Anfang  nahm,  war  das  ermutigende  oder  tröstende  Wort  des  Seel- 
sorgers, sein  Beispiel  der  Standhaftigkeit  und  Duldung  von  höherem 
Wert  für  die  Gemeinde  als  die  weltlichen  Behörden.  Weltliche  Macht 
erwies  sich  machtl  os ;  der  sonst  gefürchtete  Bürgermeister  wahr  wehrlos 
gegenüber  dem  pochenden  Trossknecht.  Da  scharte  sich  die  Gemeinde 
um  iliren  Seelsorger,  und  wohl  ihr,  wenn  sie  eine  gute  Wahl  getroffen 
hatte.  Bei  einem  Brande  im  Königsberger  Kathaus  1674  sind  die  Rats- 
protokollo  bis  auf  eins  vernichtet  worden,  welches  die  Jahre  1638  und 
1639  umfasst,  gerade  die  traurigste  Zeit  des  Krieges  für  die  Neumark. 
Aus  diesem  Buch  erfahren  wir  auch  einiges  über  kirchliche  Verhältnisse. 
Der  Inspektor  (Superintendent,  Oberpfarrer)  Gödenius,  der  sonst  als 
„ein  feiner  Mann"  gerühmt  wird,  besüss  nicht  das  Vertrauen  der  Gemeinde. 
Bei  der  ersten  Bürgersprache  auf  dem  Rathaus,  am  11.  Januar  1638, 
richtete  die  Bürgerschaft  an  den  Rath  die  dringendo  Bitte,  er  möchte 
den  Inspektor  anhalten,  seine  Predigten  „zu  Trost,  Lehr  und  Vermahnung 
zu  dirigieren".  So  wenig  gewissenhaft  waltete  der  Geistliche  seines 
Amtes,  dass  er  sich  nie  auf  die  Predigten  vorbereitete  und  zuweilen 
erst  beim  Besteigen  der  Kanzel  den  Küster  nach  dem  sonntäglichen 
Evangelium  fragte.  Darauf  erging  an  ihn  ein  Schreiben  des  Rats.  Die 
Bürger  haben  sich  beklagt,  schrieb  derselbe,  „wie  sie  nebst  den  Ihrigen 
nicht  allein  wenig  oder  garnichts  an  Trost  und  Lehren  aus  des  Herrn 
Predigten  vernehmen,  sondern  vielmehr  nur  mit  weitläuftigen  und  ametho- 
dischen und  übel  disponierten  Diskursen  nicht  ohne  Verdruss  und  Ärger- 
nis, sonderlich  bei  jetziger  kalten  Winterzeit  aufgehalten  würden,  und 
daher  uns  gebeten,  wir  möchten  dem  Herrn  dieses  zu  einer  Änderuug 
und  gewünschten  Besserung  untersagen.  —  Es  wird  dem  Herrn  sein 
eigen  Gewissen  predigen,  dass  der  Herr  wider  des  Sirachs  Vermahnung 
cap.  39  v.  11  auf  seine  Predigten  wenig  studieret,  die  Textus  zwar  ab- 

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132 


Dr.  Paul  Snhwarlz-Friedenaa. 


liese,  aber  ohne  gute  Disposition  den  Nervuni  wenig  berühret,  sondern 
seinem  dono  eloquentiae  und  lang  gezogenen,  oft  wiederholeten  Worten 
mehr  trauet,  denn  dass  er  um  den  nucleum  und  pondera  verborum, 
weniger  gute  res,  womit  unsern  Seelen  am  meisten  gedienet,  sich  be- 
kümmern sollte.    Zudem  ist  dem  Herrn  bewusst,  wie  er  wider  Ihre 
Kurf.  Durchlaucht  diesesfalls  ausgegangenen,   ausdrücklichen,  vorge- 
schriebenen,  eigentlichen  Willen  auf  die  Busstage  gar  impertinentes 
textus,  etwa  überbliebene  Teile  aus  den  Predigten  u.  dgl.,  auf  den  Frei- 
tagen aber  aus  gar  unzeitigem  Eifer  die  Augsburgische  Konfession  abe- 
lieset  und  davon  weitläuftig,  auch  mit  eingemengeten  Fabeln  und  Alcoran- 
Historien  sermonieret,  da  uns  doch  bei  dieser  höchst  kläglichen  Zeit 
mehr  mit  Busstexten  und  Psalmen,  Threnis  Jeremiae  oder  dem  Buche 
Josuä,  Hiob  u.  dgl.  trostbringenden  Sprüchen  und  Büchern  nach  dem 
Exempel  anderer  fleissigen  Lehrer  gedienet  wäre.   Wenn  aber  dem  Herrn 
das  schlechte  Maledictum  beim  Jeremia  48  v.  10  wohl  bekannt,  die 
minus  praemeditatae  conciones  auch  an  einem  andern  Ort  maledietae 
genennet  werden;  als  bitten  den  Herrn  wir  all  im  Namen  der  ganzen 
Stadt  um  Gotteswillen,  er  wolle  doch  zu  seiner  schweren  Verantwortung 
unsre  Seelen  nicht  versäumen,  dieselben  bei  diesen  trostlosen  Zeiten 
mehr  mit  Gottes  Wort  methodice  zu  unserer  Behaltnuss  trösten  und  lehren, 
als  mit  weitläufigen  und  zu  den  abgelesenen  Texten  wenig  gehangen 
Discursen  verdriesslich  sein."    Die  nächste  Sonntagspredigt  war  des 
Inspektors  Antwort,  über  die  sich  der  Rat  bei  der  Regierung  beschwerte : 
der  Inspektor  habe  diejenigen,  welche  er  für  Verfasser  des  Schreibens 
halte,  auf  der  Kanzel  „sareastice  angestochen"  und  feierlich  erklärt,  der 
Teufel  selbst  müsse  sie  angestiftet  haben.    Dem  Streit  zwischen  der 
Gemeinde  und  ihrem  Seelsorger  machte  die  Pest  ein  Ende,  die  zwischen 
Ostern  und  Pfingsten  ausbrach.   Am  Himmelfahrtstage  konnte  das  Abend- 
mahl nicht  gereicht  werden,  weil  kein  Tropfen  Wrein  in  der  Stadt  auf- 
zutreiben war;  zum  Ptingsfest  wurde  das  Gotteshaus  —  zum  erstenmale, 
so  lange  man  denken  konnte  —  nicht  mit  Maien  geschmückt.  „Nach 
Pfingsten",  berichtet  das  Ratsprotokoll,  „haben  die  schwedischen  Soldaten 
von  den  Banerschen  die  Stadt  etzliche  Wochen  aufeinander  geplündert, 
dass  kein  Mensch  hat  bleiben  können".    Am  ersten  Sonntag  nach  Trini- 
tatis brach  der  Feind  ein.   Die  Kirche,  welche  bisher  verschont  geblieben 
war,  und  in  welcher  manches  Besitztum,  namentlich  das  der  unmündigen 
Waisen  geborgen  war,  wurde  erbrochen  und  ausgeplündert.  „Der  Tempel 
des  Herrn",  lautet  ein  Bericht,  „ward  feindseliger  Weise  erbrochen, 
seines  herrlichen  Ornats  beraubet  und  dergestalt  profanieret,  dass  man 
innerhalb  sechs  Wochen  und  mehr  ihn  nicht  hat  besuchen  können ; 
dessen  Priester  wurden  ohn  einigen  Respekt  greulich  geschlagen,  ver- 
windet,  aufgehängt,  andere,  so  von  Dörfern   hineingeflohen  waren, 
gleicherweise  also  traktieret,  mit  stinkendem  Wasser  gequälet,  mit  härenen 

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Kirchliches  Lehen  in  einer  märkischen  Stadt  während  des  17.  Jahrhunderts.  133 

Seilen  gepeiniget,  an  ihrem  Leibe  entblösset,  mit  Seilen  an  Pferde  ge- 
bunden, von  einem  Gut  zum  andern  geschleppt  mit  höchster  Gefahr  und 
Bestürzung  ihres  Lebens."  Da  raffte  die  Gemeinde  zusammen,  was  ihr 
noch  geblieben  war,  und  flüchtete  in  die  Sümpfe  des  Oderbruchs.  Hier 
hauste  sie  in  Hütten,  bis  sie  Michaelis  in  die  verwüstete  Stadt  zurück- 
kehren konnte.  Wieder  hatte  das  Jahr  ihre  Reihen  schrecklich  gelichtet: 
494  Gestorbene  zählt  das  Kirchenbuch  auf,  „darunter  2*h  Hundert  peste, 
die  andern  teils  Hungers,  teils  aber  natürlichen  Todes  verblichen".  1640 
starb  der  Inspektor  Gödenius,  nachdem  er,  wie  ihm  bezeugt  wird,  mit 
der  Gemeinde  getreulich  Kriegs-,  Sterbens-  und  Hungersnot  geteilt  hatte. 

Die  verwaiste  Herde  sah  sich  nach  einem  neuen  Hirten  um,  den 
sie  in  Konrad  Wittscheibe  fand.  Im  Vertrauen  auf  Gottes  Schutz  machte 
er  sich  von  Fürstenau  her,  einem  Dorf  bei  Arnswalde,  auf  den  gefahr- 
lichen Weg  —  der  Rat  sandte  ihm  sechs  Wagen  zur  Fortschaffung  seines 
Hausrats  —  und  langte  auch  unbeschädigt  an  Leib  und  Gut  in  Königs- 
berg an.  Zwar  hatte  er  jährlich  160  Gulden  an  Gehalt  zu  fordern,  aber 
die  Kirche  war  gänzlich  verarmt.  Von  den  119  Hufen  der  städtischen 
Feldmark  besass  sie  15  V2;  aber  die  meisten  lagen  unbebaut,  weil  sich 
keine  Pächter  mehr  gefunden  hatten,  und  1611  kündigten  auch  noch  die 
letzten  Pächter  auf.  Selbst  für  die  halbe  Pacht  wollte  niemand  das 
Kirchenland  haben.  So  wurde  es  denn  «lern  neuen  Inspektor  überlassen, 
der  nach  und  nach  5  Hufen  in  Beackeruug  nahm. 

Endlich  zog  der  Friede  ins  Land,  und  langsam  kehrte  die  Ordnung 
zurück.  Auf  50  Bürger  war  die  Gemeinde  zusammengeschmolzen;  von 
420  Baustellen  lagen  etwa  300  wüst,  und  aus  den  Trümmern  der  Stadt 
ragte  als  gewaltige  Ruine  die  Kirche  auf.  Dazu  schlug  1658  der  Blitz 
in  den  Turm,  der  in  Flammen  aufging  und  niederbrannte;  die  Glocken 
schmolzen  in  der  Glut.  1664  wandte  sich  der  Rat  an  den  Kurfürsten 
mit  der  Bitte,  für  den  Bau  des  Turmes  eine  Sammlung  im  Lande  zu 
gestatten.  Da  die  Stadt  selbst  nicht  die  Mittel  besass,  Leute  mit  Bitt- 
briefen abzusenden,  wie  das  sonst  gebräuchlich  war,  so  erging  vom 
Konsistorium  an  die  Inspektoren  der  Mark  die  Weisung,  von  den  Kanzeln 
herab  zu  Beiträgen  auffordern  zu  lassen.  Allein  die  Gemeinden  hatten 
genug  mit  sich  selbst  zu  thun,  und  so  erscholl  der  Hilferuf  vergeblich. 
Der  Turm  blieb  in  Trümmern  stehen,  bis  die  Stadt  seine  Wiederher- 
stellung aus  eigenen  Mitteln  in  Angriff  nehmen  konnte.  Doch  waren 
wenigstens  schon  1659  aus  dem  beim  Brande  geschmolzenen  Glockengut 
zwei  Glocken  gegossen  worden,  deren  gross te  dieselbe  Inschrift  tragen 
sollte  wie  die  vom  Jahre  1605.  Allein  das  Konsistorium  rügte  den 
Satz  Satanam  fugo,  da  er  den  Schein  „des  päpstlichen  Aberglaubens" 
trüge.  Dazu  war  zwischen  dem  Rat  und  dem  Inspektor  ein  heftiger 
Streit  entbrannt  über  die  Forderung  des  Inspektors,  dass  auf  der  Glocke 
sein  Name  vor  denen  der  Ratsnütglieder  stehe.    Deshalb  wurde  von 


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134  I>r.  Paul  Schwarte- Friedenau. 

jeglicher  Inschrift  abgesehen,  und  ausser  der  Jahreszahl  schmückte  nur 
der  Name  des  Kurfürsten  die  Glocke.  Die  beiden  Glocken  hingen  bis 
1687  in  einem  Glockenhaus  auf  dem  Kirchhof. 

Dreissig  Jahre  vergehen  nach  dem  Frieden,  bis  die  Gemeinde  daran 
denken  kann,  die  Kirche  auszubauen  und  annähernd  in  früheren  Stand 
zu  setzen.*)  1680  sind  die  Bürger  eifrig  bemüht,  für  den  Ausbau  die 
von  der  Obrigkeit  geforderten  Mittel  aufzubringen.  Wer  Fuhrwerk  be- 
sitzt, fährt  Bauholz  und  Steine  heran;  nicht  vergebens  hat  der  Rat  die 
Bürgerschaft  ermahnt,  „zu  Gottes  Ehre  eine  Fuhre  zu  thun" ;  „sie  würde 
sich  zu  Gottes  Ehre  nicht  entbrechen",  hat  sie  durch  ihre  Vorsteher 
erwidern  lassen.  Die  andern  schicken  Knechte,  Mägde  und  Kinder,  um 
Handlangerdienste  zu  verrichten.  Den  Maurern  und  Zimraerleuten  wird 
eingeschärft,  „weil  es  ein  Bau,  der  Gottes  Ehre  anbelanget,  sich  fleissig 
und  getreu  bei  der  Arbeit  zu  erweisen  und  die  Zeit  nicht  vergebens  zu- 
zubringen". So  schreitet  bei  freudigem  Eifer  aller  Beteiligten  der  Bau 
rüstig  vorwärts.  Im  Innern  benutzt  man  die  Gelegenheit,  die  letzten 
Spuren  aus  der  katholischen  Zeit  zu  tilgen,  nämlich  „die  abenteuerlichen 
Figuren  und  Gesichter",  mit  denen  Wände  und  Gewölbe  bemalt  sind. 
Der  naive  Humor  des  Mittelalters,  der  sich  sogar  in  die  Gotteshäuser 
hineinwagte,  sagt  der  ernsten  Zeit  nicht  zu,  und  so  werden  seine  Gebilde 
durch  einen  weissen  Anstrich  den  Augen  der  Andächtigen  entzogen.  Die 
Fahnen,  Degen  und  Sporen  aber,  die  Bilder  und  Inschriften,  mit  denen 
Pfeiler  und  Wände  zum  Gedächtnis  der  in  der  Kirche  Beigesetzten  ge- 
schmückt sind,  lässt  man  an  ihrer  Stelle.  Eine  Orgel  ist  wohl  vor- 
handen, aber  sie  reicht  für  die  weiten  Hallen  nicht  aus;  es  ist  eine 
Hausorgel,  welche  die  Kirche  einem  Bürgermeister  abgekauft  hat.  Der 
Königsberger  Orgelbauer  erbietet  sich,  wenn  ihm  das  Material  geliefert 
wird,  für  400  Thlr.  eine  Orgel  zu  bauen.  Nun  wird  Geld  gesammelt, 
und  die  Kirehenvorsteher  gehen  von  Haus  zu  Haus,  um  Zinn  zu  erbitten, 
und  die  Hausfrauen  suchen  aus,  was  sie  von  dem  zinnernen  Hausgerät 
missen  können.  1684  ist  der  Orgelbau  schon  so  weit  vorgeschritten, 
dass  zum  Weihnachtsfest  ein  Stimmwerk  vorgetragen  werden  kaun.  Als 
1689  die  Orgel  vollendet  ist,  wird  die  alte  der  Klosterkirche  überwiesen, 
die  mit  dem  abgelegten  Schmuck  der  Marienkirche  ausgestattet  wird. 
Auch  der  Altar  fällt  der  neuen  Zeit  zum  Opfer,  da  er  „etwas  altvaterisch" 
erscheint.  Zwei  Jahre  nimmt  die  Arbeit  an  dem  neuen  in  Anspruch. 
Die  kleinen  Seitenkapellen  rings  herum  sind  einzelnen  Gewerken  über- 
lassen gewesen,  die  hier  in  der  katholischen  Zeit  ihre  eigenen  Altäre 
gehabt  hatten  und  jetzt  ihre  Begräbnisgerätschaften  aufbewahren,  Bahre, 
Leichentücher  und  Grabscheite.  Auch  leere  Särge  stehen  hier,  lebenden 
Personen  gehörig,  die  noch  bei  Lebzeiten  ihre  letzte  Lagerstatt  sich 
selbst  hergerichtet  haben.    Jetzt  werden  die  Kapellen  geräumt,  um  mit 

*)  Vgl.  Schriften  des  Vereins  für  Gesch.  der  Neuinark,  Heft  II,      80  ff. 


Kirchliches  Leben  in  einer  märkischen  StAdt  während  des  17.  Jahrhunderts.  135 

Sitzplätzen  versehen  oder  zu  Erbbegräbnissen  für  vornehme  Familien 
eingerichtet  zu  werden. 

Die  Kirchensitzo  sind  durch  einen  Gang  in  zwei  Teile  geteilt.  Auf 
der  einen  Seite  sitzen  die  Männer,  auf  der  andern  die  Frauen,  alle  in 
peinlicher  Ordnung  nach  dem  Rang,  der  jedem  und  jeder  gebührt.  Wenn 
einmal  unter  den  Männern  ein  Versehen  vorfällt,  so  lassen  es  die  Be- 
nachteiligten wohl  stillschweigend  geschehen;  die  Frauen  aber  dulden 
keine  Zurücksetzung.    Lange  vor  Beendigung  des  Ausbaus  richtet  die 
Bürgerschaft  an  den  Rat  die  besorgliche  Bitte:  „wann  nur  die  Frauens 
wieder  ihre  Stühle  in  der  Ordnung,  wie  sie  die  jetzo  besitzen,  wieder- 
erlangen und  nicht  ein  Streit  unter  den  Frauen  wegen  der  Obersitze 
entstünde".    Die  Besorgnisse  sind  nur  zu  sehr  gerechtfertigt,  und  Jahre 
lang  tobt  unter  den  Frauen  der  Kampf  um  die  Obersitze,  mit  Worten 
und  Werken.    Sie  schimpfeu  und  schlagen  sich,  sie  treten  einander  ab- 
sichtlich auf  Schürzen  und  Röcke,  sie  reissen  sich  die  Kleider  vom  Leibe 
und  die  Anne  aus  den  Gelenken.    Der  Rat  muss  oft  strafend  eingreifen. 
Da  führt  die  Frau  eines  Ratsherrn  zum  erstenmal  ihre  herangewachsene 
Tochter  mit  sich  in  die  Kirche;  sie  selbst  nimmt  den  ersten  Platz  auf 
der  Bank  ein,  ihre  Tochter  neben  ihr  den  zweiten.    Darob  gewaltige 
Entrüstung  auf  der  ganzen  Bank.    Du  Grünschnabel!   Du  Schlaraffen- 
gesichte!  muss  das  arme  Kind  sich  zuzischeln  lassen.    Solche- Frevle- 
riuneu  aber  werden  vom  Rat  in  den  Kahlwinkel  gesetzt,  einen  dunklen 
Verschlag  unter  der  Treppe  im  Rathaus,  der  „für  die  unnützen  Zänker 
bestimmt  ist,  sonderlich  die  Weibesbilder,  so  mit  der  waschhaft  ver- 
logenen Zungen  den  Nächsten  verunglimpfet4'.    Die  Frau  eines  andern 
Ratsherrn  will  von  ihrem  Platz  zum  Altar  treten,  um  das  Abendmahl 
zu  nehmen.    Als  sie  bei  der  Kannegiesscr  Kaseler  vorbeigeht,  wird  sie 
von  derselben  „frevelhafter  und  boshafter  Weise"  mit  der  Faust  in  das 
Kniegelenk  geschlagen,  dass  sie  zusammenbricht.    Die  Untersuchung  er- 
giebt,  dass  die  Kaseler  sich  hat  vom  Zorn  hinreissen  lassen,  weil  die 
Frau  Ratsherr  ihre  Schwiegertochter  mitgebracht  und  neben  sich  über 
den  andern  Frauen  hat  sitzen  lassen.    Sie  entschuldigt  sich  zwar,  es 
köune  ja  wohl  vorkommen,  dass  man  erzürnt  und  voll  Eifers  würde; 
jedoch  der  Rat  lässt  solche  Entschuldigung  nicht  gelten  und  verurteilt 
sie  zu  einer  Strafe  von  10  Thlrn.  oder  10  Tagen  Kahlwinkel.    Als  aber 
schliesslich  auch  die  Frauen  der  Ratsmitglieder  „sich  in  loco  sacro  an- 
fochten und  allerhand  tort  erwiesen",  da  wird  1732  vom  Kat  eine  Sitz- 
ordnung erlassen,   welche  alle  nur  möglichen  Streitfälle  zu  schlichten 
bestimmt  ist.    Für  „konditionierte  Frauen",  das  sind  die  Frauen  der 
Rathsherren  und  Geistlichen,  werden  geschlossene  und  vergitterte  Sitze 
längs  der  Wände  errichtet.    Frauen,  deren  Männer  ein  Ehrenamt  be- 
kleiden (als  Kirchenvorsteher,  Gerichtsbeisitzer,  Stadthauptleute,  Bürger- 
deputierte), sitzen  unter  einander,  nach  dem  Rang  ihrer  Männer.  Kommen 


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Dr.  Paul  Schwarte  Friedenau. 


sie  mit  gewöhnlichen  Bürgerfrauen  zusammen  auf  eine  Bank  zu  sitzen, 
so  haben  sie  vor  diesen  den  Obersitz.  Die  Bürgerfrauen  ordnen  sich 
nach  der  Zeit,  in  der  sie  in  den  Ehestand  getreten  sind;  die  sich  zuerst 
verheiratet  hat,  erhält  den  ersten  Platz.  Die  Jungfrauen  sitzen  unter 
den  verheirateten  Frauen,  doch  so,  dass  die  „aus  einem  Ehrenstande" 
den  Obersitz  vor  den  gewöhnlichen  Bürgerfrauen  haben.  Den  Dienst- 
mädchen werden  die  Plätze  in  den  Gängen  angewiesen.  Dieselbe  Ord- 
nung gilt  auch  für  Begräbnisse,  bei  denen  die  Frauen  im  Leichengefolge 
mitgehen. 

Der  Gottesdienst  ist  viel  ausgedehnter  als  heute.  An  den  hohen 
Festtagen  und  den  Sonntagen  werden  drei  Predigten  gehalten :  die  Früh- 
predigt um  7,  die  Hoch-  oder  Rechtpredigt  um  9  und  die  Vesperpredigt 
um  2  Uhr.  Auch  an  jedem  Dienstag,  Mittwoch  und  Freitag  wird  ge- 
predigt; die  Freitagpredigten  stehen  den  Landpredigern  der  Königsberger 
Inspektion  zu,  die  der  Reihe  nach  sich  hören  lassen  müssen.  An  den 
übrigen  Wochentagen  werden  früh  um  6  oder  7  Uhr  Betstunden  veran- 
staltet. In  der  Fastenzeit  wird  täglich  gepredigt,  ausser  am  Sonnabend; 
dann  findet  Katechismusprüfung  und  Vorbereitung  zur  Beichte  statt, 
indem  der  Geistliche  die  Anwesenden  prüft,  ob  sie  auch  die  Stücke  des 
Katechismus,  sowie  die  Haupt-  und  Kernsprüche  aus  der  Bibel  im  Ge- 
dächtnis haben.  Ausser  den  bestimmten  Predigten  werden  noch  welche 
zu  besondern  Gelegenheiten  gehalten.  Da  werden  Buss-  und  Bettage 
angesetzt  zur  Abwendung  der  Türkengefahr,  in  gefährlichen  Kriegs- 
lasten, gegen  die  Heuschrecken,  gegen  die  Pest;  sind  die  Gefahren 
glücklich  beseitigt,  so  werden  Dankfeste  gefeiert.  An  solchen  besondern 
Bettagen  hat  die  Gemeinde  wirklich  eine  angestrengte  Thätigkeit  im 
Singen,  Beten  und  Anhören  von  Predigten  zu  entfalten.  So  wird  von 
einem  Bettag  bei  Pestgefahr  berichtet,  dass  der  Gottesdienst  ununter- 
brochen von  8  Uhr  morgens  bis  3  Uhr  nachmittags  gedauert  hat.  Der 
Gottesdienst  nimmt  darum  viel  längere  Zeit  in  Anspruch  als  heut,  weil 
die  Gemeinde  aktiver,  möchte  man  sagen,  an  demselben  beteiligt  war. 
Zunächst  durch  den  Gesang.  Zur  Vorbereitung  auf  die  Predigt  und 
nach  ihrer  Beendigung  werden  mehrere  Lieder  gesungen.  Die  neu- 
märkische Kirchenordnung  von  1736  schränkt  die  Zahl  der  Lieder  ein, 
weil  sie  von  den  Unwissenden  „doch  nur  ohne  Verstand  und  Erbauung" 
gesungen  würden,  und  gestattet  für  die  Früh-  und  Vesperpredigt  nur 
drei,  für  die  Hochpredigt  vier.  Ausser  dem  Gesangbuch  hat  jeder  Kirch- 
gänger die  Bibel  mitzubringen,  um  sofort  die  Sprüche  und  Bibelstellen 
aufzuschlagen  und  nachzulesen,  mit  denen  der  Geistliche  seine  Predigt 
würzt;  deshalb  wird  auch  in  der  Schule  das  Bibelaufschlagen  so  eifrig 
geübt.  Nach  der  Vespergredigt  soll  die  Gemeinde  noch  beisammen 
bleiben,  um  einem  Examen  über  die  eben  gehörte  Predigt  beizuwohnen, 
welches  der  Geistliche  anfangs  mit  der  ganzen  Gemeinde,  in  späteren 


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Kirchliches  Leben  in  einer  märkischen  Stadt  während  des  17.  Jahrhunderts.  J37 

Jahren  mit  Rindern,  Knechten,  Mägden  und  Almosenempfängern  anstellt. 
Durch  die  Kirchenordnang  von  1736  wird  die  Prüfung  auf  die  Kinder 
beschränkt;  die  älteren  Leute  soll  man  nur  „mit  Liebe  und  Sanftmut 
dahin  zu  disponieren  suchen,  dass  sie  sich  auch  öffentlich  mitzuantworten 
nicht  entziehen  mögen".  Der  Notarius  Rohde,  eine  bei  dem  Rat  wenig 
beliebte  Persönlichkeit,  weil  er  das  Walten  der  rathäuslichen  Gerechtig- 
keit durch  seine  Advokatenkniffe  stark  erschwert,  hat  sich  einer  solchen 
Prüfung  entzogen.  Der  Inspektor  verklagt  ihn  deshalb  bei  dem  Rat, 
der  ihn  vorfordert  und  in  Gegenwart  des  Klägers  ermahnt,  sich  nicht 
wieder  vor  beendeter  Prüfung  zu  entfernen.  „Herr  Rohde",  so  berichtet 
das  Protokoll,  „gehet  hierauf  aus  der  Thüre,  wirft  die  Nase  in  der  Höhe 
und  fönget  darüber  ganz  höhnisch  an  zu  lachen,  sagende:  ha,  ha,  ha!" 
Der  Rat  lässt  ihn  sofort  durch  den  Diener  zurückholen  und  einige 
Stunden  in  den  bürgerlichen  Gehorsam  setzen. 

Bei  so  ausgedehnter  Amtstätigkeit  —  auch  ein  benachbartes  Dorf 
muss  noch  mitbesorgt  werden  —  haben  die  Geistlichen  eine  angestrengte, 
aufreibende  Arbeit,  wenn  sich  auch  ihrer  drei  in  dieselbe  teilen:  der 
Inspektor,  der  Archidiakonus  und  der  Diakonus.  Doch  haben  sie  vom 
1.  Juli  bis  zum  1.  September  Hundtagsferien,  während  deren  sie  nur 
den  Sonntagsgottesdienst  abzuwarten  und  die  nötigen  kirchlichen  Hand- 
lungen vorzunehmen  brauchen;  es  ist  dies  die  Erntezeit,  in  der  über- 
haupt nur  ein  schwacher  Kirchenbesuch  zu  erwarten  gewesen  wäre. 
Nach  dem  dreissigjährigen  Kriege  blieb  die  Stelle  des  Diakonus  aus 
Mangel  an  Mitteln  unbesetzt;  1684  aber  wird  auf  den  Wunsch  der  Bürger- 
schaft wieder  ein  Diakonus  berufen,  der  auch  als  Rektor  die  Stadtschule 
leitet.  Die  Stelle  des  Inspektors  vergiebt  der  Landesherr.  Anfangs  wird 
bei  der  Besetzung  auf  Wünsche  des  Rats  und  der  Gemeinde  Rücksicht 
genommen,  aber  bei  Friedrich  Wilhelm  I.  linden  sie  nicht  mehr  Gehör. 
Er  schickt  einen  seiner  Feldprediger,  und  damit  ist  die  Sache  erledigt. 
Soll  ein  Archidiakonus  oder  ein  Diakonus  gewählt  werden,  so  wird  der 
Inspektor  ersucht,  „dass  er  es  wolle  anordnen,  dass  zu  dem  höchsten 
Gott  ein  andächtiges  Gebet  in  öffentlicher  Kirchenversammlung  möge 
gethan  und  er  um  Zusendung  eines  tüchtigen  und  der  Kirche  anständ- 
lichen  Subjecti,  durch  den  sein  heiliges  Wort  lauter,  rein  und  erbaulich 
möge  gelehret  werden,  herzlich  angeflehet  werden.  Nun  laufen  die  Be- 
werbungen ein,  darunter  manche  wohl  begründete  wie  die  folgende: 
„Dass  man  gar  wohl,  ohne  Verletzung  des  Gewissens,  um  ein  Predigamt 
anhalten  könne,  dessen  bin  ich  überzeuget  a)  aus  der  Beteuerung  Pauli: 
das  ist  je  gewisslich  wahr,  so  jemand  ein  Bischofsamt  begehret,  der 
begehret  ein  köstlicli  Werk,  1.  Timoth.  3,  1;  b)  aus  denen  Gleichnissen, 
hergenommen  von  jenen  treuen  Knechten,  die  ihre  von  ihrem  Herrn 
empfangenen  Talente  nicht  vergraben  und  also  vermodern  und  verrusten 
lassen,  sondern  damit  gewuchert  haben,  Matth.  25,  14;  c)  aus  dem 


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138 


Dr.  Paul  Schwartz-Friedenau. 


Excmpel  Jesaiä,  welcher,  als  er  hörete,  dass  man  eines  treuen  Predigers 
benötiget,  selber  kam,  sich  anböte  und  zum  Herrn  sprach:  Hie  bin  ich, 
sende  mich,  .Tes.  6;  d)  wenn  nur  die  in  der  H.  Schrift  verbotenen  und 
verdammten  viae  obliquae  vermieden  werden,  der  Hauptzweck  aber 
Gottes  Ehre  und  der  Gemeine  Erbauung  ist."  Die  Bewerbung  schliesst 
mit  den  Worten :  „Der  Herr  aber  zeige,  wen  er  erwählet  hat.  Will  der 
alleinweise  Gott  mich  senden  und  reflektiert  ein  Hochedler  Magistrat 
auf  meine  Person,  siehe,  hie  bin  ich !"  Nachdem  die  Bewerber  ihre  Probe- 
predigten gehalten  haben,  wird  die  Gemeinde  um  ihr  Urteil  befragt,  und 
danach  schreitet  der  Hat  zur  Wahl.  Die  Stimmen  werden,  wenn  nicht 
eine  einmütige  Wahl  vorauszusehen  ist,  schriftlich  abgegeben;  oft  werden 
sie  mit  einem  Bibelspruch  oder  einer  eingehenden  Begründung  begleitet. 
Bei  der  Anstellung  der  Geistlichen  gerät  der  Rat  seit  1733  in  Abhängig- 
keit; da  befiehlt  der  König,  dass  über  die  Anzustellenden  zuvor  das 
Urteil  der  Berliner  Pröbste  Rolofl'  und  Reitibeck  einzuholen  sei.  Übrigens 
hat  das  Konsistorium  jede  Wahl  zu  bestätigen. 

Bei  der  Einführung  eines  neuen  Geistlichen  bringen  ihm  die  Kirch- 
gänger „mit  christlichem  Gemüte  nach  Vermögen"  ein  Opfer.  An  den 
Gottesdienst  schliesst  sich  im  Hause  eines  der  Herren  vom  Rat,  der  die 
Ausrichtung  übernommen  hat,  ein  Gastmahl,  zu  dem  die  Geistlichkeit, 
der  Rat,  die  Gerichtspersonen  und  die  Kirchenvorsteher  geladen  werden. 
Die  Kosten  trägt  zu  einem  Drittel  die  Stadtkasse,  zu  zwei  Dritteln  die 
Kirche.  Nicht  verächtlich  ist,  was  bei  solcher  Gelegenheit  von  den 
städtischen  und  kirchlichen  Würdenträgern  geleistet  wird.  Wir  teilen 
mit,  was  einmal  bei  der  Einführung  eines  Diakonus  draufgegangen  ist. 
GO  Thlr.  sind  für  das  Mahl  bewilligt,  an  dem  30  Personen  teilnehmen. 
Für  die  Speisen  sind  30  Thlr.  angesetzt.  Der  vom  Oberbürgermeister 
entworfene  Speisezettel  lautet: 

Die  Gerichte  werden  doppelt  und  auf  30  Personen  eingerichtet. 

Erster  Gang. 

1.  Eine  potage  und  zwar  in  einer  Schüssel  4  Hühner  und  in  der  zweiten 
eine  Hammelkeule. 

2.  Zwei  Schüsseln  Sauerkohl  mit  Wurst. 

3.  Zwei  gute  Schinken  und  ein  Paar  geräucherte  Ochsenzungen. 

4.  Zwei  Pasteton  von  Hirschfleisch. 

5.  Zwei  Schüsseln  Salzfische,  wobei  Salat. 

6.  Zwei  Schüsseln  Rindfleisch  mit  grossen  Rosinen  und  Meerrettig. 

Zweiter  Gang. 

1.  Zwei  Hirschbraten. 

2.  Zwei  Hasenbraten. 

3.  Eine  Schüssel  mit  K  rammeis  vögeln,  so  nachgebracht  wird. 

4.  Zwei  Putliahnen. 


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Kirchliches  Leben  in  einer  märkischen  Stadt  während  des  17.  Jahrhunderts.  139 

5.  Ein  Paar  Capaunen. 

6.  Ein  Paar  Gänsebraten. 

Dritter  Gang. 

1.  Zwei  Bisquitknchen. 

2.  Zwei  Napfkuchen. 

3.  Zwei  Apfeltorten. 

4.  Zwei  Citronattorten. 

5.  Zwei  Schüsseln  mit  Äpfeln. 

6.  Zwei  Schüsseln  mit  Birnen. 

Eine  Schüssel  mit  Pflaumen  und  eine  mit  Walnüssen  wird  nach- 
gebracht, nebst  Butter  und  Käse. 

Für  60  Quart  französischen  und  15  Quart  Rheinwein,  die  aus 
Stettin  verschrieben  werden,  sind  22  Thlr.  in  Rechnung  gesetzt;  für  die 
noch  übrigen  8  Thlr.  wird  eine  Tonne  Schönfliesser  Weissbier,  eine  Tonne 
Königsberger  Braunbier,  nebst  Pfeifen  und  Tabak  beschafft. 

Dem  Geistlichen  steht  es  anfangs  frei,  seine  Predigten  so  kurz  oder 
so  lang  einzurichten,  wie  ihm  beliebt.  Doch  werden  häufig  dem  Rat 
Klagen  aus  der  Gemeinde  über  zu  lange  Predigten  vorgetragen ,  bei 
denen  einem  alle  Andacht  vergehe.  So  erweist  sich  denn  Friedrich 
Wilhelms  I.  Befehl  von  1714  als  eine  Wohlthat:  die  Predigten  sollten 
nicht  länger  als  eine  Stunde  dauern;  wer  die  Zeit  überschritt,  sollte 
2  Thlr.  Strafe  zahlen.  Damit  deshalb  der  Geistliche  weiss,  über  wie 
viel  Zeit  er  zu  verfügen  hat,  steht  auf  der  Kanzel  eine  Sanduhr,  die  er 
beim  Beginn  der  Predigt  umdreht.  Die  Aufmerksamkeit  der  Zuhörer 
wird  durch  den  Kirchenwecker  überwacht,  der  auch  Hundepeitscher 
oder  Mägdewecker  heisst.  Er  geht  mit  einem  langen  Stecken  umher 
and  mahnt  die  Schläfer  daran,  dass  die  Kirche  keine  Sehlafkammer  ist. 
Namentlich  während  der  Vesperpredigt  hat  er  viel  zu  thitn.  Die  Aus- 
übung seines  Amtes  schafft  ihm  häufig  Gelegenheit,  die  Andächtigen 
zum  Lachen  zu  bringen.  1708  wird  auf  Antrag  des  Inspektors  der 
Kirchenwecker  abgesetzt,  „weil  er  bei  der  Aufweckung  der  Leute  viele 
Insoleutien  und  Affekte  verübet  hat."  Für  seine  Mühewaltung  bezieht 
er  jährlich  2  Thlr.  15  Gr.  und  2  Scheffel  Roggen. 

Die  Predigten  knüpfen  häufig  an  Vorfälle  in  der  Gemeinde,  in  einer 
Familie,  an  bestimmte  Personen  an;  oft  in  einer  Weise,  dass  die  Betroffenen 
sich  „wegen  des  Anstechens"  von  der  Kanzel  herab  beim  Konsistorium 
beschweren.  Will  der  Geistliche  in  einer  Predigt  ausschliesslich  von 
einem  besondern  Vorfall  oder  einer  Person  sprechen,  so  muss  er  beim 
Konsistorium  tun  Erlaubnis  dazu  nachsuchen.  Vor  versammelter  Gemeinde 
erteilen  die  Geistlichen  ihre  Rügen;  auch  der  Rat  wird  nicht  verschont 
und  muss  „stachlicbte  Predigten"  über  sich  ergehen  lassen.  Da  predigt 
ein  Diakonus  über  den  Mangel  an  frommer  Gesinnung  in  der  Stadt  und 
„stichelt"  dabei  auf  die  leeren  Ratsstühle.    Dafür  fordert  ihn  der  Rat 


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140 


Dr.  Paul  iSchwartz  Friedenau. 


vor  sich  und  giebt  ihm  zu  verstehen,  dass  er  nicht  nötig  habe,  bei  dem 
Diakonus  sich  Urlaub  zu  erbitten.  Ein  anderer  spricht  über  das  laster- 
hafte Treiben  in  der  Stadt  und  wird  dabei  so  deutlich,  dass  sich  aller 
Augen  auf  zwei  Itatsherren  richten,  die  voll  Ingrimms  die  Predigt  über 
sich  ergehen  lassen  müssen.  Wegen  seiner  „anzüglichen  Formalien" 
wird  er  vor  den  Rat  zur  Verantwortung  gezogen.  Er  erklärt:  „seine 
Rede  wäre  generale  gewesen,  und  hätte  er  die  Laster  im  allgemeinen 
gestrafet;  wenn  es  sich  aber  jemand  anzöge,  so  müsste  ers  geschehen 
lassen;  er  könnte  nicht  sagen,  dass  er  diesen  oder  jenen  gemeinet,  zu- 
malen  er  mit  seiner  Predigt  auf  alle  diejenigen,  so  in  den  Lastern  er- 
soffen wären,  gezielet."  Die  Diakonatshäuser  bedürfen  dringend  der 
Ausbesserung,  aber  der  Rat  hält  die  Bewohner  lange  mit  leeren  Ver- 
heissungen  hin.  Da  macht  der  Diakonus  seinem  Verdruss  gegen  den 
Rat  in  einer  Predigt  Luft,  und  zwar  auf  eine  Weise,  „dass  ein  gross 
Gelächter  unter  der  Gemeinde  entstanden,  hat  auch  endlich  zu  seinen 
weitläufigen  verdrießlichen  Reden  allerhand  Fluchen  und  Vermaledeiung 
gethan,"  wenn  der  Rat  nicht  bald  zu  dem  Ausbau  Anstalt  treffen  würde. 
Sind  die  Beleidigungen  besonders  schwere,  so  wenden  sich  die  Beleidigten 
mit  einer  Beschwerde  an  das  Konsistorium.  Dieses  beruft  nun  Kläger 
und  Beklagte  zum  Verhör  nach  Küstrin  oder  sendet  eine  Kommission 
zur  Untersuchung. 

Nach  der  Predigt  macht  der  Geistliche  noch  verschiedene  Mitteilungen. 
Was  heut  von  den  Behörden  durch  die  Zeitungen  bekannt  gemacht  wird, 
das  wird  damals  der  Bürgerschaft  von  der  Kanzel  herab  mitgeteilt. 
Zwar  wird  wiederholt  von  der  Regierung  verboten,  von  der  Kanzel  „alle 
und  jede  das  Polizeiwesen  und  andere  Profansachen  concernierende  Edicta, 
Man  data  und  Verordnungen  abzulesen";  aber  bei  dem  damals  so  regen 
Kirchenbesuch  war  die  Verkündigung  von  der  Kanzel  sicher  das  be- 
währteste Mittel,  au  die  Bürgerschaft  eine  Bekanntmachung  gelangen  zu 
lassen,  deren  Mitteilung  keinen  Aufschub  bis  zur  nächsten  Bürgersprache 
auf  «lein  Rathaus  duldete.  So  erhält  sich  auch  in  Königsberg  die  Ge- 
wohnheit, und  noch  1729  schickt  der  Rat  dem  Inspektor  einen  Zettel 
zum  Verlesen,  des  Inhalts,  „dass  niemand  sich  solle  gelüsten  lassen, 
Schoten  vom  Felde  zu  holen". 

Der  Kirchenbesuch  ist  ein  recht  reger,  und  der  Eifer  der  Gemeinde- 
mitglieder wird  auch  von  den  Geistlichen  überwacht,  namentlich  ihre 
Teilnahme  am  Abendmahl.  Ist  jemand  seit  längerer  Zeit  nicht  zum 
Tisch  des  Herrn  getreten,  so  wird  er  an  seine  Pflicht  gemahnt.  Die 
Zünfte  überwachen  selbst  ihre  Mitglieder  in  dieser  Beziehung  und  be- 
drohen mit  Entziehung  der  Rechte  oder  Ausschliessung  den,  welcher 
seine  kirchlichen  Pflichten  vernachlässigt.  Übrigens  hat  jeder  Bürger 
in  langem  schwarzen  Mantel  in  der  Kirche  gleichwie  im  Rathaus  zu 
erscheinen;  wer  gegen  diese  Vorschrift  verstösst,  hat  einen  Groschen 


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Kirchliches  Leben  in  einer  märkischen  Stadt  wahrend  des  17.  Jahrhunderts.  141 


Strafe  zu  zahlen,  „damit  er  sich  künftig  besser  nach  dieser  zur  Ehrbarkeit 
zielenden  Anordnung  reguliere". 

Stets  und  überall  wird  dem  Bürger  seine  Zugehörigkeit  zur  christ- 
lichen Gemeinschaft  zum  Bewusstsein  gebracht,  auch  in  Angelegenheiten, 
die  zur  Kirche  nicht  in  unmittelbarer  Beziehung  stehen.  Die  Neue 
General-Polizei-Ordnung  von  1661  beschäftigt  sich  gleich  im  ersten  Ab- 
schnitt mit  der  Gottesfurcht  und  der  Heiligung  der  Sonn-  und  Festtage. 
Es  soll  Hand-,  Feld-  und  Gartenarbeit  ruhen  und  kein  Fuhrwerk  benutzt 
werden;  die  Stadtthore  werden  bis  4  Uhr  Nachmittag  geschlossen  gehalten, 
die  Kaufläden  den  ganzen  Tag,  die  Bierhäuser  während  der  Predigt  und 
von  9  Uhr  abends  ab.  Wer  während  der  Predigt  spazieren  geht,  tanzt, 
bosselt  (d.  h.  Kegel  schiebt),  wird  mit  Gefängnis  oder  einer  „tapfern 
Geldstrafe"  belegt.  Gastmähler  müssen  spätestens  um  10  Uhr  „unter 
vernünftigem  und  ehrbarlichem  Gespräch"  beendet  sein.  Von  Gottes- 
lästerung, Fluchen  und  Schwören  handelt  der  5.  Abschnitt.  Wer  solche 
Sünden  begeht,  erhält  zunächst  eine  Strafandrohung  durch  den  Geist- 
lichen oder  die  Obrigkeit,  Fruchtet  sie  nicht,  so  tritt  Gefängnisstrafe 
ein,  sodann  eine  empfindliche  Geldstrafe  oder  der  Pranger  und  endlich 
die  Leibesstrafe.  Der  9.  Abschnitt  weist  die  Geistlichen  an,  gegen  die 
Völlerei  zu  predigen. 

Steht  der  Bürger  als  Zeuge  vor  Gericht,  so  werden  ihm  ausser 
den  allgemeinen  Fragen  über  seine  Person  auch  noch  andere  vorgelegt, 
die  seinen  Glauben  angehen:  ober  sich  gern  zum  Gehör  göttlichen  Wortes 
und  zum  heiligen  Abendmahl  halte;  wann  er  sich  zum  letzten  Mal  dazu 
eingefunden  habe;  auf  wen  er  seiner  Seele  Heil  und  Seligkeit  setze;  ob 
er  das  achte  Gebot  verstehe  und  dessen  Inhalt  sagen  könne;  ob  er 
auch  wisse,  was  ein  Eid  und  falsches  Zeugnis  auf  sich  habe.  Der  Rat 
führt  die  Aufsicht  über  die  Sitten  der  Bürgerschaft  wie  ein  Hausvater 
über  die  Familie.  Wollen  aber  seine  Zuchtmittel,  die  weltlichen  Strafen, 
nicht  mehr  verfangen,  so  wendet  er  sich  um  Beistand  an  den  Geistlichen; 
wenn  auch  dessen  gütliches  Zureden  nicht  fruchtet,  so  wird  als  höchste 
Strafe  die  Kirchenbusse  verhängt.  Natürlich  handelt  es  sich  hierbei 
nicht  um  Verbrechen,  die  nach  der  peinlichen  Gerichtsordnung  abzu- 
urteilen sind,  wie  Diebstahl,  Mord  u.  dgl.,  sondern  teils  um  leichtere 
Vergehen,  «Iis  heut  unter  den  Paragraphen  vom  groben  Unfug  fallen, 
teils  um  Verstösse  gegen  das  Gebot  der  Sittlichkeit,  die  durch  das 
Strafgesetz  keine  Sühne  finden  würden.  Die  Kirchenbusse  verläuft  nun 
so.  An  dein  für  die  Busse  bestimmten  Sonntage  begiebt  sich  der  Sünder 
vor  dem  Gottesdienst  zum  Geistlichen,  um  an  seiner  Seite  zur  Kirche 
zu  gehen.  Hier  erhält  er  einen  Platz  angewiesen,  auf  dem  er  von  der 
ganzen  Gemeinde  gesehen  werden  kann.  Nach  beendigter  Predigt  lässt 
er  sich  auf  die  Knie  nieder  und  erwartet  die  Fragen  des  Geistlichen,  die 
er  „mit  geziemender  Sittsamkeit  und  Niedergeschlagenheit4*  zu  beantworten 


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142 


Dr.  Paul  Schwartz-Friedenau. 


hat.  Der  Geistliche  stellt  nun  der  Gemeinde  den  Sünder  vor  und 
erwähnt  sein  Vergehen.  Darauf  fragt  er  ihn,  ob  er  seine  Sünden  be- 
daure  und  sich  künftig  eines  besseren  Lebenswandels  befleissigen  wolle. 
Hat  der  Sünder  die  Fragen  reumütig  bejaht,  so  wird  er  losgesprochen. 

Wie  die  Kirche  eine  Stätte  ist,  an  der  sich  ein  reges  Leben  der 
Gemeinde  entfaltet,  so  ist  sie  auch  der  Mittelpunkt  für  die  stille  Gemeinde 
der  Toten,  die  sich  um  sie  schart,  um  in  der  Nähe  des  teueren  Gottes- 
hauses die  ewige  Ruhe  zu  finden.  Um  die  Kirche  breitet  sich  der 
Friedhof  aus.  Wer  sich  als  schlechter  Christ  bewährt  hat,  wer  das 
Gotteshaus  gemieden  hat,  dem  wird  auch  nicht  der  Friedhof  aufgethan; 
ausserhalb  desselben  dicht  an  der  Mauer  wird  ihm  sein  Grab  bereitet. 
Kein  Glockengrnss  geleitet  ihn  auf  seinem  letzten  Wege,  ohne  Sang  und 
Klang  wird  er  eingescharrt,  wie  der  arme  Sünder  draussen  vor  dem  Thor  am 
Galgenberg.  Doch  sind  es  nur  wenige  Gräber,  die  da  draussen  an  der 
Kirchhofsmauer  schmucklos  verfallen.  Auch  die  Kirche  selbst  nimmt 
die  Toten  auf.  Die  Geistlichen,  die  Herren  des  Rats,  vornehme  Bürgers- 
leute und  ihre  Angehörigen  finden  hier  ihre  letzte  Ruhestatt,  beneidet 
von  den  Armen,  die  sich  einmal  mit  einem  Plätzcheu  draussen  bescheiden 
müssen;  denn  ein  Begräbnis  in  der  Kirche  kostet  20  Thaler.  In  den 
Erbbegräbnissen,  im  Kellergewölbe  reiht  sich  Sarg  an  Sarg. 

So  haben  sie  gestanden  bis  vor  10  Jahren.  Da  wurde  die  Ruhe 
der  Toten  gestört,  als  die  Kirche  ausgebaut  und  mit  Heizungsanlagen 
versehen  wurde.  Die  Gebeine  wurden  gesammelt  und  in  eine  gemein- 
same Gruft  gelegt.  Auch  der  Friedhof  ist  seit  einem  Jahrhundert  ver- 
schwunden. Kein  Stein,  kein  Kreuz  erinnert  daran,  dass  hier  unter 
dem  Pflaster  und  den  Blumenbeeten  sich  Tausende  zum  ewigen  Schlaf 
gebettet  haben. 


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Vom  Sagensammeln. 

Von  Wilhelm  Schwartz. 
Erinnerungen  aus  meinen  Wanderungen  in  den  Jahren  1837—1849. 

(Ein  Vortrag  in  der  Sitzung  des  hies.  Vereins  für  Volkskunde  aui  2ß.  Januar  1894  gehalten.) 


Die  Aufforderung,  welche  mir  von  unserm  hochverehrten  Vorsitzen- 
den*) geworden,  um  heutigen  Tage  aus  meiner  laterua  magica,  wie 
derselbe  sich  ausdrückt,  wieder  einige  Schlaglichter  auf  das  Volkstum  zu 
werfen**),  hat  mich  angeregt,  einige  Bilder  Ihnen  vorzuführen  aus  meinen 
volkstümlichen  Studien,  namentlich  aus  den  Jahren  1837/49,  wo  ich  mit 
Kuhn  anüng,  die  Marken  und  überhaupt  Norddeutschland,  so  oft  die  Zeit 
es  irgend  gestattete,  zu  durchwandern,  um  die  Sagen,  besonders  die 
mythischen  Traditionen  und  die  Gebräuche,  die  sich  in  diesen  Land- 
strichen noch  erhalten  hatten,  zu  sammeln. 

Wenn  ich,  so  viel  als  möglich,  Thatsachen  sprechen  lassen  werde, 
um  Ihnen  ein  anschauliches  Bild  von  dem  Verkehr  mit  dem  Volke  auf 
jenen  Wanderungen  und  den  Erfahrungen,  die  wir  dabei  gemacht,  zu 
geben,  so  muss  ich  um  freundliche  Nachsicht  bitten,  wenn  persönliche 
Beziehungen  z.  T.  dabei  nicht  bloss  berührt,  sondern  auch  gelegentlich 
ausführlicher  geschildert  werden ;  sie  gehören  eben  dazu,  den  Hintergrund 
des  Bildes  zu  zeichnen  und  dasselbe  zu  vervollständigen. 

Ich  muss  gleich  mit  einer  solchen  anfaugen. 

Es  war  Ende  der  30er  Jahre  ein  höchst  angeregtes  Leben  auf  dem 
Gebiet  der  philologisch- historischen  Wissenschaften,  namentlich  hier  in 
Berlin.  Wie  in  den  neusten  Zeiten  Schliemanns  und  seiner  Nachfolger 
Entdeckungen  auf  mehr  archäologischem  Gebiet  blitzartig  den  Horizont 

■ 

•)  Geheimrat  rrof.  Dr.  Weinhold. 

••)  Es  bezieht  sich  dieser  Ausdruck  auf  die  vom  Verf.  in  dem  I.,  II.  und  III.  Bande 
der  Zeitschrift  für  Volkskunde  veröffentlichten  vier  Aufsätze  mit  dein  Titel  „Volks- 
tümliche Schlaglichter". 


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144 


Vom  Sagensainmeln. 


der  Studien  des  Altertums  weiteten,  so  war  es  damals  das  Sanskrit  und 
die  Germanistik,  welche  die  Geister  fortrissen  und  der  Wissenschaft 
eine  neue  Welt  zu  eröffnen  und  die  klassischen  Studien  mehr  in  den 
Hintergrund  zu  drangen  schienen.  Bopp  und  dann  J.  Grimm  waren  gleich- 
sam die  Sonnen,  um  die  sich  Alles  drehte.  Ich  wurde  in  diesen  Zauberkreis 
durch  Kuhn  hineingezogen,  der  damals  meiner  Familie  näher  trat  und 
mich,  seinen  zukünftigen  Schwager,  für  die  neuen  Wissenschaften  gewann, 
während  er  selbst  an  seine  Doktor -Dissertation  de  conjugatione  in  —  /ut 
dachte.  Obwohl  ich  eben  erst  in  die  Prima  des  Grauen  Klosters  hier- 
selbst  eingetreten  war,  fing  ich  an  mit  Gustav  Freytag,  der  noch  hier 
in  den  letzten  Semestern  studierte  und  mit  Kuhn  befreundet  war,  sowie 
mit  einem  jüdischen  Studenten,  —  dem  Freytag  dann  ein  Ehren -Denkmal 
in  seinem  „Soll  und  Haben"  gesetzt  hat  —  bei  Kuhn  Sanskrit  zu  treiben, 
wie  dieser  mich  auch  in  Grimms  Mythologie  einführte,  die  erst  kürzlich 
erschienen  war.  Freudig  folgte  ich  auch  seiner  Aufforderung,  mit  ihm 
in  Grimms  Sinne  die  ländlichen  Traditionen  der  Mark  zu  sammeln. 
In  den  Ferien,  ja  Sonnabends  und  Sonntags,  so  oft  es  möglich  war  und 
die  Jahreszeit  es  gestattete,  wanderten  wir  hinaus  in  das  Land. 

In  Stralow  (wo  damals  noch,  wie  der  Berliner  sagte,  der  Eier- 
kuchen nur  auf  einer  Seite  gebacken  wurde,  es  hatte  nur  eine  Reihe 
Häuser)  beim  Schulzen  Kracht,  einem  ächten  Märker  von  klarem  Kopf 
und  trocknein  Humor,  von  dem  sich  manche  Anekdoten  erzählen  Hessen, 
machten  wir  unsere  ersten  volkstümlichen  Studien.  Knüpften  sich  doch 
auch  allerhand  Gebräuche,  ja  auch  Sagen  an  den  sogen.  Stralauer  Fisch- 
zug, (den  Eröffnungstag  des  Fischfangs,)  der  damals  noch  im  lebendigen 
Volksleben  stand.  An  Stralau  reihte  sich  bald  weiter  im  Osten  Köpnick  und 
Rahnsdorf  sowie  die  Umgegend  der  Müggelsberge  mit  ihrem  Sagenkranze, 
auf  der  anderen  westlichen  Seite  Berlins  dann  Pichelsdorf  mit  dem 
Schildhorn.  Es  hatte  einen  besonderen  Reiz,  so  dicht  vor  den  Thoren 
Berlins  mit  dem  Sagensammeln  anzufangen.  Freilich  sah  es  damals  noch 
anders  vor  denselben  aus  als  jetzt.  In  Pichelsdorf  gab  es  damals  nur  Stroh- 
dächer, und  der  Rauch  kam  unter  denselben  hervor;  von  Schornsteinen 
war  noch  keine  Rede.  Und  am  Teufelssee  bei  den  Müggelsbergen,  wo 
jetzt  eine  Restauration  ist  und  der  Berliner  Kellner  waltet,  war  noch 
ein  dichter  Urwald  alter  Eichen,  und  an  dem  Wege,  der  sich  im  Dunkel 
derselben  an  dem  See  hinzog,  sollte  es  vor  allem  nicht  recht  richtig  sein, 
wie  uns  auch  ein  Rahusdorfer  Bauer,  mit  dem  wir  von  der  Prinzessin 
plauderten,  deren  Schloss  dort  untergegangen  sein  sollte,  allen  Ernstes 
versicherte,  dass,  als  er  einmal  in  der  Johannisnacht  zu  Wagen  da  vorbei- 
gekommen, er  Mühe  gehabt  hätte,  die  Pferde  zu  halten.  Er  selbst  sei 
auch  betroffen  geworden,  als  er  an  dem  grossen  Stein  beim  Teufelssee, 
wo  das  Schloss  der  Prinzessin  einst  versunken  sein  sollte,  leibhaftig 
eine  weisse  Gestalt  im  Mondenschein  hätte  sitzen  seilen. 


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Vom  Sagensamineln. 


145 


So  wurden  wir  allmählig  mit  dem  Volke  vertrauter,  leniteu  es, 
ein  Gespräch  mit  den  Leuten  anzuknüpfen,  das  sie  schliesslich  geneigt 
machte,  auf  unsere  Ideen  einzugehen,  vor  allein  übten  wir  uus  in  der 
Geduld,  was  dabei  eine  Hauptsache  ist. 

Eine  recht  charakteristische  Secne,  an  die  wir  oft  nachher  noch, 
wenn  unsere  Geduld  auf  die  Probe  gestellt  wurde,  in  Humor  zurück- 
dachten, begegnete  uns  z.  B.  gleich  in  der  ersten  Zeit  in  Heiligensee  bei 
Tegel.  Wir  hatten  uns  eines  Sonnabends  Nachmittags  dorthin  aufgemacht, 
um  die  an  den  dortigen  sog.  Ileiligensee  sich  knüpfenden  Sagen  zu  erforschen 
uud  fanden  in  dem  Schulmeister,  der  uns  von  einem  Bauer,  welcher  uns 
begegnet  war,  als  ein  alter  Geschichtenmann,  der  alle  solche  Sachen 
wisse,  empfohlen  war,  und  den  wir  deshalb  aufsuchten,  auch,  wie  es 
schien,  einen  zugänglichen  Mann.  Er  war  aber  leider  schwerhörig,  und 
das  sollte  für  uns  verhängnisvoll  werden.  Denn  als  wir  nach  eiuigen 
einleitenden  Worten  von  den  „alten"  Geschichten  anfingen,  „Ja,  sagte  er, 
es  passiert  viel  Merkwürdiges  in  der  Welt;  ich  erzähle  auch  meinen 
Kindern  in  der  Schule  immer  davon"  und  nun  kam  die  Geschichte  von 
Josef  zu  Tage.  Scheinbar  andächtig  hörten  wir  zu,  in  der  Hoffnung, 
dass  wenn  dies  abgesponnen,  doch  noch  etwas  anderes  hei1  vor  kommen 
würde.  Von  einein  Ab-  und  auf  eine  andere  Bahn  Einlenken  war  bei 
dem  alten,  tauben  Herrn  nicht  die  Rede.  Als  er  mit  Josef  glücklich 
fertig  war,  und  wir  wieder  hoffnungsvoll  einsetzten,  fing  er  an:  „Ja  und 
da  ist  noch  die  Geschichte  von  den  drei  Brüdern."  Wir  stutzten,  denn 
wir  dachten,  es  würde  sich  etwa  ein  deutsches  Märchen  erschliessen. 
Zu  unserm  Schrecken  war  es  aber  die  Geschichte  von  den  3  Horatiern 
und  Cnriatiern,  die  er  natürlich  ohne  Namen  und  ohne  die  spezielle 
Beziehung  auf  Rom,  sondern  auf  einen  anderen  Ort  übertragen,  —  ich 
weiss  nicht  mehr  welchen,  —  in  voller  Behaglichkeit  abspann.  Wir 
machten  noch  verschiedene  Versuche,  aber  umsonst.  Der  Mann  lebte 
nur  in  den  Geschichten,  die  er  in  der  Schule  verwertete,  —  und  zu 
unserm  Schrecken  hörten  wir,  da  es  inzwischen  schon  spät  geworden 
war,  dass  wir  in  Ileiligensee  nicht  bleiben  könnten,  es  sei  da  kein  Gast- 
haus, wir  lnüssten  hinüber  nach  Nieder-Neuendorf:  aber  das  Eis  der  Havel 
hielte  noch,  —  es  war  März,  —  er  wolle  uns  jemand  stellen,  der  uns 
sicher  hinüberführe. 

Die  Geschichte  nahm  übrigens  noch  schiesslich  eine  gute  Wendung 
und  hatte  am  andern  Tage  ergiebige  Resultate.  Wir  waren  nämlich 
ganz  gut  über  die  Havel  gekommen,  obgleich  das  Eis  stellenweise  un- 
behaglich donnerte,  es  auch  nicht  gerade  angenehm  war,  dass  der  vor- 
angehende Führer  bald  rechts,  bald  links  uns  vor  einer  Luhme  warnte, 
die  die  Fischer  sich  gehauen  hatten.  Auch  fanden  wir  noch  ein  Nacht- 
quartier, —  freilich  keine  Betten,  sondern  nur  ein  Strohlager,  —  indem 
unser  Führer  mit  Mühe  das  Mädchen  im  Krug  herausklopfte.  Von  Essen  war 

10 

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146 


Wilhelm  Schwärt*. 


auch  nicht  mehr  die  Rede,  kaum  dass  das  Mädchen  einen  Kienspan  an- 
zündete und  uns  in  der  Wirtsstube  noch  etwas  Stroh  aufschütten  zu 
wollen  erklärte,  „wo,  wie  sie  sagte,  schon  andere  lägen".  Wir  machten 
gute  Miene  zum  bösen  Spiel,  richteten  uns  so  gut  es  ging  ein,  und 
sollten  auch  am  andern  Morgen  reichlich  dafür  belohnt  werden.  Als 
die  Sonne  durch  die  Kitzen  der  Laden  blickte,  wachte  ich  auf,  zumal 
es  mir  an  der  Seite  so  eigentümlich  warm  wurde  und  sich  so  rauh  an- 
fasste,  was  da  lag.  Es  war  ein  schwarzer  Kater,  der  sich  zwischen  mir 
und  meinem  Schlafnachbar,  dem  Semmelmann  aus  Spandau,  wie  sich 
nachher  herausstellte,  eine  warme  Stelle  ausgesucht  hatte  und  der  nun 
gleich,  als  wir  etwas  gefrühstückt,  den  Stoff  bot,  auf  Katzengeschichten, 
und  dass  Hexen  oft  als  Katzen  spukten,  einzugehen.  Und  unser  Semmel- 
mann erwies  sich  in  diesem  Genre  so  bewandert,  dass  wir  nachher  noch 
einen  weiten  Umweg  mit  ihm  machten,  um  ihn  möglichst  gleichsam 
auszupumpen. 

Dass  man,  wenn  man  ins  Volk  geht,  wie  die  russischen  Nihilisten 
sagen,  sich  möglichst  weit  ihm  amalgamieren  muss,  um  nicht  den  Ein- 
druck des  Fremdartigen  zu  machen,  sondern  als  Einer  von  ihnen  zu 
erscheinen,  davon  hatte  ich  gleichzeitig  eine  besondere  Erfahrung  in  Berlin 
gemacht.  Ich  wollte  ein  Puppenspiel  von  „Linde"  in  der  „Kurzenstrasse" 
besuchen,  nachdem  ich  mich  mit  dem  Herrn  angefreundet  hatte,  um  seine 
alten  Manuskripte,  nach  denen  er  Fausts  Höllenfahrt  und  ähnliche  Stücke 
spielte,  näher  kennen  zu  lernen.  Trotzdem  ich  mich  mit  einem  befreun- 
deten Studenten,  der  noch  jetzt  hier  als  Geheimer  Sanitätsrat  lebt,  so 
schlecht  als  möglich  angekleidet  hatte,  —  es  war  im  Jahre  1839,  —  und 
wir  uus  ganz  bescheiden  benahmen,  erregten  wir  doch  Verdacht  bei 
einem  etwas  händelsüchtigen  Teil  des  Publikums.  Es  fielen  allerhand 
Redensarten,  als  süssen  da  in  der  ersten  Reihe  welche,  die  nichts  unter 
ihnen  zu  suchen  hätten  und  hinaus  müssten,  so  dass  wir  uns  für  alle 
Fälle  enger  mit  einigen  kräftigen  Gardisten  in  unserer  Nähe  befreundeten, 
indem  wir  ihnen  Cigarren  anboten,  aber  doch  froh  waren,  dass  Linde 
in  einer  Pause  an  uns  herantrat  und  unsern  Besuch  des  Theaters  so 
coram  publico  legalisierte.  Interessant  war  übrigens  im  höchsten  Grade 
die  Spannung,  mit  der  das  Publikum  der  Vorstellung  trotz  der  Dürftig- 
keit solcher  Marionettenvorstellung  folgte,  und  oft  brach  die  Teilnahme 
in  lauten  Jubel  aus.  Besonders  war  dies  bei  einer  Stelle  der  Fall,  als  der 
Kasperle,  der  Diener  Fausts,  der  Repräsentant  des  gesunden  Volkshumors  im 
Stücke,  den  Zauberring  seines  Herrn  findet  und  nun  die  Geister  Fitzliputzli 
undConsorten  citierte  und  mit  ihnen  sein  Spiel  trieb.  Als  z.B.  der  Auerhahn, 
ein  kleiner  Teufel,  von  ihm  u.  a.  gefragt  wurde,  was  er  treibe,  und  sagte, 
er  mache  die  Kaiser  und  Könige,  und  Kasperle  meinte,  ,,aha !  darum  fallen 
sie  auch  so  aus",  da  brach  so  ein  grosser  Jubel  los,  aber  er  hatte  in  der 
harmlosen  Heiterkeit  der  ganzen  Aufführung  nichts  besonders  Verfang- 


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Vom  Sagensamnieln. 


147 


liches.  Anders  machte  es  sich  freilich,  als  ich  nachher  die  Stelle  im 
Manuskript  fixiert  las ;  und  so  war  es  auch  erklärlich,  dass  die  demselben 
angehängte  „Konzession  zur  Aufführung"  aus  der  ersten  Hälfte  des  vorigen 
Jahrhunderts  die  betreffende  Partie  gestrichen  sehen  wollte.  Das  Manu- 
skript schrieb  ich  übrigens  nachher  für  Professor  v.  d.  Hagen  ab,  der 
Materialien  für  eine  Herausgabe  des  Puppenspiels  von  Dr.  Faust«  Höllen- 
fahrt sammelte. 

In  eine  so  bedenkliche  Lage,  wie  bei  jenem  Puppenspiel  in  der 
Kurzenstrasse  bin  ich  freilich  nie  wieder  gekommen;  die  Verhältnisse 
auf  dem  Laude  waren  ja  auch  meist  einfacher  und  gemütlicher,  und 
suchten  wir  uns  da  auch  meist  mehr  zunächst  an  Einzelne  zu  halten,  schon 
deshalb,  weil  bei  Anwesenheit  Mehrerer  leicht  Debatten  entstanden,  die 
nicht  vorteilhaft  für  unsere  Erörterungen  waren.  Aber  auch,  wo  manch- 
mal auf  dem  Lande  wir  uns  bei  einer  grösseren  Anzahl  unter  das  Volk 
mischten  oder  gar  auch  einmal  an  ihren  Vergnügungen  teilnahmen,  fanden 
wir  meist  harmloses  Entgegenkommen.  So  erinnere  ich  mich,  dass  wir 
einmal  den  3.  Weihnaehtsfeierhig,  als  der  Winter  gerade  mild  war, 
nach  dem  Fläming  eine  Exkursion  machten  und  gegen  Abend  in  ein 
Dorf  kamen,  wo  im  Kruge  flott  getanzt  wurde,  und  man  uns  sogar  dazu 
aufforderte.  Wir  gingen  auch  darauf  ein,  hielten  uns  aber  bald  zu  den 
Alten,  denn  was  uns  für  unsere  2  Groschen  zugemutet  wurde  im  Drei- 
tritt in  der  Reihe  abzutanzen,  überstieg  bald  unsere  städtischo  Übung, 
so  dass  ich  wenigstens  mich  erinnere,  bald  mehr  von  meiner  Tänzerin 
geführt  worden  zu  sein,  als  dass  ich  sie  führte.  Wir  hatten  aber  doch 
soviel  erreicht,  dass  wir  keine  Spielverderber  zu  sein  schienen,  so  dass 
uns  die  älteren  Männer,  als  wir  uns  zu  ihnen  an  den  Tisch  setzten,  ganz 
freundlich  annahmen  und  sich  je  länger  je  mehr,  als  namentlich  noch  ein 
paar  Unterförster  eintrafen,  ein  Gespräch,  wie  wir  es  brauchten,  entspann, 
zuerst  von  allerhand  Uäubern  ä  la  Riualdini,  dann  von  Spukgeschichten, 
zu  denen  wir  reichlich  beisteuerten,  aber  auch  entsprechende  Gegengabe 
empfingen,  so  dass,  als  die  Mitternacht  heraukam,  und  wir  zu  Bett  gehen 
wollten,  einer  der  Förster  unter  allgemeiner  Zustimmung  uns  einlud, 
bald  wieder  vorzusprechen,  indem  er,  wie  Wagner  im  Faust  dem 
Gefühle  Ausdruck  gab,  „mit  uns  zu  diskut  ieren,  sei  ehrenvoll  und  bringe 
Gewinn." 

Derartiges  war  und  blieb  freilich  nur  vereinzelt,  hauptsächlich 
schlössen  wir  uns  jedem  Wanderer  an,  der  desselben  Weges  ging,  um  im 
Gespräch  mit  ihm  das  sagenhafte  Material  der  Gegend  zu  sondieren; 
schwenkten  vom  Wege  ab,  wenn  wir  irgendwo  eine  Schaf-  oder  Kuh- 
herde salien  und  wenn  der  betreffende  Hirt  zugänglich  war,  plauderten 
wir  mit  ihm,  so  lange  er  gern  zu  plaudern  schien  oder  wir  von  ihm 
hofften  etwas  zu  hören.  Der  nächste  Krug  war  dann  unsere  Haupt- 
station  und  besonders  kamen  wir  gut  an,  wenn  wir  die  Krügerfamilie 

10" 


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Wilhelm  Schwürt«. 


allein  fanden,  wo  sie  zugänglicher  war.  Dann  wurden  die  für  die  Gegend 
angeknüpften  Fäden  weiter  gesponnen,  nachdem  zuerst  meist  das  Wetter 
oder  der  Stand  der  Früchte  oder  eine  besondere  Eigentümlichkeit,  zum 
Beispiel  ein  grosser  Stein,  den  angeblich  ein  Hiese  dahin  geworfen  haben 
sollte,  Anknüpfung  für  Weiteres  geboten. 

Beziehungen  zu  gewissen  volkstümlichen  Gebräuchen  an  den  hohen 
Festen,  die  sich  ja  zum  Teil  in  der  Zeit  an  heidnische  Feste  anlehnen, 
namentlich  zu  Weihnachten  an  den  sogen.  Zwölften,  dem  alten  „Mitwinter- 
sonnenfest",  schlössen  sich  leicht  an  und  verbreiterten  den  Inhalt  der 
Unterhaltung.  Lernte  sich  ein  derartiges  Anknüpfen  leichter,  so  war 
die  richtige  Fragstellung  behufs  eingehender  Feststellung  der  verschiedenen 
Momente  einer  Sago  oder  eines  Gebrauches  sowie  die  Leituug  eines  Ge- 
sprächs in  der  Weise,  dass  der  Gefragte  nicht  mit  einem  ,  ja"  oder  „nein" 
ant  worten  konnte,  sondern  selbst  zu  einem  konkreten  Ausdruck  des  Faktums 
gebracht  wurde,  in  jedem  einzelnen  Falle  gleichsam  eine  besondere 
pädagogische  Aufgabe.  Denn  der  natürliche  Mensch  ist  in  solchem 
Falle  nur  zu  leicht  zu  einem  „ja"  bereit,  um  den  lästigen  Frager  los 
zu  werden,  wie  ein  Kind  auch  seinem  Lehrer,  wenn  derselbe,  nach  einer 
gegebenen  Auseinandersetzung  einer  Sache,  es  fragt  „hast  du  es  ver- 
standen" in  neun  Fällen  unter  10  mit  „ja"  antwortet.  Derartiges  spielt 
auch,  nebenbei  bemerkt,  bei  sogen.  Fragebogen  oft  eine  Rolle,  wie  denn 
überhaupt  manches  Apokryphe  durch  dieselben  zu  Tage  gefördert  wird, 
wenn  sie  nicht  bloss  zur  Orientirung  benutzt  werden,  und  das  Einzelne 
ohne  weitere  Kontrolle  in  die  Wissenschaft  übergeht,  zumal  auch  die 
meist  gebildeten  Mittelspersonen  leicht  „Subjektives"  hineinbringen. 

Konzentrierte  sich  nun  aber  der  Verkehr  mit  dem  Volke  zunächst 
meist  in  den  Krügen  und  um  die  Personen,  die  wir  in  denselben  antrafen, 
so  besuchten  wir  doch  oft  auch  auf  Einladungen,  die  wir  unterwegs 
erhielten,  einzelne  Bauernhäuser  oder  Leute,  die  angeblich  etwas  von  so 
alten  Dingen  wissen  sollten.  Namentlich  haben  wir  in  der  ersten  Zeit 
oft  einen  alten  Kuhhirten  in  Brodewin  iin  Barnimer  Kreise  besucht  und 
es  war  jedesmal  ein  Festtag  der  Familie,  wenn  wir  einsprachen  und  der 
Grossvater  seine  Geschichten,  namentlich  Märchen  und  Tierfabeln, 
auspackte. 

Der  Zufall  spielte  aber  immer  eine  besondere  Holle.  So  erinnere 
ich  mich  eines  Nachmittags  im  sogen.  „Hans  Jochenwinkel"  in  der 
Altmark,  wo  wir  in  einem  Dorf  unter  einer  alten  Linde  Grenzjäger  und 
Bauern  trafen  und  uns  zu  ihnen  setzten,  und  plötzlich  von  einem  über 
Jemand,  der  gerade  gestorben,  die  Äusserung  fiel  „ja  de  is  nu  all  auch 
hen  nach  Nobiskrug".  Das  war  für  uns  eine  Veranlassung,  in  dem 
Dorfe  uns  festzusetzen,  und  allmählich  enthüllte  sich  nun  der  ganze  Vor- 
stellungskreis von  einer  Art  Unterwelt,  die  sich  aus  heidnischer  Zeit 
hier  erhalten  und  lokalisiert  hatte.    Denn  mit  Nobiskrug,  was  wir  aus 


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Vom  Sagensammeln. 


149 


Grimm  als  eine  Bezeichnung  für  Hölle  kannten,  bezeichnete  man  dort 
noch  allgemein  das  Dorf  Ferchau  (Seelenau)  an  der  Sumpfgegend  des 
Drömling.  Dieselbe  Vorstellung  also,  die  bei  den  Griechen  und  Römern 
solch  ein  Terrain  für  den  Eingang  zur  Unterwelt  hielt,  hatte  sich  hier  auch 
am  Rande  der  Sumpfgegend,  die  als  unergründlich  galt,  im  Namen 
Seelenau  wie  Nobiskrug  lokalisiert,  und  der  Gebrauch,  dass  man  dem 
Toten  eine  Münze  als  eine  Art  Fährgeld  in  den  Mund  legte,  den  wir 
bald  allgemein  verbreitet  fanden,  gab  der  Sache  einen  bedeutsamen 
Hintergrund,  zumal  es  hiess,  Jemand,  bei  dem  dies  nicht  geschehen, 
komme  sonst  als  „Nachzehrer"  wieder  und  ziehe  andere  nach.*) 

Wir  machten  dabei  noch  gleich  eine  besondere  Erfahrung.  Da  wir 
hörten,  der  Geistliche  kümmere  sich  viel  um  Altertümer,  und  der  Aber- 
glaube das  Begräbnis  betraf,  bei  dem  er  doch  auch  zu  fungieren  hatte, 
dachten  wir  Näheres  von  ihm  zu  hören.  Wir  suchten  ihn  deshalb  auf. 
Er  hatte  auch  verschiedene  Altertümer  und  Sammlungen,  und  es  war 
ein  interessanter  Herr.**)  Von  der  Sache  mit  dem  Totenpfennig  wusste 
er  aber  nichts  und  bestätigte  sie  erst  nachher  nach  eingezogenen  Er- 
kundigungen. Zuerst  fiel  uns  dies  auf,  aber  bei  eingehender  Erwägung 
erschien  es  natürlich,  dass  gerade  ein  solcher  abergläubischer,  aus  dem 
Heidentum  herstammender  Gebrauch  speziell  vor  dem  Prediger  geheim 
gehalten  wird.  Eine  wunderbare  Bestätigung  der  Sachlage  hörte  ich 
auch  nach  Jahren  noch  von  dem  Kantor  Hille  in  Liepe  im  Havelland, 
dem  ich  mal  die  Sache  erzählte,  und  der  mir  später  eingestand,  trotzdem 
er  dreissig  Jahre  dort  fungiere  und  bei  jedem  Begräbnis  zugegen  gewesen 
sei,  sei  er  doch  jetzt  erst,  durch  mich  aufmerksam  gemacht,  dahinter 
gekommen,  dass  er  keinen  Toten  zu  Grabe  gesungen,  der  nicht  seinen 
„Sechser"  unter  der  Zunge  gehabt.  Die  Sache  ergab  sich  dann  als  auch 
im  Havellande  allgemein  üblich. 

Ein  ähnlicher  fast  komischer  Zufall  führte  uns  später  auch  zu  der 
Entdeckung  der  Frigg  in  der  Uckermark,  die  Jacob  Grimm  noch  so 
viel  Freude  machte.  Ich  traf  in  einem  Bauerhause,  wo  wir  einmal  in 
den  Herbstferien  eingesprochen,  die  Mädchen  beim  Waschen  und  spielte 
das  Gespräch  darauf  über,  dass  es  auch  Zeiten  gäbe,  wo  man  nicht 
waschen  dürfe,  z.  B.  an  den  Zwölften.  Man  lachte  darüber,  aber  eine 
der  Mädchen  meinte,  dann  dürfe  man  ja  auch  nicht  spinnen,  sonst  käme 

*)  Den  Namen  Nobiskrug  für  Ferchau  erwrthnt  schon  Walther,  Sing.  Magd.  1753 
VII.  57.  und  dass  er  als  Bezeichnung  für  den  Aufenthalt  der  Toten  andererseits 
ru  derselben  Zeit  noch  allgemeiner  bekannt  war,  zeigt  die  Krwahnung  desselben 
in  diesem  Sinne  in  einem  Loblied  auf  das  Bernauer  Bier,  welches  Beckmann,  Iiistor. 
Beschreibung  der  Churmark  Brandenburg.  Berlin.  1751.  S.  6.7J  mitteilt. 

••j  So  viel  ich  mich  erinnere,  spielte  sich  das  (iauze  in  Lagendorf  ab,  und  der 
Prediger  war  der  Pastor  Krilger,  den  Parisius  fast  *J0  Jahr  spater  (1SG0)  einmal  auf- 
suchte und  von  dem  er  in  seinen  „Bildern  aus  der  Altmark*4.  Hamburg  1S8:{,  dann 
S.  245  ff.  erzählt. 


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150 


Wilhelm  Schwartx. 


„de  Pfui"  in  den  Wocken.  Tch  fragte,  was  denn  das  heisse,  und  man 
meinte,  der  Wocken  würde  sonst  beschmutzt,  dass  es  ein  Ekel  sei.  So 
eigentümlich  dies  als  Erklärung  für  den  Namen  Pfui  klang,  wenngleich 
der  Aberglaube  von  dem  Beschmutztwerden  des  Wockens,  wenn  er  in 
den  Zwölften  nicht  abgesponnen,  uns  schon  aus  den  anderen  Teilen  der 
Mark  bekannt  war,  mussten  wir  uns  zunächst  mit  der  Erklärung 
begnügen.  Doch  aufmerksam  gemacht,  forschten  wir  in  dem  betr. 
Landstrich  weiter  danach  und  hörten  zunächst  deutlich  die  Formen 
Fuick,  Frick,  dann  wurde  uns  die  Frick  hier  als  eine  alte  Hexe  be- 
zeichnet, die  in  den  Zwölften  umzöge  und  jede  Arbeit  bestrafe,  dort 
hörten  wir,  sie  zöge  mit  der  wilden  Jagd  und  Hunden,  denen  das  Feuer 
nur  immer  so  aus  dem  Maule  schlüge,  kurz  es  ergaben  sich  Ueberreste 
alter  Mythen  im  Anschluss  an  den  Namen,  wie  der  Gebrauch  noch  das 
unbewusste  Fortleben  altheidnischen  Aberglaubens  zur  Zeit  der  Winter- 
sonnenwende zeigte,  und  zwar  in  ähnlicher  Weise  wie  es  in  Mecklen- 
burg an  den  Wode  in  der  Mittelmark  an  Frau  Harke  sich  knüpft. 

Oft  täuschte  aber,  was  vielversprechend  zu  werden  schien,  und  Zeit 
und  Mühe,  eine  Sache  zu  verfolgen  war  vergeblich.  Aber  das  half  dann 
nichts  und  durfte  nicht  entmutigen.  So  hatten  wir  einmal  in  der  Ucker- 
mark die  Bezeichnung  Puks  für  Kobold  in  einer  Familie  gehört  und  bei 
weiterem  Nachforschen  ergab  sich,  die  Geschichte  rühre  von  einer  alten 
Verwandten  her,  die  im  Hospital  zu  Lydien  sei.  Der  Puks  in  der 
Uckermark  war  etwas  besonderes,  da  er  sonst  nur  an  der  Ostsee  auf- 
trat. Wir  änderten  unsere  Marschroute  und  wanderten  nach  Lychen, 
fanden  auch  glücklich  die  Frau  im  Hospital  daselbst.  Es  war  aber  zum 
Unglück  an  einem  Sonntagmorgen,  wo  alle  die  alten  Frauen  im  Hospital 
in  dem  Saal  zusammensassen.  Vergeblich  dass  wir  versuchten,  die  Frau 
allein  zu  sprechen.  Schon  unser  Erscheinen  und  Nachfrage  erregte  einen 
gewissen  Jubel.  Die  alten  Frauen,  keine  war  unter  siebzig  Jahr,  fingen 
sofort  an,  sich  in  die  Unterhaltung  zu  mischen,  die  Unglückliche  zu 
necken,  indem  sie  allerhand  Sticheleien  machten.  Der  Puks  sei  nur  ein 
Vorwand,  wir  seien  ein  paar  schmucke  Bräutigams,  die  sie  sich  bestellt, 
kurz  die  ganze  Sache  fiel  ins  Wasser,  und  wir  waren  zuletzt  froh,  aus 
der  halb  toll  werdenden  Versammlung  glücklich  wieder  herauszukommen. 

Ebenso  missglückte  öfter  ein  Versuch,  wenn  wir  nachträglich  erst 
auf  eine  Sache  besonders  aufmerksam  geworden,  weiter  „brieflich  '  an- 
zuknüpfen unternahmen.  Mancher,  wie  der  Schulze  in  Diesdorf,  der  des 
Schreibens  wohl  mächtig  war  und  auch  sonst  Interesse  gezeigt  hatte, 
uns  dies  oder  jenes  zu  erzählen,  antwortete  garnieht.  Ein  Bauer  aus 
dem  Dröinling  liess  mir  nach  einem  Vierteljahr  einen  langen,  langen 
Brief  schreiben,  in  dem  garnieht  berührt  war,  wonach  ich  gefragt, 
sondern  aus  einer  alten  Chronik  mehrere  Seiten  abgeschrieben  waren, 
und  der  dann  mit  den  Worten  schloss  „die  Zeit   wird  sie  wohl  lang 


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Vom  Sagensainmeln. 


151 


dauern,  aber  meine  umstände  habens  wollen  nicht  ehr  Erlauben.  Es 
hat  mir  zwar  Umstände  und  etwas  kosten  verursacht,  aber  was  thut  die 
liebe  bei  Menschen.    Lieber  Schwartz  leben  Sie  recht  wohl,  nun  Adieu. 

Natürlich  ermutigten  derartige  Erfahrungen  nicht  zu  ähnlichen  Ver- 
suchen, beim  Wandern  selbst  aber  darf  man  sich  nicht  abschrecken 
lassen,  wenn  man  an  einem  Orte  nicht  gleich  bei  den  ersten  Nachfragen 
einen  Erfolg  erzielt.  Es  hängt  nämlich  sehr  oft  einfach  davon  ab,  auf 
welchen  Teil  der  Bevölkerung  eines  Ortes  man  gerade  stösst.  Als  wir 
z.  B.  das  erste  Mal  in  Kloster  Lehnin  waren,  bemühten  wir  uns  ver- 
geblich, noch  etwas  anderes  zu  hören  als  die  bekannten  Geschichten  von 
den  in  der  Klosterkirche  daselbst  befindlichen  alten  Bildern,  wie  der 
Abt  Sebaldus  von  den  heidnischen  Bewohnern  des  Nachbardorfes  Lehnin 
erschlagen  worden  und  die  Jungfrau  Maria  den  Mönchen  dann  erschienen 
sei  und  sie  zum  Ausharren  ermutigt  habe.  Wir  waren  nämlich,  wie  sich 
später  herausstellte,  in  ein  Gasthaus  und  den  Teil  der  Stadt  geraten,  in 
dem  die  Nachkommen  der  alten  französischen  Kolonisten  ansässig  waren. 
Als  wir  aber  bei  einem  neuen  Besuch  dem  anderen  Teil  der  Bevölkerung 
näher  traten,  in  dem  sich  das  deutsche  Element  reiner  erhalten  hatte, 
hörten  wir  eine  Fülle  hübscher  Sagen  von  Lehnin  und  namentlich  auch 
der  Umgegend,  die  dann  u.  A.,  wie  überhaupt  unsere  märkischen  Sagen, 
Willibald  Alexis  besonders  erfreuten,  so  dass  er  einzelne  auch  in 
seinen  märkischen  Romanen  gelegentlich  in  die  Schilderungen  verwebte, 
und  sie  so  auch  dem  litterarischen  Publikum  als  heimatliche,  poetische 
Genrebilder  bald  bekannt  und  vertraut  wurden.*) 

Spasshaft  waren  oft  die  Gedanken  der  Leute,  weshalb  wir  so  das 
Land  durchwanderten,  da  in  der  Mark  es  damals  noch  wenig  Touristen 
gab.  Meist  suchte  man  diesen  oder  jenen  lokalen  Grund  in  der  Um- 
gegend heraus,  ein  Gut  oder  eine  Familie,  dem  eigentlich  unsere  Wan- 
derung gelte,  namentlich  dass  wir  in  der  Gegend  auf  die  Freite  gingen. 
Nur  zweimal  trat  uns  eine  besondere  Auffassung  in  eigentümlicher  Art 
entgegen.     Ein  uckermärkischer  alter  Manu,  mit  dein  wir  etwa  eine 

*i  Dieselbe  Beobachtung  die  wir  speziell  in  betr.  der  Lehniner  Verhältnisse  ge- 
macht, war,  wie  ich  nachher  sah,  auch  Riedel  entgegengetreten,  als  er  bei  seiner 
Suche  nach  märkischen  Urkunden  nach  Kloster  Lehnin  gekommen  und  die  Bevölke- 
rung, wie  er  sagt,  in  Hinsicht  auf  alte  Erinnerungen  Gespensterfurcht  und  dergleichen 
vollständig  in  zwei  Gruppen  geteilt  fand,  und  derartiges  nur  bei  den  alten  Unterthanen 
des  Stifts,  wie  er  sich  ausdruckt,  hervortrat,  wahrend  den  Reformierten,  d.  h  die  er- 
wähnten Kolonisten,  da  sie  überhaupt  nicht  an  solche  Sachen  glaubten,  geradezu  die 
Fähigkeit,  Gespenster  zu  sehen,  im  Volke  abgesprochen  wurde.  —  Je  mehr  seit  den 
inzwischen  verflossenen  50  Jahren  die  alten  angesessenen  Verhaltnisse  durch  Eisen- 
bahnen, Freizügigkeit  und  dergl.  durchbrochen  sind,  weiden  ähnliche  Erscheinungen 
eich  ev.  mehren,  zumal  Zeitungen  und  überhaupt  Lektüre  mannigfacher  Art  auch  bei 
dem  Landvolk  dem  Interesse  für  die  alten  Geschichten  immer  mehr  den  Boden 
entzieht  und  nur  in  den  langen  Winterabenden  in  höchstens  noch  einmal  auftauchen. 


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Wilhelm  Schwarte. 


Meile  zusammengegangen,  auch  unterwegs  eingekehrt  und  ein  Glas  Bier 
ihm  spendiert  hatten,  fasste  beim  Abschied  die  Sache  verschmitzt  praktisch 
auf,  indem  er  sagte:  „Nun  meine  Herren.  Ich  weiss  nicht  weshalb  Sie 
nach  all'  den  alten  Geschichten  gefragt  und  sich  das  alles  haben  er- 
zählen lassen.  Aber  einen  Zweck  haben  Sie  dabei,  umsonst  thun  Sie 
das  auch  nicht.  Und  wenn  Sie  etwas  dabei  verdienen,  können  Sie  mir 
auch  was  davon  geben."  Da  er  zumal  etwas  reduciert  aussah,  gaben 
wir  ihm  gern  eine  Kleinigkeit,  zumal  er  uns  u.  A.  auch  von  der  alten 
Frick  eine  Geschichte  erzählt  hatte. 

Fast  wissenschaftlich,  wenngleich  vom  Standpunkt  des  Elementar- 
unterrichts aus,  den  er  genossen,  fasste  ein  Schulze  aus  der  Nähe  von 
Boitzenburg  die  Sache  auf.  Es  war  eines  Sonntags  morgens,  Anfang 
der  Vierziger,  als  wir  ihn  in  dem  Kruge  vou  Boitzenburg,  das  dem  Grafen 
Arnim  gehört,  trafen.  Nach  einigen  Präliminarien  kam  er  uns  näher 
und  erzählte  mit  einem  gewissen  Stolz,  er  sei  von  der  Frau  Gräfin  aufs 
Schloss  gerufen  worden.  Eines  der  Kinder  hätte  die  Rose,  deshalb  habe 
sie  ihn  holen  lassen,  dass  er  selbige  bespreche.  Herr  Graf  hielte  zwar  nicht 
viel  davon,  aber  Frau  Gräfin  sei  eine  sehr  verständige  Frau.  „Übrigens," 
sagte  er,  „ich  kenne  die  Herren  wohl  wieder,  sie  waren  schon  einmal 
hier,  und  ich  habe  es  gleich  dem  Wirt  gesagt,  „das  sind  die  Herrn,  die 
so  die  Welt  herum  reisen  und  hören  was  sie  überall  für  Sprachen 
sprechen  und  für  Geschichten  haben,"  das  ist  3  Jahr  her,  dass  sie  hier 
waren  und  nun  kommen  sie  wieder  herum."  Dies  Factum  mit  den 
drei  Jahren  war  richtig,  aber  der  Schluss  daraus  auf  eine  Wranderung 
um  die  Welt,  war  die  Folge  eines  Residuums  seiner  Schulbildung.  Wenn 
der  Riese  Schlagradodo  in  Immermanns  Tulifäntchen  das  Resultat  seiner 
elementaren  Bildung  in  den  Spruch  zusammenfasst: 

Asien,  Afrika,  Europa 

Und  Amerika,  und  unten 

Da  im  stillen  Meer  das  viele 

Gänseklein  von  Inselsuiten, 

Sind  die  fünf  Weltteil;  es  lebet 

Ein  allmächfger  Gott  im  Himmel, 

Sterben  wir,  ist  die  Geschichte 

Nichts  so  mir  nichts  dir  nichts  aus. 

Nein  dann  kommt  das  ewige  Leben, 

Und  der  Mensch  hat  freien  Willen, 

Wenn  ich  frage:  Wem?    Dann  setz  ich 

Mir  und  frag'  ich:  Wen?    Dann  ziemts 

Mich  zu  sagen;  und  die  Erde 

(i  leicht  'ner  alten  Pomeranze.  — 
so  war  unserem  Schulzen  auch  noch  die  Reminiscenz  geblieben,  dass  man 
drei  Jahre  gebrauche,  die  Erde  zu  umfahren,  und  so  war  ihm  unst<r 


Vom  Sagensamineln.  153 

Wiedererscheinen  in  Boitzenburg  nach  3  Jahren  zu  einer  Art  Erd- 
umsegelung geworden!  — 

Inzwischen  waren  aber  unsere  Sammlungen  in  den  Marken  im  Laufe 
der  Jahre  durch  fortgesetzte  Wanderungen  schon  zu  einem  Abschluss 
gediehen,  so  dass  im  Jahre  1843  eine  Herausgabe  an  der  Zeit  zu  sein 
schien.  Trotz  Kuhns  Protest  figurierte  ich  aber  nicht  auf  dem  Titel, 
sondern  nur  in  der  Vorrede.  Denn  mein  guter  Vater  fürchtete,  dass, 
da  ich  gerade  vor  dem  Examen  stand,  mir  das  Bekenntnis  eines  fort- 
gesetzten Wanderlebens  bei  demselben  nachteilig  werden  könne,  zumal 
damals  das  Sagensammeln  noch  mehr  als  nutzloser  Zeitvertreib  oder 
höchstens  mehr  alsein  Amüsement  denn  als  eine  ernste  Kulturarbeit  erschien. 

Uns  hatte  aber  der  Erfolg  so  angeregt,  dass,  zumal  Kuhn  eine 
Unterstützung  bei  dem  Könige  Friedrich  Wilhelm  IV.  fand,  wir  den  Plan 
fassten,  die  Sammlung  der  Volkstraditionen  weiter  über  ganz  Nord- 
deutschland  bis  an  den  Rhein  auszudehnen.  Wir  gingen  aber  nun  plan- 
massig  ans  Werk,  zumal  schon  in  den  Marken  eine  geographische  Gliederung 
des  alten  Volksglaubens,  dem  wir  immer  mehr  unsere  Hauptaufmerk- 
samkeit schenkten,  hervorgetreten  war,  und  wir  dieselbe  in  den  einzelnen 
(»ruppen  Norddeutschlands  weiter  verfolgen  wollten.  Die  in  kleinerem 
Kreise  der  Mark  gewonnene  Praxis  stählte  unsern  Mut  und  kam  uns 
dabei  zu  statten 

Mit  jedem  neuen  Landstrich  eröffnen  sich  nicht  blos  sagenhafte 
Nüancierungen,  sondern  auch  ein  gewisser  Wechsel  in  der  Landschaft, 
der  auf  das  Volkstum  reflektierte.  Hatte  uns  z.  B.  das  fruchtbare  West- 
falen bei  einer  grösseren  Tour  in  seinen  lang  sich  hinziehenden  Dörfern, 
einzelnen  Höfen  schon  äusserlich  ein  besonderes  Bild  selbständigen  Bauern- 
lebens gegeben,  wie  es  Immennann  so  charakteristisch  in  seinem  Münch- 
hausen schildert,  so  bot  der  im  Münsterlaude  beginnende  durch  Sumpf  viel- 
fach unterbrochene  Landstrich  ganz  andere  Lebensverhältnisse  und  Be- 
dingungen. Auch  dass  wir  mitten  in  streng  katholisches  Land  gekommen, 
trat  hervor.  Als  wir  z.  B.  eine  Frau,  mit  der  wir  längere  Zeit  geplaudert 
hatten,  wobei  es  herausgekommen,  dass  wir  evangelisch  waren,  nach  der 
Wünschelrute  und  allerhand  ähnlichen  Dingen  fragten,  meinte  sie:  das 
müssten  wir  doch  viel  besser  wissen  als  sie,  wir  dürften  doch  die  Bibel 
lesen,  und  im  7.  Buch  (!)  Mosis  stände  doch  alles  davon  ganz  ausführlich.  Wir 
thaten  natürlich,  als  sei  das  eine  neue  Belehrung,  die  wir  uns  zu  nutze 
machen  würden  und  später  nachsehen,  inzwischen  möchte  sie  uns  doch 
immer  sagen,  was  so  die  Leute  davon  dächten,  denn  in  jeder  Gegend 
fasse  man  es  doch  anders  auf. 

War  in  betreff  der  Moore,  der  nördliche  Teil  des  Münsterlandes, 
-ohon  charakteristisch  gewesen,  so  war  es  noch  in  erhöhterem  Masse 
Ostfriesland,  namentlich  um  das  Saterland  herum.  Es  war  gerade  das 
Ende  des   Hochsommers  und  das  Ilaidekraut  stand  in  voller  Blüte. 


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154 


Wilhelm  Schwartz. 


Soweit  das  Auge  reichte,  nichts  als  ein  rötlicher  Tcppich.  Von  den 
Dimensionen  in  dieser  Beziehung  kann  es  ein  Bild  geben,  wenn  ich  den 
Weg  beschreibe,  den  wir  einmal  eines  Nachmittags  etwa  um  3  Uhr  von 
einem  Dorfe  aus  nach  Scharrel  im  Saterlande  einschlugen.  Ein  Bauer 
hatte  uns  aus  dem  Dorfe,  das  in  einer  Art  Mulde  lag,  auf  das  Plateau 
geführt  und  bezeichnete  uns  eine  Baumgruppe,  die  am  Horizont  hervor- 
ragte, als  das  nächste  Ziel  unserer  Wanderung.  Wir  sollten  dann  nur 
eine  Strecke  in  der  Richtung  weitergehen,  dann  würden  wir  an  einen 
Graben  kommen,  an  dem  sollten  wir  entlang  gehen,  bis  wir  an  einen 
Fusssteig  kämen,  der  uns  nach  einem  Damm  führen  würde,  welcher  uns 
schliesslich  nach  Scharrel  brächte.  Während  dieser  ganzen  Zeit  —  es 
kam  der  Abend  heran,  —  sahen  wir  keine  Spur  menschlicher  Thätigkeit 
(keine  spya  dv$pww  wie  Homer  sagt,)  nichts  als  die  endlose  Ilaidefläche 
vor  uns,  nur  ab  und  zu  flatterte  ein  Wasservogel  auf,  nur  einmal  hörten 
wir  ein  Zischen  in  unserer  Nähe,  es  kam  von  einer  Otter,  die  sich  über 
dem  Kraut  erhob  und  sofort  wieder  verschwand. 

Von  den  primitiven  Zuständen,  die  gelegentlich  im  Saterlande  auf- 
tauchten, nur  zwei  Beispiele.  In  Tyrol  hatte  ich  einmal  in  früheren 
Jahren  gesehen,  wie  Leute  einen  kleinen  Quell,  der  bei  ihrer  Hütte 
herabkam,  benutzten,  ein  Rad  zu  treiben,  das  mit  der  im  Innern  des 
Hauses  an  der  Wand  stehenden  Wiege  in  Verbindung  gebracht,  diese  in 
Bewegung  setzte.  Hier  im  Saterlande  hatte  man  in  einer  Torfhütte  eine 
Kuh  zu  demselben  Zweck  verwendet.  Sie  stand  nämlich  dicht  neben 
dem  mittleren  Raum,  in  dem  die  Leute  selbst  wohnten,  nur  durch  eine 
Bretterwand  getrennt.  Durch  dieselbe  war  ein  Loch  gebohrt,  und  wenn 
die  Leute  aufs  Feld  gingen,  zogen  sie  den  Schweif  der  Kuh  hindurch 
und  befestigten  ihn  an  der  Wiege,  welche  dann  durch  das  Zerren  des 
Tieres  in  die  nötige  Bewegung  gesetzt  wurde. 

Mit  dem  Feueranmachen  war  es  dort  auch  noch  eine  etwas 
umständliche  Sache,  zumal  die  damals  aufgekommenen  Schwefel- 
streichhölzer bei  der  feuchten  Atmosphäre  viel  versagten.  In  jedem 
grösseren  Gehöft  hielt  man  deshalb  fortwährend  Feuer  auf  dem  Heerde, 
indem  man  stets,  namentlich  auch  des  Nachts,  Kohlen  unter  der  Asche 
barg,  damit,  wie  Homer  bei  ähnlicher  Gewohnheit  sich  ausdrückt,  man 
für  den  folgenden  Tag  „den  Samen  des  Feuers"  hätte. 

Sonst  trug  die  Bevölkerung  hier  einen  eigentümlich  selbstbewussten 
historischen  Charakter,  indem  der  Konrapersweg  (König  Radbods  Weg), 
der  mitten  durch  das  Land  ging,  die  Erinnerung  an  den  alten  Friesen- 
fürsten Radbod  aufrecht  erhielt,  und  sie  auch  sonst  gern  von  ihren  alten 
Häuptlingen,  gestützt  auf  allerhand  Chroniken,  die  in  einzelnen  Familien 
waren,  erzählten.  Da  auch  sonst  in  Sprache,  Gebrauch  und  Sage  manches 
Interessante  uns  entgegentrat,  glaubten  wir  noch  aus  dem  Volleren 
schöpfen  zu  können,  wenn  wir  eine  der  abgelegenen  friesischen  Inseln 


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Vom  Sagensauimeln. 


155 


aufsuchten.  Von  Norderney  aus  Hessen  wir  uns  nach  Baltrum  über- 
setzen, aber  wir  sollten  stark  enttäuscht  werden.  Die  ganze  männliche 
Bevölkerung  der  Insel  bestand  aus  Seeleuten,  die  auf  grösseren  Fahrten 
abwesend  waren,  und  so  waren  meist  nur  Frauen  und  Kinder  da,  die 
mit  einem  alten  Ortsvorsteher,  einem  Geistlichen*)  und  einem  Fährmann 
bei  Thee  und  Zuckerkant,  Kartoffeln  und  Stippe  und  schwerem  Brot  ein 
kärgliches  Leben  führten,  bis  zum  Herbst  die  Männer  wieder  heim- 
kehrten, wo  dann  ein  verhältnismässig  reiches  Leben  begann,  aber  auch 
die  Erinnerungen  von  Bombay  und  Madras  und  Amerika  alles  andere 
überwucherten.  So  merkten  wir  bald,  dass  von  alten  friesischen  Er- 
innerungen wenig  mehr  übrig  geblieben  war. 

Aber  wir  waren  gefangen;  denn  der  Fährmann,  der  uns  allein 
fortschaffen  konnte,  war  nach  Aurich  hinüber,  um  seinen  Sohn  unter 
die  Soldaten  zu  bringen,  und  durch  das  Watt  waten  konnten  wir  uns 
doch  nicht  zumuten,  abgesehen  davon,  dass  es  auch  gefährlich  war.  So 
mussten  wir  denn  aushalten,  bis  der  Fährmann  zurückkehrte  und  unsero 
Erlösungsstunde  schlug.  —  Neues  hatten  wir  eben  nicht  gehört,  ausser 
die  Bezeichnung  Küpat  für  Milchstrasso.  Aber  wenn  auch  volkstümliches 
deutsches  Leben  unter  dem  grossen  Weltverkehr,  der  sich  hier,  wenn 
auch  nur  in  einzelnen  Namen  abspielte,  geschwunden  war,  so  glimmte 
doch  unter  der  Asche  der  Funke  deutschen  Lebens,  der  aufflammen 
sollte,  wenn  seine  Stunde  gekommen.  Der  Ortsvorsteher  —  es  war  das 
Jahr  1847  —  studierte  in  seiner  Trösteinsamkeit  eifrig  in  der  Spenerschen 
die  Verhandlungen  des  vereinigten  preussischen  Landtags.  Der  Mann 
war  natürlich  damals  noch  hannöversch,  aber  sein  Herz  schlug  ahnend 
für  Preussen  und  Deutschlands  Zukunft.  Es  machte  dies  umsomehr 
Eindruck  auf  uns,  als  im  Paderbornsehen  und  Münsterlande  in  den  Vor- 
geschichten und  den  Sagen  von  der  letzten  Schlacht  es  immer  noch 
meist  damit  endete,  dass  zuletzt  die  Weissröcke  (die  Österreicher)  siegten. 
Die  katholischen  Sympathien  überwogen  damals  immer  noch. 

So  durchwanderten  wir  fast  in  allen  Ferien  der  Jahre  1843—42 
den  Harz,  Thüringen,  Xiedersachsen,  sowie  Westfalen,  Oldenburg,  Ost- 
friesland bis  hinauf  zu  dem  Inselkranz  an  den  dortigen  Watten.  Aber 
nicht  bloss  umfangreicher,  sondern  auch  inhaltstiefer  wurde  unser  Ein- 
dringen in  das  Volksleben.  Je  mannigfacher  die  volkstümlichen  Ge- 
staltungen, die  uns  entgegengetreten  waren,  desto  mehr  galt  es  stets, 
alle  Seiten  des  Volksglaubens  und  der  Gebräuche  im  Auge  zu  haben 
und  nach  allen  Kategorien  hin  die  Sonde  anzulegen.  Es  ward  gleichsam 
jede  unserer  Unterhaltungen  ein  stilles  Examen  nach  Grimms 
Mythologie.  Bildete  die  wilde  Jagd,  die  weisse  Frau,  Riesen,  Zwerge 
(Unterirdische),   und  Nixe  den  Hauptansgangspunkt  für  die  Erforschung 

*)  Der  zugleich  nach  hannoverschem  Gebrauch  Sclnillehrer  war. 

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Wilhelm  Schwarte. 


der  mythischen  Traditionen,  so  waren  es  in  betreff  der  Gebräuche  für 
den  Harz  und  Thüringen  die  Gebräuche  der  Pfingst-  und  Johanniszeit, 
für  Norddeutschland  mehr  die  der  Zwölften.  Waren  diese  Themata  er- 
schöpft, so  durchliefen  wir  im  Gespräch,  wenn  es  irgend  ging,  die 
himmlichen  Erscheinungen,  forschten  nach  besonderen  Bezeichnungen 
für  eine  Gewitterwolke,  die  Milchstrasse,  Sternschnuppen,  Wirbelwind 
u.  dgl.  Unsere  gemeinsame  Thätigkeit  kam  uns  dabei  sehr  zu  statten. 
Denn  nicht  allein,  dass  es  uns  frisch  erhielt  bei  der  Arbeit,  die  sonst 
leicht  in  den  fortwährenden  Wiederholungen  derselben  Thätigkeit  von 
des  Morgens  früh  bis  zum  Abend  Wochen  hindurch  leicht  monoton  ge- 
worden wäre,  auch  im  Einzelnverkehr  war  die  Gemeinsamkeit  sehr 
förderlich.  Kuhn  hat  auch  dem  in  der  Vorrede  der  Norddeutschen  Sagen 
Ausdruck  gegeben,  wenn  er  hervorhebt,  dass  unsere  Art  der  gemein- 
samen Wanderung  und  Forschung  für  die  Zwecke  der  Sammlung  äusserst 
förderlich  gewesen;  „denn  oft,  wenn  wir  an  eine  reichlich  fliessende 
Quelle  geraten  waren'*  sagt  er,  „und  der  Eine  schon  alle  Kapitel  der 
Mythologie  in  seinen  Fragen  durchlaufen  zu  haben  glaubte,  kam  der 
Andere  mit  einem  neuen  Punkte  zum  Vorschein,  der  nicht  selten  Neues 
und  Wichtiges  ans  Licht  brachte". 

Ich  reihe  gleich  noch  ein  anderes  Moment  an,  dass  unser  Zusammen- 
wirken auch  für  das  Niederschreiben  sehr  vorteilhaft  war.  Wir  haben 
nie,  um  die  Unbefangenheit  der  Leute  nicht  zu  stören,  etwas  in  ihrer 
Anwesenheit  niedergeschrieben  ausser  Lieder,  auf  die  wir  gelegentlich 
auch  unsere  Aufmerksamkeit  richteten.  Aber  am  Abend,  wenn  wir  auch 
noch  so  müde  von  der  Wanderung  des  Tages  waren,  gingen  wir  an  die 
Arbeit  des  Niederschreibens,  damit  das  Gedächtnis  noch  frisch  reagiere. 
Kurze  Daten  fixierten  wir  gemeinsam,  in  betreff  längerer  Geschichten 
teilten  wir  uns  in  die  Arbeit.  War  namentlich  der  Gegenstand  schwie- 
riger aus  den  Unterhaltungen  herauszuschälen,  so  schrieb  jeder  für  sich 
das  betr.  Stück  nieder  und  in  gemeinsamer  Besprechung  wurde  dann 
die  Fassung  so  objektiv  als  möglich  fixiert. 

So  entstanden  neben  den  „Märkischen  Sagen"  unsere  „Norddeutschen 
Sagen,  Märchen  und  Gebräuche  aus  Mecklenburg,  Pommern,  der  Mark, 
Sachsen,  Thüringen,  Brauuschweig,  Hannover,  Oldenburg  und  Westfalen 
aus  dem  Mundo  des  Volkes  gesammelt"  und  unter  den  Wehen  des 
Jahres  1848  herausgegeben  und Sr. Majestät  dem  KönigFriedrich  Wilhelm IV. 
als  hochherzigen  Förderer  des  Unternehmens  gewidmet.  Später  ver- 
suchten wir  noch  einmal  zusammen  dann  im  Herbst  1849  die  Sache 
wieder  aufzunehmen,  aber  ein  unglücklicher  Fall,  den  ich  bei  Seesen  im 
Harz  eines  Abends  im  Gebirge  that  und  leicht  nahm,  schob  mir  einen 
Hiegel  vor.  Während  längeren  Liegens  schrieb  ich  dann  meine  mytho- 
logische Erstlingsschrift  „Der  heutige  Volksglaube  und  das  alte  Heidentum". 


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Vom  Sagcnsammeln. 


157 


Kuhn  nahm  in  den  fünfziger  Jahren  allein  noch  einmal  das  Sammeln 
in  Westfalen  auf,  von  dem  er  die  Resultate  in  den  „Westfälischen  Sagen" 
niedergelegt  hat.  Ich  fand  später  Gelegenheit  hei  einem  Sommerauf- 
enthalt in  Nenstadt-Eberswalde  und  während  meiner  amtlichen  Thätig- 
keit  als  Direktor  in  Neuruppin  noch  manche  Sage  zu  pflücken,  auch 
späterhin  während  gelegentlicher  Sommerfrische  in  Colberg,  Flins- 
berg,  Friedrichrode  nnd  Lauterberg,  sowie  auf  Rügen  es  fortzusetzen, 
aber  nicht  mehr  im  systematischen  Wandern,  das  war  nach  jenem 
unglücklichen  Fall  vorbei,  sondern  im  zufällig  sich  bietenden  Verkehr 
hier  und  da,  denn  mir  war  das  Schöpfen  aus  dem  Volkstum  eine  Art 
lieber  Gewohnheit  geworden,  wo  freie  Zeit  und  Gelegenheit  sich  dazu 
bot.  Sagensammeln  muss  man  aber  eigentlich  in  der  Jugend,  wo  man 
zu  einem  alten  Geschlecht  aufschauend  gleichsam  als  belehrungs-  oder 
wenigstens  wissensbedürftig  erscheint,  als  in  alten  Tagen,  wo  eher  Andere 
von  Einem  etwas  zu  hören  erwarten  und,  wenn  mau  sie  fragt,  dies  eher 
Miss  trauen  als  Vertrauen  von  Haus  aus  weckt,  wie  ich  oft  bemerkte. 

Ich  schliesse  meine  Schilderung,  indem  ich  für  einen  besonderen 
Vortrag  mir  vorbehalten  möchte,  darzulegen,  wie  die  geschilderten,  jahre- 
lang fortgesetzten  Wanderungen  und  der  Verkehr  mit  dem  Volkstum  für 
Kuhn  und  mich  gleichsam  zu  einer  praktischen  Propädeutik  auf 
dem  Gebiet  des  Volksglaubens  und  überhaupt  der  mythologischen  Wissen- 
schaft geworden  sind,  indem,  während  Kuhn  in  seinem  Buche  „Über  die 
Herabkunft  des  Feuers  und  des  Göttertrankes  bei  den  Indogermanen", 
die  historischen  Bezüge  der  betr.  Völker  in  gewissen  Urge- 
b rauchen  darlegte,  ich,  wie  Manhardt  in  seinen  Wald-  und  Feldkultcn. 
Berlin  1877  am  Schluss  S.  350  sagt:  „Die  Entdeckung  machte, 
dass  der  Volksglaube  der  Bauern  (d.  h.  der  naturwüchsigen,  länd- 
lichen Kreise)  grösstenteils  in  unmittelbarem  Zusammenhang 
stehende  Keime  der  höheren  Mythologie  in  sich  berge",  welchem 
Prinzip  ich  dann  in  meinen  mythologischen  Schriften  auch  eine  allge- 
meinere Geltung  verschafft  habe. 


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Register. 


Seite 

Seite 

Abschaffung  der  Propstwürde  zu  Hei- 

Beizig,  Stadt,  

.  .  .  .  129 

55 

Adliges    Friluleinfltift   zum  Heiligen 

55 

„      niarkgräfl.  Münzstätte 

.  .  .13-11 

Äbtissinnen  zu  Heiligen  Grabo  53,  03, 

„      städtische  „ 

.  .  .  .  19 

78,  84 

.  .  .  .  125 

4 

.  .  .  .  90 

8,  9 

Bettagu  in  Königsberg.  N.  M. 

.  .  .  .  130 

11 

.  ...  119 

Allerhöchste  Kabinet sordre  betr.  Hei- 

Bischöfe  zu  Havelberg  21,  38,  39,  40, 

,  78 

48,  51,  54,  74 

VII 

.  .  .21-22 

Alvensleben  v.,  M  Ungerechtigkeit .  . 

23 

.  ...  109 

Amtskleidung  der  Feldprediger  .  .  . 

100 

.  .  111,  112 

Anhalt,  als  Name  auf  Münzen    .  .  . 

9 

.  .  110,  115 

III 

.  .  .  .  25 

Apostel  auf  dem  Flügelaltar  in  Zie- 

.  ...  109 

20 

VII 

.  ...  128 

112 

.  .  .  .  99 

80 

.  ...  119 

-10 

.  .  .  .  5 

.  .  .  .  21 

115 

,  Münzstätte  .  . 

.  .  .  13,  18 

17 

.  .  .1,  3,  4 

1 

Brennabor,  falscher  Name  . 

155 

Barutb,  Stadt,  

125 

.  ...  115 

104 

-20 

13 

Münzstätte-  d.  Herrn  v.  Strele 

21 

Garstedt,  Feldpropst  .... 

.   .   .   .  9S 

Reginenbaus  zu  Heiligen  Grabe  .  .  . 

81 

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160 


Register. 


Seite 


Cochius,  Feldprediger  96 

Conventualinnen  zum  Heiligen  Grabe 

55,  01,  81 

Caapergaard,  Kr.  Hadersleben.  ...  117 
Cottbus,  Herren  v.,  Münzgerechtigkeit  23 

„       Stadtwappen  24 

Crossen,  Münzstätte  1:1,  14 

Dahme,  Herren  \\,  Münzgcrcchtigkcit  23 

„      Stadt  118,  12;» 

Dallgow  bei  Spandau  108 

Dankehnann  v  89 

Daun,  Graf  91 

Decken,  Feldpropst  07 

Denar,  mittelalt.  Münze   ö 

Deutsche  Aufschriften  auf  Münzen  .  7,  9 

„   Siegeln.  .  0 
Dietrich  I,  Bischof  v  Havelberg    .  .  21 

Döberitz  bei  Spandau  119 

Dornum,  Würde  zu  Heiligen  Grabe  61,  Gf> 
Dominikus,  preuss.  Musketier  .  .  .  .116 
Dreissigjahrige  Krieg  i  N.  M  130 

Kdelberren  i.  d.  M.,  Münzrechlc  22,  23,  21 
Kinfübning  der  Geistlichen  in  Königs- 
berg i.  X.  M  138 

Ermann,  Dr  IX 

Erwerbungen  des  Stiftes  zum  Heiligen 

Grabe  4G 

Krziehungshaus  zum  Heiligen  Grabe  80 
Evangelische  Prediger  zum  Heiligen 
(trabe  60 

Fach  werk  bau  114.  124 

Familiennamen   aus   der  Geschichte 
des  Klosters  Heiligen  Grabe  10,  46, 


71,  76 

Feldpredigerordnung   Friedrichs  des 

Grossen  97 

Feldpredigerwesen  85 

Feldpropst   91 

Fläming   10«,  126 

Ferchau,  Scelenau,  um  Deimling   .  .  1 19 

Feueranmachen  154 

Fischer,  Feldprediger   99 

Forschungsgebiet  der  Gesellschaft  für 
Heimatkunde  der  Provinz  Bran- 
denburg  VIII 

Fränkisches  Haus  10"»,  12;"» 

Frey  tag,  Gustav  .   III 


Seite 

Friedel,  Geheimer  Regierungsrat  und 
Stadtrat   VII 


Friedrich  I.,  Feldpredigerwesen  ...  90 
Friedrich  der  Grosse,  Feldprediger- 
wesen   97 

FriedrichWilhelm, der  Grosse  Kurfürst, 

Feldpredigerwesen   85 

Friedrich  Wilhelm   I.,  Feldprediger- 
wesen   91 

Friedrich  von  Plötzke,  Bischof   .   .  .  22 

Friesack,  Edele  Herren  v.,   •  2 

Frigg  i.  d.  Uckermark   149 

Froissard,  Stadtbibliothek  in  Breslau  .  120 

Fürstenwalde  a  d.  Spree   120 

Galland,  Dr.  Georg   28 

Garnisonkirche  in  Berlin  8S,  95 

Gebet  d.  Gr.  Kurfürsten   86 

Gedike,  Feldpropst     ........  91 

Geldlehre,  Zweig  d.  Nationalökonomie  2 

Geldrechnung  i.  d.  Mark   14 

Generalstabsprediger   H6 

Gerswalde  i.  Uckermark   112 

Giebeldreieck                             .  116,  118 

Giebelverzierung  .  120,  121 

Giesendorf  bei  Berlin    112 

Gödcniu»,  Oberpfarrer  in  Königsberg 

X.  M   131 

(iürzke,  Münzstätte   13 

Goldbeck,  Feldprediger     ......  99 

Golssen,  Stadt   125 

Gottesdienst  in  Königsberg     ...  136 

I  Grimm,  Jacob                         ....  144 

1  Groeben  im  Xuthethal   19 

Groschen,  böhmische   21 

markische   21 

Grube,  Fläming   llr> 

Guben,  Stadt                                .  .  123 

„      Münzstätte   13 

Hnlbbrakteat,  Münze   15 

Hülm,  Feldprediger   99 

Hahnenkopf,  an  Häusern   122 

Hans  Jochenwinkel   1 18 

Harke,  Frau   50 

Hnsenkopf  an  Häusern   122 

Hausnrnen    123 

Havelberg,  Bistum,  Münzstätte       .   .  21 

Heer  des  Grossen  Kurfürsten     .   .   .  S5 

„     Friedrich  Wilhelms  d.  I.    .  .  .  96 

Heilige  Geist  Kit  ehe   H8 


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Register. 


1Ü1 


Kietz 


120 


Kirchenbesuch  in  Königsberg  N.  M.  HO 

„           der  Soldaten    ....  95 

Kirchenordnung  in  Königsberg  N.  M.  130 

Kirchenparaden  in  Berlin   88 

Kirchensitze  in  Königsberg  N.  M.    .  135 

Kirchliches  Leben  in  Königsberg  N.  M.  127 

Kloster  Heiligen  Grabe    30 

Knesebeck,  Herr  v.,  Mflnzgerechtigkeit  23 

Königsberg  N.  M   107 

Koepenick,  Münzstätte  .  .  .  .  4,  5,  0,  13 

„         Stadt   144 

Konrapersweg   151 

Kracht,  Schulze  in  Stralau   144 

Kriegsrecht,  brandenburgisches  ...  80 

Kruger,  Pastor   149 

Küster,  Feldpredigcr   99 

Küstrin,  Garnison   88 

Kuhn,  Forscher   144 

Kurfürstin,  eine  v.  Brandeburg  ...  28 

Landbuch   der   Mark  Brandenburg 

von  1375    21 


Heiligen  Grabe,  Kloster   30 

Heiligensee  bei  Tegel   145 

Heimatkunde,  Umfang   VII 

Heinrich  IH.  v.  Bodendyk,  Bischof  .  25 

Hennigsdorf  a  Havel   110 

Herbord,  Münzmeister  11,  23 

Herodianus,  Schriftsteller   124 

Herrnschneid,  Hauptpastor  ....  98 

Herzberg,  Kr.  Ruppin   110 

Hofpradikant   89 

Holzbau   115 

Hundepeitscher   138 

Hundskopf   122 

Instruktion  für  Feldprediger   ....  89 

Jablonsky,  Feldprediger  89 

Jadickendorf  b.  Königsberg  N.  M.  112 
Jakza,  Knaes  von  Koepenick  ....  4 

„     dessen  Münzen  5,  0 

„     angeblich  in  Kopnitz  in  Posen  0 

Joachim  I.,  Kurfürst   9 

Johann  Sigismund,  Kurfürst    ....  130 

Johann  I.,  Markgraf  11,  12 

Jüterbock,  Stadt  125 

Kahlwinkel  der  Kirche  135 

Karl  IV.,  Kaiser  20 

Katte  v.,  Lieutenant  95 


Seit« 

Landstände  18 

Lebus,  Bistum  ....   22 

Lehde,  Spreewald  124 

Lehmann,  Dr.  Richard   VII 

Lehnin,  Kloster  72,  151 

Libra  14 

Lieberose  118,  122 

Liepe,  Dorf  im  Havelland    .....  144 

„     bei  Oderberg  109,  111 

Lindow  und  Ruppin,  Grafeiur.,  Münz- 
gerechtigkeit  23 

Linum  112 

Löwenberg  ..113 

Luckau,  Münzstätte    .  .   13 

„      Stadt  125 

Ludwig  I ,  Markgraf   19,  20 

Ludwig  IL.       ,,   19,  20 

Luxemburger  Markgrafen  20,  21 

Lydien,  Münzstätte  13 

Mägdewecker  in  Königsberg  ...  138 
Malerei  des  Altars  in  Zielenzig  ...  20 

Maltitz,  Major  z.  D  30 

Maria,  Bild  der  Jungfrau  28 

Marienglocke  zu  Königsberg   .  .  .  .129 

Mark  Silber  14 

Marzahne  b.  Brandenburg    .  .  .  1»»*',  125 

Masuren  117 

Mellen  bei  Zossen  100 

Merlan,  Künstler  120 

Michaelis,  Feldprediger  92 

Mielke,  Robert  104 

Militär-Konsistorium  89 

t,     Kirchenreglement  97 

„     Kirchhof  in  Potsdam  92 

Missgeburt  in  Königsberg  128 

Mitchel,  englischer  Gesandter  ....  99 

Morin,  Münzstätte  17 

Moritzpfennige  aus  Magdeburg,  Vor- 
bilder d.  brandenburgischen  Münz- 
prägung  G,  10 

Müuzbezirke  (Münzyscr)  17,  18 

Münzforscher,  Aufgabe   2 

Münzfunde:  Michendorf  b.  Potsdam.  4,  9 
„         Schollehne  b.  Ilavelberg  5 

Münzkunde  als  Archäologie   2 

„        Nutzen   2 

.,         antike,  mittelalterliche, 

neue   3 

Münzrecht  14,  22,  23 

11 


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1C2 


Register. 


Seito 

Soitu 

Münzstätten,  nulrkische,   11,  13,  14, 

>»4ia«       1    ,  1 1  .1  «-»  «m/I  i     /\  «a 

yö 

1  T 

17, 

1 Q  Ort 

rrziuisia« ,  iie\ euciiursi,  ais  v^nrisi. 

„          Verpachtung  .  .  .  . 

.  17 

4,  ü 

i 

Przibislaw,  Hevellerfürst,  Münzen  .  . 

4,  5 

\T \*ima     i  m fki i rti*<i  1  «i  11 1 1 1 ■  &  1 1 1* 

Q7 

Quellen  zur  Oeschicute  des  Klosters 

40 

Imhausen  h.  Königsberg  >.  M.  .  . 

.  112 

144 

122 

03 

"Wiliialr  rim 

14« 

"Rhin 

1°5 
112 

OKaI     nlln  AIflr»Tr» 

in 

Reformation  und  Kloster  Heiligen  Grabe 

54 

Oft 

Rohde,  Xotarius  in  Königsberg  .  .  . 

137 

lirAii     iliA    Mi*uiiaaitn  l\Ai 

ko 

100 

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96 

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112 

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99 

Sachsisches  Haus  109.  123.  125 

1  £! 

77 

Otto,  Bischof  von  Brandenburg  .  . 

.  21 

Salzwedel,  Münzstätte    .  .  .  .  11,  13,  14 

18 

153 

120 

l'enck,  Dr.  Albrecht  

.  VII 

10 

17,  18 

Schild,  Erich,  Divisionspfarrer.  .  .  . 

85 

15 

122 

Pfahlbau  

.  123 

112 

Pfennig  (vergl.  Brakteat,  Denar,  Übol, 

Schöning,  v.,  Generallieutnant .... 

89 

Si-herf). 

122 

.  17 

99 

.  10 

99 

„       alljährliche  Uuiwechselung 

.  10 

23 

07 

„      AVertverringerung  .  .  .  15, 

17,  20 

127 

Pferdekopf  120,  122 

Schwärt z,  Geheimer  Regicrungsrat .  . 

143 

.  144 

13 

Plotho,   Edle   Herren  von,  Münzge- 

118 

.  22 

98 

pio 

109 

Pontanus,  Oberpfarrer  in  Königsberg  128 

Seelenliste  der  Berliner  Garnison  .  . 

100 

Präbenden    des    Klosters  Heiligen 

123 

65,  68 

Siegel,  Mittel  zur  Mtinzbestimmung  . 

11 

Prägestätte,  vergl.  Münzstätte. 

Silberbarren  als  Geld .  .  *  

14 

.  40 

Soldatenkinder,  Erziehung  der  ... 

95 

Priorinnen  zu  Heiligen  Grabe  .  .  . 

53 

Soldin,  Münzstätte  

17 

■  110 

Sophie,  Gemahlin  Albrechts  des  Bären 

8 

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Register. 


163 


Seite 

Stiftung  des  Klosters  zum 

Heiligen 

Stiftshauptmann  daselbst  55 

62,  71,  74,  79 

Stiftskapitel  „ 

 82 

Stiftskreuz  „ 

 63 

Stiftsorden  „ 

Stiftsprobst  „ 

.  .  .  .  70,  84 

Stempelschneidekunst  im  Mittelalter  .  10 

»» 

» 

.  ...  17,  18 

Münzstätte    .  .  . 

.  .  11,  13.  14 

Stepenitz.  Kloster  .... 

.  .  41,  48,  68 

Stepban  v.  Heideburg,  Bisebof  v.  Culin  1 

 123 

Strehle,  Herren  v..  Münzgerecbtigkeit  23,  24 

Tafelbilder  in  Zielcnzig  .  . 

 14 

 81 

Thalhausen,  Feldprediger  . 

 89 

Thütigkeit,  kriegeriscbe  der 

Branden- 

 90 

 98 

Tollen,  Prof.  d.  Tbeologie  . 

 99 

 125 

Seite 

Untergang  der  Welt  128 

Urkunde  des  Klosters  zum  Heiligen 


Grabe  38 

Voltaire   89 

Vorgescbicbte  des  Klosters  zum  Hei- 
ligen Grabe   36 

Verfassung  des  Stiftes  68,  78 

Verwaltung  des  Stiftes  ....  52,  78,  80 

Walin  120,  123 

Wansdorf,  Osthavelland  109 

Wappen  als  Mittel  zur  Mönzbestim 

nmng  11,  16 

Waräger  124 

Wechselbank  16 

Wenzel  von  Böhmen,  Markgraf  ...  lJO 

Wilhelm  1  103 

Wilsnack,  Kirche  41,  75 

Wittscheibe,  Oberpfarrer  zu  Königs- 
berg  133 

Wode  150 

Wubiser-Gross,  Kr.  Königsberg  N.  M.  112 
Wulfshagen  120 

York  von  Wartenburg  100 

Zückerick  a.  Oder  111,  112 

Zehden  a.  Oder   107 

Zehdenick,  Quelle  zu   41 

Zentral- Kominission   VII 

Zichow,  Uckermark   112 

Zielenzig,  Flügelaltar   25 

Zinna   112 


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ARCHIV 

DER 

„BRANDENBURGIA" 

GESELLSCHAFT  FÜR  HEIMATKUNDE 

DER 

PROVINZ  BRANDENBURG 

ZU 

BERLI1V. 


Unter  Mitwirkung  des  türkischen  Provinzial-Museunis 

herausgegeben 
Gesellschafta  -  Vorstände. 

2.  Band. 


Berlin,  1896. 
Druck  und  Verlag  von  P.  Stankiewicz'  Buchdruckerei, 
Bernburgerstrasse  14. 


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Joh.  Leonh.  Frisch's 

Briefwechsel 

mit 

G.  "W.  Leibniz. 

Ein  Beitrag  itur  Geschichte  des  geistigen  Lebens  in  Berlin 
zu  Anfang  18.  Jahrhunderts- 

Mit  Einleitung  und  Anmerkungen 

herausgegeben 
von 

Dr.  L.  H.  Fischer. 


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Dem  Andenken 


des  grossen  Philosophen,  Staatsmannes  und  Patrioten 


Gottfried  Wilhelm  Leibniz 


zu  der  250.  Wiederkehr  seines  Geburtstages 


am  1.  Juli  1896. 


• 


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Übersicht. 


Seite 

A.    Einleitung   I 

ß.    Der  Briefwechsel  XXXII 

0.    Anmerkungen  zum  Briefwechsel   49 

D.    Namen-  und  Sachregister   74 


■ 


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Einleitung. 


Die  im  Folgenden  veröffentlichten  Briefe  befinden  sich  auf  der 
Königlichen  Bibliothek  zu  Hannover  in  der  grossen  Sammlung  des 
Leibnizschen  Briefwechsels  (Vgl.  Eduard  Bodemann,  Der  Briefwechsel  des 
Gottfried  Wilhelm  Leibniz  in  der  Königlichen  öffentlichen  Bibliothek  zu 
Hannover.  Hannover  1889.)  und  sind  dem  Herausgeber  durch  das  freund- 
liche Entgegenkommen  des  Herrn  Oberbibliothekars  Dr.  Bodemann  zu 
Hannover  in  einer  sorgfaltigen  Abschrift  zugänglich  gemacht. 

Da  37  Briefen  Frisch's  an  Leibniz  nur  3  Briefe  Leibniz'  an  Frisch 
und  ein  von  Leibniz  an  den  Grafen  von  Wartenberg  gerichteter  und  an 
Frisch  zur  Übergabe  gesandter  gegenüberstehen,  so  ist  diese  Briefsamm- 
lung in  erster  Linie  für  die  Beurteilung  des  Berliner  Schulmannes 
Johann  Leonhard  Frisch  und  für  die  Kenntnis  des  geistigen  Lebens  in  Berlin 
zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  von  Wichtigkeit.  Gleichwohl  darf  sie 
hoffen,  auch  von  den  Leibniz-Forschern  nicht  übersehen  zu  werden. 
Sind  doch  die  Mitteilungen  in  den  Schreiben  Frisch's  meist  die  Aut- 
worten auf  die  uns  nicht  erhaltenen  Briefe  Leibniz',  so  dass  sich  aus 
jenen  teilweise  der  Inhalt  der  Leibnizschen  Briefe  wiederherstellen  lässt. 
Und  wenn  auch  der  vorliegende  Briefwechsel  nicht  wesentlich  neue  Züge 
zu  dem  Bilde  des  grossen  Gelehrten  und  Politikers,  dessen  zweihundert- 
undfünfzigjährigen  Geburtstag  wir  in  diesem  Jahre(1896)  feiern,  hinzuzufügen 
vermag,  so  giebt  er  doch  dankenswerte  Erläuterungen  zu  den  mannig- 
fachen Anregungen,  welche  das  wissenschaftliche  Leben  Berlins  Leibniz 
zu  verdanken  hat.  Für  das  Verständnis  der  Briefe  ist  die  Kenntnis  von 
Frischs*)  Leben  und  Wirken  und  eine  Darstellung  von  Leibniz'  Bemüh- 
ungen um  die  Gründung,  Erhaltung  und  Hebung  der  Societät  der  Wissen- 
schaften zu  Berlin  nicht  zu  entbehren. 


*)  Eine  Biographie  Frischs  nach  den  Quellen  habe  ich  bereits  als  Einleitung 
zu  meiner  Ausgabe  von  Frischs  Schulspie]  gegeben.  (Heft  26  der  Schriften  des  Vereins 
für  die  Geschichte  Berlins.  Berlin  1890.)  Dort  ist  besonders  auf  die  äussere  Lebens- 
führung des  Mannes  eingegangen,  hier  gilt  es,  sein  durch  Leibniz'  Ideen  beeinflusstes 
Wirken  darzustellen. 

1 


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II 


Kinleitung. 


1.   J.  L.  Frischs  Lehr-  und  Wanderjahre. 

Johann  Leonhard  Frisch  wurde  am  19.  März  1666  zn  Sulzbach  bei 
Nürnberg  als  der  Sohn  des  kaiserlichen  Notars  Johann  Leonhard  Frisch 
und  seiner  Gemahlin  Sabina  geb.  Fecher  (alias  Fechner)  geboren.  Den 
Überlieferungen  der  Familie  entsprechend  wurde  der  Knabe,  der  früh- 
zeitig gute  Begabung  erkennen  Hess,  für  den  gelehrten  Beruf  bestimmt; 
er  widmete  sich,  nachdem  er  in  Nürnberg  das  Gymnasium  besucht,  wie 
sein  Urgrossvater  uud  Grossvater  väterlicherseits  dem  Studium  der 
Theologie.    In  den  Jahren  1683—1690  lag  er  in  Altorf,  Jena  und  Strass- 
burg  diesem  Studium  ob.    Da  seine  Eltern  mit  irdischen  Schätzen  nicht 
gesegnet  waren,  rnusste  er  sich  mühsam  genug  durchschlagen.  Die 
Ausgaben  für  seine  Studien  in  Altorf  und  Jena  bestritt  er  zum  Teil  von 
den  Ersparnissen,  die  er  während  seiner  Gymnasialzeit  als  Famulus 
eines  Predigers  und  als  Kurrendeschüler  gemacht  hatte,  und  in  Stras- 
burg erwarb  er  sich  durch  Privatunterricht  seinen  Lebensunterhalt. 
Schon  in  diesen  Jugendjahren  trat  bei  ihm  das  vielseitige  Interesse,  das 
ihn  später  wahrscheinlich'  mit  Leibniz  in  Verbindung  brachte,  deutlich 
hervor.    Auf  seinen  Wanderungen  von  einer  Hochschule  zur  anderen 
und  von  Strassburg  nach  Frankreich  und  durch  die  Schweiz  besuchte 
er,  woJbin  er  kam,  Bibliotheken  und  Kunstsammlungen,  besichtigte 
Fabriken,  Maschinen,  Zeughäuser  und  Werkstätten  berühmter  Meister 
und  bemühte  sich  um  die  Bekanntschaft  hervorragender  Gelehrter,  deren 
Äusserungen  er  aufzeichnete.    Im  Jahre  1690  oder  öl  bestand  er  in 
Nürnberg  die  Prüfung  als  Kandidat  der  Theologie  und  sollte  nach  seiner 
mit  Beifall  aufgenommenen  Probepredigt  Adjunkt  eines  Predigers  werden, 
verzichtete  aber  freiwillig,  als  er  sah,  dass  durch  seine  Wahl  ältere 
Männer  hintenangesetzt  und  gekrankt  werden  würden,  und  zog  wieder 
in  die  Fremde.    Zu  Neusol  in  Ungarn  linden  wir  ihn  als  Adjunkt  eines 
Pastors  Breithoru,  wie  er  den  bedrängten  Evangelischen  in  einer  Scheune 
wegen  ihres  rohen,  unchristlichen  Wesens  Busse  predigt  und  als  „Apostel 
Herrn  Magister  Frankens**  verhöhnt  wird.    In  der  Türkei,  durch  die  er 
darauf  wandert,  wird  er  von  einem  kaiserlichen  Kriegskorps,  «las  gegen 
die; Türken  kämpft,  als  Dolmetscher  angenommen  und  in  Dragoneruni- 
form gesteckt.    Über  Ober- Italien  kehrt  er  1693  nach  Deutschland 
zurück  mit  dem  Vorsatz,  „nechst  dem  studio  theologico  sich  auch  auf 
Jura  und  oeconomie  zu  legen".    Er  tritt  in  den  Dienst  eines  Barons 
von  Bodenhausen  und  ist  zunächst  auf  dessen  in  der  Nähe  Nürnlwrgs 
gelegenem  Gute  Oberdachsbach,  dann  auf  den  Besitzungen  desselben 
Mannes  am  Eichsfeld  als  Landwirt  und  Hofverwalter  praktisch  thütig. 
In  gleicher  Eigenschaft  wurde  er  1696  von  einem  Herrn  von  Hartefels 
in  Blankenburg  a.  H.  in  Dienst  genommen,  und  im  nächsten  Jahre  wurde 
er  durch  die  Vermittlung  eben  dieses  Mannes  Erzieher  des  jungen  Grafen 


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Einleitung. 


ITT 


George  Albrecht  von  Erbach.  Schon  nach  einem  .lahre  treibt  ihn  die 
Wanderlust  wieder  von  dannen.  Hicsmal  sind  es  wesentlich  theologische 
Interessen,  die  sein  Wanderziel  bestimmen.  In  Erbach  hatte  er  zum 
ersten  Mal  wieder  gepredigt  und  jetzt  wollte  er,  wie  sein  Biograph 
Wippel  erzählt,  „die  Gemüts-Beschaffenheit  etlicher  dainahligen  Fanati- 
corum,  Chiliasten  und  ausgeschriebenen  Propheten  gründlich  prüfen". 
Hatte  er  vor  fünf  Jahren  den  praktischen  Beruf  des  Landwirts  ergriffen, 
weil  religiöse  Bedenken  und  Zweifel  ihn  bestürmten,  und  war  diese 
Krisis  nun  vorüber?  Über  Mainz  und  Köln  begab  er  sich  nach  Amster- 
dam und  lernte  hier  Gichtel,  den  Stifter  der  asketischen  Sekte  der 
Engelbrüder,  und  den  Seh  wärmer  Quirin  Kuhlmann  kennen,  besuchte 
hier  auch  den  Gottesdienst  der  Quäker.  Als  ihm  die  ßaarmittel  völlig 
ausgegangen  waren,  verdingte  er  sich  als  Arbeiter  zum  Einrammen  von 
Pfählen  und  wurde  von  einem  Vorübergehenden,  dem  er  bei  dieser 
Thätigkeit  auffiel,  mit  einigen  Dukaten  Reisegeld  unterstützt.  Er  begab 
sich  nun  nach  den  beiden  Akademien  zu  Franecker  und  Groningen, 
ging  nach  Ostfrieslaud  und  von  da  zur  See  nach  Hamburg.  Von  hier 
wandte  er  sich  nach  Berlin  und  fand  im  Hause  eines  Landsmannes,  des 
Predigers  au  der  Nikolaikiriche  Paul  Astmann,  freundliche  Aufnahme. 
1698  wurde  ihm  das  damals  erledigte  Subrektorat  am  Gymnasium  zum 
Grauen  Kloster  übertragen,  und  der  uuruhige  Wanderer  dadurch  und 
durch  seine  ein  Jahr  später  erfolgte  Vermählung  mit  Sophie  Elisabeth 
Darnmann,  der  Tochter  des  Stadtpredigers  Dammann  zu  Blankenburg  a.  IL, 
für  die  Zeit  seines  Lebens  in  Berlin  sesshaft  gemacht. 

2.   Leibniz1  Wirken  für  die  Gründung,  Hebung  und  Erhaltung 
der  Societät  der  Wissenschaften  .zu  Berlin. 

Um  diese  Zeit  war  auch  Leibuiz,  geboren  den  1.  Juli  1646,  seit 
1676  in  Hannover,  in  nähere  Beziehung  zu  Berlin  getreten.  Seine 
Schülerin,  die  Prinzessin  Sophie  Charlotte  von  Hannover,  die  ebenbürtige 
Tochter  ihrer  hochbegabten  Mutter,  der  Kurfürstin  Sophie,  hatte  sich  im 
Jahre  1684  mit  «lern  brandenburgischen  Kurprinzen  Friedrich  vermählt. 
Trotz  des  hohen  Ansehens,  in  dem  Leibniz  bei  der  Kurfürstin  Sophie 
stand,  und  der  Wertschätzung,  deren  er  sich  ohne  Zweifel  schon  damals 
seitens  seiner  fürstlichen  Schülerin  erfreute,  hatte  diese  .Vermählung 
Leibniz  zunächst  nicht  in  nähere  Beziehung  zum  Berliner  Hofe  gebracht. 
Zwar  wechselte  er  in  der  Folgezeit  Briefe  mit  angesehenen  Persönlich- 
keiten aus  der  Umgebung  des  Königs  (C'uneau  und  Dunkelmann),  kam 
sogar  als  Nachfolger  des  Hof historiographen  Pufendorf  eine  Zeit  lang 
in  Frage,  aber  erst  aus  dem  Jahre  lülJ7,  demselben  Jahre,  in  welchem 
der  allmächtige  Dankclmann  gestürzt  wurde,  liegen  uns  Zeugnisse*)  dafür 

*)  Vergl.    Leibniz    Briefwechsel    mit    Sophie   Charlotte   in    Leibniz  Werken 
hurausgeg.  v.  Onno  Klopp.    1.  Reihe,  Bd.  fl,  S.  4«  ff.  u.  Bd.  10. 

1* 


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IV 


Einleitung. 


vor,  dass  Leibniz  die  Kurfürstin  Sophie  Charlotte  für  die  Verwirklichung 
seiner  umfassenden  Pläne  in  Berlin  zu  gewinnen  trachtete. 

Leibniz'  philosophisches  System  gipfelt  in  der  Idee  der  Weltharmonie, 
d.  h.  in  dem  Gedanken,  dass  eine  glückliche  Notwendigkeit  alles  Seiende 
beherrsche  und  das  Entgegengesetzte  selbst  zu  gemeinsamem  Fortschritt 
zusammenführe.  Diese  Harmonie  ausfindig  zu  machen  oder,  wo  sie  ge- 
hemmt und  gestört  war,  nach  Möglichkeit  herzustellen,  war  sein  be- 
ständiges Streben.  Daher  war  sein  Lieblingsplan  die  Reunion  der  seit 
der  Reformation  getrennten  Schwesterkirchen,  der  katholischen  und 
evangelischen,  und  als  diese  Bemühungen  sich  zerschlugen,  suchte  er 
für  die  Vereinigung  des  reformierten  und  lutherischen  Bekenntnisses  zu 
wirken.  Hannover  und  Brandenburg  schienen  ihm  besonders  geeignet, 
diese  Vereinigung  anzubahnen  und  von  hier  aus  über  die  ganze  evan- 
gelische Kirche  Deutschlands  zu  verbreiten.  Das  reformierte  Bekenntnis, 
das  am  Berliner  Hofe  herrschte,  war  an  sich  schon  duldsam  und  auf- 
geklärt; dazu  kam,  dass  der  grosse  Kurfürst  trotz  seiner  eifernden 
lutherischen  Unterthanen  die  persönliche  Gewissensfreiheit  an  seinem 
Hofe  und  in  seinem  Lande  hatte  tliätig  üben  lassen;  und  dass  dieser 
Geist  der  Duldung  auch  nach  seinem  Tode  sich  erhalten  hatte.  Auch 
in  Hannover  lagen  die  Verhältnisse  für  diese  Unionsbestrebungen  günstig: 
Ernst  August  war  lutherisch,  aber  freisinnig  und  mild  auch  gegen  die 
anderen  Bekenntnisse,  seine  Gemahlin  dagegen  war  reformiert,  so  dass 
in  dieser  Ehe  die  Union  gleichsam  vorgebildet  war.  Diese  Unions- 
bestrebungen, die,  wie  bekannt,  scheiterten,  um  spater  durch  ein  ein- 
faches königliches  Edikt  verwirklicht  zu  werden,  nahmen  1697  ihren 
Anfang,  indem  Leibniz  an  den  brandenburgischen  Kabinetssekretär 
Cuneau  eine  Schrift  „Kurze  Vorstellung  der  Einigkeit  uud  des  Unter- 
schiedes bei  den  Protestierenden"  übersandte.  Ln  demselben  Jahre  ge- 
lang es  Leibniz,  auch  für  seine  harmonistischen  Bemühungen  auf  wissen- 
schaftlichem Gebiete  in  Berlin  Boden  zu  gewinnen. 

In  der  Wissenschaft  wollte  er  nicht  nur  widerstrebende  Meinungen 
ausgleichen,  sondern  auch  die  divergierenden  Kräfte,  die  auf  dem 
geistigen  Kampfplatze  hervortraten,  zum  gemeinsamen  Wirken  verbinden. 
Da  die  Verschiedenheit  der  Sprachen  der  buchten  Verständigung  hinder- 
lich ist,  trug  er  sich  jahrelang  mit  dem  Gedanken  an  eine  Pasigraphie, 
eine  Weltschrift,  die  statt  der  Worte  die  Dinge  und  ihre  charakteristischen 
Beziehungen  mitteilen  sollte.  In  demselben  Sinne  war  er  auf  Gründung 
neuer  Bibliotheken  und  Verbesserung  vorhandener  bedacht,  wirkte 
für  die  Verbesserung  des  Erziehungswesens  und  die  Errichtung  von 
Fürstenschulen  und  Ritterakademieen  und  verwandte  sich  für  Gründung 
von  Gelehrten -Akaderaieeu,  deren  er  ein  ganzes  Netz  über  die  Haupt- 
städte Europas  verbreitet  zu  sehen  wünschte.  Diese  Akademieen  dachte 
er  sich  nicht  als  blosse  Gelehrtenkonferenzen,  sondern  als  wissenschaft- 


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Einleitung.  V 

liehe  Gemeinwesen,  in  denen  alle  Kräfte  zu  gemeinsamer  Arbeit  organisiert 
sind.  Dass  Leibniz  den  Gedanken  einer  solchen  Akademie  gegen  Ende 
des  Jahrhunderts  gerade  in  Brandenburg  zu  verwirklichen  suchte,  hatte 
aber  seinen  Grund  nicht  bloss  in  dem  Umstände,  dass  er  auf  die  Hülfe 
seiner  fürstlichen  Schülerin  Sophie  Charlotte  dabei  hoffte. 

Er  hatte  sich  in  früheren  Zeiten  keineswegs  freundlich  über 
Brandenburg  geäussert*),  weil  er  in  ihm  nur  einen  gewöhnlichen,  dazu 
nach  Ungebührlichem  strebenden  und  daher  für  die  anderen  un- 
angenehmen Kleinstaat  sah.  Wenn  er  als  guter  Patriot  durch  die  Ver- 
wirklichung seiner  harmonistischen  Ideen  sein  Vaterland  von  den  Leiden 
des  vernichtenden  Krieges,  von  den  Wunden,  welche  allerlei  schlimme 
Leidenschaften  ihm  geschlagen,  zu  heilen  gedachte  und  Deutschland  aus 
seiner  tötlichen  Ermattung  zu  dem  Range  eines  vollbürtigen  Gliedes 
unter  den  glücklicheren  Völkern  emporzuheben  hoffte,  so  hatten  sich  in 
erster  Linie  seine  Blicke  hoffend  nach  dem  führenden  Staate,  nach 
Österreich,  gewandt.  Er  erkannte  aber,  dass  er  gerade  auf  den  beiden 
Gebieten,  auf  denen  er  das  Vaterland  zu  heben  suchte,  in  Kirche  und 
Schule,  bei  Österreich  keine  Förderung  finden  würde,  und  je  genauer 
er  die  Politik  Brandenburgs  und  die  geistigen  Strömungen  am  Berliner 
Hofe  zu  beobachten  Gelegenheit  und  Veranlassung  hatte,  um  so  mehr 
befestigte  sich  in  ihm  die  Meinung,  dass  dem  Ringen  und  Streben  dieses 
kleinen  protestantischen  Staates  doch  etwas  mehr  zugrunde  liege,  als 
blosse  Überhebimg  und  Unart  ,  und  dass  von  ihm  zunächst  in  geistiger 
Beziehung  für  Deutschland  doch  etwas  Tüchtiges  zu  erwarten  sei.  Daher 
bemühte  er  sich, 'an  diesem  Hofe  festen  Fuss  zu  fassen,  und  durch  die 
Hilfe  seiner  Gönnerin,  der  Kurfürstin  Sophie  Charlotte,  hatten  diese 
Bestrebungen  schliesslich  Erfolg.. 

Im  Herbste  1097  äusserte  sie  bei  der  Tafel  ihr  Missfallen  darüber, 
dass  in  Berlin,  dem  Zusammenfluss  so  vieler  Gelehrter,  kein  eigener 
Kalender  ausgegeben  werde,  noch  ein  Astronom  und  ein  Observatorium 
vorhanden  sei.  Der  Hofprediger  Jablonski  berichtete  diese  Äusserung 
an  den  Minister  von  Dankelmann,  der  sogleich  auf  diese  Anregung  ein- 
ging und  sein  Bestes  zu  tliun  versprach.  Auch  Leibniz,  der  durch  den 
Kabinetssekretär  Cuneau  von  der  Angelegenheit  hörte,  wandte  ihr  seine 
lebhafteste  Teilnahme  zu**).  Schon  in  seinem  Antwortschreiben  an 
Cuneau  kommt  der  Plan  zum  Ausdruck,  an  den  kleinen  Anfang  der 
Sternwarte  die  ganz«'  Akademiegründling  zu  knüpfen,  die  eine  weithin- 
strahleude    wissenschaftliche    Leuchte    werden    sollte***).     Der  Sturz 


*)  Vgl.  Ldmund  l'fleiderer.  (iottfrie«!  Wilhelm  Leibniz  als  Patriot,  Staatsmann 
und  BUdungstritger  (Leipzig  ls70),  S.  1-17  f. 

**)  Vgl.  «einen  Brief  an  .lie  Kmtürstin  bei  Klo^.  I.  IM.  s,  S.  47  11 
■■■*■■)  Vgl.  Pfleiderer  a.  a.  O.,  S  (>?<;. 


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VI  Einleitung. 

Dankelmanns  verzögerte  die  Ausführung  des  Planes:  als  aber  auf  dem 
Reichstage  zu  Regensburg  die  Verhandinngen  über  die  Einführung  des 
verbesserten  gregorianischen  Kalenders  in  den  protestantischen  Ländern 
aufgenommen  und  glücklich  durchgeführt  wurden,  gab  dies  in  Berlin 
Veranlassung,  auf  die  Errichtung  eines  Observatoriums  zurückzukommen, 
und  für  Leibniz  die  Gelegenheit,  in  Verbindung  mit  diesem  Projekt  die 
Gründung  der  Akademie  zu  betreiben.  In  dem  Briefwechsel  mit  dein  Hof- 
prediger D.  E.  Jablonski*),  der  um  diese  Zeit  besonders  lebhaft  war,  erwähnt 
Leibniz  des  Societätsplanes  zuerst  am  12.  März  1700.  Er  hebt  hervor,  dass 
das  Observatorium  und  das  Kalender  wesen  nicht  das  Einzige  und  Wichtigste 
bleiben  dürften,  „sondern  als  ein  schön  accessorium  zu  eonsideriren" 
seien,  und  entwickelt  über  die  Organisation  folgenden  Plan.  rl)ie 
Societät  unter  churfürstlicher  Protektion  (denn  so  wollte  ich's  nach 
xlenj  exemplo  Regiae  et  Leopoldinae  lieber  nennen  als  Academie)  sollte 
aus  einigen  Mein  bris  ordinariis  nebst  einem  Directore  und  vielen  Hono- 
rariis bestehen,  welche  nicht  nur  die  Astronomie,  sondern  totam 
Mattlieseos  et  Physices  latitudinem  zu  dem  hauptsächlichen  Objecto 
hätten,  sonderlich  aber  auf  gemeinnützige  Applicationes  bedacht  wären. 
Dazu  gehören  cura  Astronomiae,  Mechanicae,  Arehitectonieae,  Chymiae, 
Botanicae  et  Anatoinicae,  also  neben  dem  Observatorio  auch  ein  Labora- 
torium samt  allerhand  Kunstwerken ;  zu  geschweigen  des  übrigen  physici 
apparatus,  daran  denn  bei  eines  grossen  Potcutaten  Hof  nicht  wohl  er- 
mangeln kann."  Sei  auch  alles  nicht  gleich  ausführbar,  so  müsse  man 
es  doch  im  Entwurf  so  fassen,  dass  das  Ziel  der  Grösse  und  dem  Ruhm 
des  Stifters  entspreche,  und  könne  sich  mit  der  stufenweisen  Ausführung 
begnügen.  Mit  dem  Observatorium  und  dem  Kalenderwesen  müsse  aber 
jetzt  begonnen  werden,  weil  Gefahr  im  Verzuge.  Jablonski  fasste  diese 
Gedanken  mit  Eifer  auf  und  entwarf  auf  (Jrund  der  Leibniz'sehen  Aus- 
einandersetzung für  den  Kurfürsten  einen  ausführlichen  Plan,  dem  eine  kurze 
Ubersicht  zur  leichteren  Orientierung  beigelegt  wurde.  Nur  Botanik  und 
Anatomie  hatte  er  in  dem  Plan  nicht  berücksichtigt,  „so  aber  daher 
geschehen,  weil  allhier  seit  einiger  Zeit  ein  Collegium  medicum**)  etablirt 
worden,  so  zwar  noch  nichts  publice  prästiret,  jedoch  hat  man,  um  an- 
fänglich Collision  zu  vermeiden,  solche  Dinge,  darauf  sie  ein  besonderes 
Recht  sich  zuschreiben,  vorbeigehen  wollen.  Mit  der  Zeit  wir«  1  es  sich 
von  Selbsten  geben,  weil  nicht  nur  die  scientiae  nmnexae,  sondern  auch 
wir  die  besten  Leute  aus  solchem  <  'ollegio  an  uns  ziehen  können." 


•)   .F.    E.    Kuppen*   Sammlung    einiger    vertrauten    Briefe,    welche  zwischen 
G.  W.  von  Leibnix  u.  D.  K.  JaMonski  gewechselt  worden  find.    Leipzig  1745. 

**)  Das  Collegium  Sanitati»  oder,  wie  <-s  gewöhnlich  genannt  wird,  Medicum  war 
am   ]•_'  November  1  <;•<;.  gegründet  worden.     Mylius  C.  »\  March.  V.  4  No.  10.  Bei 
läge  1  Sp.  1 1  f. 


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Einleite. 


Vll 


Während  einer  Reise  des  Kurfürsten  nach  Oranienburg  am  19.  März 
1700  legte  ihm  der  Requetenmeister  (maitre  des  requöts)  M:  von  Wedel 
beide  Schriftstücke  vor  und  erstattete  ihm  Bericht  über  die  Angelegenheit. 

Der  Kurfürst  genehmigte  den  Plan  in  allen  seinen  Stücken  und  er- 
klärte, „die  Societät  gnädigst  fundiren  und  protegiren  zu  wollen,"  fügte 
aber  hinzu,  dass  mnn  auf  die  Kultur  der  deutschen  Sprache  bei  dieser 
Fundation  gedenken  möchte,  gleichwie  in  Frankreich  eine  eigene  Akademie 
hierzu  gestiftet  sei.  Zugleich  wurde  Leibniz  auf  Befehl  des  Kurfürsten 
eingeladen,  nach  Berlin  zu  kommen  und  die  Ausführung  seines  Planes 
persönlich  zu  fördern.*)  Für  das  Observatorium  wurden  Räume  über 
dem  neuen  Marstall  an  der  Ecke  der  Letzten  (Dorotheen-)  und  Char- 
lotten-Strasse  zum  Neubau  angewiesen  und  der  Baumeister  Grünberg  mit 
demselben  beauftragt.**)  Mancherlei  Umstände  verzögerten  die  Voll- 
endung des  Baues  bis  1711. 

Es  kann  nun  nicht  die  Aufgabe  dieser  Einleitung  sein,  eine  genaue 
Geschichte  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  bis  zii  Leibniz' 
Tode  zu  geben:  denn  abgesehen  davon,  dass  zur  vollkommenen  Lösung 
dieser  Aufgabe  u.  a.  der  noch  nicht  veröffentlichte  Briefwechsel  Leibniz' 
mit  Cuneau,  .Job.  Theod.  .Tubionski,  Ancillon***)  u.  a.  benutzt  werden 
müsste,  ist  es  für  unsere  Zwecke  nur  nötig,  diejenigen  Thateachen  her- 
vorzuheben, welche  zum  Verständnis  des  nachfolgenden  Briefwechsels 
beizutragen  geeignet  sind.  Unerlässlick^  scheint  ein  Eingehen  auf  die 
beulen  Denkschriften,  welche  Leibniz  über  die  Organisation  der  Societät 
verfasst  hat,  weil  durch  sie  manche  der  im  nachfolgenden  Briefwechsel 
enthaltenen  Mitteilungen  erst  in  das  recht»'  Licht  gesetzt  werden. 

Mit  welchem  Eifer  sich  Leibniz  der  Angelegenheit  annahm,  geht  auch 
daraus  hervor,  dass  er  auf  das  Schreiben  .lablonski's  vom  23.  März  1700,  in 
welchem  dieser  ihm  von  der  günstigen  Aufnahme  des  Akademieplanes 
durch  den  Kurfürsten  Nachricht  gegeben  hatte,  umgehend  am  26.  März 
antwortetet)  und  .lablonski's  Denkschrift  Punkt  für  Punkt  durchging, 
auch  u.  a.  Katschläge  über  den  Bau  der  Sternwarte,  die  Beschaffenheit 
der  astronomischen  Instrumente  und  Anschaffung  einer  Bibliothek  gab. 
Ausserdem  aber  sandte  er  mit  diesem  Brief  eine  für  den  Kurfürsten 

*)  Das*  Leibniz  »'ine  derartige  Einladung  annehmen  konnte,  Latte  Sophie  Char- 
lotte in  Hannover  erwirkt  Auch  ist  es  nieht  zweifelhaft,  dass  ihr  KinHuss  zu  dem 
schnellen  Entschluss  ihres  Gemahls  beigetragen  hat;  dass  sie  aber  auif  Leibniz'  An- 
stiften und  in  Gemeinschaft  mit  ihrer  Mutter  die  Gründung  der  Societät  vorzüglich 
aus  dem  Gesichtspunkt  betrieben  und  duichgesetzt  habe,  um  durch  Leibniz'  Vermitt- 
lung politische  Zwecke  zu  verfolgen,  scheint  mir  durch  (>.  Klopp'8  Ausführungen 
<a.  a.  O.  Bd.  10  S.  XIII  u  S.  XXIX  it.)  nicht  erwiesen.  V^l  ebendort  die  Briefe  Leibniz' 
nn  die  Kurfürstin  Sophie  im  Jahre  17(H>  IM.  S  S   l.M  tf. 

**\  Vgl  Kapp  a  ».  «i.  S  lf,5  und  über  den  Fortgang  des  Baues  8.  1*5,  236.  288. 

*'•)  Vgl.  Bodemann  a.  a.  <>.  zu  diesen  Namen. 
S.  Kapp  a.  a.  O.  S.  I."i7  fl. 


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VIII 


Einleitung. 


bestimmt«  Denkschrift  über  die  Errichtung  der  Societät  und  bald  darauf 
eine  Auseinandersetzung  über  die  Pflege  der  deutschen  Sprache  durch 
die  Societät.*)  Der  Inhalt  jener  Denkschrift**)  ist  im  wesentlichen 
folgender:  »Die  churfürstliche  Societät  müsste  nicht  auf  blosse  Curiosität 
oder  Wissbegierde  und  unfruchtbare  Experimenta  gerichtet  sein  oder  bei 
der  blossen  Erfindung  nützlicher  Dinge  ohne  Application  und  Anbringung 
beruhen,  wie  etwa  zu  Paris,  London  und  Florenz  geschehen,  daher  eine 
Verspottung  erfolget  und  endlich  die  Hände  abgezogen  worden;  sondern 
man  müsste  gleich  anfangs  das  Werk  samt  der  Wissenschaft  auf  den 
Nutzen  richten  und  auf  solche  specimina  denken,  davon  der  hohe  Ur- 
heber Ehre  und  das  gemeine  Wesen  ein  mehrers  zu  erwarten  Ursach 
habe.  Es  wäre  demnach  der  Zweck  theoriam  cum  praxi  zu  vereinigen 
und  nicht  allein  die  Künste  und  die  Wissenschaften,  sondern  auch  Land 
und  Leute,  Feldbau,  Manufacturen  und  Commerden  und  mit  einem 
Worte  die  Nahrungsmittel  zu  verbessern,  überdies  auch  solche  Ent- 
deckungen zu  thun,  dadurch  die  überschwängliche  Ehre  Gottes  mehr 
ausgebreitet  und  dessen  Wunder  besser  als  bisher  erkannt,  mithin  die 
christliche  Religion,  auch  gute  Polizeiordnung  und  Sitten,  theils  bei  heid- 
nischen, theils  noch  rohen  und  barbarischen  Völkern  gepflanzet  oder  mehr 
ausgebreitet  würden.  Wobei  denn  wohl  zu  betrachten,  dass  Churfürst- 
liche Durchlaucht  wegen  Lagers  oder  Situation  derer  Lande  und  anderen 
Conjuncturen  dazu  solche  G^egenheit  haben,  dergleichen  weder  der 
Kaiser  noch  König  in  Frankrei^  bei  den  ihrigen  finden,  und  nicht  allein 
wegen  guter  Verständnis  mit  Moskau  nach  China ,  Indien  und  Persien 
und  in  die  grosse  Tartarei  trefl'liche  Handlung  anrichten  uud  neben  dem 
evangelischen  Wesen  ihren  Ländern  grosse  Vortheile  schaffen,  sondern 
auch  in  dem  ihrigen  wichtige,  fast  uukostliche  Entdeckungen  thun  lassen 
können,  damit  dem  menschlichen  Geschlecht  überaus  gedient  sein  würde." 
Die  Denkschrift  beschäftigt  sich  sodann  mit  den  Mitgliedern  der  Societät 
und  betont  besonders  die  ausserordentlichen,  deren  Gewinnung  und  Er- 
haltung keine  besonderen  Kosten  verursachen  würden.  Als  solche  nennt 
er  „gelehrte  Leute,  Ingenieurs  und  Künstler,  die  von  Churfürstlicher 
Durchlaucht  ohnedem  besoldet  werden" ;  sie  sollen  „sowohl  gegenwärtig, 
wie  sie  bei  Hof,  als  durch  Correspondenz,  wenn  sie  abwesend,  con- 
curriren,  und  nicht  allein  auf  Begehren  mit  Nachrichten  an  die  Hand 
gehen,  sondern  auch  von  selbsten  ihre  observationes  und  Gedanken  dar- 
geben." „Ferner  könnten  die  Churfürstlichen  Gesandten,  envoyes,  resi- 
denten, agenten  und  factoren,  angewiesen  werden,  nicht  allein,  was  ihnen 
etwa  von  curiösen  und  nützlichen  Dingen  vorkommt,  der  Societät  mit- 

*)  Vgl.  Kapp  a.  a.  O.  S.  182.    Vermutlich  1,.'  „Unvorgreifüche  Gedauken,  be- 
treffend die  Ausübung  und  Verbesserung  der  Deutschen  Sprache." 

**)  Abgedruckt  bei  Kapp  a.  a.  0.  S.  lOKff.,  Guhrauer,  Leibniz"  deutsche  Schriften 
II,  267  ff.  und  bei  Klopp  a.  a.  (>.  Bd.  10  S.  2<»ö  ff. 


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Einleitung. 


IX 


zutheilen,  sondern  auch  die  von  ihr  verlangenden  Erkundigungen  einzu- 
ziehen." Endlich  solle  man  sich  auch  mit  den  tauglichsten  unter  den 
Personen,  welche  an  Universitäten,  Akademien,  Gymnasien  und  anderen 
Schulen  angestellt  seien,  ins  Vernehmen  setzen,  „damit  wackere  Leute 
darunter,  die  etwas  Gutes  zu  thun  Lust  haben,  dazu  aufgemuntert,  ihnen 
die  objecta,  occasiones  und  allerhand  dienliche  Nachrichtungen  zu  ihrem 
Zwecks  suppeditiret,  und  also  nichts  zur  Aufnahme  der  Wissenschaften 
und  Studien  verabsäumt  werde.**  Zur  Unterhaltung  der  ordentlichen 
Mitglieder  seien  aber  Einnahmen  nötig,  und  damit  die  kurfürstlichen 
Einkünfte  möglichst  wenig  in  Anspruch  genommen  würden,  sei  auf  Er- 
öffnung von  Einnahmequellen  für  die  Societät  zu  denken.  In  erster 
Linie  schlägt  er  vor,  •  diejenigen  mit  einer  einmaligen  Abgabe  zu  be- 
lasten, welche  aus  kurfürstlichen  Mitteln  eine  Gnadenerweisung  erhalten. 
Sodann  empfiehlt  er  die  Errichtung  einer  Feuerkasse:  „Es  sind  auch  ge- 
wisse onera  so  bewandt,  dass  sie  nicht  beschwerlich,  sondern  angenehm, 
wenn  nämlich  der  Nutzen,  so  dadurch  erhalten  wird,  ungleich  grösser 
als  die  Kosten,  auf  welchen  Fall  die  Last  nicht  nur  erträglich,  sondern 
auch  erspriesslich  und  heilsam.  Zum  Exempel  eines  der  nützlichsten 
Dinge  zum  Besten  von  Land  und  Leuten  wäre  eine  gute  Anstalt  gegen 
Feuerschäden.  Und  weilen  nun  mehr  vortreffliche  Mittel  dagegen  auf- 
gefunden, welche  in  machinis  und  mathematischen  Grund  beruhen,  so 
könnten  alle  grosse  und  kleine  Städte  in  allen  churfürstlichen  Landen 
damit  aufs  vortheilhafteste  versehen,  und  ein  Theil  des  fundi  Societatis 
zuvörderst  darin  gesuchet  werden,  indem  alle  Bürger  nach  Wert  ihrer 
Häuser  ein  Leidliches  jährlich  zu  Anschaffung  und  Erhaltung  der  Brand- 
spritzen und  dazu  gehöriger  Mittel  zu  contribuiren  hätten,  solches  auch, 
als  zu  ihrer  Wohlfahrt  gereichend  von  Herzen  gern  thun  würden,  welches 
denn  also  zu  fassen,  dass  ein  merklicher  Übersehuss  bleibe,  welcher  zu 
nichts  andern  als  ad  cassam  societatis  scientiarum  anzuwenden,  damit 
sie  besser  in  Stand  sei,  mehr  dergleichen  landerspriessliche  Dinge  ab- 
zufinden oder  zu  veranstalten.  Daher  auch  die  ganze  Direktion  dieses 
Werkes  nebenst  denen  dazu  gehörigen  Personen  von  ihr  zu  dependireti 
hätte.« 

Ebenso  sei  auf  eine  Anstalt  gegen  Wasserschäden  zu  denken,  von 
deren  Einnahmen  später  ein  Teil  zum  Besten  der  Societät  verwendet 
werden  könnte.  „Nun  ist  gewiss,  dass  an  vielen  Orten  sich  die  Wasser 
ergiessen  und,  wenn  sie  sich  ergossen,  lange  Zeit  stehen  bleiben,  da 
entweder  das  allzu  grosse  Ergiessen  durch  diversiones  zu  verhüten  oder 
zu  vermindern  gewesen  wäre  oder  das  einmal  ergossene  Wasser  förder- 
lichst abgezogen  werden  könnte,  so  bloss  aus  Mangel  Nachdenkens  und 
Erkenntnis  unterlassen  wird.  Zu  geschweigen  der  Seen  und  Moräste, 
so  allezeit  stehen  bleiben,  und  theils  auszutrocknen  und  zu  besserem 
Nutz  zu  bringen." 


X 


- 

Einleitung. 


Entsprechend  der  kurfürstlichen  Einladung  kam  Leibniz  nun  selbst 
nach  Berlin,  wahrscheinlich  am  21.  Mai  1700.  Vom  25.  Mai  1700  ist 
eine  zweite  Denkschrift*)  datiert,  die  sich  inhaltlich  im  wesentlichen  mit 
der  ersten  deckt  und  nur  einige  Punkte  besonders  hervorhebt.  So  be- 
tont sie,  dass  die  geplante  Societät,  wenn  sie  die  realen  Wissenschaften 
pflege,  alle  ähnlichen  Institute  übertreffen  und  dem  Gründer  die  Be- 
wunderung der  Mitwelt  und  unsterbliches  Lob  bei  der  Nachwelt  ein- 
bringen würde.  Ferner  wird  der  bereits  in  der  ersten  Denkschrift  an- 
gedeutete Gedanke  von  der  Verbreitung  des  Christentums  und  christ- 
licher Kultur  durch  die  Societät  weiter  ausgeführt:  es  würde  die  Societät 
„zur  Ausbreitung  der  Ehre  des  grossen  Gottes  und  Fortpflanzung  des 
reinen  Evangelii  gereichen,  indem  dadurch  den  Völkern,  so  noch  im 
Finstern  sitzen,  das  wahre  Licht  mit  angezündet  werde,  dieweil  die 
Wissenschaften  und  der  irdische  Himmel  bequem  befunden  worden,  die 
verirreten  Menschen  gleich  wie  der  Stern  die  morgenländischen  Weisen, 
zu  dem,  so  recht  himmlisch  und  göttlich  ist,  zu  führen.  Wozu  nun- 
mehr vermittelst  sonderbarer  Schickung  der  Providenz  das  so  ungemein 
gute  persönliche  Vernehmen  mit  dem  Czar  in  dio  grosse  Tartarei  und 
das  herrliche  China  ein  weites  Thor  öffnet."  Endlich  aber  giebt  diese 
Denkschrift  eine  Übersicht  der  Wissenschaften,  welche  die  Societät  zu 
pflegen  haben  würde.  ..Reale  Wissenschaften  sind  mathesis  und  physica; 
bei  beiden  sind  vier  Hauptstüeke.  Bei  mathesi  diese:  geometria,  darunter 
man  inathesin  generalem  oder  analysin  begreifet,  so  den  Anderen  allen 
das  Licht  anzündet:  astronomia,  worunter  auch  in  der  That  geographia 
und  chronologia  sowohl  als  optica,  auf  gewisse  Maasse  beschlossen, 
dazu  ein  Observatorium  mit  instrumentis  gehöret:  ferner  architectonica 
(welche  eivilem,  militarem  et  nauticam  architeetnram  zusammenfasset, 
tum  picturam  statuariam  und  andere  artes  ornamentorum  als  subordinatas 
zu  sich  ziehet):  und  sonderlich  mechanica,  davon  die  Mühl- auch  Kunst- 
und  Handwerke,  so  Bewegung  erfordern,  samt  den  Manufacturen  regiert 
werden,  und  sind  zu  der  architectonica  sowohl  als  mechanica  Risse, 
Modelle  und  Werkzeuge  nöthig.  Physica  bestehet  aus  vier  T heilen,  näm- 
lich chymia  und  den  drei  Reichen.  Chymia  ist  die  rechte  physica  gene- 
ralis practica,  so  allen  drei  Reichen  gemein,  dadurch  das  Innerste  der 
Körper  zu  erfrischen,  und  wird  ein  Laboratorium  dazu  erfordert.  Das 
regnum  ininerale  hat  zwar  hauptsächlich  in  sich  die  Berg-  und  Hütten- 
werke, auch  mctalla,  «loch  sind  auch  Salz-  und  Salpeter-  und  andere 
Siedereien,  Stein-  und  Kohlenbrüche,  Glasarbeiten  aller  Art  und  selbst 
«las  vortreffliche  Regal  des  Agtsteins  (Bernsteins  i  —  so  ( 'liurfiirstliche  Durch- 
laucht vor  anderen  Potentaten  haben  -  dahin  zu  rechnen.  Bei  dem 
reguo  vegetabili  ist  botanica,  daraus  die  agricultura  neben  der  Gärtnerei 

*■  l.eibni*  Werke,  herausy.  v.  Onnu  Klo|ip,  I.  IM  M. 


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Einleitung 


XI 


und  Forstwesen  fliesser.  —  Und  das  regnum  unimale,  dessen  rechte  Er- 
kenntnis von  der  anatomia  dargegeben  wird,  hat  Thierzucht,  Waidwerk 
und  viel  anders  (der  hohen  Scienz  der  Medizin  zu  geschweigen)  in  sich." 
Zunächst  hatten  die  beiden  Denkschriften  keinen  praktischen  Erfolg, 
denn  der  Berliner  Hof  war  durch  die  Festlichkeiten  in  Anspruch  ge- 
nommen welche  mit  ausserordentlicher  Pracht  und  grossem  Aufwand 
aus  Veranlassung  der  Vermählung  des  Erbprinzen  von  Hessen-Kassel 
mit  Luise  Dorothce  Sophie,  einzigen  Tochter  aus  der  ersten  Ehe  des 
Kurfürsten,  fast  einen  Monat  lang  gefeiert  wurden.  Auch  Leibniz  nahm 
an  ihnen  teil  und  berichtete  über  sie  allerlei  Interessantes  an  die  Kur- 
fürstin Sophie  nach  Hannover.*) 

Nach  Beendigung  der  Festtage  fand  er  Zeit,  sich  eingehender  mit 
der  wichtigen  Frage  nach  den  Einkünften  der  Societät  zu  beschäftigen. 
J'ar  la  socite  ne  doit  rien  couster  ä  l  Electeur.  Elle  se  doit  faire  son 
propre  fonds,  qui  ne  consistera  qu'en  certaines  concessions  qne  TElectenr 
veut  accorder  saus  qu'il  luy  en  couste  que  des  paroles  et  par  eonsequent 
res  revenues  seront  un  peu  easuels"**)  schreibt  er  unter  dem  29.  Juni 
1700  an  die  Kurfürstin  Sophie  nach  Hannover.  Solcher  Konzessionen 
hatte  er  sechs  vorgeschlagen,  wie  aus  der  Nachschrift  eines  von  ihm  an 
den  Kequetenmeister  M.  v.  Wedel  am  15.  Juni  1700  gerichteten  Briefes***) 
hervorgeht:  „Die  ausser  des  Kalenderwesens  ohnmassgeblich  vorge- 
schlagene puneta  zum  fundo  societatis  waren  au  der  Zahl  fünf.  1.  Be- 
dingte Indulgenz  der  Reisen  pro  re  Germanica:  2.  Feuerspritzen  mit 
ander  Anstalt  pro  re  meehaniea:  3.  Cleri  et  ecclesiarum  coneursus 
pro  missionibus  et  propaganda  per  scientias  tide:  4.  Bücher-* 'ommissariat 
nnd  Aufsicht  dergleichen  zu  Frankfurt  am  Main,  doch  mit  gewissem 
Aufsatz  auf  rlie  eingehenden  Ballen,  zum  Theil  nach  dem  englischen 
frischen  Exempel  pro  re  litteraria:  ö.  Lotterie  oder  annehmliehe  Ver- 
losung". Leibniz  erörterte  die  in  Aussicht  genommenen  Einnahmequellen 
teils  in  einer  zusammenhängenden  Darstellung  (Einige  Vorschlage  pro 
fundo  Societatis  scientiarum),  teils  in  einigen  Sonderaufsätzen,  von 
denen  noch  die  Rede  sein  wird.  Auf  das  Kalenderprivilegium  noch  ein- 
mal genauer  einzugehen,  war  keine  Veranlassung,  da  bereits  am  10.  Mai 
1700  ein  „ Patent f),  wodurch  auswärtige  Kalender  verboten  werden" 
erlassen  war.  Doch  waren  die  Einkünfte  aus  diesem  Privilegium  so 
gering,  dass  Leibniz  schon  im  ersten  .fahre  auf  Verbcsserungen  denken 
musste  und  Jablonski  eine  grössere  Mannigfaltigkeit  in  den  zur  Ausgabe 
gelangenden  Kalendern  empfahl. ff )    Eine  zweite  Einnahmequelle  sollte 

*}  Leibniz  Werke,  herausg.  v.  Unno  Klopp,  I.  IM.  s,  SJ.  löl  ff. 
**)  Ebenda  Bd.  S,  .S.  101. 
***)  Ebenda  IM  10,  S.  .510. 

-{■)  Vgl.  Mylius  Corpus  consiit.  March.  VI  '1  N<>.  •_>  Sp. No.  14  Sp.  U  ;  No.  ss  .Sp.  125. 
ff)  Ciuhrauer,  Leibniz'  Deuteln-  .S-lirifton  II,  ISSfT. 


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XII 


Einleitung. 


nach  Leibniz'  Meinung  eine  Steuer  bilden,  mit  welcher  alle  Reisen  ins 
Ausland  zu  belegen  soien.  Die  Begründung  des  Vorschlags  ist  zwar 
nicht  übel:*)  „Weilen  nach  Churfürstl.  Durchlaucht  selbst  eigenem 
gnädigsten  Gntlinden  es  eine  teutech  gesinnete  Societät  sein  soll,  so  die 
Ehre  der  teutschen  Nation  und  Sprache  sich  angelegen  sein  lasse,  so 
könnte  aus  diesem  scopo  selbst  ein  Ansehnliches  einkommen.  Wann 
nämlich  anstatt  der  vorigen  churfürstlichen  Prohibitiv-Edicten  gegen 
gewisse  ausländische  Reisen,  so  als  tacite  durch  den  Frieden  aufgehoben 
geachtet  werden  wollen,  gleichwohl  aber  nicht  ausdrücklich  revociret 
worden,  verordnet  würde,  dass  alle  churfürstlichen  Vasallen  und  Unter- 
thanen,  so  durch  Reisen  ihre  Cultur  zu  suchen .  vermeinen,  solches  nicht 
anders  als  nach  vorher  erhaltener  Special-Indulgenz  zu  thun  befugt  sein 
sollen,  und  dass  es  ihnen  nicht  anders  gnädigst  zu  erlauben  als  unter 
gewissen  Bedingungen,  welche  dieser  teutsch  gesinnten  Societät  zu  statten 
kommen  könnten,  damit  der  dabei  waltende,  der  teutschen  Nation  so 
schädliche  Missbrauch  einigermassen  beschränket,  das  Böse  selbst  zum 
Guten  gekehret  und  Churfürstliche  Durchlaucht  zugleich  von  ihrer  Vasallen 
und  Unterthanen  Unternehmen  und  Fähigkeit  zu  dero  Dienst  desto  bessern 
Bericht  erlangen  mögen. "  Aber  der  Vorschlag  stimmt  doch  in  keiner 
Weise  zu  Leibniz'  Grundanschauungen  und  ist  ebenso  wie  der  auf  die 
Lotterie  bezügliche  als  ein  Notbehelf  zu  betrachten.  Die  Lotterie  wurde 
auch,  soweit  ich  habe  ermitteln  können,  nicht  bewilligt,  dagegen  erschien 
am  8.  Juli  1700  ein  „Edikt**),  wodurch  das  Reisen  der  Jugend  in  aus- 
wärtige Provinzen  verboten",  zum  Teil  genau  mit  den  Worten  und 
Wondungen  des  Leibniz'schen  Entwurfes.  Dass  es  für  die  Societät  nutz- 
bringend gewesen  wäre,  habe  ich  nirgends  gefunden.  Leibniz'  Vorschläge 
über  die  Feuerspritzen,  wie  wir  sie  in  der  ersten  Denkschrift  kennen 
gelernt  haben,  werden  jetzt  ein  wenig  verändert:  die  Societät  soll  die 
Spritzen  anschaffen,  die  Leute  wegen  des  Gebrauchs  derselben  unter- 
weisen und  dafür  Sorge  tragen,  dass  sie  in  gebührender  Bereitschaft  ge- 
halten und  von  Zeit  zu  Zeit  geprobt  werden.  Der  Societät  sollen  von 
den  Gemeinden  die  Auslagen  erstattet  und  ausserdem  nach  Zahl  der 
Spritzen  eine  gewisse  Summe  gezahlt  werden.  Einen  greifbaren  Erfolg 
hat  dieser  Vorschlag  nicht  gehabt.  Allerdings  teilt  Klopp  ein  vom 
25.  Juni  1700  datiertes  Privilegium  für  die  Societät  auf  Feuerspritzen 
mit,***)  und  an  einer  anderen  Stellet)  wird  ausdrücklich  hervorgehoben, 
dass  ein  derartiges  Privilegium  der  Societät  vom  Könige  verliehen  worden 
ist,  zugleich  aber  geklagt,  dass  die  neu  gegründete  Feuerkasse  dasselbe 
für  die  Societät  wirkungslos  gemacht  habe. 

)  Leibniz'  Werke,  herausg.  v.  Onno  Klopp  I  Bd.  10  S.  öl l. 
*■'")  Mylhits  Corp.  const.  Mareli.  VT,  •_»  Sp.  7  ff. 

Leibniz"  Werke  I  Bd.  10  S.  :}\:,. 
j)  ICbcndort  S.  451. 


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Einleitung. 


XITI 


Dio  bereits  in  den  ersten  beiden  Denkschriften  zum  Ausdruck  ge- 
brachten Ideen  „fides  per  scientias"  fortzupflanzen  und  die  milden  Stif- 
tungen zu  Beiträgen  für  die  Erhaltung  der  Societät  heranzuziehen,  werden 
jetzt  in  den  „Vorschlägen  pro  fundo  Societatis  Scientiarum"  wie  in  einem 
besondern  Aufsatz  „Entwurf  des  Versuchs  einer  Besteuerung  der  milden 
Stiftungen  zum  Zwecke  der  Missionen"  vereinigt,  und  vorgeschlagen, 
„diejenigen  Mittel  und  Einkommen,  so  sonst  zu  milden  Sachen  gestiftet 
und  verwendet  werden,  wo  dieselbigen  Sachen  ein  solches  erleiden  und 
entbehren  mögen,  in  etwas  zu  Hülf  zu  nehmen"  für  die  Missionsthätig- 
keit,  welche  durch  die  Societät  geregelt  werden  sollte. 

Der  „Entwurf  des  Auftrages  eines  Bücher -Commissariates  für  die 
Societät  der  Wissenschaften"  endlich  empfiehlt,  der  Societät  die  Aufsicht 
über  die  aus  dem  Auslande  eingeführten  Bücher  und  das  Recht  zu  geben, 
von  jedem  Zentner  derselben  einen  gewissen  Zoll  für  die  Societätskasse 
in  Anspruch  zu  nehmen,  ferner  ihr  ein  Privilegium  generale  perpetuum 
zu  erteilen,  „gewisse  rechtschaffene  Bücher  zu  verlegen  und  bei  den 
Schulen  einzuführen"  und  ihr  die  Oberaufsicht  über  die  im  Lande  vor- 
kommenden Auktionen  und  Lotterien  zu  gestatten. 

Ohne  dass  die  Frage  nach  den  Einkünften  der  Societät  endgültig 
entschieden  wäre,  wurde  am  11.  Juli  1700  der  Stiftungsbrief*)  der 
Societät  ausgefertigt  und  am  12.  Leibniz  zu  ihrem  Präsidenten**)  er- 
nannt. In  dein  Stiftungsbriefe  wurde  als  Aufgabe  der  Societät  be- 
zeichnet, dass  sie  zur  Ehre  der  deutschen  Nation  in  Erhaltung  der 
deutschen  Sprache  und  Pflege  der  deutschen  Geschichte  thätig  sein,  dass 
sie  dem  genieinen  Nutzen  durch  Förderung  der  Naturbeobachtung  und 
der  Experimente  dienen,  und  dass  sie  zur  Verbreitung  des  christlichen 
Glaubens  und  Hebung  der  Missionen  beitragen  solle.  Leibniz  war  sich  nicht 
unklar  darüber,  dass  sein  Plan  von  seiner  vollen  Verwirklichung  noch 
weit  entfernt  war,  aber  er  zweifelte  nicht  an  der  Durchführbarkeit  und 
war  deshalb  die  folgenden  Jahre  unablässig  bemüht,  dem  erstrebten 
Ziele  näher  und  näher  zu  kommen.  Bis  zum  Tode  seiner  Gönnerin 
Sophie  Charlotte  war  er  in  jedem  Jahre  ein  oder  mehrere  Male  in  Berliu 
anwesend,  um  persönlich  seine  Sache  zu  betreiben  und  durch  allerlei 
Denkschriften  seinen  Vorschlägen  Nachdruck  zu  geben.  Dieselben  sind 
entweder  bemüht,  die  Aufgaben  der  Societät  zu  erweitern  oder  ihr  Ein- 
nahmequellen zu  erschliessen.  So  macht  Leibniz  noch  im  Jahre  1700 
Vorschläge  zur  Verbesserung  des  Justizwesens  und  der  Rechtspflege,***) 
die  er  zwar  zunächst  nicht  in  Verbindung  mit  der  Societät  setzt:  doch 
ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass  wenn  dieselben  Eingang  gefunden  hätten, 

*)  Leibniz'  Werke,  herausg.  v.  Klopp,  I  Bd.  10  S.  32">. 
**)  Ebenda  S.  328. 
*♦♦)  Ebenda  S.  332  ff. 


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XIV 


Einleitung. 


er  die  weitere  Ausführung  derselben  an  die  Societät  gezogen  haben 
würde.  Wahrscheinlich  aus  dem  nächsten  Jahre  .stammt  seine  „Summa-' 
risclie  punctation,  die  Medicinalische  observationes  betreffend,  so  durch- 
geheuds  anzustellen  und  beständig  fortzusetzen  seyu  möchten"*),  in 
der  er  regelmässige  Beobachtungen  und  Aufzeichnungen  über  das  Wetter, 
die  Vegetation,  die  Viehseuchen  und  Krankheiten  unter  den  Menschen 
empfiehlt,  Vorschläge,  die  spater  zum  Teil  in  den  Acta  medicorum 
Beroliuensium  collecta  (Berlin  171 1  tf.)  zur  Ausführung  gelangt  sind. 
Aus  dem  Herbst  desselben  Jahres  stammt  „Bedenken,  wie  bey  «ler  Neuen 
Königl.  Societät  der  Wissensehaften,  der  allergnädigsten  Instruction  ge- 
mäss, propagatio  lidei  per  scientias  förderlichst  zu  veranstalten".  Die 
beiden  von  Kopp  (Leibuiz'  Werke  I  Bd.  10  S.  353)  mitgeteilten  Denk- 
schriften sind  vielleicht  veranlasst  durch  die  in  England  in  demselben 
Jahre  gegründete  Nova  Soeietas  propjigandae  lidei  und  für  uns  in  mehr- 
facher Beziehung  beachtenswert.  Als  besonders  wichtig  betont  Leibniz 
die  Missionen  „durch  die  Moscau  nacher  China.  Denn  in  Moscau  haben 
Königl.  Majestät  und  die  ihrige  vom  Tzar  alle  gewogenheit  zu  erwarten. 
In  China  ist  ein  vortrefflicher  die  Europäer  und  die  Seieuzen  hebender 
Monarch  und  weise  Leute:  Man  braucht  auch,  biss  dahin  zu  kommen, 
keine  andere  als  die  slavonische  Sprach,  und  dann  an  der  Stelle  die 
Mantchou-Tartarische  zu  anfangs,  als  welche  in  China  doininiret  und 
ungleich  leichter  ist  als  die  Chinesische  selbst  ....  Es  zeigen  sich 
auch  dazu  diese  besondern  Leichtigkeiten,  dass  jetzo  leute  vorhanden, 
so  an  einem  dictionario  slavonico  literali  arbeiten,  welches  den  Missionariis 

Evangelieis  in  Muscovien  hoch  nöthig   Es  hat  auch  der  Tzar  bey 

seiner  an  Wesenheit  in  Holland  einem  Lithauischen  Reformirten  in  sla- 
vonico literali  sehr  erfahrenen  Prediger  ein  Privilegium  auff  den  druck 
slavoniseher  Bibeln  und  anderer  bücher  geben,  dessen  executiou  aber 
durch  intriguen  eines  andern  (so  nunmehr  cessiren)  etwas  behindert 
worden.  Weil  aber  ein  solches,  zu  mahl  auf  mehr  libros  pios  slavonicos 
extendirte  Privilegium  von  einem  überaus*  grossen  Nuzen  seyn  und  ein 
ansehnliches  betragen  würde,  und  gedachte  Person  mit  »ler  Societät  sich 
deswegen  einzulassen  gemeint,  so  köndte  vcrhoft'entlich  durch  Königl. 
reeommendation  bey  dem  Tzar  sowohl  die  billige  manutenenz  als  an- 
ständige Extension  des  privilegii  zu  grossem  Nuzen  dieser  Mission  er- 
halten werden."  Ferner  wird  ausgeführt,  dass  durch  solche  Missionen 
nicht  bloss  Handelsverbindungen  geknüpft  und  vorhandene  befestigt, 
sondern  auch  wissenschaftliche  Beobachtungen,  z.  B.  die  Feststellung 
der  Isodynamen  in  den  czarischen  Ländern,  ermöglicht  würden.  Die 
in  beiden  Denksehritten  befürwortete  (iriindung  eines  der  Societät  zu 
unterstellenden  „Seminarium  junger  zu  den  Missionen  bequemer  Leute4, 

•)  Leibniz'  Weike,  horuusg.  v.  Klopp.  I  M.  \i)  S.  :J4(i. 


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Einleitung. 


scheiterte  am  Mangel  der  erforderlichen' Geldmittel.  Das  Fehlen  der  nötig- 
sten Mittel  verursachte  Leibniz  grosse  Sorge  und  veranlasste  ihn  (wahr- 
scheinlich im  Jahre  1702),  dem  Könige  eine  neue  Denkschrift  zu  über- 
reichen: „Erzählung  von  der  Absieht  der  preussisehen  Societät  der 
Wissenschaften,  was  sie  bissher  geleistet  und  wodurch  sie  gehindert 
worden,    ungleichen  einige  Vorschläge,   was   vor  fundus  ausser  dem 
Kalender- Wesen  ihr  zu  statten  kommen  könne,  wobey  nebst  den  piis 
causis  und  was  aus  allerhand  Gnaden-eoneessionibus  fallen  könnte,  ein 
aufzurichtendes  Bücher-eommissariat,  reeeptur-Büehlein,  Richtigkeit  von 
maass  und  gewicht,  in  betracht  kommen."*)  Der  Aufsatz  giebt  wissens- 
weite Aufschlüsse  über  die  ersten  Verhandlungen  der  Societat  und  bringt 
die  Hoffnung  zum  Ausdruck,  „dermahleins  zu  einem  rechtschaffenen 
teutschen  Wörter-sehaz  gelangen  zu  können,  sonderlich  da  durch  hohe 
hülffe  die  Kunst-  und  andere  besondere  Wörter,  so  bey  verschiedenen 
surfen  der  Menschen  in  gebrauch,  zusammen  zu  bringen  seyn  möchten," 
stellt  auch  in  Aussicht,  „dass  jahrlich  einige  miscellanea,  durch  Ver- 
anlassung der  societät,  herfür  kommen  mögen".    Ausser  den  in  der 
Uberschrift  genannten  Einnahmequellen  wird  die  Feuerkasse,  die  im 
Werk  begriffen  sei,  genannt  und  gebeten,  dieselbe  für  die  Erhaltung  der 
Societät  nutzbar  zu  machen.    Die  Receptur-Büchlein  sollen  an  die  Ka- 
lender geheftet  uud  die  obrigkeitlichen  Einnehmer  gehalten  werden,  den 
Empfang  der  Steuern  in  diesen  Büchern  zu  quittieren.    Ferner  wird 
empfohlen,  in  Brandenburg -Preussen  einheitliches  Mass  und  Gewicht 
(das  Mass  nach  dem  rheinlandischen  Fuss)  einzuführen,  „die  Abtheilung 
zur  grosser  Bequemlichkeit,  Nutzen  des  Publikums  und  Aufhebung  der 
Brüche  in  Dezimalzahlen  zu  machen,  die  hin  und  wieder  in  loeis  publicis 
et  privatis  befindlichen  Masse  und  Gewichte  danach  richten  zu  lassen" 
und  aus  dieser  nützlichen  Einrichtung  der  Societät  einen  Vorteil  zu  ge- 
währen. Obwohl  auch  diese  Vorschlage  nicht  verwirklicht  wurden,  verlor 
Leibuiz  den  Mut  nicht.    Er  interessierte  sich  lebhaft  für  den  Plan,  den 
Seidenbau  in  Deutschland  heimisch  zu  machen,  **)  und  beschloss  nun  zu 
versuchen,  ob  nicht  durch  die  Verwirklichung  dieses  Planes  der  Societät 
eine  sichere  und  ausreichende  Einnahmequelle  geschaffen  werden  könnte. 
Anfangs  1703  beginnen  diese  Bemühungen,  nachhaltig  unterstützt  von 
der  Königin,  welche  gewissermassen  das  Protektorat  über  dieses  Unter- 
nehmen auf  Leibniz'  Bitten  führte.    Trotz  dieser  Unterstützung  und  der 
eifrigsten  Bemühungen  Leibniz*,  wie  sie  in  den  bei  Kopp  Bd.  10  S.  372 
bis  887  abgedruckten  Schriftstücken  zu  Tnge  treten,  Hess  sich  (Ins  ge- 
wünschte Privilegium  zunächst  nicht  erreichen,  s<>  dass  sich  Leibniz  noch 
einmal  zu  seinen  früheren  Vorschlägen  zurückwandte  und  im  September 

*)  Leibniz'  Werkt-,  lierausg.  v.  Kopp,  I  Bd.  in  S.  M}(>  ff. 
**)  Schon  10!>2  schrieb  er  ..Bedenken  über  Soidenziehung44.    Vgl.  Klopp "s  Aus- 
gabe der  Werke  L.  a  I  IM.  «i,  j_'7  ff. 


1 


XVI  Einleitung. 

1704  die  Denkschrift  verfasste  „Ohnmassgeblicher  Vorschlag,  wie  durch 
allerhand  Königliche  und  gemeinnüzige  concessiones  der  societat  der 
Wissenschaften  aufzuhelfen."  *)  Neu  ist  in  diesem  Aufsatz  nur  der  Ge- 
danke, dass  der  Societat  die  Vermittlung  von  Privatunterricht  an  Nicht- 
Studirende  überwiesen  werden  möge;  ausserdem  aber  erfährt  das  bereits  oben 
S.  XIII  erwähnte  „Privilegium  generale  perpetuum  gewisse  rechtschaffene 
Bücher  zn  verlegen  und  bei  den  Schulen  einzuführen"  eine  ausführliche  Be- 
gründung und  Auslegung,  die  wegen  der  im  nachfolgenden  Briefwechsel 
mehrfach  erwähnten  märkischen  Schulbücher  hier  mitgeteilt  werden  mag. 
„Weilen  bekannt,  dass  eine  grosse  difformität  sich  bey  denen  in  den 
Schulen  und  sonst  bey  denen  praeeeptoribus  tarn  privatis  quam  publicis 
gebräuchlichen  Büchern  findet,  dadurch  die  von  einer  Schule  in  die 
andere  ziehen,  oder  in  der  Schule  selbst  andere  praeeeptores  bekommen, 
sich  zu  neuen  büchern  gewöhnen,  auch  wol  andere  dogmata  annehmen 
müssen,  mithin  in  progressu  studiorum  nicht  wenig  turbiret  und  ge- 
hindert werden ;  über  diess  auch  mehr  als  zu  bekannt,  dass  die  infor- 
mation  der  Jugend  oft  schlecht  bestellet,  die  Ingen ia  weit  herumb  ge- 
führet, zu  Zeiten  auch  mit  untauglichen  theils  schädlichen,  meist  ausser 
landes  verlegten  büchern  beladen  wird:  so  könnten  unter  approbation 
der  societät  richtige,  deutliche,  auf  den  alten  zur  Gottesfurcht  und  Tugend 
gerichteten  Grund  gebauete,  mit  neuen  erfindungen  ausgezierte  compendia, 
tabulae  und  systemata  diseiplinarum,  auch  notitiae  historico-geographico- 
genealogico-beraldicae,  denn  auch  Grammatiken,  januae,  dictionaria, 
nomenclatores,  collectanea  memorabilium,  unter  was  Namen  sie  wollen, 
und  dergleichen,  theils  verfasset,  theils  erneuert,  danebenst  solche 
Editiones  autorum  classicorum  zum  Druck  befördert  werden,  welche  mit 
notis  eriticis  nicht  überhäufet  und  vertheuert,  und  doch  mit  nöthigen 
erklärungen  versehen  wären.  Dazu  gehörten  auch  Schreib-  und  Rechen- 
bücher, und  sonderlich  (  atechismi,  compendia  theologica,  in  denen  ge- 
wisse taugende  Gebet-  und  Gesang-,  auch  Spruchbücher,  editiones  des 
neuen  testamenti,  auch  der  ganzen  Bibel  oder  deren  theile  im  original 
und  anderen  Sprachen,  auch  sonderlich  lexica  und  dictionaria  von  aller- 
hand Sorten.  Auch  wird  Königliche  Majestät  in  Gnaden  geruhen,  der 
societät  eine  generale  Privilegium  iinpressorium  perpetuum  more  con- 
sueto  auf  die  von  dero  wegen  verlegte  bücher  in  Gnaden  zu  ertheilen. 
Demnach  würden  Kön.  Majestät  in  Gnaden  geruhen,  dero  societät  ein 
Privilegium  perpetuum  generale  auf  die  sogenannte  Schulbücher  aller- 
gnädigst  zu  ertheilen,  dass  diese  allein  zu  lectionibus  und  collegiis  uni- 
form iter  in  dero  Landen  gebraucht  würden."  Dass  der  Seidenbau  in 
dieser  neuen  Denkschrift  nicht  unerwähnt  bleibt,  ist  natürlich.  Aber 
auch  sie  blieb  ohne  Erfolg 


*)  Leibniz  ed.  Kopp  I  Bd.  lo  S.  3*8  ff. 


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Einleitung. 


XVII 


Hatten  nun  Leibniz'  Entwürfe  für  die  Erhaltung  und  Hebung  der 
Societät,  obwohl  sie  von  der  Fürsprache  der  Königin  Sophie  Charlotte 
unterstützt  wurden,  geringe  Aussichten  auf  Erfolg  gehabt,  so  mussten 
nach  dem  am  1.  Februar  1705  erfolgten  Tode  seiner  Gönnerin  diese  Aus- 
sichten sich  noch  mehr  trüben.  Aber  mit  bewunderungswürdiger  Aus- 
dauer hielt  Leibniz  an  seinen  Plänen  fest.  Im  Herbst  1706,  zur  Zeit 
der  Heirat  der  hannoverschen  Prinzessin  Sophie  Dorothee  mit  dem  preussi- 
schen  Kronprinzen  Friedrich  Wilhelm,  begab  er  sich  wieder  nach  Berlin 
und  verblieb  hier  bis  zum  Mai  des  nächsten  Jahres.  Jetzt  gelang  es 
seinen  unermüdlichen  Bemühungen,  das  Privilegium  über  den  Seidenbau 
für  die  Societät  vom  Könige  zu  erwirken.  (Vgl.  unten  Anm.  16.)  In 
dieser  Zeit  trat  er  auch  zu  Joh.  Leonhard  Frisch  in  nähere  Beziehung, 
der  ihm  Unterricht  im  Russischen  erteilt  haben  soll.-  Frisch  wurde  1706 
zum  Mitglied  der  Societät  ernannt  und  von  Leibniz  für  die  geeignetste 
Persönlichkeit  erachtet,  um  in  seiner  Abwesenheit  den  Seidenbau  für  die 
Societät  zu  leiten  und  zu  überwachen.  Noch  während  Leibniz  in  Berlin 
anwesend  war,  beginnt  Frisch's  Briefwechsel  mit  ihm  und  dauert  bis  in 
das  Jahr  seines  Todes.  In  diesem  Schriftwechsel  spiegeln  sich  zum 
grössten  Teil  Leibniz'  weitere  Bemühungen  für  die  Berliner  Societät,  so 
dass  eine  kurze  Übersicht  über  dieselben  hier  ausreichend  erscheint. 

Nachdem  Leibniz  im  Mai  1707  Berlin  verlassen  hatte,  ist  er  nur 
noch  zweimal  dort  gewesen.  Das  erste  Mal  kam  er  im  Januar  1709  auf 
der  Rückreise  vod  Wien  dorthin  und  wurde  einige  Wochen  durch  die 
Herausgabe  der  Miscellanea*)  daselbst  aufgehalten.  Im  Juni  des  folgenden 
Jahres  erhielt  die  Societät  der  Wissenschaften  ohne  Leibniz'  Vorwissen 
einen  neuen  Direktor  in  dem  Minister  von  Printzen  und  eine  straffere 
Organisation.-*)  Dass  Leibniz  über  diese  ihm  widerfahrene  Kränkung 
unwillig  war  und  mit  einer  Klage  sich  an  die  Kronprinzessin  Sophie 
Dorothee  wandte,  f)  ist  nur  natürlich.  Dennoch  bezwang  er,  weil  er  durch 
dieses  Vorgehen  eine  Förderung  der  Societät  erhoffte,  seinen  Unwillen  und 
übersandte  auf  Printzen's  Veranlassung  eine  Denkschrift  über  den  Zweck  und 
Bestand  der  Societät.  ff)  In  dieser  empfahl  er,  dass  die  bisher  zu  Gunsten 
der  Societät  erlassenen  Verordnungen  durchgeführt,  dass  den  Mitgliedern 
„in  puncto  des  Ranges  und  sonst  gewisse  königliche  Gnaden  beigelegt" 
und  denen,  die  etwas  Besonderes  leisten,  ein  Preis  bewilligt  werde.  Da- 
gegen möchten  diejenigen,  welche  innerhalb  dreier  Jahre  nichts  den 
Zweck  der  Societät  Beförderndes  geleistet  hätten,  aus  dem  Verzeichnis 
der  Mitglieder  gestrichen  werden.    Ferner  rät  er,  dass  alle  Ärzte  ange- 

*)  Vgl.  unten  Anm.  140. 

**)  Vgl  Mylius  c.  const.  March.  6.  Teil  Nachlese  No.  VHI  Sp.  27.  „Endliche 
Einrichtung  der  Königl.  Preussischen  Societät  der  Wissenschaften." 
f)  L."s  Werke  ed.  Klopp  I  Bd.  10  S.  418  ff. 
ff)  Ebendort  S.  427  ff. 

2 

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XVIJI 


Kinl»Mtunjr. 


iialten  werden  möchten,  jährlich  einige  Beobachtungen  teils  „circa  statum 
anni  physieomedicum",  teils  über  interessante  Fälle  aus  ihrer  Praxis 
einzusenden.  Zum  Zweck  der  Vermehrung  der  für  die  Societät  erforder- 
lichen Mittel  kommt  er  auf  seinen  Vorschlag  über  die  Flerausgabe  von 
Schulbüchern  durch  die  Societät  zurück  und  empfiehlt  endlich,  derselben 
die  Aufsicht  über  die  Stipendien  zu  übertragen.  Trotz  dieses  neu  von 
ihm  bewiesenen  Interesses  für.  die  Societät  wurde  er  weder  von  Printzen 
noch  von  Jablouski  zu  der  am  19.  Januar  1711  stattfindenden  Festfeier 
eingeladen,  durch  welche  die  jetzt  so  genannte  Akademie  der  Wissen- 
schaften ihre  eigentliche  Inauguration  erhalten  sollte.  Er  Hess  sich  aber 
durch  eine  wohlberechtigte  Empfindlichkeit  über  diese  Zurücksetzung 
nicht  abhalten,  bei  diesem  Feste  seiner  Schöpfung  auch  ungeladen  zu- 
gegen zu  sein,  und  reiste  nach  Berlin,  wo  er  allerdings  durch  sein  un- 
erwartetes und  unerwünschtes  Erscheinen  in  eine  schiefe  und  unan- 
genehme Lage  geiiet.  Seine  längere  Anwesenheit  in  Berlin  scheint  aber 
zur  Klärung  seiner  Stellung  beigetragen  zu  haben,  so  dass  er  sich  ver- 
anlasst sah,  mit  einem  neuen  Entwurf  zu  Gunsten  der  Berliner  Societät 
hervorzutreten.  *)  Sein  auch  diesmal  erfolgloser  Antrag  bezweckte  nichts 
Geringeres,  als  eine  Besteuerung  des  Branntwein-Brennens  für  die  Aka^ 
demie  der  Wissenschaften  zu  erwirken.  Ein  anderes  von  Klopp**)  mit- 
geteiltes Schriftstück  aus  dieser  Zeit  ist  nach  des  Herausgebers  Meinung 
nicht  ein  an  König  Friedrich  gerichtetes  Schreiben,  sondern  die  Aus- 
arbeitung des  Vortrages  für  die  Audienz,  welche,  wie  aus  den  ersten 
Worten  der  Schrift  hervorgeht,  der  König  zugesagt  hatte.  Leibniz  verteidigt 
sich  darin  gegen  den  Verdacht,  als  sei  er  als  hannoverscher  Spion  nach 
Berlin  gekommen,  zählt  seine  Bemühungen  um  die  Societät  auf  und 
kommt  auf  frühere  Vorschläge  zur  Vermehrung  der  Einnahmen  der- 
selben zurück.  Neu  ist  der  Gedanke,  es  möchte  ein  junger  Gelehrter 
nach  Süddeutschland  geschickt  werden,  „die  alten  origines  des  Hauses 
Zollern,  wolches  eines  der  ältesten  in  Teutschland"  zu  untersuchen. 

*Da  ihm  von  Hannover  aus  die  Rückkehr  dringend  nahe  gelegt 
wurde,  reiste  er  am  7.  Mai  von  Berlin  ab,  ohne  jemals  wieder  dorthin 
zurückzukehren.  In  Wien,  wo  er  sich  von  Ende  1712  bis  in  den  August 
1714  aufhielt  und  für  die  Gründung  einer  Akademie  wirkte,  erhielt  er 
die  Nachricht  vomTode  des  Königs  Friedrich  I.  und  von  der  Thronbesteigung 
Königs  Friedrich  Wilhelm  I.,  des  Sohnes  der  Fürstin,  die  einst  ihn  so 
hoch  geschätzt.  Die  Hoffnung,  die  in  seinen  Briefen  au  die  neue  Königin 
zum  Ausdruck  zu  kommen  scheint,  der  junge  König  werde  sich  die 
Förderung  der  Akademie  angelegen  sein  lassen,  wurde  arg  getäuscht. 
Trug  sich  doch,  wie  bekannt,  Friedrich  Wilhelm  I.  sogar  mit  dem  Plane, 


*)  L.'s  Werke  ed.  Klopp  I  Bd.  10  S.  442  ff, 
**)  Ebenda  8.  44fiff. 


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Einleitung. 


XIX 


die  Akademie,  die  er  für  eine  völlig  unnütze  Einrichtung  hielt,  aufzu- 
heben, und  vermochte  diese  doch  nur  dadurch  dem  Schicksal  der  Auf- 
lösung zu  entgehen,  dass  sie  sich  anheischig  machte,  ein  medizinisch- 
chirurgisches Kollegium  zum  Unterrichte  der  Feldscherer  zu  stiften  und 
dazu  ihr  theatrum  anatomicum*)  herzugeben.  Der  König  nahm  den 
Vorschlag  an,  übertrug  aber  zugleich  der  Akademie  die  Unterhaltung 
des  botanischen  Gartens,  welcher  auf  des  Leibmedikus  Gundelsheim 
Vorschlag  aus  dem  Hopfen-  und  Küchengarten  vor  dem  Potsdamer  Thor 
gebildet  war,  so  dass  die  Akademie  ihre  schon  geringen  Einkünfte  mit 
diesen  beiden  Anstalten  teilen  rausste.**)  Dieser  Umstand  führte  auch 
zu  dem  Leibniz  schwer  kränkenden  Beschluss  der  Mehrzahl  der  Societäts- 
mitglieder,  Leibniz  das  ihm  ausgesetzte  Gehalt  von  600  Thalern  nicht 
weiter  zu  zahlen,  weil  dasselbe  nur  zur  Deckung  der  Unkosten  für  die 
im  Interesse  der  Societät  unternommenen  Reisen  und  unterhaltenen 
Korrespondenzen  bestimmt  gewesen,  Leibniz  aber  in  den  letzten  drei 
oder  vier  Jahren  weder  einen  Brief  an  oder  für  diese  Societät  geschrieben, 
noch  eine  ßeise  unternommen  habe.  Mit  der  energischen  Zurück- 
weisung***) dieser  Vorwürfe  (November  1715)  schliessen  bei  Klopp  die 
auf  die  Societät  bezüglichen  Schriftstücke  Leibniz'. 

Wie  eine  gleiche  Undankbarkeit  au  der  Stätte  seiner  langjährigen 
Wirksamkeit  ihm  die  letzten  Lebensjahre  vergällte,  ja  nach  seinem  am 
H.  November  1716  erfolgten  Tode  bei  seiner  Bestattung  sein  Andenken 
schändete,  gehört  nicht  in  diese  Darstellung. 

3.  Frisch  als  Schulmann  und  Gelehrter. 

Als  Frisch  1706  zum  Mitgliede  der  Societät  der  Wissenschaften  er- 
nannt wurde,  hatte  er  sich  in  der  gelehrten  Welt  durch  irgend  welche 
Arbeiten  noch  nicht  hervorgethan ,  man  müsste  denu  zu  jenen  sein  am 
22.  November  1700  „als  am  126.  Gedächtnistag  der  Aufrichtung  des 
Berlinischen  Gymnasii"  am  Gymnasium  zum  grauen  Kloster  von  Schülern 
der  Anstalt  aufgeführtes  und  zugleich  durch  den  Druck  verbreitetes 
Schulspiel  „von  der  Unsauberkeit  der  falschen  Dicht-  und  Reim-Kunst"  f) 
rechnen.  Er  selbst  aber  hat  diese  Arbeit  wohl  für  nichts  anderes  als 
für  eine  Gelegenheitsdichtung  gehalten,  durch  die  er  in  die  damals  üb- 
lichen Protestäusserungen  gegen  die  Unnatur  der  sogenannten  zweiten 
schlesischen  Schule  einstimmte. 


*)  Dasselbe,  welches  Friedrich  III.  für  das  Collegium  medicum  hatte  anlegen 
lassen?   Vgl.  oben  S.  VI  u.  König  III,  50. 

**)  Vgl.  Nicolai,  Beschreibung  von  Berlin  und  Potsdam  II,  703.    König  a.  a.  O. 
IV,  1  8.  51. 

***)  L.'s  Werke  ed.  Klopp  I  Bd.  10  8.  460  ff. 
t)  Vgl.  meine  Ausgabe  im  26.  Hefte  der  Schriften  des  Vereins  für  die  Ge- 
schichte Berlins. 

2* 


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XX 


Einleitung. 


Frisch  hatte  also  seine  Ernennung  zum  Mitgliede  der  Societät  wohl 
seiner  persönlichen  Bekanntschaft  mit  Leibniz  zu  verdanken.  Es  Ist 
natürlich,  dass  dieser  aus  Veranlassung  seiner  oben  angedeuteten  Be- 
strebungen bei  seiner  wiederholten  und  mehrfach  länger  ausgedehnten 
Anwesenheit  in  Berlin  dem  Schulwesen  und  den  bedeutendsten  Schul- 
männern dieser  Stadt  seine  Aufmerksamkeit  zuwandte.  Seit  der  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts  hatte  sich  das  höhere  Schulwesen  Berlins  nicht 
unwesentlich  gehoben.  1610  hatte  der  Grosse  Kurfürst  das  Joachims- 
thalsche  Gymnasium  nach  Berlin  verlegt,  und  1681  hatte  er  in  dem  neu- 
gegründeten Stadtteil  Friedrichswerder  die  Errichtung  einer  öffentlichen 
lateinischen  Schule  angeordnet,  welche  1701  zum  Friedrich- Werderschen 
Gymnasium  erhoben  wurde.  In  seinem  Todesjahre  hatte  auch  die  neue 
Dorotheenstadt  eine  derartige  Schule  erhalten,  und  von  Friedrich  III.  war 
im  ersten  Jahre  seiner  Regierung  das  schon  von  seinem  Vater  geplante 
College  royal  francais  gegründet.  An  der  Spitze  oder  in  den  Lehrer- 
kollegien dieser  Lehranstalten  standen  Schulmänner,  welche  Gesinnungs- 
genossen oder  Schüler  A.  H.  Franke'*  waren,  des  Mannes,  durch  den 
die  Bestrebungen  jener  Zeit,  die  Gelehrtenschulen  unter  dem  Einfluss 
der  höfischen  Bildung  und  des  Pietismus  zu  modernisieren,  verkörpert 
und  verbreitet  wurden.  Im  Franke'schen  Sinne  wirkte  an  der  neu- 
gegründeten Schule  auf  dem  Friedrichs-Werder  der  Rektor  Joachim 
Lange  (1698—1709),  am  Joachimsthalschen  Gymnasium  der  Rektor 
P.  Volckmann,  der  1694  die  Friedrichsschule  in  Frankfurt  a.  O.  im 
gleichen  Geiste  organisiert  hatte,  am  Gymnasium  zum  grauen  Kloster 
der  1708  zum  Rektor  der  Anstalt  ernanute  Bodenburg  und  Johann  Leon- 
hard Frisch.  Leibniz  hatte  durch  Schrift  und  Wort  zu  dieser  Reform- 
bewegung selbst  nicht  wenig  beigetragen,*)  und  so  ist  es  nur  natürlich, 
dass  er  ihrer  Verwirklichung  in  Berlin  mit  Interesse  folgte.  Dass  er 
aber  von  diesen  Schulmännern  gerade  zu  Frisch  in  nähere  Beziehungen 
trat,  hatte  einen  doppelten  Grund:  einmal  war  für  die  Verwirklichung 
der  Seidenbaupläne  niemand  geeigneter  als  Frisch,  der  ja  selbst  als 
Landwirt  praktisch  thätig  gewesen  war,  dann  aber  hatte  auch  wohl 
Leibniz  in  Frisch  eine  ihm  in  gewissem  Grade  congeniale  Natur  er- 
kannt. In  der  That  zeigt  Frisch  in  der  Universalität  seines  Wissens, 
mit  welcher  er  Gründlichkeit,  Klarheit  und  Tiefe  verband,  eine  gewisse 
Ähnlichkeit  mit  Leibniz.  An  Friscirs  Fähigkeiten  und  gutem  Willen 
hat  es  auch  nicht  gelegen,  dass  seine  durch  Leibniz  veranlassten  Be- 
mühungen um  die  Einführung  des  Seidenbaues  im  Interesse  der  Societät 
scheiterten,  und  der  nachfolgende  Briefwechsel  lässt  zur  Genüge  er-, 
kennen,  dass  Frisch  Leibniz'  Erwartungen  nicht  getäuscht  hat.  Viel 
grössere  Förderung  hat  allerdings  Frisch  aus  diesem  Verkehr  für  sich 


)  Vgl.  Panlsen,  Geschichte  des  gelehrten  Unterrichts  S.  331  ff. 


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Einleitung. 


XXI 


und  seine  geistige  Entwicklung  davongetragen.  Es  hiesse  über  das  Ziel 
binausschiessen,  wollte  man  behaupten,  dass  Frisch's  reiche  litterarische 
Thätigkeit,  wie  sie  sich  nach  seiner  Verbindung  mit  Leibniz  entfaltet, 
allein  dem  Eiufluss  dieses  Mannes  zuzuschreiben  sei;  dass  sie  sich  aber 
durchaus  im  Ideenkreise  Leibniz'  bewegte,  und  zum  Teil  auch  direkt  von 
Leibniz  beeinflusst  wurde,  wird  dem  aufmerksamen  Leser  dieser  Ein- 
leitung und  des  nachfolgenden  Briefwechsels  nicht  entgehen. 

Die  Wirksamkeit  eines  tüchtigen  Schulmannes  entzieht  sich  wie  die 
einer  guten  Hausfrau  der  öffentlichen  Kenntnis:  so  ist  auch  über  Frisch's 
Wirken  als  Schulmann  wenig  bekannt. 

Im  Jahre  1708  erhielt  er  das  Konrektorat  am  Grauen  Kloster, 
nachdem  der  frühere  Konrektor  ßodenburg  dem  verstorbenen  Rodigast 
als  Rektor  nachgefolgt  war.  Nach  Bodenbnrg's  Hinscheiden  rückte  er 
1727  in  das  Rektorat  ein,  welches  er  bis  zu  seinem  am  21.  März  1743 
erfolgten  Tode  verwaltete.  Als  Schulmann  gehörte  er,  wie  schon  oben 
erwähnt,  der  modernen  Richtung  an.  Mathematik  und  Physik  waren 
seine  hauptsächlichsten  Unterrichtsfächer :  ferner  lehrte  er  mit  besonderer 
Vorliebe  Geographie  von  Palästina,  leitete  aber  auch  die  Lektüre  des 
Virgil,  Horaz  und  des  griechischen  Neuen  Testaments.  Sein  Interesse 
für  das  Französische  bekundete  er  durch  Abfassung  zweier  Schulbücher, 
eines  französischen  Vokabulars  und  eines  Compendiums  französischer 
Sprüchwörter.  Die  lateinischen  Deklamationen  bei  den  Schulakten  Hess 
er  durch  deutsche  Reden,  auch  historischen  und  patriotischen  Inhalts, 
ersetzen.  Nach  den  Aeusserungen  seines  Biographen  Wippel  war  er  ein 
geschickter  Lehrer,  dem  es  darauf  ankam,  dass  die  Schüler  den  Lern- 
stoff geistig  verarbeiteten,  und  dass  sie  nicht  über  Dinge  zu  schreiben 
genötigt  wurden,  deren  Verständnis  ihnen  noch  fehlte. 

Viel  gründlicher  sind  wir,  wie  natürlich,  über  Frisch's  wissen- 
schaftliche Thätigkeit  unterrichtet.  Der  Societät  der  Wissenschaften 
widmete  er  auch  nach  Leibniz'  Entfernung  von  dem  Amte  des  Präsi- 
denten und  nach  dem  bald  darauf  erfolgten  Tode  seines  Gönners  einen 
grossen  Teil  seiner  Kraft.  An  den  Veröffentlichungen  der  Societät  be- 
teiligte er  sich  sehr  eifrig,  wie  nachstehende  Übersicht  zeigt  Im  ersten 
Bande  der  „Miscellanea  Berolinensia  ex  scriptis  societati  regiae  exhibitis 
edita"  (1710)  veröffentlichte  er  einen  etymologischen  Aufsatz:  Origo 
(juorundam  vocabulorum  Germanicorum  et  cum  aliis  Unguis  affinitas. 
Im  zweiten  Bande  (1723)  erschien  von  ihm:  Etymon  nominis  Weser 
(Visnrgis),  fluminis  Germaniae  und  Significatio  nominis  Montacoc,  quod 
Comiti  cuidam  Hennebergensi  olim  datum  fuit.  Der  dritte,  1727  er- 
schienene Band  enthält  eine  ganze  Reihe  Frisch'scher  Abhandlungen: 

1.  Alia  ratio  solvendi  quatuor  posteriores  versus  aenigmatis  Basilii  Va- 
lentin!, cuius  tomo  I  Miscellaneorum  Berol.  p.  21  mentio  facta  est. 

2.  De  cortice  arborum  circumcirca  sine  damno  de  tota  stipite  detracto 


XXII 


Einleitung. 


et  renascente.  3.  Index  historiae  suae  insectorum.  4.  De  eruca  canali- 
cola  et  de  papilione,  qui  ex  ea  fit.  5.  Observationes,  quae  ad  pleniorem 
descriptionera  insecti  pertinent,  quod  foliorum  pedicnlos,  gallice  pucerons 
vocant.  6.  Observationes,  qnae  descriptioni  Ipsidae  sive  Halcyonis  in 
diversorum  autoram  libris  addi  possunt.  7.  De  taeniis  in  anserum  intestinis. 
8.  De  taeniis  in  piscibus.  9.  Vesügia  generationis  taeniaram  sive  verminm 
latorum  in  piscibus  et  avibus.  9.  De  lumbricis  et  taeniis  in  superficie 
hepatis  piscium  et  muriam.  10.  Observationes  ad  anatomiam  lumbri- 
corum  in  visceribus  pertinentes  ad  confirmandam  hypothesin,  lnmbricos 
in  visceribus  esse  larvas  seu,  ut  vocant,  nymphas  taeniarum.  11.  Expli- 
catio  tituli  Hormesta,  qui  Orosii  libro  inscriptus  invenitur. 

Auch  der  vierte  Band,  welcher  1734  herausgegeben  wurde,  ver- 
dankt einen  grossen  Teil  seines  Inhalts  dem  Eifer  Frisch's.  Er  lieferte 
für  den  vierten  Band  folgende  Aufsätze :  1.  Iris  circa  solem  observata. 
2.  De  origine  characterum  obscuriorum ,  quibus  in  calendariis  Signa 
Zodiaci  indicantur.  3.  De  origine  characterum,  qui  apud  astronomos 
Planetas  significant.  4.  Descripfio  ulterior,  quam  primum  specimen 
atlantis  Germaniae  sacrae  evangelicae  requirit.  5.  Cur  mensis  Februarius 
appellatus  sit  Hornung.  6.  Historia  militum  ante  aliquot  secula  post 
exauctoritatem  oberrantium  et  mendicantium,  et  unde  dicti  sint  gardende 
Knechte.  7.  De  vocibus  Teutonicis  Elo  et  Schelo.  8.  Explicatio  ori- 
ginis  vocis  Trese-Kammer.  9.  Vocum  pietanz,  piment  et  picteren  ety- 
mologia  et  significatio.    10.  Explicatio  vocum  Cavilla  et  Creopensorium. 

11.  Derivatio  vocis  obscurioris  Smurdus,  quae  in  jure  veterum  occurrit. 

12.  Explicatio  verborum  obscuriorum  et  mutilatorum  Geographi  veteris, 
Ravennatis,  et  confirmatio  coniecturae,  quod  vox  Bisigibilias  Sclavonica 
sit  et  Albim  superiorem  significet.  13.  Etymologia  clamoris  publici 
Jodute.  14.  De  mustelae  fluviatilis  rapacitate  et  de  taeniis  ir  stomacho 
huius  piscis.  16.  De  lumbricis  in  locustis.  16.  De  taeniis  in  pisciculo  aculeato, 
qui  in  Marchia  Brandenburgica  vocatur  Stecherling.  Der  fünfte  Band, 
welcher  1737  veröffentlicht  wurde,  enthält  folgende  Arbeiten  Frisch's :  1.  De 
bombyce  e  folliculi  sui  textura  prorepente.  2.  Specimen  supplementorum  et 
observationum  ad  Joh.  Schilteri  glossarium  Teutonicum.  3.  Observationes 
et  notae  ad  Joh.  Schilteri  Glossarium  Teutonicum.  4.  De  vero  sensu  cor- 
ruptae  vocis Gartzaun.  5.  Dequinque  nominibus  canis  sagacis  apud  venatores 
in  veteribus  Germanorum  legibus.  6.  Nomen  Aegidius  varia  mutatione 
corruptum.  7.  De  voce  Charromannico  in  Ekkehardo  Juniore  apud 
Goldast.  8.  De  origine  vocum  quarundam  Gallicarum  una  cum  obser- 
vationibus  et  snpplementis  ad  Nfenagium.  In  dem  1740  herausgegebenen 
sechsten  Band  endlich  finden  sich  die  nachstehend  verzeichneten  Auf- 
sätze von  Frisch's  Hand:  1.  Observationes  ad  lampretarum  tres  species. 
2.  De  taenia  capitata.  3.  De  ossibus  dentatis  in  utraque  pinna  ventris 
carpionis.   4.  Gobins  capitatus.   5.  De  phocaena  in  Pomeraniae  lacu 


Einleitung.  XXIII 

qoodam  inventa.  6.  De  mergo  quodam  in  Marchia  Brandenburgica 
capto  Tschinensium  mergo  piscatori,  gall.  Coroman  dicto,  admodum 
simili.  7.  De  ansere  Tscbinico  inprimis  de  capite  et  lingiia  ejus.  8.  De 
taeniis,  quae  in  jecore  pisciuin  inveniuntur,  inprimis  vero  in  lucjo  pisce. 
9.  Index  historiae  suae  insectoruin  tomi  secundi  et  tertii  sive  centuriae 
seenndae  et  tertiae.  11.  De  voeibus  Hallunck  et  Zohensuhn.  12.  Ad 
suppleinenta  glossarii  Scbilteriani.  13.  Continuatio  originum  quarundam 
voenm  linguae  gallicae  et  observationum  ad  Dn.  Menagii  origines  lin- 
guae  Gallicae.  Seine  eifrigen  Bemühungen  fanden  insofern  bei  den  Mit- 
gliedern der  Akademie  Anerkennung,  als  er  1731  von  der  historisch- 
philologisch  -  deutschen  Klasse  zu  ihrem  Direktor  gewählt  wurde. 
Unter  seiner  Leitung  scheint  in  dieser  Klasse  die  Beschäftigung  mit  der 
deutschen  Sprache  besonders  gepflegt  zu  sein:  1734  erschien,  von  ihm 
veranlasst  oder  doch  wenigstens  unter  seiner  Beteiligung,*)  „Der  erste 
Auszug  von  einigen  die  teutsche  Sprach  betreffenden  Stücken,  welche 
der  Königlichen  Preussischen  Societät  der  Wissenschaften  in  der  dazu 
verordneten  Abtheilung  nach  und  nach  übergeben  worden."  Die  Schrift 
enthält  zwölf,  zumeist  kurze  Aufsätze,  von  denen  sich  neun  mit  der  Er- 
klärung einzelner  Wörter  beschäftigen,  einer  in  das  Gebiet  der  Ortho- 
graphie (Wortabteilung)  und  einer  in  das  der  Grammatik  (Gebrauch  und 
Missbrauch  der  deutschen  Präpositionen)  gehört.  Der  noch  übrige  end- 
lich, der  höchstwahrscheinlich  von  Frisch  stammt  und  überschrieben  ist : 
„Entwurf  eines  Registers,  das  in  jedem  Lande  kann  gemacht  werden,  von 
Wörtern,  die  nur  wenige  Leute  gebrauchen-,  schien  mir  so  wichtig,  dass 
er  in  der  Anmerkung  110  zu  den  in  Brief  17  aufgeführten,  von  Frisch 
gesammelten  „vocabula  Marchica"  wieder  abgedruckt  worden  ist. 

Die  eben  aufgeführten  Titel  der  von  Frisch  in  den  Societätsschriften 
veröffentlichten  Arbeiten  lassen  «chon  erkennen,  auf  welche  Gebiete  der 
Wissenschaft  seine  litterarische  Thätigkeit  sich  erstreckte.  Der  Theologie, 
für  die  er  sich  durch  das  Universitätsstudium  vorbereitet  hatte,  gehört 
keine  einzige  seiner  Arbeiten  an.  Denn  die  1707  von  ihm  verfertigte,  aber 
erst  1727  veröffentlichte  deutsche  Übersetzung  von  „Liber  symbolicus 
Russorum  oder  der  grössere  Katechismus  der  Hussen"  ist  nicht  hierher, 
sondern  zu  seinen  linguistischen  Arbeiten  zurechnen.  Durch  seinen 
Aufenthalt  in  fremden  Ländern  hatte  sich  Frisch  eine  genaue  Kenntnis 
verschiedener  neuerer  Sprachen,  besonders  des  Französischen  und  der 
damals  sehr  vernachlässigten  sla vischen  Sprachen  verschafft.  Dass  ei- 
serne Kenntnis  des  Slavischen  wissenschaftlich  zu  vertiefen  und  literarisch 
zu  verwerten  trachtete,  geht  gewiss  auf  Leibniz'  Anregungen  zurück,  der 
ja  die  Verwirklichung  seiner  Ideen  auch  in  Russland  erhoffte  und  zu 
diesem  Zweck  auf  Peter  den  Grossen  einzuwirken  trachtete.  Ausser 

*)  Vgl.  den  Brief  Frisch  's  im  Neuen  HterRr.  Anzeiger  Bd.  4  S.  120. 


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•  XXIV 


Einleitung. 


jenem  Liber  symbolicus  übersetzte  er  mit  Hülfe  eines  Russen  des  Co- 
menius  Vestibulura  ins  Russische,  hat  aber  diese  Arbeit,  wie  es  scheint, 
nicht  veröffentlicht.  (Vgl.  unten  Brief  40.)  Mit  der  Geschichte  des  Sla- 
vischen  beschäftigen  sich  sechs  Programmabhandlungen  Frisch's:  l.Origo 
characteris  Glagolitici  pluribus  sigillatim  descriptus  tanquam  eximia 
historiae  linguae  Sclavonicae  pars.  1727.  2.  Historiam  linguae  Sclavo- 
nicae  continuat  quatuor  capitibus:  I  de  origine  characteris  Cyrillici 
speciatim,  II  de  cultura  linguae  Sclavonicae  beneficio  hujus  characteris, 
m  de  tvpis  Sclavonico-Moscoviticis,  IV  de  dialecto  Russica,  tanquam 
filia  linguae  Sclavonicae.  Additque  in  aere  sculptum  conspectum  figu- 
rarum  characteris  Sclavonici  novique  Russici  et  propter  inscriptionem 
Sclavonicam  etiam  nummum  Russicum.  1727.  3.  Historiae  linguae  Scla- 
vonicae continuatio  secunda  continens  Historiam  dialecti  Venedicae 
meridionalis  sive  Vinidorum  in  provinciis  Austriae  vicinis  nimirum  in 
Carinthia,  Stiria,  Carniola,  Istria  et  Marchia  Vinidorum.  1729.  4.  Historiae 
linguae  Sclavonicae  continuatio  tertia  de  dialectis  Venedorum  in  Lusatia 
et  in  ducatu  Luneburgico.  1730.  5.  Historiae  linguae  Sclavonicae  con- 
tinuatio quarta  sive  caput  quintum :  De  dialeoto  Bohemina.  1734.  6.  His- 
toriam linguae  Sclavonicae  continuatione  quinta  sive  capite  sexto  de 
lingua  Polonica  finit  1736. 

Von  der  Herausgabe  französischer  Schulbücher  durch  Frisch  ist 
schon  oben  die  Rede  gewesen.  Er  begnügte  sich  aber  nicht  damit, 
diese  Sprache  mündlich  und  schriftlich  zu  beherrschen  und  in  ihrem 
Gebrauch  seine  Schüler  zu  unterweisen,  sondern  er  wandte  sich  auch 
der  historischen  Betrachtung  und  Erforschung  des  Französischen  zu. 
Die  beiden  oben  erwähnten  Aufsätze  in  den  Miscellanea,  welche  Beob- 
achtungen zu  Menage,  Origines  sur  la  langue  francaise  bieten,  geben 
davon  Zeugnis,  wie  auch  die  Äusserung  Frisch's  an  Leibniz  unter  dem 
12.  September  1708,  dass  er  nach  Vollendung  seines  Wörterbuches  sagen 
könne,  was  von  altdeutscher  Sprache  noch  in  dem  Französischen  seiner 
Zeit  übrig  sei.  Dies  Wörterbuch,  welches  1712  in  Leipzig  unter  dem 
Titel  „Nouveau  dictionnaire  des  passagers  francais-allemand  et  allemand 
francais"  erschien  und  wiederholt  aufgelegt  wurde,  war  nicht  bloss  durch 
seine  etymologischen  Angaben  wertvoll,  sondern  bedeutete  auch  insofern 
einen  Fortschritt,  als  das  „deutsche  Register"  die  hochdeutsche  Sprache 
aufweist,  während  die  früher  erschienenen  Wörterbücher  „nach  einer 
sonderlichen  und  meistens  schweizerischen  Mundart  eingerichtet"  waren. 

Auf  dem  Gebiete  der  klassischen  Sprachen  ist  Frisch  nur  auf 
äussere  Anregung  und  in  Erfüllung  eines  praktischen  Bedürfnisses  durch 
Mitarbeit  an  der  Herausgabe  der  märkischen  Schulbücher,  besonders  der 
griechischen  Grammatik  thätig  gewesen.  Die  letztere  war  schon  in  der 
ursprünglichen  Fassung  wesentlich  seine  Arbeit  und  wurde  17:17  in 
zweiter  Auflage  selbständig  von  ihm  herausgegeben. 


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Einleitung. 


XXV 


Hervorragende  Verdienste  um  die  Erforschung  der  deutschen 
Sprache  hat  sich  Frisch  durch  sein  deutsch-lateinisches  Wörterbuch  er- 
worben. Wie  sehr  ihn  zu  dieser  Arbeit,  die  über  viele  Jahre  sich  erstreckte, 
seine  Neigung  und  ein  hervorgetretenes  Bedürfnis,  wie  sehr  ihn  Leibniz' 
Anregungen  getrieben  haben,  lässt  sich  nicht  feststellen ;  es  genügt  hervor- 
zuheben, dass  Leibniz,  noch  ehe  er  mit  Frisch  in  Verbindung  trat,  die 
Notwendigkeit  derartiger  Studien  betont  hatte,  und  dass  Frisch  sie  den 
Forderungen  Leibniz'  entsprechend  betrieb.   In  demselben  Jahre  1()97, 
in  welchem  Leibniz  mit  Erfolg  nähere  Beziehungen  zum  Berliner  Hofe 
sachte,  verfasste  er  „ünvorgreifliche  Gedanken  betreffend  die  Ausübung 
und  Verbesserung  der  deutschen  Sprache"*).  Zunächst  hatte  er  das  Buch 
nur  handschriftlich  unter  seinen  Bekannten  verbreitet  und  übersandte 
es  1700  mit  der  ersten  Denkschrift  über  die  Gründung  der  Societät  der 
Wissenschaften  zu  Berlin  an  den  Hofprediger  Jablonski**).    Erst  nach 
Leibniz'  Tode  wurde  es  mit  anderen  etymologischen  Schriften  von  Eckart 
herausgegeben.  In  dieser  Schrift***)  nun  führt  Leibniz  Folgendes  aus:  „Der 
Grund  und  Boden  einer  Sprache,  so  zu  reden,  sind  die  Worte,  darauf 
die  Redensarten  gleichsam  herfür  wachsen.    Woher  denn  folget,  dass 
eine  der  Haupt- Arbeiten,  deren  die  Tentsche  Haupt-Sprache  bedarf,  seyn 
würde  eine  Musterung  und  Untersuchung  aller  Teutschen  Worte,  welche, 
dafern  sie  vollkommen,  nicht  nur  auf  diejenige  gehen  soll,  so  jedermann 
brauchet,  sondern  auch  auf  die,  so  gewissen  Lebens-Arten  und  Künsten 
eigen;  und  nicht  nur  auf  die,  so  man  Hochteutsch  nennet,  und  die  im 
Schreiben  anitzo  allein  herrschen,  sondern  auch  auf  Platt -Teutsch, 
Märkisch,  Ober-Sächsisch,  Fränkisch,  Bäyrisch,  Oesterreichisch,  Schwä- 
bisch oder  was  sonst  hin  und  wieder  bey  dem  Landmann  mehr  als  in 
den  Städten  bräuchlich;  auch  nicht  nur,  was  in  Teutschland  in  Uebnng, 
sondern  auch  was  von  Teutscher  Herkunft  in  Holl-  und  Engelländischen : 
wozu  auch  fürnehmlich  die  Worte  der  Nord -Teutschen,  das  ist,  der 
Dänen,  Norwegen,  Schweden  und  Isländer  (bey  welchen  letztern  sonder- 
lich viel  von  unser  uralten  Sprach  gebheben)  zu  ziehen:  und  letzlichen 
nicht  nur  auf  das,  so  noch  in  der  Welt  geredet  wird,  sondern  auch  was 
verlegen  und  abgangen,  nehmlichen  das  Alt-Gothische,  Alt -Sächsische 
and  Alt -Fränkische,  wie  sichs  in  uralten  Schriften  und  Reimen  findet, 

davon  der  treffliche  Opitz  selbst  zu  arbeiten  gut  gefunden   Nun 

wäre  zwar  freylich  hierunter  ein  grosser  Unterschied  zu  machen,  mit- 


*)  Ueber  die  Abhängigkeit  L.'  in  dieser  8cbrift  von  J.  G.  Schottelius  vgl 
A.  Scbmarsow,  Leibniz  n.  Schottelias.  Strasburg  1877  (Quellen  u.  Forschungen  XXIII). 

**)  Es  ist  wenigstens  höchst  wahrscheinlich,  dass  die  in  dem  Briefe  an  Jablonski 
unter  dem  31.  März  1700  erwähnte  zweite  Beilage,  dio  Leibniz  am  30.  August  1700 
sich  zurückerbittet  mit  dem  Hinweise,  dass  er  sie  wolle  drucken  lassen,  diese  Schrift 
gewesen  ist.   Vgl  oben  S.  VIII  u.  Guhrauer,  L's  deutsche  Schriften  II,  171. 
***)  Guhrauer  a.  a.  O.  I,  460ff. 


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XXVI  Einleitung. 

hin  was  durchgehends  in  Schriften  und  Reden  wackerer  Leute  üblich, 
von  den  Kunst-  und  Land -Worten,  auch  fremden  nnd  veralteten,  zu 
unterscheiden.  Ander  Manchfaltigkeiten  des  Gebräuchlichen  selbst  an- 
jetzo  zu  geschweige!!,  wären  derowegen  besondere  Werke  nöthig,  nehra- 
lich  ein  eigen  Buch  vor  durchgehende  Worte,  ein  anderes  vor  Kunst- 
Worte,  und  letzlich  eines  vor  alte  und  Land -Worte  und  solche  Dinge, 
so  zu  Untersuchung  des  Ursprungs  und  Grundes  dienen,  deren  erstes 
man  Sprachbrauch,  auf  Lateinisch  Lexicon,  das  andere  Sprachschatz 
oder  cornu  copiae;  das  dritte  Glossarium  oder  Spracbquell  nennen 
möchte."  In  der  Folge  betont  er,  „dass  die  Franzosen  hierin  glücklich, 
indem  sie  mit  allen  drey  oberwähnten  Werken,  so  ziemlich  in  ihrer 
Sprache  nunmehr  versehen"  und  lobt  „das  herrliche  Werk  des  hoch- 
gelehrten Menage,  welcher  den  Ursprung  der  Worte  untersucht,  und  also 
auch  das  Veraltete,  auch  zu  Zeiten  das  Bäurische,  herbey  gezogen." 

In  den  von  Leibniz  hervorgehobenen  drei  Richtungen  war  nun 
Frisch  forschend  und  sammelnd  thätig.  Zahlreiche  seiner  oben  auf- 
gezählten Akademieanfsätze  beschäftigen  sich  mit  der  Deutung  einzelner 
ihrem  Sinne  nach  dunkler  deutscher  Wörter.  Die  im  „Ersten  Auszug 
von  einigen  die  teutsche  Sprache  betreffenden  Stücken"  enthaltenen  ety- 
mologischen Artikel  haben  wahrscheinlich  ebenfalls  Frisch  zum  Ver- 
fasser. Seiner  ebendort  mitgeteilten  vortrefflichen  Anleitung  zur  An-» 
legung  eines  Glossariums  oder  Idiotikons  ist  schon  gedacht,  und  dass 
er  selbst  an  einem  solchen  Glossarium  für  den  märkischen  Dialekt 
sammelte,  wissen  wir  aus  seinen  unter  dem  9.  November  1709  und  30.  Januar 
1710  an  Leibniz  gerichteten  Briefen.  Auch  unter  seinen  in  der  pädagogischen 
Zeitschrift  „Zufällige  Anmerkungen  von  allerhand  zum  Schul- Wesen  und 
Grundlegung  der  Gelahrtheit  gehörigen  Sachen"  (Berlin  1716 — 1718) 
veröffentlichten  Aufsätzen  beschäftigt  sich  einer  (Stück  4  No.  5)  mit  der 
Etymologie  einiger  deutscher  aus  dem  Slavischen  stammenden  Eigen- 
namen. Direkte  Vorarbeiten  für  sein  Wörterbuch  waren:  „Specimen 
lexici  Germanici"  (1723),  „Specimen  lexici  Germanici  secundum  Oder 
das  andere  Exempel,  wie  er  sein  teutsches  Wörterbuch  einrichtet"  (1727) 
und  die  Programm -Abhandlung  ans  dem  Jahre  1739:  De  primis  in 
Germania  typis  editis  Lexicis  Gerraanicis.  Zwei  Jahre  später  endlich 
wurde  das  Wörterbuch  selbst  unter  folgendem  Titel  veröffentlicht: 
„Johann  Leonhard  Frisch  Teutsch -Lateinisches  Wörter- Buch,  Darinnen 
Nicht  nur  die  ursprünglichen,  nebst  denen  davon  hergeleiteten  und  zu- 
sammengesetzten allgemein  gebräuchlichen  Wörter;  Sondern  auch  die 
bey  den  meisten  Künsten  und  Handwerken,  bey  Berg-  und  Saltzwerken, 
Fischereyen,  Jagd-,  Forst-  und  Hauss- Wesen  u.  a.  m.  gewöhnliche  Teutsche 
Benennungen  befindlich,  Vor  allen,  Was  noch  in  keinem  Wörter -Buch 
geschehen,  Denen  Einheimischen  und  Ausländern,  so  die  in  den  mittlem 
Zeiten  geschriebenen  Historien,  Chroniken,  Übersetzungen,  Reimen  u.  d.  g. 


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Einleitung. 


XX  VII 


mit  ihren  veralteten  Wörtern  nnd  Ausdrückungen  verstehen  wollen,  mög- 
lichst zn  dienen,  Mit  überall  beygesetzter  nöthigen  Anführung  der  Stellen, 
wo  dergleichen  in  den  Büchern  zu  finden,  Samt  angehängter  Theils  ver- 
sicherten, theils  muthmasslichen  Etymologie  und  critischen  Anmerkungen; 
Mit  allem  Fleiss  viel  Jahr  über  zusammengetragen,  Und  jetzt  den  Gelehrten 
zur  beliebigen  Vermehrung  und  Verbesserung  überlassen.    Nebst  einem 
Register  der  Lateinischen  Wörter.    Berlin,  Verlegts  Christoph  Gottlieb 
Nicolai  1741."    Die  von  Leibniz  geforderten  verschiedenartigen  drei 
Wortsaramlungen  sind  hier  vereinigt,  und  jeder  Zweifel,  ob  Leibniz'  An- 
regung dem  Verfasser  bei  dieser  Arbeit  zu  teil  geworden  ist,  schwindet 
beim  Lesen  des  Vorberichts:  „Man  hat  diese  Lexicons- Arbeit  etlichemahl 
wollen  liegen  lassen,  sonderlich  da  der  Herr  von  Eccard*)  in  seiner 
Historia  studii  Etymologici  linguae  Germanicae  von  einem  Lexico,  das 
er  vorgehabt,  viel  wichtiges  gesprochen,  ist  der  Autor  fast  abgeschreckt 
worden.    Der  hochgelehrte  Herr  Baron  von  Leibnitz  (!)  aber  hat  ihn 
wieder  aufgemuntert  und  versichert,  wenn  gleich  unser  viel  über  dieser 
Arbeit  wären,  würden  wir  doch  alle  genug  zu  thun  finden  und  das  Werk 
nicht  erschöpfen".    In  demselben  Vorbericht  äussert  sich  Frisch  über 
das  Verhältnis  seines  Werkes  zu  Schilter's  Glossarium.    „Des  Herrn 
Schilter'8  Glossarium  Teutonicum  hat  ihn  (den  Verf.)  einer  grossen 
Arbeit  überhoben,  weil  der  ganze  Schatz  von  den  urältesten  Teutschen 
Schriften  darein  gekommen  ist  Indem  es  aber  nur  bis  an  Zeiten  reicht, 
die  man  noch  recht  dunkel  nennen  kan,  nemlich  kurz  vor-  und  kurz 
nach  der  Erfindung  des  Buchdruckens,  darinnen  man  Historien  und 
Chroniken  findet,  wo  auf  allen  Seiten  Wörter  stehen,  die  dem  Leser  am 
•Verstand  solcher  Schriften  hinderlich  fallen;  so  ist  dadurch  Gelegenheit 
gegeben  worden,  in  diesem  gegenwärtigen  Wörter- Buch  die  Hand  an 
eine  schöne  Aerndte  zu  legen,  davon  keiner  sagen  kan,  es  sey  in  eine 
fremde  geschehen."    Es  will  also  Frisch's  Werk  eine  Ergänzung  zu 
Schilter's  Glossarinm  und  ein  neuhochdeutsches  Wörterbuch  sein,  Neu- 
hochdeutsch im  weitesten  Sinne  gefasst.  Das  Lateinische  hat  im  Wörter- 
buch eine  durchaus  untergeordnete  Stellung.    Schon  Räumer  in  seiner 
Geschichte  der  germanischen  Philologie  (S.  192)  hat  die  Bedeutung  des 
Frisch'schen   Wörterbuches  voll  gewürdigt  und  ihm  eine  der  ersten 
Stellen  in  der  ganzen  deutschen  Lexikographie  zuerkannt. 

Weniger  hervorragend  sind  Frisch's  Leistungen  auf  einem  anderen 
Gebiete  des  Deutschen,  in  der  Grammatik.  Ausser  einer  kleinen  Schrift 
„Untersuchung  des  Grundes  und  Ursachen  der  Buchstab- Veränderungen 
etlicher  teutschen  Wörter",  welche  171«)  erschien,  veröffentlichte  er  in 
der  oben  genannten  pädagogischen  Zeitschrift  „Zufällige  Anmerkungen" 
u.  s.  w.  zwei  hierher  gehörige  Aufsätze:  „Vom  Ursprung  des  Buchstabs 


*)  Vgl.  unten  Anmerkung  lfiT. 


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xxvni 


Einleitung, 


y  und  woher  es  komme,  dass  er  von  einigen  in  so  viel  Wörtern  ge- 
schrieben werde"  (S.  391  ff)  und  „Vom  Zahlwort  zwei  und  dessen  Dekli- 
nation". Ferner  aber  gab  er  1723  eine  verbesserte  und  vermehrte  Auf- 
lage von  Bödiker's  deutscher  Grammatik  heraus,  in  der  er  die  schiefen 
und  unrichtigen  Erklärungen  des  Verfassers  zu  berichten  versuchte: 
.  „Joh.  Bödikeri  Grundsätze  der  Teutschen  Sprache,  meistens  mit  ganz 
anderen  Anmerkungen  und  einem  völligen  Register  der  Wörter,  die  in 
der  teutschen  Uebersetzung  der  Bibel  einige  Erläuterung  erfordern,  auch 
zum  Anhange  mit  einem  Entwurf  und  Muster  eines  teutschen  Haupt- 
Wörter- Buchs  verbessert  und  vermehrt  von  J.  L.  Frisch."  Die  Frage, 
wieweit  diese  Bearbeitung  einen  Fortschritt  bedeutet  und  welche  Stellung 
Frisches  Arbeit  in  der  Geschichte  der  deutschen  Grammatiken  verdient, 
bedarf  einer  besonderen  Untersuchung,  für  die  hier  kein  Platz  ist. 

Die  übrige  wissenschaftliche  Thätigkeit  Frisch's  ist  wesentlich  durch 
die  Eindrücke  und  Erfahrungen  seines  Wechsel  vollen  Jugendlebens  be- 
stimmt. Seine  Vorliebe  für  die  Geographie  hängt  ohne  Zweifel  mit 
seinen  zahlreichen  Reisen  und  Wanderungen  während  seiner  Studienzeit 
zusammen.  Schon  oben  wurde  erwähnt,  dass  er  mit  Vorliebe  Unter 
rioht  in  der  Geographie  von  Palästina  erteilt  habe  und  in  einem  Briefe*) 
vom  1.  August  1732  schreibt  er,  dass  er  iu  der  mathematischen  Klasse 
der  Societät  „die  Teutsche  Geographiam  specialissimam  über  sich  ge- 
nommen habe,  nach  Vermögen  jährlich  etwas  zu  liefern".  „Ich  habe  aber 
solche  Neider  gefunden,"  fährt  er  fort,  „dass  sie  mein  Beginnen  seither 
1718  gehindert,  nunmehr  aber  will  ich  immerzu  ein  Landchärtlein  dem 
Publico  communiciren  und  zwar  in  den  Miscellaneen  der  Societät." 
Freilich  ist  in  dieser  Zeitschrift  (IV,  69—73)  nur  der  eine  oben  schon 
erwähnte  Aufsatz  veröffentlicht:  „Deseriptio  ulterior,  quam  primum 
speeimen  atlantis  Germaniae  sacrae  evangelicae  requirit"  mit  einer  von 
P.  J.  Frisch  in  Kupfer  gestochenen  Karte:  „Die  Superintendur  (!)  Neu- 
statt an  der  Aisch  und  zugleich  die  Brandenburg-Baireutische  Haupt- 
mannschaft  Neustatt  an  der  Aisch  und  Hohen -Eck  in  Franken".  Die 
Absicht  ist  aber,  soweit  ich  habe  sehen  können,  auch  an  anderen  Stellen 
nicht  zur  Ausführung  gebracht,  wahrscheinlich  weil  Frisch  durch  andere 
Arbeiten  in  Anspruch  genommen  wurde. 

Seine  in  der  Jugend  geübte  praktische  Thätigkeit  als  Landwirt 
hatte  die  iu  ihm  ohne  Zweifel  früh  vorhandene  Neigung  zu  natur- 
wissenschaftlichen Studien  befestigt  und  weiter  entwickelt.  Diese 
bethätigte  er  nun  in  mannigfacher  Weise. 

Zunächst  waren  es  wohl  diese  Erfahrungen,  welche  ihn  Leibniz  als 
den  geeignetsten  Aufseher  und  Förderer  des  Seidenbaus  in  Berlin  zum 


*)  Neuer  allgcm.  litter.  Anzeiger  Bd.  4  S.  118. 
•+)  Vgl  unten  Brief  31. 


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Einleitung. 


XXIX 


Nutzen  der  Societät  erscheinen  Hessen.  Mit  welcher  Umsicht  er  sich 
diesem  Unternehmen  gewidmet  hat,  wie  eingehende  Versuche  und  Be- 
obachtungen er  dabei  über  die  Kultur  der  Maulbeerbäume  und  das 
lieben  der  Seidenraupe  gemacht  hat,  davon  giebt  der  nachfolgende  Brief- 
wechsel ein  klares  Bild.  Seine  Erfahrungen  im  Seidenbau  hat  er  in 
zwei  kleinen  Schriften  niedergelegt,  die  allerdings  seinen  Namen  nicht 
fahren,  aber  ohne  Zweifel  von  ihm  verfasst  sind.  171:1  veröffentlichte 
er:  „Der  Seidenbau  nach  seiner  Möglichkeit  und  Nutzbarkeit"  und  im 
darauf  folgenden  Jahre :  „Der  Seidenbau  in  seiner  nöthigen  Vorbereitung, 
gehörigen  Bestellung  und  endlichen  Gewinnung".  Dagegen  scheint  die 
„Historie  der  Plantation  der  Maulbeerbäume  in  Europa  und  sonderlich 
in  Teutschland",  deren  Abfassung  ihm  nach  einer  Äusserung  Leibniz 
gegenüber  (siehe  unten  Brief  41)  vom  Könige  Friedrich  Wilhelm  I.  nahe 
gelegt  war,  nicht  geschrieben  oder  wenigstens  nicht  veröffentlicht  zu  sein. 

Die  Aufzucht  der  Seidenraupen  führte  ihn  1713  zur  genaueren  Be- 
obachtung der  Insekten  überhaupt,  und  1720  begann  er  heftweise  eine  „Be- 
schreibung von  allerley  Insekten  in  Deutschland"  herauszugeben.  Die 
scharfe  und  liebevolle  Beobachtung  in  diesen  Beschreibungen  und  die 
anspruchslose  Darstellung  des  Beobachteten  machen  sie  noch  heute  zu 
einer  für  den  Naturfreund  angenehmen  Lektüre.  In  18  Heften,  deren 
letztes  1738  erschien,  gab  er  von  300  Insekten  eine  genaue  Beschreibung 
zugleich  mit  bildlichen  Darstellungen,  die  von  ihm  selbst  uach  der 
Natur  gezeichnet  und  von  seinem  jungen  Sohne  Ferdinand  Helfreich  in 
Kupfer  gestochen  waren.  Um  den  Verfasser  wegen  dieser  Leistungen 
zu  ehren,  gab  Linne  einen»  Käfer  aus  der  Species  Melolontha  den  Namen 
Melolontha  Frischii.*) 

Ein  zweites  naturwissenschaftliches  Kupferwerk  begann  er  mit 
seiner  „Vorstellung  der  Vögel  Deutschlands  und  beyläufig  auch  einiger 
fremden;  nach  ihren  Eigenschaften  beschrieben."  Er  hatte,  um  dieser 
Aufgabe  gewachsen  zu  sein,  sich  viele  deutsche  Vögel  lebend  verschafft, 
sie  in  der  Gefangenschaft  beobachtet  und  dann  ausstopfen  lassen.  Wieder 
lieferte  Ferdinand  Helfreich  die  Kupferstiche.  Es  war  ihnen  beiden 
aber  nicht  vergönnt,  die  Arbeit  zu  vollenden.  Erst  im  Jahre  17(>3 
wurde  sie  durch  Frisch's  Sohn  Jodocus  Leopold  unter  Beihülfe  des 
Barons  von  Zorn  in  Dauzig  und  des  einzigen  Sohnes  von  Ferdinand 
Helfreich,  der  die  letzten  Kupferstiche  lieferte,  abgeschlossen;  sechszig 
Jahre  lang  war  sie  die  exakteste  Darstellung  der  Vögel  Deutschlands. 
Zur  Anerkennung  für  dieses  Unternehmen  wurde  Frisch  1725  Mitglied 
der  Leopoldinischen  Akademie  naturae  euriosorum  unter  dem  Namen 
Vegetius. 


T>  Vgl.  Aug.  Ferd.  Ribbeck,  Oratio  ad  J.  L.  Friscbii  niemoriam  secularem  cele- 
brandam.   Programm  des  Grauen  Klosters  1830.    S.  17. 


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XXX 


Einleitung, 


Die  oben  einzeln  aufgeführten  Aufsätze  Frisch's  in  den  Miscellanea 
Beroiineusia  geben  Zeugnis,  dass  Frisch  in  seinen  Forschungen  sich  auf 
diese  beiden  Gebiete  des  Naturreichs  nicht  beschränkt  hat:  so  hat  er  u.  a. 
die  Band-  und  Eingeweidewürmer  in  verschiedenen  Tieren,  z.  B.  im  Stich- 
ling  oder,  wie  man  damals  in  Berlin  sagte,  im  Stecherling  beobachtet 
und  beschrieben,  von  den  Blattläusen  gehandelt,  auf  das  Vorkommen 
des  Braunfischos  (Phocaena  commuuis)  in  einem  pommerschen  See  und 
eines  Kormorans  in  der  Mark  Brandenburg  aufmerksam  gemacht. 

Die  zahlreichen  Nachrichten,  welche  Frisch  iu  dem  nachfolgenden 
Briefwechsel  über  seine  eigenen  und  anderer  Männer  chemische  Ver- 
suche giebt,  lassen  erkennen,  dass  Frisch  solchen  bei  Hoch  und  Niedrig 
damals  sehr  beliebten  Bestrebungen  nicht  fern  stand.  Berlin  war  gegen 
Ende  des  17.  und  im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  ein  günstiger  Boden 
für  allerlei  alchemistische  Versuche.  Wie  an  des  Grossen  Kurfürsten 
Hofe  der  Laborant  Johann  Kunkel  lange  Jahre  im  grossen  Ansehen 
stand  und  seines  Fürsten  Vorliebe  für  die  Goldmacherkunst  wach  zu 
halten  wusste,  so  versachte  im  Jahre  1705  der  Adept  Don  Domenico 
Manuel  Caetano,  Conte  de  Ruggiero  am  preussischen  Hofe  festen  Fuss 
zu  fassen,  indem  er  die  Kunst  des  Goldmachens  zu  besitzen  be- 
hauptete und  auch  wirklich  Proben  seiner  Kunst  ablegte;  durch  ein 
mitgebrachtes  Pulver  verwandelte  er  Quecksilber  in  Silber  und  ein 
ander  Mal  Quecksilber  in  Gold.  Er  bildete  kurze  Zeit  in  Berlin  den 
Mittelpunkt  des  Interesses,  und  die  an  Leibniz  gerichteten  brieflichen  Mit- 
teilungen Frisch's  zeigen,  dass  auch  dieser  jenen  Vorspiegelungen  Glauben 
zu  schenken  geneigt  war.  Die  Enttäuschung  folgte  freilich  bald  nach.*) 
Neben  dem  Caetano  spielte  damals  in  Berlin  ein  Laborant,  der  Stahl- 
müller Felmy  oder  Filmey,  eine  Rolle,  über  den  sich  aber  Nachrichten 
nicht  haben  beibringen  lassen.  Ferner  gehörte  zu  dem  Kreis  der  Ber- 
liner Alchemisten  Johann  Konrad  Dippel,  der  mit  J.  G.  Rosenbach  die 
Goldmacherei  trieb  und  der  Entdecker  des  tierischen  Öls  wurde.  Er 
war  es  auch,  der  mit  dem  Färber  Diesbach  zusammen  das  Berliner 
Blau  erfand,  aus  dessen  wesentlich  verbesserter  Fabrikation  Frisch  er- 
hebliche Einnahmen  erzielte.**) 

Obgleich  Leibniz  nicht  an  den  Stein  der  Weisen  glaubte,***)  war 
er  doch  nicht  blind  gegen  die  Wichtigkeit  solcher  Versuche  und  hat 
alle  darauf  bezüglichen  Nachrichten  Frisch's  sicher  mit  Interesse  ent- 
gegengenommen, wie  sich  aus  der  häufigen  Berührung  dieses  Themas 
in  Frisch's  Briefen  schliessen  lässt.    Hat  er  doch  auch  in  dem  ersten 


*)  Vgl.  unten  Anmerkung  69. 
**)  Genaueres  siehe  in  der  Anmerkung  38. 
***)  Miacell.  Berol.  I  p.  16  ff. :  G.  G.  L.,  Oedipue  Chymicus  aenigmatis  -Graeci 
et  Germanici. 


Einleitung. 


XXXI 


Bande  der  Miscellanea  Berolinensia  über  die  gleichfalls  bei  alchemisti- 
schen  Versuchen  gewonnene  Entdeckung  des  Phosphors  einen  ausführ- 
lichen und  den  Erfinder  Brand  ehrenden  Bericht  gebracht. 

Die  Bedeutung  der  von  Frisch  unternommenen  chemischen  Ver- 
suche, wie  sie  im  nachfolgenden  Briefwechsel  sich  darstellen,  zu  wür- 
digen, muss  ich  einer  sachverständigeren  Feder  überlassen. 

Zehn  Jahre  etwa  haben  die  Beziehungen  Frisch's  zu  Leibniz  ge- 
dauert, für  sein  ganzes  Leben  aber  ist  seine  Geistesrichtung  und  seine 
wissenschaftliche  Thätigkeit  durch  diesen  Verkelir  bestimmt.  Und  wie 
auf  diesen  einzelnen  Gelehrten,  so  hat  Leibniz  auf  das  gesamte  wissen- 
schaftliche Leben  Berlins  einen  nachhaltigen  Einfluss  ausgeübt  und  hat 
ihm  einen  neuen  Schwung  und  einen  gewissen  encyclopädischen  Cha- 
rakter verliehen. 


•  -  * 


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Joh.  Leonh.  Frisch's  Briefwechsel  mit  G.  W.Leibniz. 


!•■) 

Frisch  an  Leibniz. 

Hochgeehrter  Herr  Geheimer  Rath.  Dass  Ew.  Excellenz  nicht 
Selbsten  aufwarte,  hab  ich  keine  andere  Entschuldigung  anzuführen,  als 
die  tödliche  Schwachheit  des  Herrn  D.  Lichtscheides,-)  bey  welchem 
ich  fast  Tag  und  Nacht  bin,  und  aus  Lieb  zu  ihm  fast  alles  vergesse. 
Ich  habe  ihn  gestern  Nacht  in  desperatem  Zustand  verlassen  und  gehe 
jetzt  wider  zu  ihm  mit  grosser  Ungewissheit ,  ob  ich  ihn  noch  lebend 
antreffen  werde.  Ich  habe  aber  indessen  nicht  unterlassen  wegen  des 
Maulbeer-Saamens  bedacht  zu  seyn  und  den  Raschmacher s)  zu  dem 
Gärtner  Burckhaff  geschickt,  welcher  mir  auch  versprochen,  hin  zu 
gehen,  aber  noch  keine  Antwort  wider  gesagt.  Morgen  will  ich  selbst 
zu  besagtem  Gärtner  gehen;  unterdessen  wird  der  Feldprediger  nicht 
feyren,  desswegen  Nachfrage  zu  halten. 

Beykommende  editionen  von  der  Bibel,  sonderlich  Novi  Testamenti, 
habe  ich  unter  meinen  Büchern  gefunden,  von  welchen  ich  glaube,  dass 
sie  noch  nicht  allzu  bekannt  seyen.  Die  Böhmische  Bibel,  so  ich  habe, 
hat  kein  Titulblatt,  wesswegen  ich  sie  nicht  beyfügen  können.  Bitte 
gehorsamst,  sie  halten  mir  meine  Eilfertigkeit  zu  gute  und  versichern 
sich,  dass  die  Begierde,  bey  Herrn  Doctor  Lichtscheid  zu  seyn,  mir 
wohl  etwas  von  gegenwärtigen  Zeiten,  aber  niemahl,  so  wenig  als  was 
anders,  von  dem  respect  abkürzen  können,  womit  ich  lebenslang  ver- 
bleibe Joh.  Leonh.  Frisch. 

2. 

Frisch  an  Leibniz. 
Hoch  Edler,  Hochgeehrter  Herr  geheimer  Rath  und  Praesident, 
Hochwerther  Patron!4)    Dass  Ew.  Exc.  glücklich  zu  Hannover  ange- 
langt,') habe  mit  freuden  aus  dero  Hochwerthen  vom  28.  Junij")  er- 


Job.  Leonb.  FriBch'B  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


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fahren.  Hätte  auch  gleich  darauf  gebührende  Nachricht  von  allem,  was 
verlangt  worden,  abgestattet,  wann  nicht  noch  das  Seidenabspinnen  ab- 
zuwarten gewesen.  Wir  haben,  aus  Mangel  des  Wurmsaamens ,  die 
Bäume  zu  Potstam7)  und  Spandau  diss  Jahr  müssen  ungenuzet  stehen 
lassen.  Zu  Cöpenik  aber  haben  wir  bey  5  Pfund  guter  Seiden  bekommen, 
das  übrige,  was  das  schönste  von  den  Cocons  wäre,  haben  wir  aus- 
kriechen lassen,  so  dass  ich  wohl  zu  100  Pfund  Seiden,  und  drüber, 
Wurmsaamen  gesamlet.  Es  waren  die  Cöpenikschen  Cocons  von  solcher 
grosse  und  härte,  dass  die  Italiener  und  Franzosen  dabey  schlechten 
Unterschied  von  den  besten  in  ihren  Landen  finden  können.  Um  Italie- 
nischen Saamen  hab  ich  auch  längsten  wieder  geschrieben,  weil  er  wohl- 
feiler zu  haben  um  die  Zeit,  wann  sie  die  Würmer  auskriechen  lassen, 
indem  sonst  ein  jeder  nur  so  viel  unabgesponnen  liegen  lässt,  als  er  zu 
seinen  Bäumen  vermeinet  genug  zu  haben. 

Den  Baumsaamen  erwarte  ich  auch  nächstens.  Damit  wir  aber 
versicherter  seyn  mögen  als  bissher,  hab  ich  viel  Pfund  zu  Potstam  und 
Cöpenick  samlen  lassen.  Den  Garten  zu  Cupenik  hab  ich  einem  Mann 
verdinget,  der  ihn  halb  diesen  Herbst  umpflügen  und  düngen  soll,  da- 
mit gleichwohl  ein  jeder  bauin  etwas  mist  bekomme,  dann  der  planteur 
hat  «lein  Meister  Otto ')  zum  Possen  den  ersten  Mist  gleich  an  eine 
geringe  Zahl  Bäume  verscharret,  dass  er  dieses  Jahr  nichts  auf  dem 
Plaz  bauen  können,  wie  ihm  erlaubt  gewesen.  Er  will  dahero  künft'tig 
noch  etwas  darauf  pflanzen.  Sonst  ist  im  Garten  nicht  ein  grünes 
Grässlein;  wo  es  aber  ein  wenig  feuchtigkeit  haben  kan,  siehet  man 
wohl,  was  der  grund  thun  kan.  Desswegen  hab  ich  alle  gelegenheit 
abgesehen,  ob  etwau  mit  einer  Wässerung  zu  helften  wäre.  Auch  den 
Herrn  adjunctum  Hoffmann  ')  mit  seinem  Bruder  desswegen  mit  hinaus 
genommen,  die  Situation  ein  wenig  mit  der  Wasserwag  zu  messen.  Da 
wir  dann  gefunden,  dass,  weil  die  Spree  nicht  allein  zu  schwach  ist, 
ein  Schöpfrad  zu  treiben,  sondern  auch  etwas  zu  unbe«piem  entfernet, 
und  der  garten  gleichwohl  eine  höhe  hat,  welche  in  einer  schuurgleiehen 
pente,  5  biss  0  Schuh  biss  an  den  untersten  Theil  austrägt,  dass  man 
mit  einer  geraumigen  Pumpe,  weil  das  Grundwasser  nicht  tief  zu  hohlen, 
vermittelst  einer  kleinen  Windmühl  mit  geringen  Kosten  den  garten 
immer  befeuchten  könnte.  Sie  halten  mir  desswegen  auch  schon  einen 
abriss  von  der  Maschine  gemacht,  welchen  ich  hieinit  übersende,  mit 
bitte,  weil  wir  keine  copie  davon  behalten,  denselben  bey  gelegenheit 
wider  zu  überschicken.  Manu  braucht  des  Wassers  nicht  viel,  weil  es 
theils  die  Bäume  nicht  leiden,  theils  das  Wetter  nicht  erfordert,  und 
also  die  Pumpe  immer  wider  Zeit  hat,  sich  anzufüllen,  geschweige,  dass 
die  meatus,  wegen  des  stetigen  auspumpen*,  sich  immer  in  der  Erde 
erweitern.  Wann  man  endlich  mehr  Wasser  haben  wollte,  weil  man 
dessen  Nuzen  spührte,  könnte  man  in  die  Spree  einige  rinnen  unter  die 

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2  Joh.  Leonh.  Frischs  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


Erde  legen,  damit  man  steten  Zufluss  hätte.  Es  sind  schon  zwey  solche 
Pompen-Brunnen  im  garten,  aber  an  unbequemen  Orten,  nur  zum 
begiessen  angelegt;  weil  sie  aber  doch  mit  feldsteinen  ausgefüttert, 
auch  die  Eisen  noch  da  sind,  können  sie  bey  einer  grössern  die  Unkosten 
vermindern.  Der  Raum  des  Gartens  verspricht  leiclitlich  so  viel  grass, 
dass  man  6  Kuh  davon  überwintern  kau,  wovon  künftig  der  Mist  in  dem 
garten,  und  die  Leuthe,  so  sie  halten,  zur  gewissen  und  wohlfeilem 
arbeit  des  Blätterrupfens  können  gebraucht  werden.  Die  wenige  Zahl 
der  Bäume,  so  Mist  genossen,  oder  etwas  tiefer  und  der  Nässe  näher 
stehen,  haben  genugsam  gezeigt,  was  sie  thun  können,  indem  sie  viel 
Schüsse  getrieben,  so  anderhalb  Ehlen  lang  sind.  So  dass  eine  kleine 
Zahl  dei  Bäume  die  Unkosten  einer  solchen  machine  bald  wider  erstehen 
sollten. 

Wie  nun  in  diesem  allen  Ew.  Excfcllenz]  zu  disponiren  haben,  als  werden 
Sie  absonderlich  wegen  herannahenden  Herbstes  zu  befehlen  belieben, 
wie  man  es  mit  anlegung  der  Baumschulen  an  unterschiedlichen  Orten 
der  Königlichen]  Provinzen  anzustellen  habe.  Dann  die  Erde  muss  vorhero 
recht  desswegen  zugerichtet  und  gedünget  werden.  Meister  Otto  hat 
den  Oöpenickisehen  Baumsaaraen  einestheils  zu  Potstam  in  den  Garten 
gesäet,  der  nicht  recht  zugerichtet  gewesen,  dalicro  ihm  auch  nicht  ein 
Körnlein  aufgegangen.  Hingegen  hat  der  erste  Planteur  der  hiesigen 
Maulbeerbäume  von  eben  diesem  Saamen  zu  Borna  ,ü)  ausgesäet,  von 
welchem  fast  kein  Körnlein  ausgeblieben,  so  dass  er  uns  in  einigen 
Jahren  mit  einer  schönen  anzahl  Bäume  versehen  kan,  wie  ich  ihm 
dann  zu  einem  recompens  wegen  der  Societät  hoftnung  gemacht,  wann 
er  seinen  Fleiss  ferner  würde  sehen  lassen.  Sonst  hat  Meister  Otto  es 
an  seinen  Fleiss  nicht  ermangeln  lassen,  sonderlich  hat  er  zu  Briezen  u) 
an  der  Oder  erfahren,  dass  einige  Leuthe  daselbst  viel  fuder  Mist  wegen 
der  entlegenen  felder  oder  wegen  Mangel  derselben  in  die  Oder  werffen 
müssen.  Wann  nun  daselbst  ein  Garten  angelegt  würde,  könnte  man 
eine  stetswärende  wohlfeile  Baumschule  haben  und  daraus  die  meisten 
Stättlein  in  der  Mittel-  und  Neiunark  versehen,  deren  etliche  doppelte 
Wälle  haben.  Zu  Prenzlow  wäre  der  andere  Ort,  die  Ukermarck  zu 
besezen,  zu  Magdeburg  der  dritte,  und  allliier  der  vierdte.  Man  kan 
den  nächsten  Frühling  einige  hundert  Bäume  aus  der  Cöpenickischen 
Schule  nehmen  und  auf  hiesigen  Wall'-')  sezen,  all  wo  schon  einige  zimlich 
erwachsene  stehen,  von  welchen  ich  diss  Jahr  aucl»  possessio!!  genommen, 
und  um  mehr  Erfahrung  zu  haben,  einige  Würmer  selbst  gefüttert  und 
spinnen  lassen:  alsdann  will  ich  die  Cöpenicksche  längs  dem  garten 
unten  an  dem  besten  ort  anlegen  und  durch  die  herrschaftliche  frohn- 
dienste  zurichten  lassen.  Was  zu  Potstam  abgeht,  kan  von  Borna 
ersezt  und  die  Nachbarschafft  nötliig  daraus  besezt  werden.  Aus  diesen 
fünff  pläzen  kan  man  zum  anfang  hernach  das  beste  herausnehmen. 


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Joh.  Leonh.  Frisch'8  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


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Zu  Wriezen  an  der  Oder  wäre  Herr  Bodecker,13)  welcher  inspection 
halten  könnte,  wie  anch  einige  andere  meiner  guten  Freunde,  und  so 
auch  zu  Preuzlow,  allwo  einige  meiner  gewesenen  discipel  in  Diensten 
sind;  wann  man  ihnen  nur  zu  einer  Erkäntlichkeit  auf  Seiten  der 
Societät  hoffnung  machen  und  etwas  wogen  der  Döthigen  Unkosten  über- 
schicken kan.  Zu  Cöpenik  ist  der  garten  ehmals  aus  unterschiedlichen 
zusamgekauftten  Stücken  felds  und  gärten  angelegt  worden,  weil  man 
aber  dem  garten  so  viel  möglich  eine  viereckigte  Figur  mit  dem  Zaun 
geben  wollen,  sind  einige  Winckel  dadurch  ausgeschlossen  worden.  Es 
getraute  sich  lange  Zeit  niemand,  sich  deren  anzumassen,  dieses  Jahr 
aber  hat  ein  Schweizer  angefangen,  dieser  Winckel  einige,  so  die  grösten 
sind,  auszuroden  uud  umznhacken.  Als  ich  es  erfahren,  hab  ich  mit 
tlemselbigen  geredet,  aus  was  Macht  er  das  thue?  und  es  dahin  gebracht, 
dass  er  es  vor  eine  dependenz  vom  Maulbecrgarten  erkennen  und  sich 
erklären  müssen,  entweder  Zinse  davon  zu  geben  oder  nach  proportion 
des  Nuzens  davon  einige  tag  im  garteu  zu  arbeiten.  Uberdas  ist  vor 
dem  vordersten  gartenthor  noch  Plaz,  einige  hüttlein  zur  baurenwohnung 
und  Kuhstallen  zu  bauen,  welche,  wann  das  Wässern  angehen  sollte, 
in  Osten  errichtet  werden.  Wie  es  ins  künfftige  wegen  Nuzung  der  Maul- 
beerbäume zu  halten,  erwarte  ich  nähern  befehl. 

Ich  habe  von  allen  diesem  auch  mit  H[errn]  Cuno14)  geredet,  welcher 
zu  aller  beförderung  geneigt.  Wollte  wünschen,  dass  H[err]  Secretarius 
Jablonski15)  auch  begreiffen  könnte,  was  man  damit  suchte,  so  würde 
er  minder  kaltsinnig  dazu  seyn.  Ich  hab  ihm  das  Original  des  privilegii1') 
wider  zugestellt,  nachdem  ich  fidimirte  copiain  davon  behalten.  Wegen 
der  Seide,  so  wir  zu  Cöpenik  gesponnen,  hab  ich  mich  erkundigt,  ob 
vielleicht  Herr  Koppisch,17)  der  die  manufactur  und'  fabrique  bissher 
dazu  gehabt,  dieselbe  annehmen  wolle;  allein  weil  er  andere  Verrich- 
tungen am  Hof  bekommeu,  liegt  diss  Werck  jetzund  darnieder.  Von 
andern  Kaufleuthen  hab  ich  noch  nichts  gewisses,  es  machen  mir  einige 
Hofnung  zu  5  thl.  vor  das  Pfd.,  welches  theur  genug  wäre,  dann  in 
Österreich  gibt  man  nur  5  fl.  vor  dergleichen  einheimische  Seide. 

Ich  befehle  mich  indessen  noch  ferner  dero  gewogenheit  und 
verbleibe 

Ew.  Excfellenz] 

hochverbundenstor 
Berl[in]  den  4.  Aug[ust]  1707.  Diener 

Joh.  Leonh.  Frisch. 

Leibniz  an  Frisch. 
[Ohne  Datum] 

(Tit.)  Insonders  hochgeehrter]  H[err].  Es  ist  mir  lieb,  dass  die  Seiden 
Cultur  zimlich  von  statten  gehet  und  einen  guthen  Nuzen  vors  künfftige  ver- 

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Job.  Leonh.  Frisch*«  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leihniz. 


spricht.  H|err]  Hofrath  jCuiiü  hat  in  seinem  Schreiben  an  mich  von  m[ eines] 
H[eri*n]  Sorgfalt  in  dieser  sache  rülunlich  gedacht.  Eine  kleine  Windtinühle, 
den  garten  zu  Koppenich  zu  wässern,  würde  gutt  seyn,  wenn  man  nur  weiss, 
dass  gnugsam  wasser  im  Brunnen,  und  da  er  ausgeschöpfet,  nicht  alzu 
langsam  wider  anlaufft.  Es  wird  auch  zuforderst  ein  Überschlag  der 
Kosten  nöthig  und  das  beste  seyn,  den  ganzen  bau  an  jemand  zu  ver- 
dingen. Der  abriss  komt  wider  zurück.  In  Holland  haben  sie  an  den 
kleinen  Windtmühleu,  so  das  wasser  aus  den  feldern  pompen,  scarze 
oder  schwänze,  also  dass  sie  sich  selbst  nach  dem  Winde  drehen,  und 
kosten  solche  Windtmühlen  gar  wenig,  sind  aber  auch  nicht  hoch  und 
haben  wenig  krafl't,  so  wir  auch  eben  nicht  vonnothen  haben.  Bitte  ohnbe- 
schwehrt  mir  von  dem  Überschlag  der  Kosten  part  zu  geben.  Die  winckel 
mainteniret  man  billig  bey  dem  garten  zu  Koppenich  und  kan  mit  dem 
Schweizer  ad  tempus  eontrahiren. 

Wenn  thunlich  einige  Bäume  von  Coppenich  an  die  Charlotten- 
burger farth''')  zu  sezen,  wenigstens  am  nächsten  bey  Cbarlottenburg, 
da  sie  in  äugen,  würde  es  vielleicht  dem  König  gefallen,  mehr  als 
aufm  Wall. 

An  Briezen  an  der  Oder  und  ßrenzlau  zu  gedenckeu  wird  freylich 
guth  seyn;  solte  man  die  Wälle  selbst  zu  Baumschuhlen  brauchen  können, 
so  wäre  es  das  beste,  denn  eigene  pläze  zu  kauften  noch  zur  Zeit  vor 
uns  zu  schwehr.  Ocularis  inspectio  köudte  einsmals  von  M[eisterJ  Otten 
genommen  werden.  An  erkentligkeit  würde  man  es  gegen  die,  so  uns 
in  der  Sach  nüzlich  an  Hand  giengen,  nicht  fehlen  lassen.  Was  auch 
für  Unkosten  nothig,  daran  wird  es  bey  der  Societät  auch  nicht  ermangeln, 
noch  H[err]  'jSecretarius  Jablonski  aus  banden  gehen  und  wird  m[ein] 
H[err]  bey  zeyten  wegen  der  nothdurfl't  diessfals  zu  erinnern  belieben. 

4. 

Frisch  an  Leibniz. 
HochEdler  pp.  Weilen  von  Ew.  Excellenz  auf  mein  voriges  vom 
4.  Augusti  keine  Antwort  und  weitern  befehl  bekommen,  habe  ich  mir 
eingebildet,  sie  Seyen  verreisset  Hätte  sonsten  längstens  gebührende 
Nachricht  von  allem  gegeben.  Wäre  mir  auch  leid,  wann  unterdessen 
einige  Zeilen  an  mich  ergangen  wären,  darinnen  einige  Verordnung,  wie 
es  weiter  anzufangen,  enthalten  gewesen;  dann  ich  habe  nichts  erhalten. 
Der  Abriss  zur  Pompe  kan  vielleicht  künfftig  eiumahl  gebraucht  werden; 
ich  werde  ihn  abzeichnen  und  Herrn  Hofmau10)  das  original  zustellen. 
Es  sind  einige  Landleuthe,  welche  lust  haben,  dergleichen  machine  anzu- 
legen. Der  halbe  Garten  zu  Cöpeuik  ist  umgepflügt  uud  mit  etlich 
hundert  fuder  Mist  gedüngt,  wovon  wir  bald  guten  eftect  hoffen.  Der 
Plauteur  zu  Cöpeuik  hat  eine  supplic  wider  der  Societät  verfahren 
eingegeben,  dass  man  andere  Leuthe  iu  den  garten  führe  und  denselben 


Joh.  Leonh.  Frisch  »  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


5 


pflügen  lasse.  Bitte  derhalben  um  dimission  von  der  Wartung  des 
Gartens,  aber  doch  um  fernem  genuss  der  Besoldung.  Welche  supplic 
dem  Herrn  Hofrath  Cun<>  zugeschickt  werden,  welcher  sie  mir  cominu- 
nicirt,  und  weil  ich  um  den  Handel  am  besten  wisse,  informati<m  begehrt, 
also  dass  dieser  faule  l'lanteur  sich  künfftig  wird  besser  angreiffen 
müssen.  Tch  hab  eine  feine  quantität  Baumsaamen  aus  Italien  bekommen, 
Wurmsaamen  erwarte  ich  auch.  Wegen  anlegung  der  Baumschulen  bin 
ich  in  ein  und  ander  Ort  gereisst,  aber  überall  solche  Weitläufftigkeit 
und  Schwierigkeit  gefunden,  dass  ich  endlieh  mich  hier  um  gelegeuheit 
dazu  umsehen  müssen.  Da  ich  dann  keinen  bequemem  ort  linden  können, 
als  den  bedeckten  Weg-'1)  um  unsere  Stadt  Berlin ,  allwo  die  jungen 
Pflanzen  nicht  nur  am  sichersten,  sondern  auch  wegen  des  immer  gleich 
hohen  Wassers  im  Graben  am  bequemsten  zur  Wurzelfeuchtigkeit  und 
zum  begiessen  stehen.  Habe  dahero  dem  Herrn  Feldmarschall  Grafen 
von  Wartensleben -"')  aufgewartet,  und  die  Versicherung  bekommen, 
man  wolle  mir  einen  Plaz  dazu  anweissen  lassen.  Wesswegen  ich,  so- 
bald man  wird  mit  solcher  Gartenarbeit  umgehen  können,  ferner  ein- 
kommen  werde.  Mit  denen  Würmern  habe  ich  die  curiosität  gehabt,  sie 
noch  einmahl  auskriechen  zu  lassen,  und  habe  aus  der  geringen  quantitat, 
mit  welcher  ich  es  probiert,  gesehen,  dass  es  möglich.  Sie  siud  eben  so 
<chön  worden,  als  das  erste  mahl,  haben  gesponnen  und  Saamen  hinter- 
lassen. Welche  Prob  mir  um  desswillen  desto  lieber,  weil  ich  einige 
auskriechen  lassen,  welche  ein  loch  in  den  Cocons  vorhcrgelassen,  womit 
sie  dann  auch  zum  andernmahl  fortgefahren,  also  dass  mir  der  hiesige 
Wurmsaamen  nichts  nuzet,  ob  mich  gleich  die  Franzosen  versichert,  sie 
thätcn  es  das  andere  Jahr  nicht.  Daher  muss  ich  lauter  frischen  Saamen 
haben.  Weil  aber  die  50  thl.,  so  ich  empfangen,  zu  ende,  und  ich  die 
Seide,  so  ich  machen  lassen,  noch  nicht  mit  Vortheil  verkauifen  können, 
werde  ich  wohl  wider  etwas  geld  haben  müssen,  wozu  Ew.  Exc[ellenz] 
werden  gelieben  ordre  zu  ertheilen.  Dann  es  wird  viel  Düngung  zu  denen 
Baumschulen  erfordert  werden,  auch  weiss  ich  noch  nicht,  wie  viel  und 
wie  grossen  Plaz  man  mir  anweissen  wird,  ob  ich  nicht  noch  andere 
Pliizo  dazu  bestehen  muss,  dann  ich  wollte  den  vielen  Saamen,  so  ich 
angeschafft,  nicht  gern  veralten  und  verderben  lassen,  absonderlich  da 
ich  ihn  so  gut  befunden,  dass,  da  ich,  sobald  ich  ihn  bekommen,  einige 
Körner  gesäet,  sie  doch  alle,  auch  schon  zur  spaten  Jahrszeit,  aufge- 
gangen. Wann  sonsten  etwas  zu  befehlen,  worinnen  ich  nach  meiner 
Wenigkeit  dienen  kan,  werde  ich  allzeit  meine  Schuldigkeit  in  acht 
nehmen,  dann  ich  verbleibe  Ew.  Excellenz  gehorsamst  ergebenster  Diener 

Joh.  Leonh.  Frisch.-') 

Berlin  den  letzten  December  1707. 


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Joh.  Leonh.  Friach'S  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


5. 

Frisch  an  Leibniz. 

HochEdler  pp.  Unter  andern  Dingen,  so  wegen  des  Seiden- Wesen 
E[w].  Exc[eilenz]  berichten,  ist  absonderlich  dieses,  dass  einige  Persohnen 
mich  angesprochen,  ihnen  wegen  pflanzung  der  Maulbeerbäume  au  die  Hand 
zu  gehen,  weil  sie  auf  ihren  Gütern  einige  grosse  Pläze  damit  anlegen 
wollten.  t  Weilen  ich  aber  aus  unserm  Privilegioai)  gezeigt,  dass  es  der 
Societät  so  weit  verliehen  wäre,  dass  niemand  ohne  ihren  consens  der- 
gleichen grosse  gärten  anlegen  dörffte,  als  werden  E[w].  Exc[ellenz]  so  gütig 
seyn  und  wegen  eines  aufsazes  von  dergleichen  consens  etwan  an  Herrn 
Secretariura")  ordre  ertheilen.  Die  Leuthe  pressiren  mich,  weil  die  Zeit 
zum  säen  nicht  weit  mehr  entfernt.  Sie  sind  erbötig,  der  Societät  einige 
Erkäntlichkeit  dafür  zu  thun.  Herr  Secretarius  Jablonski  hat  mir  die 
50  thlr.  wegen  fernerer  fortsezung  dieses  wercks  wohl  ausgezahlt,  es 
scheint,  er  begreiffe  es  jezo  etwas  mehr  als  vorher,  doch  dünckt  mich, 
dass  es  noch  nicht  so  ist,  wie  bey  Herrn  Cuno.  Meister  Otto  hat  sich 
in  einigen  orten  etwas  zu  herrisch  aufgeführt  und  mir  die  Leuthe  un- 
willig gemacht,  welches  im  anfang  eines  solchen  Werks  viel  hinternüsse 
geben  kan;  auch  hat  er  mir  einige  Thaler«  so  ich  ihm  gegeben,  nicht 
gleich  so  angewendet,  wie  ich  vermeinet,  dahero  ich  ihn  nicht  mehr  ßo 
oflft  als  vorhero  brauchen  können,  welches  er  wohl  mag  gemerckt  haben. 
Sonsten  werde  ich  nicht  unterlassen,  in  ansehen  seiner  Dienstwilligkeit 
und  wircklich  gehabter  Mühe  ihme  widerum  einigen  genuss  in  Verar- 
beitung der  Seide,  wo  es  mit  Vortheil  der  Societät  geschehen  kau,  zuzu- 
wenden. Dieses  vergangene  Jahr  hat  es  wegen  weniger  Seide  nicht  seyn 
können ;  künftigen  Sommer  aber  hoffe  ich  um  ein  ansehnliches  mehr  zu 
erlangen.  Die,  so  sich  unser  Land  so  kalt  eingebildet,  dass  die  Seiden- 
würmer  schwer  darinnen  zu  halten,  haben  dabey  des  vortheils  unserer 
Öfen  und  gemacher  vergessen,  dadurch  man  die  Kalt  massigen  kan,  und 
sind  erstaunt,  da  ich  ihnen  die  Würmer  im  September  gezeigt,  dass  sie 
zum  andern  mahl  gesponnen  haben.  Ich  werde  es  künti'tig  mit  einer 
grössern  quantität  versuchen,  weil  ich  dieses  erste  mahl  gar  wenig 
gehabt  und  nur  die  Möglichkeit  zeigen  wollen.  Die  Gärtner  wollen  mir 
Schwierigkeit  wegen  der  Bäume  machen,  aber  sie  können  mir  weder 
mit  natürlichen  Ursachen,  noch  mit  der  Erfahrung  darthun,  dass  es 
schade,  wann  man  dem  bäum  behutsam  die  blätter  nimt,  die  er  in  einigen 
wochen  hernach  selber  abwirfFt, 

Ich  werde  wegen  des  Zauns  am  Cöpenikischen  Garten  ein  meraorial  an 
Ihro  Königliche]  M[a]j[estä]t  aufsezen  müssen, dass  sie  dem  bausclireiber  da- 
selbst befehlen  lassen,  den  Zaun  noch  ferner  wie  zuvor  im  bau  zu  erhalten, 
angesehen  die  Societät  noch  keinen  genuss  vom  garten,  sondern  vielmehr 
zur  Besserung  desselben  etwas  anwenden  müssen.  Es  will  der  Zaun  au 
einigen  orten  noth  leiden.    Sobald  das  wetter  etwas  besser  wird,  will 


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Joh.  Lt'onh.  Frißch's  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


7 


ich  ihn  besichtigen.  Einige  Unzen  Wurmsaamen  hab  ich  schon  und 
erwarte  noch  mehr  ans  Italien.  Wegen  des  Baumsäens  werde  ich  wohl 
den  Königl.  Gärtner  zu  Borna  zusprechen  müssen,  damit  ich  gewiss 
darinnen  gehe,  weil  derselbe  bissher  alle  Bäume,  so  Ihro  M[a]j[estä]t  der 
Societät  verliehen,  gepflanzt. 

M[onsieu]r  la  Croze*6)  hat  mich  ersuchet,  beyliegende  Zeilen  an  Ew. 
Exc[ellenz]  einzuschliessen.  Herr  Stark* 7)  kommt  wider  in  unsere  Nachbar- 
schafft und  wird  director  der  Kitterschule  zu  Brandenburg;  der  muss  mir 
behülflich  seyn,  dass  ich  zu  Brandenburg  mit  den  Maulbeerbäumen  an- 
kommen kau,  wie  ich  auch  nicht  zweiffle,  er  werde  mir  beystehen,  der 
Societät  interesse  hierinnen  zu  befördern.  Ich  verbleibe  indessen  Ew. 
Excellenz  gehorsamster  und  ergebenster  Diener 

Joh.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  21.  Febrfnar]  1708. 

6. 

Frisch  an  Leibniz. 
HochEdler  pp.  Es  zeigen  sich  in  dem  Seidenwerk,  wovon  E[w].  Ex- 
c{ellenz]fernereNachricht  verlangen,  unterschiedliche  Hinderungen  und  hin- 
gegen auch  einige  Hofnungen  zu  weiterer  Aufnahm.  Die  Haupthinderung 
ist  der  Planteur  zu  Köpenik,  welcher  nicht  einmahl  die  Schlüssel  hergeben 
will,  wann  Meister  Otto  kommt,  und  ich  kan  nicht  allzeit  Selbsten  da- 
seyn.  Ich  wollte  diesen  Frühling  die  andere  Helfft  des  Gartens  umpflügen 
lassen,  aber  er  hindert  und  will  die  besten  Pläze,  die  wir  zur  Baum- 
schule wollen,  behalten.  Waun  ich  nur  mit  dem  H[errn]  Grafen  von  Warten- 
berg58) Selbsten  einmahl  sprechen  könnte,  bey  welchem  er  mich  so 
schwarz  gemacht,  dass  auch  die  Laqueyen  davon  wissen.  Er  wird  vom 
Oberamtmann  unterstützt.  Ich  habe  dahero,  den  Oberkammer  Herrn  zu 
überzeugen,  dass  wir  des  Königs  Lust  und  Interesse  suchen,  einen  Vor- 
schlag durch  den  Bauschreiber  Hehse2-4)  thuu  lassen,  weil  ich  eine  grosse 
Partie  saamen  [habe],  wolte  ich  einen  lebendigen  Zaun  um  des  Königs  Wein- 
berge3«1) anlegen,  wodurch  dem  König  mit  der  Zeit  jährlich  bey  600  thlr., 
so  dieser  Pfahlzaun  jezt  kostet  zu  erhalten,  ersparet,  und  das  ansehen 
des  gartens  vermehret  werden  würde.  Da  über  das  innerhalb  des  Pfahl- 
zauns genügsamer  und  mehr  als  Ruthen-breiter  Plaz  dazu,  auch  der 
Zaun  auf  der  einen  Seiten  unten  am  Berg,  wohin  alle  fettigkeit  vom 
Weinberg  fliessot,  da  die  Bäume  wohl  anschlagen  würden,  als  welche 
schon  an  der  Höhe  dieses  Weinberges  in  schönem  Wachsthum  stehen: 
von  welchen,  ob  ihrer  gleich  kaum  40,  ich  doch  das  vorige  Jahr  noch  nichts 
gewust,  dieses  Monath  Mart.  aber  erst  possessiou  davon  genommen,  da 
sie  eben  daran  waren,  dieselben  umzuhauen.  Ein  solcher  Heckenzauu, 
wann  er  dürft'te  gleich  anfangs  längs  dem  garten  auf  der  untern  Seite 
angelegt  werden,  würde  uns  grossen  vortheil  bringen,  weil  die  bäume 


I 


3  Job.  Leonb.  Frincb  »  Bricfwecbsel  mit  G.  W.  Leibnix. 

daselbst  können  so  hoch  wachsen  als  sie  wollen,  indem  sie  die  Sonne 
nicht  abhalten.  Der  Bauschreiber  TTehse  will  dieses  Jahr  nur  ein  Stück 
davon  also  anlegen  lassen,  welches  überdas  die  Societät  soll  graben  und 
bedüngen  lassen;  so  aber  unserm  Werck  wenig  helffen  wird  und  keines 
Probierens  braucht  an  einem  solchen  ort,  wo  dergleichen  bäume  schon 
so  wohl  bekommen.  Er  verspricht  zwar  gar  um  ein  geringes  beides  zu 
verschaffen,  dass  wo  es  sonst  5  groschen  koste,  er  es  um  2  bekommen 
wolle,  allein  ich  glaube,  es  sollte  bey  dem  König  gar  leichtlich  etwas 
mehrers  zu  erhalten  seyn.  Ich  wollte  dieses  Jahr  zu  Köpenick  auch 
dergleichen  Zaun  anfangen  anzulegen,  aber  es  wird  mir  ausser  dem 
Planteur  auch  von  dem  bauschreiber 1 »)  daselbst  Verhinderung  gemacht, 
welcher  nichts  mehr  an  dem  Planken-Zaun  will  bessern  lassen,  haben 
ihn  diesen  vergangenen  Herbst  so  eingehen  lassen,  dass  Vieh  und  Wild 
hinein  kunte  und  einige  Bäume  benagt,  hernachmahls  die  Schuld  auf 
den  Mann  geschoben,  welcher  den  garten  zwischen  den  Bäumen  umge- 
ackert. Wann  dieses  wegen  des  Planteurs  und  Bauschreibers,  auch  wegen 
der  lebendigen  Zäune  anjezo  dem  König  in  einem  memorial  vorgestellet 
würde,  als  welcher  ohndem  jezo  unserm  Pflanzen  so  geneigt  seyn  soll, 
dass  er  dem  Planteur  zu  Glinikc:ta)  befehlen  lassen,  alle  jungen  Maul- 
beerbäume zusain  zu  suchen  und  sie  auf  die  Wälle  zu  pflanzen,  wodurch 
der  Societät  wideruin  ein  zimliches  erspart  würde,  und  wozu  auch  die 
etlich  100  so  wir  zu  Köpenick  haben  auch  können  angewandt  worden. 
So  würden  wir  vielleicht  auf  einmahl  viel  Schwierigkeiten  aus  dem  Weg 
räumen  können,  welche  mir  allein  zu  heben  unmöglich.  Wegen  des 
Zauns  zu  KÖpenik  würde  nur  so  lang  um  erhaltung  gebetten,  biss  der 
lebendige  emporkommen;  auch  wäre  in  des  Königs  übrigen  Gärten  ein 
solcher  generalvorschlag  zu  thun,  wodurch  wir  unsern  Saameu  unter- 
brächten und  die  Gärtner  mit  graben  und  beschneiden  uns  nichts  kosten 
würden.  Der  H[er]r  Feldmarschall53)  hat  mir  nach  vielem  lauffen  durch 
den  Wallmeister  einen  kleinen  gelingen  place  d'armes  in  dem  bedeckten 
Wegrl)  anweisen  lassen,  welchen  ich,  weil  ich  ihn  werde  müssen  ein- 
zäunen, graben  und  düngen  lassen  und  dabey  doch  in  furchten  stehe, 
dass  bey  ausführung  des  grabens  an  dem  nahgelegenen  Ravelin3*)  man 
wider  alles  verderbe,  kaum  annehmen  können.  Der  Vorschlag,  eine 
allee  zwischen  Charlottenburg  und  Berlin  anzulegen,''')  wäre  meines 
wenigen  erachtens  wohl  zu  practiciren,  wann  so  viel  erwachsene  Bäume 
da  wären,  welche  doch  von  denen  Dammhirschen  trefflich  würden  benagt 
werden.  Hecken  anzulegen  würde  noch  mehr  kosten,  weil  sie  auf  beyden 
Seiten  einen  Zaun  wegen  des  Wilds  müsten  haben.  Vier  Partheyen 
haben  mich  mit  dem  Wurmsaamen  stecken  lassen  und  immer  biss  auf 
einige  Wochen  her  vertröstet,  ist  doch  noch  nichts  erfolgt:  ob  es  ex 
composito  geschehen,  weiss  ich  nicht.  Das  aber  weiss  ich,  dass  sich 
diejenigen,  an  welche  ich  mich  hierinnen  addressiren  müssen,  weil  sie 


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Job.  T.eonh.  Frigch"«  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


9 


die  größte  Correspondenz  dahin  haben,  sich  über  mich  moquirt  und 
gesagt:  was  ich  mit  Würmern  zu  thnn  hätte?  Welche  moquerie  auch 
einigen  von  denen  membris  Societatis  gemein,  die  doch  das  Werck  am 
meisten  befördern  sollten.  Zu  vier  Unzen  macht  mir  eine  Parthev  noch 
gewisse  Hofmung.  Bekomme  ich  sie  aber  auch  nicht,  so  muss  unser  alter 
Saarae,  von  welchem  ich  mehr  als  ein  XU  Pfd.  [habe],  das  beste  thun.  Es  wird 
ihvs  erste  Jahr  ohne  dem  die  Sache  noch  nicht  so  können  genuzt  werden, 
als  an  einem  ort,  wo  alle  Lenthe  damit  umzugehen  wissen.  Wenn  ich 
zu  Potstam  und  Spandau  jemand  dazu  abrichte,  muss  ich  doch  bofürchten, 
dass  er  etwas  versäume  oder  versehe,  mag  dahero  lieber  am  alten 
Saamen  geschehen,  der  uns  nichts  gekostet.  Einige  Unzen  habe  ich  aus 
dem  Mayländischen  bekommen,  von  welchem  ich  aber  weniger  Hoffnung 
habe,  als  zu  dem  hiesigen.  Die  Erfahrung  wird  geben,  was  davon  aus- 
körnt: er  siehet  selzam  aus.  Es  ist  ein  laqney  hier,  welcher  ehmals 
dem  König  einige  Pfund  Seiden  gemacht,  der  unterlasset  nicht,  heimlich 
zu  hindern  und  alles  vor  uutüchtiges  beginnen  auszurnffen.  Eine  einige  Vor- 
stellung, die  Ihro  Majestät  geschehe,  welches  E[w].  Excellfenz]  am  besten 
thun  kan,  wird  alles  vernichten.  Die  Zeit  zum  säen  ist  nahe:  wann  der 
einige  Vorschlag  mit  denen  Gartenzäunen  angieng,  wäre  diss  Jahr  genug 
erhalten;  dann  dieses  kostet  dem  König  nichts,  da  hilfft  die  Jägerey 
selbst  dazu,  dan  es  wird  dadurch  das  holz  und  absonderlich  die  Eichen 
geschont,  welche  der  einige  Weinberg,  der  in  6000  Schritt  im  Umkreiss 
und  alle  10  fnss  60  Eichene  Plancken  oder  hohe  Zaunsticke  1  erfordert, 
ungemein  dünne  macht.  Wo  hier  das  geringste  sollte  dazu  gegeben 
werden,  würde  es  nicht  fortgehen,  aber  wo  ohndem  schon  Leuthe  sind 
als  Gärtner  und  frondienste,  kan  man  eher  hoffnung  haben.  Ich  erwarte  von 
E[w].  Exc[ellenz]  desswegen  ordre.  Wegen  desStahlmüllers  Felmy:,;)  process 
ist  hier  alles  beschäftigt  und  laboriren  vielerley  Partheyen  furios.  Einer 
meiner  Freunde  hat  ihn  mit  mir  probiert  und  von  vier  loth  Gold  in 
14  tagen  1  Ducaten  und  9  grau  Gold  gefunden:  jetzt  ist  er  wider  darüber 
und  probiert  ihn  mit  2  Pfd.  Gold:  was  da  heraus  kommt,  werde  mit 
nächsten  berichten.  Es  ist  eine  probable  augmentation,  ich  habe  das 
Pulver  aus  curiositüt  machen  lernen.  Wann  es  angeht,  stehet  es  der 
Societät  zu  Diensten.  Meine  Farbe3*)  hat  mir  bissher  nicht  nur  meine 
daran  gewandte  Unkosten,  sondern  auch  einigen  Überschuss  allbereit 
abgeworffen.  Ich  habe  nebst  der  blauen  jetzt  auch  einen  dunkelrothen 
Lack,  der  nicht  nur  den  Citronensafft  zur  gewöhnlichen  Mahler-Prob 
aushält,  sondern  auch,  wie  meine  blaue,  das  Aqua  fort™).  Obiger  Process 
wird  unter  andern  bey  H[errn]  Doct[or]  Spenern10)  ausgearbeitet,  welcher 
wegen  vieler  davon  genommenen  Proben  ein  grosses  Zeugnüs  gibt;  ich 
glaube  es  aber  doch  noch  nicht,  biss  ich  weitere  praxin  sehe  oder  selbst 
davon  habe.  Ich  verharre  mit  allem  schuldigen  respect  Ew.  Excel  lenz 
gehorsamst  ergebener 

Berl[inl  den  31.  Mart[ii]  1708.  Joh.  Leonh.  Frisch. 


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10 


Joh.  Leonb.  Frischs  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


7. 

Leibn iz  an  den  Grafen  von  Wartenberg.41) 
ä  M.  le  Comte  de  Wartenberg  premier  ministre  du  Roy  de  Prusse. 
Monseigneur. 

C'est  a  regret  que  j'interromps  les  importantes  affaires  de  V[otre] 
Efxeellence]  pour  la  supplier  de  faire  jouir  ä  la  Societc  des  sciences  de 
l'effect  des  resolütions  de  Sa  M[ajes]te,  particuliereinent  a  l'egard  du  jardin 
de  Köppenich  et  de  favoriser  le  dessein  de  nos  plantatious,  puisque  nous 
ne  demandons  point  de  nouvelles  depenses :  mais  seuleineut  la  grace  d'une 
assistanee  efficace  tonte  accordee.  Le  Sieur  Frisch,  que  la  Societe  a 
ehargö  du  soin  de  eette  affaire  des  plantations,  esperant  l'honneur  d'estre 
ecoute  de  V[otre]  Efxeellence],  je  la  supplie  de  luv  faire  cette  grace  et 
de  luy  accorder  des  deinandes  raisonnables.    .le  suis  avec  respect  etc. 

Wolfenbutel  24.  April  1708. 

8. 

Leibniz  an  Frisch.42) 
[24.  April  1708.] 

Ich  schreibe  beykommendes  an  des  Hferrn]  Grafen  von  Wartenberg 
Excellenz,  welches  etwa  dienen  möchte,  m[einem]  Hferrn]  bey  ihm  entrcc 
zu  machen,  lasse  es  sub  sigillo  volante.  M[ein]  H[err]  köndte  ein  memorial 
an  den  H[errn]  Ober  Cammerherrn  von  wegen  der  Societät  förderlichst  ab- 
fassen und  mit  Hferrn]  Iloffrath  Cuneau  concertiren  und  dann  überreichen, 
darinn  mit  wenigen  die  anstatt,  so  man  zu  Cöpenick  verlaugt,  mit  grund 
gesuchet  werde.  Es  würde  etwa  bestehen  in  nachdrücklichen  ordres  an 
den  Oberamtmau,  den  planteur  bey  straft"  der  abschaffung  dahin  zu 
halten,  dass  er  in  allen  hiezu  gehörigen  nach  der  Societät  anstalt  sich 
richte,  item  an  den  bausehreiber43),  dass  der  Zaun  gebührend  in  dem 
stand  gehalten  und  sonst  der  garten  wie  bisher  gefuget  werde.  Ich 
weiss  nicht  anders  als  dass  es  in  der  Königlichen]  concession44)  enthalten; 
weil  nun  mfein]  Hferr]  solche  hat,  wird  er  verba  concernentia  im  memorial 
anführen  können:  solte  sich  aber  über  verhoffen  solches  nicht  finden,  so  ist 
anzuführen,  dass  ja  Königlicher]  M[ajestä]t  intention  der  societät' hierin  pro 
bono  publico  und  dero  eigen  dienst,  in  allein,  so  ohnschädlich  und  unbedenck- 
lich  ist,  erspriesslich  zu  seyn,  sich  gnädigst  ercläret.  Was  sonst  die 
Zaune  und  dergleichen  betrifft,  köndte  absonderlieh  erst  mundtlich  bey 
Sr.  Excellenz  vorgetragen,  dann  bey  verspürender  einiger  inclination 
schrifftlich  gesuchet  werden.  Es  wird  sich  aber  verhoffentlich  wohl 
erhalten  lassen,  dass  der  König  die  sacli,  wenn  sie  guth  befunden,  ohne 
unser  entgelt  veranstalten  lassen.  Es  passirt  sonst  für  ein  Sprichwort 
unter  den  plantations- Verstendigen,  dass,  wo  Wein  wachset,  auch  Maul- 
beerbäume wohl  anschlagen.  Findets  mfein]  Hferr]  rathsain,  so  will  auch 
an  FIferrnJ  General  Feldnmrsehail1  )  schreiben,  umb  selbigem  alda  bessere 
kundschafft  zu  inachen. 


Joh.  Leonh.  Frische  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibnix. 


11 


P.  S.  Es  hat  mir  H[err]  Filmey  seyn  palver  zu  probiren  geben,  ich 
habe  aber  nicht  zeit  dazu  gehabt  und  noch  allezeit  am  success  gezweifelt. 
M[ein]  H[err]  gedenckt  nichts  von  H[errn]  Cammerath  Müller'");  in  Sachsen 
wollen  sie  auch  an  die  Feuercasse47). 

9. 

Frisch  an  Leibniz. 
Hoch  Edler  pp.    Aus  Ew.  Exc[ellenz]  letztem  hochwerthen  Schreiben 
habe  ich  kaum  spühren  können,  dass  sie  mein  voriges  empfangen.  Doch  hab 
ich  unterdessen  alles  nach  möglichkeit  bestellt.  Der  Planteur  zu  Köpenik 
hat  mir  den  besten  plaz,  so  ich  zur  Baumschul  anlegen  wollen  und 
welchen  ich  ihm  verbotten  hatte,  doch  wider  zu  seinem  nuzen  besäet; 
der  Zaun  des  Gartens  hält  kein  Jahr  mehr,  er  ist  an  vielen  orten  schon 
gestüzt,  und  wird  der  Societät  mehr  kosten,  als  sie  in  vielen  Jahren 
nicht  Einkommen  davon  haben  kan,  wo  nicht  die  Erhaltung  desselben 
von  Ihro  Königlichen]  M[a]j[estä]t  erhalten  wird.   Der  Amtman  hat  aus 
eigener  Autorität  die  Taglöhner  für  sich  behalten  und  gibt  sie  nicht  mehr 
zum  garten  her;  dahero  bin  ich  sehr  gehindert  worden.    Die  Mutter  der 
Frau  des  Planteurs,  so  bissher  die  Würme  halten  müssen,  hat  mir  den 
Wurrasaamen  geschickt  und  dabey  berichtet,  dass  sie  von  lhro  Königlichen J 
Maj[estä]t  dieser  Arbeit  überhoben  worden  und  die  pension  doch  behalte, 
wir  möchten  sehen,  durch  wem  wir  die  fütterung  der  Würme  bestelten. 
Zu  Potsdam  hat  der  Heydereuter,  so  bissher  den  garten  genossen,  ohn- 
angesehen  dass  er  gewust,  wie  nöthig  wir  den  Plaz  zur  Baumschule 
brauchen,  doch  denselben  für  sich  besäet,  wodurch  ich  um  zwey  der 
besten  und  der  Societät  eingeräumten  Pläze  gekommen,  so  dass  ich  mich 
um  andere  noth wendig  umthun  müssen,  weil  mich  nicht  allein  die  Zeit 
daurte,  dass  wider  ein  Jahr  sollte  vergeblich  hingeben,  sondern  auch 
der  viele  schöne  Saarn en,  den  ich  gesamlet.    Herr  Langel;  im*  zu  Borna 
hat  wider  eine  Quantität  auf  inständiges  anhalten  angenommen.  Der 
Planteur  zu  Glienecke,  welchem  ich  die  Potsdamische  Saat  übergeben 
hatte,  hat  mir  einen  andern  Plaz  indessen  eingeräumt,   welcher  aber 
wegen  des  rigolens  und  dazu  gehörigen  Mistes  geld  erfordert.  Der  König- 
liche] Hofgärtner  hat  auch  eine  zimliche  Menge  auszusäen  versprochen, 
und  noch  zwey  andere  Planteurs,  denen  ich  aber  wohl  zinsse  vor  die 
Pläze  werde  geben  müssen.    Dass  also  gleichwohl  viel  tausend  künfftig 
zu  hoffen  und  von  allem  Saamen  sehr  wenig  übergeblieben.    Aus  Italien 
habe  ich  eben,  da  ich  dieses  schreibe,  eine  schöne  Parthey  Wurmsaamen 
bekommen,  welchen  ich  an  die  drey  orte,  welche  wir  zu  bestellen,  eiu- 
theilen  will,  als  Köpenik,  Potsdam  und  Spandau;  wohin  ich  überall 
Leuth e  ums  Geld  dingen  inuss,  damit  sie  künfftig  abgerichtet  werden, 
biss  sie  oder  andere  es  pachten  können.    Zu  Köpenik  habe  ich  doch 
noch  einen  fruchtbaren  Winckel  des  gartens  von  einem  andern  Mann 
zurichten  und  besäen  lassen,  biss  künfftigen  Herbst  die  jezige  Baum- 


12 


Joh.  Leonh.  Frisch'*  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


schule  geleeret  und  auf  die  hiesigen  Wälle  versezt  wird,  welches  ich  gehofft 
diesen  Frühling  schon  zu  sehen,  allein  der  Königliche]  befehl  erstreckt 
sich  nur  auf  das  Plaz  machen  vor  die  Maulbeerbaum  durch  ausnehmung 
der  Linden  und  nicht  auf  das  Pflanzen  derselben  auf  den  Wällen  um 
Berlin.  Der  Herr  General-Feldmai-schall,s)  hat  mir  lezlich  anstatt  eines 
kleinen  Pläzleins,  so  er  mir  gegeben  hatte,  ein  ganz  ravelin  einräumen 
lassen,  aber  es  war  nicht  zu  nuzen,  weil  der  grund  lauter  Stein  war. 

M[onsieu]r  la  Croze  hat  einen  grossen  Schimpf  von  H[errn]  ölven' ') 
erlitten,  der  ihn  in  einer  Schl  ifft,  so  die  dritte  von  seinen  monathlichen  prae- 
senten,hässlich  angegriffen,  so  dass  es  auf  Klage  des  beleidigten  Theils  schon 
l>ey  dem  Fiscal  anhängig.  Es  ist  dieses  tüchtige  membrum  der  Societät 
so  canailleux  tractirt  worden  mit  „Kaldaunen-Schlucker«  und  andern 
scurrilischen  expressionen,  dass  es  jedermau  verdriest,  der  M[onsieu]r  la 
Croze  kennet.  Die  Hauptursach  dazu  ist,  dass  er  scapham  scapham  ge- 
nennet und  gesagt:  des  II[errn]  ölvens  vorgegebene  Prophezey  sey  nur 
ein  anagramraa. 

Die  Feuer-Cassa  soll  doch  noch  vor  sich  gehen;  H[err]  Rath  Müller 
hat  1000  thlr.  besoldnng  empfangen.  Des  Stahlmüllers")  process  geht 
einem  an  dem  andern  nicht.  Wir  sind  hier  unglücklich,  dass  wir  kein 
recht  aqua  fort1)  bekommen  können.  Ich  bin  dabey  gewesen,  dass  der 
unreine  Salpeter,  so  dazu  genommen  worden,  das  aqua  fort  zum  halben 
aqua  regis'-)  gemacht  und  Gold  zugleich  aufgelöst.  Eine  Prob  hat  wirk- 
liche Vermehrung  gegeben,  die  andere  aber  nichts,  sondern  noch  Verlust 
an  Gold  dazu.  Ob  die  andern  Partheyen  Vortheil  von  diesem  process 
gehabt  oder  nicht,  kan  ich  nicht  erfahren.  Ich  halte  auf  die  blaue 
Färb  mehr  als  auf  dergleichen  processe;  ich  hab  sie  jezt  zu  grösserer 
Höhe  getrieben  als  der  Inventor  sie  jemahls  gemacht.  Sie  hält  nun  die 
Scheid wasser-Prob  aus  und  wird  schöner  davon;  man  kan  sie  auch  schon 
um  das  dritte  Theil  wohlfeiler  machen.  Meister  Otto  hat  den  Garten 
zu  Köpenick  mit  Winter-  und  Sommerfrucht  besäet,  weil  er  ohndem  um- 
geackert und  gedünget  worden.  Er  hat  mir  gute  Dienste  in  diesem 
Wcrcke  gethan  und  wohl  eine  Ergözlichkeit  dafür  verdienet.  Ich  bitte 
mir  diese  Weitläufftigkeit  zu  gut  zu  halten  und  nur  noch  meine  gewöhn- 
liche, doch  gehorsamste  Versicherung  zum  Beschluss  anzunehmen,  dass 
ich  unverändert  verharre  Ew.  Excellfenz]  getreu  ergebenster  Diener 

Joh.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  28.  April  1708. 

10. 

Frisch  an  Leibniz. 
HochEdler  pp.    Sowohl  das  vorige  aus  Wolfenbüttel  vom  24.  April, 
als  das  leztere  aus  Hannover  vom  30.  May,  welches  Ew.  Exc[ellenz]  an 
mich  abzulassen  beliebet,  hab  ich  wohl  erhalten.   Habe  aber  bey  dem  Herrn 


Joh.  Leonh.  Frisch's  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


13 


Grafen  von  Warteuberg  den  brief ' )  nicht  überreichen  können,  weil  ich 
keine  Hoffnung  sähe,  zugleich  vor  ihn  kommen  zu  können.    Sogar,  da 
ich  ihm  uacli  Köpenik  nachgereisset,  wurde,  da  die  schleunige  Unpäss- 
lichkeit  des  Prinzen  von  Oranien  angekündet,  und  ich  also  durch  die 
darauff  erfolgte  Traur  und  Reise  ins  Carls bad  ')  immer  verhindert.  Es 
war  die  Hauptursache,  warum  ich  ihm  aufwarten  wollte,  dass  ich  meinen 
Maulbeer-Saamen  gerne  unterbracht  hätte  durch  einen  Vorschlag  mit 
den  Zäunen  und  Gehägen,  so  man  mit  diesen  Bäumen  dem  König  zu 
Lust  und  Nuzen  machen  könnte.    Nun  ich  aber  denselben  gleichwohl 
untergebracht,  kan  ich  wohl  warten,  biss  er  aus  dem  Bad  mit  dem  Könip 
widerkomint.    Die  Bäume  gehen  in  unzählbarer  Menge  auf,  also  dass 
ich  viel  Millionen  zu  ge warten.    Die  Italiäner  haben  mich  mit  gutem 
Saamen  verseheu,  denen  ich  etwas  mehr  geld  gegeben,  aber  auf  Yer- 
bürgung,  dass  er  gut  seye.    Der  Wurmsaamen  ist  ingleichen  wohl  aus- 
gekommen biss  auf  eine  Unze,  womit  mich  ein  Kaufman  aus  Moyland 
betrogen.    Meister  Otto  hat  zu  Potstam  austallt  gemacht,  die  Bäume  zu 
geniessen,  und  ich  habe  jemand  auf  Cöpeuik  geschickt  mit  Italienischen 
Wurmsaamen.  Es  ist  dem  Planteur  auf  seine  supplic  geantwortet  worden, 
dass  er  zwar  die  pension  feruer   geniessen  solle,  er  müste  'aber  ein 
Zeugnüs  von  der  Societüt  bringen,  dass  er  ihr  gebührlich  an  die  Hand 
gegangen  und  gedienet.    Daher  M|onsieu]r  Yignoles'')  sehr  bey  mir  ange- 
halten, ihm  dergleichen  Zeugnüs  zu  ertheilen ;  weil  ich  es  aber  nicht  für  mich 
allein  thun  wollen,  sondern  mit  Herrn  Cuno  desswegeu  conferirt,  auch 
wegen  fortwärender  Widerwärtigkeit  und  Trozes  dieses  Mannes  nicht 
thun  könneu,  ist  es  unterblieben.    Ich  hab  ein  ander  Hauss  zu  den 
Würmern  mieten  müssen,  und  geniesse  dieses  Planteurs  nicht  weiter,  als 
dass  er  einige   Wochen   blätter  gepflückt,  und  dieses  mit  vieler  Be- 
sch weerung.    In  den  Contrascarpen ")  etwas  zu  geniessen  hab  ich  die 
Hoffnung  fahren  lassen,  dann  es  gehen  immer  änderuugen  und  besserungen 
daran  vor,  welche  allen  besiz  ungewiss  machen,  und  das  ravelin,  das 
mir  der  Herr  Gen[eral-]Feldmarschall  auweisen  lassen,  würde  mehr  kosten 
zuzurichten,  als  zwey  oder  drey  andere  orte,  die  mau  dazu  mietete. 
Nun  ist  meine  gröste  Sorge,  auf  Baumschulen  bedacht  zu  seyn,  die 
gesäeten  Bäume  darein  in  Ordnung  zu  sezen.    Wann  ich  dieses  Jahr 
etwas  Seiden  bekomme,  werde  ich,  was  ich  daraus  lösen  kan,  dazu 
anwenden;  dann  weil  die  Societät  zu  dem  Hausskauff  etlich  hundert 
thaler  vorgeschossen,  wird  nichts  dazu  da  seyn.  Wann  ich  so  viel  zusammen 
bringen  kan,  werde  ich  indessen  Vorschuss  thun  oder  Ew.  Excellfenz] 
darum  ansprechen.    Die  Bäume  in  gebührender  Menge  zu  haben  ist  das 
Hauptwerck.    Plaz  ist  zum  verpflanzen  genug  im  Privilegio  verwilligt. 
Würmer  haben  wir  jezund  auch,  dass  es  in  einigen  Jahren  nicht  mehr 
an  Saamen  fehlen  soll;  aber  die  Pläze  zu  den  Baumschulen,  welche  ich 
iu  dem  Potstammischen  und  üöpenikischen  galten  will  zurichten  lassen 


14  Job.  Leonb.  Frisch  8  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibnix. 

und  welchen  fast  die  Gärten  zu  enge  werden,  die  werden  noch  manchen 
Thaler  kosten  wegen  des  rigolens  und  Düngers.  Was  ich  nicht  in  die 
gärten  bringen  kan,  will  ich  zu  Hecken  und  Zäunen  pflanzen  lassen,  vor 
allen  ein  Gehäg  um  unsere  Gärten  damit  anlegen  lassen. 

Die  Feuer- Cassa  ist  hier  in  völligem  Fortgang  und  soviel  als 
wircklich  im  Stand,  wozu  die  lezte  Brunst  in  der  Statt  Crossen r,;)  viel 
geholffeil.  Herr  Ölven  soll  doch  noch  auf  viel  Jahr  Freyheit  bekommen 
haben,  seine  praesenten  drucken  zu  lassen.  Solche  Leuthe  bringen  die 
Societät  in  nicht  geringe  Verachtung,  und  zu  solcher  Unzeit,  da  die 
wenigsten  Glieder  einige  belohnung  gemessen  können.  Herr  Marperger5") 
ist  mein  Landsmann  und  mir  also  von  langer  Zeit  her  bekannt;  ich  halte 
ihn,  wann  ich  unpartheyisch  und  nach  meinem  begriff  urtheilen  soll,  für 
des  Herrn  Ölven  guten  Freund ,  der  da  fähig  ist,  noch  wohl  mehr  als 
jener  zu  thun,  sonderlich  in  dergleichen  Monath-praesenten.  Sein  Calamus 
ist  bissher  mercenarius  gewesen.  In  den  Commerden-Wesen  ist  er  ein 
guter  Theorcticus.  Zu  Lübeck  hat  ihn  die  Armuth  viel  gelehret.  Er 
war  der  ganzen  Statt  Verssmacher  und  hat,  da  er  hier  nichts  damit 
erstümpern  können,  ein  und  andere  bittere  Zeilen  in  faveur  des  H[eim]  Ölven 
gemacht.  Ich  kan  leicht  errathen,  wer  ihn  recommendirt;  aber  der- 
gleichen Leuthe  sind  ulcera  und  keine  Zierden  einer  Societät.  Herr 
Stark  wird  bezeugen  können,  dass  er  sich  zu  üblen  Streichen  gegen  ihm 
von  denen  Buchführern  gebrauchen  lassen.  Ew.  Excfollenz]  verzeihen  mir 
mein  allzu  freyes  Urtheil ,  das  ich  hier  beygefügt,  und  seyen  versichert,  dass 
ich  viel  Zeugen  darinnen  bekommen  kan.  Die  Begierde,  die  Societät  in 
renommee  zu  sehen,  ist  bey  mir  grösser,  als  alle  Landsmannschafft,  und 
weiss  ich  gewiss,  dass,  wann  dergleichen  membra  sollten  anwachsen,  wie 
Herr  Ölven  ist,  einige  andere,  die  lobwürdigero  Absichten  bissher  gehabt, 
wünschen  werden,  dass  sie  nicht  möchten  in  solcher  Zahl  seyn,  oder 
wohl  gar  mit  zurückschicknng  des  diplomatis  sich  vor  solche  Ehre 
bedancken. 

Wegen  der  Chymie  ist  es  jezt  etwas  still,  dann  des  Filmey  Pulver 
hat,  wie  Ew.  Exc[ellenz]  schreiben,  das  Silber  und  Gold  wild  gemacht; 
die  Ursach  ist  der  viele  Schwefel  und  das  antimonium  darunter;  das  anti- 
monium  oder  der  regulus  desselben  hat  die  Teste59)  durchgefressen,  dass 
man  das  Silber  aus  der  asche  wider  zusammen  klauben  müssen,  und 
der  Schwefel  hat  verhindert,  dass  es  im  Scheiden  vom  aqua  fort  nicht 
recht  können  angegriffen  werden;  wodurch  viele  betrogen  worden  und 
meinten,  es  wäre  zum  wenigsten  Luna  fixa40),  weil  es  das  Scheidwasser 
nicht  angriffe:  die  nochmahlige  quart*1)  hat  es  aber  bald  anders  gezeigt. 
Ich  habe  von  diesem  Pulver  die  helffte  solcher  materien  befunden,  die 
das  Silber  und  Gold  also  wild  machen.  Dann  wann  man  es  im  spiritu 
nitri62)  auflöst,  wird  man  den  abgesonderten  Schwefel  anzünden  können, 
welcher  doch  gleichwohl  vorher  so  mit  denen  andern  materien  vereinigt 


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Joh.  Leonh.  Frische  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniss.  15 

gewesen,  dass  er  wohl  dreymahl,  allemahl  6  stunden  mit  im  Feuer 
geflossen.  Ich  glaub,  dass  einige  tinctur  in  diesem  Pulver  ist;  die  Haupt- 
ingredientien  sind  antimon[ium]  cf65)  und  q64),  die  werden  mit  verpufften 
tartaro")  und  Salpeter,  endlich  mit  Schwefel  verfulminirt8*)  und  dann 
mit  einander  geschmolzen  jedesinahl  5  biss  6  stund.  Das  kan  ich  vor 
gewiss  sagen,  dass  ich  eine  weise  gefunden,  dasselbe  zu  reinigen  und 
nur  in  Silber  allein  zutragen ,  wodurch  ich  allzeit  etwas  Gold  im  Silber 
finde,  weil  ich  aber  der  Quantität  noch  nicht  gewiss,  kan  ich  noch  keinen 
richtigen  Überschlag  machen,  biss  ich  Zeit  hab,  es  öffter  zu  versuchen. 
Es  hat  mir  nun  zum  dritten  mahl  auf  diese  Weise  einige  grau  Gold  in 
ein  loth  Silber  gebracht.  So  dass  es  wirklich  Unkosten  und  arbeit  be- 
zahlt, kan  ich  es  noch  auf  einige  grän  bringen;  wie  es  bissher  immer 
mehr  gran  gegeben,  so  halt  ich  es  vor  ein  particular,  das  einem  seine 
Arbeit,  welche  gar  schlecht  dabey,  wohl  belohnt.  Ich  halte,  dass  die 
Venetianer  dergleichen  Art  haben,  das  Gold  aus  dem  Ungarischen  Kupfer 
zu  bringen,  weil  hier  die  Venus  am  meisten  thut,  und  werde  ich  nicht 
wenig  in  dieser  Meinung  gestärkt  werden,  wann  das  Ungarische  Kupfer, 
welches  ich  künft'tig  suche  mit  zur  Probe  zu  nehmen,  die  Zahl  der  all- 
bereit gefundenen  gräne  vermehren  wird.  Wann  ich  Gold  dazu  nehme, 
wird  die  Zahl  der  gräne  weniger,  hingegen  das  Gold  schöner.  Woraus 
man  leicht  siebet,  dass  das  Gold  die  tinctur  annimmt,  weil  es  derselben 
noch  nicht  genug  gehabt,  und  dieselbe  dadurch  dem  Silber  nicht  kan 
mitgetheilt  werden. 

Ich  habe  mit  meiner  Antwort  bissher  wegen  überhäuffter  Arbeit 
verziehen  müssen,  meistens  auch,  weil  ich  in  ein  und  anderer  chymischer 
Arbeit  gedachte  etwas  gewisses  berichten  zu  können,  so  dass  ich  sehr 
erschrocken,  wie  ich  Kw.  Exc[elleuz]  dritten  brief  bekam.  Es  hat  mir  auch 
bissher  grosse  Hinderung  gemacht,  dass  unser  liector  im  Berlinischen] 
Gyinnasio  gestorben,  wodurch  icli  zum  ConRectorat' ')  gezogen  worden, 
und  bissher  wegen  der  Wittbe  Nachsiz  doppelte  Arbeit  verrichten  müssen. 

Meister  Otto  kan  von  seiner  Arbeit  nicht  so  lang  abkommen;  er 
hat  immer  auf  Märckte  zu  ziehen  und  das  Potstainmische  Wurm-Wesen 
mit  unter  den  Händen.  Wenn  das  Spinnen  der  Würmer  vorbey,  will 
er  sehen,  ob  er  eine  Zeitlang  abkommen  kan  und  seine  Sachen  hier 
darnach  einrichten.  Ich  hab  dieses  Jahr  solche  Schwierigkeit  wegen 
des  Besizes  einiger  Bäume  auf  dem  Walle  und  in  denen  Königlichen] 
Weinbergen  bekommen,  dass  ich  Ober-  und  Unter-offizieren,  welche  allerley 
Leuthen  die  Bäume  zu  gebrauchen  erlaubten,  mit  dem  letzten  Punct 
des  Privilegii  drohen  müssen,  dass  die  helffte  der  Straff  dem  Königlichen] 
fisco  gehöre;  worauf  ich  es  soweit  gebracht,  dass  sie  alle  in  arrest 
nehmen,  welche  nichts  an  denen  Bäumen  zu  praetendiren.  Wann  ich 
meine  Sachen  in  besserer  Ordnung  gebracht,  werde  ich  meine  Pflicht 
fleissiger  im  Antwortschreiben  in  acht  nehmen,  bitte,  es  mir  dieses  mahl 


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16 


Joh.  Leunh.  Frisch  e  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


zu  vergeben  und  sich  zu  versichern,  dass  ich  mit  allem  gehörigen  respect 
lebenslang  verbleibe  Ew.  Exc[ellenz]  gehorsamst  ergebener  Diener 

Joh.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  18.  Jun[ii]  1708. 

11. 

Frisch  an  Leibniz. 

Hoch  Edler  pp.  Dieweil  Ew.  Excell[enz]  iu  dero  letzten  an  mich  vom 
12.  Julii  geschrieben,  sie  wollten  diesen  Sommer  hieher  kommen'0),  habe 
ich  meine  Antwort  mündlich  zu  thun  gehofft,  weil  es  sich  aber  bissher 
verzogen,  hab  ich  mich  nicht  unterstanden,  es  länger  aufzuschieben.  Ich 
habe  mich  wegen  der  Zäune  und  Gehäge  in  denen  Königlichen]  Gärten 
wohl  erkundigt,  ehe  ich  soviel  Saamen  oder  junge  Bäume  denen  Gärtnern 
dahingehe,  was  der  Societät  wohl  am  zuträglichsten  seyn  mögte  und 
hab  befunden,  dass  es  noch  einige  Zeit  verbleiben  kan,  biss  wir  sonst 
nicht  wissen  wohin  mit  denen  Bäumen  und  Saamen.  Die  Gärtner  wollen 
vom  abpflücken  der  Blätter  nichts  hören,  sonderlich  auf  derjenigen  Seite, 
die  in  den  Garten  geht,  und  auf  der  andern  sind  die  Blätter  nicht  so 
gut  für  die  Würmer,  weil  sie  nicht  so  viel  Sonne  hat.  In  denen  Wein- 
bergen können  mir  die  Weinmeister  wegen  des  Wildes  keine  Versicherung 
geben,  weil  dasselbe  an  vielen  orten  hinein  kan;  wodurch  lauter  Hin- 
derung im  Wachsthum  und  genuss  der  Blätter  entstehen  würde.  Der 
Königl[icheJ  Hofgärtuer  hat  eine  allee  davon  angesäet,  aus  welchem  elenden 
specünine  ich  wohl  sehe,  wie  es  die  andern  machen  würden.  Dabei- 
bin ich  bey  unserm  Planteur  zu  Borna  geblieben  und  bei  denen  andern 
und  will  den  Garten  zu  Copenik  und  Potsstam  zur  Baumschule  anlegen 
lassen,  biss  sie  so  gross,  dass  wir  sie  auf  die  Walle  können  sezen 
lassen.  Zu  Potsstam  ist  doch  das  Privilegium  jezt  auch  in  praxi.  Ihre 
Maj[estät]  der  König  war  da  in  der  W  iderkehr  aus  dem  Carlsbald,  dn 
alles  eng  war,  und  doch  hat  man  uns  eine  Stube  im  Amthauss  ausser 
noch  einer  andern  Stube  eingeräumt. 

Der  so  genannte  Cajetano "'•')  hat  solche  specimina  gethan,  dass  mich 
Leuthe,  die  es  gesehen,  überrreden  wollen,  es  sey  kein  Betrug,  sonderlich 
was  fixationem  Mercurii  in  Silber0)  anlangt.  Man  hat  noch  immer 
hoffnnng,  etwas  von  ihm  zu  bekommen.  Es  geht  mit  ihm  wie  denen 
Bergwerckeu,  da  theils  gewercke  immer  aufs  ungewisse  auch  mit  zubusse 
fortbanen.  Dieses  Jahr  habe  ich  mich  völlig  in  allem  unterrichtet,  was 
zu  diesem  Werck  gehöret  und  was  dabey  zu  thun;  wollte  wünschen, 
dass  ich  ehistens  wider  etwas  Geld  bekommen  könnte,  iu  dem  guten 
Anfange  fortzufahren. 

Mein  französisch  Dictionnaire71)  ist  biss  auf  den  letzten  Buchstaben 
fertig.  Nun  kan  ich  sagen,  was  von  altteutscher  Sprach  noch  im 
heutigen  Französich  übrig;  und  weil  ich  es  in  diesem  Werck  nicht  hab 


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Job.  Leonh.  Krisch'«  Briefwechsel  iirit  G.  W.  Uibnir..  17 

■ 

aasführen  können,  warum  ich  dieses  oder  jenes  Wort  zu  einem  andern 
Ursprung  als  die  andern  geführt,  werde  ich  es  in  einem  absonderlichen 
scripto  mit  der  Zeit  thun.  Zu  meiner  Teutschen  Etymologie-Arbeit71)  hab 
ich  eine  neue  auflag  des  Somneri  Vocabul[arium]  anglo-Sax[onicum]  be- 
kommen in  4°,  durch  Thom[as]  Benson  sehr  vermehrt73).  Der  Herr  Rath 
Müller  hat  die  Feuer-Casse  doch  noch  zum  Bestand  poussirt.  Crossen 
bekommt  70000  thlr.,  vom  Brandschaden  sich  wider  zu  erhohlen,  es 
schliesst  sich  nun  niemand  mehr  aus.   Ich  verbleibe  etc. 

Joh.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  12.  Septemb.  1708. 

12. 

Frisch  an  Leibniz. 

Hoch  Edler  pp.  Weillen  Ew.  Excell[enz]  immer  einige  Nachricht  von 
hieraus  verlangt,  auch  in  dero  geehrtesten  an  mich  dero  glückliche  An- 
kunfft  in  Hannover74)  berichtet,  habe  ich  hiemit  meine  Schuldigkeit  in 
acht  nehmen  wollen.  Der  Herr  Hofrath  Hofman")  ist  sehr  schwer  zu 
sprechen,  weil  er  den  ganzen  tag  auf  dem  Schloss  und  überdas  sehr  in 
Kranckheiten  gebraucht  wird.  Ich  hab  ihm  Ew.Exc[ellenz]  brieff  überreicht, 
aber  noch  nicht  so  mit  ihm  reden  können,  wie  ich  gewollt.  Ich  bin 
recht  froh,  dass  er  jezo  hier,  da  wegen  unsers  Seidenwercks  ich  keinen 
finde,  der  es  eher  zu  begreiffen  und  es  zu  befördern  geneigt  scheint. 
Es  ist  diesen  Frühling  ein  Neapolitaner Tfi)  vom  Herrn  von  Kraut77)  zu 
mir  gewiesen  worden,  welcher  ein  wohlerfahrner  Planteur  der  Maulbeer- 
bäume, von  welchem  ich  viele  Vortheil  wider  gelernet,  weil  er  überall 
nebst  der  experienz  auch  die  rationes  physicas  zu  geben  weiss.  Zu 
Cöpenik  habe  ich  alle  fruchtbare  Bäume  erfrohren7*)  gefunden,  aber  die 
Maulbeerbäume  ohnbeschädigt  Der  Planteur  zu  Glienike,  der  sieh 
bissher  des  Potstamischen  Gartes  mit  angenommen,  ist  bey  mir  gewesen 
und  Vermeldet,  dass  er  die  Bäume,  so  daselbst  in  der  Baumschule  ge- 
standen, etlich  hundert  an  der  Zahl,  diesen  Frühling  an  statt  der  aus- 
gegangenen und  an  die  noch  leeren  Pläze  versezen  lassen;  wozu  ich  ihm 
auch  die  benöthigte  Unkosten  für  Arbeiterlohn  gegeben.  Die  Bäume  zu 
Spandau  habe  ich  einem  Franzosen  verpachtet  und  ihm  den  benöthigten 
Wurmsaamen  gegeben,  dass  er  die  200  Bäume,  so  daselbst  auf  dem  Wall 
stehen,  nuzen  dörffe.  Auf  den  Wällen  habe  ich  wieder  einige  100  Löcher 
machen  lassen,  weil  ich  vermeinte  von  Bornim  junge  Bäume  zu  bekommen; 
weil  aber  der  Frost  die  zarten  Spitzen  etwas  beschädigt,  habe  ich  den 
Planteur  gebetten,  sie  noch  biss  auf  den  Herbst  stehen  zu  lassen. 

Ich  verbleibe  etc. 

J.  L.  Frisch. 

Berlin  den  20.  April  1709. 

4 


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18 


Job.  Leonh.  Frisch  »  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


13. 

Frisch  an  Leibniz. 
HocbEdler  pp.    Die  Hof-  und  Amts  Kammer  hat  mit  dem  Genueser 
zu  genau  gedinget,  dass  er  mir  von  Wien  aus  schreibet,  er  könne  das 
Pfund  unmöglich  für  4  thlr.  lieffern,  dann  es  wären  die  Bäume  an  vielen 
orten  in  Italien  so  zugerichtet  von  der  Kälte,  dass  sie  froh  gewesen,  nur 
Blätter  zu  sehen,  die  Früchte  habe  fast  niemand  gesamlet.   Er  hat  mir 
zur  Prob  2  Pfd.  geschickt,  aber  nicht  anders  als  für  6  thlr.  das  Pfd. 
Wann  es  Ew.  Exc[ellenz]  nicht  zu  theuer,  will  ich  ein  Pfd.  überschicken. 
Es  ist  einer  von  den  Amts  Kammer  Rathen,  Hr.  Treumann an  mich 
gewiesen  worden  wegen  aussaat  der  Maulbeerbäume  ihm  nebst  dem 
Italiener,  wovon  ich  voriges  mahl  geschrieben,  mit  Rath  an  die  Hand 
zu  gehen.    Es  wird  doch  nichts  daraus  und  wird  die  Societät  endlich 
alle  diese  Bäume  bekommen,  daher  ich  desto  >ieber  mich  gebrauchen 
lasse.    Oder  es  kan  alsdann,  wann  ja  diese  künftige  erwachsene  Bäume 
unter  die  Landleuthe  vertheilt  werden,  die  Societät  einige  puncten  ihres 
Privilegii  in  den  gang  bringen.    Die  Bäume  zu  Spandau  hab  ich  einem 
Franzosen  überlassen,  welcher  der  Societät  ein  Stramlein  Seide  Zinse 
gegeben,  weil  ich  ihn  das  erste  mahl  nicht  übernehmen  wollen.  Nun  wird 
es  erst  bekannt,   wo  Maulbeerbäume  stehen  und  wem  sie  zugehören. 
Meister  Otto  hat  dieses  Jahr  wider  einige  Erndt  im  Cöpenikischen  Maul- 
beer-Baumgarten  gehabt,  aber  der  Planteur  spielt  Meister,  will  ihn  nicht 
mehr  hineinlassen,  wie  dann  auch  nicht  wohl  zu  rathen,  dass  künfftig 
etwas  hinein  gesäet  werde.    Es  wird  denen  ohudem  magern  Bäumen 
alle  krafft  entzogen,  sonderlich  da  schlecht  oder  gar  nicht  gedünget  wird. 
Die  neugesezten  Bäume  auf  dem  Wall  haben  doch  so  viel  Noth  gelitten 
vom  Winter,  dass  sie  jezt  erst  meistens  vertrockenen.    In  den  Baum- 
schulen aber  stehen  die  jungen  Bäume  sehr  schön.  Weder  Potsdam  noch 
Cöpenick  hat  einigen  Saamen  getragen,  dann  die  blätter  haben  kaum 
kommen  können.    Dahero  muss  ich  fremden  Saamen  haben.    Ich  habe 
dieses  Jahr  einen  Kessel  machen  lassen,  der  unten  flach  auf  Italienische 
Art,  zum  Seidenspinnen,  welcher  künfitig  immer  nebst  den  naspel  kan 
gebraucht  werden,  wie  dann  die  Französin  von  Spandau  ihre  Cocons 
damit  abgesponnen.    Die  Anwesenheit  der  beiden  Könige90)  hat  die 
solennität  mit  der  Inaugurirung  des  Observatoriisl)  verhindert.  Wegen 
der  Hecken  bin  ich  schon  lang  bemüht  gewesen,  aber  es  will  mir  niemand 
von  Hof  an  die  Hand  gehen,  dass  ich  Arbeit  und  Düngung  umsonst 
bekäme.  Sonst  ist  es  der  Societät  nicht  zu  rathen,  dass  sie  ihre  Bäume, 
welche  sie  an  andere  ort  in  die  weite  verpflanzen  kan,  noch  mit  ihren 
Unkosten  in  die  Hecken  verstecken  soll,  da  sie  nicht  den  zehenden  Theil 
genuss  davon  haben  kan.    Herr  Hehse'2)  hat  das  seine  redlich  gethan, 
aber  wir  finden  kein  gehör.    Nun  da  die  Amts  Kammer  die  Weinberge 
zur  aussaat  nimmt,  werde  ich  mich  bemühen,  dass  mir  die  Weinberge 


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Joh.  Leonh.  Frisch  4  Briefw'erhBi'I  mit  G.  W.  Lcilrfiic  19 

zur  Verpflanzung  einiger  tausend  jungen  Bäume  gelassen  werden.  Auf 
den  Wällen,  sonderlich  hier,  finde  ich  viel  difficultäten  wegen  des  ver- 
pflanzens:  bald  macht  mir  dieser,  bald  jener  Hinderung;  bald  werden 
die  Wälle  da  erhöht,  dort  geändert,  und  muss  man  immer  mit  denen 
Bäumen  Schaden  leiden.  Auf  dem  lande  würde  es  ebenso  gehen.  Doch 
hone  ich  durchzudringen,  wann  mir  mit  benöthigten  Unkosten  an  die 
Hand  gegangen  wird.  Ich  kan  ganze  Parjuet  von  memorialen  und  brieffe 
weisen,  biss  ich  es  nur  dahin  gebracht,  wo  es  jezt  ist;  aber  Geld  kan 
ich  nicht  vorschiessen.  Ich  hab  die  150  thlr.  so  angewandt,  dass  ich 
den  Grund  zu  einem  grossen  Werck  gelegt.  Künfftigen  Herbst  muss 
ich  wider  auf  den  Wällen  Löcher  machen  lassen,  einige  1000  Bäume 
dahin  zu  sezen,  welches  täglich  Geld  erfordert.  Wann  mir  die  Societät 
einen  Mann  hielte  um  einen  jährlichen  Lohn  und  etwas  zur  Kost  ver- 
machte, würde  es  am  besten  seyn,  sonst  kostet  es  gar  zu  viel. 

Ew.  Exc[ellenz]  seyen  so  gütig  und  muntern  mich  durch  dergleichen 
assistenz  ferner  auf,  sonst  muss  ich  mit  Spott  davon  ablassen,  da  ich 
mich  am  Hoff  und  in  der  Statt,  ja  im  ganzen  Land  dess wegen  schon  so 
weit  eingelassen,  dass  ich  weiss  nicht  was  für  Beynahmen  davon 
bekommen.  Ich  verbleibe  indess  mit  allem  gebührenden  respect  Ew. 
Exc[ellenz]  gehorsamst  ergebener  Diener 

Joh.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  lezten  Julii  1709. 

14. 

Frisch  an  Leibniz. 

HochEdler  pp.  Weilen  nicht  allein  im  Privilegio  schon  der  Hecken  ge- 
dacht wird,  sondern  auch  Ew.  Excellenz  immer  darauf  ein  Absehen  gehabt, 
als  hab  ich  schon  vergangenes  Jahr  allhier  im  Königlichen]  Hofgarten s3) 
und  anderswo  die  Maulbeerbäume  so  säen  lassen,  dass  gleich  ein  dick 
gehäge  daraus  werden  kan,  ohne  weiteres  verpflanzen  damit  vorzunehmen. 
Wie  dann  diese  Hecke  im  Hofgarten  als  jezo  erst  im  andern  Jahr  und 
an  einem  unbequemen  ort,  nemlich  an  der  Mitternachtseite  angelegt, 
doch  fein  zu  steigen  beginnt  und  fast  halb  Manns  hoch  über  die  ganze 
Breite  des  Hofgartens  steht.  Wodurch  auch  die  AratsKammer  und  der 
Herr  Graf  von  Wittgenstein  **)  sehr  überzeugt  worden,  dass  es  mit  diesen 
Bäumen  auf  allerley  Weise  angehe;  daher  sie  dem  in  meinem  vorigen 
gemeldetem  Italiäner  auf  mein  anhalten  eine  feine  pension  gemacht,  nemlich 
wöchentlich  zwey  thaler,  und  bey  Ihro  Königlichen]  Majestät  Küchen- 
garten zu  Ruhleben  zwischen  Charlottenburg  und  Spandau  hab  ich  ihm 
wöchentlich  einen  Thaler  verschafft,  biss  er  Proben  seiner  Kunst  abgelegt. 

Auf  den  Wällen  will  ich  an  einigen  Orten  die  Bäume  als  dünne 
Hecken  anlegen  lassen,  wo  sie  nicht  wie  Zäune  dörffen  beschnitten 
werden,  auch  nicht  dreyfach  hinter  einander  stehen,  sondern  nur  einzeln 


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20  Joh.  Leonh.  Princhs  Briefw«ch«el  mit  (3.  W.  Leibni«. 

• 

neben  einander;  solche  Hecken  glaube  ich  dass  sie  nüzlich  seyn  and 
schön  stehen  werden,  so  viel  mist  nicht  brauchen  und  freye  rafft  haben, 
auch  den  Würmern  wohl  anstehen,  als  worauf  am  meisten  zn  sehen. 
Wann  mir  mit  einem  solchen  Handlanger  an  die  Hand  gegangen  wird, 
so  soll  man  künftig  Jahr  den  Wall  fein  besezt  sehen.  Es  ist  ein  Franzoss 
hier,  starckund  arbeitsam,  ein  guter  gärtner  and  Baum  verständiger,  welcher 
mir  um  20  biss  30  thaler  das  Jahr  über,  wann  man  mit  dergleichen 
arbeit  umgehen  kan,  an  die  Hand  gehen,  Gruben  und  Graben  machen, 
Bäume  buzen,  dieselben,  sobald  sie  nur  etwas  tragen,  pachten  und  von 
seinem  lohn  abgehen  lassen,  endlich  noch  zulegen  will  oder  mehr  Persohnen 
stellen,  das  Werck  besser  zu  treiben.  Der  Italiener  hat  mir  gezeigt,  wie 
man  die  jungen  Bäume  mit  Vortheil  versezen,  wann  und  wie  offt  man 
es  thun  könne.  Es  ist  zu  Göpenik  ein  Schweizer,  welcher  sich  erbietet, 
den  Garten  mit  schar zer  Erde  ein  Stück  nach  dem  andern  zu  beführen, 
man  soll  ihm  aber  den  genuss  davon  auf  gewisse  Zeit  lassen;  welches 
dem  Garten  grossen  Vortheil  schaffen  sollte.  Der  Mann  würde  auch 
verbunden  seyn,  den  Zauu,  obgleich  nicht  so  kastbar  wie  jezund,  doch 
so  im  Stand  zu  erhalten,  dass  die  Baume  keinen  Abbruch  leiden.  Zo 
Potstam  werde  ich  auch  suchen  einen  solchen  Mann  zu  bekommen,  der 
um  des  Gartens  willen  bey  der  plantation  die  Unkosten  erspart;  erwarte 
hierinn  E[w].  Exc[ellenzj  ordre. 

Es  kommt  hiemit  das  Pfd.  Maulbeerbaum-Saame,  von  welchem  nicht 
leichtlich  ein  einig  Körnlein  ausbleiben  wird,  weil  ich  Körner  davon 
abgezählt  und  vor  einigen  Wochen  gesäet,  so  alle  aufgegangen.  Sie  müssen 
nur  vorher  zum  wenigsten  24  stund  inFlusswasser  eingeweicht  und  in  frisch- 
gegrabene Erde  gestreut  werden,  im  Frühling  nicht  zu  frühzeitig  gesäet 
und,  wann  sie  heisse  Tage  gehabt,  anfanglich,  biss  sie  bekleibt,  mit 
gebrochenen  Wasser  oder  Flusswasser  des  Abends  begossen  werden. 

Weil  die  blaue  Farbe  zimlich  bekannt  wird,  als  finden  sich  einige, 
welche  meinen,  es  seye  nur  gebesserter  Indig,  stümpeln  dahero  auch 
dergleichen  Färb  zusammen,  welche  die  Mahler  betrügt,  weil  sie  die 
Prob  nicht  hält  und  doch  für  Preussisch  blau,  wie  unseres  allhier  aus- 
gegeben  wird,  als  bin  ich  von  vielen  Mahlern  ersucht  worden,  ein  gewisses 
Zeichen  auf  unsere  hiesige  zu  machen  und  die  approbation  der  Societät 
der  Wissenschafften  wegen  der  Invention,  der  acadamie  aber  der  Künste 
ihre  wegen  der  tüchtigkeit  und  güte  dieser  färbe  dazu  zu  sezen.  Wann  sich 
dieses  wegen  der  Societät  thun  liesse,  mögte  ich  von  Ew.  Excjellenz] 
wohl  vernehmen,  wie  es  geschehen  könnte.  Ich  wollte  nur  sezen  lassen:  mit 
Approbation  der  Societjät]  der  Wissenschafften  und  Academie  der  Künste 
Sr.  Königlichen]  Majfestät]  in  Preussen,  und  den  Preussischen  Adler  mit  der 
blauen  Färb  dazu  gedruckt,  welches  keine  andere  Farbe  von  blauer  Mahler- 
farb  ausser  Ultramarin  thut.  An  meiner  chymischen  Düngung  hab  ich 
fast   gezweifelt   gehabt,    aber   nun    treibt  sie    mir    einige  Pflanzen 


Job.  Leonh.  Friechs  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibn«. 


21 


6  mahl  so  starck,  als  sie  vorher  gewachsen,  welches  mir  wider  Hoff- 
nung macht 

Die  Feuer-Caasa  ist  in  völligem  Gang  und  H[er]r  Müller  hat  seine 
ordentliche  Besoldung  alle  quartal  zu  heben.  Dem  Cajetano  hat  man 
vom  Galgen  vorgeschwazt;  er  sucht  kahle  ausfluchte,  unter  andern:  er 
habe  es  verschworn  in  Cüstrin  etwas  zu  tingiren,  man  soll  ihn  an  einen 
andern  Ort  thun;  welches  man  erklärt,  dass  er  besser  daselbst  durch- 
gehen könne.  Filmey  soll  einen  Füllten  von  Lichtenstein  um  eine  summa 
Geldes  erwischt  haben,  darff  sich  daher  nicht  viel  sehen  lassen.  Herr 
Günther")  macht  eine  bequeme  art  grosser  Feuersprizen,  die  ungemein 
starck  Wasser  sprizen  und  leicht  zu  tractiren  sind.  Ich  verbleibe  mit 
allem  schuldigen  respect  und  offerirung  meiner  wenigen  Dienste  Ew. 
Excellenz  gehorsamst  ergebener 

Joh.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  25.  Aug.  1709. 

15. 

Frisch  an  Leibniz. 
HocbEdler  pp.  Die  AmtsCammer  hat  bissher  einen  trefflcheu 
Plaz  auf  Angeben  des  Italianischen  Gärtners  tief  rigolen  und  wohl  be- 
dungen lassen;  7  PerBohnen  haben  schon  6  Wochen  daran  gearbeitet. 
Der  Italiener  hat  auf  meinen  Antrieb  diesen  Plaz  in  denen  Königlichen] 
Weinbergen  desswegen  erwehlt,  damit  die  Societät  dereinst  desto  eher 
wegen  ihres  Privilegii  um  den  genuss  anhalten  darff.  Ich  habe  bey  der 
Societät  die  continuation  der  Maulbeerbäum-Plantation  getrieben  und 
vermög  eines  extracts  aus  dem  Protocoll  erhalten,  dass  ich  einen  Planteur 
annehmen  darff,  welcher  anfänglich  mit  etwa  dreyssig  thalern  will  jähr- 
lieh verlieb  nehmen  und  diesen  Herbst  noch  anfangen,  Gräben  auf  den 
Wällen  zu  machen,  um  künfftigen  Frühling  die  bäume  en  haye  darein 
zu  versezen.  Ich  bin  nun  auch  hinter  den  Vortheil  gekommen,  die  Seide 
weiss  zu  machen,  und  zwar  so,  dass,  wo  mir  die  Franzosen  8  loth  ab- 
gang  rechnen,  ich  nur  fünfte  habe,  welches  dereinsten  im  grossen  viel 
austragen  wird.  Es  hat  unsere  Seide,  wann  sie  vom  Gummi  befreyt, 
ein  solch  lnstre,  dass  ich  keinen  Unterschied  unter  der  besten  Seide  sehe, 
die  man  hier  zu  kauff  hat  Ich  habe  einige  Strenlein  geschwefelt,  wo- 
durch die  Seide  noch  weisser  wird,  aber  hernach  keine  Färb  mehr  an- 
nimmt und  im  Pfd.  einige  loth  Zusaz  bekommt  Unsere  blaue  Färb 
hat  H[er]r  Qverfurt,"i)  zu  Wolffenbüttel  sehr  gut  befunden  und  einige 
Quantität  für  sich  und  andere  kommen  lassen.  Auf  anhalten  einiger  Mahler 
tiatt  H[er]r  Diessbach  unterdessen  beyliegenden  Zettel  drucken  lassen, 
damit  sie  doch  einige  Information  davon  bekommen.  Ich  habe  mit  einigen 
membris  der  Societät  wegen  der  approbation  geredet:  Herrn  Hofruth 
Hofmann87)  ist  sie  von  einigen  Monathen  her  bekannt;  H[er]r  Werner**) 


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22 


Joh.  Leonh.  Frisch  8  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibnix. 


welcher  sich  von  einem  desperaten  lager  wider  erhohlt,  hat  sie  schon 
lang  gebraucht  nnd  in  quantität  verschickt.  Und  weil  sie  dieser  nebst 
andern  Künstlern  so  gut  befindet,  wird  man  das  votum  der  Mahler  oder 
virtuosen  minorum  gentium  nicht  verlangen. 

Die  Herren  alchy misten  sind  durch  des  Cajetani  elendes  Ende  doch 
nicht  abgeschröckt,  sondern  halten  ihn  noch  vor  einen  adeptum,  weil  er 
biss  an  sein  End  beständig  bejaht,  dass  er  die  tinctur  gehabt  habe  und 
noch  machen  könne.  Ich  habe  mit  des  Dieszbachs  menstruc^^)  die  tincr 
turam  Martis")  so  blutroth  ausgezogen,,  dass  H[er]r  Kath  Hofmann  ein 
ganzes  Register  geben  will,  vor  was  alles  sie  in  der  medicin  gut  seye. 
Die  tincturam  Yeneris:  I)  habe  ich  so  grün  davon,  dass  es  ein  Lu6t  anzu- 
sehen. Und  wann  ich  die  tincturam  Martis  in  Wasser  giesse,  so  tingiren 
wenige  tropffen  eine  grosse  quantität  des  Wassers.  Die  tinctura  Veneria 
aber  mit  spiritu  salis  Amoniaci gemenget  gibt  eine  solche  blaue  Färb, 
dass  dergleichen  nie  gesehen  habe,  und  tingirt  auch  hernach  das  Wasser, 
so  dass  ich  zur  erquickung  der  Augen  immer  einige  Glässer  vor  mir 
stehen  habe.  Aber  zu  keinem  corpus  kau  man  diese  Bläue  bringen. 
Wann  wir  sie  von  aller  corrosivität  reinigen  könnten '^O,  wollten  wir  mit 
diesen  tincturen  solchen  Wein  und  geträncke  färben,  dass  man  mehr  von 
diesen  Schaugeträncken,  als  von  allen  Schau-Essen  halten  sollte. 

Ew.  Exc[ellenz]  sagten  vor  einiger  Zeit,  dass  des  Francisci  Junii  Glos- 
saria'-*4)  in  Engelland  sollten  gedruckt  werden ;  bissher  hab  ich  nichts  davon 
erforschen  könner.  Ich  kan  von  dieses  Mannes  Etymologischen  Schrillten, 
wie  sie  Hikesius,,a)  erzehlt,  nichts  zu  sehen  bekommen.  Wann  etwas 
sollte  publicirt  seyn,  bitte  ich  gehorsamst,  mir  den  ort  kund  zu  thun. 
Des  Bensons  vermehrtes  Engelsächsisches  Vocabularium  des  Somneri  hab 
ich  bekommen;  aber  des  Skinneri  Englisches  Etymologicum kan  ich 
nicht  erfragen.  Ich  hab  den  Agapetum1'7)  für  hiesige  Schulen  auflegen 
lassen  und  dazu  über  12  editionen  conferirt.    Ich  verbleibe  etc. 

Joh.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  28.  Sept.  1709. 

16. 

Frisch  an  Leibniz. 

Berlin  den  9.  Nov.  1709. 
HochEdler  pp.  Der  HofCammer  befehl,  die  Bäume  in  den  pro- 
vinzien  zu  pflanzen,  hat  nichts  können  ausrichten,  weil  kein  Amtman 
gewust,  wo  er  Maulbeerbäume  hernehmen  solle.  Der  Planteur,  der  von 
der  Societät  angenommen  worden,  bekommt  30  tlilr.  des  Jahrs,  biss  man 
sieht,  was  er  vor  Dienste  thun  kan.  Ich  hab  dem  General  Major  einen 
Zettel  fürgeschrieben,  wie  ich  gern  und  wo  ich  auf-  und  an  den  Wällen 
wollte  passiren  und  ungehindert  vor  denen  Wachten  bleiben,  welchen  er 
auch,  wiewohl  mit  lachen  unterschrieben,  dass  ich  ihm  ein  solch  modell 


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Job.  Leonb.  FriBcb's  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibni*. 


fürgeschrieben.  Ich  hab  darauf  in  der  Fausse  brave9*)  wollen  anfangen 
lassen  zn  graben,  allein  weil  ich  die  Bäume  nothwendig  rauss  begiessen 
lassen  und  mit  demselben  begiessen  viel  UngelegeDheiten  haben  würde, 
als  hab  ich  in  dem  bedeckten  Weg  angefangen,  da  ich  das  Wasser  gleich 
ans  dem  Graben  hohlen  kan.  Der  Graben,  worein  die  Bäumlein  kommen 
sollen,  liegt  diesen  Winter  also  offen  und  im  Frühling  will  ich  einige 
tausend  hinein  sezen  lassen.  Den  Garten  zu  Cöpenik  will  ein  Franzoss 
in  den  Stand  bringen,  so  dass  er  alle  Bäume  will  beschneiden  und  säubern 
lassen,  zu  allen  Mist  führen  und  sie  der  Societät  alle  brauchbar  lieffern 
wofür  und  wozu  er  aber,  weil  es  geld  und  zeit  erfordert,  den  Garten 
auf  5  Jahre  haben  will.  Weil  ich  nun  bissher  geseheD,  dass  der  Garten, 
wann  ihn  nicht  jemand  als  sein  eigenes  wartet,  alle  Jahr  unbrauchbarer 
wird,  als  hab  ich  dieses  erbieten  des  Franzosen  der  Societät  vorgetragen, 
welche  auch  biss  auf  Ew.  Exc[ellenz]  consens  bewilligt.  Wegen  auskochung 
der  Seide  hat  es  diese  beschaffenheit,  dass,  wo  der  Gummi  nicht  völlig 
herab  kommt  durch  das  Kochen,  die  Seide  nimmermehr  den  behörigen 
Glanz  und  gelinde  weiche  Art  bekommen  kau.  Die  Flonnacher,  welche 
etwas  starrendes  verarbeiten  können,  sind  die  einigen,  welche  die  rohe 
Seide  kauffen,  die  andern  müssen  sie  alle  kochen,  wie  ich  bey  diesen 
Tieathen  täglich  sehe,  und  bieten  sie  ein  grosses  recompens,  wann  man 
sie  ein  ander  Mittel  lehrte,  damit  nicht  so  viel  abgienge.  Es  verliert 
die  Seide  wohl  etwas  von  der  gelbe,  aber  es  bleibt  auch  die  weisse  Seide 
doch  rohe  Seide.  Ich  hab  sie  gar  in  die  Sonne  gehängt,  ausgespannt 
und  gebleicht,  aber  doch  nichts  ausrichten  können,  weil  der  Gummi  so 
häuffig  daran,  dass  ich  mich  verwundert,  da  ich  ihn  eindistillirt. 

Hiemit  kommet  eine  lateinische  relation  von  der  blauen  Färb"), 
welche  anfängt  sehr  bekannt  zu  werden.  Herr  Qverfnrt  zu  Wolffenbüttel 
und  andere  im  Braunschweigischen  lassen  sie  in  Quantität  hohlen.  Wer 
sie  einmahl  gebraucht,  kommt  ordinair  wider  und  höhlt  mehr.  Wegen 
des  Titels  kan  leicht  eine  änderung  geschehen  und  kan  das  Berlinisch 
Blau  genannt  werden.  Das  Kupffer,  so  in  dem  nienstruo  des  H[er]r[n]  Diess- 
bachs  sich  so  grassgrün  aufgelöst,  färbt  das  Papier  durch  und  durch 
grün.  Es  ist  H[er]r  Diessbach  bemüht,  eine  leichtere  und  wohlfeile  art 
zu  finden,  das  Papier  durchaus  lieblich  grün  zu  färben,  dass  man  schwarz 
darauff  drucken  könne. 

Die  lateinische  Grammatik  unter  denen  neuen  Schulbüchern10")  wird 
ehistens  fertig  seyn;  mit  der  griechischen  bin  ich  auch  über  die  Helffte 
fertig.  Herr  Lange'01)  ist  zwar  nach  Halle  gekommen,  aber  er  meinet 
doch,  er  wolle  das,  was  er  von  dieser  Schularbeit  übernommen,  daselbst 
verfertigen.  Den  codicem  des  Ulphila  hab  ich,  sowohl  des  Junii  edition 
als  des  Stiernhilms'01).  Aber  vom  Willeram  des  Junii ;ftS)  hab  ich  noch 
nichts  gesehen,  hab  auch  bissher  nichts  von  seinen  andern  Schrifften, 
die  er  doch  so  offt  citirt,  zu  sehen  bekommen  können.   Hikesius  sezt  sie 


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24  Job.  Leouli.  Frisch  a  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibnu. 

unter  die  MSS.  Die  Russische,  sowohl  vulgare  als  gelehrte  oder  scla- 
vonische  Sprach  gibt  mir  in  der.  teutschen  etymologie  ein  grosses  Licht 
und  hab  ich  einige  100  Wort  schon  aufgezeichnet,  welche  wir  mit  ihnen 
gemein  haben.  Mein  Glossarium  Marchicum1")  vermehrt  sich  auch  immerzu, 
da  dann  freylich  viel  vom  platteutschen  überhaupt  mit  einläufst,  aber 
auch  einige  Wörter  bleiben,  die  sonst  kein  Niederteutscher  verstehet. 

Es  ist  ein  gewisser  Kauffmann  aus  Sachsen  hier  gewesen,  welcher 
bey  dem  König  um  ein  Privilegium  angebalten,  die  8eide  im  land  zu 
erzielen.  Da  ich  dann  von  einigen  ministris  befragt  worden,  ob  die 
Societät  es  verhindern  wolle,  da  ihr  doch  kein  Eintrag  dadurch  geschehe. 
Allein  es  scheint,  der  Mann  hat  sich  wider  verlohren.  Ich  hab  geant- 
wortet, dass  ich  befehi  hätte,  mich  stricte  an  das  Privilegium  zu  halten. 
Ich  verbleibe  etc. 

J.  L.  Frisch. 

17. 

Frisch  an  Leibniz. 

Berlin  den  30.  Jan[uarii]  1710. 
UochEdler  pp.  Der  Herr  Hofrath  Cuno  hat  die  von  Ew.  Exc[elleuz] 
zurückgeschickte  notitiam  caerulei  Berolinensis10*)  zu  denen  noch  übrigen 
Stücken  gelegt,  welche  in  die  Miscellanea  kommen  sollen.  Der  Buch- 
drucker Wessel  ist  der  ungeschickteste,  den  wir  hier  haben,  sobald  etwas 
ausser  seinem  Schlendrian  zu  thun  ist;  daher  ich  ihm  auch  nur  den  Titel 
blau  zu  drucken  nicht  vertrauen  dörffen.  Wann  ich  künfftig  gelegenheit 
sehe,  will  ich  blau  und  grün  drucken  lassen.  Unterdessen  kommt  die 
blaue  Färb  immer  in  grössere  bekanntschafft  So  lang  es  diesen  Winter 
offen  gewesen,  hat  der  hiesige  Planteur  der  Societät  in  dem  bedeckten 
Weg  an  dem  Graben  gearbeitet,  worein  wir  diesen  nächsten  Frühling 
die  jungen  Bäume  sezen  wollen.  Die  zu  Spandau  sind  auch  um  das 
vierdte  Pfd.  Seiden  verpachtet  und  zu  Potsdam  verhoffe  ich  auch  Lenthe 
zu  bekommen. 

Des  Francisci  Junü  Evarigel[ia]  Gothica  hab  ich,  auch  des  Stiernhielm 
edition  dieses  Codicis  des  Ulphilae,  aber  vom  Willerain  hab  ich  noch 
nichts  gesehen.  Es  kan  mir  niemand  recht  sagen,  ob  das  diejenige 
Bibliothec  zu  Oxfort  gewesen,  welche  neulich  verbrannt,  worein  des 
Junii  MSS.  vermacht  worden"*).  Es  wäre  ein  unwiderbringlicher  Ver- 
lust wegen  dieser  und  anderen  raren  Schrifften.  M[onsieu]r  la  Croze"")  hat 
sein  Lexicon  Sclavonicum  absolvirt,  woriunen  er  einen  grossen  vorrath 
von  radicibns  und  andern  vocabulis  hat;  welcher  desswegen  bessere 
nachricht  als  ich  geben  kan,  ohngeachtet  ich  ihm  die  erste  manuduction 
Kegeben.  Herr  D.  Mencken108)  von  Leibzig  hat  mir  schöne  Moscowitische 
Scripta  geschickt,  welche  ich  ihm  extrahire,  damit  er  sie  in  den  Actis 
recensiren  könne.    Sie  sind  dialecto  nissica  gesell  rieben,  welches  vor 


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Job.  Leonh.  Frisch  8  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


25 


diesem  nie  gesehen;  sie  sind  charactere  tachygraphiae  Rassicae1w>)  ge- 
druckt, dergleichen  nie  gesehen  worden;  und  ist  das  eine  die  übersezung 
des  Sturms  von  der  Fortification,  das  andere  die  Übersezung  der  Erz- 
herzoglichen Handgriffe,  das  dritte:  von  den  Signalen,  die  auf  der 
czarischen  Flotte  gegeben  werden,  das  vierdte:  Formulare  der  brieffe, 
so  teutsche  Potentaten  an  einander  schreiben,  das  fünffte:  von  Ver- 
schanzung  eines  Lagers  und  andere  Fortifications-Lehren109).  Der  Kauff- 
raann  aus  Sachsen  hat  sich  nicht  weiter  gemeldet,  seinen  Nahmen  hab 
ich  nicht  erfahren. 

Unter  den  vocabulis  marchicis110),  die  andere  nicht  leicht  verstehen, 
sind  e.  g.  diese:  piras:  lumbricos.  kilitte:  papilio.  Kuhsche,  ein  ge- 
feuchtet Brod  im  Bier.  Eum:  ein  Trog;  Stampkum:  Stopftrog,  myran: 
formicae.  Dez:  caput  (testa  Ital.).  Dernze:  Stube.  Duhs:  das  feinste 
Mehl.  Kiez:  eine  Fischerhütte.  Dülte:  eine  gepichte  hölzerne  Kanne. 
Koboldschiessen:  culbute  Gall.  Keck:  der  Halss  oder  das  Dicke  unter 
dem  Kien.  Kolter:  das  Plugeissen,  so  über  der  Schaar  ist  (culter)  etc. 
Bei  dem  Wort  Keck  erinnere  ich  mich  eines  discurses,  den  Churfurst 
Fri6dr[ich]  Wilhelm  mit  einigen  Poinmern  gehalten:  da  er  unter  andern 
zu  ihnen  sagte,  er  könnte  den  dialectum  der  Pommern  wohl  verstehen, 
brachte  ihm  einer  von  den  Rathen  diese  Wort  zur  Probe  für:  „Si,  wu 
de  Gäre111)  sitt,  un  besabbelt  den  Keck  mit  de  Bullegraven112)",  welches 
der  Churfurst  nicht  verstund;  sie  heissen  so  viel:  „Siehe,  wie  das  kleine 
Mägdlein  sizet  und  begeiffert  den  Bart  oder  das  Unter-Kien  mit  Heydel- 
beeren."  Es  lanffen  freylich  einige  Wörter  mit  in  das  Niedersächsische, 
einige  ins  Pommerische,  haben  aber  alle,  soviel  ich  gesamlet,  etwas  be- 
sonders wegen  der  Etymologie  oder  anderer  Umstände. 

Die  Feuer-Cassa  ist  in  völligem  Gang.  H[er]r  Müller  bekommt  zwar 
nicht  alles,  was  er  sagt,  dass  ihm  versprochen  worden,  doch  aber  das,  was 
ihm  nach  abzog  geblieben,  bekommt  er  richtig.  Von  M[onsieu]r  la  Ramee' n) 
and  dem  mechanico  mit  dem  neuen  Brennglass  hab  ich  nichts  gesehen  noch 
gehört.  H[er]r  Stark  lebt  jezt  hier,  hat  etwas  weniges  von  der  Königlichen] 
Bibliothek  und  arbeitet  an  Übersezung  eines  Rabbinischen  Buches. 
Befehle  mich  schliesslich  nebst  an  w  unschön  g  eines  glücklichen  fortgangs 
des  Neuen  Jahrs  in  ferner  geneigtes  angedenken  und  verharre  etc. 

«loh.  Leonh.  Frisch. 

18114). 

Frisch  an  Leibniz. 
HochEdler  pp.  Weil  Euer  Excellenz  in  den  meisten  Briefen,  wo- 
mit sie  mich  beehrt,  auch  von  unserer  chymischen  Arbeit  allhier  Nach- 
richt begehrt,  hoffe  ich,  sie  werden  sich  Einschluss  nicht  missfallen 
lassen.  Es  ist  ein  Pulver  von  H[er]r[n]  Diessbach,  welches  mir  bissher 
grössern  effect  gethan,  als  alle  dergleichen,  die  ich  jemahls  probirt.  Des 


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26 


Job.  Leonb.  Friscb'8  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


Meders11')  seines  (welcher  nunmehr  gestorben)  und  des  Felmi  Sudeley 
haben  mir  nichts  anders  gezeigt,  als  bey  bösen  Gemüthern  eine  gelegen- 
heit  zu  filoutiren.  Dieses  aber  hat  etwas  solidere.  Ich  mercke,  dass 
das  Werck  aus  dem  Kupfer  geht  und  H[err]  Diessbach  versichert  mich, 
er  habe  das  Pfd,  2n  )  bissher  über  3  thlr.  nach  abzug  aller  Unkosten 
genossen.  Man  rühmt  von  den  Yenetianern,  dass  sie  dieses  secret  haben, 
das  Ou:)  aus  dem  Ungarischen  Kupfer  zu  scheiden,  und  sollen  ihre 
zechini  daraus  gemünzt  werden.  In  Ungarn  hab  ich  solche  Umstand 
davon  gehört  und  gesehen,  dass  ich  es  selbst  vor  sehr  wahrscheinlich 
angesehen,  weil  sie  das  Ungarische  Kupfer  alles  zusamkauffen  und  theurer 
bezahlen,  als  andere  können.  Es  wäre  zu  den  Kupferbergwercken  auf 
dem  Harz  kein  geringer  beytrag. 

Wegen  der  Verpflanzung  der  Bäume  bin  ich  jezo  beschäftigt,  ich 
lasse  in  die  tieften  Gräben,  die  ich  in  der  Contrescarpe  machen  lassen, 
anstatt  des  ausgeworfenen  unfruchtbaren  Sandes  bey  jezigem  Tau- Wetter 
den  Gossenkoth  führen  und  oben  darauf  noch  Mist  und  gute  Erde,  dass 
ich  holte,  die  bäumlein  sollen  in  kurzein  recht  wohl  bekommen.  Auf 
dem  Wall  will  ich  auch  fortfahren  lassen.  Die  Societät  hat  mir  ver- 
sprochen, 20  biss  30  thaler  zu  diesem  betraf  auszahlen  zu  lassen. 

Herr  Günther  lässt  sich  gehorsamst  empfehlen:  er  mechanisirt 
artige  Dinge,  und  da  ich  ihm  sagte,  ob  er  nicht  auch  Canonen  machen 
könnte,  die  als  Wind-Büchsen  wären,  bezeugte  er  mir,  dass  er  schon  eine 
also  zugerichtet,  die  eine  Kugel  von  10  Pfd.  schiesset.  Bekommt  er 
das  perpetuum  mobile  nicht,  wie  es  bissher  noch  keiner  bekommen,  so 
wird  er  doch  etwas  solches  zuwege  bringen,  das  von  so  leichter 
mobilität  seye,  als  vielleicht  noch  keine  machine  gewesen.  Wann  dieses 
Mannes  gutem  naturel  die  Kunst  zu  hülff  käme,  er  würde,  wie  Diess- 
bach, extraordinair  schöne  Dinge  hervorbringen.    Ich  verbleibe  etc. 

J.  L.  Frisch. 

§ 

19. 

Frisch  an  Leibnix. 
HochEdler  pp.  Diesen  Frühling  haben  wir  die  erste  Verpflanzung 
gethan  und  auf  den  Wall  vom  Königsthor  an  biss  über  das  Spandauische 
hinaus  an  die  Spree,  theils  fast  ruthen  weit  von  einander,  theils  en  haye 
bey  700  dreyjährige  und  zweyjährige  Bäumlein,  in  der  Contrescarpe  aber 
vom  Neustätter  thore,,s)  an  rechter  und  linker  Hand  gegen  das  Leip- 
ziger thorny)  über  3000  gcsezt.  Ich  hab  zwar  gemeint,  die  Societät 
werde  mir  etwas  dazu  geben,  wie  mir  dann  Herr  Hofrath  Cuno  zu 
30  thalern  Hofnung  gemacht,  ich  habe  aber  hernach  gemerckt,  dass  sie 
die  30  thlr.  meinen,  so  dem  Planteur  jährlich  verwilligt  worden.  Ich 
hab  indessen  den  Vorschuss  gethan  und  muss  sehen,  ob  ich  aus  dem 
Werck  selbst  mich  nach  und  nach  bezahlt  machen  kau;  werde  auch  bey 


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Joh.  Leonh.  Friscb  s  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


27 


gelegenheit  die  Rechnung  überlieffern,  welche  nicht  eininahl  auf  30  thlr. 
steigt.  Zu  Cöpenik  hat  ein  Frauzoss  einige  großse  Stühle  oder  Säulen, 
welche  zu  ausbesserung  des  Zaunes  da  lagen,  weggeführt;  ich  bin  endlich 
dahinter  kommen,  und  weil  3  Ruten  vom  Zaun  eben  an  selbigem  Ort 
eingefallen,  hab  ich  bey  dem  H[errn]  Oberkammerhern  angehalten,  dem 
Oberamtman  zu  Cöpenik  anzubefehlen,  dass  er  den  Franzosen,  welchen 
ich  überzeugt  habe,  anhalte,  die  Säulen  in  eben  der  qualität  und  quan- 
tität  an  den  Ort  hinzulieffern,  wo  er  sie  weggeraubt,  oder  ich  müste 
zum  Schimpf  des  Gartens  das  loch  am  Weg  offen  stehen  lassen;  worauf 
gleich  ordre  ergangen.  In  der  Contrescarpe  sind  auf  einmahl  über 
200  Bäumlein  gestohlen  worden ;  der  Planteur  ist  auf  die  Spur  kommen 
und  ich  habe  eine  Stund  hernach  mit  Soldaten  hausssuchung  thun  lassen 
und  sie  alle  wider  bekommen  bey  einigen  Franzosen,  deren  Kinder  sie 
ausgezogen  hatten.  Ich  hoffe,  sie  sollen  alle  wider  bekleibeu.  Der 
•Soldat,  so  nicht  weit  davon  Wache  gestanden,  sollte  durch  die  Spiss- 
mthen  lauffen,  aber  er  kam  noch  mit  gelinderer  Straff  davon. 

Herr  Günther  ist  endlich  überzeugt,  dass  das  perpetuum  mobile 
nicht  angehe,  aber  er  wül  ein  facillime  mobile  machen,  wozu  noch  mehr 
apparenz  ist,  als  zu  jenem.  Sonderlich  könnte  er  nuzen  schaffen,  wann 
er  eine  Wässerungsmachine  hier  einführen  könnte,  dass  wir  aus  der 
Spree  die  daran  liegenden  Felder  und  Wiesen  bewässern  könnten,  welches 
mit  den  sonst  gewöhnlichen  Rädern  wegen  des  stillfliessenden  Wassers 
nicht  angehet.    Ich  verbleibe  etc. 

J.  L.  Frisch. 

Berlfin]  den  3.  Maji  1710. 

20. 

Frisch  an  Leibniz. 
HochEdlerr  pp.  Ew.  Excell[enz]  anschlag  mit  einer  Wässerungs- 
niachine  auf  art  der  Windmühlflügel  hat  mich  bewogen,  die  proportion 
des  Triebs  unserer  Spree  zu  nehmen  und  es  im  kleinen  zu  probiren,  da 
ich  ihm  die  force  zu  verdoppeln  also  zu  hülff  gekommen :  ich  hab  zwey 
solche  räder  von  Windmühlflügeln  an  den  Wellbaum  in  nöthiger  distantz 
gefügt  und  zwischen  diesen  beyden  Flügel-Rädern  ein  Schuzbret  biss 
auf  den  boden  oder  soweit  und  tieff  als  die  Flügel  ins  Wasser  gehen, 
abgesenkt,  wodurch  das  Wasser,  so  auf  das  Schuzbret  stösst,  neben 
demselben  hinaus  mnss  und  dadurch  die  Flügel  merklich  stärker  treibt. 
Wann  man  eine  solche  Wässerung  in  unserer  Mark  könnte  anstellen: 
es  wäre  ein  Werk,  der  Societät  eine  grosse  revenue  zu  machen.  Ich 
*  getraue  mir,  in  drey  Jahren  vermittelst  der  Spree- Wässerung  viel  schöne 
Stücke  unsers  Sandlandes  zu  Wiesen  zu  machen,  und  das,  was  wir  vom 
König  umsonst  haben  können,  um  eine  feine  Summe  zu  verkauffen  oder 
zu  verpachten.    Wann  die  Soiietät  zu  einerprobe  etwas  anwenden  will, 


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28 


Joh.  Leonh.  Frisch  h  Briefwechsel  mit  ö.  W.  Leibni«. 


so  habe  ich  hier  tüchtige  mechanicos  und  handwerksleuthe  an  der  Hand, 
mit  denen  ich  es  getraue  zu  Stand  zu  bringen.  Die  jungen  Maulbeer- 
bäume stehen  ganz  wohl,  sonderlich  die  auf  dem  Wall,  also  dass  ich  bey 
denen  Herren  Generalspersohnen  desswegen  in  gutem  credit  stelle,  weil 
sie  sehen,  dass  es  angehet.  Es  sind  von  700  auf  dem  Wall  sehr  wenig 
ausgeblieben.  Mit  dem  Cöpeniker  Garten  steht  es  fast  desperat;  ein  neu- 
licher Sturmwind  hat  die  eine  Seite  vom  Zaun  ganz  umgeworffen,  dass 
also  eine  Öffnung  von  600  Schritt  da;  Vieh  und  Wild  kan  hinein  und 
werden  die  Bäume  viel  gefahr  auszustehen  haben.  Wann  die  Societät 
nichts  daran  wenden  will,  so  offerire  ich  hiemit,  mein  möglichstes  sowohl 
an  Unkosten  als  Sorge  anzuwenden,  ihn  in  bessern  Stand  zu  sezen,  auch 
ein  kleines  Hüttchen  darein  zu  bauen  und  einen  Mann  zu  halten,  der 
seiner  immer  pflegt,  wann  ich  Versicherung  haben  kan,  dass  man  mir 
dereinst  die  nöthigst  daran  gewandte  Unkosten  restituiren  oder  denselben 
für  einen  gewissen  Pacht  vor  andern  lassen  will.  Ew.  Excfellenz]  seyen 
so  gütig  und  befördern. dieses,  damit  auf  eine  oder  andere  Weiss  dieser 
Plaz  genuzet  werde. 

-  Herr  Günther  hat  ein  schön  modell  von  Feuersprizen  fertig,  dadurch 
nach  proportion,  so  oflft  das  Rad  an  dem  grossen  Werk,  so  er  macheu 
will,  umgeht,  drey  Eimer  Wasser  ungemein  hoch  heran  sgesprizt  werden. 
Ich  verbleibe  etc. 

J.  L.  Frisch. 

Berlin  d.  7.  Julfiij  1710. 

21. 

Frisch  an  Leibniz. 

HochEdler  pp.  Es  hat  sich  H[err]  Hofrath  (Juno  und  H[err] 
Secretfarius]  Jablonski  die  Mühe  genommen  und  sind  mit  mir  auf  Copenik 
gefahren,  da  sie  dann  den  schönen  grossen  Plaz  gelbsten  besehen,  wie 
er  von  dem  Planteur  ruinirt  worden,  auch  für  gut  befunden,  das  Werk 
inskünfltig  recht  auzugreiffon.  Der  hier  angenommene  Planteur  will  den 
Cöpenikischen  zugleich  versehen,  daselbst  wohnen,  und  der  alte  Planteur 
soll  für  seine  pension,  wann  er  sie  behalten  sollte,  wöchentlich  einige 
Tage  in  dem  Garten  arbeiten.  Es  haben  einige  Leute,  welche  die  Span- 
dauischen und  andere  Bäume  gepachtet,  am  Hofe  viel  wesens  mit  der 
Societät-Seide  gemacht,  sonderlich  hat  ein  Atlass-Weber  7  Stück  Atlass 
von  allerley  färb  dem  König  gezeigt,  welcher  von  mir  ein  attestat  be- 
gehrte, su  ich  ihm  aber  nicht  gegeben,  biss  er  mir  gezeigt,  dass  er  unsere 
Seide  auf  den  Stuhl  gebracht,  die  von  mir  gezeichnet  gewesen.  Sie  hat 
«in  schön  lustre  und  kan  viel  thaler  am  cento  wohlfeiler  gegeben  werden 
als  die  fremde.  Die  Bäumlein  auf  dem  Wall  haben  über  Ellen  hoch 
getrieben.    Wann  die  Societät  in  den  Stand  kommt,  wie  mir  boffhung 


Job.  Leonh.  Frisch'«  Briefwechsel  mit  f+.  W.  Leibtm. 


29 


gemacht  wird,  werde  ich  einmahl  bitten,  meine  Rechnung  anzuhören,  wie 
ond  wozu  ich  das  mir  anvertraute  geld  angewandt. 

Herr  Starkens  Bächer  sind  verauctionirt  worden,  wovon  ich  ein« 
sinnliche  Partie  gekaufft,  absonderlich  des  Eustbatii  Homerum  in  fol.,  die 
Römische  edition'*);  item  ein  Manuscriptfum]  diehistoriam  Manichaeorum 
Serapionis1' )  griechisch,  welche  bissher  nur  lateinisch  im  Druck  gesehen 
worden.  In  der  griechischen  Grammatik'2*)  bin  ich  im  Syntax.  Ich  hab 
zwey  capita  von  der  Derivation  und  Compositum  bey  den  Griechen 
gemacht,  welche  die  wenigsten  Gramatici  berührt.  Es  wird  die  griechische 
in  möglichster  Symphonie,  sonderlich  der  capitum  und  andere  Stücke 
mit  der  lateinischen  Grammatik  gemacht.  Es  wird  nächstens  ein  Auszug  aus 
den  Epist[olis]  Cic[eronis]  ad  fam[üiares]  und  ad  Attic[nm]?  auch  aus  andern 
autoren,  als  dem  Plinio  etc.,  nach  den  profectibus  der  discentium  in  gewisse 
classen  getheilt,  zum  gebrauch  der  Märkischen  Schulen  gedruckt  werden. 
Weil  ich  gesehen,  dass  die  Logic  einem  Manne  sollte  auszuarbeiten  gegeben 
werden,  der  dazu  gar  nicht  aufgelegt,  hab  ich  es  dahin  vermitteln  helffen, 
dass  sie  einem  andern  zugekommen,  der  wohl  in  Jahr  und  tag  noch 
nicht  gedencken  wird,  wie  er  anfangen  müsse,  da  dann  die  Societät,  wann 
sie  einen  tüchtigem  Vorschlag  wüste,  unterdessen  eine  herausgeben  und 
wegen  einfuhrung  besorgt  seyn  könnte.  In  unserer  Schul  sollte  es  zuerst 
geschehen. 

Der  Cronprinz  richtet  zu  Magdeburg  im  Citadell  eine  kleine  Aca- 
demie  für  cadetten  an;  das  Werck  dirigirt  ein  gewesener  Hauptmann 
Nahmens  Bosse'"),  mit  welchem  ich  hier  bekannt  worden:  ein  guter 
mathematicus  und  in  allerley  Wissenschafften  wohl  versirter  Mann.  Es 
sollen  die  jungen  Edelleuthe  absonderlich  zu  mathematischen  Wissen- 
schaften gezogen  werden,  auch  zu  Historie  und  Sprachen  etc.  Ich  ver- 
bleibe etc. 

.1.  L.  Frisch. 

Berlin  den  7.  Novfembris]  1710. 

22. 

Frisch  an  Leibniz. 
Hoch  Edler  pp.  Wegen  H[errn]  Kemmerichs'24)  wird  Ew.  Exc[ellenz] 
schon  Nachricht  von  M[onsieu]r  Ancillonias)  oder  H[errn]  Kemmerich  selbst 
empfangen  haben.  Ich  kenne  ihn  nicht.  Meine  gute  Freunde  bezeugen 
mir,  dass  seine  condnite  mit  seiner  gelahrtheit  übereinkomme.  Die  Hecken 
von  Maulbeerbäumen  sind,  wie  Ew.  Exc[ellenz]  schreiben,  sehr  practi- 
cable  und  können  gleich  im  andern  Jahr  genuzt  werden;  bey  uns  zu 
Berlin  sind  sie  um  so  viel  besser  zu  nuzen,  weil  man  ihre  zarten  blätter 
denen  Würmern  fast  biss  auf  die  lezte  Woche  geben  kan:  hernach  mit 
denen  grossen  bäumen  das  lezte  Füttern  absolviren.  In  zweierley  fällen 
aber,  wann  einer  lauter  Hecken  und  keine  grosse  bäume  hätte  und  doch 


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30 


Joli.  Leoni».  Friscli's  Briefwechsel  mit  <*.  \V.  I.eibniz. 


viel  Würmer,  oder  wann  einer  die  gärten  von  seiner  Würmer-Kammer 
etwas  weit  entfernt  hätte  und  in  der  fütterungszeit  regenwetter  einfiele, 
so  würde  es  solche  difficultäteu  sezen,  in  welche  sich  tumme  anfanger 
nicht  leicht  würden  schicken  können.  Dann  um  solche  Zeit  moss  man 
zum  wenigsten  auf  2  tag  allzeit  blätter  im  vorrath  haben.  Die  Hecken- 
blätter aber  dauern  kaum  einige  stunden,  sind  bald  so  welck,  dass  sie 
der  Wurm  nicht  mehr  anrührt.  Im  anfang  aber,  ehe  man  so  grosse 
Quantitäten  Würmer  hält,  sind  sie  ganz  gut  und  bekommem  in  einigen 
Jahren  bald  so  starcke  blätter,  die  länger  und  mehr  stunden  können  auf- 
bewahret werden.  Ein  artig  experiment  hab  ich  vergangenen  frühling 
gehabt,  woraus  ich  gesehen,  wo  der  Durchlauf  der  Würmer  und  das 
daraus  folgende  löcherichte  Spinnen  der  Cocons  herkommt.  Ich  habe 
Würmer  in  ein  egal  warmes  Zimmer  gethan  also  dass  ich  die  Grad  der 
Wärme  mit  dem  Wetterglass  gemessen :  da  hab  ich  kaum  einige  löcherichte 
Cocons  bekommen,  welche  vielleicht  von  solchen  löchericht  spinnenden 
Würmern  hergekommen;  worinnen  ich  gleichfalls  die  versicherte  Prob 
habe,  dass  ein  solcher  Wurm,  so  von  krancken  alten  herkommen  nimmer 
wider  zurecht  zu  bringen,  sondern  die  Kranckheit  der  alten  auch  bei- 
der besten  Warte  bekommt  und  untüchtige  Eyer  spinnt.  Hingegen  hab 
ich  von  andern  Würmern  in  einein  andern,  nur  etwas  kältlichen,  sonst 
aber  wohl  verwahrten  gemach  viel  solche  Würmer  bekommen,  die  alle 
löchericht  gesponnen,  dann  die  reinlichkeit  dieser  Creatoren  lässt  nach 
Proportion  der  grosse  ihrer  Kranckheit  entweder  ein  oder  zwey  löcber, 
damit  sie  in  der  Arbeit  nicht  etwan  mit  ihrem  fluxu  ventris  ihre  Arbeit 
innen  besudeln.  Ich  hab  hierinnen  die  Grad  so  observirt,  dass  ich  sie 
wegen  dieser  Kranckheit  dahin  gebracht,  dass  sie  das  seltsamste  gespinst 
gemacht,  sogar  dass  einige  nur  den  Kopff  als  in  eine  Kugel  eingesponnen 
und  den  Leib  ganz  heraus  geblieben.  Ich  hab  daraus  so  viel  schon 
gelernet,  dass  was  die  andern  in  ihren  Schrifften  den  blättern  schuld 
gegeben,  die  durch  gewisse  Meelthau  sollen  verderbet  worden  seyn,  viel- 
mehr vom  Wetter  und  übler  Verwahrung  der  Zimmer  hergekommen. 
Weil  ich  denen  Würmern  solche  blätter  vorgelegt,  und  niemahl  gesehen, 
dass  sie  dieselben  auch  bey  grossem  hunger  gefressen,  sondern  sind 
darüber  hingekrochen;  weil  dieser  Wurm  seine  meiste  Sinnlichkeit  im 
geruch  und  fühlen  an  den  tag  gibt;  welcher  geruch  so  delicat,  dass  er 
unter  vielen  blättern  das  gute  heraus  sucht,  und  so  starck,  dass  er  ein 
blat  1V2  ruten  weit  riechen  kan,  so  ich  mit  den  frisch  auskriechenden 
Würmlein  zum  öfftern  probirt.  Ich  hoffe  durch  dergleichen  Observationen, 
die  ich  alle  Jahr  zu  befestigen  suche,  die  Seidenzucht  in  grössere  bestän- 
digkeit  zu  bringen,  als  sie  jemahls  gewesen.  Ew.  Excell[enz]  verzeihen 
mir  meine  Weitläufftigkeit  hirvon. 

In  dem  garten  zu  Cöpenick  will  ich  lauter  Heckengänge  anlegen 
und  dieses  Jahr  zum  wenigsten  ein  viertheil  daran  also  zurichten  lassen. 


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Job.  Leoni».  Friucha  Briefwechsel  mit  G.  W.  Lehnte.  31 

• 

Ich  habe  die  Leute,  so  von  unsern  bäumen  Seide  gemacht  um  gewissen 
Pacht,  dahin  gebracht,  dass  sie  die  Seide  in  meiner  gegen  wart  auf  den 
Stuhl  tbun  und  alle  umstände  verrichten  müssen,  dass  ich  gesehen,  dass 
keine  fremde  dazu  kommt,  wie  dann  unsere  Seide  um  des  egalen  ge- 
spinstes  willen  von  allen  andern  distinguirt  ist.  Von  dieser  Arbeit  sind 
dem  König  5  Stück  des  schönsten  Atlasses  überreicht  worden.  Tch  hab 
von  meiner  haussarbeit  wohl  dreyerley  Stück  feinen  Zeuges  wircken  lassen, 
da  ich  zu  40  Ehlen  nicht  gar  Pfd.  gute  Seide  vonnöthen  gehabt.  Also 
dass  ich  durch  Zeigen  und  überlieffern  so  vielerley  gewirckes  den  Hoff 
ganz  voll  gemacht,  dass  die  Societät  halb  und  halb  gezwungen  wird, 
ein  mehrers  als  bissher  zu  thun. 

Es  sind  nunmehr  drey  jähr,  dass  ich  hierinnen  nach  möglichkeit 
gedient,  hoffe,  man  wird  desswegen  inskünfftig  solche  reflexion  auf  mich 
machen,  dass,  wie  mir  Ew.  Exc[ellenzJ  hoffnung  macht,  mir  eine  billige 
Ergözlichkeit  dafür  gemacht  werde,  sonderlich  da  in  heranwachsen  des 
Wercks  die  versäumung  meiner  andern  Verrichtungen  gemehret  wird. 

Wegen  der  Logik  wäre  es  eine  arbeit,  die  unsterblichen  Danck 
verdienete,  wann  unter  Ew.  Exc[elleuz]  direction  sich  jemand  fände,  solche 
auszuarbeiten.  Es  haben  die  Schulrectores  dieselbe  einem  Mann  gegeben, 
der  wohl  so  laug  er  lebt  wegen  Kranckheit  und  Verdriesslichkeit  kein 
caput  absolviren  wird;  ob  er  es  sonst  kan,  weiss  ich  nicht.  Die  Societät 
inu88  hier  das  Werck  wegen  Scientien  angreiften  und  nebst  der  Ehre 
auch  den  profit  ziehen. 

Es  ist  hier  ein  gewisser  feiner  mathematicus ,  H[errJ  Moilwiz'-,:), 
welcher  mein  Tischgenoss  und  mir  in  der  mathesi  einige  anweisung  gibt, 
welcher  das  vorhabende  Wässerungs-Werck  zu  befördern  als  ein  guter 
mechanicus  sehr  geschickt  ist.  Er  findet  die  Wiudmühl-Flügel  sehr 
practicabel  und  weil  hier  der  Wind  nicht  recht  gebraucht  w  ird  ausser 
von  einigen  Windmühlen,  er  aber  die  Horizontal- Windmühlen  absonderlich 
versteht,  so  dass  er  alle  Unkosten  restituiren  will,  wann  sie  nicht  an- 
gehen, als  meinet  er,  dass  man  an  einigen  Orten  die  tiefte  des  Wassers 
und  seinen  wenigen  Trieb  mit  solchen  langen  Flügeln  im  Wasser  ge- 
brauchen, an  andern  orten  einige  solche  Horizontal-Flügel  aufrichten 
könnte,  die  da  immer  pumpten  und  die  Pläze  wässerten.  Wollte  die 
Societät  hierinnen  einigen  geringen  Vorschuss  thun,  solche  machinen  zu 
machen,  so  wollte  ich  gern  hierinn  dienen,  sonst  werde  ich  und  Herr 
Mollwiz  eine  Compagnie  mit  einigen  bemittelten  Persohnen  machen,  vom 
König  genügsame  unfruchtbare  Pläze  dazu  ausbitten  oder  kauften  und 
Vorgänger  werden,  dem  terrain  unsers  Lands  auf  diese  Art  zu  hülff  zu 
kommen. 

Mein  Lexicon12  )  ist  zu  Leipzig  unter  der  Presse.    Es  hat  mir  Herr 
Gleditsch13*)  schon  einige  Bogen  davon  geschickt.    Ich  verbleibe  etc. 
Berlin  den  20.  Nov[embris]  1710.  Job.  Leonh.  Frisch. 


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32 


Joh.  Lconh.  Frisch'»  Briefwechsel  mit  CS.  W.  Loibnir. 


23. 

Frisch  an  Leipzig. 

HochEdler  pp.  Dass  Ew.  Excell[enz]  mich  bey  dem  H[errn]  von 
Prinzen l2y)  recommendiren  und  mich  zu  denen  Qualitäten,  die  sie  mir  in 
der  recommendation  bey  legen,  geneigt  aufmuntern  wollen,  erkenne  ich 
mit  allem  gehörigen  respect  und  versichere,  dass  ich  eifferigst  bemühet 
seyn  werde,  mich  solcher  affection,  durch  welche  ich  auch  bey  einem 
solchen  grossen  Königlichen]  minister  bekannt  werde,  nicht  unwürdig  zu 
machen.  Ich  werde  ein  Stündlein  ablauern,  demselben  meine  Aufwartung 
abzustatten.  Den  4.  December  war  die  Societät  auf  dem  observatorio 
beysammen.  Es  wurde  die  neue  Verordnung130)  ausgetheilt  und  ein  jedes 
departement  wehlte  einen  directorem.  Es  wurde  vorher  eine  Eintheilung 
herum  geschickt,  da  sich  ein  jedes  membrum  unterschreiben  musste,  in 
welchem  departement  es  mitzuarbeiten  beliebte.  Herr  Krug13')  war  nicht 
dabey,  ist  aber  doch  in  der  classe  medica  und  physica  zum  director 
gewehlt  worden.  Es  kamen  auch  zwey  neue  membra  mit,  als  H[err] 
Hofprediger  Achenbach1")  und  H[err]  Dr.  Volkmann113),  Rector  im  Jochim- 
thal[schen]  Gymnasio.  Die  Franzosen  fielen  im  3.  departement,  nemlich 
in  der  Cultur  der  teutschen  Sprach  und  teutschen  Historie  auf  den  Hjerrn] 
Rath  Schott114)  und  überstimmten  die  andern  mit  ihren  votis,  weil  er 
ihnen  wegen  der  französischen  Sprach  besser  an  die  Hand  gehen  könne. 
In  summa:  weil  die  Societät  noch  in  infantia  ist  oder  dieselbe  kaum 
verlassen,  so  passirten  auch  bey  einigen  Umständen  solche  Dinge,  die 
dieses  Alter  zu  haben  pflegt.  Die  Herrn  Directores  wehlten  hernachmahls 
den  H[errn]  Hoffprediger  Jablonski185)  zum  ersten  vicepraesidenten  in 
einer  sonderbahren  Zusammenkunft*.  In  diesem  Neuen  Jahr,  zu  dessen 
glücklichen  anfang  Ew.  Exc.fellenz]  hiemit  gebührend  gratulire  und  alle 
fernere  Prosperität  an  wünsche,  ist  die  Societät  wider  beysammen  gewesen, 
da  ihr  dann  das  inaugurations  reglement  vorgelesen  wurde,  welche  den 
tag1'6)  nach  dem  Crönungs-Gedächtnüs  geschehen  soll,  Es  wurde  auch 
resolvirt,  [an]  welchem  tag  wöchentlich  die  Conferenzen  künfftig  sollen 
angestellet  werden  und  wurde  der  Donnerstag  beliebt.  Der  H[err]  Hof- 
pred[iger]  Jablonski  unterliess  nicht,  Ew.  Exc[ellenz]  honorificentissime  zu 
gedencken  und  dero  gegenwart  zu  wünschen,  worinnen  ihm  alle  beyzu- 
fallen  ursach  hatten.  Es  erwehnte  H[err]  Jablonski,  dass  der  Cronprinz 
ehmals  versprochen,  seine  mathematische  instrumenta,  deren  er  einen 
ganzen  Kasten  voll  hatte,  der  Societät  zu  geben,  wann  er  würde  sehen, 
dass  etwas  darinnen  gethan  würde.  Allein  ich  hab  diesen  Kasten  schon 
bey  dem  H[errn]  Hauptmann  Bossen  gesehen,  welchem  der  Cronprinz 
denselben  zur  neuen  Cadettenacaderaie  zu  Magdeburg  verehrt;  ist  also 
dieses  schöne  praesent  versäumt  worden. 

Es  ist  nicht  allein  der  H[err]  Obermarschall137),  sondern  auch  der 
H[err]  Oberkammerherr1:'s)  von  hiesigen  Hoff  weg,  doch  nicht  auf  einerley 


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Job  T.eouli.  Kiiscli'.s  ftiiifwerliscl  mit  (i.  W.  I.dlmiz.  33 

Weist*.  Ich  bedaure  sie  gleichfalls  wegen  der  gnade,  die  sie  mir  bevin 
Seidenwerck,  auch  sonsten,  bezeugt.  Dass  aber  der  faule  Planteur  zu 
Copenik  eine  stüze  seiner  bissherigen  conduite  verlohren,  freuet  mich 
nicht  wenig  und  hoffe  ich  aus  selbigem  Garten  noch  was  schönes  und 
nüzliches  zu  machen.  Ich  will  ein  quartier  als  einen  Irrgarten  anlegen, 
dem  noch  mancher  Berliner  zu  gefallen  reisen  und  dem  Planteur  einige 
groschen  accidens  eintragen  soll.  Ich  habe  wider  etwas  frischen  Wiirm- 
saamen  ans  Italien  erhalten,  aber  allbereit  unter  den  hiesigen  zur 
erfrischung  gemenget. 

Zwey  von  denen  ehmahlen  eingenommenen  drey  membris  haben 
wenig  reputation  hier  behalten,  nemlich  II[err]  Ölven  und  H[err]  v. 
Meisebug13*):  der  dritte  manutenirt  sich  kümmerlich,  nemlich  H[err] 
Marperger;  er  hat  ein  Lexicon  unter  bänden  auf  art  des  französischen 
Academique,  was  die  termiuos  teehnieos  im  teutschen  und  andern  Dingen 
anlangt,  allein  es  wird  sehr  zerstümmelt  sein,  weil  er  allein  thun  will, 
was  dorten  ihrer  so  viel  in  so  langer  Zeit  kaum  gethan.  Von  meinem 
französisch  teutschen  Lexieo  ist  ein  aiphabet  fertig.  Gleditsch  schickt 
mir  alle  Bogen,  damit  ich  das  teutsch  französische  auch  verfertigen 
könne,  wozu  mir  ein  paar  verstandige  Franzosen  vielen  Beytrag  thun. 
Ich  will  es  dem  H[errn]  v.  Prinzen  dediciren,  um  ihm  dadurch  sowohl 
als  Cousistorial-  als  Sociotäts-Praeses  rechenschaft  von  meinen  Neben- 
stnnden  zu  geben  und  mich  zum  gemeinen  besten  ferner  zu  insinuiren. 
Die  drey  von  denen  Herrn  directoren  sind  von  der  Baum-  und  Seiden- 
zucht zimlich  informirt  und  nicht  wenig  überzeugt,  dass  es  practicabel, 
den  vierdten,  nemlich  Hferrn]  v.  Krug  hoffe  ich  zu  gewinnen,  also  dass 
mir  das  concilium  hernach  desto  mehr  wird  unter  die  arme  greiften. 
Ich  verbleibe  etc. 

.1.  L.  Frisch. 

Berlin  den  12  Jau[narii]  1711. 

24. 

Frisch  an  Leibniz. 
HochEdler  pp.  Weil  E[w.]  Exc[ellenz]  in  M[onsieu]r  la  Croze  briefen 
einem  mich  erinnern  lassen,  zu  schreiben,  hab  ich  daraus  geschlossen, 
dass  sie  mir  es  werden  zu  gut  halten,  wann  ich  hieinit  beschwerlich 
bin.  Ich  wollte  nicht  ehe  schreiben,  biss  ich  etwas  in  die  Miseellanean;') 
übersehieken  könnte.  Allein  ich  bin  durch  andere  Dinge  so  distrahirt 
worden,  dass  ich  dissmahl  noch  nichts  beyfügen  können,  hoffe  aber 
nächstens  mit  der  origine  Sclavonica  einiger  Nanicu  der  Länder,  Stätte 
und  Ürter,  so  aus  der  Geographie  sonderlich  Teutschlandes  bekannt 
sind,  fertig  zu  werden  und  es  Ew.  Exe[ellenz|  zu  überschicken,  ob  sie 
es  tauglich  finden,  in  die  Miscellanea  zu  sezeu'"}.  Ich  habe  auch  an- 
gefangen Observationes  über  des  Du  Fresue  Glossarium  Lat[iiiuniJ  "•)  zu 

6 


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34 


.Mi.  Lt;onli.  Frisch  *  r.rict'wi  iliscl  mit  (i.  \V.  Li'ilmi*. 


machen  und  habe  literam  A  fertig:  ingleichen  über  des  Menagii  Urigines 
( "lallicas' 1  ) ,  wovon  ich  auch  literam  \  fertig  ha  Im*.  Wann  es  Ew. 
Kxc[ellenz|  gefällig,  will  ich  es  mit  ühersehieken.  Wegen  unsers  Seiden- 
werks habe  ich  einen  Streich  gemacht,  der  mir  so  glücklich  angegangen, 
dass  es  jezt  mit  vollem  Trabe  anfangt  zu  gehen.  Man  will  einen  garten 
kauften,  da  man  biss  30000  Käumlein  in  die  Schule  sezen  kau,  ein  haus* 
dazu  bauen  und  viel  andere  vorher  nie  angehörte  Dinge  thun.  Wie 
lang  diesser  Kiffer  währen  wird,  weiss  ich  nicht;  doch  ist  es  leicht, 
nachdem  das  schwerste  überwunden  und  das  Kiss  gebrochen  ist,  anjezo 
fortzufahren.  Jch  werde  nicht  unterlassen,  mit  aller  Dienstfertigkeit 
mich  der  Sache  nach  meinem  wenigen  vermögen  ferner  anzunehmen. 

Wir  haben  eine  autliam'")  pneumatieam  bekommen  und  dieselbige 
einige  mahl  mit  den  gemeinesten  Experimenten  versucht:  IlferrJ  Rath 
llofmann  hat  sie  auch  sehr  gut  befunden;  aber  dieser  Herr  wird  uns 
leider  entrissen"  )  und  gebt  wider  nach  Halle.  Herr  Mollwiz  hat  ein 
model  von  einer  llorizontal-W  iudmühl  machen  lassen,  weil  sich  U[err] 
v.  Kraut  eine  solche  Mühl  zu  einem  Springbrunnen  will  in  seinen  garten 
sezeu  lassen. 

Die  blaue  Färb  fangt  immer  stärcker  an  zu  gehen  und  tluit  den 
Mahlern  gute  Dienste.  Zur  chymiseltcii  Arbeit  hab  ich  es  zwar  bey  der 
Societät  dahin  gebracht,  dass  man  einige  instrumenta  angeschafft,  aber 
weiter  kommt  es  nicht.  Ks  muss  einmahl  ein  Keil  kommen  wie  bey 
dem  Seideuwerk.  Hoffe,  Ew.  Exc[ellenz]  werden  Ihre  ehmahlige  gewo- 
genheit  gegen  mich  ferner  eontinuiren,  verbleibe  etc. 

Job.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  1  Martii  1712.  '  t 

25. 

Frisch  an  Leibniz. 

HochEdler  pp.  W  ann  ll[err]  D.  (Johl1")  aus  dein  freyenwaldisehen 
Brunneu  nach  vertliessung  der  Sommerzeit  wider  kommen  wird,  als 
wobev  er  ordentlicher  Medicus  ist,  wollen  wir  unsere  observationes 
chvinicas  wider  anfangen.  Anstatt  der  Kitter-Acadcmie1'7),  so  einge- 
gangen, nimt  jezt  die  kleine  Academie  vor  allerhandt  Standspersohncn , 
so  M[onsieu|r  Briand")  angerichtet,  fein  zu.  Die  Anstalten  sind  besser  und 
versprechen  mehr  Dauerhaftigkeit.  Es  wurde  anfänglich  nur  für  so 
junge  Herrn  angerichtet,  welche  der  grossen  Academie  noch  zu  klein 
waren,  damit  dieser  kein  Abbruch  geschehen  möge:  nun  aber  dörffen 
wohl  Anstalten  auch  zu  einer  grossen  gemacht  werden.  Ich  habe  bissher 
noch  immer  darinnen  informirt,  und  sind  bischer  bald  auf  einander 
Ü"  Moscowitisdie  Prinzen  oder  Knaescn  zu  uns  gekommen,  nemlicb 
3  Ifepnin  und  3  Dolgoruki,  deren  jene  Brüder,  diese  von  verschiedenen 


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Jon.  Leonli.  Krisch  s  Bricfwi-i bsi'l  mit  <i.  W.  Leihniz. 


Yättern;  du  mir  dann  mein  weniges  von  der  Kussischen  Sprach  wohl  zu 
statten  kommt. 

Wegen  unsere  Seidenwercks  stellt  es  noch  in  den  alten  schläfferigen 
anstalten.  Der  albere  Italiäner1'')  hat  einen  Haspel  machen  lassen,  der 
von  solcher  grosse,  dass  wir  ihn  bey  dem  gröstcn  flor  solches  Wcrcks 
kaum  brauchen  sollten,  nimmermehr  aber  brauchen  werden.  Es  sind 
dergleichen  Sudel-maehinen  in  Italien  an  vielen  Orten  vcrbotten.  Es  ist  eine 
Königliche]  Comtnissiou  wegen  des  Seidenwerks  gehalten  worden,  wovon 
H[err]  Secretarius  Jablonski  wohl  Nachricht  wird  gegeben  haben.  Ich 
werde  in  keinem  Stück  mehr,  wie  ich  es  um  die  Soeietät  vermeine  ver- 
dient zu  haben,  in  5  und  mehr  Jahren,  da  ich  dieses  Werk  zu  treiben 
gesucht,  considerirt,  und  unterlasse  doch  nicht,  so  viel  dabey  zu  thun, 
als  ich  kan.  Man  heisset  uns  bey  Hoff  des  grands  faiseurs  de  rien. 
Ich  habe  von  der  Commission  nicht  das  geringste  gewust  oder  erfahren, 
da  ich  doch  denen  Herren  Commissariis  hätte  die  beste  Nachricht  geben 
können.  Meine  administration  hat  der  Soeietät  nichts  gekostet,  und 
wünsche,  dass  die  neue  nicht  mehr  kosten  möge.  Ich  habe  aber  von 
Ew.  Exc[ellenz]  nicht  wenig  Grossmnth  gelernet,  wie  man  durch  die 
Hinderung  des  eigenen  corporis  Societatis  müsse  suchen  durchzudringen, 
nachdem  ich  durch  die  raillerien  des  Hofs  und  der  Bedienten  desselben 
an  vielerley  Orten  durchgedrungen.  Gott  erhalte  Ew.  Excfellenz]  noch 
lange  Jahre,  dann  wann  noch  etwas  geschieht,  so  thut  man  es  aus  ge- 
bührender Reflexion  auf  Sie,  sonst  wäre  unser  Werck  ein  Gespenst  und 
Schatten,  über  den  man  sich  ungemein  moquiren  würde.  Der  Mann  zu 
Spandau  hat  20  Pfd.  gemacht,  nicht  50,  wie  Ew.  Exc[ellenz]  berichtet 
worden;  zu  Köpenik  ist  gar  nichts  gemacht  worden,  und  zu  Potstam 
auch  nicht.  Man  sagt  von  grossen  und  feinen  anstalten  aufs  künfftige 
Ja.hr  in  diesem  Stück,  aber  ich  kan  es  nicht  glauben,  biss  ich  es  sehe. 
Zum  wenigsten  ist  der  Herbst  schon  da  und  noch  nicht  ein  mahl  ein 
Plaz  gekaufft,  da  ich  doch  unterschiedliche  angewiesen  und  in  meinem 
garten  durch  deu  Augenschein  an  etlich  1000  Bäumlein  gezeigt,  wie 
practicable  es  seye,  in  dem  unfruchtbarsten  Sand  solche  gärten  anzu- 
richten. Künfftige  Michaelis  soll  Herrn  Bernoulli1  u)  zu  Leipzig  ein'  ■„.  Pfd. 
von  dem  Berlin[er]  Blau  bey  HferrnJ  J.  Fr.  Gleditsch  zu  Dienste!!  stehen, 
dafür  15  thaler  ordentlich  bezahlt  wird.    Ich  verharre  etc. 

J.  Ii.  Frisch. 

Berlfin]  den  2  Sept[embris]  1712. 

26. 

Frisch  an  Leibniz. 
HochEdler  pp.     Das  gebäude,  wo  rinnen  ich  wohne,  ist  unverlezt 
in  dem  grossen  Brand'  ')  stehen  blieben,  da  doch  auf  der  einen  Seite 
die  Kirche,  auf  der  anderen  das  magazin  und  hinten  die  daran  stossende 


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36" 


.loh.  I.i'<>nh.  Krisch'8  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leihnir.. 


Schul  abgebrannt.  Uberdas  war  wenig  Wasser  zu  bekommen  und 
wurden  alle  Leute  vom  löschen  weggenommen  samt  deuen  Sprüzen,  die 
auch  schon  glimmende  Acadeinie  zu  retten,  also  dass  ich  aus  vielen 
glimmenden  alten  Balcken  das  Feuer  mit  Stücken  von  Tachziegelu  aus- 
gekrazt.  Bey  dieser  gelegenheit  hab  ich  gesehen,  was  für  elende  Sprizen 
allhier  sind.  Herr  Günther  hat  ein  feines  model  gemacht  von  einer 
Sprize,  mit  einem  Strahl,  ohne  Windkasten,  wofür  er  200  thlr.  recompens 
bekommen,  und  sind  12  grössere  Stücke  bey  ihm  bestellt.  Unser  Seiden- 
werk hat  noch  ein  schlechtes  ansehen.  Ks  ist  noch  kein  Plaz  gekaufft 
zur  Verpflanzung  der  vielen  Bäumlein.  Man  communicirt  mir  fast  gar 
nichts  mehr  und  will  mit  gewalt  mit  Schaden  klug  und  müde  werden. 
Zu  Cöpenik  wird  die  Societat  eine  Persohn  auf  ihre  Unkosten  halten; 
welches  ich  ehmals  auf  meine  Unkosten  gethan  und  Schaden  dabey 
gehabt.  Der  unnüze  Italiäner'  -j  ist  abgeschafft.  Herr  Molwiz  hat  das 
monopolium  von  Blevwalzen  erhalten;  er  schafft  (bis  hiev  so  dünn,  als 
man  niemahls  gehabt,  und  woldfeiler,  als  man  es  bissher  ins  land  geführt. 
Herr  Gleditseh  hat  mir  noch  nicht  geschrieben,  ob  ein  Basler  wegen 
Herrn  Bernoulli  bey  ihm  gewesen:  ich  kau  so  viel  Farbe  nicht  machen, 
als  zum  voraus  bestellt.  Es  haben  mir  einige  Italiener  viel  Geld  für 
das  Secret  gebotten,  aber  vergeblich,  dann  ich  geniesse  dasselbe  schon 
bey  dem  geringen  debit,  als  interesse  von  12000  thlr.  capital,  und  dahin 
erstreckt  sich  ihr  gebottenes  geld  nicht. 

Als  Jhro  Maj[estät]  der  ("zar1  *)  hier  war,  Hess  er  meine  6  junge 
Knesen,  die  ich  in  der  information  habe,  alsbald  hohlen  und  fragte  nach 
ihren  studien.  Es  sind  3  Dolgoruki  von  zweyerley  Fürsten  dieses 
Namens,  und  3  Repnin  gebrüder.  Ich  habe  die  Ehre  gehabt,  den  hiesigen 
Herrn  envoyc,  (trafen  von  Golowkin1  l),  auch  2  .fahr  zu  infonniren,  als 
er  vor  7  Jahren  hier  war.  Wann  man  doch  bey  ilujo]  Czarischen 
Maj[estät]  könnte  einen  befchl  auswirken,  dass  Sie  ein  rechtes  Lexicon 
machen  Hessen.  Das  l'olycarpi1 '  )  seines  ist  nicht  zulänglich,  dann  da 
ist  kein  Unterschied  unter  dem  Selavonisehen  und  Russischen  bemerkt, 
auch  das  griechische  und  andere  dazu  gesezte  Sprachen  nicht  wohl 
getroffen.  Es  würde  denen  unter  uns  sich  aufhaltenden  Moscowiteru  gute 
Dienste  thun  und  viele  von  uns  geschickter  machen,  ihnen  zu  dienen. 
Ich  verbleibe  etc. 

.1.  L.  Frisch. 

Berlin  den  29  OctobjnsJ  1712. 

27. 

Frisch  an  Eeibniz. 
Monsieur1  ').    Wegen  des  Seideuwerks  bey  der  Societat  ist  bissher, 
nachdem  man  mich   der  Ehre  eines  mandatarii   hierinnen,   weiss  nicht 
aus  was  für  Absichten,  überheben  wollen,  viel  confusion  vorgegangen. 


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Job.  Leonh.  Frisch  »  Briclwcehsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


37 


Da  das  concüium  beschlossen,  es  soll  mir  alles  communicirt  werden,  ist 
es  in  bagatuellen  etwan  geschehen,  in  andern  puneteu,  wo  ich  schon  mit 
Schaden  klug  worden,  und  zwar  mit  meinem  Schaden,  hat  man  es  auf 
der  Societät  Schaden  wider  versucht.  Es  hat  mich  vor  einigen  Monaten 
das  i'oncilium  ersucht,  des  HferrnJ  Seeretarii1  )  Rechnungen  durchzu- 
gehen, und  habe  ich  gesellen,  was  für  ein  [  literschied  unter  meiner 
Aufsicht  dieses  Werks  und  unter  des  Suecessoris:  wo  ich  6  gr.  Zehrungs- 
kosten  augesezt,  sind  da  6  thlr.  etc.  Aus  was  Frsachen,  und  ob  H[errJ 
Gundelsheim  1;,>)  der  Sache  übel  gewogen  gewesen,  weiss  ich  nicht.  Da 
der  Herr  Feldmarschall1 ")  hörte,  dass  ich  nichts  mehr  bey  dem  Werc.k 
zu  thun,  liess  er  alle  Schlächter  und  Viehhändler  auch  seine  eigene  Kühe 
auf  die  Contrescarpe  treiben  und  unsere  Pflanzen  daselbst  elend  zurichten. 
Ich  hab  es  endlich  völlig  stehen  und  gehen  lassen  und  für  mich  etwas 
angefangen.  Weil  meine  Färb  zugleich  in  grossen  debit  kam,  also  dass 
verflossenes  Jahr  allein  auf  l'aris  100  Pfd.  gelieflert  worden,  davon 
wir,  das  Pfd.  für  30  thlr.,  bey  3000  thlr.  gezogen,  habe  ich  vor  hiesigem 
Spandaiiisehen  Tohr1  ")  10  Pläze  an  einander  zusammen  gekauft't,  jeder 
40  ruthen  ius  gevierdt,  und  darinnen  allerley.  experimenta,  sonderlich 
aber  mit  Pflanzung  der  Maulbeerbäume  und  Hecken  gemacht;  auch  dieses 
.lahr  mit  einigen  Pfunden  Seiden  den  anfang  zum  genuss  dieser  Pflanzen 
gemacht 

Das  aufgerichtete  Theatrum  anatoinicuin1,:i)  wird  wohl  bleiben;  aber 
vor  den  schönen  angelegten  hortum  botanicum  ist  es  schad,  dan  es  kan 
niemand  mehr  so  viel  daran  wenden  als  H|err]  Gundelsheim  aus  eigenen 
Mitteln  getahn.  Bey  der  Societät  wird  es  fast  täglich  seblätteriger  in 
allen  departementen.  Neulich  ist  die  vicepraesidentenstelle  wider  an 
H[errn]  Hott'prediger  Jablonski  gekommen,  da  unter  andern  H[err] 
Achenbach  proponirte,  ob  nirht  die  sämtlichen  membra  ött'ter  als  jährlich 
nur  einmahl  könnten  zusammen  kommen,  und  man  allda  von  der  Notturfl't 
der  Societät  deliherirte,  dass  es  nicht  alles  auf  die  wenigen  directores 
imConcilio  ankäme,  man  auch  sich  unter  einander  besser  kennen  lernte, 
wann  es  wenigstens  alle  viertel  Jahr  geschehe;  welchem  alle  bey  fall 
gaben.  Ich  behalte  indessen  bey  aller  Schläfrigkeit  derauderneine  ungemeine 
last,  sonderlich  in  physicis  etwas  zu  thun.  Es  sind  nun  zwey  Jahr,  dass 
ich  die  insecta  und  ihre  Natur  untersuche  um  zu  sehen,  ob  Schwammer- 
daml,:),  Kedi"'),  Johnston1  7,  (ioedart1  ")  und  andere  in  ihren  obser- 
vationibus  nicht  biss weilen  betrogen  worden,  vieles  übersehen,  vieles  gar 
nicht  gesehen. 

Herr  Eckart1  )  hat  mich  mit  seinem  etymologischen  teutscheu 
Lexicon  fast  erschreckt,  aber  ich  habe  mich  doch  wider  erhohlt  und 
fahre  fort,  in  dieser  Materie  meine  gedancken  aufzuzeichnen:  es  wird 
doch  immer  einer  etwas  haben,  das  der  andere  nicht  hat.  Ich  möchte 
gern  die  eorrespondenz  dieses  hieriuuen  so  erfahrenen  Mannes  haben. 


38 


Joh.  Leonh.  Frisch  s  Briefwechsel  mit  G.  \V.  Leibniz. 


Ich  hab  gehört,  er  sey  auf  Hannover  gekommen,  weiss  aber  keine  addresse 
an  ihn.  Herr  Spener1  •>)  hat  der  Herrn  von  Putlitz  Historie  und  Chrouik 
verfertigt,  weil  es  aber  zu  weitläufftig,  auch  nöthig  hat,  noch  einmahl 
durchgegangen  zu  werden,  ist  es  bissher  liegen  blieben ;  ich  hab  aus  mehr 
als  200  diplomatibus  eine  Landcarte  des  Bistum  Havelbergs1  dazu 
gemacht,  welche  ich  gern  wider  haben  möchte  als  ein  Stück  der 
Geographie  mittler  Zeiten,  davon  man  noch  so  gar  wenig  hat.  Ich  verbleibe 

Joh.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  26  Julii  1715. 

28. 

Frisch  an  Leibniz. 
Wegen  dor  hiesigen  Academie  berichte,  dass  auch  diejenige,  so 
M[onsieu]r  Briand  angefangen  und  in  zimlichem  Flor  war,  so  dass  etlich 
20  Fürsten  und  Grafen  und  andere  Standspersohnen  darinnen  waren, 
auch  schon  zergangen.  Ich  hab  einige  .Jahr  darinnen  informirt,  und  der 
director,  den  ich  gesucht,  so  lang  es  möglich  war,  mich  meiuem  genügen 
vermögen,  theils  durch  informiren,  theils  durch  geld  vorstrecken  zu  fristen, 
hat  endlich  schimpflich  durchgehen  müssen  und  mich  unbezahlt  gelassen. 
M[onsien|r  Colas,  u)  ist  bedauernswert  und  ist  ohne  Zweiffei  in  seinem  ge- 
wissen Beginnen  aus  Neid  gestört  worden.  Seine  curiosität  übertrifft  aller 
anderer  ihre,  die  hier  dergleichen  von  sich  ausgeben  und  mir  bekannt 
sind.  Wer  Hferrn]  Gundelsheim  als  Leibmediens  succedirt,  weiss  ich 
nicht  gewiss:  wir  bekommen  nicht  viel  gewisse  Nachricht  aus  dem 
Lager. 

Bey  der  leztenSonnenfinsternüs  war  auf  dem  Königlichen]  observatorio 
eine  grosse  frequenz  von  allerley  feinen  leuten.  Einer  von  den  fremden 
fragte  ein  membrum  der  Societät,  ob  nicht  die  Societät  antienge,  eine 
Fabel  zu  werden,  wann  man  nicht  besser  continuirte  ?  Da  zeigte  ihm  dieser 
das  Observatorium  und  sagte:  Tantum  tarnen  nobis  profnit  haec  tabula. 
Herr  SeeretjariusJ  Jablonski  hat  etwas  wegen  der  teutschen  Orthographie 
trucken  lassen,  welches  den  auslandischen  membris  nur  zur  Prüfung  soll 
geschickt  werden,  wird  aber  im  Buchladen  nicht  verkaufft.    Ich  bin  etc. 

Joh.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  30  Augfnsti]  1715. 

29. 

Frisch  an  Leibniz. 
Monsieur.  Nach  Ew.  Excellenz  verlangen  berichte,  dass  H[err] 
Raht  Schutt  bissher  so  übel  auf  gewesen,  dass  er  kaum  das  leben  hat; 
der  König  hat  ihm  noch  etwas  pension  gelassen;  M[onsieu]r  la  Croze171) 
aber  hatte  sie  biss  auf  100  thlr.  verringert,  bekommen :  weil  er  aber  doch 
zufrieden  gewesen,  ist  ihm  eine  Zulage  von  100  thalcrn  geschehen.  Auch 


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Job.  Leonh.  Frisch*  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibni«.  39 

hat  er  das  Glück  gehabt,  ans  einer  holländischen  Lotterie  2000  thaler 
zu  gewinnen,  welches  mich  so  sehr  und  mehr  gefreuet,  als  wann  es  mir 
selbst  geschehen.  Herr  «lablonski  hat  seine  tentsche  Orthographie  mit 
in  die  conferenz  gebracht,  ancli  den  meinbris  nach  hauss  gegeben,  da 
dann  unterschiedliche  mahl  darüber  conferirt  worden,  und  hat  vielen 
vieles  nicht  augestanden ,  ist  daher  viel  dabev  erinnert  und  geändert 
worden.  H[err]  Müller17-')  zu  Wien  hat  Ew.  Exe[ellenz]  Kaht  gefolgt 
und  wird  wirklich  in  Bergsachen  gebraucht.  Sein  Schwiegersohn,  ll[err] 
Dieszbach,  ist  hier  und  steht  mit  mir  wegen  der  blauen  Färb  in  societät: 
hat  sein  reichliches  auskommen,  so  dass  er  seinem  Schwiegervatter  schon 
einige  mahl  succurrirt.  Herr  Müller  ist  wohl  capable,  sich  selbst  etwas 
zuzuschreiben,  davon  er  nichts  weiss.  Beati  possidentes.  Ich  lasse  gern 
allen  den  Ruhm  der  Erfindung,  aber  es  hat  sie  sonst  keiner  als  ich. 
ll[err]  Diessbach  hat  die  Arbeit  davon,  welche  mir  zu  viel  Zeit  von 
meiuen  studiis  wegnehmen  würde.  Er  war  neulich  todkranck,  da  wir 
danu  beide  eine  solche  disposition  gemacht,  dass  das  secretum  keiner 
v«u  uns  beiden  verlieren  kau.  In  Handgriffen  ist  er  in  der  Chvmie 
vortrefflich,  aber  er  hat  kein  fundament  der  Wissenschaft  und  der  Natur. 
Ich  habe  ihn  wegen  seiner  treue  und  Willigkeit  über  H  Jahr  den  meisten 
Unterhalt  gegeben.  * 

Es  siml  ein  paar  Cartätsehen,;  )  aus  (ienev  unterwegs  und  schon 
zu  Leipzig,  ein  paar  hab  ich  dem  H[errn]  v.  Arnim171)  verkauft*,  welcher 
als  Landvogt  in  der  ganzen  Lkermark  und  Königlicher)  Geheimer  Hallt, 
in  seiner  Herrschaft,  die  biss  20  Dorfer  begreift*,  die  Seidenzucht  glücklich 
auf  mein  angeben  angefangen,  so  dass  mir  H[err]  v.  Gambke17  )  als 
praesident  über  die  AmtsKaimner  neulich  auch  einen  boten  geschickt  und 
will  es  auf  seinen  Gütern  auch  anfangen:  wodurch  nach  und  nach  ein 
Weg  wird  gebahnt  werden,  dass  der  König  durch  solche  Herrn  wird 
bewegt  werden,  die  Sache  und  die  Societät  gnädiger  anzusehen.  Ich 
verbleibe  etc. 

.J.  Ii.  Frisch. 

Berlin  den  14  Sept[embris]  171">. 

30. 

Frisch  an  Leibniz. 
Monsieur.  Wenn  die  Herren  Oameralisten  zu  Hannover  einen 
Bericht  abstatten,  der  das  Seidenwerck  Sr.  Britannischen]  Majestät  beliebt 
machen  hiltVt,  werden  sie  sich  das  ganze  Land  nebst  der  allergnädigsten 
Herrschaft*  verbunden  machen.  Ich  werde  alle  Jahr  mehr  überzeugt, 
wie  vortheilhatt'tig  dieses  Wen  k  sey  und  wie  leicht  es  in  den  stand  zu 
bringen,  wo  man  ein  wenig  au  die  Hand  gehen  will.  Aber  die  Jtaliäncr 
inuss  man  davon  weglassen,  sie  seyen  wer  sie  wollen:  sind  sie  hohen 
Standes,  so  haben  sie  diss  Werck  in  seinen  geringen  Umständen  nicht 


40  Job.  Leonli.  Frisch  "s  Briefwechsel  mit  G.  W.  LeibniK. 

practicirt,  sondern  nur  mit  Würmern  gespielt;  sind  sie  geringen 
Standes,  so  wollen  sie  gleich  directum  und  grosse  pensionen  haben, 
wissen  auch  1000  difficultäten  zu  machen,  wodurch  das  Werck  ins  stecken 
kommt.  Ich  habe  es  nun  so  weit  vom  anfang  biss  zum  Webstuhl,  dass 
es  einem  Landmann,  sonderlich  in  kleinen  Stätten  nicht  einen  Pfennig 
kostet,  wann  er  selber  mit  den  seinen  Hand  anlegen  kan  und  will. 
Herr  von  Kamke,  als  Praesident  in  der  Amtskammer  allhier,  hat  eine 
quantität  Bäume  von  mir  hohlen  lassen  und  in  Pommern  anf  seine  Gütter 
geschickt;  der  H[err]  geheime  Raht  von  Arnim  hat  auf  seiner  Herrschafft 
Bötzenburg  in  der  Ukermark  dieses  Jahr  einige  Pfd.  Seide  bekommen, 
welche  quantität  sich  jährlich  mit  der  grosse  der  Bäume  mehren  wird. 

Ich  habe  diesen  Sommer  für  mich  experimenta  gemacht  mit  den 
Insectis  und  es  so  weit  gebracht,  dass  ich  überzeugt  bin,  die  Insecta 
bleiben  auf  keinem  Baum,  der  recht  gesund  ist,  und  je  mehr  darauf 
sind,  je  elender  steht  es  um  den  bäum.  Ich  habe  auch  im  Weinbau  einen 
Versuch  getahn  und  dieses  Jahr  von  einer  kleinen  quantität  Weinstöcken 
3  Tonnen  Wein  bekommen.  Wegen  fortpflanzung  der  Maulbeerbäume 
ohne  Saamen  habe  ich  eine  bequemere  und  nüzlichere  art  als  die  Gärtner 
mit  ihrem  einlegen  bissher,  getahn,  welche  ich  künfftig  commnniciren 
kan,  wann  ich  zuvor  einige  hundert  "^ur  Probe  dastehend  habe.  Ich 
habe  hier  auch  angefangen,  Süssholz17')  einzulegen,  wie  ich  es  im  Bistum 
Bamberg  gesehen,  und  sind  mir  die  Pflanzen  wohl  beklebet,  dann  unser 
sandiges  terrein  ist  bequem  dazu.    Ich  verbleibe  etc. 

Jon.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  16  Nov[embris]  1715. 

31. 

Frisch  an  Leibniz. 
Monsieur.  Meister  Otto  ist  etliche  mahl  bey  mir  gewesen  und 
lässt  sich  gehorsamst  empfehlen;  er  meint,  man  habe  seiner  zu  Hannover 
vergessen;  er  ist  dörft'tig.  Hierboy  kommt  ein  exemplar  von  H[errn] 
Jablonski  Orthographie:  es  sind  nur  einige  exemplare  gedruckt  worden, 
den  merabris  zu  eommuuieireu,  ihr  gutdüncken  einzuhohlen  und  ist  keines 
in  die  Buchläden  gekommen.  Es  rnoquiren  sich  viel  darüber  und  sagen, 
man  spüre  den  Pollaken  gleich  im  ersten  periodo.  Es  ist  darüber  conferirt, 
aber  nur  das  corrigirt  worden,  was  dem  eoneipienten  beliebig  gewesen. 
Ich  bin  froh,  dass  aus  der  edirung  des  Taciti  de  mor[ibus]  Germ[anorum] 
nichts  wird'-  ),  als  wobey  viel  zu  erinnern  übrig  geblieben.  Ich  habe 
im  studio  geographiae  schon  viel  Jahr  gesucht  etwas  zu  ediren,  und 
vermeinet,  einige  membra  der  Societät  zu  gehilfien  zu  bekommen;  nachdem 
ich  aber  sehe,  dass  man  mich  allein  lasset,  so  fange  ich  auch  allein  an 
und  will  nach  und  nach  von  Brandenhurg[ischen]  .Landen  specialissimos 
herausgeben,  in  dein  formal  als  die  ('hiirteheu  sind,   st»  an  dem  geo- 


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Joh.  Leonh.  Frisch'»  Briefwechsel  mit  G.  \V.  Leibnir.  41 

graphischen  Calender17*)  allhier  sind.  Der  anfang  geschieht  von  einem 
theil  des  Fürstenthums  Bayreut,  welches  das  fünifte  theil  desselben  ist, 
und  weil  es  von  den  andern  vieren  abgesondert  liegt,  ist  es  noch  mehr 
als  die  andern  von  allen  Geographis  negligirt  worden.  Es  ist  die  Haupt- 
mannschafft Neustatt  an  der  Aisch,  5  ineil  von  Nürnberg17').  Ich  hab 
mich  einige  Jahr  daselbst  in  oeconomischer  bedienung  aufgehalten  und 
bey  vielen  hiu  -  und  herreissen  alles,  sogar  alle  Mühlen  aufgezeichnet, 
das  meiste  nach  der  Geometrie  und  Trigonometrie.  Die  Statt  Neustatt 
hab  ich  selbst  in  Holz  geschnitten,  so  dass  nicht  ein  geringes  gebäude 
ausgeblieben.  Hoflfe,  es  solle  dergleichen  arbeit  dem  publico  angenehm 
seyn.    Befehle  mich  etc. 

Joh.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  29  Nov[embrisl  1715. 

32'*"). 
Leihniz  an  Frisch. 
[Aus  meiner  antwort.]  Freylich  ist  etwas  gleich  in  des  Hferrn] 
Jablonski  andern  Zeile  zu  erinnern :  er  sagt,  die  „Ausübung  einer  Sprache", 
ich  hätte  gesagt  „einer  Sprache";  pag.  9:  „gelehrte  gesellschanV,  ich 
hätte  lieber  gesagt  „zu  beforderung  der  gelehrsamkeit  gerichtete  gesell-, 
schafft",  damit  man  nicht  spotte,  wir  nennen  uns  selber  gelehrt.  Die 
consonantes  wollte  ich  lieber  „mitlautend"  als  „stumm"  nennen,  dann 
die  lateiner  distinguiren  die  consonantes  wohl  in  mutas  et  semivoeales. 
Man  muste  eine  definition  des  lautes  geben,  den  die  vocales  haben,  und 
die  semivoeales  nicht;  ob  man  sie  sehohn  ohne  die  vocales  bohren  kan. 
Ich  finde,  dass  der  Laut,  den  die  vocales  geben,  der  organomm  anrührung 
nicht  bedarf,  sondern  aus  freyem  munde  gehet.  Die  Kegeln  sind  nicht 
übel,  aber  bey  allem  andern  finde  ich  viel  zu  erinnern.  Don  Tacitum 
de  moribus  Germanorum  habe  ich  in  meiner  jugend  auch  ins  teutsehe 
übersezet"1),  will's  einmahls  gegen  des  llferrn]  Jablonski  übersezung 
halten,  wenn  ich  sie  zu  sehen  bekomme. 

88. 

Frisch  an  Leibniz. 

Monsieur.  Weil  E[w].  Excellenz  zwey  briefe  bald  auf  einander 
geschickt,  werden  sie  mir  erlauben,  auf  dieselben  hiemit  zugleich  zu 
antworten  und  dabey  meine  freyheit,  ein  und  andere  Umstände  wegen 
der  Societät  zu  berichten,  nicht  übel  deuten. 

Als  die  Übersezung  des  Taciti  in  den  Vorschlag  kam,  und  zwar 
von  denen,  die  sie  allbereit  fertig  hatten,  so  wir  aber  nicht  wüsten, 
erbot  sich  ein  jeder,  da.s  seinige  zu  c.ontribuiren,  und  II[err]  Neukirch1*2), 
welcher  hierzu  am  besten  taugte  wollte  sie  über  sich  nehmen,  allein  es 
behielt  der  nachmahlige  autor  den  Vorzug  mit  deutlichein  Unwillen  einiger 


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42 


.loh.  Leonh.  Frbch  h  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibniz. 


von  diesem  departcment,  welche  hernach  unter  sich  wehnten,  es  geschehe 
aus  einer  Absicht,  von  dem  verstorbenen  König  damahls  ein  gutes  geschenck 
zu  ziehen.  Nach  einigen  conferenzen  sah  man  wohl,  was  dabey  zu  thun, 
und  wurden  offt  wenig  so  genannte  Spruch-Reden  ohne  scharfe  censur 
passirt,  so  dass  es  sich  verzog  bis  der  König  starb.  H[err]  Raht 
Schott  wurde  auch  immer  krauek,  und  es  verzeihet  sich  der  auctor 
gar  klar  die  llofnung,  die  er  sich  mit  dieser  Übersezung  gemacht.  Nach 
der  gemeinen  censur  entdeckte  ich  ihm  erst  in  seinem  Haus  meine  noch 
übrigen  scrupel,  welche  man  sich  scheute  publice  zu  urgiren,  und  macht«' 
von  einigen  Capiteln  eine  Ühersezuug  nach  meiner  Art,  welche  dem 
ll[errn]  Directori  Schott  besser  anstünde,  als  die  vorige:  wodurch  diss 
Werck  völlig  liegen  blieben.  Ich  hab  mir  gedachte  Übersezung  abschreiben 
lassen  und  linde  so  grobe  Fehler  wider  den  genium  unserer  und  der 
lateinischen  Sprach  darinnen,  dass  es  eine  Schande  wäre,  wann  sie  unter 
der  Soeietät  nanien  publicirt  würde.  Nachdem  nunmehr  Tl[errj  llofraht 
< 'unow  völlig  durch  einen  Schlagfluss  untüchtig  gemacht,  der  H[enJ 
Kaht  Schott  auch  wegen  Schwachheit  des  leibes  selten  etwas  thun  kau, 
der  II[err]  von  Krug  selten  kommt  oder,  wann  er  kommt,  uiemand  von 
den  membris  antrifft,  so  liegen  drey  departements  völlig  darnieder:  das 
.  vierte  wird  dem  JlferrnJ  Directori  desselben  zu  gefallen  noch  gestützet, 
wird  aber  niemahl  etwas  darinnen  ausgebrütet  weiden,  dann  es  sind 
lauter  Dinge,  die  sich  in  inhnituin  traiuiren  werden'  ).  Die  Diplomata 
sind  jezund  so  wolilfeil,  dass  mau  nur  reeommendiren  darf,  ohne  weitere 
Untersuchung,  und  dörflte  wohl  die  Genever  Reise'  eine  grosse  Zahl 
rler  Mitglieder  bringen. 

Das  Seidenwerk  ist  durch  abschatfüng  des  l'lanteurs,  den  ich  dazu 
gebraucht,  nun  völlig  zu  gründe.  Vor  zwey  Jahren  hat  dieser  Manu 
über  30000  Pflanzen  geschallt,  die  werden  jezt  alle  verwarloset,  verkauft 
und  sonst  verderbt.  Und  weil  ich  die  Ehre  gehabt,  im  Namen  der 
Soeietät  die  Rechnungen,  gleichwie  überhaupt,  also  sonderlich  wegen  des 
Seidenwerks  durchzusehen,  hab  ich  den  Unterschied  wohl  gesehen,  was 
bey  meiner  administration  um  so  weniges  geld  geschehen,  und  hernach 
bey  so  vielen  Unkosten. 

Als  E[w].  Exc[ellenz]  zu  Wien  war,  winde  hier,  auch  von  denen, 
die  ich  für  so  alber  nie  angesehen,  geglaubt,  Sie  hatten  die  Religion 
changirt,s ja  ich  bin  von  einem  vertrauten  Freund  versichert  worden, 
dass  man  die  l'racsidenten-Resoldung  schon  eingethcilt  unter  die  Directores 
und  wer  etwan  bev  dem  sogenannten  Uoncilio  zugegen,  wie  viel  jeder 
bey  diesem  fall  davoti  bekommen  soll,  welches  ich  für  die  gröste 
hassesse  in  der  Welt  hielte,  so  von  denen,  so  den  Namen  der  Gelehrten 
haben  wollen,  kan  begangen  werden.  I Iferr]  .lablonski  samlet  jezt,  was 
zu  den  Miscellancis  kommen  soll,  und  beklagte  sich  publice,  dass  man 
von  E[w ].  E\e[ellenz|  das,  was  sie  hätten,  nicht  bekommen  könnte.  Ich 


Joh.  T,eonh.  Frisch's  Briefwechsel  mit  (i.  W.  Leibnix. 


43 


hab  einige  Bogen  von  allerhand  Observationen,  wann  wider  etwas  heraus 
kommen  soll,  will  ich  es  nochinahls  durchsehen  und  communieircn. 
M[onsieu]r  La  Crosse""')  wird  Selbsten  geschrieben  haben,  wie  viel  er 
von  der  eoinmunicirten  Jnseription  entdecket.    Verbleibe  etc. 

Joh.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  28.  Dec[embris]  1715. 

■ 

84»*)- 
Frisch  an  Leibniz. 

Monsieur.  E[w|.  Excellenz  drey  auszüge  aus  dem  Mayerisehen'^) 
Catalogo  habe  ich  wohl  empfangen,  werde  suchen  so  viel  als  möglich  ist, 
um  billigen  Preiss  zu  bekommen.  Vergangenen  13.  Januar  ist  die  auetion 
angegangen.  Es  sind  eommissionen  hier  aus  ganz  Teutschland  und  rasen 
die  Leute  recht  um  diese  Bücher:  zum  exempel  p.  3  die  aufgezeich- 
nete Schwedische  Bibel  ist  für  4  thlr.  weggegangen:  das  griech[ische] 
Testfament]  p.  4,  no  29  für  5  thlr:  welches  mir  zu  theuer  vorgekommen. 

Ich  meine,  wann  die  gröste  Hitze  der  Herren  Theologorum  vorbey, 

es  soll  der  Wert  wohl  leidlicher  werden,  wiewohl  einige  von  den  Herrn 

Politicis,  als  Il[err]  v.  Ploto,s),   H[err]  v.  Schlippenbach""),  H[errJ 

Plarr1*1)  und  andere,  Leute  hineinschicken,  die  absolut  vollmacht  haben, 

alle  zu  überbieten.    Sobald  ich  künfftig  etwas  werde  bekommen  haben, 

will  ich  es  berichten.    Verbleibe  etc.  ,    r       .  . 

.).  L.  Frisch. 

35. 

Frisch  an  Leibniz. 
Monsieur.  Durch  E[w].  Exe[cllenz]  leztere  ordre  bin  ich  etwas 
beherzter  worden,  auf  der  auetion  mit  zu  bieten,  doch  so,  dass  ich 
hoffentlich  werde  damit  bestehen  können.  Nachdem  H[err]  Cimow 
gestorben,  wird  wohl  Hferr]  Hofprediger  Jablouski  nachricht  gegeben 
haben,  was  vorgegangen.  Herr  von  Prinz  hat.  der  Societät  Concilio 
E[w].  Exc[elleuz]  Schreiben """)  an  ihn  cominunieirt,  worüber  es  auch  zu- 
sammen berufen  worden.  Bey  lezter  ZusammenkuniVt  aller  departements, 
welche  zimlich  dünne  werden,  ist  auch  dem  mathematischen  departement 
vorgeschlagen  worden,  einen  neuen  directorem  zu  Wehlen.  Es  hat  sich 
auch  H[err]  Jäkwitz1"-)  (welcher,  weil  ich  die  Ehre  habe,  ein  membrum 
zu  seyn,  nie  zu  uns  gekommen)  dabey  eingefunden,  nicht  ohne  bew  underung 
einiger  membrorum,  die  ihn  nicht  kannten  und  ihn  beschuldigten  hernach- 
mahls,  es  geschehe,  weil  er  vermeinte,  director  zu  werden.  Allein  es 
passirten  einige  öffentliche  discurse,  die  zwar  nicht  mögen  auf  ihn 
gezielt  haben,  aber  doch  mercklich  auf  ihn  applicirt  worden  sind. 
Verbleibe  et«1. 

.1.  L.  Frisch 

Berlin  den  11.  Febrjuarii]  1716. 


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Juli.  Luonh.  Krisch  h  Briefwechsel  mit  G.  W.  Leibni«. 


36. 

Frisch  an  Leibniz. 

Monsieur.  Wegen  des  M.  S.  de  iinpostoribus1"')  berichtet  micli 
M[onsieu]r  d'Alencon  1  dass  er  unterdessen  schon  alle  Nachricht  an 
den  ll[errn]  General  Bonneval1')  gegeben,  auch  sclion  3  biss  4  mahl 
desswegen  geschrieben  und  antwort  bekommen.  Mfonsieujr  La  Croze 
urtheilt  schlecht  davon. 

Der  Servetus''  )  ist  die  holländische  Edition  oder  nachdruck,  mögte 
wohl  für  einige  thaler  zu  bekommen  seyn.  Tch  hab  aber  noch  nichts 
davon  können  zu  sehen  bekommen. 

Die  Grotesijuen  Sehrifften  sind  nur  Stücke  von  den  rechten  Oberilms 
gewesen;  ich  hab  sie  daher  fahren  lassen,  weil  sie  fast  so  theuer  weg- 
gangen, als  ich  sie  sonsten  im  ganzen  opere  schaffen  will.  Die  Rosen- 
creuzersche  Collcctioii  ist  noch  die  beste  darunter  gewesen. 

p.  3(>1.  weil  einige  quartbände  sehr  dick  gewesen,  als  p.  354  sq. 
hab  ich  etwas  mehr  geboten,  «loch  so,  dass  ich  sie  Selbsten  dafür  behalten 
will,  wann  sie  nicht  anständig  sind.  p.  3(59  sollte  im  Catal[ogo]  oben 
n.  3  stellen,  so  aber  ausgelassen;  das  Buch  aber  hab  ich  bekommen. 

Weil  i<-h  für  mich  eine  zimliche  quantität  erkaufte,  hab  ich  allzeit 
Selbsten  auf  die  Bücher  geboten,  die  mir  Ew.  Exc|ellenz]  in  Commission 
übergeschickt,  und  thue  es  auch  allzeit  bey  den  künfttigen. 

H[err]  .lekwitz  ist  director  worden  vom  mathematischen 
departement. 

Zwischen  dem  13  und  14  Januar  ist  hier  rlie  Kälte  so  gross  als 
1709  gewesen:  meine  abricosen  sind  alle  hin,  auch  alle  Augen  am  Wein- 
stock, die  nicht  gedeckt  gewesen. 

Es  ist  hier  zwischen  einem  advoeaten  und  einem  theologo  eine 
Schritftweehselung  wegen  astrologischer  händel  entstanden,  welche  mir  das 
AbdiaeTreu  Nueleum  astro|[ogiae],  ,;)  so  hoch  getrieben.   Ich  verbleibe  etc. 

Job.  Eeonh.  Frisch. 

Berlin  d.  22.  Eehr[narii  J  1716. 

37. 

Krise  Ii  an  Loibniz. 

•  

Monsieur.  Die  MSS.  k'unmen  heute  in  der  Auction  zu  Ende:  so 
viel  hat  können  erstanden  werden,  werde  mit  nächster  Post  schicken. 
Der  Doctor  Mayer,  so  seines  Vatters  Bücher  hier  verauetionirt,  hat  mir 
Nachricht  gegeben,  dass  ihm  jemand  auf  die  gedruckten  libros  p.  718  f. 
habe  80  thlr.  jjebotten,  ob  ich  mehr  bieten  wolle.  .  .  . 

Herr  Müller  zu  Wien  schreibt  an  seinen  Schwiegersohn  H(errn] 
Die>shach,  dass  ihn  der  Kayser  zum  Bergrath  macheu  wolle,  und  hoffe 
mit  nächstem  völligen  Sehluss  nebst  einer  feinen  Besoldung. 


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.loh.  Loonh.  Frisch  s  Uii<-J'\veHiHd  mit  G.  \V.  Lcibni/.. 


45 


Die  Frau  Marggrälin  uls  Wittwe  Marggraf  Philipps'1  )  trägt  ei» 
Kleid  von  der  Seide,  die  sie  selbst  gewonnen,  und  hat  Hferrn]  Jahlonski1"') 
versprochen,  sie  wolle  nächstens  zum  König  damit  gehen  und  ihm  davon 
sagen.    Verblei  he  etc. 

J.  Ii.  Frisch. 

Berlin  d.  28.  Martii  1716. 

38. 

Frisch  an  Eeibniz. 

Monsieur.  Hey  hiesiger  Societät  scient[iarum]  wird  es  alle  tag 
schlechter,  weil  keine  aufmunterung  da.  Herr  Wagner'-" "),  so  bisher  auf  dem 
Grosseckisehen  Observatorio  gewesen,  welches  auch  die  hinterlassenen 
H[errnJ  Söhne  noch  unterhalten  werden,  hat  die  ( 'a  lender  Arbeit  nebst 
noch  einem  über  sich  genommen  um  ein  reeompens:  hat  aber  sonst  so 
viel  Gewicht  in  dieser  Arbeit  als  H[err]  Hofmann  gehabt  hat.  Er  hat 
ein  und  anders  zu  den  Miscellaneis  eommunicirt,  und  scheint,  als  retlectire 
man  auf  ihn  und  den  jungen  Kirch-  M  zugleich,  welcher  die  Ephemerides 
schon  verfertigt  hat  aufs  künft'tige.  l  ud  dieses  wäre  meinem  geringen 
begrilV  nach  nicht  undienlich,  weil  erstlie.h  die  besoldung  der  50U  thlr. 
wohl  kau  getheilt  werden,  und  die  ( 'alenderarbeit  nicht  von  dem  ob- 
serviren  so  abhalten  kan:  welche  observatioues  bissher  so  gar  sparsam 
unter  der  Entschuldigung  der  ('alenderarbeit  gewesen.  Die  Societät  will 
auch  des  I).  Speners  auf  dem  Observatorio  stehendes  l 'abinet  nach  und 
nach  bezahlen.  Des  Astronomi  Wohnung  wird  nöthig  ausgebessert.  Mit 
dem  Kath  Pfeiflern -'-)  wird  wohl  wegen  des  (  openiekisehen  Garten  ein 
Contract  getroffen  seyn,  dass  er  jährlich,  25  .fahr  über,  zehn  Thaler 
davon  gebe.  Es  stehen  diss  Jahr  die  Würmer  hir  so  wohl  als  noch 
niemahl;  es  gibt  eine  Unze  graine  mehr  als  sonsten  vier. 

Ich  continuire  meine  Observationen  de  Insectis.  Die  Kanne,  so  ich 
für  die  grösste  achte,  weil  sie  1  ,  Ellen  lang  wird,  hab  ich  diss  Jahr 
4  mahl:  ist  auch  schon  ein  papilio  ausgekrochen,  und  wegen  des  Cocons 
und  der  Grösse,  die  er  hat,  recht  selzam.  Weil  er  auch  von  den  nocturnis 
mit  hangenden  tlügeln,  und  niemahl  mehr  als  zwey  auf  einem  bäum, 
weil  sie  sonst  in  einer  Stund  einen  bäum  abfressen  könnten,  wenn  ihrer 
so  viel  als  der  andern  Kaupen  würden,  ist  er  sowohl  als  Kaupe  als  auch 
wie  ein  papilio  selten  zu  sehen.  Ich  hab  auch  unterschiedliche  obser- 
vationes de  insectis  insectorum,  welches  ausser  Jonston  noch  keiner 
observirt  und  dieser  nur  muthmasslich,  ich  aber  habe  von  allen  die 
insecta  selbst  und  ihre  Verwandlung  angesehen.  Mein  Kunststück  wegen 
der  Kaupen  auf  den  Bäumen  ist  mir  dieses  Jahr  wohl  angegangen:  ich 
hab  sie  alle  gerettet  und  oft't  5  äpfel  aus  einem  aug  noch  hangend;  bin 
also  confirmirt,  dass  keine  Kaupe  auf  einem  bäum  jung  werde,  der  gesund 
ist,  und  wo  sie  sind,  der  bäum  ganz  oder  theils  kranck  seye.    Weil  hier 


46 


.Toh.  Lt  ouli.  Frisch  s  l'.riffw -1       mit  «i.  W.  Lfilmiz. 


kein  Mensch,  mit  dem  ich  communieireii  kan,  was  ich  linde,  sollte  einer, 
der  nicht  andern  Antrieb  hat,  leicht  stumpf  werden.  E[\vj.  Excfelleuz] 
verzeihen  mir  diese  Weitläufftigkeit  und  continuiren  Dero  gewogenheit 
mich  ferner  zu  versichern,  der  ich  mit  allem  ersüiulicli  gebührendein 
respect  verbleihe  etc. 

.1.  L.  Frisch. 

Berlin  d.  21.  Julii  1716. 

39. 

Frisch  an  Leibniz. 
Monsieur.  Auf  Ew.  Exeelljenz]  letzteres  habe  ich  alsobald  dem 
I).  Mayer  den  Catalogum  der  verlangten  Rücher  geschickt.  Für  die 
hölzern  Kästen  zu  den  Büchern  habe  ich  nebst  Nägeln  und  Zuschlagen 
und  anders  4  thaler  gegeben,  und  dem  Fuhrmann  1  thlr.  und  8  gr.  Hand- 
geld. H[err]  D.  Wagner  hat  mir  Zumbachs  Jovilabium-'  )  zugeschickt, 
welches  ich  nächstens  der  Societät  einhändigen  will.  Aus  Petersburg 
hat  mir  einer  einiger  Bücher  Titel  übergeschickt,  welche  daselbst  gedruckt 
worden,  mit  dem  neuen  Sehreib-charactere-  ')  mit  welchem  alle  politica 
jezt  gedruckt  werden.  Der  H[err]  von  (lolofkin,  Moscowitischer  envoye, 
hat  mir  ein  solches  Buch  geschenkt.  Herr  Lehmann-  ')  von  Leipzig  ist 
hier  gewesen;  seine  Winterblumen  sind  begreiflicher,  als  des  H[errn] 
Agricolac-")  Wurzel-machen.    Ich  verbleibe  etc. 

.1.  L.  Frisch. 

Berlin  den  12.  Aug[usti]  1716. 

40. 

Frisch  au  Leibniz. 

Monsieur.  Von  H[errn]  Mayern  kan  ich  Ew.  Excellenz  noch 
keinen  mehrern  Detail  überschicken,  weil  ich  noch  keinen  von  ihm 
bekommen.  Wegen  H[erru]  Liebknechts-"7)  werde  alles  verlangter  inassen 
bey  nächster  Versammlung  des  Physicalischen  Departements  bestellen. 
Herr  Zumbach  hat  mir  sein  Jovilabium  zugeschickt,  welches  er  der 
Societät  dedicirt. 

In  Sachsen  ist  ein  Königlicher  (Jeographus  namens  Zurner0*), 
welcher  bisher  einige  Chartas  specialissimas  in  Holland  stechen  lassen, 
welche  einen  grossen  Vorzug  vor  den  bisherigen  haben.  Er  ist  ein 
Pfarrer  in  Sachsen  und  verlanget  ein  membrum  von  der  Societät  zu  seyn. 
Ich  hab  die  Charten  aus  Holland  von  Peter  Schenk-0*)  bekommen,  als: 
das  Amt  Dresden,  die  Dioeces  Grossenhain,  den  Creiss,  worinnen  das 
Carlsbad,  das  Territorium  um  das  Teplizer  Bad.  Er  hat  zugleich  eine 
Abschritft  von  den  Privilegiis  des  Königs  Augusti  und  anderer  benachbarten 
Fürsten  überschickt,  die  ihm  gegeben  worden. 


Juli.  Leoni».  Frisch'«  lh  ie!  wech.stl  mit  <t.  \V.  Leibniz.  47 

Des  Czaren  Schwester'-'")  ist  hier  ans  dem  (iesundbronnen  wider- 
kuinmen  und  geht  auf  Riga,  mit  der  Prinzessin  Circasski,  welche  auf 
Petersburg  geht.  Meine  blaue  Färb  ist  in  Petersburg  bekannt,  und  hoffe 
icli,  durch  diese  Gelegenheit  eiue  Quantität  dahin  zu  bringen.  Es  schreibt 
mir  ein  Armenier,  dass  er  sich  wundere,  dass  wir  die  Färb,  so  sie 
Lasehwad  nennen,  so  das  bekannte  Lasur  ist,  jezt  in  Teutschland  so 
fein  hätten,  und  bittet  um  eine  Nachricht,  wie  es  mit  den  Minen,  daraus 
mau  sie  gräbt,  beschaffen.  Welches  mich  sehr  conlirmirt,  dass  das 
inventum  gut,  weil  es  diese  Leute,  welche  solche  gute  Krkäntnüs  von 
dergleichen  Farbe  haben,  Selbsten  gut  linden. 

Tch  habe  das  Vestibulum  Comenii  mit  hülffe  eines  Küssen  in  das 
Russische  übersezt"1).  Wir  sind  jezt  in  der  Revision  begriffen,  und 
weil  es  mit  lateinischen  charaeteren  geschrieben,  wird  es  desto  eher 
können  in  Teutschland  gedruckt  werden,  weil  die  genera  und  andere 
nöthige  graminattiealisehe  Dinge  dazu  gesezt,  wird  allen  denen,  die  Teutsch, 
Kussisch  und  Latein  können,  gute  Dienste  zum  anfang  thun.  Ich 
verbleibe  etc. 

.loh.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  G.  Septfcinbris  ]  1 T 1  * ». 

41. 

Frisch  an  Leibniz. 

Mmisieur.  Weil  Herr  D.  Maier  hier  wegziehen  will,  hab  ich  ihn 
getrieben  wegen  der  MSS.  und  bei  liegendes  erhalten.  M[onsieu]r  La  (Yozc 
ist  der  Brief  gleich  überschickt  worden. 

Der  Lapis  Lazuli  macht  nicht  sowohl  wegen  seiner  unzulänglichen 
Menge,  als  wegen  der  mühsamen  Arbeit  das  Lazur  oder  Ultramarin  so 
theuer.    Man  hat  mich  in  Livorno  versichert,  dass  viel  Persohnen  nicht 

1  Loth  in  einer  Woche  von  dem  besten  herausbrächten     In  Paris  sind 

2  fabri(|uen,  wo  man  dieses  Outremer  gemacht,  abgegangen;  wozu  mein 
Blau  soll  geholfen  haben,  weil  auf  einniahl  100  Pfd.  dabin  geschickt 
worden. 

Das  Vestibulum  Comenii,  woran  ich  mit  einigen  Küssen  arbeite, 
haben  wir  bisher  mit  lateinischen  Buchstaben  geschrieben  und  wollen 
es  auch  also  trucken  lassen,  nebst  einem  kleinen  Unterricht,  wie  man 
etwan  einige  Buchstaben  aussprechen  soll,  welche  die  Kussische  Sprache 
eigen  hat. 

Ihre  Maj[estät]  der  König  allhier  haben  nicht  undeutlich  zu  ver- 
stehen gegeben,  dass  sie  eine  kurtze  Historie  der  Plautation  der  Maul- 
beerbäume in  Europa  und  sonderlich  in  Teutschland-1-)  verlangten. 
Weil  nun  Efw].  Excellenz  hiezu  mit  gutem  Kath  und  communication 
am  meisten  helffen  können,  als  bitte  ich  gehorsamst,  weil  mir  diese 
Arbeit  aufgetragen  worden,  um  etwas  Nachricht,  wegen  des  (Jhurfürsteu 


48 


Joli.  Ta'oiiIi.  Frist-Ii'*  l'.rii'fwecliscl  mit  (i   W.  Lcilmix. 


.loh[aun]  Philipp  von  Mainz welcher  diese  Plantation  angefangen,  wann 
und  wie  es  geschehen,  und  sonderlich  durch  was  es  gehindert  worden. 
Vielleicht  fällt  E[w].  Exeell[enz]  auch  etwas  bey,  wo  von  des  Herzogs 
von  Wirtemberg"*)  angefangenen  Plantation  etwas  zu  finden:  welcher 
('hurfürst  von  der  Pfalz*"")  es  angefangen,  als  woselbst  ich  die  ab-  und 
aus^ebauenen  Maulbeerbäume  noch  gesehen;  und  wer  etwan  von  der 
Österreichischen  Societät  etwas  geschrieben,  welche  die  Holländer  wegen 
der  Seidenzucht  unterhalten.  Es  rührt  sich  dieses  Werk  allhier  mehr 
als  jeinahls  und  beginnen  einigen  die  Augen  wegen  des  Vortheils 
aufzugehen. 

Ihm  GrossCzarische  Majestät  Prinzessin  Schwester  und  Prinzessin 
Tschirkaski  ist  hier  gewesen  in  der  rückreise  und  haben  ihren  Leute 
befohlen,  meine  Sachen  nach  Petersburg  möglichst  befördern  zu  helffen; 
wodurch  ich  eine  quantität  von  meinem  Blau  nebst  andern  Dingen 
dahin  befördert.  Ich  bin  auch  mit  einem  schönen  Stück  von  dem  soge- 
nannten Human  von  ihnen  beschenkt  worden,  da  ich  durch  den  ToU- 
metscher  darnach  fragte,  welches  eine  Art  von  Schminkläpplein,  als  ein 
Teller  gross  und  von  tartarischer  Wolle  ungespounen  zusammen  gemacht, 
als  meine  seidene  Schlafhauben,  und  mit  Saflft  von  Sandelholz  reichlich 
tiugirt,  welche  ich  ein  wenig  untersucht  und  das  secret  zimlich  gefunden. 
Sie  sagten,  es  komme  aus  Kitiii,  welches  der  Tollmetscher  China  nannte. 
Ich  verbleibe  etc. 

Job.  Leonh.  Frisch. 

Berlin  den  19.  Septjembns]  1710. 


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Anmerkungen. 

Ann).  1.  Der  nicht  datierte  Brief  steht  in  der  Sammlung  zu  Hannover  an 
drittletzter  Stelle  unter  den  Schreiben  ohne  Datumangabe.  Er  ist  wahr- 
scheinlich in  das  Ende  des  Jahres  1706  zu  setzen:  der  in  dem  Briefe 
erwähnte  Lichtscheid  starb  am  23.  Februar  1707,  und  Leibniz  war  zu 
der  im  Dezember  1706  stattfindenden  Hochzeitsfeier  des  preussischen 
Kronprinzen  Friedrich  Wilhelm  mit  der  hannoverschen  Prinzessin  Sophie 
Dorothea  nach  Berlin  gekommen,  wo  er  bis  Mai  1707  verblieb.  Die  noch 
im  Jahre  1706  erfolgte  Aufnahme  Frischs  in  die  Societät  hatte  aber  bei 
Abfassung  des  Briefes  wohl  noch  nicht  stattgefunden.  (Vgl.  die  Anrede 
im  folgenden  Brief.) 

Anm.  2.  Ferdinand  Helffreich  Lichtscheid,  geb.  1661  in  der  Nähe  von 
Wien,  Mathematiker,  Musiker  und  Theologe,  1703  Probst  und  Pastor 
der  Petrikirchc  zu  Cölln  a.  d.  Spree  und  1705  nach  Speners  Tode  Kgl. 
preussischcr  und  kurbrandenburgischer  Konsistorialrat ;  Mitglied  der 
Societät  der  Wissenschaften,  f  am  23.  Februar  1707  zu  Berlin.  Vgl. 
Jöcher,  Gelehrten-Lexikon  II,  2422  f. 

Anm.  3.  Der  im  nächsten  Briefe  erwähnte  Meister  Otto.  Nach  Frisch  im 
deutsch-lateinischen  Wörterbuch  ist  Arrasch  eine  Art  wollenes  Gewirk 
oder  Zeug,  das  aus  Arras  in  Frankreich  stammt;  daher  der  Name 
Raschmacher. 

Anm.  4.    Gleiche  Anrede  in  den  folgenden  Briefen  Frischs. 

Anm.  5.    Leibniz  kehrte  im  Mai  1707  nach  Hannover  zurück. 

Anm.  6.  Die  hier  und  in  den  folgenden  Briefen  erwähnten  Schreiben  Leibniz' 
sind  als  verloren  zu  erachten,  soweit  sie  nicht  in  dieser  Sammlung  mit- 
geteilt werden. 

Anm.  7.  In  der  von  Leibniz  dem  König  Friedrich  eingereichten  Denkschrift 
aus  dem  Jahre  1703,  in  welcher  um  ein  perpetuum  Privilegium  zur 
Ausübung  des  Seidenbaus  für  die  Societät  nachgesucht  wird  (Vgl. 
Einleitung  S.  XV),  bittet  Leibniz  „dass  Königl.  Majestät  zu  dieser  vor- 
habenden Verfassung  hergeben  die  vorhandene  Maulbeergärten  zu 
Keppenich,  Postdam,  Glüneke.  Borne  und  wo  sie  sonst  seyn  mögen." 
Vgl.  Kopps  Ausgabe  der  Werke  Leibniz'  I  Bd.  10  S.  377. 

Anm.  H.  Über  Joh.  Heinrich  Otto,  der  seitens  der  Akademie  bei  dem  Seiden- 
bau beschäftigt  wurde,  schreibt  Leibniz  unter  dem  17.  Juni  1705  an 
Fräulein  von  Pöllnitz,  preiniere  dame  d  honneur  bei  der  verstorbenen 
Königin  Sophie  Charlotte:  „Oserois  je  vous  supplier,  Mademoiselle,  de 


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50 


Anmerkungen. 


faire  venir  chez  vous  le  raanufacturier  dontjc  vous  ay  parl6?  Ils'appelle 
Meister  Otto,  es  ist  ein  Kapsmacher  (sie  !).  Lc  libraire  de  la  Societe  des 
sciences  qui  s'nppclle  Pape  et  demeure  au  Mokenmarkt  (sie!)  pourra 
indiquer  oü  demeure  ce  Meister  Otto  ou  plutost  il  le  cherchera,  si  vous 
le  luy  faites  ordonner  et  luy  dire  quand  il  vous  doit  aller  trouver.« 
(Leibniz'  Werke  herausg.  v.  Onno  Klopp  I  Bd.  10  S.  286.)  Vgl.  Bode- 
mann a.  a.  O.  No.  702  und  unten  Brief  3,  5,  6,  9,  10,  31. 

Anm.  9.  Wohl  Jon.  Hcinr.  Hoffmann,  Astronom  und  Observator  bei  der  Kgl. 
Societät  zu  Berlin.  Vgl.  Jöeher  a.  a.  O.  II,  1659,  Bodemann,  Leibniz'  Brief- 
wechsel i.  d.  Bibliothek  zu  Hannover  No.  41"»  und  unten  Brief  4  und  38. 

Anm.  10.  Jezt  Bomiin,  Dorf  nordwestlich  von  Potsdam.  Vgl.  oben  Anm.  7 
und  Brief  5,  9,  11  und  12. 

Anm.  11.  Wriezcn. 

Anm.  12.  Der  grosse  Kurfürst  hatte  Berlin  zu  einer  Festung  nach  altnieder- 
lHndischem  System  umgestalten  lassen.  Der  Wall  sowie  andere  Teile 
dieser  Befestigung  werden  in  den  folgenden  Briefen  mehrfach  erwähnt. 
Vgl.  F.  Holtze,  Geschichte  der  Befestigung  von  Berlin.  (Schritten  des 
Vereins  f.  d.  Geschichte  Berlins.  Heft  10)  S.  41  ff. 

Anm.  13.  Edzard  Bödiker,  Archidiakonus  zu  Wriezcn  a.  O.,  Sohn  des  Sprach- 
forschers und  Rektors  am  Cöllnischen  Gymnasium  zu  Berlin  Joseph 
Bödiker  (1641  — 1695).  S.  Jördens,  Lexikon  deutscher  Dichter  und  Prosa- 
isten.   Leipzig  1811.  Bd.  6. 

Anm.  14.  Cuneau,  „Secretair  d'Estat  de  S.  A.  E.  de  Brandenbourg,  Conseiller 
de  In  Cour."  Bodemann  a.  a.  O.  No.  185.  Vgl.  die  Einleitung  und 
Brief  3,  4,  5,  8,  10,  17,  19,  21,  33,  35. 

Anm.  15.  Joh.  Theodor  Jablonski,  Sekretair  der  Berliner  SocietUt  der  Wissen- 
schaften. S.  Allg.  D.  B.  XIII,  525  f.  Bodemann  a.  a.  O.  No.  440  und 
Brief  3,  5,  21,  25,  28,  31,  32,  33,  37. 

Anm.  16.  Das  auch  noch  in  den  Briefen  5,  8,  10,  13  und  11  erwähnte  Privilegium 
wurde  der  Socictät  unter  dem  28.  Mllrz  1707  erteilt;  dasselbe  wird  in  Ab- 
schrift auf  dem  hiesigen  Königlichen  Geh.  Staatsarchiv  (Acta  geueralia 
betr.  die  Pflanzung  der  Maulbeer-Baume  No.  55.)  aufbewahrt  und  enthalt 
unter  Weglassung  der  einleitenden  Bemerkungen,  folgende  Bestimmungen : 
„Wir  Friedrich  von  Gottes  Gnaden  König  in  Preussen  ....  haben  in 
Gnaden  resolvirt,  .  .  .  Unser  Soeietat  der  Wissenschaften  ein  Privilegium 
privativum  generale  perpetuum  darüber  (d.  i.  über  den  Seidenbau)  zu 
ertheilen  ....  Thun  demnach  dasselbe  als  der  König  und  Landesherr 
Privilegiren  undt  Begnadigen  aus  Königl.  souverainer  Macht,  Hoheit 
und  Gewalt  Vohrerwehnte  Unsere  Soeietat  der  Wissensehaften  in  hiesigen 
Residentz-Stüdten,  hiermit  undt  in  Knifft  dieses  Unseres  offenen  Briefes 
dergestalt  und  also: 

1)  Dass  Erstlieh  Xicmandt  als  dieselbe  so  wol  in  unserm  König- 
reich Preussen  als  übrigen  in  undt  ausserhalb  dem  Römischen  Reiche 
belegenen  Provincien  undt  Landen  Macht  haben  solle,  solche  Weisse 
undt  dergleichen  Maul  beer  BHume  oder  Büsche,  Hecken  undt  Heüne 
davon  auffzuzichen  undt  von  den  Blattern  dieser  sowohl  alss  anderer 
BHume  undt  Gewachsse  die  Seyde  zu  erzielen. 


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Anmerkungen. 


51 


2)  Vorss  andere  soll  der  Societät  freystehen,  solch  Ihr  Privilegium 
undt  Recht  vor  sich  oder  durch  andere  zu  exerciren,  solches  auch 
gantz  oder  zum  Thcil,  beständig  oder  auch  eine  Zeit  lang  an  andere 
nach  Gutbefinden  zu  überlassen,  oder  sonst  auffs  Beste  zu  ihren  (!) 
Nutzen  anzuwenden,  und  sollen  die  so  etwa  von  der  Societät  consum 
haben  möchten,  dieses  Privilegii  ebenmässig  nach  allen  seinen  Clausein 
sich  zu  erfreuen  haben. 

3)  Eis  soll  auch  drittens  der  Societät  frey  stehen,  wan  undt  wo 
sie  es  guth  findet,  andern  (!)  zuzulassen,  dass  sie  in  ihrem  fundo  der- 
gleichen Bäume  undt  Gewächsso  aufziehen  mögen,  doch  unter  solchen 
Bedingungen  undt  solcher  Recognition,  darüber  sie  sich  mit  der  Societät 
vergleichen  werden,  undt  ohne  dass  es  von  andern  in  Conseqventz 
gezogen  werden  könne,  Undt  dafern  einige  einheimische  Seyde  mit 
Bewilligung  der  Societät  von  andern  gezielet  würde,  soll  selbige  an 
Niemand  alss  an  die  Societät  oder  die  Ihrigen,  um  den  Verglichenen 
Preis«  überlassen  werden,  es  sey  den,  dass  auch  diessfalss  ein  anders 
von  der  Societät  vergönnet  worden. 

4)  In  Unsern  undt  allen  Herrschafftlichen  Gärten  undt  andern 
Locis  publicis  aber  soll  viertens  der  Societät  oder  denen  die  causam 
von  Ihr  haben,  der  Gebrauch  crwehnter  Bäume  Gewächs  undt  Blätter 
allein  verstattet  werden,  Wie  Wir  den  Insonderheit  die  bey  Köpenick, 
Potsstam,  Glünicke,  oder  anderswo  sich  ietzo  undt  künfftig  befindende 
Bäume  undt  darzu  gehörige  Plätze  der  Societät  zu  diesem  Gebrauch 
ohne  Entgeldt  in  Gnaden  vergönnen.  Undt  weiln  zum  Spinnen  der 
Seyden  Würme  bequeme  Stellen  undt  Zimmer  eine  kurtze  Zeit  des 
Jahres  über  erfordert  werden,  undt  solche  sich  etwa  an  einigen  Uns 
oder  dem  Publico  zustehenden  Orten  finden  möchten,  da  sie  hierzu  ohne 
einige  Ungelegenheit,  Hindern üss  undt  Abgang  ander  Nutzen  undt 
Geschaffte  zu  gebrauchen,  soll  es  auch  ohne  Entgeldt  verstattet  werden. 

5)  Undt  Weiln  solche  Bäume  zugleich  zur  Zierde  gereichen,  und 
eben  sowohl  als  Linden  auffwaohssen  und  Schatten  geben:  So  soll 
fünfftens  die  Societät  macht  haben,  an  bequemen  orten  an  undt  auff 
Wällen  undt  Wercken,  an  Strassen,  Dämmen  oder  wo  es  sonst  anständig 
dergleichen  Bäume  und  Büsche  auch  gantze  Gänge  und  Alleen  zu 
pflantzen  und  hernach  zu  nutzen.  Undt  sollen  nicht  allein  bey  Wällen 
undt  Wercken  die  Commendanten  Unserer  Vestungen  solches  vergönnen 
undt  Handhaben,  sondern  auch  unsere  Gärtner,  Planteurs  undt  andere 
zum  Forst-Garten  undt  Pflantz-Werck  gehörige  Bedienten  hiermit  den 
Zweck  der  Societät  alss  darbey  das  Publicum  interessiret,  nicht  weniger 
alss  bey  denen  bloss  zur  Zierde  gepflantzten  Bäumen  zu  statten  kommen, 
auch  wass  zur  Düngung  dienet,  so  sonst  nicht  besser  gebraucht  wirdt, 
Hierzu  abgefolget,  undt  so  viel  sonst  ohne  Unser  undt  ander  Nachtheil 
undt  Abgang  geschehen  kan,  ihr  gefüget  werden. 

ü)  Da  auch  Sechstens  zu  Baum  Schulen  oder  Sonst  einige  bequeme 
Plätze  verlanget  werden  sollten,  deren  anderwärts  wohl  zu  entbehren, 
wollen  Wir  solche  Plätze  gegen  einen  gewissen  Erb-Zinss  nach  deren 
bissherigen  Ertrag  der  Societät  anweisen  lassen. 

6* 

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52 


Anmerkungen. 


7)  Weil  auch  Siebentes  von  den  gemeinen  oder  sehwartzen  Maul- 
beer Baumen  auch  einige  Seyde  zu  haben,  soll  solches  entweder  wegen 
gewisser  Uhrsaehen,  ausser  bey  der  Soeietät  gar  unterbleiben,  oder 
doch  nicht  anders  alss  mit  Einwilligung  der  SoeietHt  und  auff  die  mit 
ihr  verglichene  Conditiones  geschehen  auff  arth  undt  Weise,  wie  von 
den  Weissen  Maulbeer  Bäumen  erwehnet  worden. 

8)  Damit  auch  zum  achten  die  Soeitaet  ihr  Privilegium  desto  besser 
nutzen  könne  und  in  dessen  Gebrauch  desto  weniger  gehindert  werde, 
so  Verordnen  und  Verwilligen  Wir  in  Gnaden,  dass  nicht  allein  die 
Erzielung  sondern  auch  die  Verarbeitung  undt  der  Vertrieb  der  ein- 
heimischen Seyde  ihr  allein  zukommen  undt  in  diesem  von  Uns  dero- 
selben  verliehenen  Privilegio  begriffen,  mithin  ihr  allein  oder  deu  Ihrigen 
zustehen  Soll,  allerhaudt  Stoffen  (!)  undt  ändert?  Arbeith,  wie  Sie  Nahmen 
haben  mag,  auch  mit  Beyfligung  frembder  Seyde  undt  anderer  Materien, 
nachdeui  es  dienlieh,  aus  solcher  einheimischen  Seyde  verfertigen 
zu  lassen. 

9)  Weiln  auch  Neuntens  dieses  Werck  zum  gemeinen  Nutzen  undt 
unserm  Dienst  ohne  alle  Besehwerde  abzielet,  Undt  also  von  Unss  als 
favorable  angesehen  wirdt:  So  wollen  Wir  dass  Unsere  Societät  der 
Wissenschafften  bestens  beschützet  ,  undt  da  ja  wogen  des  Verstandes 
dieser  Unser  Concession  ein  Zweiffei  fürfallen  solte,  solcher  zur  ent- 
scheidung  an  Uns  gebracht  undt  inzwischen  nichts  dargegen  verhänget, 
im  übrigen  auch  der  Societät  zu  ihrem  Recht  ohne  Weitläuffigkeit  ver- 
holffen  werde. 

Wir  undt  unsere  Nachkommen  Könige  in  Preussen  Marg-  * 
graffen  undt  Churfürsten  zu  Brandenburg  wollen  auch  mehrgedachte 
Unsere  Societät  der  Wissenschaflten  bey  dem  Inhalt  dieses  Unseres 
Privilegii  allergnädigst  schützen,  handhaben  und  erhalten;  Gestalt 
Wir  den  •  auch  allen  und  jeden  Unseren  Collegiis  undt  Regierungen, 
Gouverneurs,  Befehlichshabern,  Drosten,  Haupt-  undt  Ambtieuten,  auch 
Commendanten  undt  officierern;  Insonderheit  aber  allen  Vorgesetzten 
Personen,  Beamten  undt  Bedienten  bey  Unsern  Domainen  Forsten 
Häusern  undt  Gärten  nicht  weniger  auch  allen  Magistraten  undt  Policey 
Meistern,  Planteurs  und  allen  Unsern  anderen  Hohen  undt  Niedrigen 
Bedienten,  wie  die  Nahmen  haben  mögen,  so  woll,  als  allen  unsern 
Unterthanen,  wes  Standes  die  seyn,  in  Unserm  Königreich  Provincien 
undt  Landen,  hiermit  allergnädigst  undt  zugleich  ernstlich  anbefehlen 
solches  an  Unserer  statt  gleichfalls  zu  thun,  undt  Unsere  Societät  der 
Wissenschafften  oder  die  Ihrigen  in  dem  Exercitio  dieses  Unsere  Privi- 
legii nicht  zu  turbiren,  vielmehr  dabey  respeetive  zu  handhaben,  zu 
dessen  effect  nach  der  Sachen  Beschaffenheit  und  eines  jeden  Ambt 
behülfflich  zu  seyn,  die  Intractiones  so  viel  an  ihnen  zu  verhindern  undt 
nichts  dargegen  zu  verstatten,  weniger  selbst  zu  thun,  bey  Vermeidung 
Unsern  schweren  Ungnade  undt  unausbleiblicher  Straffe  des  Verbrechens, 
wovon  die  Geldstraffen  halb  unsern  (!)  flsco  und  halb  der  Societät 
zufallen  sollen.  Wir  reserviren  Unss  aber  Hierbey  ausdrücklich  dieses 
Privilegium  allemahl  nach  Erforderung  undt  Beschaffenheit  der  Sachen 


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Anmerkungen. 


undt  Zeiten  und  zu  besserer  Erreichung  Unsers  Zwecks  zu  fassen  undt 
einzurichten,  auch  wollen  Wir  Was  den  Neunten  Punct  anlanget  in 
zweifFelhafften  Dingen  Selbsten  der  Ausleger  dieses  Privilegii  seyn,  undt 
die  Imposten  an  Zoll,  Accise  undt  dergleichen  nach  Unsern  Gefallen, 
doch  Wie  es  der  favor  einer  einheimischen  Waare  erfordert  undt  Unser 
Interesse  leiden  oder  Verstatten  mag,  reguliren;  Getreulich  ohne  Gefährde. 
Jedoch  Uns  an  Unsern,  auch  sonst  jedermänniglichen  an  seinen  Rechten 
ohne  Schaden.  Uhrkundlich  Unter  Unser  eigenbändigen  Unterschrifft 
undt  anhangenden  Lehn  Siegel.  Gegeben  zu  Cölln  an  der  Spree  den 
Acht  und  zwantzigsten  Martii  nach  Christi  Unsers  lieben  Herren  und 
Seeligmachers  Geburth.  Im  Eintausendt  Siebenhundert  und  Siebenden 
Jahre. 

Friedrich." 

Anm.  17.  Koppisch  und  Müller,  Seidenhändler  in  Berlin.  Vgl.  Acta  Borussica. 
Seidenbau  I  6,  9. 

Anm.  18.  Von  Leibniz  auf  die  leere  Rückseite  des  vorhergehenden  Briefes 
2  geschrieben. 

Anm.  19.  Die  heutige  Berlin-Charlottenburger  Chaussee.  Schon  in  der  Denk- 
schrift vom  Jahre  1703  (Leibniz  ed.  Kopp  I  10  S.  377)  hatte  Leibniz 
vorgeschlagen,  von  Berlin  nach  Schönhausen,  Friedrichsfeldc  und 
„anderen  königlichen  nahegelegenen  Häusern"  Maulbeerbaumalleen 
anzulegen. 

Anm.  20.   Vgl.  oben  Anm.  9. 

Anm.  21.  Der  gedeckte  Weg  ist  bei  gemauerten  Befestigungen  ein  vor  der 
Kontereskarpe  (äusseren  Graben böschung)  befindlicher  und  vor  unmittel- 
barem feindlichen  Feuer  geschützter  Raum,  der  dadurch  gebildet  ist, 
dass  die  Anschüttung  des  Glacis  sich  nicht  unmittelbar  an  die  Konteres- 
karpe anschliesst,  sondern  in  ihrer  ganzen  Länge  5 — 10  ra  von  der 
letzteren  entfernt  bleibt.  Siehe  auch  Holtze,  Geschichte  der  Befestigung 
von  Berlin  S.  67  und  unten  Brief  6,  16  und  17. 

Anm.  22.  Alexander  Hermann  Reichsgraf  von  Wartensleben,  Feldmarsehall 
und  Wirklicher  Geheimer  Kriegsrat,  Gouverneur  der  königlichen 
Residenzien  in  Berlin.   Mehrfach  unten  erwähnt:  Brief  6,  8,  9,  10  und  27. 

Anm.  23.  Unter  diesen  Brief  ist  von  Leibniz  Hand  geschrieben:  „habe  be- 
gehret nachricht  wegen  Mr.  Ottcn,  und  sonst  nachzustreben  wegen  des 
gangs  nach  Charlottenburg  umb  Bäume  hinzusezen." 

Anm.  24.   Vgl.  oben  Anm.  16. 

Anm.  25.    Joh.  Theodor  Jablonski.    S.  oben  Anm.  15. 

Anm.  26.  Maturin  Veyssierc  La  Croze,  Kgl.  Bibliothekar  in  Berlin,  bekannter 
Orientalist.  Vgl.  Jöeher  I  2218,  Bodemann  a.  a.  O.  No.  517  und  besonders 
Formey,  Eloges  des  Academieiens  de  Berlin.  (Berlin  1757)  II,  63—7'). 
wo  auch  die  gedruekten  und  ungedruckten  Werke  dieses  Mannes  auf- 
gezählt werden.    Siehe  auch  unten  Brief  9.  17,  21,  29,  33,  36,  41. 

Anm.  27.  Sebastian  Gottfried  Starke,  1698  Konrektor  am  Berl.  Gymnasium 
zum  grauen  Kloster,  1705  Professor  der  orientalischen  Sprachen  zu 
Greifswald,  musste  von  der  ihm  1708  übertragenen  Leitung  der  Ritter- 
akademie zu  Brandenburg  wegen  Krankheit  zurücktreten  und  starb  1710 


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54 


Anmerkungen. 


zu  Berlin.  Vgl.  Dietrich,  Berlinische  Kloster-  und  Schul -Historie  (Berlin 

1732)  S.  293  und  Brief  10,  17  und  21. 
Anm.  28.   Jon.  Casimir  Kolb  Graf  von  Wartenberg,  seit  1688  in  kurbranden- 

burgischen  Diensten,  1699  vom  Kaiser  zum  Grafen  ernannt,  erster 

Minister,  Oberkämmerer  u.  s.  w.,  fiel  1711  in  Ungnade,  starb  1712. 

Vgl.  Bodemann  a.  a.  O.  No.  978  und  Brief  7  und  10. 
Anm.  29.    Auch  unten  Brief  13  erwähnt. 

Anm.  30.  Kurfürst  Joachim  I.  hatte  den  westlichen  Theil  der  Terapelhofer 
Berge,  —  vom  heutigen  Dreifaltigkeitskirchhof  ab  —  zu  Weinbergen  um- 
gestalten lassen,  und  er  sowohl  wie  sein  Nachfolger  liessen  hier  durch 
eigene  Weinmeister  den  Weinbau  pflegen.  Im  dreissigjährigen  Kriege 
wurden  die  Weinberge  vernichtet,  und  wenn  sie  auch  der  grosse  Kurfürst 
wieder  zu  kultivieren  versuchte,  so  wurde  ihnen  unter  Friedrich  I  nur 
wenig  Aufmerksamkeit  geschenkt,  so  das«  Friedrich  Wilhelm  I  unter 
dem  22.  Januar  1718  den  Befehl  erteilte,  sie  zu  verkaufen.  Vgl.  E.  Brecht, 
Die  Tempelhofer  Berge  bei  Berlin.  Der  Bür  I,  50  und  54.  Siehe  auch 
Brief  6,  10,  11,  13  und  15. 

Anm.  31.    Wird  auch  in  Brief  8  (Anm.  43)  erwähnt. 

Anm.  32.  Nordöstlich  von  Potsdam  an  der  Berliner  Chaussee  gelegen.  Da- 
selbst stehen  noch  jetzt  viele  Maulbeerbäume,  die  aber  wohl  aus  der 
Zeit  des  Pädagogen  von  Türk  stammen. 

Anm.  33.    Graf  von  Wartensleben.    Siehe  Anm.  22. 

Anm.  34.    Vgl.  Anm.  21. 

Anm.  35.    Aussenwerk  einer  Festung,  vor  der  Courtine  zwischen  2  Bastionen 

liegend.    Vgl.  oben  Anm.  12. 
Anm.  36.   Vgl.  oben  Anm.  19. 

Anm.  37.  Über  die  Persönlichkeit  dieses  Alchymisten  hat  sich  nicht*  ermitteln 
lassen;  auch  verzeichnen  ihn  die  Berliner  Adressbücher  jener  Zeit  nicht. 
Seiner  wird  noch  in  Brief  8,  9,  10,  14  und  18  Erwähnung  gethan. 

Anm.  38.  Das  s.  g.  Berliner  Blau.  Nach  G.  E.  Stahl  (Experimenta,  Obser- 
vationen animadversiones  CCC  numero  chymicae  et  physicae.  Berolini 
1731.  8°  S.  280  ft'j  hat  der  Alchymist,  Arzt  und  Theologe  Johann  Konrad 
Dippel  (1672—1734),  der  Entdecker  des  ätherischen  Tieröls,  zufällig 
das  Berliner  Blau  erfunden.  Der  Färber  Dicsbach  bereitete  Florentiner 
Lack  durch  Niederschlug  eines  Absuds  von  Cochenille  mit  Alaun  und 
etwas  Eisenvitriol  durch  fixes  Alkali.  Er  bat  nun  einmal  Dippel,  ihm 
von  dem  Kali  etwas  zu  Uberlassen,  über  welches  jener  das  tierische 
Öl  destillirt  hatte.  Dies  geschah;  statt  des  erwarteten  roten  erhielt 
Diesbach  aber  ein  tiefblaues  Pulver.  Dippel,  dem  hiervon  Mitteilung 
gemacht  wurde,  erkannte,  dass  die  blaue  Farbe  durch  die  Einwirkung 
des  gebrauchten  Alkalis  auf  den  Eisenvitriol  entstanden  sei.  Die 
Äusserung  Frischs  in  Brief  29:  „Ich  lasse  gern  allen  den  Ruhm  der 
Erfindung,  aber  es  hat  sie  sonst  keiner  als  ich"  scheint  gegen  diese 
Überlieferung  zu  sprechen,  in  Brief  9  aber  nimmt  er  die  Urheberschaft 
nicht  in  Anspruch,  wenn  er  sagt:  „Ich  habe  sie  (die  blaue  Farbe)  jetzt 
zu  grösserer  Höhe  getrieben,  als  der  lnventor  sie  jemahls  gemacht." 
Vermutlich  fällt  Dippels  Erfindung  kurz  vor  seine  Flucht  aus  Berlin 


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55 


im  Jahre  1707  (vgl.  Allg.  D.  B.  V  219),  so  dass  er  die  Entdeckung  nicht 
ausnützen  und  an  seine  Stelle  Frisch  treten  konnte.    Nachrichten  über 
das  Berliner  Blau  Hnden  sich  noch  Brief  14,  15,  16,  17,  24,  25,  26,  27, 
29,  40  und  41.    Über  Piesbach  vgl.  Brief  15,  16,  18,  29  und  37. 
An  in.  39.  Scheidewasser. 

An  in.  40.    Christian  Max  Spener,  Sohn  des  berühmten  Pietisten,  Professor 

für  Heraldik,  Genealogie  und  Physik  an  der  von  König  Friedrich  I. 

errichteten  Ritterakademie,  Ober-Herolds-Rath  und  Hofmcdicus  in  Berlin. 

Vgl.  Bodemann  u.  a.  O.  No.  880,  Jöchcr  IV  722  f,  Ledebur,  Friedrich  I 

S.  86  und  373  und  Brief  27  und  38. 
Anni.  41.    Autographon  Leibniz',  veranlasst  durch  die  im  vorhergehenden 

Brief  gegebene  Anregung. 
An m.  42.    Ohne  Adresse  und  Datum  von  Leibniz'  Hand  auf  demselben  Blatt 

mit  dem  vorhergehenden  Brief. 
An  in.  43.    Vgl.  oben  Ann».  31. 
Anm.  44.    Vgl.  oben  Anra.  16. 

Anm.  45.    Generalfeldmarschall  Graf  von  Wartensleben.    Vgl.  Anm.  22. 

Anm.  46.  ?  Jon.  Urb.  Müller,  1707  Kämmerer  in  Wolfenbüttel.  Vgl.  Bode- 
maun  a.  a.  O.  No.  668  und  Brief  9,  11,  14  und  17. 

Anm.  47.  Über  Leibniz'  Bemühungen  um  die  Errichtung  , einer  guten  Anstalt 
gegen  Feuerschäden"  vgl.  die  Einleitung  S.  LX  und  XII.  Am  15.  Oktober 
1705  wurde  —  besonders  auf  Betreiben  des  Grafen  von  Wittgenstein  —  ein 
Generalfenerkasbenreglement  erlassen,  nach  welchem  jeder  Hausbesitzer 
genötigt  war,  sein  Hau«  zu  einer  bestimmten  Summe  bei  dem  General- 
Land-  und  Stadtfeuerkassen-Collegio  in  Berlin  anzugeben.  Vgl.  Stcnzel, 
Geschichte  des  preussisehen  Staates  III  190,  Mylius,  Corpus  const.  March. 
V.  1.  Cap.  2  No.  9  Sp.  173  f.  Durch  Rescript  vom  17.  Januar  1711 
wurden  die  obligatorischen  Feuerkassen  wieder  aufgehoben.  Mylius  1.  c. 
No.  25  Sp.  237. 

Anm.  48.    General-Feldmarsehall  Graf  von  Wartensleben.  Vgl.  oben  Anm.  22. 

Anm.  49.  Christoph  Heinrich  Ölven,  Rittmeister  in  preussischen  Diensten, 
musste  wegen  Lähmung  der  Beine  den  Abschied  nehmen,  war  in  Berlin 
literarisch  thätig  und  gab  die  erste  Berliner  populäre  Zeitschritt  in 
deutscher  Sprache  unter  dem  Titel  heraus :  Monatliche  curieuse  Natur-, 
Kunst-,  Staats-  und  Sitten-Praesenten.  Zum  Nutzen  und  Ergötzen. 
Berlin  gedruckt  und  zu  (Inden  bey  Joh.  Lorentz  in  der  Nagelgasse. 
1708  und  1709.  Von  dem  zweiten  Jahrgang  (1709)  erschienen  nur 
6  Stücke.  Sein  literarischer  Zwist  mit  La  Crozc  war  in  dem  prinzipiellen 
Gegensatz  der  Denkweise  beider  Miinner  begründet,  hatte  aber  folgende 
Veranlassung.  Am  23.  November  1707  war  dem  kronprinzlichen  Paare 
ein  Sohn  geboren,  der  den  Namen  Friedrich  Ludwig  und  den  Titel 
eines  Prinzen  von  Oranien  erhielt,  jedoch  am  13.  Mai  1708  schon  wieder 
starb.  Ölven  hatte  aus  den  Worten  Fridericus  Ludovicus  Princeps 
Arausionensis  das  „Anagramma  purum  fatidicum  et  metricum"  gebildet: 
Fili,  Caesar  eris  Dux  purpureusque  Sionis  Vincendo,  das  aber  von  La 
Crozc  „nur  als  ein  Anagramm "  bezeichnet  war.  Darauf  erfolgte  der 
von  Frisch  erwähnte  Angriff  Ölvens  auf  La  Crozc  in  dem  Märzheft  der 


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60 


Anmerkungen. 


PrJisenten.  Ölvens  litterarische  und  wissenschaftliche  Bedeutung  war 
nicht  so  hervorragend,  dass  seine  frühe  Vergessenheit  ungerechtfertigt 
wäre.  Kulturhistorisch  ist  aber  die  Persönlichkeit  so  interessant,  dass 
ich  mir  vorbehalte,  an  anderer  Stelle  unter  Benutzung  bisher  nicht  ver- 
öffentlichten Materials  auf  dieselbe  näher  einzugehen  und  hier  nur  noch 
die  ziemlich  versteckte  Litteratur  über  ihn  verzeichne:  Oelrichs,  Beiträge 
zur  Brandenburgischen  Geschichte.  Berlin  1761  S.  289  ff.  W.  Giesebrecht, 
Die  Weissagung  von  Lehnin  und  Christoph  Heinrich  Oelven.  Allgem. 
Zeitschrift  für  Geschichte  herausgeg.  von  W.  Adolf  Schmidt  VI,  448  ff. 
G.  Hiltl,  Ein  Berliner  Literat  aus  dein  17.  und  18.  Jahrhundert.  Der 
Bär  II,  185  ff.  Vgl.  auch  Brief  10  und  23. 
Anm.  50.    Felmy.   Vgl.  Anm.  37. 

Anm.  51.  Scheidewasser.  Über  diese  chemischen  Dinge  hat  mir  freundlichst 
Herr  Dr.  Stavenhagen,  Privatdozent  an  der  Kgl.  technischen  Hochschule 
in  Charlottenburg,  Auskunft  erteilt. 

Anm.  52.  Königswasser. 

Anm.  53.    Gemeint  ist  Brief  7. 

Anm.  54.  Der  in  Anm.  49  erwähnte  Sohn  des  Kronprinzen  Friedrich  Ludwig. 
Friedrich  I  begab  sich  bald  nach  dem  im  Mai  erfolgten  Tode  seines 
Enkels  zur  Herstellung  seiner  angegriffenen  Gesundheit  auf  Anraten 
der  Ärzte  nach  Karlsbad.  Vgl.  König,  Versuch  einer  histor.  Schilderung 
Berlins  III,  192. 

Anm.  55.  Alphonsc  de  Vignolcs,  französischer  Emigrant,  wurde  1689  Prediger 
zu  Brandenburg,  1701  Mitglied  der  Berliner  Akademie,  zog  1703  nach 
Berlin,  f  1741.    Vgl.  Bodemann  a.  a.  O.  No.  956,    Jöcher  IV,  1602  ff. 

Anm.  56.  Äussere  Grabenböschung  einer  Befestigung.  S.  auch  Brief  18 
und  19. 

Anm.  57.  Vgl.  Stenzel,  Geschichte  des  preussischen  Staates  III,  191  und 
Brief  11  am  Ende. 

Anm.  58.  Frischs  Urteil  über  Paul  Jaköb  Marperger,  geb.  1656,  wird  von 
der  Geschichte  nicht  bestätigt;  Marperger  gilt  vielmehr  als  „einer  der 
ersten  deutschen  Schriftsteller,  welche  der  Wissenschaft  der  politischen 
Ökonomie  den  Weg  gebahnt  haben."  Er  starb  1730  zu  Dresden  als 
polnischer  und  kursächsischer  Kommerzienrat.  Siehe  Allg.  D.  B.  XX, 
105  und  Geiger,  Berlin  1688—1840.  I,  131  ff,  wo  eine  kurze  Inhalts- 
angabe von  Marpergers  171<>  zu  Berlin  veröffentlichten  „geographischen, 
historischen  und  mercatorischen  Beschreibung  aller  derjenigen  Länder, 
welche  dem  k.  preussischen  und  chur-brandenburgischen  Scepter  in 
Deutschland  unterworffen-  mitgeteilt  wird  Von  Interesse  ist  auch  seine 
auf  der  Königl.  Bibliothek  zu  Berlin  aufbewahrte:  „Anleitung  zum 
rechten  Verstand  und  nutzbarer  Lesung  ordentlicher  und  ausserordent- 
licher Zeitungen  oder  Avisen  wie  auch  der  sogenannten  Journale."  Vgl. 
auch  Brief  23. 

Anm.  59.  Tiegel. 

Anm.  60.  Silber. 

Anm.  61.    Behandlung  mit  Salpetersäure. 
Anm.  62.  Salpetersäure. 


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Anmerkungen. 


57 


Anm  63.    Mars  =  Eisen. 
Anm.  64.    Venus  =  Kupfer. 
Anm.  65.   Kohlensaures  Kalium. 
Anm.  66.  Aufgeschlossen. 

Anm.  67.  Frisch  wurde  1708  Konrektor,  nachdem  der  bisherige  Konrektor 
Christoph  Friedrich  Bodenburg  an  Stelle  des  verstorbenen  Rodigast  zum 
Rektor  ernannt  worden  war. 

Anm.  68.    Wahrscheinlich  auf  der  Reise  von  Hannover  nach  Karlsbad. 

An  in.  69.  Ein  Abenteurer,  der  sich  Dominico  Caetano  de  Ruggiero  nannte 
und  im  Besitze  der  Kunst  des  Goldmachens  zu  sein  vorgab,  wurde  von 
König  Friedrich  I  zuerst  mit  hohen  Ehren  bedacht,  dann  aber,  als  sich 
sein  Vorgeben  als  betrügerisch  erwies,  auf"  des  Königs  Befehl  zu  Kttstrin 
gehenkt.  Vgl.  König,  Versuch  einer  historischen  Schilderung  der  Resi- 
denzstadt Berlin  III,  162—166  und  [König],  Historische  Nachricht  von 
dem  betrügerischen  Ende  des  angeblichen  Grafen  Don  Dominiko  Emanuel 
Caetano  Conte  de  Ruggiero,  eines  falschen  Goldmachers,  welcher  den 
29.  August  1709  zu  Cüstrin  gehilnget  worden.  Aus  den  peinlichen 
Untersuchungsakten  gezogen.  Berlin  und  Frankfurt  a.  d.  Oder  bei 
Johann  Andreas  Kunze.  1790.  (Königl.  Bibliothek  zu  Berlin.  S.  10958.8°). 
Siehe  auch  Brief  14  und  15. 

Anm.  70.    Verwandlung  des  Quecksilbers  in  Silber. 

Anm.  71.   Siehe  Einleitung  S.  XXIV. 

Anm.  72.  Gemeint  ist  das  Deutsch -lateinische  Wörterbuch,  welches  1711 
erschien.  Vgl.  Einleitung  S.  XXV.  * 

Anm  73.  Thomas  Benson,  Vocabularium  Auglo-Saxonicum ,  Lexico  GuiL 
Somneri  longe  auetius.  Oxonii  1701.  Der  Titel  von  Somners  Werk 
lautet:  Dictionarium  Saxonico-Lat.-Auglicuin  voces  phrasesque  praeeipuas 
Anglo-Saxonicas  complcctens.    Oxonii  1659. 

Anm.  74.  Ende  Februar  1709  war  Leibniz,  nachdem  er  sich  zu  Anfang  des- 
selben Jahres  auf  der  Rückreise  von  Wien  einige  Wochen  in  Berlin 
aufgehalten  hatte,  in  Hannover  wieder  angekommen. 

Anm.  75.  Friedrich  Hoffmann,  (1660  -1742),  1693  Professor  der  Medizin  in 
Halle,  1709  Leibarzt  des  Königs  von  Preussen  in  Berlin,  kehrt  1712  in 
Folge  von  Hofintriguen  nach  Halle  zurück.  Vgl.  Allg.  D.  B.  XII,  584  ff, 
Bodemann  a.  a.  O.  No.  413  und  Brief  15  und  24. 

Anm.  76.  Wahrscheinlich  Vincenzo  Anania.  Vgl.  Schindler  und  Hintze,  Die 
preussische  Seidenindustrie  im  18.  Jahrhundert.    Bd.  1  No.  14. 

Anm.  77.  Geheimer  Kammerrat  und  Kriegsrat  Christian  Friedrich  von  Kraut 
Vgl.  König,  Berlin  III,  19,  141  u.  ö.;  auch  Brief  24. 

Anm.  78.  Der  Winter  von  1708  auf  1709  war  ausserordentlich  hart.  König, 
Berlin  III  S.  201. 

Anm.  79.    Sonst  nicht  weiter  bekannt. 

Anm  80.  Friedrich  IV  von  Dänemark  und  August  II  von  Sachsen  kamen 
1709  nach  Berlin,  um  den  König  von  Preussen  für  ein  Bündniss  gegen 
Karl  XII  zu  gewinnen.  Vgl.  Ledebur,  Friedrich  I  S.  435.  Stenzel, 
Geschichte  des  preussischen  Staates  S  Hin.  König,  Berlin  HI,  S.  202  f. 

Anm.  81.   Vgl.  Einleitung  S.  VU  und  Brief  23  und  28. 


58  Anmerkungen. 

An  in.  82.    Bauschreiber  Hehse.    Vgl.  oben  Brief  6. 

Anm.  83.  Der  Lustgarten,  welcher  damals  die  ganze  Museumsinsel  bedeckte 
und  von  Friedrich  Wilhelm  I  aufgelöst  und  in  einen  Exerzierplatz  um- 
gewandelt wurde.  Vgl.  P.  Seidel,  Der  Lustgarten  am  Schlosse  in  Berlin 
bis  zu  seiner  Auflösung  im  Jahre  1715.  Forschungen  zur  brandenb  - 
preussischen  Geschichte  III,  «9 — 121. 

Anm.  84.  Oberhofmarschall  Reichsgraf  August  von  Sayn  und  Wittgenstein, 
Generaldirektor  der  Domänen,  Direktor  des  Salz-  und  Münzwesens,  Ober- 
berghauptmann ete.    Siehe  auch  Brief  23. 

Anm.  85.  Über  die  Lebensumstände  dieses  Mannes  hat  sich  nichts  ermitteln 
lassen;  er  wird  noch  mehrfach  erwähnt:  Brief  14,  18,  19,  20  und  26. 

Anm.  86.    Sonst  nicht  bekannt,  wird  noch  Brief  16  erwähnt. 

Anm.  87.    Vgl.  oben  Anm.  75. 

Anm  88.  Erster  Direktor  und  Dekan  der  Akademie  der  Künste.  Vgl.  Ledebur, 
Friedrich  I  von  Preussen  S.  10». 

Anm.  89.  In  der  Sprache  der  Alchymisten  die  Flüssigkeit,  in  der  das  wunder- 
kräftige Pulver  gelöst  ist. 

Anm.  90.  Eisenchloridlösung. 

Anm.  91.  Kupferchloridlösung. 

Anm.  92.    Spiritus  salis  Amoniaci  =  Ammoniak. 

Anm.  93.    D.  h.  alle  überschüssigen  Säuren  entfernen  könnte. 

Anm.  94.  Das  Glossarium  gothieum  des  Junius  war  damals  bereits  gedruckt, 
allerdings  nicht  in  England;  vgl.  unten  Anm.  102.  Sein  Glossarium  V 
linguanrm  septentrionalium  hatte  Junius  als  Manuskript  der  Oxforder 
Bibliothek  vermacht;  der  Bischoff  Fell  Hess  eine  Abschrift  davon  nehmen, 
die  auf  Kosten  der  Oxforder  Universität  gedruckt  werden  sollte.  Vgl. 
Francisci  Junii  F.  F.  De  Pietura  veterum  libri  III  (Kotterdami  1694. 
fol.)  Bogen  ff  3.  Macray,  Annais  of  the  Bodleian  library.  (Oxford  1890) 
p.  154.  Aus  welchen  Gründen  der  Druck  unterblieb,  ist  mir  unbekannt. 
Coxe  verzeichnet  in  seinem  Cntalogus  eodieum  MSS.,  qui  in  collegiis 
annalibusque  Oxoniensibus  hodie  asservantur  (Oxford  1852)  das  Manuskript 
nicht  mehr 

Anm.  95.  Antiquae  literattirao  septentrionalis  libri  duo,  quorum  primus 
Georg.  Hickesii  linguarum  veterum  septentrionalium  thesaurum  et 
A.  Fountaini  numismata  Saxoniea.  alter  Humphredi  Wanleii  librorum, 
qui  in  Angliae  bibliothecis  extant,  catalogum  eontinet  Oxonii  1705. 
fol.  tom.  1  &  2.    (Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin  Z  7778  fol.) 

Anm.  96.  Stephani  Skinneri  Etymologieon  lingnae  anglicanae  ex  Unguis 
XXII  ....  online  alphabetieo  digestum.  London  1671.  fol.  ÜberBenson 
s  o.  Anm.  73. 

Anm  97.  Vgl.  Anm.  loO  und  Brief  16.  Ich  vermute,  dass  folgende  auf  der 
Königl.  Bibliothek  zu  Berlin  aufbewahrte  (B  I)  21 83.  8n)  und  nach  An- 
gabe des  Katalogs  um  diese  Zeit  erschienene  Ausgabe  von  Frisch 

Stammt:  'A'/xtitcv  j«Z  &ixx.e'n:>  s-£iJ>  &x?i>.ixr,  Ktf>x>.xi*t  T«(«iurM«>  ti(\ 
t«v    **$iixa*T0i    r»u  K«A«t/  «^trrot   *(ec.  rtt  x-jtcx^  ai  «gjt    lov<rTtnxier.  AgapCtl 

Scheda  Regia  de  ofticis  boni  Principis  ad  Iniperatorem  Iustianianum 
Coloniae  Braudenburgicae.  s.  a.  8*. 


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Anmerkungen. 


59 


Anra.  98.  Technischer  Ausdruck  der  Befestigungskunst:  kleiner  niedriger 
Vorwall. 

Anm.  99.    Vgl.  Brief  17  Anm.  105. 

Anm.  100.  Es  ist  nicht  anwahrscheinlich,  dass  Leibniz'  Vorschlag  über  das 
Bücher-Kommissariat  zu  Gunsten  der  Societüt  (vgl.  Einleitung  S.  XI  tt.) 
in  König  Friedrich  I  den  Gedanken  an  die  Einführung  übereinstimmender 
Lehrbücher  in  die  Gymnasien  der  Mark  geweckt  hat  Auf  seine  An- 
ordnung nHmlich  wurden  von  den  Rektoren  und  Konrektoren  des 
Berlinischen,  Joachimsthalsehcn,  Köllnischen  und  Friedrich  Werderschen 
Gymnasiums  für  die  märkischen  Gymnasien  Lehrbücher  und  Autoren- 
ausgaben bearbeitet.  Unter  hauptsächlichster  Beteiligung  von  Joh. 
Friedr.  Bodenburg,  Frisch  und  Dieterich  vom  grauen  Kloster,  dem  Kon- 
rektor Dornmeier  vom  Friedrich  -  Werdersehen  Gymnasium  und  dem 
Konrektor  Kubin  vom  Köllnischen  Gymnasien  erschienen  innerhalb 
mehrerer  Jahre  die  m.'irkisehen  Grammatiken  der  griechischen,  lateinischen 
und  hebriiisehen  Sprache  nebst  kurz  gefassten  Kompendien,  die  märkische 
Rhetorik,  eine  Auswahl  der  Briefe  des  Cicero  und  des  Plinius  und  die 
Ausgaben  des  Agapct,  Theophrast  und  Päanius.  Diese  Bücher  wurden 
in  alle  Berliner  Gymnasien  eingefühlt  und  blieben  bis  in  die  letzte 
Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  im  Gebrauch.  Trotzdem  sind  sie  selten 
geworden  und  ich  verzeichne  ihre  Titel,  soweit  ich  sie  habe  ennitteln 
können:  Vollständige  Griechische  Grammatik  nach  der  Lehrordnung 
der  Lateinischen  Märkischen  Grammatik  eingerichtet.  Berlin  1730. 
(Kgl.  Bibl.  zu  Berlin  Vc  1000.  8°).  Vollständige  Lateinische  Grammatica 
Marchica.  Berlin  1718.  (Kgl.  Bibl.  W  1728.  8°)  Compendium  gram- 
maticae  Latinae  oder  kurzer  Auszug  aus  der  grösseren  lateinischen 
Grammatica  Marchica.  Berlin  171«  (Kgl  Bibl  W  17l>-1.  *°).  Fundamente 
Linguae  Hebraeae.  Regio  Jussu  In  Usum  luventutis  praesertim 
Marchicae,  Coninncto  nonnullorum  studio  adornata.  Cum  Privilegio. 
Berolini,  Apud  Christoph  Gottlieb  Nicolai.  Anno  1722.  (Kgl  Bibl.  zu 
Berlin!.  Rhetorica  Latina  Praeceptis  exemplist|ue  suflicientibus  clo- 
quentiam  non  adfectatam  docens.  Regio  Jussu  In  vsum  itiuentutis 
praesertim  Marchicae,  Coniuneto  nonnullorum  studio  adornata.  Cum 
Privilegio.  Berolini,  In  Oflieiua  Joh.  Christoph.  Papenii.  Reg.  &  Soeiet. 
Scientiar.  Bibliopolae  1714.  (Kgl.  Bibl.  zu  Berlin.)  -  M.  Tullii  Ciceronis 
Epistolarum  In  Usum  Ineipicntis  et  Prolicientis  luventutis  Marchicae 
Seleetaruni  Lil)ri  Duo,  Cmibus  Similis  Plinianarum  Selectus  Subiunctus 
Est.  Cum  Privilegio.  Berolini,  In  Ofticina  Joh.  Christoph.  Papenii, 
Regii  et  Socictatis  Scientiarum  Bibliopolae,  1711.  Die  Auswahl  der  Briefe 
des  Plinius,  welche  angebunden  und  besonders  paginiert  ist,  hat  einen 
besonderen  Titel:  C.  Plinii  Caecilii  Sccundi  Epistolarum  In  Usum  Inei- 
pientis  Et  Prolicientis  luventutis  Marchicae  Seleetaruni  Libri  Duo.  Cum 
Privilegio.  Berolini.  In  Ofncina  Joh.  Christophori  Papen,  Regii  et  Socie- 
tatis Scientiarum  Bibliopolae.  1711.  (Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin.)  Die 
Ausgabe  des  Agapet  ist  in  Anm.  7!»  genannt,  die  Ausgabe  von  des 
Paianios  griechieher  Übersetzung  der  Historia  Roinana  des  Eutropius 
habe  ich  nicht  ermitteln  können.    Der  Titel  der  Theophrast-Ausgabe 


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60 


Anmerkungen. 


lautet:  eio<pc«Vr«t/  <*.9-<*^  x«(««r*(f<  Scu  Thcophrasti  Notationes  Morum. 
Berolini,  Officina  Joh.  Christoph.  Papenii,  Regii  &  Societ.  Scientiar. 
Bibliopolae.  1712.  8°.  (Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin  BD  21S3.)  Vgl.  auch 
Diterieh,  Berlinische  Kloster-  und  Schulhistorie  S.  240  f  und  Heidemann 
Geschichte  des  Berlinischen  Gymnasiums  zum  grauen  Kloster  S.  193. 
Siehe  auch  Brief  21  und  22. 

Anm.  101.  Joachim  Lange,  Schüler  A.  H  Frankes,  1698— 1709  Direktor  des 
Friedrich.  Werderschen  Gymnasiums,  geht  1709  als  ordentlicher  Professor 
der  Theologie  nach  Halle,  wo  er  1744  stirbt  Vgl.  Müller,  Geschichte 
des  Friedrich -Werderschen  Gymnasiums  (Berlin  1881)  S.  18  f. 

Anm.  102.  Quatuor  D.  N.  Jesu  Christi  Evangeliorum  Versiones  perantiquae 
duae,  Gothica  scilicet  et  Anglo  Saxonica :  Quarum  illam  ex  celeberrimo 
Codice  Argenteo  nunc  primura  depromsit  Fr  Junius.  Hanc  autem  ex 
Codicibus  Mss.  collatis*  emendatius  rccudi  curavit  Th.  Mareschallus. 
Accessit  et  Glossarium  Gothicum  opera  cjusdem  Fr.  Junii.  Dordrechti 
typis  et  8umtibus  Junianis  1655.  4.  —  D.  N.  Jesu  Christi  SS.  Evangelia 
ab  Ulfila  ex  Graeco  Gothice  translata,  nunc  cum  parallelis  versionibus 
Sveo-Gothica,  Xorraena  seu  Islandica  ot  vulgata  Latina  edita  (per  Ge. 
Stiernhielni)  Stoekhohniae  1671  (2.  Tie.)  Glossarium  Ulphila-Gothicum, 
Unguis  aliquot  affinibus  per  Fr.  Junium,  nunc  etiam  Sveo-Gothica  etc. 
locupletatum  et  illustratum  per  G.  Stiernhielm.  Holmiae  1671.  4. 

Anm.  103.  Francisci  Junii  Observationes  in  Willerami  paraphrasin  cantici 
canticorunu  Amstelod.  1655.  12. 

Anm.  104.  Frisch  hat  sein  Glossarium  Marchicum  als  besonderes  Werk  nicht 
veröffentlicht,  seine  Sammlung  aber  für  sein  Deutsch-Lateinisches  Wörter- 
buch verwendet.   Vgl.  Einleitung  S.  XXVII  und  unten  Anm.  110. 

Anm  105.  Abgedruckt  in  den  Miscellanea  Berolinensia  ex  scriptis  socictat. 
regiae  exhibitis  edita.  Berolini  1710  Tom.  I  377  ff.;  es  enthält  eine 
AufzHhlung  der  Vorzüge  des  Berliner  Blau. 

Anm.  106  Macray,  Annais  of  the  Bodleian  library  (Oxford  1890)  erwähnt 
ein  solches  Ereignis,  welches  die  Bibliothcca  Bodleiana  in  dieser  Zeit 
betroffen  hätte,  nicht. 

Anm.  107.  Xach  Formey,  Eloges  des  Academiciens  de  Berlin  II,  63  ff.  ist 
das  Werk  nicht  gedruckt. 

Anm.  108.  Otto  Menckc,  Lic.  theol.,  Professor  der  Moral  zu  Leipzig,  erster 
Redakteur  der  Acta  eruditorum.  Vgl.  Allg.  D.  B.  XXI,  312  f.  Bodemann 
a.  a.  O.  No.  636. 

Anm.  108a.    Vgl.  unten  Anm.  199. 

Anm.  109.  In  den  Jahrgängen  1710  -1720  der  Acta  eruditorum  sind  die 
hier  verzeichneten  Bücher  nicht  besprochen.  Nur  von  der  neuen,  1719 
erschienenen  Auflage  des  Sturmschen  Werkes:  „Gründliche  Anleitung 
zu  der  Kriegs-Bau-Kunst  etc  i.  e.  Architectura  Militaris  Hypothetico- 
Eclectica"  enthält  der  Jahrgang  1720  S.  138—140  eine  Anzeige. 

An  in.  110.  Um  die  Sammlung  specitisch  märkischer  Worte  und  Ausdrücke 
hat  sich  Frisch  jahrelang  gemüht.  Nachdem  er  1731  zum  Direktor 
der  historisch-philologischen-  deutschen  Klasse  der  Soeietät  der  Wissen- 
schaften gewählt  war,  erschien  1734,  ohne  Zweifel  auf  seine  Veranlassung, 


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Anm  orIcun|j£On. 


61 


der  schon  in  der  Einleitung  S.  XXVI  erwähnte  „Erste  Auszug  von  einigen 
die  tcutschc  Sprach  betreffenden  Stücken".  In  der  Widmung  an  den 
Minister  Adam  Otto  von  Viereck  wird  hervorgehoben,  dass  die  „zu 
solcher  Sprach  und  Historie  verordnete  Abtheilung  die  Anmerkungen, 
welche  in  ihren  ordentlichen  Zusammenkünften  ihr  Ubergeben  worden, 
nach  und  nach  gesammelt  und  von  dem,  was  dazu  dienlich  befunden 
worden,  einen  Auszug  in  den  Druck  zu  geben  angefangen"  habe  Wenn 
es  auch  an  sich  wahrscheinlich  ist,  dass  die  meisten  dieser  Artikel  von 
Frisch  stammen,  so  lässt  sich  dies  doeh  nur  von  dem  zweiten  Aufsatz 
mit  einiger  Sicherheit  behaupten,  weil  zwei  der  in  demselben  aufge- 
führten Beispiele  sich  unter  den  vocabula  Marchica  dieses  Briefes  finden. 
Da  die  in  diesem  Aufsatz  gegebene  Anleitung  zur  Anlegung  eines 
Glossars  an  sich  und  wegen  der  als  Beispiel  aufgeführten  märkischen 
Idiotismen  von  Bedeutung,  die  Schrift  aber  selten  ist,  so  wird  der 
Wiederabdruck  des  Aufsatzes  an  dieser  Stelle  nicht  ungerechtfertigt 
erscheinen. 

„Entwurf  was  für  Wörter  in  jeder  Provintz  und  Gegend  von 
Teutschland,  sonderlieh  in  der  Mark  Brandenburg  zusammen  sind.  Zur 
Beförderung  des  so  nöthigen  Allgemeinen  Teutschen  Wörter-Buchs, 
sonderlich  was  die  Wörter  sind,  die  nur  von  einigen  und  nicht  von 
allen,  an  allen  Örtern  gebraucht  werden.  Die  Eigenschafften  solcher 
Wörter  sind  1)  dass  sie  nicht  in  allgemeinem  Gebrauch  bey  allen 
Teutschen,  sondern  nur  in  Einem  Land  oder  in  Einer  Gegend  desselben 
allein  gebrauchlich  sind,  bey  den  Nachbarn  aber  wenig  oder  gar  nicht 
gehört  werden.  2)  Dass  solche  Wörter,  ob  sie  gleich  bey  andern  ge- 
bräuchlich sind,  doch  bey  den  sammelnden  solcher  Lands- Wörter  einen 
andern  Verstand  haben.  Als  Gründling  heisst  in  Berlin  und  an  vielen 
Orten  der  Fisch,  den  andere  Teutsche  L.'lnder  Kress  oder  Kressling 
nennen,  hingegen  heissen  bey  andern  Grundein,  was  anderswo 
Schmerlen  sind 

In  beiden  Fällen  muss  man  hinzusetzen 

1)  Was  solcher  Wörter  eigentliche  Bedeutung  sey. 

2)  Wo,  wann  oder  von  wem  und  wie  sie  gebraucht  werden,  das  ist 
mit  allen  nöthigen  Umständen  und  gebräuchlichen  Kedensarten. 

3)  Sollten  sie  aber  gedruckt  zu  finden  seyn,  muss  man  dazusetzen,  wo 
es  geschehen,  als:  Siehe  Brandenburgische  Schäfer-Ordnung  oder 
Fischer-Ordnung  von  Anno  cap.  §.  —  und  dergleichen. 

4)  Wann  sie  aber  in  alten  oder  neuen  Briefscbafften  oder  Schrifften, 
sonderlich  in  Amts-Protocollen,  Inventarien,  Contracten  oder  Bestel- 
lungen etc.  gefunden  werden,  könte  nur  das  Jahr  dazugesetzt  werden 
und  der  Ort. 

Es  kommen  solche  Wörter  vor 

In  politischen  Sachen. 

1)  In  Gerichts-Händeln,  Lands-Gewohnheiten,  Verordnungen  etc 

2)  In  Ilerrschafftlichen  Dingen  und  Pflichten  der  Unterthanen;  in  allerley 
Einkünfften.   Als  im  Braunschweigischen  geben  einige  Landleute  dem 


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62 


Anmerkungen. 


Pfarrherrn  einen  Brandhahn  In  «1er  Mark  sind  zum  Exempel  die 
Schattenhuben. 

3)  In  Obern  und  in  Niedern  Bedienungen,  als  ein  Landvogt  in  der  Ucker- 
mark.   Ein  Ausreiter  u.  d.  g. 

In  Kirchen-  und  Schul-Sachen.  Als 

Die  Sacristcy  heisst  bei  andern  Tresskammer. 
Ein  Diaconus  zu  Strassburg  ein  Helfer. 

Was  hier  ein  Küster  heisst,  ist  bey  andern  Oppermann,  Messuer. 
Im  Hauswesen,  allerley  Namen  des  Hausraths,  der  Kleider,  der  Speisen 

u.  d.  g.,  so  nicht  allgemein  6ind 
Im  Landleben,  beym  Acker,  als  eine  Hake,  ein  Kolter;  beyra  Fuhrwerk 

eine  Benne,  Brückholtz  am  Wagen,  Achtcrholtz,  Grickscheide. 
Bey  den  Hirten. 
Im  Flachsarbeiten. 
In  Säen  und  Binden. 
In  Flur-  und  Oräntz-Sachcn. 
Bey  dem  Federvieh  etc. 

Bey  den  Gebäuden.    Als  eine  Absyte,  Därntze,  Kafen  etc. 
In  Holtz-  und  Wald-Sachen  als  Heidereiter,  Heideläuffer,  Carinbolen  etc. 
Werffi,  Rüster  etc 

In  Fischerey-Sachcn.    Als  in  Churfürstl.  Brandenb.  erneuerten  Fisch- 
Ordnung  von  Ann.  1690  cap.  ult.  werden  verbotten: 
Die  Zähren  und  Strohgarn. 
Die  Kaulbarsch-  enge  Pflöcke. 
Die  Messlings-  und  Gründlings-Pflocke. 
Die  Caminen. 
Die  Greywohden. 
Das  Dörgen. 

Sollen  keine  Acken  oder  Stinte-Pflöcken  an  die  Maderitzen  gehangen 
werden. 

Setzhamen  oder  Maresen  oder  Klebnctze. 
Qucste  oder  Puppen  an  die  Wehre  stecken  etc. 
Und  so  weiter  in  allen  Professionen  und  Vorfallen." 

Neun  der  aufgeführten  märkischen  Ausdrücke  hat  Frisch  in  seinem 
Deutsch-Lateinischen  Wörterbuch  erläutert. 

„Pir-Aas,  ein  Regenwurm,  vom  Holländischen  Pir  oder  Pier, 
heisst  lumbricus  und  Aas  esea  wegen  des  Angels,  woran  er  zum  Fisch- 
fängen gesteckt  wird."  Genauere  Nachweise  s.  bei  Weigand,  Deutsches 
Wörterbuch. 

,Kuiu,  Kumpf  hat  den  rechten  Verstand  noch  im  Holländischen 
da  heisst  Korn  eine  tiefe  Schüssel  eatinus,  Kommeken  vasculum,  alveolus, 
catillus."  Mittellat  cirabus,  griech.  xv^ßc,  sanskr.  kumha.  Vgl.  Weigand, 
D.  Wörterbucli. 

„Mieren  heissen  in  der  Mark  Brandenburg  wie  im  Holländischen 
formicae  s.  Ameisen  p»^,^"  Der  sehr  alte  dunkle  Name  erscheint  auch 
im  Keltischen  und  Slavischen  und  reicht  bis  tief  in  Asien  hinein.  Vgl. 
Jak.  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch  I,  277. 


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Anmerkungen. 


63 


„Das  Wort  tete  Kopf  ist  auch  in  anderen  Fällen  unter  das 
Teutsche  gekommen.  Die  Holländer  nennen  einen  Nagel  mit  einem 
runden  Kopf  taetse  Hoffd-Nagel.  In  Nieder-Sachsen  nennt  man  spott- 
weise den  Kopf  Teetz« 

sDernze  b.  Dörnze."  „Dörntze  für  Stube.  Im  Braunsehweigischen 
Sta<Jt-Recht  wird  es  sogar  von  der  Rath-Stube  gesagt.  Tora  III  Script. 
Brunsu.  p.  430.  Sonst  ist  es  in  geringer  Bedeutung  nur  von  Bauren- 
Stuben  an  den  meisten  Orten  in  und  am  Nieder-Sächsischen  gewöhnlich. 
Es  kommt  von  dörren,  weil  die  Land- Leute  ihre  Schieissen  oder  Brenn- 
Späne  und  andere  Dinge  darinnen  trockenen  und  dörren." 

„Kiez,  m.  im  Niedersächsichen  ein  Ort,  wo  die  Fischer  beysammen 
wohnen  als  in  der  Mark  Brandenburg,  zu  Köpenik,  zu  Königsberg  i.  d. 
Neumark,  da  der  Auetor  der  Königsberger  Chron.  Kehrberg  schreibt, 
es  kommen  von  Keiza  oder  Kcische,  eine  Hütte  oder  Haus,  wo  die 
Fischer  wohnen,  habitacula  piscatorura." 

„Cobold  schiessen  ist  an  einigen  Orten  in  der  Mark  Branden- 
burg ein  Spiel  der  Knaben,  da  sie  den  Kopf  auf  die  Erde  setzen,  den 
Hintern  in  die  höhe  stellen  und  sodann  überschlagen;  heisst  in  Franken 

Sturtzbaum  so  bey  den  Holländern  hillebillen  heisset  von  Hille  

Gall.  culbut,  von  welchem  letztern  das  Kobolt  in  diesem  Verstand 
scheint  herzukommen."  Vgl.  Danneil,  Wörterbuch  der  altmärkisch-platt- 
deutschen Mundart. 

„Keek  8.  Kader  und  Geck  pars  faciei  sub  inento  usque  ad  Collum. 
Den  Keok  (oder  wo  das  G  etwas  stärker  ausgesprochen  wird,  Geek) 
besabbern  Niederteutsch,  wie  die  Kinder  den  Speichel  Uber  das  Kinn 
am  Hals  herablauffen  lassen.*  Vgl.  Schiller  und  Lübben,  Mittelnieder- 
deutsches Wörterbuch.    Bremen  1877. 

„Kolter  in  der  Mark  Brandenburg  und  benachbarten  Pommern 
die  Pflug  Säge,  aratri  dens,  vom  Lat.  culter,  so  aueh  eine  Pflug-Säge 
heisst.  Gall.  coutro,  Holl,  kouter."  Vgl.  Danneil,  Wörterbuch  der  alt- 
märkisch-plattdeutschen Mundart. 

Nicht  verzeichnet  im  Frischschen  Lexikon  sind  Kilitte,  Duhs,  Dülte 
Kuhsche.  Von  ihnen  ist  das  erste  in  der  Form  Ka litte  noch  heute  im 
Gebrauch,  von  Schmidt  von  Werneuchen  sogar  in  die  Schriftsprache 
einzuführen  versucht:  Almanach  1802  S.  18  „Hasch  uns,  lieber  Vater, 
doch  Kalkten."  Kalitte  bedeutet  aber  auch  noch  Beutel,  Korb,  Tasche 
(von  der  Ähnlichkeit  einer  Tasche  mit  einem  die  Flügel  halb  ausein- 
ander faltenden  sitzenden  Schmetterling?)  und  stammt  aus  dem 
Russischen.  Vgl.  Schiller  und  Lübben,  Mittelniederdeutsches  Wörterbuch. 

Auch  Kuhsche  ist  nach  einer  Mitteilung  des  Herrn  Geh.  Re- 
gierungsrates Fricdcl  noch  jetzt  in  Gebrauch.  Irgend  welche  Belege 
vermag  ich  nicht  anzuführen. 

Zu  Duhs  lässt  sich  das  von  Schiller  und  Lübben  a.  a.  O.  ver- 
zeichnete dust  =  Spreu,  Hülse,  Kleie,  Staub  heranziehen,  dem  engl,  dust, 
hollünd.  duist  entspricht.  Vgl.  auch  Georg  Schanibach,  Wörterbuch  der 
niederdeutschen  Mundarten  der  Fürstenthümer  Göttingen  und  Gruben- 
hagen. 


t>4 


Anmerkungen. 


Dom  Worte  Dülte  endlich  entspricht  das  von  Schiller  und  Lübbcn 
a.  a.  O.  aufgeführte  dult  =  irdenes  Gefliss,  Krug. 

Leider  fehlt  noch  immer  trotz  der  mehrfach  unternommenen 
Versuche  (vgl.  Märkische  Forschungen  1841)  ein  märkisches  Idiotikon. 
Je  weiter  die  Lösung  dieser  Aufgabe  hinausgeschoben  wird,  um  so 
schwieriger  wird  sie  sich  gestalten,  um  so  weniger  vollständig  ausfallen. 
Möchten  doch  die  gelehrten  Gesellschaften,  welche  sich  mit  der  Heimats- 
kunde und  Geschieht««  Berlins  und  der  Mark  Brandenburg  beschäftigen, 
so  viel  sie  vermögen,  dahin  wirken,  dass  diese  Arbeit  ausgeführt  wird! 

Anm.  111.  Frisch,  Deutsch-Lateinisches  Wörterbuch:  „Gera  oder  Gere  wird 
an  vielen  Orten  im  gemeinen  Reden  für  den  Wcjhcr-Namen  Gertrud 
gebraucht.  Im  Niedersächsischen  wird  es  verächtlich  von  einem  geringen 
und  jungen  Weibsbild  gesagt  und  scheint  eben  diesen  Ursprung  zu 
haben  von  den  Namen  die  mit  Ger  anfangen."  „Ger  diese  Sylbe  ist 
vom  alten  gehren  oder  geren  für  begehren.*  Dass  diese  Etymologie 
nicht  das  Richtige  trifft,  ist  bekannt.  Vgl.  Schambach,  Wörterbuch  der 
niederdeutschen  Mundart.    Hannover  1858. 

Anm.  112.  Frisch,  Deutsch-Latein.  Wörterbuch :  „Bull-Oraven,  Heidel-Beer. 
Chytraeus  Nomencl.  Sax.  col  974  Myrtilla  Von  Bulle,  wie  Lat.  vaccinia 
von  vacca.  s.  Bulle,  taurus  so  hier  der  Bulle,  der  Hirsch-Kuhe.  Graven 
ist  das  Angel -Sachs,  cropp,  uvae.  Davon  Gall.  grappe  de  raisin  Übrig 
ist,  heort-crop  vaccinia  (Hirsch-Reer)  Anglo  S.a 

Anm.  113.    Über  diese  Persönlichkeit  hat  sich  nichts  ermitteln  lassen. 

Anm.  114.  Diesem  Brief  fehlt  das  Datum;  er  steht  deshalb  in  der  Sammlung 
zu  Hannover  an  vorletzter  Stelle;  seinein  Inhalt  nach  ist  er  vermutlich 
im  Frühling  des  Jahres  1710  geschrieben. 

Anm.  115.    Unbekannte  Persönlichkeit. 

Anm.  116.    Venus  =  Kupfer. 

Anm.  117.   8ol  =  Gold. 

Anm.  118.  Das  Neustädtische  Thor  führte  aus  dem  Friedrichswerder  nach 
der  Dorotheen-  oder  Neustadt  über  die  Neustädter-,  auch  Neue  Thor- 
und  Opernbrücke,  welche  den  Festungsgraben  überbrückte,  lag  also 
zwischen  Universität  und  Zeughaus.  Vgl.  Gädicke,  Lexikon  von  Berlin. 
(1806)  S.  422. 

Anm.  119.  An  der  alten  Leipzigerstrasse  in  der  Gegend  der  Niederwall- 
strasse. 

Anm.  120.    n«ci»/8«A«)  tU  Romae  1542.  2  tom.  fol. 

Anm.  121.  Nicht  eine  Geschichte  der  Manichäer,  sondern  eine  Schrift  gegen 
die  Manichaer  hat  der  um  358  gestorbene  Bischof  von  Thmuis  Serapion 
in  griechischer  Sprache  verfasst.  Die  erste  Übersetzung  in  lateinischer 
Sprache  veröffentlichte  Henricus  Canisius  in  den  Antiquae  lectiones 
Tom.  V  p.  1  sqq.  (Ingolstadt  1601  —  1604).  Griechisch  erschien  die 
Schrift  zuerst  in  der  von  Basnage  (Antwerpen  17^5)  besorgten  ver- 
mehrten Ausgabe  der  Antiquae  lectiones  des  Canisius  und  zwar  im 
1.  Bande  S.  35—55:  Bcati  Serapionis  episcopi  Thmueos  adversus 
Manichaeos  über,  graece  primum  in  luceni  editus.  Cum  interpretatione 
Francisci  Turriani.    Die  Ausgabe  erfolgte  nach  einer  Handschrift  der 


Anmerkungen.  65 

Johanneischen  Bibliothek  zu  Hamburg.    Vgl.  Migne,  Patrologiae  cursus 
completus.  Tom.  40,  899—925. 
Anm.  122.   Vgl.  oben  Anm.  100.  ' 

Anm.  123.  Dass  diese  Unterrichtsanstalt  tür  Kadetten  wirklich  errichtet 
worden  \dst,  ergeben  die  auf  dem  Königl.  Geh.  Staats-Archiv  zu  Berlin 
aufbewahrten  Kabinetspapiere  Friedrich  Wilhelms  I.  (Rep.  96.  519  A.) 
Im  Jahre  1717  waren  nach  dem  Etat  110  Kadetten,  im  nächsten  Jahre 
131  Kadetten  vorhanden.  Bosse  starb  als  Oberstlieutenant  am  9.  De- 
zember 1718.  Mit  der  Nachricht  von  seinem  Tode  schliessen  die  Akten 
des  Königl.  Geh.  Staatsarchivs  über  diese  Kadetten-Akademie.  Siehe 
auch  Brief  23. 

Anm.  124.  Dietrich  Hermann  Kemmerich,  Licentiat  der  Rechte  in  Berlin, 
wurde  1719  Professor  in  Wittenberg,  1736  in  Jena,  f  1715  ebendort. 
Vgl.  Bodemann  a.  a.  O.  No.  463,  Allg.  D.  B.  XV,  599. 

Anm.  125.  Karl  Ancillon,  geb.  28.  Juli  1659  in  Metz,  gest.  5.  Juli  1715  in 
Berlin;  juristischer,  politischer  und  historischer  Schriftsteller.  Allg.  D. 
B.  I,  424,  Bodemann  a.  a.  O.  No.  12. 

Anm.  126.  Eine  sonst  nicht  bekannte  Persönlichkeit,  von  der  sich  nach 
Bodemanns  Angaben  (a.  a.  0.  S.  64)  ein  an  Frisch  gerichteter  Brief 
über  Vertikal-  und  Horizontal-Windmühlen  in  der  Sammlung  des  Leib- 
nizschen  Briefwechsels  findet.  Er  ist  wahrscheinlich  identisch  mit  dem 
Verfasser  der  Schrift:  Nicolaus  Molwitz,  Bedenken  über  eine  lange 
gesuchte  vermittelst  zwo  Maschinen  nach  Wunsch  zu  realisirende  Longi- 
metriam.    1724  (Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin).    Vgl.  auch  Brief  24  und  26. 

Anm.  127.  Nouveaudictionnaire  des  passagers  franeais-allemand  et  allemand- 
francais  erschien  in  Leipzig  1712.   Vgl.  Einleitung,  S.  XXIV. 

Anm.  128.  Joh.  Friedr.  Gleditseh,  Buchhändler  in  Leipzig.  Vgl.  Bodemann 
a.  a.  O.  No.  315. 

Anm.  129.  Ludwig  von  Printzen,  Staatsminister,  Ober-Hofmarschall,  Pro- 
tektor der  Societat  der  Wissenschaften.  Vgl.  Allg.  D.  B.  XXVI,  596  ff'. 
Bodemann  a.  a.  O.  No.  742,  den  Schluss  dieses  Brieles  und  Brief  35. 
S.  auch  Einleitung  S.  XVII. 

Anm.  130.   Siehe  Einleitung  S.  XVII. 

Anm.  131.  Theodor  Christoph  Krug  von  Nidda,  Leibmedikus  und  Dekan 
des  Obercollegii  medici.  Vgl.  v.  Ledebur,  Friedrich  I.  S.  373.  Siehe 
Brief  33. 

Anm.  132.  Karl  Konrad  Achenbach,  geb.  1656  zu  Kreuznach,  1700  Hof-  und 
Domprediger  und  Konsistorialrat  zu  Halle,  1702  Hof-  und  Domprediger 
zu  Berlin,  f  1720.  Vgl.  Jöchers  Gelehrten-Lexicon  fortges.  von  Adelung  I, 
151.   Siehe  auch  Brief  27. 

Anm.  133.  Paul  Volckmann,  Theologe,  seit  1707  Rektor  des  Joachims- 
thalschen  Gymnasiums  und  Professor  der  Theologie,  f  1722.  Vgl.  Jöcher 
IV,  1703. 

Anm.  134.  Joh.  Karl  Schott,  Kgl.  preussischcr  Rat  und  Bibliothekar  in  Berlin, 
beschäftigte  sich  besonders  mit  Numismatik.  Vgl.  Jöcher  IV,  341  f.  und 
Bodemann  a.  a.  O.  No.  825.   Siehe  auch  Brief  29  und  33. 


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Anmerkungen. 


Anm.  135.  Dan.  Ernst  JaWonski,  preussischer  Rat  und  erster  Hofprediger 
in  Berlin.  Vgl.  Allg.  D.  B.  VIII,  523  ff.  Bodemann  a.  a.  O.  No.  439 
und  Brief  27  und  35.   Siehe  auch  die  Einleitung  S.  V  ff. 

Anm.  136.    Am  19.  Januar. 

Anm.  137.  Oberhoftnarsehall  Graf  von  Wittgenstein.  • 
Anm.  138.  Graf  von  Wartenberg.  Vgl.  König,  Berlin  m,  218. 
Anm.  139.  Unter  den  Mitgliedern  der  Societät  der  Wissensehaften  zählt  der 
Berliner  Adresskalender  vom  Jahre  1709  auch  den  Hofrat  Karl  Wilhelm 
von  Meisebug  auf  und  verzeichnet  seine  Wohnung  auf  der  neuen  Stech- 
bahn. In  den  folgenden  Jahrgängen  ist  er  nicht  mehr  genannt. 
Genaueres  hat  sich  über  ihn  nicht  ermitteln  lassen.  Vielleicht  ist  er 
identisch  mit  dem  hessischen  Edelmann,  welcher  zur  Taufe  der  Prinzessin 
Friederike  Sophie  Wilhelmine,  der  Tochter  des  preussischen  Kronprinzen, 
ein  Gedicht  verfasste,  das  wegen  seiner  Geschmacklosigkeit  Aufsehen 
erregte.  Bei  der  Taufe  dieser  Prinzessin  waren  die  Könige  von  Däne- 
mark,  Polen  und  Preussen  als  Gevatter  zugegen.  Vgl.  oben  Anm.  80. 
Meisebug  verglich  nun  in  seinem  Gedichte  die  neugeborene  Prinzessin 
mit  dem  Jesuskinde  und  die  drei  Herrscher  mit  den  heiligen  drei 
Königen  und  erhielt  dafür  ein  Geschenk  von  1000  Dukaten.  Vgl. 
Poellnitz,  Memoires  pour  servir  ä  l'histoire  des  quatre  derniers  souverains 
de  Brandebourg.    (Berlin  1791.)    Tom  1,  330. 

Anm.  140.  Miscellanea  Berolinensia  ex  scriptis  societati  fiegiae  exhibitis 
erschienen,  da  es  besonders  im  Anfang  an  Beiträgen  fehlte,  ziemlich 
spärlich:  1.  Band  1710,  2.  Bd.  1723,  3.  Bd.  1727,  4.  Bd.  1734,  5.  Bd. 
1737,  6.  Bd.  1741,  7.  Bd.  1743. 

Anm.  141.  Ein  solcher  Aufsatz  Frischs  ist  aufgenommen  in  die  Miscellanea 
Berol.  Bd.  4  S.  191  ff. 

Anm.  142.  Du  Fresne,  Glossarium  ad  scriptores  mediae  et  inflmae  Latinitatis. 
Paris  1678.  3  vol.  fol.  Von  Frischs  Arbeit  ist  meines  Wissens  nichts 
veröffentlicht. 

Anm.  143.   Aegidius  Menagius,  Les  origines  sur  la  langue  francaise.  2  Tom. 

Paris  1675.   Frischs  Arbeit  steht  in  den  Miscellanea  Berol.  Bd.  5  S.  217 

und  Bd.  6  S.  195. 
Anm.  144.  Luitpumpe. 

Anm.  145.  Vgl.  oben  Anm.  75.  Die  Hofintriguen,  welche  ihn  bewogen  nach 
Halle  zurückzukehren,  sollen  besonders  von  Seiten  seines  Collegen 
Gundelsheim  angezettelt  sein. 

Anm.  146.  Joh.  Dan.  Göhl  geb.  1675  in  Berlin,  wirkte  ebenda  als  praktischer 
Arzt,  wurde  1711  Badearzt  in  Freienwalde,  1721  Kreisphysikus  in 
Wriezen,  wo  er  1731  starb.    Allg.  D.  B.  IX,  327. 

Anm.  147.  König  Friedrich  I.  hatte  1705  in  Berlin  eine  Fürsten-  und  Ritter- 
akademie zum  Besten  der  fürstlichen  und  adligen  Jugend  gestiftet.  Vgl. 
König,  Berlin  III,  159  und  230.  Mylius,  Corp.  const.  March.  I  155. 
Acta  Borussica,  Behördenorganisation  I,  472  u.  415.  Toland,  Relation  von 
den  Königlichen  Preussischen  und  Chur-Hannoverischen  Höfen  (Frank- 
furt 1706)  giebt  Schulordnung  und  Privilegien. 


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Anmerkungen.  67 

Anm.  118.  Isaak  Briand,  1699—1701  Professor  linguae  Gallicae  in  Königs- 
berg i.  Pr.  Die  Akademie  lag  vor  dem  Frankfurter  Thor.  Vgl.  K.  A. 
Schmid,  Encyklopädie  des  ges.  Erzichungs-  und  Unterrichtswesens  VII, 
231.    S.  auch  Brief  28. 

Anm.  149.    Vgl  Anm.  76. 

Anm.  150.    Berühmter  Mathematiker.    Vgl.  Bodemann  a.  a.  O.  No.  56— 5S 
Anm.  151.    Am  8.  September  1712  entstand   während  der  Nacht  in  der 
Klosterstrassc  eine  grosso  Feuersbrunst,  die  8  Tage  lang  währte  und 
besonders  in  dem  Berlinischen  Gymnasium  entsetzlich  wütete  Vgl. 
König,  Berlin  III,  242. 
Anm.  152.    Vgl.  oben  Anm.  76. 

Anm  153.  Peter  der  Grosse  war  am  30.  September  (11.  Oktober)  fast  uner- 
wartet in  Berlin  angekommen.  Vgl.  B.  v.  Köhne,  Berlin,  Moskau, 
St.  Petersburg.  (Schriften  des  Vereins  f.  d.  Geschichte  Berlins.  XX) 
S.  36. 

Anm.  154.    Über  ihn  vgl  B.  v.  Köhne  a.  a.  O.  S.  80  ff'. 

Anm.  155.  Herr  Dr.  Fritz  Jonas  macht  mich  darauf  aufmerksam,  dass  Frisch 
in  seinem  Programm  „Historia  linguae  Sclavonicao"  (Berlin  1727)  Bogen 
B  2  den  Titel  dieses  Wörterbuches  mitteilt:  „Theodoras  Polycarpof 
ediderat  primum  Lexicon  Sclavonicum,  cuius  titulus  est:  Dictionarium 
trilingue,  hoc  est  dictionum  Sclavonicarum,  Graecarum  et  Latinarum  the- 
saurus  ex  variis  antiquis  et  recentioribus  übris  collectus  et  juxta  Scla- 
vonicum Alphabetum  in  ordinem  dispositus.  4°.  Anno  1704."  Diese 
Angabe  Frischs  ist  übrigens  insofern  nicht  richtig,  als  bereits  1627  zu 
Kiew  ein  Lexicon  sclaveno-russieum  von  Berynda  erschien. 

Anm.  156.   So  die  Überschrift  bei  diesem  und  den  folgenden  Briefen. 

Anm.  157.   Joh.  Theod.  Jablonski. 

Anm.  158.  Andreas  Gundelsheim,  Doktor  der  Medizin,  17U3  preussischer 
Hof-  und  Leibmedicus  und  als  solcher  in  den  Adelsstand  erhoben.  Um 
medizinische  Kräuter  in  genügender  Menge  zu  bekommen,  machte  er 
den  Vorschlag,  den  vor  dem  Potsdamer  Thor  belegenen  Hopfen-  und 
Küchengarten  zu  einem  botanischen  Garten  umzugestalten  und  sorgte 
dafür,  dass  die  ausländischen  Pflanzen  aus  den  königlichen  Gärten 
dorthin  gebracht  wurden.  Der  botanische  Garten  wurde  seiner  Aufsicht 
unterstellt.  Er  starb  1715  am  17.  Juni  zu  Stettin  während  des  pom- 
merseben B'eldzuges,  auf  dem  er  den  König  begleitet  hatte.  Allg.  D. 
B.  X,  125  Geiger,  Berlin  1788—1840.    I,  243. 

Anm.  159.   von  Wartensleben. 

Anm.  160.  Das  Spandauer  Thor  stand  zwischen  den  Häusern  No.  1  und  81 
der  Spandauer  Strasse  und  wurde  1718  bei  fortschreitender  Bebauung 
der  Neuen  Friedrichstrasse  beseitigt.  Vgl.  Vogt,  Die  Strassennamen 
Berlins  (Schriften  des  Vereins  f.  d.  Geschichte  Berlins.  XXU)  S.  34. 

Anm.  161.  Vgl.  Einleitung  S.  XIX  und  Stenzel,  Geschichte  des  preussischeu 
Staates  III  220. 

Anm.  162.    Vgl.  Einleitung  S.  XXIX. 

Anm.  163,  „Johann Swanimerdam,  celebre  anatomiste  Hollandaig,  ne  a  Amster- 
dam en  1637,  mort  dans  la  meme  ville  en  1630,  s'est  particulierement 

7* 

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68 


Anmerkungen. 


livre  ä  l'anatomio  des  insects.h  A.  Percheron,  Bibliographie  entomologique 
(Paris  1837)  p.  87. 

Anm.  164.  Francesco  Redi,  Dr.  med.  et  phil.,  Leibarzt  der  Grossherzögc 
von  Toscana  Ferdinand  II.  und  Cosmos  III.,  1626—1697.  Er  schrieb: 
Experiraenta  circa  res  diversas  naturales,  quae  ex  Indiis  afferuntur. 
S.  Poggendorff,  Biographisch-litterar.  Handwörterbuch.    II,  584. 

Anm.  165.  Johann  Jonston,  geb.  1603,  Arzt,  der  lange  Zeit  in  Deutschland, 
Holland,  England  und  Frankreich  herumreiste  und  sich  endlich  in 
Zielendorf  bei  Liegnitz  niederliess,  wo  er  1675  starb.  Er  schrieb:  Tbau- 
matographia  naturalis.  Amstelod.  1632.  De  insectis  libri  III.  Amstelod. 
•  1657.  Vgl.  Poggendorff,  Biogr.-litterarisches  Handwörterbuch  I,  1202. 
Engelmann,  Bibliotheca  historico-naturalis.    Leipzig  1846. 

Anm.  166.  Johann  Goedart,  „peintre  naturaliste  Hollandais,  ne  en  1620, 
mort  en  1668."  Erverfasste:  Metamorphosis  naturalis  insectorum.  Medio- 
burgi.  3  vol.  Vgl.  Perscheron,  Bibliographie  entomologique  8.  41. 

Anm.  167.  Joh.  Georg  Eckhart  (Eccard),  geb.  7.  September  1664,  Leibniz" 
Gehilfe  bei  dessen  historischen  Arbeiten,  1706  Professor  der  Geschichte, 
zu  Helmstedt,  1717  Leibniz'  Nachfolger  als  Bibliothekar,  f  9.  Februar 
1730  als  Geh.  Hofrat  und  Universitätsbibliothekar  zu  Würzburg. 
1711  veröffentlichte  er:  Historia  studii  etymologici  linguae  Germanicae 
hactenus  impensi.  Das  von  Frisch  erwähnte  Lexikon  ist  meines 
Wissens  nicht  erschienen.  Vgl.  Bodemann  a.  a.  O.  No.  220.  Allg.  D. 
B.  V,  627,  und  meine  Ausgabe  von  Frischs  Schulspiel  S.  XIX. 

Anm.  168.  Vgl.  oben  Anm.  40.  Jöcher,  Gelehrten  -  Lexikon  IV,  723: 
„Er  schrieb  eine  genealogische  Historie  des  in  der  Mark  florirenden 
vornehmen  Geschlechts  derer  von  Putlitz,  welche  der  Herr  Bodenburg 
herausgeben  wollen." 

Anm.  169.   Ist  meines  Wissens  nicht  veröffentlicht. 

Anm.  170.  Die  Beziehungen  habe  ich  nicht  aufdecken  können.  Bodemano 
a.  a.  O.  No.  168  bemerkt  über  diese  Persönlichkeit  nur  „de  Collas,  Phil, 
med.  &  I.  U.  D sie  ist  also  wohl  nicht  identisch  mit  dem  Ober- 
ingenieur, Oberlandmesser  und  1712  zum  preussischen  Kammerrat 
ernannten  Johann  von  Collas.  Vgl.  Acta  Borussica,  Behördenorgani- 
sation I,  705. 

Anm.  171.    Vgl.  König,  Berlin  IV,  1  S.  41. 

Anm.  172    Wohl  Joh.  Chr.  Müller,  Ingenieur  und  Geograph.  S.  Bodemann 

a.  a.  O.  No.  667  und  Brief  37. 
Anm.  173.   Wohl  Bürsten  für  die  Scidengewinnung. 

Anm.  174.  Georg  Dietlof!  von  Arnim,  geb.  ly.  September  1679,  1706  Land- 
vogt der  Uckermark  und  Ober-Heroldsrat,  1738  Wirklicher  Geh.  R** 
und  preussischer  Staats-  und  Kriegsminister,  f  20.  November  1753. 
Warmer  Verehrer  der  Wissenschaften.  Vgl.  Formey,  Eloges  des  Aca 
demiciens  (Berlin  1757)  I,  119  ff.  Allg.  D.  B.  I,  567  ff.  Kirchner,  Das 
Schloss  Boytzenburg  und  seine  Besitzer.    Berlin  1860. 

Anm.  175.  Ernst  Bogislav  von  Kamecke,  Geh.  Etatsrat  und  Präsident  der 
Hofkammer.  Vgl.  Ledebur,  König  Friedrich  I.  8. 466.  Bodemann  a.  a.  0. 
No.  460.    Acta  Borussica,  Bohördenorganisation  I,  134. 


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Anmerkungen. 


Anm.  176.  Glycyrrhiza  glabra,  an  vielen  Orten  im  mittleren  und  südlichen 
Europa  angebaut. 

Anm.  177.  Joh.  Theod.  Jablonski  hatte  Tacitus  Germania  übersetzt,  Jöcher 
n,  1801. 

Anm.  178.  „ Historisch  -  geographischer  Kalender  nach  dem  verbesserten 
Stylo,"  eine  Art  der  Kalender,  welche  auf  Leibniz'  Veranlassung  von 
der  Societät  herausgegeben  wurden  und  deren  Vertrieb  eine  wesent- 
liche Einnahmequelle  für  dieselbe  bildete.  Vgl  Einleitung  S.  XI.  Dieser 
und  andere  Kalender  sind  genau  beschrieben  bei  Geiger,  Berlin  1688—1840. 
I,  114  ff. 

Anm.  179.   In  den  Miscellanea  Berolinensia  IV,  69—73  veröffentlicht. 

Anm.  180.  Das  schwer  zu  entziffernde  Concept  ist  von  Leibniz  auf  den  Rand 
des  vorstehenden  (31.)  Briefes  geschrieben. 

Anm.  181.  Soweit  ich  habe  ermitteln  können,  weder  durch  den  Druck  ver- 
öffentlicht, noch  überhaupt  erhalten. 

Anm.  182.  Der  Dichter  Benjamin  Neukirch,  seit  1696  in  Berlin,  1703  Pro- 
fessor an  der  von  Friedrich  I.  gegründeten  und  nach  dem  Tode  dieses 
Herrschers  wieder  aufgehobenen  Ritterakademie,  wurde  1718  als  Er- 
zieher des  Erbprinzen  und  als  markgrHflicher  Hofrat  nach  Ansbach 
berufen,  wo  er  1729  starb. 

Anm.  183.  Über  den  Verfall  der  Societitt  nach  dein  Tode  Friedrichs  I.  vgl. 
Stenzel,  Geschichte  des  preussischen  Staates  III,  494  und  König,  Berlin 
IV,  2  8.  113. 

Anm.  184  Joh.  Theod.  Jablonski  war  von  der  verwittweten  Markgräfin 
Joh.  Charlotte  von  Schwedt  zum  Erzieher  ihres  Sohnes  berufen  und 
machte  mit  seinem  fürstliehen  Zögling  in  den  Jahren  1715—1717  eine 
Reise  nach  Italien.    Vielleicht  ist  diese  Reise  gemeint. 

Anm.  185.  Schon  1693  hatte  Leibniz  der  Zumutung,  zur  katholischen  Kirche 
überzutreten,  entschiedenst  seine  Zugehörigkeit  zur  Augsburgischen 
Konfession  entgegengesetzt.  Vgl.  Lettres  de  M.  Leibniz  et  de  M.  Pelisson 
de  la  toleranee  et  des  differents  de  la  religion.  1693.  Der  bei  Bodemann 
a.  a.  0.  No.  8,  No  598  und  No.  603  verzeichnete  Briefwechsel  giebt 
weitere  interessante  Aufschlüsse  über  diese  Bemühungen.  Vgl.  auclu 
Fr.  Kirchner,  Leibniz'  Stellung  zur  katholisehen  Kirehe.  Berlin  1874. 
Anm.  186.  Aus  der  Übersicht  bei  Bodemann  u  a.  O.  No  517  lässt  sich 
nicht  erkennen,  ob  dieser  Briet  in  der  Sammlung  zu  Hannover 
erhalten  ist. 

Anm.  187.  Der  Brief  steht  ohne  Datum  an  letzter  Stelle  der  Sammlung; 
er  ist  zwischen  dem  14.  Januar  und  11.  Februar  1716  geschrieben. 

Anm.  188.  Johann  Friedrich  Mayer,  geb.  1650  zu  Leipzig,  lutherischer 
Theologe  und  beliebter  Prediger,  f  30.  Mürz  1712  als  Generalsuper- 
intendent über  Pommern  und  Rügen,  Präsident  des  Konsistoriums, 
Theologus  prinmrius  und  Procancellarius  der  Universität  Greifswald. 
Verfasser  zahlreicher,  besonders  theologischer  Schriften;  stand  auch  mit 
Leibniz  in  Briet  Wechsel.  Vgl.  J.  H.  Balthasar,  Vermischte  Sammlung 
von  allerhand  gelehrten  und  nützlichen  Sachen.  (Greifswald  1744) 
S.  55  ff.  und  S.  130  ff.  Jöcher  III,  321.    Bodemann  a.  a.  O.  No.  621. 


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TO 


Anmerkungen. 


Über  die  Schicksale  seiner  Bibliothek  sind  wir  durch  einige  Briefe  in 
der  Leibnizschcn  Sammlung  zu  Hannover  unterrichtet.  Am  8.  April 
1712  meldet  Johann  Abraham  Mayer  an  Lcibniz  den  Tod  seine«  Vaters 
und  wünscht,  dass  der  Kurfürst  von  Hannover  die  Bibliothek  desselben 
kaufe.  Nachdem  ihm  von  Leibniz  Hoffnung  gemacht  war,  schreibt  er 
unter  dem  6.  Mai  1712,  dass  ein  Kaufpretium  von  24  000  Thalern  nicht 
zu  hoch  sein  werde,  und  meldet  endlich  unter  dem  Ii).  Juli  1712,  dass 
seine  in  Leipzig  lebende  Mutter  die  Bibliothek  ohne  sein  Wissen  dem 
Könige  von  Polen  angeboten  habe,  ja  dass  dieselbe  in  seiner  Abwesen- 
heit bereits  verschickt  sei.  In  einem  Brief  an  Frisch  vom  2.  März  1713 
endlich  schreibt  dieser  Dr.  Mayer,  dass  die  Bibliothek  den  Sachsen 
von  den  Russen  fortgenommen  und  in  Landsberg  deponiert  sei. 
Anm.  189.  Ludwig  Otto  Edler  von  Plotho,  geb.  1663,  studierte  die  Rechts- 
wissenschaft, 1698  Regierungsrat  zu  Magdeburg,  1711  Geheimer  Rat  zu 
Berlin,  1714  Wirklicher  geheimer  Etats  -  Minister  und  Präsident  des 
geheimen  Justizkollegiums  und  Ober- Appellationsgerichts,  f  18.  Augrat 
1731.  Eifriger  Büchersaramler  und  im  Besitze  einer  kostbaren  Bibliothek. 
Jöcher  III,  1634  f. 

Anm.  190.  Gemeint  ist  wohl  Karl  Friedrieh  Graf  von  Sehlippenbach, 
preussischer  General  der  Kavallerie  und  vielfach  in  den  Verwickelungen 
mit  Schweden  Gesandter  und  Unterhändler  des  preussischen  Hofes, 
f  9.  Januar  1723  als  Gouverneur  von  Colbcrg.  Vgl.  Allg.  D.  K. 
XXXI,  521. 

Anm.  191.  Ernst  Martin  Plarre,  geb.  1684  zu  Berlin,  Rechtsgelehrter,  mehr 
fach  vom  preussischen  Hof  zu  diplomatischen  Sendungen  verwandt, 
1712  Hof-  und  Kammer-Gerichtsrat  und  Kriegsrat  bei  dem  General- 
Kriegs-Kommissariat,  1715  Geheimer  Kriegsrat,  f  1717.  „Er  hatte  die 
meisten  und  besten  Bücher,  welche  zur  churmärkisehen  Historie  gehören, 
gesammelt.«    Jöcher  III,  1619  f. 

Anm.  191a.   Vergl.  Einleitung  S.  XIX. 

Anm.  192.  Friedrich  Jägwitz,  Dr.  med.,  Mitglied  und  Direktor  der  mathe 
matisch-physikalischen  Klasse  der  Akademie,  f  27.  September  1727. 
Siehe  auch  den  nächsten  Brief.  Über  seine  chemischen  und  alchy- 
mistischen  Bemühungen  und  die  von  ihm  hergestellten  BrennglHser  vgl. 
Kapp,  Leibniz'  und  D.  E.  Jablonskis  Briefwechsel  (Leipzig  1745)  S.  25  >f 
258,  262,  312. 

Anm.  193.  Zu  dieser  Stelle  schreibt  mir  Herr  Oberbibliothekar  Dr.  Bodemann: 
„Zur  Handschrift  ,De  imposturis  religionnnv  bemerke  ich,  dass  dieselbe 
sich  hier  unter  unsem  Handschriften  befindet.  (Vgl  Bodemann,  Die  Hand 
Schriften  d.  Kgl.  Bibl.  zu  Hannover,  Hann.  1867,  S.  8,  No.  42).  Auf  einem 
vorgehenden  Blatte  findet  sich  folgende  Notiz  von  der  Hand  des  Biblio- 
thekars Gruber:  „„Du  Catiana  P.  II,  p.  288  in  Addit.  ad  Menagiana  p.309. 
Le  livre,  qu'on  peut  placer  en  l'annee  1 538  et  qui  n'a  jaiuais  ete  impnmc,  a 
pour  titre:  ,De  imposturis  religionum',  ouvrage  execrable,  compo^' 
comme  on  voit  en  latin,  et  cela  vers  Tan  1538,  puis  qu'il  y  est  fait  inention 
d'lgnace  de  Loyola,  fondateur  des  Jesuites.  Ce  livre  est  plein  de  Oallicis- 
mes,  raais  il  y  en  a  quelquesuns  si  grossiers,  qu'il  n'cst  pas  saus  app»- 
rence,  que  l'autcur,  <jui  d'ailleurs  n'.'erivait  pas  mal  en  latin,  les  ait  affecU» 


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71 


pour  le  mieux  cacher.  Ce  livrc  etait  dans  la  belle  etnombreuse 
Bibliotheque  du  Dr.  Mayer,  vivant  ministre  ä  Hambourg,  qui  tut 
vendue  par  auction  ä  Berlin  an  cojnmencement  de  1716.  —  On  dit,  que 
le  MS.  en  question,  dont  celui-ci  par  alt  etre  une  copie,  ait  ete 
achcte  alors  par  Monsgr.  le  Prince  Eugene  de  Savoye  80  ducats  en  or"'\ 
Diese  Hdschr.  ward  für  unsere  Kgl.  Bibliothek  1738  aus  der  Bi- 
bliothek des  Superintendenten  Elers  zu  Ratzeburg  für  18  Thaler 
angekauft/ 

Anm.  194.  „D'Alencon,  litterateur  et  huissieur  au  parlement  de  Paris,  ne 
vers  le  fin  du  17.  siecle,  mort  en  1717."  Nouvelle  Biographie  uni- 
verselle I,  788. 

Anm.  195.  Graf  Bonneval,  berühmter  Abenteurer,  erst  in  französischen 
Diensten,  dann  kaiserlicher  General  zu  Wien,  später  berüchtigt  als 
Achmed  Pascha,  f  1747.  Vgl.  Brockhaus,  Conversations-Lexikon  13.  Aufl. 
III,  320.  Guhrauer,  Leibniz  II,  S.  278  ff'.  354  f.  Bodemann,  Leibniz 
Briefwechsel  No.  89. 

Anm.  196.  Michael  Servetus,  Van  de  Dolinghen  in  de  Drievaldingheid.  Ouers. 
uyt  het  latin.  O.  O.  1620.  4*. 

Anm.  197.  Zu  diesem  Streit  vergleiche:  Johannis  Lysii  Theologischer  Discurs 
oder  kurzer  Berieht  von  der  Wahrsagerkunst  und  insonderheit  vom 
Nativitatstcllen.  Bey  Gelegenheit  einer  durch  das  ihr  gestellte  Pro- 
gnosticon  betrübeten  und  einige  Zeit  nachhero  im  Wasser  todtgefundenen 
Person.  Nebst  einer  über  diesen  jämmerlichen  Todes-Fall  gehaltenen 
Leich-  und  Busspredigt.  Berlin  (1711).  4'.  Ferner:  Johannis  Lysii  Ver- 
nünftiges und  in  der  H.  Schrift  gegründetes  Urtheil  von  der  Wahrsager- 
Kunst  und  insonderheit  vom  Nativitüt-Stellen  wider  den  ungegrtindeten 
Astrologischen  Discours  eines  hiesigen  Advocati  nochmals  behauptet. 
(Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin  Ok  3790.  4*). 

Abdias  Trew,  „bey  der  Universität  A Udortf'  Math,  vnd  Phys.  Pro- 
fessor",  schrieb:  Nucleus  Astrologiac  correctae,  Das  ist,  Kurtzer  Bericht 
vom  NatuitJitsstellen,  Wie  dannit  umbzugehen  vnd  was  es  nutze. 
Nürnberg  1Ü51.  4*.  (Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin  Ok  2633). 

Anm.  198.  Philipp  Wilhelm,  Markgraf  von  Schwedt,  jüngerer  Bruder 
Friedrichs  I.  f  r,ll. 

Anm.  199.   Job.  Thcod,  Jablonski.    Vgl.  Anm.  178. 

Anm  200.  Joh.  Wilh.  Wagner,  Mathematiker  und  Astronom,  wurde  1706 
durch  den  Baron  Krosick  zum  Zwecke  astronomischer  Beobachtungen 
nach  Berlin  berufen,  1711  Professor  der  Mathematik  an  der  Briandschen 
Akademie,  1716  Mitglied  der  Berliner  Societüt  der  Wissenschaften 
und  mit  der  Herausgabe  der  Kalender  betraut.  1740  nach  Kirchs  Tode 
Astronom  der  Akademie,  f  1745.  Von  ihm  viele  astronomische  Beobach- 
tungen in  den  Miscellanea  Berol.  Vgl.  Fortney,  Eloges  des  Academiciens 
de  Berlin.  I,  32.  Bodemann  a.  a.  O.  No.  973.  Siehe  auch  den  fol- 
genden Brief. 

Anm.  201.  Christfried  Kirch  (1694—1740),  Sohn  Gottfried  Kirchs,  des  ersten 
Astronomen  der  Berliner  SocieUlt,  rückte  1717  in  die  Stelle  seines 
Vaters  ein.    Seine  astronomischen  Beobachtungen  wie  die  seines  Vaters 


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72 


Anmerkungen. 


u.  a.  in  den  Misccllanea  Boro).  Die  Ephemeridcn  hatte  Gottfried  Kirch 
von  1681—1702  herausgegeben.  Vgl.  Allg.  D.  B.  XV,  787  f. 
Anm.  202.  Königlicher  Rat  und  Domänenfiscal ,  der  sich  in  den  Jahren 
1716  und  1717  um  die  Einführung  des  Seidenbaus  in  die  Kurmark,  in 
Magdeburg  und  Halberstadt  bemühte.  Vgl.  Acta  Borussica,  Seiden- 
bau I,  20. 

Anm.  203.  Lothar  zum  Bach  von  Koesfeld,  geb.  1666  zu  Trier,  Mathematiker 
Musiker  und  Dr.  med.,  f  1727  zu  Kassel  als  Professor  der  Mathematik 
und  Inspektor  der  fürstlichen  Kunstkammer  daselbst.  Vgl.  Jöcher  IV, 
2238  und  Bodemann  a.  a.  O.  No.  1027.  S.  auch  Brief  39  und  40.  Der 
Titel  des  erwähnten  Buches  lautet:  Jovilabium  id  est  Instrumentum 
astronomicum,  quo  in  systemate  Joviali  positiones  Jovis  et  Satellitum 
eius  inter  sese  ut  et  eclipses  oorom  atque  oceultationes  mutuae  ad  quodvis 
tempus  sine  aut  coneurrente  calculo  facile,  exaete  ac  prompte  exhibentur 
et  praedicantur.  Opera  ac  studio  Lotharii  Zumbaeh  de  Koesfeld. 
Amstelodami  1716.  4*. 

Anm.  204.  Peter  der  Grosse  entwarf  um  1704  die  Grundzüge  der  gegen- 
wärtigen russischen  Druckschrift,  indem  er  den  schwerfälligen  cyrillischen 
Buchstaben  mehr  Rundung  gab 

Anm.  205.  Joh.  Chr.  Lehmann,  1675  in  Bautzen  geboren,  1707  Professor  der 
Medizin,  1710  Professor  Phys.  zu  Leipzig,  Mitglied  der  Berliner  Societät, 
beschäftigte  sich  auch  mit  Blumenzucht.  Vgl.  Allg.  D.  B.  XVIII,  139. 
Bodemann,  a.  a.  O.  No.  f>42. 

Anm.  206.    Georg  Andreas  Agricola,  1672 — 1738,  Dr.  med.  und  Arzt  in 
Regensburg,  behauptete,  eine  vegetabilische  Mumie  und  darin  ein  Mittel 
gefunden  zu  haben,  in  kürzester  Zeit  Bäume  wachsen  zu  lassen.   Allg-  ' 
D.  B.  I,  145. 

Anm.  207.  Joh.  Georg  Liebknecht,  1707  Professor  der  Mathematik  zu  Giessen, 
1716  Mitglied  der  Berliner  Societät,  später  Professor  der  Theologie, 
1729  Marburger  Superintendent  und  Beisitzer  im  Konsistorium  zu  Giessen. 
Vgl.  Jöcher  II,  2427  f.  Bodemann  a.  a.  O.  No.  561.  Vielleicht  bezieht 
sich  die  Briefstelle  auf  den  Wunsch  Liebknechts,  den  er  in  einem 
Schreiben  an  Leibniz  zum  Ausdruck  bringt,  eine  von  ihm  verfasste 
astronomische  Abhandlung  in  die  Miscellanca  Berol.  aufgenommen  zo 
sehen. 

Anm.  208.    Adam  Friedrich  Zurner,  geb.  um  1680  im  Vogtland,  gab  1711 

sein  Predigtamt  auf  und  trat  als  Kartograph  in  die  Dienste  Augusts  II. 

von  Polen.    Verfasser  des  Atlas  Augusteus  Saxonicus.    f  1742.  Vgl. 

Biographie  universelle  XLV,  642. 
Anm.  209.    Peter  Schenck,  Kupfersteeher  und  Kunst  Verleger,  geb.  1645  zu 

Elberfeld,  Hess  sich  in  Amsterdam  nieder,  wo  er  1715  starb.    Vgl.  Allg- 

D.  B.  XXXI,  56. 

Anm.  210.   Natalja  Alexejewna.  Vgl.  Brückner,  Peter  der  Grosse  (Berlin  1879) 

S.  319.    Siehe  auch  den  folgenden  Brief. 
Anm.  211.    Vgl.  auch  den  folgenden  Brief.    Meines  Wissens  ist  das 

Werk 

nicht  gedruckt. 


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73 


Anm.  212.  Die  Schrift  scheint  nicht  verfasst  oder  doch  nicht  gedruckt  zu 
sein.  Einige  Nachrichten  über  die  Geschichte  des  Seidenbaus  hatte 
Frisch  bereits  1714  in  der  anonym  erschienenen  Schrift  „Der  Seidenbau 
in  seiner  nöhtigen  Vorbereitung,  gehörigen  Bestellung  und  endlichen 
Gewinnung"  S.  5  f.  gegeben.    Vgl.  Einleitung  S.  XXIX. 

Anm.  213.   Vgl.  Acta  Borussica,  Seidenindustrie  III,  28. 

Anm.  214.  Nach  Frischs  Anm.  207  genannter  Schrift  Herzog  Friedrich  zu 
Würtemberg-Neustadt. 

Anm.  215.   Karl  Ludwig.  Vgl.  Acta  Borussica,  Seidenindustrie  III,  28. 


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74 


Bericht  igtmpen. 


Berichtigungen. 


S.  XVIII.    Die  Bezeichnung  Akademie  der  Wissenschaften  erhielt  die  Societat  erst 

bei  ihrer  Reform  durch  Friedrich  den  Grossen. 
S.    3,  Z.  20  von  unten  lies:      statt  »»;. 
S.   4,  Z.  Iß  von  oben  lies:  Charlottenburg. 
S.  21,  beim  letzten  Worte  lies:  s")  statt  ""). 
S.  24,  Z.  4  von  oben  lies:  ,M)  statt  '"). 

S.  26,  Z.  10  von  unten  ist  zu  Königsthor  hinzuzufügen:  '»7»)  und  zu  Spandauische: 

Anm.  i»7 b). 
S.  60,  Anm.  108a  lies:  2U4  statt  Anm.  199. 

S.  64.  Als  Anm.  117a  ist  einzuschalten:  Der  Name  des  Oderberger-  oder  Georgentboree 
wurde  wie  die  ebenso  benannte  Strasse  nach  dem  Einzug  König  Friedrichs  L 
(1701)  unter  Bezugnahme  auf  dieses  Ereignis  umgeändert:  das  Königsthor  bildet« 
in  der  Gegend  der  heutigen  Neuen  Friedrichstrasse  den  Abschluss  der  König- 
strasse.   Als  Anm.  117b  ist  einzuschalten:  Vgl.  Anm.  160. 


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Namen-  und  Sachregister. 


75 


Namen-  und  Sachregister. 


A. 

Absyte  62. 

Achenbach,  Karl  Konrad  32,  37,  65. 
Achterholz  62. 
Acken  62. 

Acta  eruditoram  24,  60. 
Acta  medicorum  XIV. 
Agapet  22,  68,  59. 
Agricola,  Georg  Andr.  46,  72. 
Agstein  8.  Bernstein. 

Academia  Caesarea   Leopoldina  naturae 

curiosorum  VI,  XXIX. 
Akademieen  IV,  XXIX,  29  ,  32  ,  34  ,  38, 

65,  66,  67. 
Alaun  54. 

Aichemistische  Bemühungen  in  Berlin  XXX, 

9,  12,  14,  15,  22,  25,  26,  34. 
d'AJencon  44,  71. 
Alkali,  fixes  54. 
Altorf  II 
Amsterdam  III. 

Anania,  Vincenzo,   ein  neapolitanischer 

Gärtner  17,  18,  19,  20,  21,  85,  36,  57. 
Ancillon,  Karl  VII,  29,  65. 
Antimon  14,  15. 
Antlia  pneumatica  34,  66. 
Aqua  fort  =  Scheidewasser  9,  12,  14. 
Aqua  regia  =  Königswasser  12.  56. 
von  Arnim,  Georg  Dietloff  39,  40,  68. 
Arrasch  49. 
Astmann,  Paul  IIL 
August  II  von  Sachsen  18,  57,  60. 
Ausreiter  62. 

B. 

Zum  Bach,  Lothar  4ö,  72. 
Bai  reo  t  41. 
Benne  62. 

Benson,  Thoma«  17,  22,  57. 


Berlin: 

Societät  der  Wissenschaften  I,  VII, 
XIH.  Reform  derselben  32,  65.  Ver- 
fall 42,  69. 

Kgl.  Observatorium  V,  VI,  VII,  18, 
32  ,  38  ,  45.  Grosseck isches  Observa- 
torium 46. 

C  o  1 1  e g i  u  m  m  e  d  i  c  u  m  i  Coll.sanitatis)VI. 
Medicinisch  -  chirurgisches  Collegium 

XIX.  Theatrum  anatomicum  XIX,  37. 
Botanischer  Garten  XIX,  37,  07. 

Hofgarten  10,  58.  Hopfen-  und  Küchen- 
garten  67. 

Erziehungs-  n.  Bildungsanstalten: 
College  royal  francaisXX.  Dorotheen- 
stadtische  höhere  Schule  XX.  Friedrich- 
Werdersches Gymnasium XX,59.  Gym- 
nasium zum  grauen  KJoster  XX,  XXI, 
35,  59.  Joachiinsthalsches  Gymnasium 

XX,  59.  Köllnisches  Gymnasium  59. 
Kflrsten-  und  Ritterakademie  34,  66. 
Akademie  für  Standespersonen  von 
Briand  :U.  38,  67. 

Hof-  und  Amtskammer  18,  21,  22. 
Befestigung:  Wall  2,  17,  18,  19,  20, 
21,  22,  28,  50.    Bedeckter  Weg  5,  8, 
23,  24,  53.    Contrascarpe  13,  26,  27, 
37,  56.  Fausse  braye  23,  59.  Ravelin  S. 
Thore:  Königsthor  26,74.  Leipziger  Thor 
2(5,  64.     Neust  iidtisehes  Thor  26,  64. 
Spandauer  Thor  26, 37, 67,  74. 
Weg  nach  Charlottenburg  4,  8,  53. 
Kgl.  Weinberge  7,  15,  16,  18.  21,  54. 
Feuersbrunstl712  im  September  35,67. 
Berliner  Blau  XXX,  9,  12,  20,  21,  23,  24, 

.54,  35,  37,  39,  47,  4*,  54. 
Bernoulli  35,  36,  67. 
Bernstein  X. 
Berynda  67. 


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76 


Namen-  und  Sachregister. 


Bewässerungsanlagen  1,  4,  27. 

Bibliotheca  Bodleiana  zu  Oxford  60. 

Blankenburg  a.  H.  II,  III. 

Bleiwalzen,  Monopol  für  dasselbe  36. 

Bodonburg,  Christ.  Friedr.  XX,  XXI,  15,  57. 

Rodenhausen,  Baron  von  II. 

Bödiker,  Joseph  XXVIII,  5a 

Bödiker,  Edzard  3,  50. 

Boitzenburg  40. 

ßonneval,  Graf  44,  71. 

Borna  =  Bornim  2,  7,  11,  16,  17,  40. 

Bosse,  Hauptmann  29,  32,  66. 

Brand,  Entdecker  des  Phosphors  XXXI. 

Brandenburg: 

Ritterschule  7. 
Brandhahn  62. 
Branntweinsteuer  XVIII. 
Breithorn,  Pastor  II. 
Briand,  Isaak  34,  38,  67. 
Briefe  deutscher  Potentaten  Ib. 
Brückholtz  62. 

Bücherkominissarial  XI,  XIII,  XIV. 
Bullegraven  =  Heidelbeeren  25.  64. 
Burckhaff,  Gärtner  XXXII. 

C. 

CaetAno  Manuel,  AlchemistXXX,  16,  21,57. 

lammen  62. 

Carinbolen  62. 

Carlabad  13,  16,  46. 

Cartatschen  39,  68. 

Charlottenburg  4,  8,  19,  5:}. 

China  VHT,  X,  XIV,  48. 

Ciceronis  epistolae  29,  59. 

Circasski,  Prinzessin  47,  48. 

Cochenille  54. 

Comenius1  Vestibulum  XXIV,  47,  72. 
Crossen  14,  17,  56. 

La  Croze,  Maturin  Veyssierc  7,  11,  24  33, 

38,  43,  44,  47,  53. 
Cuneau  III,  IV,  V,  VII,  3,  I.  5,  6,  10,  1:1, 

24,  26,  28,  42,  13. 

D. 

Dankehnann  HI,  V.  VI 
Darnmann,  Sophie  Elisabeth  III. 
Dictionarium  srlavonicum  XIV. 
Dernze  iDörnze)  =  Stube  25,  63. 
Dez  =  caput  25,  63. 

Diesbaeh,  Farber  XXI,  21,  22,  23,  2.-,  26, 
•*9,  44,  54. 


Dippel,  Job.  Konrad  XXX,  54. 
Diterich,  Martin  69. 
Dolgoruki  34,  36. 
Dörgen  62. 

Dornmeier,  Konrektor  59. 
Dresden  46. 

Duhs  =  feinstes  Mehl  25,  63. 

Dülte  =  gepichte,  hölzerne  Kanne  25,  64. 

Düngung,  chemische  20. 

E. 

Eisenvitriol  54. 

Eckhart,  Joh.  Georg  XXV,  XXVII,  37,  68. 

Engelbrüder  in. 

Ephemerides  45,  72. 

Erbach,  Graf  George  Albrecht  von  HI. 

Ernst  August,  Kurfürst  von  Haimover  IV. 

Eusthatius  29,  64. 

F. 

Fecher,  Sabina  II. 
Fechner  s.  Fecher. 
Fell,  Bischof  58. 

Felmy  XXX,  9,  11,  14,  21,  26,  54. 
Feuerkasse  IX,  XII,  XV,  11,  14,  17,  21. 

26,  55. 

Feuerspritzen  XI,  XII,  21,  28,  36. 

Fihney  s.  Felmy. 

Florenz  VIII. 

Franecker  HI. 

Franke,  A.  H.  II,  XX. 

Frankfurt  a.  M.  XI. 

Frankfurt  a  <).  : 

Friedrichsschule  XX 
Freienwalder  Brunnen  34. 
Du  Fresne  33,  66. 

Friederike    Sophie  Wilhehnine,  Tochter 

Friedrich  Wilhelms  I.  66. 
Friedrich,  Kurprinz  von  Brandenburg  III. 
Friedrich  III.,  Kurfürst  VH. 
Friedrich  I ,  König  XVHI,  18,  42,  50. 
Friedrich  Ludwig,  Prinz  von  Oranien  13, 

55,  56. 

Friedrich  Wilhelm,  der  grosse  Kurfürst 

IV,  XX,  2,  25,  50. 
Friedrich  Wilhelm  I.  als  Kronprinz  XVII, 

29,  32,  49. 

Friedrich  Wilhelm  I.,  XVIII,  XXIX,  16. 
Friedrich  IV.  von  Dänemark  18,  67,  66. 
Friedrich,  Herzog  zu  Württemberg-Neustadt 
48,  73. 


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Namen-  und  Sachregister. 


77 


Frisch,  Ferdinand  Helfreich  XXIX. 

—     Jodocus  Leopold  XXIX. 
Fürsten-  und  Ritterakademieen  IV,  34, 

38,  6«,  67. 

C. 

Gäre  (Gere)  25,  64. 
Geck  s.  Keck. 
Gelehrtenakademieen  IV. 
Genf  39,  42. 

Geographische  Studien  XXVIII,  40. 
Gichtel  HI. 
Glasarbeiten  X.  • 

Gleditsch,  Joh.  Friedr.  31,  33,  35,  36,  66. 

Glienike  8,  11,  17,  49,  54. 

Glossarium  Marchicura  24,  60. 

Glycyrrhiza  glabra  40,  69. 

Goedart,  Joh.  37,  68. 

Göhl.  Joh.  Dan.  34,  66. 

von  Golowkin  36,  46,  67. 

Gregorianischer  Kalender  VI. 

Greywahden  62 

Grickscheide  62. 

Qröningen  III. 

Grosseck  45. 

Grossenhain  46. 

Grflnberg,  Baumeister  VII. 

Grundein  6l. 

Gründling  61. 

Gründlingspflöcke  62. 

Gundelsheim,  Andr.  XIX,  37,  38. 

Günther  21,  26,  27,  28,  36,  58. 

H. 

Halle  23. 
Hamburg  IIL 

Handschrift  de  imposturis  religionum  44, 70. 

Hannover  IH,  IV,  XVni,  17,  38. 

von  Hartefels  H. 

Haspel  zum  Seidenspinnen  18. 

Havelberg  38. 

Hehse,  Bauschreiber  7,  8,  18,  54. 

Heideläufer  62. 

Heidereiter  62. 

Helfer  =  Diaconus  62. 

Hessen -Kassel,  Erbprinz  von  XI. 

Hickesius,  Georg  22,  23,  58. 

Hoff  mann,  Friedr.,  Leibarzt  17, 21,22,34,57. 

Hoffmann,  Joh.  Heinr.  1,  4,  45,  50. 

Hoheneck  XXVIII. 

Homer  29,  64. 


J. 

:  Jablonski,  D.  E.,  Hofprediger  V,  XXV, 
32,  37,  43. 

Jablonski,  J.  Th  ,  Secretär  der  Societät  VII, 
XI,  XVIH,  3,  4,  6,  28,  35,  37,  38,  39, 
40,  41,  42,  45,  60. 

Jägwitz,  Friedr.  43.  44,  70. 

Idiotikon,  Anlage  desselben  XXIII,  XXVI, 
(50  ff. 

Jena  II. 

Indien  VIII. 

Indigo  20. 

Insekten,  Beobachtung  derselben  40,  45. 

Johann  Philipp  von  Mainz  48,  73 

Jonston,  Joh.  37,  46,  68. 

Irrgarten  33. 

Isodynamen  XTV. 

Junius,  Franciscus  22,  23,  24,  58. 

K. 

Kader  63. 

Kadettenakademie  in  Magdeburg  29,  32, 65. 
Kafen  62. 

Kalender,  historisch-geographischer  41,  69. 
Kalender,  Gregorianischer  VI. 
Kalenderprivilegium  XI,  XV. 
Kali,  kohlensaures  15,  37. 
Kalitte  s.  Kilitto. 

von  Kamecke,  Ernst  Bogislav  39,  40,  68. 
)  Karl  XII.  von  Schweden  67. 
j  Karl  Ludwig,  Kurfürst  von  der  Pfalz  48,  73. 

Katechismus  der  Russen  XXIH. 
j  Kaulbarsch-Pflöcke  62. 

Keck  =  Hals  25,  63 
|  Kemmerich,  Dietr.  Herrn.  29,  65. 

Kiez  25,  63. 

Kilitte  =  papilio  25,  62. 
Kirch,  Gottfried  71. 
Kirch,  Christfried  45,  71 
Kitai  =  China  48. 
Klebnetze  62. 
Koboldschiessen  25,  63. 
Kohlenbrüche  X 
Kolter  =  Pflugschar  26,  63. 
Röppisch,  8eidenbändler  3,  50. 
Köln  1H. 
Kormoran  XXIII. 

von  Kraut,  Christ.  Friedr.  17,  34,  57. 
Kress  (Kressling)  61. 
Küchengarten,  Königl.,  zu  Ruhleben  19. 
Kuhlmann,  Quirin  HL 


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78 


Namen-  und  Sachregister. 


Künsche  25.  03 
Kum  26,  62. 
Kunkel,  Joh.  XXX 
Kupfer,  ungarisches  16,  2ü. 
Kupferbergwerke  i.  Harz  20. 
Küstrin  21. 

Krug  von  Nidda,  Theod.  Christ.  32,  33, 
42,  65. 

L. 

Landvogt  62. 

Lange,  Joachim  XX.  2:1,  60. 
Langelaar  11. 
Lapis  Lazuli  47. 
Laschwad  47. 
Lasur  47. 

Lehmann,  Joh.  Chr.  46,  72 

Leibniz  angebl.  Religionswechsel  42,  60. 

Leipzig  24. 

Leopoldinische  Akademie  naturae  curio 

sorum  VI,  XX IX 
Lexicon  s.  Wörterbuch 
Lichtenstein,  Fürst  von  21. 
Lichtscheid,  Ferd.  Helfreich  XXXII.  40. 
Liebknecht,  Joh.  Georg  46,  72 
Livorno  47. 
London  VIII. 
Lotterie  XI,  XII. 
Lübeck  14. 
Luftpumpe  34,  66. 

Luise  Dorothee  Sophie,  Prinzessin  von 

Preussen  XI. 
Luna  fixa  =  Silber  14,  56. 
Lysins,  Joh.  71. 

M. 

Maass  und  Gewicht,  Einheitlichkeit  des- 
selben i  d.  Mark  Brandenburg  XV. 
Maderitzen  62. 
Magdeburg  2.  20,  32,  66- 
Mainz  III. 

Mandschutartarische  Sprache  XIV. 
Manichäer  29,  64. 
Marchica  vocabula  26,  60  ff. 
Marcbicum    glossarium     s.  Glossarium. 
Maresen  62. 

Märkische  Schulbücher  s.  Schulbucher. 

Marperger,  Paul  Jakob  14,  33,  56. 

Mars  =  Eisen  15,  57. 

Mayer,  Joh.  Friedr.  43,  69. 

Mayer,  Joh.  Abraham  44,  46.  47,  70. 


Mayersche  Bibliothek  43.  46,  70,  71. 
Medicinalische  Observationen  XIV,  XVIII. 
von  Meisebug,  Karl,  Wilh.  33,  66. 
Melolontha  Frischii  XXI XL. 
Menagius,  Aegidius  XXIII,  XXIV,  XXVI, 

34,  66. 
Mencke,  Otto  24,  60. 
Mercurius  =  Quecksilber  16,  67. 
Messlings-Pflrtcke  62. 
Miscellanea  Berolinensia  ex  scriptis  So- 

cietati  Kegiae  exlübiüs  XV,  XVII,  XXI, 

XXX,  XXXI,  24.  33,  42,  45. 
Missionsseminar  XIV. 
Missionsthätigkeit   der   Berliner  Societat 

X,  XIII,  XIV. 
Molwitz.  Nlcol.  31,  34,  36,  65. 
Moscau  VIII.  XIV. 

Müller,  Joh  Urban,  Kämmerer  11,  12,  17, 

21,  25,  55. 

Müller,  Joh.  Christ.,  Ingenieur  39,  44,  OK 
Myran  =  Ameisen  26,  62. 

N. 

Natalja  Alexejewna,  Schwester  Peters  d. 
Gr.  47,  48,  72 
!  Neukirch,  Benj.  41,  69. 
Xeusol  in  Ungarn  II. 
Neustadt  a.  d.  Aisch  XXVIII,  41. 
Nürnberg  II,  41. 

O. 

Oberdachsbach  II. 

Oelven,  Christoph,  Heinr.  12,  14,  33,  55. 
|  Oppermann  =  Küster  62. 
Oranienburg  VII. 

Otto,  Meister,  Raschmacher  1,  2,  4,  6,  7, 

12,  13,  15,  IS,  40,  49,  60. 
Oxford  24,  68,  60. 

P. 

Paianios  50 
Pape,  Buchhändler  50. 
Paris  VIII. 
Pasigraphie  IV. 
Perpetuum  mobile  26,  27. 
Persien  VI  IL 

Peter  d.  Gr.  X,  XIV,  XXIII,  36,  47,  4*, 

67,  72. 
Petersburg  48. 

Pfeiffer,  Domänenfiscal  45,  72. 


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Namen-  und  Sachregister. 


79 


Philipp,  Wilb,,  Markgraf  v.  Schwedt  46,  71. 
Phosphor  XXXI. 
Piras  =  Regenwurm  25,  62. 
Plarre,  Ernst  Martin  43,  70. 
Plinii  Caecüii  Secundi  epistolae  59. 
von  Plotho,  Ludw.,  Otto  43,  70. 
von  Pöllnitz,  Fräulein  49. 
•      Potsdam  1,  2,  9,  11,  13,  15,  16,  17,  18, 
20,  24,  49. 
Polycarpof,  Theod.  36,  67. 
Praesenten,  monatliche   (Zeitschrift)  13, 

14,  55. 
Prenzlau  2,  3,  4 

von  Printien,  Ludwig  XVII,  XVI II,  32, 

33,  43,  65. 
Privatunterricht  XVI. 
Privilegium  impressorium  generale  XVI. 
Pofendorf  III. 
Puppen  62. 

von  Putlitz,  Geschichte  derer  38,  68. 

Q- 

Quäker  III 

Quecksilber,   Verwandlung   desselben  in 

Silber  16,  57. 
Querfurt  21,  23,  58. 
Queste  62. 

R. 

La  Ramee  25,  64. 
Raschmacher  XXXII,  49. 
Receptnrbüchlein  XV. 
Rechtspflege  XHI. 
Redi,  Francesco  37,  68. 
Regensburg  VI. 
Reichstag  zu  Regensburg  VI. 
Reisesteuer  XI,  XII. 
Repnin  34,  36. 
Riga  47. 

Ritterakademieen  IV,  34,  38,  66,  67. 
Rodigast,  Sam.  XX f. 
Rubin,  Konrektor  59r 
Ruhleben  19. 
Rum  an  48. 

Russische  Druckschrift  25,  46,  72. 
S. 

Salpeter  12,  15. 
Salpetersäure  14,  56. 
Salpetersiedereien  X. 
Salzsiedereien  X. 


Sandelholz  48. 

von  Sayn  u.  Wittgenstein,  Aug.   19,  ;!2, 

58,  66.  i 
Schattenhuben  62. 
8chenck,  Peter  46,  72. 
Schilters  Glossarium  XXVII. 
Scldesische  Dichterschule,  zweite  XIX, 
von  Schlippenbach,  Karl,  Friedr.  4:5,  70. 
Schmerlen  61. 

Schott,  Job.  Karl  32,  38,  42  65. 
Schottel  XXV. 

Schulbücher,  märkische  XVI,  XXIV,  23, 

29,  31,  59. 
Schulbücherprivilegium  XVI,  XVIII. 
Schwefel  14,  15. 
Schwefeln  der  Seide  21. 
Seide,  Abspinnen  derselben  1,  18. 

—  Auskochen  derselben  23. 

—  8chwefeln  derselben  21. 

—  XV,  XVII,  XX,  XXVIII,  XXIX,  1,  2, 
3,  4.  5.  6,  7  u.  öfter. 

Seidenbau,  Geschichte  desselben  47,  73. 

—  -Privilegium  XVII,  3,  6,  10,  15,  18,  19, 
21,  .24,  49,  50. 

Seidenraupen  5,  6,  30. 
Serapion  29.  64. 
Servetus,  Mich.  44,  71. 
Setzhamen  62. 

Siguale  der  czarischen  Flotte  25,  60. 
Skinner,  Stephan  22.  58. 
Slavische  Sprache  XXIII,  XXIV.  XXVI, 
24,  33. 

Slavisches  Wörterbuch  24.  ÜO. 

Societät  der  Wissenschaften  s.  Akademieen 

und  Berlin 
Sol  =  Gold  26,  64. 
Sommer.  Guilel.  16,  22,  67. 
Sophie,  Kurfürstin  v.  Hannover  III. 
Sophie  Charlotte,  Prinzessin  v.  Hannover 

IH;   Kurfürstin  von  Brandenburg  IV, 

V,  VII,  Königin  in  Preussen  XIII,  XV, 

XVII. 

Sophie  Dorothee,  Prinzessin  von  Hannover 
XVII,  49;  Kronprinzessin  von  Preussen 
XVII,  Königin  XVI1L 

Spandau  1,  9,  11,  17,  18,  19,  24,  28,  35. 

Spener,  Christian,  Max  9,  38,  45,  55,  68. 

Spiritus  salis  Amoniaci  22,  58. 

Spiritus  nitri  (Salpetersäure)  14,  5(5. 

Stampkum  25,  62. 

Starke.  Sebastian,  Gottfr.  7,  14,  25,  29  53. 


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80 


Namen-  und  Sachregister. 


Stecherling  XXII,  XXX. 
Steinbrüche  X. 
Btichling  XXII,  XXX. 
Stiemhielm,  Georg  23,  24,  60. 
Stinte-Pflöcke  62. 

Stipendienaufsicht  der  Societ&t  XVIII. 
Stiftungen,  milde  XIII. 
Strasburg  II. 
Strohgarn  62. 

Sturms  Kriegsbaukunst  25,  60. 
Sulzbach  II. 
Sflssbolz  40,  69. 
Swammerdam,  Joh.  37,  67. 

T. 

Tacitus  de  moribus  Germ.  40,  41,  69. 

Tartarei  VIII,  X. 

Töplitz  46. 

Teste  14,  66. 

Theophrast  60. 

Tieröl,  ätherisches  54. 

Tinctura  Martis  22,  58. 

—  Veneris  22,  58. 

Tresekammer  (Tresskammer)  XXn,  62. 

Treu.  Abdias  44,  71. 

Treumunn,  Amtskammerrat  18,  68. 

U. 

Uckermark  39. 
Ulphilas  23,  24. 
Ultramarin  47. 
Unionsbestrebungen  IV. 

V. 

Vegetationsbeobachtungen  XIV. 
Vegetius  XXIX. 
Venetianer  26. 


•  Venus  =  Kupfer  15.  16,  26,  67,  64. 
Verfulminieren  16,  57. 
Viehseuchen  XIV. 
Vignoles,  Alphonse  de  13,  66. 
Vocabula  marchica  26,  60  ff 
Volckmann,  Paul  XX.  32,  66. 


Wagner,  Joh.  Wilh.  46,  46,  71. 

von  Wartenberg.  Joh.  Casimir  Kolb,  Graf 

I,  7,  10.  18,  32,  64,  66. 
von  Wartenaleben,  Alexander,  Hermann 

5,  8,  10,  11,  13,  37,  68. 
Wässerungsmaschine  27,  31. 
von  Wedel,  Maltre  des  requets  VII,  XI. 
Weinbau  40. 

Werner,    Direktor    der    Akademie  der 

Künste  21. 
Wessel,  Buchdrucker  24. 
Wetterbeobachtungen  XIV,  XVIII. 
Wien  XVII,  XVin,  42. 
Wüleram  23,  24,  60. 
Windbüchsen  26. 
Wippel  III,  XXI. 
von  Wittgenstein  s.  von  Sayn. 
Wohlenbüttel  21,  23. 

Wörterbuch,    deutsch  -  lateinisches  von 
Frisch  XXV,  XXVI,  17,  72. 

—  französisch-deutsches  von  Frisch  XXIV. 
16,  31,  33,  57. 

—  russisches  36,  67. 

—  slavisches  24,  60. 
Wriezen  2,  3,  4.  50. 

Z. 

Zähren  62. 
Zumbach  46,  72. 
,  Zumer,  Adam,  Friedr.  46,  72. 


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ARCHIV 

DER 

„BRANDENBUR6IA" 

GESELLSCHAFT  FÜR  HEIMATKUNDE 

DER 

PROVINZ  BRANDENBURG 

ZU 

BERLIN. 


Unter  Mitwirkung  des  Märkischen  Prorinzial-Museums 

herausgegeben 


vum 


Gesellschafts  -Vorstände. 


3.  Band. 


Berlin  1897. 
Druck  und  Verlag  von  P.  Stankiewicz'  Bucbdruckerei, 
Bernburgerstra8se  14. 


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Inhalt. 


Seit« 

1.  Rudolf  Buch  holz:  Chronik  der  Berliner  Schützengilde   1 

2.  Erich  Schild:  Bilder  aus  dem  Leben  der  preussischcnl Armee  juii  v<.>ri£(.:ii 
Jahrhundert   77 

3.  Otto  Pniower:  Die  Bevölkerung  Brandenburgs  vor  der  slavischen  Zeit  ...  94 

4.  Ludwig  Krug:  Haus  Jessen,  Kreis  Sorau  117 


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Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 

Mit  einer  Einleitung  (Iber: 

Entstehung  und  Entwickelung  dos  Schützengilde- Wesens 

im  allgemeinen 
von 

Rudolph  Buchholz 

Kustos  des  Märkischen  Provinzial-Muueuum. 
Mit  15  Abbildungen. 


A.  Entstehung  und  Entwickelung  des  Schützengildewesens 

im  allgemeinen. 

Über  die  Veranstaltung  friedlicher  Wettstreite  in  der  Schiesskunst 
haben  wir  schon  aus  der  ersten  Zeit  des  klassischen  Altertums  Kunde. 
Wir  ersehen  aus  dem  23.  Gesänge  der  Ilias,  wie  Achilles  zur  Verherr- 
lichung des  gefallenen  Patroklos  neben  anderen  Wettkämpfer)  ein  Bogeu- 
schiessen nach  einer  mit  Schnur  an  einen  Mastbaum  gebundenen  Taube 
veranstaltet,  und  aus  dem  21.  Gesang  der  Odyssee,  wie  Penelope,  in 
Ungewissheit  über  die  Rückkehr  ihres  geliebten  Odysseus,  sich  dem- 
jenigen der  sie  bedrängenden  Freier  zu  eigen  geben  will,  welcher,  wie 
einst  der  Gatte,  mit  dessen  Bogen  den  Pfeil  durch  die  Löcher  von  12 
hintereinander  aufgestellten  Beilen  zu  senden  vermag.  Die  Zahl  solcher 
Beispiele  Hesse  sich  aus  anderen  Werken  des  klassischen  Altertums  ver- 
vielfachen. 

So  oft  aber  auch  von  Wettechiessen  im  Altertum  berichtet  wird, 
immer  handelt  es  sich  dabei  um  mehr  zufällige  oder  nebenhergehende 
Veranstaltungen,  niemals  um  eine  geschlossene  dauernde  Ver- 
einigung zu  Schiessübungen  und  jährlichen  Wett-  oder 
Königsschiessen  nach  festen  Satzungen,  wie  sie  das  Wesen  der 
dem  Mittelalter  entstammenden  Schützengilden  ausmachen. 

Genaue  Nachrichten  über  Zeit  und  Ort  der  Entstehung  der  Schützen- 
gilden, nicht  minder  über  die  Person  des  Begründers  und  die  Art  der 
ersten  Satzungen,  sind  nicht  vorhanden.  Doch  fehlt  es  nicht  an 
gelegentlichen  Erwähnungen  in  mittelalterlichen  Schriftstücken,  welche 
in  ihrer  Gesamtheit  Material  zur  annähernden  Bestimmung  einzelner 

1 


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2 


Rudolph  Burhholi: 


dieser  Fragen  bieten.  „Fraternitates  sagittariorum"  (Pfeilbrüderschaften) 
ist  die  Bezeichnung,  unter  welcher  Schützenvereinigungen  in  jenen  Schrift- 
stücken uns  zuerst  entgegentreten.  Es  wird  derselben  gedacht  in  Be- 
ziehung auf  ihr  Verhältnis  zur  Kirche:  Sie  stiften  einen  Altar,  verpflichten 
sich  zu  Beiträgen,  erhalten  einen  Schutzheiligen  u.  dgl.;  andererseits 
werden  ihnen  gewisse  kirchliche  Vorrechte  zugesichert. 

Diese  enge  Anlehnuug  der  Schützen brüderschafteu  an  die  Kirche, 
sowie  der  Umstand,  dass  Geistliche  als  Mitglieder,  oft  in  führender 
Rolle,  genannt  werden,  haben  der  Annahme  Halt  gegeben,  dass  in  der- 
selben Zeit,  in  welcher  die  Gründung  einer  ganzen  Reihe  von  frommen 
Brüderschafteu  zur  Stärkung  der  politischen  und  materiellen  Macht  der 
Kirche  planmässig  vor  sich  ging,  nämlich  gegen  Ende  des  11.  Jahr- 
hunderts, auch  die  ersten  Schützenbrüderschaften  durch  Organe  der 
Kirche  errichtet  worden  seien.  Die  Kirche  hätte  dabei  die  Sicherung 
des  Kirchspiels  und  des  darin  befindlichen,  nicht  selten  wertvollen 
Kirchenguts  gegen  kriegerische  oder  räuberische  Angriffe  zunächst  im 
Auge  gehabt,  dann  aber  auch  ein  Gegengewicht  gegen  feindliche 
Strömungen,  wie  solche  namentlich  innerhalb  des  Rittertums  ihr  öfter 
gegenübertrateu ,  gesucht,  vielleicht  auch  eine  Abschwächuug  roher 
Fehdegewohnheiten  zu  Gunsten  eines  friedlichen  und  geordneten  Waffen- 
spiels beabsichtigt. 

Die  erste  Errichtung  von  Schützenbrüderschaften  fällt  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  in  die  zweite  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts.  Es  wider- 
spricht dieser  Zeitannahme  nicht,  dass  über  bestehende  Schützenver- 
einigungen die  ersten  Aufzeichnungen  erst  aus  dem  Ende  des  12.  Jahr- 
hunderts datieren;  denn  lange  zuvor,  ehe  der  Anlass  zu  den  Auf- 
zeichnungen sich  darbot,  können  und  werden  die  ersten  Keime  der 
Vereinigungen  hervorgetreten  sein.  Als  Thatsache  wird  angeführt,  dass 
die  wohl  weniger  den  Wettstreiten  der  Heroen  des  Altertums,  als  dem 
Wettschiessen  der  frühmittelalterlichen  Schützen  -  Vereinigungen  ent- 
nommenen Redensart:  „Er  hat  den  Vogel  abgeschossen"  schon  im 
12.  Jahrhundert  in  ihrer  heutigen  gemeinverständlichen  Bedeutung 
vorkam.  — 

Der  Umstand,  dass  die  ersten  Erwähnungen  bestehender  Schützen- 
vereinigungen sich  auf  Genf  und  Chamber}  beziehen,  weist  auf  die 
südlich  vom  Genfer  See  belegene  Landschaft  als  den  Boden  der  ersten 
Entstehung  hin.  Insofern  in  dieser,  damals  zum  Burgundisch  -  Are- 
latischen  Königreich  gehörigen  Landschaft  im  11.  Jahrhundert  zuerst, 
auf  Betreiben  der  Geistlichkeit,  der  Gottesfriede  (Treuga  dei),  in  Kraft 
gesetzt  wurde,  ergiebt  sich  eine  Bestätigung  der  obigen  Zeitbegrenzung, 
da  der  Gottesfriede  deu  Aulass,  die  Abschwächung  roher  Fehdegewohn- 
heiten zu  erstreben,  in  vorzüglicher  Weise  dargeboten  haben  wird. 


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Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 


Auf  die  Erwähnungen  von  Schützenbrüderschaften  in  Genf  und 
Cbamböry  folgen  als  zeitlich  nächste,  dem  Anfang  des  13.  Jahrhunderts 
entstammend,  verschiedene  in  Städten  des  südöstlichen  Frankreich  und 
der  südwestlichen  Schweiz.  Aus  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  finden 
sich  Nachrichten  über  Schützenbrüderschaften  in  fast  allen  bedeutenderen 
Städten  des  östlichen  Frankreich  und  der  Rheingegend,  sowie  der  Nieder- 
lande. Wien,  Breslau,  Magdeburg  haben  Schützengilden  gegen  Ende  des 
13.  Jahrhunderts.  Im  14.  Jahrhundert  entstehen  sie  in  den  Städten  längs 
der  Nord-  und  Ostsee-Küste,  in  Ostpreussen  zufolge  besonderer  Förderung 
durch  die  Ordenshochmeister.  Unsere  Mark  Brandenburg  gehört,  — 
was  die  besonderen,  der  frühzeitigen  Entwickelung  eines  kräftigen 
Städtewesens  wenig  günstig  gewesenen  Verhältnisse  erklärlich  erscheinen 
lassen,  —  zu  denjenigen  Landschaften,  in  welchen  die  Einbürgerung  der 
Schützengilden  verhältnismässig  spät,  nämlich  Ausgangs  des  14.  und 
Anfangs  des  15.  Jahrhunderts  stattfand.  Nur  Zielenzig,  wo  im  13.  Jahr- 
hundert der  Johanniter-Orden  eine  Schützengilde  errrichtete,  macht  eine 
Ausnahme.  Nachrichten  über  das  Bestehen  der  Schützengilde  in  Pritz- 
walk  und  Lübbeu  liegen  aus  dem  14.  Jahrhundert,  derjenigen  in  Frank- 
furt a.  0.,  Müncheberg,  Beeskow,  Treuenbrietzen,  Luckau  u.  a.  aus  dem 
Anfang  des  15.  Jahrhunderts  vor.  Merkwürdigerweise  ist  von  einer 
Berliner  Schützengilde  in  schriftlichen  Überlieferungen  nicht  früher 
als  im  Jahre  1504  die  Rede,  während  mit  Fug  anzunehmen  sein  wird, 
dass  die  Errichtung  mindestens  zu  gleicher  Zeit,  wie  in  anderen 
Märkischen  Städten,  also  fast  100  Jahre  früher,  erfolgt  sei. 

Die  überraschend  schnelle  Ausbreitung  des  Schützenbrüderschafts- 
wesens über  fast  alle  Städte  des  zivilisierten  Europas  ist  aus  den  be- 
sonderen Zeitverhältuissen  und  örtlichen  Zuständen  zu  erklären,  unter 
denen  die  Einrichtung  als  nützlich  und  wichtig  sich  geltend  machen  und 
bewähren  konnte. 

Der  Niedergang  des  hohenstaufischen  Kaisertums,  die  kaiserlose 
Zeit  während  des  sogenannten  Interregnums,  die  traurige  Regierung 
darauf  folgender  Kaiser,  insbesondere  Wenzels  (1378 — 1400)  leisteten  in 
den  deutschen  Landen  der  höchsten  Unordnung  und  Unsicherheit  Vor- 
schub. Jeder  Stand,  vom  Fürsten  herab  bis  zum  Ritter  und  selbst  zum 
Stadtbürger,  trachtete  nach  Unabhängigkeit  und  suchte  sich  auf  Kosten 
des  andern  zu  erheben  und  zu  bereichern.  Die  Übel  des  Faustrechts 
nahmen  schrecklich  überhand  und  ein  Teil  der  Ritterschaft  erniedrigte 
sich  sogar  zum  Raubleben  und  störte  den  Handel  und  Verkehr  der  be- 
triebsamen Einwohner  der  Städte,  die  bald  nach  der  Zeit  der  Kreuzzüge 
zu  grossem  Wohlstand  gediehen  waren,  auf  das  empörendste. 

In  solcher  Zeit  mussten  die  Städte  ein  dringendes  Interesse  daran 
haben,  sich  möglichst  verteidigungsfähig  einzurichten.  Wenn  zur  Ver- 
teidigung der  Stadt  im  Ernstfalle  auch  jeder  wehrfähige  Bürger  ver- 


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Rudolph  Bachholi : 


pflichtet  war,  so  bot  doch  die  dauernde  Vereinigung  eines  thatkräftigen 
Teils  der  Bürgerschaft  zu  wiederkehrenden  Waffenübungen  ein  vor- 
zügliches Mittel  dar,  die  Verteidigungsfähigkeit  zu  erhöhen.  Der 
günstige  Boden  für  die  Ausbreitung  des  Schützenwesens  war  damit  ge- 
geben. Der  leicht  zu  ausschliesslich  dem  Erwerb  nachgehende  Bürger 
lud  sich  in  der,  mancherlei  Anreiz  bietenden  Vereinigung  den  Zwang 
zur  öfteren  Waffenübung  gern  und  willig  auf.  Das  Ansehen  der  Ver- 
einigung stieg  durch  den  Eintritt  der  vornehmen  Stadtgeschlechter,  in 
Folge  dessen  sich  der  Name  „Gilde"  für  „Brüderschaft"  einbürgerte. 

Dass  die  Schützengilden  als  geschlossene  Korper  gegen  den  Feind 
aufgetreten  sind,  ist  nicht  bekannt  geworden.  Alle  Anzeichen  sprechen 
dafür,  dass  ihre  Mitglieder  im  Ernstfall  sich  unter  die  einzelnen  ge- 
werblichen Gilden  —  Zünfte  —  verteilt  haben,  zu  welchen  sie  ihrem 
Beruf  nach  gehörten  und  welchen  meistens  Teile  der  Stadtmauer  zur 
Verteidigung  zugewiesen  waren.  Sicherlich  aber  bildeten  innerhalb 
der  Zünfte  die  Mitglieder  der  .Schützengilde  den  schiessge wandten 
Kern,  welcher  an  den  Mühen  und  den  Erfolgen  des  Kampfes  den 
Hauptanteil  hatte,  wie  er  auch  durch  seine  Vertrauen  erweckende 
Fertigkeit  im  Schiessen  ermutigend  auf  die  anderen  einwirkte. 

Die  in  den  Schützengilden  gehaltene  männliche  Zucht  und  der  von 
ihnen  gepflegte  echte  deutsche  Bürgersinn  haben  sich  indes  nicht  uur 
in  den  Verteidigungskämpfeu  erwiesen,  sondern  auch  in  den  Werken 
des  Friedens.  Mit  Recht  lässt  sich  sagen,  dass  mit  dem  erstarkeuden 
Stadtbürgertum  das  Schützengildewesen  untrennbar  verbunden  ist. 
Unter  der  durch  die  Schützengilden  gewährleisteten  grösseren 
Sicherheit  konnte  die  Erwerbsthätigkeit  jeder  Art  sich  reger  entfalten, 
konnte  der  Wohlstand  wachsen,  Kunst  und  Bildung  gedeihen  und  fort- 
schreiten. 

Wie  aber  innerhalb  der  eigenen  Stadt  die  Schützengilden  unmittel- 
bar und  mittelbar  einen  vorteilhaften  Einfluss  ausübten,  so  ist  auch  die 
Annäherung  der  Städte  untereinander,  welche  in  den  grossen 
Städtebünden  des  18.  und  14.  Jahrhunderts  hervortritt,  sicherlich  zum 
guten  Teil  auf  die  Wirksamkeit  der  Schützengilden  zurückzuführen. 
Die  letzteren  veranstalteten  nämlich  frühzeitig  in  grösseren  Städtever- 
bänden gemeinsame  Wettschiessen,  in  Verfolg  deren  Verbindungen  zur 
Geltendmachung  gemeinschaftlicher  Interessen  angeknüpft  wurden.  Zu 
allgemeinen  Volksfesten  gestalteten  sich  solche  Wettschiessen,  und 
sie  hatten  den  Gang  der  Geschichte  beeinflussende  Volks- und  Städte- 
Verbrüderungen  zur  Folge. 

Bewehrt  und  bewaffnet,  haben  die  Schützengilden  niemals  in 
frivoler  und  ungerechter  Weise  von  ihren  Waffen  Gebrauch  gemacht. 
Damit  steht  auch  die  Eiugangsscene  zu  Goethes  Egmont,  die  ein  Arm- 
brustschiessen darstellt,  im  Einklang,  worin  der  Bürger  Soest  auf  die 


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Chronik  der  Berliner  8chütiengilde. 


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Klagen  über  die  Not  der  Zeit  sagt:  „Drum  muss  auch  ein  Bürger  immer 
in  Waffen  geübt  sein",  und  welche  ausklingt  in  die  echte  Schüteen- 
Ideale  bezeichnenden  Worte:  „Sicherheit  und  Ruhe,  Ordnung  und 
Freiheit." 

Es  konnte  nicht  fehlen,  dass  mit  dem  Aufkommen  eines  starken 
Landesfürsteutums ,  welches  als  seine  vornehmste  Aufgabe  den  Schutz 
nach  innen  und  nach  aussen  erachtete,  die  Stellung  und  die  Aufgabe 
der  Schützengilden  in  etwas  verändert  wurde.  Aber  die  Volkstüm- 
lichkeit, welche  die  Gilden  in  früherer  Zeit  sich  erworben 
hatten,  ist  ihnen,  wie  das  namentlich  bei  den  Schützenfesten 
in  kleineren  Städten  ersichtlich  ist,  geblieben.  Sie  haben  sich 
solcher  Volkstümlichkeit  auch  wert  gehalten,  indem  sie,  als  würdige 
Körperschaften  der  von  jeher  die  festesten  Stützen  der  Reichs- 
gewalt bildenden  Städte  niemals  aufgehört  haben,  den  deutschen 
Einheitsgedanken  zn  pflegen,  selbst  dann  nicht,  als  schwere  Zeiten  über 
das  gemeinsame  Vaterland  hereinbrachen. 

Und  wenn  wir  uns  jetzt  der  endlichen  Verwirklichung  dieses  Ein- 
heitsgedankens freuen  können,  so  ist  das  zwar  unmittelbar  dem  ge- 
waltigen Aufgebot  der  militärischen  Schützen,  den  grossen  Führern 
derselben  und  den  Leitern  der  Politik  zu  danken,  aber  den  Kriegs- 
Erfolgen  war  wirksam  vorgearbeitet  durch  die  lange  vorher  betriebene 
und  wachgehaltene  Verbrüderung  der  deutschen  Volksstämme, 
die  jedesmal  zum  Ausdruck  kam,  wenn  Schützen -Gesaug-  oder  Turn- 
vereine der'deutsehen  Gaue  sich  zu  friedlichem  Wettstreit  versammelten. 

Insbesondere  aber  erhielt  das  Verlangen  des  deutseben  Volkes 
nach  politischer  Einigung  durch  die  vor  30  Jahren  zuerst  veranstalteten 
und  dann  fortgesetzten  deutschen  Bu  ndesschiessen  neuen  Impuls 
und  so  haben  auch  die  Schützengilden  ihren  Anteil  an  dem  ruhmreichen 
Verlauf  der  jüngsten  Geschichte  Deutschlands. 


Die  innere  Einrichtung  der  Schützengilden  ist  in  der  langen  Zeit 
ihres  Bestehens  naturgeinäss  manchen  Wandlungen  unterworfen  gewesen. 
Ihre  Waffen,  ihre  Gepflogenheiten,  namentlich  bezüglich  des  Königs- 
schiesseus,  sind  unter  dem  Einfluss  jeweiliger  Anschauungen  bezw. 
neuer  Erfindungen  mehrfach  verändert  worden. 

Die  älteste  Watte  der  Schützenbrüderschaften  war  der  Handbogen, 
schlechtweg  Bogen  genannt,  welcher  schon  von  den  Kulturvölkern  des 
Altertums  als  Fernwafte  gebraucht  worden  war,  wie  bildliche  Dar- 
stellungen aus  den  Pyramiden  Ägyptens,  wie  zahlreiche  Funde  von 
steinernen  und  bronzenen  Pfeilspitzen,  mitunter  auch  von  Bogenresten 
z.  B.  in  den  Pfahlbauten  der  Schweiz,  beweisen. 


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Richard  Buchhol*: 


Die  Bogen  wurden  aus  astfreien  Baumzweigen  in  Mannslänge, 
1,60 — 1,80  m,  geschnitten,  in  Form  der  nachfolgenden  Zeichnung  eines 
im  Märkischen  Provinzial-Museum  befindlichen  Exemplars. 


Das  beste  und  gebräuchlichste  Holzmaterial  dazu  lieferte  der 
Eibeubaum  (Taxus  baceata),  dessen  Anbau  deshalb  besonders  gepflegt 
wurde.  Die  grosse  Elastizität  des  Holzes  machte  die  schlanken  Zweige, 
an  denen  nicht  viel  geschnitzelt  zu  werden  brauchte,  zur  Herstellung 
des  Bogens  besonders  geeignet.  Im  Garten  des  Herrenhauses  zu  Berlin 
steht  noch  ein  schöner  Repräsentant  dieser  Baumart,  dessen  Alter  auf 
600—800  Jahre  geschätzt  wird,  und  kürzlich  ist  auch  noch  Kunde  ge- 
kommen von  viel  grösseren  und  stärkeren  Eiben,  die  im  Dorfe  Eichholz 
bei  Finsterwalde  in  der  Niederlausitz  stehen. 

Der  geschattete  Bogen,  die  Armbrust,  scheint  in  derselben 
Zeit  erfunden  zu  sein,  in  der  sich  die  Pfeilbrüderschaften  gebildet  hatten; 
ja  es  lässt  sich  annehmen,  dass  die  Pfeil brüderschaften  selbst  die  Er- 
finder der  Annbrust  sind,  die  den  vorzugsweise  auf  Verteidigung  der 
Wohnplätze  gerichteten  Zwecken  besser,  als  der  blosse  Bogen  entspricht. 
Denn  das  Zielen  durch  Auflegen  war  ein  sichereres,  mechanische  Vor- 
richtungen gestatteten  ein  stärkeres  Spannen  der  Sehne,  so  dass  der 
Pfeil  weiter  flog  und  die  Pfeile  selbst  konnten  kürzer  und  doch 
schwerer  gehalten  werden,  so  dass  sie  auch  auf  weite  Entfernungen 
noch  wirksam  waren. 

Die  Schäftung  gestattete  zugleich  eine  allmähliche  Verkleinerung 
des  Bogons,  der  dafür  um  so  stärker  gemacht  werden  konnte,  ebenso 
wurde  die  Sehne  stärker  und  kürzer. 

Von  der  byzantinischen  Kaisertoehter  Anna  Komnena  und  vom 
Erzbischof  Wilhelm  von  Tyrus  haben  wir  den  frühesten  Bericht  über 
den  Gebranch  der  Armbrüste;  sie  seien  im  Kreuzzuge  zu  Ende  des 


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Chronik  der  Berliner  Schfltzengilde. 


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11.  Jahrhunderts  verwendet  worden.  Im  12.  Jahrhundert  worden  bereits 
in  Frankreich  ganze  Truppenkörper  mit  Armbrüsten  bewaffnet,  doch 
verdankt  England  die  Siege  von  Cräcy  1346  und  Poitiers  1356  seinen 
Bogenschützen,  da  die  Bogen  während  des  Regens  weniger  litten  als  die 
Armbrüste  der  Franzosen. 

Die  unter  „Alte  Schusswaffen",  Fig.  2,  abgebildete  Armbrust  ist 
eine  der  im  Märkischen  Museum  befindlichen,  aus  dem  Rathause  zu 
Prenzlau  herrührenden  und  macht  die  im  15.  Jahrhundert  gebräuchliche 
Form  anschaulich.  Der  Bogen  ist  aus  Hornlagen  zusammengesetzt,  die 
mit  Leder  oder  Schlangenhaut  überzogen  sind.  Zum  Aufziehen  der 
Sehne  wurde  eine  Hebel  Vorrichtung  oder  eine  Winde  benutzt. 

Es  sei  hier  eingeschaltet,  dass  die  Zeit  der  Armbrust  als  die 
Blütezeit  der  Schützengilden  bezeichnet  werden  darf.  Den  damaligen 
Angriffs-  und  Schutzwaffen  der  Ritter  gegenüber  war  die  Armbrust, 
wenigstens  in  der  Verteidigungsstellung  hinter  den  Stadtmauern,  eine 
furchtbare  Waffe.  Der  scharfe  und  schwere,  kraftvoll  abgeschossene 
eiserne  Bolzen  durchdrang  den  damals  noch  schwächeren  Schuppen- 
oder Maschenpanzer  der  angreifenden  Ritter  und  diese  mussten  sich 
ausser  Schuss weite  halten,  oder,  was  bald  darauf  geschah,  stärkere,  aber 
auch  schwerfälligere  Rüstung  anlegen.  Auch  die  weltlichen  oder  geist- 
lichen Landesfürsten  jener  Zeit  mussten  zu  ihrem  Schaden  in  ihren 
Streitigkeiten  mit  den  Städten  die  Wirkung  gut  gezielter  Armbrustbolzen 
erkennen,  was  ihnen  Anlass  gab,  Kaiser  und  Papst  zum  Verbot 
der  nnchristlichen  Armbrust  anzurufen.  Auf  den  ökumenischen 
Konzilen  in  den  Jahren  1139  und  1215  wurde  denn  auch  deren  Gebrauch, 
insoweit 'er  gegen  Christen  und  nicht  gegen  Ungläubige  gerichtet  war, 
verflucht  und  Zuwiderhandlungen  wurden  mit  dem  Bann  bedroht.  Wir 
ersehen  indes  nicht,  dass  dieses  Vorgehen  bei  den  Schützengilden  einen 
Erfolg  gehabt  hätte. 

Die  Armbrust  blieb  auch  nach  Einführung  der  Feuerwaffen  neben 
den  letzteren  in  Gebrauch  und  zwar  war  in  der  Kegel  ein  Teil  der- 
selben Schützengilde  auf  die  Armbrust,  der  andere  auf  die  Büchse  an- 
gewiesen, oder  es  wurde  für  alle  Mitglieder  ein  Annbrustschiessen  nach 
dem  Vogel  und  ein  Büchsenschiessen  nach  der  Scheibe  veranstaltet.  Im 
17.  Jahrhundert  begann  endlich  der  Gebrauch  der  Armbrust  allmählich 
nachzulassen  und  namentlich  in  Berlin  wurde  seit  U>51  nur  noch  mit 
der  Büchse  geschossen. 

Nach  Erfindung  des  Schiesspulvers  kamen  im  14.  Jahrhundert  die 
ersten  tragbaren  Feuerwaffen,  Feuerrohre,  auf,  welche  damals  von  den 
Schützengilden  noch  wenig  in  Gebrauch  genommen  wurden.  Ihre  Ein- 
führung bei  den  Gilden  fand  vielmehr  erst  im  Laufe  des  15.  Jahrhunderts 
statt,  nachdem  eine  mechanische  Vorrichtung  zum  Zünden  der  Ladung 
in  Gestalt  eines  Hahnes  uud  ein  geeigneter  Kolben  zum  Anlegen  dem 


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Rudolph  Buchholl!: 


einfachen  Rohr  angesetzt  war.  Jener  Hahn  fasste  die  brennende  Lunte 
und  schlug  genau  nach  dem  Federdruck  des  Schätzen  auf  die  Pfanne, 
während  bei  den  ersten  Feuerrohren  der  Augenblick  nicht  beherrscht 
werden  konnte,  in  welchem  das  Pulver  von  der  Lunte  erfasst  wurde. 
Ein  solches  Luntenschiossgewehr  zeigt  Fig.  8  der  Zeichnung,  nach 
einem  im  Märkischen  Provinzial- Museum  befindlichen  Original  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts. 

Das  Luntenschiossgewehr  hatte  indes  einen  erheblichen  Mangel, 
insofern  die  Lunte  brennend  erhalten,  oder  vor  dem  Sehuss  besonders 
angezündet  werden  musste.  Sein  Gebrauch  verlor  sich  deshalb  allmählich, 
nachdem,  zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts,  das  Steinschloss  erfunden 
war,  welches  die  Funken  im  Moment  des  Gebrauchs  selbst  hervorrief 
und  gleich  auf  die  Pfanne  warf.  Die  Feuererzeugung  geschah  dabei 
durch  Reibung  von  Feuerstein  oder  Schwefelkies  auf  Stahl  und  die 
mechanische  Vorrichtung  dazu  bestand  aus  einem  Stahlrad,  auf  welches 
der  Feuerstein  mittels  eines  kräftigen  Hahns  aufgedrückt  wurde.  Das 
bewegliche  Rad  wurde  mittels  eines,  in  der  Regel  in  der  Zündkraut- 
büclise  angebrachten  Sclilüssels  aufgezogen  und  schnellte  nach  einem 
Federdruck  sehr  kräftig  zurück,  wodurch  die  fuukengebende  Reibung 
mit  dem  Feuerstein  erzielt  wurde.  Diese  Radschlossgewehre,  von 
denen  ein  Exemplar  aus  dem  Märkischen  Provinzial -Museum  hier  ab- 
gebildet wird,  (Fig.  4),  wurden,  dem  gehobenen  Kunstgeschraack  der 
Renaissance  entsprechend,  ausgestattet  und  verziert,  sie  zeugen  zugleich 
von  der  Trefflichkeit  der  Büchsenmacher- Arbeit  jener  Zeit.    Das  Rad- 


BChloss  machte  allerdings  das  Gewehr  relativ  schwer  und  der  unmittelbar 
am  Rade  sich  absetzende  Pulverschleim  störte  nach  einigen  Schüssen 

die    erforderliche    Schnelligkeit    der  Drehung. 
'äHfc  35#Au  ^v        ^an  ^am  <h'shalb  im  17.  Jahrhundert  darauf. 


Form  des  Schlosses  erfuhr,  aber  im  wesentlichen  bis  in  die  erste  Hälfte 


solchen  FeucrschlossUüchse,  welche   17Ö8  vom  Grafen  von  Haacke  der 


des  Hl.  Jahrhunderts  beibehalten  wurde.    Ein  schönes  Exemplar  einer 


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Chronik  der  Berliner  Schatzengilde. 


Berliner  Schützengilde  verehrt  wurde  und  sich  noch  jetzt  im  Besitz 
der  Gilde  befindet,  igt  hier  mit  einer  Vergrösserung  des  am  Kolben  be- 
findlichen Gräflich  Haacke'schen  Wappens  abgebildet. 

Als  Schi  essziel  war,  wie  schon  berichtet,  von  Alters  her  ein 
Vogel  üblich,  meistens  eine  auf  eine  Stange  gebundene  Taube  oder  ein 
Hahn.  Die  ersten  Schützenbrflderschaften  milderten  solchen  rohen  Ge- 
brauch  etwas,  indem  sie  z.  B.  eine  Gans  in  ein  pfeilsicheres  Fass 
setzten,  so  dass  nur  der  Kopf  herausstand,  dessen  Verletzung  durch  den 
Pfeil  den  schnellen  Tod  des  Tieres  zur  Folge  hatte;  man  blieb  aber  in 
der  Abmilderung  hierbei  nicht  stehen,  beseitigte  vielmehr  schon  im 
12.  Jahrhundert  jene  grausame  Gewohnheit  und  wählte  einen  aus  Holz 
geschnitzten  Vogel,  der  auf  eine  Stange,  den  Baum,  gesetzt  wurde. 

Man  dachte  sich  unter  diesem  Holzvogel  meistens  einen  Adler, 
bei  einigen  Schützengilden  eine  Taube  und,  namentlich  in  den  Städten 
der  Niederlande  und  hin  und  wieder  des  norddeutschen  Tieflandes,  einen 
Papagei. 

Wer  den  Vogel  so  traf,  dass  er  herunterfiel,  wurde  König  und 
erhielt  den  Haupt  preis  und  verschiedene  Ehren -Gaben.  Für  das  Ab- 
schiessen  blosser  Extremitäten,  des  Kopfes,  der  Flügel  etc.  gab  es 
Nebenpreise.  War  nur  noch  der  Rumpf  auf  der  Stange,  so  galt  das 
Fallen  desselben  als  das  des  ganzen  Vogels. 

Das  Schiessen  nach  Scheiben  scheint  erst  gegen  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts aufgekommen  zu  sein;  neben  jenem  hat  dann  das  Vogel- 
schiessen noch  hunderte  von  Jahren  bis  in  die  neueste  Zeit  weiter 
bestanden. 

Wer  den  besten  Sehuss  gethau  hatte,  wurde  zum  König  ausgerufen, 
bekränzt  und  im  Triumph  in  die  Stadt  geleitet.  An  diese  frühesten  und 
einfachsten  Ehrenbezeugungen,  welche  unter  Mitwirkung  der  weltlichen 
und  geistlichen  Obrigkeit  erwiesen  wurden,  knüpfte  sich  beim  zunehmenden 
Wohlstand  der  Städte  alsbald  ein  allgemeines  Festmahl,  dessen  Kosten 
aus  festen  Bezügen  bestritten  wurden,  ferner  materielle  Vorteile  ver- 
schiedener Art,  namentlich  auch  Befreiung  von  Steuern,  und  die  Aus- 
schmückung mit  der  Königskette,  an  welcher  das  silberne  oder  goldene 
Kleinod  in  Gestalt  eines  Vogels  (Taube,  Adler,  Papagei),  mitunter  auch 
des  bezüglichen  Schutzheiligen,  hing.  Die  Gewohnheit,  der  Kette  all- 
jährlich ein  vom  jeweiligen  Könige  zu  stiftendes  Ringleiu  zuzufügen, 
ritt  erst  zu  Ende  des  Mittelalters  auf.  Bei  den  Schützenfesten  zu  Magde- 
burg in  den  Jahren  1281  und  1387  soll  sogar  eine  Jungfrau  als  Haupt- 
preis geboten  worden  sein. 

Gegen  Ende  des  13.  Jahrhunderts  beginnen  die  Schützeugilden 
mehrerer  Städte  gemeinsame,  in  den  Städten  jährlich  wechselnde 
Wettschiessen  zu  veranstalten.  Das  Interesse  an  diesen  oft  grossartigen 
Festlichheiten  war  immer  ein  allgemeines  und  die  als  Sieger  aus  dem 


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Rudolph  Buchhok: 


Wertkampf  hervorgehende  Gilde,  bezw.  Stadt,  «ah  sich  hochgeehrt.  Ihr 
fiel  nicht  allein  der  Preis  zu,  sondern  auch  das  Siegeskränzlein, 
mit  dessen  Übernahme  auch  die  Verpflichtung  zur  Veranstaltung  des 
nächsten  allgemeinen  Wettschiessens  verbunden  war.  Die  heutige  Be- 
zeichnung „Kränzchen"  für  gewisse  wechselnde  Gesellschaftsfeste  ist  von 
jenem  Gebrauch  hergeleitet. 

Wie  nach  den  Begriffen  der  mittelalterlichen  Kirche  alle  Gesell- 
schaften, womöglich  auch  Familien,  eines  Fürsprechers  und  Vermittlers 
beim  lieben  Herrgott,  eines  Schutzheiligen  oder  Patrons  bedurften, 
so  hatten  ihn  auch  die  Schützeubrüderschaften.  Doch  war  es  nicht  für 
alle  Brüderschaften  derselbe.  Die  meisten  stellten  sich  unter  den  Schutz 
des  heil.  Sebastian,  jenes  Märtyrers,  der,  obgleich  von  zahlreichen 
Pfeilen  durchbohrt,  durch  einen  Engel  wunderbar  gerettet  sein  soll. 
Nach  diesem  Patron  wurden  die  Schützen  auch  oft  „Sebastiano"  oder 
„Bastiano"-Brüder  genannt.  Einzelne  andere  Gilden  wählten  St.  Georg, 
die  heil.  Jungfrau  u.  a.  als  Schutzheilige. 


B.  Materialien  zur  Geschichte  der  Berliner  Schützengilde. 

Wie  schon  erwähnt,  datiert  die  älteste  Aufzeichnung,  aus  der  auf 
die  Existenz  einer  Berliner  Schütze ngilde  geschlossen  werden  kann, 
aus  dem  Jahre  1504. 

Ein  im  Archiv  der  Stadt  aufbewahrtes  Wochenbuch  des  Rats  von 
Berlin  aus  dem  Jahre  1504  enthält  nach  einem  vor  28  Jahren  unter 
des  damaligen  Stadtarchivars  Fidicin  Beihülfe  gemachten  Auszuge, 
einen  Ausgabeposten:  1  Schock  und  22  Groschen  für  Wein  zur  Be- 
wirtung des  Kurfürsten  und  des  Hofgesindes  „bey  dem  Schützen  Borne 
(Baum),  do  mau  nach  dem  Vogel  hat  geschossen".  Dies  ist  die  früheste 
Urkunde  über  die  Berliner  Schützengildc*):  sie  lässt  das  Vorhandensein 
von  Schützenbrüdern,  die  das  „Vogelschiessen"  veranstaltet  hatten,  als 
sicher  voraussetzen.  Der  Umstand,  dass  der  Hat  von  Berlin  dabei 
gewisse  Repräsentationskosten  übernahm,  kann  nach  den  damaligen 
Verhältnissen  kein  Argument  gegen  das  Bestehen  der  Schützengilde 
sein,  denn  gleiche  städtische  Ausgaben  kommen  auch  bei  viel  späteren 
Gildefesten,  lange  nach  Erteilung  der  förmlichen  Gilde-Privilegien,  vor. 
Auch  der  Mangel  jeder  urkundlichen  Erwähnung  der  Gilde  aus  der 
Zeit  vor  1504  kann  die  Annahme  ihres  früheren  Bestehens  nicht  aus- 
schliessen,  da  aus  jener  Zeit  überhaupt  nur  sehr  wenige  Berliner  Schrift- 

*)  Die  betreffende  Notiz  ist  leider  heute  nicht  mehr  lesbar  und  hat  deshalb 
hier  nicht  dem  Original-Schriftstück,  sondern  der  Fidicin'schen  Wiedergabe  entnommen 
werden  können. 


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Chronik  der  Berliner  Schatzengilde. 


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stücke  erhalten  sind.  Wohl  aber  kann  angenommen  werden,  dass  das 
durch  die  ersten  Hohenzoller'schen  Kurfürsten  zur  Hauptstadt  ausersehene 
Berlin- Cölln  in  Bezug  auf  die  Bildung  einer  Schützengilde  hinter  den 
anderen,  meist  viel  weniger  bedeutenden  märkischen  Städten  nicht  zurück- 
geblieben sein  wird.  Man  dürfte  deshalb  mit  der  Annahme  der  Ent- 
stehung unter  der  Regierung  des  Kurfürsten  Friedrich  I.,  also  in  der 
Zeit  von  1417 — 1440,  nicht  fehlgehen.  Der  etwaige  Einwand,  dass  dann 
die  Berliner  Schützengilde  in  der  Hussitenzeit  oder  in  den  Zeiten  der 
Streitigkeiten  zwischen  Berlin -Cölln  und  Kurfürst  Friedrich  TT.  eine 
wichtige  Rolle  hätte  spielen  müssen,  ist  gegenüber  den  obigen  Aus- 
führungen hinfällig,  nach  denen  die  Gilden  als  geschlossene  Körper- 
schaften niemals  gekämpft  haben.  Dagegen  liegt  ein  wichtiger  Halt  für 
die  Annahme  in  der  Motivierung  Joachims  II.  bei  Erteilung  des  Schützen- 
gilde-Privilegiums:  Dass  „unsere  Vorfahren  allezeit  was  auf  die 
Schützengilde  gehalten  und  sie  mit  allen  Gnaden  gefördert  haben". 
Auch  kommt  darin  der  Ausdruck  „altes  Herkommen"  wiederholt  vor. 

Endlich  aber  muss  jeder  Zweifel  über  die  Frage  der  Existenz  der 
Gilde  während  des  15.  Jahrhunderts  fallen  angesichts  der  Thatsache, 
dass  das  in  alten  Konsistorial- Akten  aufgefundene  Visitatious-Protokoll 
der  Petrikirche  vom  Jahre  1540  (bei  Umwandlung  in  den  reformierten 
Kirchendienst)  eine  Notiz  enthält,  nach  welcher  die  Schützengilde 
Kapitalien  ausstehen  hatte,  aus  deren  Zinsen  die  Priester  für  den  Dienst 
am  Schützen  -  Altar  Besoldung  erhalten.  Dieser  Zustand  hatte,  wie 
konstatiert  wurde,  schon  lange  Zeit  bestanden  und  eine  weitere  lange 
Zeit  des  Bestehens  der  Gilde  ist  zur  Ansammlung  solcher  Kapitalien 
vorauszusetzen.  Der  bez.  Auszug  aus  dem  Visitationsprotokoll  lautet 
wörtlich : 

„Dem  Altar  der  Schützen  in  der  Petrikirche  zu  Cöln.  Colla- 
„tores  sind  der  Rath  und  die  Schützengilde  daselbst,  und  hat 
„die  Gilde  einige  Hauptsuinnieu  ausstehen,  von  deren  Zinsen  sie 
„hie  bevor  den  Priestern,  welche  die  Messen  am  Altar  gehalten, 
„ihre  jährliche  Besoldung  gegeben  haben. 

„Es  haben  die  Schützenbrüder  ausserdem  alljährlich  zur  Be- 
soldung Priestern,  Schulmeistern,  Küstern  und  Pulsanten  eine 
„Summe  Geldes,  und  in  die  Kirche  etliche  Pfund  Wachs  gegeben". 

Nach  dem  weiteren  Inhalt  des  Protokolls  war  1540  die  Priester- 
steile unbesetzt;  die  Visitatoren  verordneten,  dass  die  Schützengilde  für 
die  Zukunft  jährlich  9  Schock  Groschen  an  die  Petrikirche  zur  Besoldung 
der  Kirchenbeamten  zahlen  und  von  den  Zinsen  der  ausstehenden  Kapi- 
talien nach  wie  vor  gewisse  Spenden  jährlich  ausrichten  sollte,  nämlich: 
3  Schock  Groschen  an  Schüler  und  Arme,  Unterhaltung  von  Kelch  und 
Patene,  Ornat  für  den  Priester. 


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Rudolph  Buchholt: 


Folgen  wir  nun  den  einzelnen  aufgefundenen  Notizen,  die  die 
Srhützengilde  berühren,  in  chronologischer  Reihe: 

Im  Archiv  der  Stadt  Brandenburg  befindet  sich  ein  Einladungs- 
schreiben des  Rats  von  Berlin  zu  einem  Ochsen  schiessen,  vom 
fi.  Juli  1521  : 

„Unsern  freund  willigen  Dienst  zuvor.  Ehrbare,  Ehrsame  und 
weise,  besonders  liebe  und  gute  Freunde,  nachdem  wir  auf  Sonn- 
tag nach  Jacobi  durch  nachgeben  und  Zulassung  unsers  gnädigen 
Herrn  ein  gemeines  Schiesscti  um  einen  Ochsen  und  andere 
Kleinodia,  wie  angelegte  Copei  erweiset,  aufgerichtet,  ist  der- 
halben  unsere  freundwillige  Bitte,  wollet  solche  Copei  bei  Euren 
Ehrbaren  Weisheiten  anschlugen  lassen,  damit  sie  öffentlich  ge- 
lesen, ob  jemand  von  den  Euren  mit  zu  schiessen  geneigt  sich 
darnach  wisse  zu  richten". 
Leider  ist  von  der  das  ausführliche  Programm  enthaltenden  „Copei* 
nichts  mehr  vorhanden. 

Die  Nachrichten  beginnen  von  dieser  Zeit  an  sich  zu  mehren. 
1524  erklärt  der  Rat  von  Berlin,  dass  zur  Beförderung  des  Schützen- 
wesens und  des  fleissigen  Übens  jährlich   16  Hosentücher,  oder  statt 
derselben  für  jedes  32  Groschen,  ausserdem  zu  den  Kosten  des  Vogel- 
schiessens 10  Gulden  aus  der  Kämmereikasse  gegeben  werden  sollen. 

Aus  dem  Jahre  1527,  wird  berichtet,  dass  sich  30  Schützen  am 
Vogelschiessen  beteiligten. 

Stärker  war  die  Beteiligung  im  Jahre  1530.  Die  Zahl  der  Schützen 
wird  auf  132  angegeben,  darunter  die  vornehmsten  Geschlechter;  auch 
2  Bürgermeister,  Joachim  Reiche  und  Fröbich,  werden  als  Mitglieder 
der  Gilde  genannt. 

An  dem  Vogelschiessen  von  1532  beteiligen  sich  die  4  Bürger- 
meister und  44  andere  Schützen;  auch  der  Kurfürst  Joachim  I.  mit 
seinen  beiden  Söhnen  Joachim  und  Hans  beehrt  das  Schützenfest. 

So  setzen  sich  die  Nachrichten  über  die  Vogelschiessen  dann  fast 
alljährlich  fort,  ohne  neue  Einzelheiten  zu  bieten. 

Uber  die  früheren  inneren  und  äusseren  Verhältnisse  der  hiesigen 
Schützengilde  giebt  zuerst  die  Ordnung  der  Gilde  zu  Kölln  a.  Spree 
vom  Jahre  1543  ausführliche  und  zugleich  für  die  Beurteilung  der  da- 
maligen Kulturverhältnisse  interessante  Auskunft,  weshalb  ihre  voll- 
ständige Wiedergabe  nach  einer  alten  in  den  Städtischen  Akten  befindlichen 
Abschrift  hier  am  Platze  erscheint: 

Älteste  bekannte  Satzungen  der  Köllnischen  Schützengilde 
mit  Bestätigung  des  Rats  von  1543. 

„1.   Nachdem  die  Schützen  Gülde  in  allewege  auch  bei  andern  Vor 
die  Voruehmbsten  und  des  Raths  Gülde  geacht  und  herbracht, 


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Chronik  der  Berliner  Schütiengilde. 


13 


wollen  wir  dass  es  noch  die  Vornehmste  und  des  Raths  Gülden 
bleiben,  darumb  auch  alle  Raths  Persohnen  die  seynd  im  Regi- 
ment oder  nicht,  zu  iederzeit  in  dieser  Guide  soyn  und  bleiben 
sollen,  da  aber  einer  oder  mehr  des  Raths  die  nicht  mithalten 
wolt,  dieselben  sollen  Jährlich  so  offt  die  Gülde  gehalten  ein 
jeder  ein  Gulden  in  die  Brüderschaft  Lade  zur  Straffe  geben. 

2.  Ein  ieder  der  zu  Cölln  ein  Bürger,  Bürgers  Sohn,  und  Unsers 
gnädigsten  IIErrn  geschworn  Hoffgesinde  sey,  soll  nach  Ent- 
richtung des  Einkauffgeldes  neinlich  Sechs  Groschen  zween  Pfen- 
ning mächtig  seyn,  Bruder  zu  werden,  doch  dass  ein  ieder  zu 
erst  angelobe  und  zusage  sich  bruderlich  und  gleich  andern 
dieser  unser  Ordnung  zu  unterwerffeil,  und  gemäss  zu  halten, 
in  allewegs  der  Brüderschafft  Nutz,  und  Bestes  zu  wissen, 
Schaden  und  Nachtheil  zu  Verhüten.  Es  mögen  auch  die  Ber- 
linischen Bürger  oder  ihre  Söhne  diese  unsere  Brüderschafft 
gewinnen,  sofern  Sie  sich  dieser  Unser  Ordnung  und  Statut  zu- 
geloben unterwerffen  wollen. 

3.  Soll  auch  ein  Jeder  der  Bruder  wird  in  und  ausser  der  Gülden 
eines  zimlichen  ehrlichen  Christlichen  und  züchtigen  Wandels 
und  Lebens  seyn,  sich  auch  in  allewege  gegen  seinen  Mitbrüdern, 
aufrichtig,  getreulich  ohne  falsch  und  Betrug  Verhalten,  auch  der 
Gotteslästerung,  tluchens,  haderns,  leichtfertiger  unzüchtiger 
Wort,  undt  aller  andern  Unthaten,  müssig  gehen  und  enthalten, 
oder  da  einer  oder  mehr  freventlich  hierwieder  handelten  und 
Brechen  sollen,  nach  erkändtnüss  des  Königs,  älter  Leut  und  der 
Brüderschafft  ältesten  gestrafft  werden,  Es  möchte  auch  sich 
einer  oder  mehr  so  muthwilliglich  oder  eines  solchen  Beginnens 
unterstehen,  dass  wir,  der  Rath  uns  die  Straff  gegen  ihm  Vor- 
behalten, da  es  aber  Vom  Iloffgesind  geschehe,  wird  sich  Unser 
gnädigster  Herr  gegen  denselben  nach  der  Gebühr  zu  Verhalten 
wissen. 

4.  Ob  einer  oder  mein-  Brüder  oder  Schwester  in  die  Gülde  Kommen 
würden  Von  denen  man  hernachmals  öffentliche  unchrist- 
liche Laster  erführe  die  auff  genugsahme  Warnung  nicht  abstehen 
und  sich  bessern,  sondern  in  ihren  allten  unchristlichen  oder 
unehrlichen  Wandel  Verharren  wollen,  der  oder  dieselben  sollen 
ohne  alle  Gnade  aus  der  Brüderschafft  verworffen  werden. 

5.  Haben  wir  und  die  Brüder  vor  gut  und  gelegen  angesehen  dass 
hinfürter  unser  Gülde  in  den  heiligen  Pfingst  Feyertagen  gehalten 
und  in  allewege  am  Pfingst  Sonntage  gegen  Abend  nach  der 
Mittags  Predigt  angefangen  und  folgende  Tage  hindurch  Vollen- 
bracht  werden  solle,  so  ferne  es  der  Herrschafft  auff  dieselbe 


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Rudolph  Buchholi: 


dieselbe  Zeit  gelegen  oder  sonsten  nach  der  Zeitgelegenheit  nicht 
Verändert,  was  aber  dazu  gehörig  gebräuchlich  und  nothdürfftig, 
das  soll  durch  Zween  Guide  Meister  so  dazu  gekohren  wie  Vor 
Alters  allenthalben  bestelt  und  ausgerichtet  werden. 

6.  Sollen  auch  dieselben  Guide  Meister  durch  das  gantze  Jahr  darin  Sie 
geweidet  alle  der  Brüderschaft  Nothdurften,  als  ihre  Einnahmen 
und  Ausgaben  Begräbnüssen  Zubehörungen  zum  Schützen  Baum, 
und  andern,  die  Laden,  Brieff  Register,  Geld  und  was  sonst 
mehr  den  Brüdern  zuständig,  getreulich  und  mit  Fleiss  bestellen, 
ausrichten  und  Verwahren  und  nach  Ausgang  ihres  Jahres  be- 
ständiglich  berechnen  und  Verantworten. 

7.  Sollen  dieselben  nach  Ausgaug  ihres  Jahres,  wann  die  Gülde 
uberiiiahl  gehallten,  wiederum  andere  Zwei  an  ihre  Stat  nach 
alten  Gebrauch  zu  Wehlen  haben,  welche  auch  Von  ihnen  ge- 
wehlet,  sollen  solch  Ambt  ohne  alle  wiederrede  annehmen,  doch 
soll  es  mit  dieser  Wahl  allso  zugehen,  dass  allewege  einer  ein 
Brauer,  Erbe  oder  sonsten  nach  Vermögen  Gelegenheit  hatt,  zu 
einem  Budemann,  und  einer  der  nicht  Gelegenheit  hatt,  gekohren 
und  Verordnet  werden  soll,  damit  bey  einem  die  Gülde  gehalten, 
und  durch  den  andern  andere  Nothdurften  bestellt  werden 
mögen. 

8.  Ob  sichs  zutrüge  dass  zu  einem  oder  mehrmahlen  im  Schiessen 
oder  sonsten  was  Vorfiele,  das  der  Brüderschaft  Nutz,  Frommen 
oder  Nothdurfft  wäre,  und  solches  alles  anderer  Geschäft  halben 
den  Gülden  Meistern  zu  Viel,  oder  Zubestellen  ohnmüglich,  darum 
dann  einer  oder  mehr  Brüder  Vom  König  oder  Gülden  Meistern, 
so  dazu  dienstlich  um  Hülffe  angesprochen  würden,  der  oder 
dieselben  sollen  sich  des  nicht  weigern,  bey  der  Busse  so  oft 
es  geschehe,  einen  Groschen  in  die  Lade,  oder  da  der  Uugehor- 
sahm  so  gross,  dass  ein  Groschen  zu  wenig,  soll  er  oder  die 
nach  Erkändtnüss  der  Schützen  Brüder  bestraft  werden,  wie 
dann  auch  sonst  alle  Brüder  dem  König  und  aelter  Leuten  zim- 
lichen  Gehorsahm  zu  leisten  schuldig  seyn  sollen  bey  Vermeydung 
der  Straffe. 

9.  Soll  Jährlich  im  Ausgang  der  Gülden,  wann  der  Vogel  abge- 
schossen, ein  Brüderliche  Verhör  dazu  all  und  jede  der  Brüder 
Mängel  und  Irrung  Vor  dem  König  Gülde  Meister  und  Aeltesten 
Vortragen,  gebüst  und  beygeleget,  ordentlich  gehallten  werden, 
damit  die  Friedliebenden  und  Gehorsahmen  gehandhabet,  und 
die  Uugehorsalnneu  und  wiederspenstigen  nach  derselben  Er- 
kendtniss  Vermöge  der  Brüderschaft  Wilkühr  gestraft  und  im 
Zwang  gehalten.    Was  auch  sonst  mehr  der  Brüder  Nothdurften 


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Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 


15 


Vorfallen  möchten,  alss  Rechnungen  und  anders,  soll  allwege 
auff  dieselbe  Zeit  geschehen,  und  Von  ieden,  was  er  alsdann 
schuldig,  ohne  Verzug  bezahlt  werden. 

10.  So  offt  dem  Könige  oder  Gülde  Meistern  was  nötiges,  darum 
die  Brüder  zu  Entbieten  wären,  Vorfiele,  soll  nach  Gelegenheit 
solch  Verbot  oder  Zusainmenforderung  durch  die  Brüderschafft- 
diener  bestellet  werden,  da  alsdann  ein  jeder  Bruder  bey  Ver- 
meydung  der  Buss  Vier  Pfennige  in  die  Laden  auff  die  Zeit  und 
malstadt,  die  man  anzeigen  lässt,  erscheinen  soll,  wo  aber  die 
Sache  so  hefftig  oder  nötig  dass  das  Verbott  bey  der  hohen 
Boss  geschehe,  soll  der  Ungehorsahme  zu  iedem  mald  zween 
Groschen  Verfallen  und  zu  geben  schuldig  seyn. 

11.  So  einem  Bruder  sein  Weib  oder  Kind  nach  den  Willen  Gottes 
mit  Tode  abgehet,  sollen  die  andern  alle  als  des  Verstorbenen 
Freunde  zum  Begräbnüss  Verbott  werden,  bey  der  Buss  Vier 
Pfenninge,  Alsdann  ein  jeder  Bruder  und  Schwester  und  zum 
wenigsten  Von  jeden  paar  Ehevolks  eins  erscheinen  und  mit  zu 
Grabe  gehen  soll  es  hätten  dann  bey  de  Theile  beweissliche 
ehrhaffte  entschuldigung,  sonst  mögen  Sie  der  Straffe  nicht  ent- 
gehen, welche  Straff  von  die  Gülde  Meistern  allemahl  in  den 
Gottes  Kasten  soll  geleget  werden. 

12.  Da  auch  ein  Bruder  sein  Weib  oder  Kind  verstürbe,  und  durch 
die  Ihren  die  Leichenträger  nicht  bestellt  werden  könnten,  sollen 
die  zieler  Leut  darzu  gedüngt  und  aus  der  gemeinen  Laden  Ver- 
lohnet werden. 

13.  Haben  die  Brüder  gewilliget  und  beschlossen  so  offt  die  Gülde 
gehalten  würde,  ihren  Seelsorger  und  Prediger  mit  sambt  den 
andern  Kirchen  Dienern  zu  speisen  und  zu  tränken  ohne  alle 
Vergeltung. 

14.  Es  sollen  und  wollen  auch  Jälirlich  am  heylichen  Pfingsttage 
alle  Brüder  und  Schwestern  nach  der  Predigt  unter  der  Messen 
in  Sanct  Peters  Kirchen  zum  Gottes  Kasten  gehen,  dem  König 
und  aelter  Leuten  nachzufolgen,  nicht  üm  eines  Verdienste 
willen,  sondern  aus  christlicher  Liebe,  um  des  Löblichen  Ge- 
brauchs und  Gehorsahmbs  willen  den  Armen  damit  nach  eines 
ieden  Vermögen  zu  helffen  bey  der  Busse  eines  Groschens,  welch 
Straffgeld  das  also  gefället,  bald  hernach  unter  den  Armen  soll 
Vertheilet  werden,  zu  dem  haben  auch  die  Brüder  einträchtiglieh 
ge williget,  Jährlich  wann  die  Gülde  gehalten  Vor  ein  Orth 
Brodt's  und  eine  Tonne  Biers  in  unser  Hospital  zu  Sanct  Ger- 
trauten Vor  die  Armen  zu  geben. 


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16 


Rudolph  Bachholz: 


I").  Es  sollen  auch  sonst  alle  Bussen,  Straffen  und  andere  Ein- 
kommen der  Laden  fleissig  Verwahret  und  Berechnet  werden, 
und  alle  Jahr  wann  die  Zech  in  der  Gülden  abgenommen,  ein 
ieder  Bruder  Ein  Groschen  einlegen,  damit  wieder  ein  Vorrath 
in  die  Laden  kommen  möchte,  Von  dem  den  armen  Brüdern, 
welche  bei  uns  Verarmten,  Vom  Schiesszeug  Schaden  empfingen, 
Alters  oder  andere  Gebrechlichen  halber  nicht  mehr  erwerben 
oder  sich  ferner  ernehren  Könnte,  damit  zu  helffen,  wie  wir 
dann  auch  ohne  das  unsere  arme  Brüder  und  Schwester  die 
niclrt  muth williglich  Verarmt  seynd,  nothdürfftiglich  zu  unter- 
halten schuldig  seyn  wollen  und  sollen. 

16.  Es  soll  auch  allemahl  wann  die  Gülde  gehalten  wird,  die  nicht 
uum  Essens  oder  Trinkens  willen,  sondern  auch  ümb  der  nötigen 
Übung  des  Schiessens  hergebracht,  und  angericht,  aus  dem  Arm- 
brost  ein  gewöhnlich  Schiessen  zum  Vogel  gehalten  werden, 
dazu  ein  ieder  Bruder  mit  seinem  Schiesszeuge  also  gerüst  seyn 
solle,  ohn  alle  Gefährlichkeit  und  Vorsichtiglich  mit  zuschiessen. 
Doch  sollen,  ausgenommen  unser  Herrschafft  und  derselben 
Räthe,  die  Brüder  so  nicht  Bürger  oder  Bürgers  Söhne  zu  Cölln 
und  in  unser  Ringmauer  gesessen,  sich  aus  bedenklichen  Uhr- 
sachen, des  Schiessens  zum  König  Vogel  wie  Vor  Alters  ge- 
schehen enthalten,  dann  Keiner  sonst  Zugelassen  würde,  es  ge- 
lobeten  dann  die  Brüder,  so  dazu  Lust  hätten  an,  dass  Sie 
dasselbige  Jahr  ihr  Bürger  Recht  gewinnen  und  Sich  bey  uns 
setzen  wollen. 

17.  Haben  auch  die  Brüder  Vor  gut  angesehen  und  gewilliget  dass 
hinfürter  nicht  Vergeblich  zum  Kopff,  Schwante  und  Flügeln 
geschossen,  sondern  so  offt  man  zum  Königs  Vogel  zu  schiessen 
willens,  soll  ein  ieder  Schütz  zu  demselben  Vier  Groschen  einlegen. 

18.  Ess  soll  auch  hinfürter  kein  Schütz  Vom  Königs  Vogel  zwey 
Gewinne  mit  einem  Schosse  gewinnen  mögen,  ob  er  die  wohl 
zugleich  in  einem  Schosse  abschösse,  sondern  eins,  welches  ihm 
gefällig,  soll  er  gewunuen  haben,  das  andere  den  Schützen  bleiben, 
es  schösse  dann  einer  zwo  oder  mehr  Gewinne  mit  sambt 
dem  Rumpff  ab,  doch  so  einer  den  gantzen  Vogel  abschösse,  und 
noch  alle  Kleinod  dabey  wären,  soll  der  alleine  das  beste  ge- 
wonnen haben  und  König  seyn,  die  andern  Kleinoter  aber  den 
Brüdern  bleiben,  Auch  soll  hinfürter  aus  bedenklichen  Uhrsachen 
und  um  mehrer  Kurtzweil  willen,  der  das  grösste  Stück  Von 
den  Seiten  Kleinotern  abscheusst,  und  nicht  der  erste,  das 
Kleinod  gewonnen  haben,  doch  mögen  zwey  drey  und  mehr 
Stücken,  so  in  einem  Schoss  Vom  gemeinen  Kleinod  abgeschossen, 
Vor  ein  Stück  gerechnet  werden. 


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Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 


17 


19.  So  wollen  wir,  der  Rath,  zu  Erhaltung  des  Ritter  Spiels  Jähr- 
lich dem,  so  König  wird,  ein  gülden  Riuglein  Vom  Gold  Gülden 
Rheinisch  imd  zwey  Schock  an  Gelde  zuvor  geben,  damit  er  den 
Unkosten  so  aufl'  in  gelegt,  desto  leidlicher  tragen,  und  üm  des 
willen  Keiner  das  Schiessen  zu  meyden  Uhrsach  haben  möge, 
Desgleichen  haben  wir  auch  den  Brüdern  Jährlich  einen  Winspel 
Rogken  Vom  Rathhause  Verordnet,  dem  Wirthe,  dabey  die  Guide 
gehalten,  zu  geben,  davor  er  die  Officianten,  alss  der  Brüderschaft 
gemeinen  Diener  item  Pfeifler  und  Trommel  Schläger,  des  Raths 
Diener  so  aufwarten,  auch  Trinkgeschirr,  Licht,  der  Köchin  Lohn 
und  dergleichen  aus  der  Brüderschaft  Rechnung  zulassen  schuldig 
seyn  solle,  da  aber  ein  oder  mehr  Jahre  die  Gülde  nicht  gehalten, 
soll  derselbe  Rogken  und  die  zwey  Schock  so  offt  es  geschieht 
den  Brüdern  in  ihre  Lade  gefallen,  und  gegeben  werden,  den 
Verarmten  Brüdern  zu  Gute. 

20.  Soll  ein  ieder  der  König  wird  nach  dem  abschiessen  des  Vogels 
über  die  neehste  Mahlzeit  den  Brüdern  und  Schwestern  auff 
jeden  Tisch,  so  Viel  der  seyn  werden,  ein  halb  Stübichen  Wein 
seines  Gefallens  zugeben  schuldig  seyn,  darnach  nach  Gelegen- 
heit die  Brüder  und  Schwester,  wie  Vor  Alters  in  die  Milch  und 
zu  bade  führen,  da  mans  ihm  nicht  erlassen  will. 

21.  Es  soll  auch  der  so  König  wird,  in  allewege  ehe  man  Von  dem 
Schützen  Baum  herein  gehet,  den  silbern  Vogel  wie  gewöhnlich 
Verbürgen,  denselben  fleissig  zu  Vorwahren,  damit  er  nicht  Ver- 
geringert,  oder  Von  abhanden  bracht,  bei  einer  ansehnlichen 
Summa  Geldes,  die  man  Ihme  Nahmkündig  machen  soll. 

22.  So  soll  der  König  denselben  Silberneu  Vogel  nicht  allein  aufl' 
allen  ehrlichen  Schiessen  zu  Cölln  und  Berlin  den  Brüdern  zu 
Ehren  unter  die  Vogel  Stangen,  sondern  so  offt  er  in  die  Gülden 
gehet,  auch  auff  die  drey  Feste  Weyhnachten,  Ostern,  und  Pfingsten, 
am  Halss  tragen,  also  dass  er  auff  berührte  Feste  unter  der 
Predigt  oder  dem  Amte  in  St.  Peters  Kirche  gesehen  werde,  bey 
der  unnachlässigen  Strafte  Vier  Groschen  so  offt  es  übertraten. 

23.  Weil  sich  des  Königs  Gewinn  gebessert,  so  bessert  sich  der 
silbern  Vogel  auch  nicht  unbillig,  darum  soll  ein  ieder  der 
König  wird,  so  offt  es  geschieht,  dem  mit  einem  halben  Loth 
Silbers  zu  verbessern  schuldig  seyn,  davor  soll  Ihme,  wann  man 
wiederum  zum  König  Vogel  zu  schiessen  anfahren  will,  zum  ersten 
ein  freyer  Schoss  gegont  und  zugelassen  werden. 

24.  Ob  sichs  zutrüge  dass  ein  Bruder  den  Königs  Vogel,  drey  Königs- 
schiessen nacheinander  abschösse,  der  soll  den  silbern  Vogel 
Voreigen  gewonnen  haben,  neben  den  andern  Gewinnen,  doch 

2 

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18 


Rudolph  Buchholz  : 


sollen  die  Brüder  Macht  haben,  dem  von  Eime  wiederum  zu 
lösen  mit  einer  halben  Mark  Silbers  oder  mit  Sechs  Gulden 
an  Münte. 

2ö.  Wann  und  so  offt  auch  hinfürter  zu  Cölln  zum  Vogel  ge- 
schossen wirdt,  soll  niemands  ohne  der  Brüderschaft^  Erlaub- 
nüss  und  Willen  einig  Spiel  oder  andere  Kurtzweil  üms  Geld 
anzurichten  Macht  haben,  ausser  was  gemeine  Brüderschafft 
Verordnet  und  schaffet,  wie  dann  auch  die  Kannen  Giesser  und 
andere  Krahmer  ihres  feilhabens  ohne  der  Brüderschaftt  willen, 
sonderlich  ohne  Erlegung  ihres  gebührlichen  Stette  Geldts,  darum 
sie  sich  zu  ieden  mahl  mit  ihnen  Vergleichen,  enthalten  sollen, 
mit  nichten  zu  thun  haben  sollen. 

20.  So  offt  man  auch  auff  der  Gülden  zum  Schiessen  oder  davon 
wiederum  her  eingehet,  soll  ein  ieder  der  Bruder  ist,  dem  König 
in  der  Ordnung  nachfolgen,  bey  der  Busse  eines  Groschen. 

27.  Es  soll  auch  ein  jeder  Schütz  im  hinaus-,  auch  wiederum  im 
hereingehen  sein  Schiesszeug  als  Armbrost,  Boitzen  und  anders 
nicht  Vorweg  schickeu,  sondern  auff  der  Gülden  bis  unter  die 
Stangen  und  von  dar  wiederum  hinein  Vor  die  Gülden,  so  offt 
man  aus  und  eingehet,  in  der  Ordnung  Vor  den  Brüdern  nach 
der  Trommel  und  Fähnlein  hertragen  lassen  bey  der  Buss  Ein 
Groschen  so  offt  solches  nicht  gehalten. 

28.  Und  wann  die  Guide  gehalten  wird,  soll  der  Guide  Meister,  so 
dasselbe  Jahr  darzu  Verordnet,  die  Brüder  die  Zeit  über  um 
ihr  Geld  speisen,  dagegen  Er  sich  gefast  machen,  ihnen  zimliche 
Ausrichtung  Zuthun,  und  soll  von  ieder  Persohn  nicht  mehr  alss 
zwölf  Pfennige  zu  nehmen  schuldig  seyn,  welche  ein  ieder  bald 
nach  geschehener  Mahlzeit  Vor  sich,  auch  die  Eheleute  Vor 
ihren  Ilauss  Frauen,  es  sey  theuer  oder  wollfeil,  erlegen  und 
bezahlen  sollen,  doch  soll  es  einem  ieden  freystehen,  ob  er  in 
der  Gülden  essen  wolle  oder  nicht,  welche  aber  zur  Stätte  essen 
wollen,  sollen  sich  allewege  Von  einer  Mahlzeit  zur  andern  an- 
sagen, darnach  sich  der  Wirth  zurichten,  es  sollen  auch  die- 
jenigen so  nicht  in  der  Gülden  essen  wollen,  zu  ieder  Mahlzeit 
aus  dem  gemeinen  Bier  ein  Halb  Stübicheu  Biers  in  ihr  Hauss 
holen  zulassen  mächtig  seyn,  auff  Ansuchen  bei  den  Schützen 
Meistern. 

29.  Da  auch  einer  oder  mehr  insonderheit  einen  Gast  in  die  Gülden 
laden  würde,  soll  ihnen  frey  seyn,  doch  dass  der  Bitter  die 
Mahlzeit  und  den  Wein  ob  der  getrunken  würde  Vor  ihre  Gäste 
bezahlen,  aber  das  Bier  bleibt  zur  gemeinen  Bezahlung,  würden 
aber  die  Brüder,  wie  eine  Löbliche  Gewohuheit  ist,  ihre  Nacht- 


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Chronik  «1er  Berliner  Schützengikle. 


1<) 


bahren,  die  Berlinische  Schützen  oder  sonst  andere  Gäste  inge- 
mein Laden,  soll  auch  die  Bezahlung  mit  alle  über  die  Brüder 
ingemein  gehen. 

30.  So  sollen  sich  alle  Brüder,  weil  das  Gilde-Bier  getrunken  wird, 
vor  allen  Dingen  im  Zechen  massig  Christlich  und  ehrlich  Ver- 
halten, die  Uebermaasse  des  Zutriukens  und  der  Trunkenheit 
Vermeiden,  Vielweniger  iemand  zum  trinken  zwingen,  wie  dann 
Keiner  Bescheid  zuthun  gezwungen  werden  solle  und  alle  Abend 
zu  rechter  zeit  mit  Friede  abscheiden,  dann  allemahl  zu  Neun 
Uhr  zu  Abendt  der  Keller  geschlossen  und  kein  Bier  daraus 
Vorreicht  werden  soll. 

31.  Ob  einer  oder  mehr  Gilden  Brüder  Uhrsachen  Vorfielen,  dass 
Sie  in  das  Guide  Bier  zu  gehen  Verhindert  und  kein  Bier  in 
ihre  Häuser  holen  Hessen  und  darnach  iu  der  Brüderschaft 
bleiben  wollen,  die  sollen,  so  manches  Jahr  es  geschieht,  drey 
Groschen  in  die  Laden  legen,  welche  aber  muthwilliglich  und 
uuheweisliche  Uhrsachen  zu  llauss  bleiben,  sollen  die  halbe  Zech 
erlegen. 

32.  Und  ob  es  sich  zutrage  dass  einer  oder  mehr  Brüder  Alters 
halber  oder  sonst  nach  Schickung  des  Allmächtigen  so  Unver- 
mögens würden,  dass  der  oder  die  die  Gülden  mitzuhalten  nicht 
Vermöchten,  und  dennoch  gerne  bis  an  ihr  Ende  darum  Ver- 
harren wollten,  die  soll  man  uicht  allein  mit  allem  Willen  alss 
Brüder  und  Schwestern  behalten,  sondern  järlichs,  so  offt  und 
lange  man  das  Gülden  Bier  trinkt,  soll  einem  ieden  auf  sein 
Ansucheu  ohne  alle  Bezahlung  ein  halb  Stübbicheu  Biers  in  ihr 
gewahrsam  geschickt  werden,  wie  dann  die  Verarmten  oder  Un- 
vermögen Brüder  und  Schwestern  über  das  auch  Vor  allen 
andern  in  unser  Hospital  genommen,  Versorget,  bis  an  ihr 
ende  Vollends  erhalten  und  ernähret  werden  sollen,  da  aber 
jemandts  Unvermögenheit  oder  sonsten  ansehnlicher  und  bestän- 
diger Uhrsach  halber  nicht  länger  in  der  Brüderschaft*  Verharren 
wollte,  der  mag  wohl  mit  Ehren  abdanken,  welcher  aber  der 
Uhrsach  keiue  hätten  und  allein  aus  Uebermuth  oder  Wieder- 
willen abdanken  wollten,  und  hätten  noch  kein  Jahr  das  Gülden 
Meister  Ambt  verwaltet,  denen  soll  kein  abdanken  zugelassen 
werden,  Sie  werden  dann  ein  Jahr  Gülde  Meister  gewest  oder 
erlegen  zu  Vorn  drey  Gulden  zum  Auskauf  in  der  Laden. 

3b\  Es  will  auch  um  dieser  löblichen  Brüderschafft  willen  Ein  Ehr- 
bahr Rath  alle  diejenigen  von  ihren  Einwohnern,  so  sich  in 
dieser  Brüderschaft*  begeben,  vor  allen  andern  ihren  Bürgern 
in  allen  billigen  und  ehrlichen  Sachen  und  Händeln,  fordern, 

2* 


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20 


Rudolph  Buchhol«: 


Vorziehen,  schützen  und  handhaben,  wie  Sie  dann  auch  billig 
nach  alter  Gewohnheit  in  allewege  den  Vorgang  haben  und  be- 
halten sollen. 

34.  Sollen  die  Güldo  Meister  mit  allen  Fleiss,  solche  dieser  Ordnung 
Uebertreter  bei  vorgeschriebener  Pein  straffen,  der  aber  darvon 
unterlässt,  sollen  Sie,  die  Gülden  Meister,  die  Pein  selber  ent- 
richten, do  aber  einer  oder  mehr  sich  verwirckter  Straffe  weigern 
und  dawieder  setzen  würde,  dass  die  Gülde  Meister  solches  in 
der  Güthe  von  Ihn  nicht  bringen  oder  erlangen  könnte,  sollen 
dieselben  von  wegen  ihres  inuth willigen  Ungehorsahms  von  uns, 
der  Brüderschafft,  gestrafft  werden. 

35.  Und  zum  letzten  soll  alle  Jahr,  wan  man  die  Gülde  zu  halten 
anfahrt,  den  Brüdern  diese  unser  wilkührliche  Bewilligung  und 
Ordnung  Vorgelessen  und  publiciret  werden,  dann  sich  niemand 
mit  des  Innhalts  Unwissenheit  zu  entschuldigen  oder  zu  behelfen. 

Darüber  behalten  uns  wir,  Bürger  Meister  Rath  Manne  und  gantze 
Brüderschafft  für,  ob  uns  was  nötigs  das  Christlich  gut,  und  der  Gülden 
löblich  wäre  Vorfiele,  solches  in  allewege  anzunehmen,  zu  halten,  und 
diese  unser  Brüderschafft  zu  bessern.  Darnach  sich  ein  ieder  wisse  zu 
achten.  Geschehen  zu  Cölln  au  der  Spree  am  Tage  Bartholome!  nach  Christi 
uusers  Heylandes  Geburth  Fünfzehn  Hundert  Viertzigk  und  drey  Jahr.tt 
Diese  vom  Rat  zu  Cölln  1643  gegebene  Ordnung  erhielt  die 
kurfürstliche  Bestätigung  am  Pfingstabend  1551, 

„wann  wir  dann  gut  wissen  tragen,  dass  diese  Gülde  bei  Unsern 
Vorfahren,  auch  sonsten  den  Alten  und  Uns  in  allewege  in 
Hoher  Acht,  vordienstlich  Nutz  und  vorträglieh  gehalten,  darum 
wir  auch  dieselbe  wiederum  aufzurichten  gnädigst  befördert, 
Als  haben  wir  p.  p.  bestätigt  und  wollen,  dass  hinfort  dieselbe 
Guide  nicht  allein  in  aller  Ehrbarkeit  als  die  Vornehmste,  sonder 
diese  ihre  Ordnung  auch  in  allen  Artikeln,  Clausein  und 
Statuten  p.  p.  gehalten  werde." 
Ein  ferneres  besonderes  Privilegium  erteilt  der  Kurfürst  im 
Jahre  1658  derselben  Gilde  in  folgender  Form: 

„Wir  Joachim  (von  Gottes  Gnaden  des  Nahmens  der  ander 
Marggraff  zu  Brandenburgk  des  Heyligen  Römischen  Reichs  Ertz 
Cämmerer  und  Chur  Fürst  zu  Stettin,  Pommern,  der  Cassuben, 
Wenden  und  in  Schlesien,  zu  Crossen  Hertzog,  Burggraff  zu  Nürn- 
bergk  und  Fürst  zu  Rügen  p.  p.)  Bekennen  und  thun  Kundt  öffentlich 
für  Uns  alle  unsere  Erben,  nachkommende  Marggraffen  zu  Branden- 
burgk und  sonsten  gegen  iedermänniglichen,  Nachdem  das  Schiessen 
zum  Vogel,  ein  alt  Herkommen  löbliche  Gewohnheit  und  ehrliche 
Rittermässige  Uebung  ist,  welche  nicht  allein  Von  den  fürnehmbsten 
Ehrbarn  Geschlechtern  und  Mitbürgern  in  Städten,  in  Teutschen 


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Chronik  der  Berliner  Schützengiide. 


21 


Landen  iedes  Orts  rühmlich  gezieret,  gefordert  und  gebräuchlich 
gehalten  wirdt.    Desgleichen  auch  Von  Unsern  Vorfahren  Hoch- 
löblicher  Gedächtnüss,  nicht  minder  dann  Von  Uns  in  allwege  mit 
gnaden  gefördert  und  erhalten.    Demnach  wir  aus  sondern  gnädigen 
Bedencken  auch  die  Schützen  Guide  unserer  Stadt  an  der  Spree: 
daselbst  unsere  Eltern  und  wir  allewege  Unsere  Residentz  und  ge- 
wöhnliche Hofflager  gehalten  und  noch  haben,  in  weiter  Aufnehmen 
Gedey  und  Wollfahrt  zu  bringen  und  mit  sondern  Gnaden  zu  be- 
denken und  zu  befördern.    Und  weil  dann  Von  dem  Rath  unserer 
Stadt  Cölln,   auch  den  geordneten  Gülde  Meistern,   den  Guide 
Brüdern  daselbst  Von  Alters  und  bis  dahero  allewege  fürgestanden, 
und  willige  Forderung  gethan,  dass  die  Schützen  Gülde  alle  Jahr 
auff  eine  benandte  Zeit  ihnen  gelegen,  doch  fürnemlich  in  Pfingst 
Feyertagen  gehalten  werden,  so  soll  es  noch  hinführo  gehalten 
werden,  dieselbe  Gülde  auf  eine  bequeme  Zeit  zu  halten,  und  in 
Keinen  Abfall  kommen  zu  lassen,  es  fallen  dann  desselben  Jahres 
gefährliche  sterbliche  Zeit  und  Krieg  Geschaffte  ein,  alssdann  soll 
die  Gülde  desselben  Jahrs,  doch  mit  Unsern  Vorwissen  aufgeschoben, 
und  biss  zur  andern  bequemen  Zeit  angestellet  werden.  Und  damit  die 
Guide  Brüder  zu  der  obgemeldten  Löblichen  Schützen  Gülde  desto 
mehr  Lust  gewinnen,  des  folgenden  Vortheils  halben  welchen  wir  Ihnen 
aus  sondern  Gnaden  hiemit  beständiglich  und  ewiglich  ordnen  und  Ver- 
eignen, Jährlich  den  Königs  Vogel  zu  richten  und  zuschiessen,  Con- 
firmiren  und  bestätigen  Wir  demnach  ihnen  Vor  Uns,  Unser  Erben  und 
Nachkommen  hiemit  Kräfftiglich :  Welchem  Gülde  Bruder  Gott  der 
Allmächtige  das  Glück  Vorleihet  dass  er  unter  der  Gesellschaft 
den  Vogel  abschösse  und  König  wird,  derselbe  soll  damit  bekommen 
und  gewinnen  alle  alte  Gerechtigkeit  die  hievor  zum  Vogel  ab- 
schiessen  in  den  Articuln  im  Schützen  Buch  ausdrücklich  benandt 
seyn,  und  dazu  ietzt  anffs  neue  in  dem  Jahre  weil  er  König  bleibt, 
aller  und  ieder  Steuern,  Schösse  und  Unpflichte  umbeschwert  bleiben, 
auch  der  alten  unser,  des  Raths  und  sonst  der  neuen  Bierziese  so 
weit  gefreyet  seyn,  alss  er   zu  seiner   eigen  Hausshaltung  Vor 
sich,  sein  Weib,  Kinder  und  Gesinde  Vertreiben  und  bedürften  wird, 
wie  unser  Schreiben  an  die  Räthe  beyder  Städte  Cölln  und  Berlin 
davon  auch  meidung  thut.    Doch  wo  ein  Schütz  Bruder,  der  keine 
Braustätte  hätte,  den  König  Vogel  abschösse  derselbe  soll  die  Bier- 
ziese auff  Fünff  brauen  Bier,  inmaassen  der  Berlinische  Konig 
privilegiert  ist,  damit  hierinne  gleichheit  gehalten,  gefreyet  seyn, 
auch  die  Befreyung  der  Schösse  und  anders  wie  Vorgemeld  ge- 
messen.   Und  zu  diesem  Königs  Vogel  zuschiessen,  solle  hinführo 
niemand  mehr  zugelassen  werden  dann  alleine  die  eingesessenen 
Bürger  und  unser  geschworen  Hoffgesinde,  welche  das  Bürger 


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Rudolph  Buchholz: 


Rocht  gewonnen  und  eigen  Haasshaitang  za  Cölln  haben,  würden 
aber  auch  derselben  unverehelichte  Söhne  mitzusehiessen  zugelassen 
werden  und  einer  schösse  den  König  Vogel  ab,  derselbe  soll  Keine 
Befreyung  haben,  sondern  wo  er  sich  verbürgen  und  zusagen  würde, 
in  dem  Höchsten  Monath  das  Bürger  Recht  zu  gewinnen,  so  sollen 
ihm  die  Guide  Meister  den  silbernen  Vogel  an  den  llalss  hencken 
und  dann  mit  deine  was  Voralters  zum  Vogel  abschiessen  Verordnet 
ist,  begnügig  seyn;  wolte  sich  aber  der  junge  König  zeitlich  im 
selben  .Jahr  weil  er  König  bleibt  Verehelichen  und  seine  eigene 
Haussnahrung  anschlagen,  dadurch  kan  er  sich  den  andern  Guide 
Brüdern  mit  aller  Herrligkeit  und  Befreyung  gleich  machen,  der- 
selben aller  er  auch  billig  gemessen  und  haben  solle.  Mit  diesem 
wie  obstchet  und  allen  andern  Clausulen,  Puncten  und  Articuln  so 
die  Löbliche  Schütze  Guide  unser  Stadt  Cölln  in  ehrlich  gebrauch 
gehabt  und  noch  haben,  Privilegiren,  befreyen  und  begnaden  wir 
Sie  hiemit  gantz  Kräft'tiglieh  Vor  Uns  unsere  Erben  und  Nach- 
kommen, alles  in  Kraft't  und  Macht  dieses  unsers  Brieft'es.  Und 
wollen  dass  es  hinführo  und  zu  ewigen  Zeiten  in  der  Schützen 
Gülde  unser  Stadt  Cölln  an  der  Spree  für  und  für  ohne  unser, 
unser  Erben  und  männigliches  Verhinderung,  stets  fest  unverbrüch- 
lich allso  wie  vorstehet  gehalten  werden  solle.  Und  wo  die  Gülde 
Meister  und  gemeine  Brüder  gedachter  Schützen  Gülde  mit  Vor- 
wissen des  Raths  allliier  zu  Cölln  was  an  Statuten  oder  sonst,  so 
zu  Aufnahmen  oder  Beförderung  der  Schützen  Gülde,  und  guter 
Vernünfftiger  Ehrbahrer  Sitten  dienstlich  war«',  Verordnen  und  an- 
richten würden,  dieselben  alle  wollen  wir  ihnen  hiemit  auch 
gnädigst  confirmiret  und  bestätiget  haben,  auch  Sie  ioderzeit  neben 
unsern  Erben  und  Nachkommen  bey  der  Befreyung  der  Steuern, 
Schössen  Unpflichten  und  Ziesen,  wie  die  Nahmen  haben  mögen, 
auch  allen  andern  ihren  guten  Gewohnheiten  und  Gebräuchen  aus 
Fürstlicher  Obrigkeit  schützen  und  handthr.hcu  und  mit  nichts  da- 
wieder  beschweren,  noch  diesem  unserm  Privilegio  und  Confirma- 
tion  in  Keinerley  Weis«?  wie  es  inner  oder  ausser  Rechte  geschehen 
konnte  oder  möchte,  zu  entgegen  handeln  oder  was  fürnelunen 
lassen.  Wie  wir  dann  alle  und  iede  arge  List  hiemit  gänt/.licli 
thun  ausscheiden.  Alles  getreulich  sonder  Gefährde.  Ulukündlicli 
mit  unserm  hierunten  anhangenden  Seerot  besiegelt  und  gegeben 
zu  Cölln  an  der  Spree,  Montags  im  lleyligen  Pfingst  Feyeitnge 
nach  Christi  unsers  lieben  Herrn  und  Seeligmachers  Geburih 
Tausendt  Fünft'  Hundert  im  Acht  und  Füntftzigsten  Jahr. 

Joachim  Chur  Fürst. 
1572  bestätigt  Kurfürst  Johann  Georg  die  Satzungen  der  Cöllner 
Gilde  von  1543,  in   welche  die  Bestimmung  von  I5Ö8  als  besonderer 


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Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 


23 


Paragraph  zwischen  20  und  21  eingeschaltet  wird,  auch  sonst  verschiedene 
Änderungen,  namentlich  Erhöhung  der  Strafgelder  und  bei  §  20  ein  Zu- 
satz bezuglich  des  Bades  und  Abendbrots,  gemacht  sind:  Statt  der 
Führung  zu  Milch  und  zum  Bade  sind  lV'a  Thaler  in  die  Lade  zu  legen, 
auch  „hernach  zur  Abend  Collation  zu  bitten  und  auf  jeden  Tisch  ein 
Essen  Eier,  Gebratenes  nach  Vermögen  und  ein  Essen  Milch,  sofern 
man  es  ihm  nicht  erlassen  will,  zu  geben  pflichtig  sein;  doch  soll  ihm 
(dem  König)  aus  der  Gülden  V*  Bier  darzu  gegeben  werden." 

In  dieser  Forin  werden  später  die  Satzungen  auch  von  Kurfürst 
Johann  Sigismund  1614  und  von  Georg  Wilhelm  1620  bestätigt. 

Was  die  Alt  Berliner  Gilde  anlangt,  so  befindet  sich  in  den 
Akten  der  Schützengilde  ein  Pergament-Deckel  mit  der  Aufschrift: 

Ordnung  und  Artickel  der  Schützengilde 
der  Churfürstlichen  Stadt  Berlin 
vorneuert 
Anno 
1548. 

Der  Inhalt  des  Deckels,  also  die  Original-Urkunde  selbst,  ist  leider 
schon  seit  Jahrhunderten  verschwunden  und  der  Verlust  ist  auch  im 
Jahre  1837  besonders  vermerkt. 

Es  hat  nach  der  Legende  dieses  Deckels  also  nicht  nur  eine  Ber- 
liner Gilde-Ordnung  vom  Jahre  1548  gegeben,  sondern  es  muss  schon 
viel  früher  eine  solche  Ordnung  bestanden  haben,  denn  die  von  1548 
wird  auf  dem  Deckel  ausdrücklich  als  eine  erneuerte  bezeichnet. 

Vorhanden  ist  dagegen  im  Original  das  Kurfürstliche  Gilde-Privi- 
legium  von  1568  und  die  auf  Grund  desselben  vom  Rat  zu  Berlin  auf- 
gestellten Satzungen  von  1570,  die  nicht  sehr  erheblich  von  den  alten 
Cöllner  Satzungen  abweichen: 

Die  ältesten  bekannten  Satzungen  der  Alt -Berliner  Schützengilde 

'     von  1570. 

Wir  Burgermeistere  und  Rathmanne  der  Stadt  Berlin  Bekennen  und 
thun  kundt  hiermit,  vor  uns  unsere  Nachkommen  und  sonsten  kegenn 
Jedermänniglichen,  Dieweill  der  Durchleuchtigste  Hochgeborene  Fürst 
und  Herr,  Herr  Joachim  Marggraf  zu  Braudenburgk,  des  Heiligen 
Römischen  Reichs  Erzkämmerer  und  ('hurfürst  unser  gnädigster 
Herr,  die  Ehrbaren  Hoch-  und  Wohlgelahrte  und  weisen  Gülde- 
meister  und  gemeine  Brüder  der  Schützengilde  allhier  privilegirt 
und  begnadet,  dass  derjenige  so  den  Vogel  abschiesst,  das  .lahr 
über  Schoss  und  aller  Unpflichten  frei  sein  und  dazu  acht  Brauen 
Bier  frei  haben  solle,  auch  daneben  ihre  Ordnung  die  sie  mit 
unserem  vorwissen  ausrichten  würden,  gnädigst  confirmirt  und 
bestätigt. 


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Rudolph  Buchhola: 

Dass  wir  Ihnen  demnach  auf  ihr  fleissiges  Suelien,  sonderlich 
aber,  weil  die  Schützengilde  nicht  allein  von  den  alten  löblichen 
Vorfahren,  sondern  auch  von  weiland.  Chur-  und  Fürsten  des 
Hauses  Brandenburg  in  Würden  und  Ehren  mitgehalten  worden, 
Ihnen  die  folgende  Ordnung,  damit  solche  alte  hergebrachte  ehrliche 
Brüderschaft  uud  Ritterspiel  hinfüro  ehrbar,  richtig  und  christlich 
gehalten  und  zunehmen  möge,  confirrairt  und  bestätigt,  wie  die- 
selbe von  Wort  zu  Wort  hernach  folget. 

1.  Haben  die  Brüder  für  gelegen,  und  gut  angesehen,  auch  ein- 
trächtiglich  beschlossen,  dass  solche  Gilde  hinfürder  alle  Jahr 
auf  dem  Sonntag  Nach  Mariae' Magdalenas  soll  gehalten  werden. 

2.  Sollen  die  Güldenieister  nach  der  Ordnung  und  nicht  aus  Neid, 
Hass  oder  andern  Atfeeten  erwählet  werden  und  die  Ausrichtungen 
von  Ihnen  auf  ihrer  beider  Unkosten  hinfüro  geschehen,  damit  also 
gleichviel  gehalten  und  keiner  vor  den  andern  beschwert  werden, 
auch  desshalb  sich  der  Gilde  zu  aeussern  nicht  Ursache  haben 
mögen,  zu  solchem  Behuf  sollen  sie  drei  Brauen  frei  haben, 
zwei  Schock  vom  Ehrbaren  Käthe,  einen  Gulden  von  den  Brüdern 
für  die  Abendmahlzeit,  wenn  man  das  Bier  kostet,  einen  halben 
Gulden  für  den  Hausmann  zu  speisen,  einen  Gulden  für  Lichte, 
so  sollen  auch  die  Gildemeister  der  Zeche  frei  seien,  darüber 
soll  den  Gildemeistern  nichts  mehr  gegeben  werden. 

3.  Sollen  die  Gildemeister  so  dazu  erkoren,  dasselbe  ganze  Jahr 
alle  der  Brüderschaft  Nothdurften  als  ihre  Einnahmen  und  Aus- 
gaben, die  Laden  und  was  sonsten  mehr,  den  Brüdern  zuständig, 
bestellen  und  verwahren,  auch  nach  Ausgangs  Ihres  Jahres  be- 
ständig Rechnung  thun. 

4.  Soll  den  Gildemeistern  jährlich  einer  nach  der  Ordnung,  aus 
den  Brüdern  zugeordnet  werden,  der  soll  die  Aufrichtung  der 
Stangen,  und  Bestellung  der  Gewinne,  auch  Einforderung  der 
Strafen  neben  den  Güldemeistern  Inhalts  dieser  Ordnung  warten, 
und  solches  alles  getreulich  befördern  helfen,  und  den  Gilde- 
meistern  zustellen,  dem  soll  die  ganze  Zeche  dafür  frei  sein. 

5.  Soll  ein  jeder  Bürger  oder  Bürgers  Sohn  zu  Berlin  auch  unseres 
gnädigsten  Herrn  geschworen  Hofgesinde,  so  Lust  und  Liebe  zu 
solcher  Brüderschaft  haben,  nach  Entrichtung  des  Einkaufgeldes, 
nämlich  eines  Thalers,  zu  einem  Bruder  in  diese  Gülde  aufge- 
nommen werden,  doch  sollen  sich  die  anrüchtigen  und  tadel- 
haftigen  Personen  der  Gilde  enthalten  und  äussern. 

6.  Soll  ein  jeder  Bruder  dieser  Gilde,  der  Gottes  Namen  mit  Fluchen, 
Schwören  oder  andern  lästerlich  führen  würde,  allewege  zwei 
Silbergn  »seilen  zur  Strafe  verfallen  sein. 


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Chronik  der  Berliner  Schfltzengilde. 


25 


7.  Wann  die  Brüder  von  den  Gildemeistern  erfordert  werden  und 
einer  oder  mehr  ohne  ehafte  Verhinderung  der  Herrschaft 
hendel  oder  ausserhalb  Leibs-Schwaehheit  darüber  aussen  bleiben 
würde,  so  oflft  ers  übertritt,  soll  derselbe  allewege  zur  Pein  zwei 
SUbergrr »sehen  geben. 

8.  Wann  die  Gilde  gehalten  wird,  soll  ein  jeder  Bruder,  sanimt 
seiner  Hausfrauen  in  des  Gildeineisters  Haus,  da  sie  die  Zeit 
gehalten  wird,  essen,  daselbst  für  sich  und  seine  Hausfrau  nach 
jeder  geschehenen  Mahlzeit  zwei  Silbergroschen  für  Essen  geben, 
so  aber  er  und  seine  Hausfrau  ohne  genugsam  Ehafte  aussen 
bliebe,  soll  jedes  Aussenbleibendes  das  Kostgeld,  nämlich  ein 
Silbergroschen  geben.  Dagegen  aber  soll  man  einem  Jeden,  ein  halb 
Stübichen  Bier  auf  ihr  Ansuchen  zu  Haus  schicken,  und  sollen 
die  volle  Zeche  geben.  Würde  er  aber  durch  Ehafte  als  Leibs- 
schwachheit und  Trauern  oder  aus  Ilerrendienst  verhindert,  und 
die  ganze  Gilde  über  nicht  kommen  können,  soll  der  nicht  mehr 
denn  ein  Erz  Thaler  in  die  Laden  zu  geben  schuldig  sein,  würde 
er  aber  in  solchen  Trauren  mit  zum  Vogelschiessen,  soll  er  das 
Kostgeld  und  ganze  Zeche  gleichwohl  erlegen. 

9.  So  auch  ein  Bruder  in  währender  Gilde  würde  krank  werden, 
oder  verreisen  müssen,  und  solches  dem  Gildemeister  sich  dar- 
nach zu  richten,  anzeigen,  soll  er  mit  dem  Kostgelde  verschonet 
werden  und  gleichwohl  die  volle  Zeche  geben,  dagegen  soll  Ihm 
frei  sein  das  Bier  wie  obsteht  holen  zu  lassen. 

10.  So  einer  oder  mehr  einen  ehrlichen  Gast  laden  wollte,  soll  Ihm 
frei  sein,  doch  dass  er  die  Mahlzeit  und  Wein  (so  die  Zeit  ge- 
trunken) für  ihn  bezahle,  riessgleichen  zwei  Silbergroschen  in 
die  Lade  erlegen,  in  Ansehung,  dass  den  Brüdern  hieraus  grosse 
Unordnung  mit  Fressen  und  Saufen  erfolget. 

11.  Soll  ein  Bruder  und  seine  Hausfrau  um  zehn  Uhr  auf  den  Mittag 
und  auf  den  Abend  um  sechs  schlags  in  des  Gildemeisters  Haus 
zur  Mahlzeit  sein,  darum  auch  die  Schützen  durch  den  Gilde- 
Knecht  um  fünf  Schlags  wann  sie  schiessen  hereingefordert 
werden  und  sie  alsbald  darauf  herein  kommen  sollen,  würden 
sie  aber  aussen  bleiben,  sollen  die  Güldemeister  gleichwohl  nicht 
verziehen,  sondern  denen,  so  da  sein,  anzurichten  schuldig  sein. 

12.  Wann  man  zum  Königs  Vogel  schiessen  will,  soll  ein  jeder  Gilde- 
Bruder  seinen  Bogen  vor  die  Gülde  haben,  und  nach  der  Trommel 
vor  die  Brüder  hinaustragen  lassen.  So  soll  auch  ein  jeder 
Bruder,  so  mitschiesst,  den  König  bis  unter  die  Stangen  be- 
gleiten, bei  der  Busse  zwei  Silbergroschen,  er  hätte  dann  ge- 
nugsam Ehaften. 


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2i) 


Rudolph  Buchholz: 


13.  Ist  fiu-  gut  ungesehen  und  beschlossen  dass  kein  Gilde- Bruder 
zum  Königs  Vogel  zu  schiessen  soll  zugelassen  werden,  der  ohne 
erhebliche  und  genügsame  Ursachen  nicht  mit  zur  Gilde  gehet 
und  die  mithält,  er  erlege  dann  das  volle  Kostgeld  und  die 
ganze  Zeche. 

14.  Weil  auch  vor  Alters  der  König,  welcher  den  Königs  Vogel  ab- 
geschossen, mit  seinem  Antheil  des  Biergeldes  freigehalten  worden, 
soll  es  nochmals  also  gehalten  werden.  Dazu  soll  er  auch  In- 
halts unseres  gnädigsten  Herrn  des  Churfürsteu  zu  Brandenburg 
Privilegii  fünf  Brauen  Ziese  frei  gemessen,  auch  der  Schosse 
und  Unpflichten  frei  sein,  dagegen  aber  soll  der  König  den 
Brüdern  und  ihren  Hausfrauen  des  folgenden  Tags  auf  den  Abend 
zu  geben  schuldig  sein  fünfzehn  Hühner,  auf  jedem  Tische  ein 
Scheffen  Milch,  ein  halb  Stübichen  Rheinischen  Wein  und  ein 
paar  Gerichte  Fische,  oder  Fleisch,  auch  Brod  und  Semmel,  so- 
viel dazu  von  nöthen,  oder  soll  sich  mit  dem  Gildemeister 
darum  vertragen. 

15.  So  sichs  zutrüge  dass  ein  Bruder  den  Königs  Vogel  drei  Jahre 
nach  einander  abschösse,  der  soll  auch  den  Vogel  vor  eigen  ge- 
wonnen haben,  doch  soll  den  Brüdern  offen  stehen,  denselben 
wiederum  mit  einer  halben  Mark  fein  Silber  zu  lösen  und  wieder 
an  sich  zu  bringen. 

1(3.  Nachdem  sich  auch  des  Königs  Gewinn  gebessert,  so  bessert  sich 
der  Vogel  auch  nicht  unbillig;  darum  soll  ein  Jeder  der  König 
wird,  denselben  mit  zwei  Goldgulden,  davon  ein  Glied  wie  zur 
Kette  gemacht  und  gleichwohl  seinen  Namen  und  Wappen  darauf 
gestochen  werden,  zu  verbessern  verpflichtet  sein.  Dafür  soll 
ihm  wann  man  wiederum  schiessen  will,  zum  allerersten  ein 
freier  Schuss  vergönnt  werden. 

17.  Soll  auch  der  neue  König  denselben  Vogel  in  allewege,  ehe  man 
von  der  Stange  gehet,  wiegen  lassen,  denselben  verbürgen  und 
wohl  verwahren,  dass  er  nicht  vergeringert  oder  abhändig 
gemacht. 

18.  Soll  derselbe  König  den  gedachten  Vogel  nicht  allein  auf  allen 
ehrlichen  Schiesse u  den  Brüdern  zu  Ehren,  sondern  so  oft  er  in 
die  Gilde  gehet,  auch  auf  die  drei  Feste  als  Weihnachten,  Ostern 
und  Pfingsten,  am  Halse  tragen.  So  oft  solches  übertreten  soll 
er  allewege  ein  Erz  Thaler  der  Gilde  in  die  Lade  entrichten. 

19.  Soll  man  alle  Brüder  nach  Ausgang  der  Gilde  zur  Rechenschaft 
die  anzuhören  fordern,  und  nach  gehaltener  Rechenschaft  soll 
ein  Jeder  sein  Antheil  (.leides  alsbald  geben.  So  aber  einer  oder 
mehr  solches  nicht  thun  würden,  soll  jeder  Uebertreter  vier  Silber- 


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Chronik  der  Berliner  Schfltjsengilde. 


27 


groschen  in  die  Lade  verfallen  sein,  auch  der  Pfändung  von  des 
Ehrbaren  Rathsdienern  gewärtigen. 

20.  Ob  sichs  zutrüge  dass  einer  oder  mehr  unter  den  Brüdern  zu 
Uneinigkeit  kämen,  dadurch  sie  etwa  an  ihren  Ehren  oder  Glimpf 
mit  Worten  angegriffen  oder  verletzt  würden,  das  sollen  die 
Brüder,  oder  wen  sie  dazu  unter  ihnen  verordnen  werden,  neben 
den  Güldemeistern  verhören,  beilegen  und  ohne  Ansehen  zu 
strafen  haben.  So  sich  aber  einer  oder  mehr  thätlicher  Gewalt 
vergreiften  würde,  soll  solches  seiner  gebührlichen  Obrigkeit  zu 
strafen  vorbehalten  sein. 

21.  So  ein  Bruder  oder  seine  Hausfrau  mit  Tode  nach  dem  Willen 
Gottes  abginge,  sollen  die  andern  alle  durch  den  gemeinen  Diener 
der  Gilde  zu  «lern  Begräbniss  gefordert  werden.  Da  dann  jeder 
Bruder  und  seine  Hausfrau,  oder  zum  Wenigsten  Eins  von  ihnen 
erscheinen  und  mit  zu  Grabe  gehen  soll  (bei  Pein  zwei  Silber- 
groschen) er  hätte  dann  eine  gewisse  und  ehafte  Entschuldi- 
gung. Zu  dem  sollen  auch  denjenigen  Brüdern,  so  die  Leichen- 
träger nicht  bestellen  konnten,  durch  den  gemeinen  Diener  der 
Gilde,  Leute  dazu  bestellt  werden,  dieselbe  Leiche  zu  tragen, 
denen  sollen  die  Güldemeister  aus  der  Lade  lohnen. 

22.  Weil  auch  die  Lade  bishero  ganz  gelediget  worden,  haben  die 
Brüder  beschlossen,  dass  hinfürder  ein  jeder  Bruder  jährlich 
nach  Ausgang  der  Gilden  zwei  Silbergrosclien  geben  soll,  damit 
die  Lade  mit  der  Zeit  wieder  zunehme  und  alle  Nothdurft  so 
man  aus  der  Lade  versoldet  desto  besser  bestellen  möchte. 

23.  So  sichs  zutrüge  dass  einer  oder  mehr  Gülden-Brüdcr  Alters  halber 
oder  sonsten  unvermögend  würde,  dass  der  oder  dieselben  in 
die  Gilde  nicht  kommen  können  und  dennoch  gerne  bis  an  ihr 
Ende  in  der  Brüderschaft  verharren  wollten,  dem  oder  denselben 
soll  jeglieh,  so  lange  die  Gilde  währet  oder  gehalten  wird,  ein 
halb  Stübichen  Bier  in  ihre  Behausung  ohne  Bezahlung  auf  ihr 
Ansuchen  verreichet  und  geschickt  werden. 

24.  So  Jemand  unter  den  Gilde-Brüdern  der  noch  nicht  Gildemeister 
gewesen,  abdanken  würde,  derselbe  soll  eher  davon  nicht  ent- 
ledigt werden,  er  habe  dann  der  Gilde  zuvor  vier  Thaler  erlegt. 

25.  Sollen  die  Gildemeister  neben  obengemelten,  ihren  Zugeordneten 
mit  allem  Fleiss  dieser  Ordnung  Übertreter  bei  vorgeschriebener 
Pein  strafen;  So  aber  das  von  ihnen  verlässt,  solleu  sie  die  Pein 
selber  geben  und  entrichten.  So  aber  einer  oder  mehr  sich  ver- 
wirkter Strafe  weigern  und  dawidersetzen  würde,  dass  die  Gilde- 
meister und  Verordneten  solches  in  der  Güte  von  ihnen  nicht 
bringen  noch  erlangen  könnten,  sollen  solche  von  wegen  ihres  muth- 


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28  Rudolph  Buchhol*: 

willigen  Ungehorsams  der  Gilde  sieh  gar  entschlagen  und  auch 
nicht  mehr  dazu  gelassen  nach  Verbot  und  gleichwohl  die  Strafe, 
sammt  den  vier  Thalern,  so  er  die  Gilde  noch  nicht  gehabt,  zu 
erlegen,  durch  den  Kath  gefordert  werden. 

26.  Nachdem  sie  auch  mit  dem  lange  Sitzen  viele  Unruhe  den  Gilde- 
meistern machen  und  den  Brüdern  auch  am  Bier  Schaden  ge- 
schieht, so  soll  forthin  allewege  um  zehn  Uhr  auf  den  Abend 
von  dem  Gildemeister  der  Keller  geschlossen  und  keinem  kein 
Bier  herausgegeben,  auch  kein  Spiel  nach  der  Zeit  gestattet 
werden,  wer  aber  solches  übertritt,  der  soll  den  Brüdern  eine 
Tonne  Bemauisch  Bier  verfallen  sein. 

27.  Nachdem  das  Zu-  und  Yoll-Trinken  eine  grosse  Sünde,  und  von 
Gott  verboten,  auch  die  Gilde  nicht  zum  Sauleben,  sondern  zur 
Ehrbarkeit  angefangen  ist,  soll  niemand  gezwungen  werden  oder 
verpflichtet  sein,  ohne  seinen  guten  Willen  Bescheid  zu  thun, 
und  so  jemand  den  andern  dazu  zu  zwingen  sich  unterstehen 
würde,  soll  derselbe  jedesmal  ein  Erz  Thaler  in  die  Lade  ver- 
fallen sein. 

28.  So  auch  die  Gilde-Brüder  jährlich  einen  Glückstopf  oder  andere 
Kurzweil,  so  der  Gilde  zuträglich  und  nützlich  sein  könnte,  an- 
richten würden,  dass  soll  ihnen  frei  und  offen  stehen  und  für 
andern  gestattet  werden. 

Weil  wir  dann  solche  ihre  Bitte  für  billig  und  ziemlich  ange- 
sehen, haben  wir  zu  sonderlicher  Aufnehmung  derselben  Gilde 
und  christlichen  Brüderschaftlhnen  Boichs  keineswegs  abzuschlagen 
oder  zu  weigern  gewusst  und  die  vorgesagte  Ordnung  in  allen 
Punkten,  Clauseln  und  Artikeln  confirmiret  und  bestätigt;  Con- 
firmiren  und  bestätigen  dieselben  hiermit  in  Kraft  dieses  unseres 
Briefes,  Setzen  Gebieten  und  wollen  auch,  dass  es  in  der  Gilde  laut 
denselben  Ordnung,  ohne  männigliche  Einrede  und  ungehindert 
solle  gehalten  und  unverbrüchlich  nachgelebet  werden,  Alles 
getreulich  und  ungefährlich. 

Des  zu  Urkund  haben  wir  unser  Stadt -Insiegel,  an  diesem 
unsern  Briefe  wissentlich  hängen  lassen,  der  Gegeben  ist  zu  Berlin, 
Montags  nach  Margarethe,  Christi  unser»  lieben  Herrn  und  einigen 
Erlösers  und  Seligmachers  Geburt  Tausend  fünfhundert  und  im 
70sten  Jahr. 

Diese  vorstehenden  Satzungen,  welche  iu  gleichzeitiger  Abschrift 
auf  Pergament  sich  im  Besitz  der  Schützengilde  befinden,  haben  keine 
kurfürstliche  Bestätigung,  dagegen  liegt  eine  solche  von  1568,  also 
2  Jahre  früher,  vor.  Sie  ist  in  dem  erneuerten  Privilegium  von  1651, 
mit  wiedergegeben  und  lautet: 


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Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 


29 


„Wir  Joachim  dieses  Namens  der  aiidere  von  Gottes  Gnaden 
Marggraff  zu  Brandenburg  p.  p.  Bekennen  und  thun  kund  öffentlich, 
vor  uns,  unsere  Erben  und  Nachkommen;  Nachdem  das  Schiessen 
zum  Vogel  ein  alt  Herkommen,  löbliche  Gewohnheit  und  ehrliche 
rittermässige  Uebuug  ist,  welche  nicht  allein  von  ehrlichen  vor- 
nehmen Geschlechtern  und  Burgern  in  Städten,  sondern  auch  von  hohen 
Ständen  in  deutschen  Landen  jederzeit  rühmlich  unde  gebräuchlich  her- 
gebracht, desgleichen  von  unseren  Vorfahren  hochlöblichen  Gedächt- 
nissnichts weniger  denn  von  uns  je  und  allewege  darobgehalten  undmit 
allen  Gnaden  befördert  worden  und  denn  solcher  löblicher  Gebrauch 
und  alt  Herkommen  bei  unserer  Stadt  Berlin  bishero  geblieben  und 
mit  sondern  Fleiss  getrieben  worden.    Dass  wir  demnach  auf  der 
Güldemeister  und  gemeinen  Brüder  der  Schützeugilde  beinelter  unserer 
Stadt  Berlin  unterthänigstes  fleissigstes  Suchen  Ihnen  nicht  allein 
die  durch  den  Rath  daselbsten  versiegelte  Ordnung  in  allen  Puncten 
und  Artikeln  confirmiret  und  bestätiget,  sondern  sie  noch  darüber 
aus  besondern  Gnaden,  damit  wir  ihnen  gewogen,  folgender  Gestalt 
privilegiret,  befreiet  und  begnadet  haben:  Nämlich  welcher  ihres 
Mittels  unter  den  Gildebrüdern  den  Königsvogel  abschiesst,  dass 
derjenige  in  demselben  Jahre  8  Brauen  Bier  ohne  einige  Erlegung 
der  alten  und  neuen  Bierziese  zu  brauen  und  zu  gebrauchen  oder 
andern  zu  vergeben  Macht  haben,   auch   dazu   aller  und  jeder 
Steuern,  Schösse  und  anderer  Unpflichte,  wie  die  Namen  haben 
mögen,  desselbigen  Jahres  ganz  frei  sein  und  damit  nicht  be- 
schweret werden.    Und  sollen  die  Schützen  alle  Jahr  zum  Königs- 
vogelschiesseu   und   solch  Ritterspiel   in  aller  Ehrbarkeit  üben, 
denn  so  die  dasselbe  unterlassen  würden,  soll  ihnen  dies  unser 
Privilegium  nicht  fürtraglichen  und  dadurch  aufgehoben  sein,  es 
geschehe  denn  in  sterblichen  Zeiten  oder  Kriegesläuften.    Und  wir, 
der  Landesfürst,  confirmiren  und  bestätigen  gedachten  Schützen 
ihre  Gilde  und  Ordnung,  begnaden,  privilegiren  und  befreien  sie 
auch  obangezeigter  Massen  allenthalben  hiermit  in  diesem  Briefe 
ganz  kräftiglich  und  wollen,  dass  es  hinfüro  zu  ewigen  Zeiten 
also,  ohne  männigliehe  Verhinderung  stete,  feste  und  unverbrüch- 
lich gehalten  werden  soll.    Und  was  die  Gildeine  ister  und 
gemeinen  Brüder  gedachter  Schützengilde,  mit  Vorwissen 
des  Raths  was  an  Statuten  oder  sonst,  so  zur  Auf  nehmung 
und  Förderung  der  Schützeugilde  und  guter  vernünftiger, 
ehrbarer  Sitten  dienstlich  wäre,  verordnen  würden,  das 
wollen  wir  ihnen  hiermit  auch  gnädigst  bestätiget  und 
confirmiret  haben,  auch  sie  neben  unseren  Erben  und  Nach- 
kommen bei  oberneuerter  Befreiung  der  Ziese,  Schösse  und  Un- 
pflichte aus  churfürstlicher  Obrigkeit  schützen  und  handhaben,  und 


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3n 


Rudolph  Bncbholz: 


mit  nichten  darwider  beschweren,  noch  diesem  unserem  Privilegio 
in  keinerlei  Weise,  wie  es  inner-  oder  ausserhalb  recht  geschehen 
könnte,  oder  möchte  zu  entgegen  handeln  oder  was  fürnehmen 
lassen,  alles  getreulich  und  sonder  Gefehrde. 

Urkundlich  mit  Unserin  anhangenden  Insiegel  besiegelt  und 
gegeben  Cölln  a.  d.  Spree,  Donnerstags  nach  Maria  Magdalena, 
Christi  unseres  Herrn  und  Seligmachers  Geburt  Eintausend  fünf- 
hundert und  im  achtundscchszigsten  Jahre." 

Der  gesperrt  wiedergegebene  Satz  giebt  dem  Rat  ausdrücklieh 
das  Recht  zur  Genehmigung  veränderter  Satzungen  mit  derselben 
Wirkung,  als  hätte  der  Kurfürst  selbst  die  Veränderung  bestätigt  und 
daraus  geht  auch  hervor,  dass  die  Satzungen  von  1570  frühere  Satzungen 
in  veränderter  Form,  dass  es  also  nicht  die  ältesten  sind. 

Kurfürst  Johann  Geoig  hat  die  Privilegien  der  Alt  Berliner 
Gilde  im  Jahre  1579  bestätigt,  wie  aus  dem  Privilegium  vou  1051  her- 
vorgeht; Bestätigungen  von  Joachim  Friedrich,  Johann  Sigismund  und 
Georg  Wilhelm  sind  zwar  erwähnt,  ohne  jedoch  wörtlich  wiedergegeben 
zu  sein. 

Das  Privilegium  der  Cöllnischeu  Gilde  von  1558  spricht  nur  von 
der  Freiheit  für  5  Brauen  Bier,  bezieht  sich  auch  darauf,  dass  das  beiden 
Gilden  gleich  gewährt  ist.  Das  jüngere  Privilegium  der  Berliner  Gilde 
von  1568  gewährt  aber  von  dieser  Zeit  an  8  Brauen,  während  ein 
Schriftstück  über  die  gleiche  Vergünstigung  an  die  Colinische  Gilde 
nicht  vorliegt. 


Die  Cöllnische  Kämmerei -Rechnung  von  1558  enthält  einen  Ausgabe- 
Posten:  „12  Schock  15  gr.  für  einen  neuen  Schützenbaum,  den 
Vogel  zu  tragen*  und  ferner:  „1  Schock  3  gr.  für  einen  goldenen 
Ring  zur  Schützenkette. u  Zu  30  Lundischen  Hosentüchern  für  den 
Cöllnischen  Schützenkönig  werden  6  Schock  53  gr.  vom  Rath  zu 
Colin  und  15  Schock  19  gr.  vom  Rath  zu  Berlin  bezahlt. 

1569  erhielten  die  Cöllnischen  Schützen  von  der  Kämmerei  einen  Ochsen 
und  24  Hoseutücher. 

1571  gab  Berlin  10  Thaler  und  Cölln  5  Thaler  zu  Hosentuch  für  die 
Cöllnischen  Schützen  aus  und  Berlin  zahlte  10  Gulden  für  2  Ochsen 
zu  dem  Berlinischen  Freischiessen. 

1576  ist  der  vor  18  Jahren  aufgestellte  Schützenbaum  morsch  geworden, 
es  muss  ein  neuer  beschafft  werden,  der  2  Thaler  15  gr.  kostet. 
Der  Schützenkönig  erhält  1  Schock  Groschen  und  einen  goldenen 
Ring  zur  Kette.  Die  Schützengilden  beider  Städte  erhalten  von 
beiden  Räthen  zusammen  16  Hoseutücher  auf  2  Jahre,  jeder  König 
erhält  also  nur  4. 


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Chronik  der  Berliner  SchMzengilde. 


31 


Der  „Schiessgraben  u  der  Berliner  Gilde  inusste  durch  ein 
Thor  abgeschlossen  werden  für  dessen  Schlüssel  3  gr.  veraasgabt  sind. 

Diese  Bezeichnung  „Schiessgrabenu  deutet  darauf  hin,  dass 
man  einen  Teil  des  Wallgrabens,  welcher  damals  noch  die  mittel- 
alterliche Stadtmauer  umgab,  als  Schützenplatz  benutzte,  wie  das 
auch  von  vielen  anderen  Städten  bekannt  ist. 

1579  erhält  das  Thor  zum  Schiessgraben  vor  Berlin,  wie  auch  die 
„Scheuer"  beim  Schiessgraben  ein  neues  Schloss. 

1584  wird  über  ein  grosses  Schützenfest  im  Schiessgraben  am  Pfingst- 
dienstag  berichtet.  Der  mit  Gefolge  erschienene  Kurfürst  Johann 
Georg  schoss  mit  nach  der  „Wand"  (Scheibe).  Der  Rat  von  Berlin 
hatte  zu  diesem  Fest  einen  silbernen  Becher  für  9  Schock  221/2  gr. 
als  Hauptpreis  hergegeben,  auch  1  Schock  15  gr.  für  Zerbster  Bier 
zum  Tractieren  des  Kurfürstlichen  Gefolges  bezahlt. 

1588  hat  der  Rat  von  Berlin  2  Schock  15  gr.  zu  einem  Hauptgewinn 
für  die  Schützengilde  verausgabt. 

1593  hatten  beide  Schützengilden  Prinzen  zu  Ehrengildemeistern  ernannt 
und  zwar  die  zu  Cölln  den  Markgraf  Christian  und  die  zu  Berlin  den 
Markgraf  Joachim  Ernst,  beides  noch  Knaben.  Auf  kurfürstlichen 
Befehl  wurde  darauf  beiden  Gilden  je  ein  Festessen  gegeben,  über 
deren  Kosten  die  Rechnungen  erhalten  sind: 

I. 

„Auf  churfürstlichen  Befehl  so  im  Pfingsten  anno  1593  für 
die  Schützen  zu  Cölln  a.  d.  Spree  ausgegeben  verspeiset  worden, 
als  Markgraf  Christian  Oberster  Gildemeister  gewesen. 

5  Th.  9  gr.  4  Pf.  für  194  Pfund  Rindfleisch,  1  Th.  16  gr.  für 
4  Ochsenzungen  und  Kaidaunen,  3  Th.  für  ein  Schwein,  10  Th. 
20  gr.für  12\a  Kälber,  ö  Th.  18  gr.  für  15  Lämmer,  7  Th.  1(5  gr. 
für  41  Gänse,  4  Th.  12  gr.  für  04  Hühner,  3  Th.  12  gr.  für 
10  Schock  15  Eier,  1  Th.  für  IV-,  Scheffel  Salz,  1  Th.  12  gr. 
für  Kohlen,  16  Th.  1'  a  gr.  für  Fische,  4  Th.  22  gr.  für  59  Schock 
Krebse,  3  Th.  18  gr.  für  30  Pfund  Speck,  3  Th.  für  Sauerkraut, 
4  Th.  14  gr.  für  1  Fässlein  15  Pfund  Butter,  1  Th.  1  gr.  für 
10  Pf.  geschmelzte  Butter,  1  Th.  2  gr.  für  holländischen  Käse, 
1  Th.  21  gr.  für  trocknen  Lachs,  12  Th.  17  gr.  für  allerlei  Ge- 
würz, 8  gr.  für  rothen  Zucker,  3  Th,  18  gr.  für  Confect,  12  gr. 
für  12  Pfefferküehlein,  8  gr.  für  Essig,  1  Th.  7Va  gr.  für  Töpfe, 
Zwiebeln,  Milch,  Merrettig  die  ganzen  8  Tage  und  für  Bindfaden, 
17  Th.  4  gr.  für  Rheinischen  Wein  von  Hans  Mertens  Haus- 
keller, 1  Th.  8V3  gr.  für  Koch  wein,  12  Th.  71 ...  gr.  für  Brod  und 
Semmel,  1  Th.  18  gr.  für  Talglichte,  4  Th.  11  gr.  dem  Richter 
eine  weiss  und  schwarz  karirte  Fahne  zu  machen,  5  Th.  12  gr. 


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32 


Rudolph  Buchhok: 


Mathes  dem  Koch  mit  seinen  Knechten  und  Jungen,  1  Th.  12  gr. 
dem  Hausmann  und  Trommelschläger,  1  Th.  12  gr.  dem  Stadt- 
pfeifer, 1  Th.  dreien  Tagelöhnern  die  aufgewartet  die  Woche 
über,  21  gr.  der  Schüsselwäscherin,  21  gr.  dem  Schenk  Michael 
Halt,  Zins  15  Thaler  17  gr.,  Summa  146  Th.  2  gr.  5  Pf." 
Diese  interessante  Rechnung  ist  bescheinigt: 

„Christian  Markgraf  zu  Brandenburg." 
„Meine  Hand." 

Balzer  Grün 
Hans  Wermiether." 

II. 

„Verzeichniss  was  auf  churfürstlich  Gnaden  zu  Brandenburg  p.  p. 
gnädigsten  Befehl  auf  Jacobi  anno  151)8  für  die  Schützen  zu  Berlin 
angekauft  und  verspeiset  worden,  als  Markgraf  Joachim  Ernst 
oberster  Gildemeister  gewesen. 

6  Th.  2  gr.  für  Rindfleisch,  6  Th.  für  2  Schweine,  8  Th.  12  gr. 
für  8V*  Kälber,  10  Th.  9  gr.  für  03  Gänse,  7  Th.  1  gr.  für 
84  nühner,  2  Th.  16  gr.  für  6  Schock  15  Eier,  1  Th.  15  gr.  für 
4  Fuder  Holz,  1  Th.  6  gr.  für  2  Scheffel  Salz,  2  Th.  10  gr.  für 
17  Schffl.  Kohlen,  7  Th.  11  gr.  für  Fische  und  Aal,  4  Th.  15  gr. 
für  46  Pfund  Speck,  9  Th.  8  gr.  für  71/,  Hammel,  2  Th.  für 
Hering,  8  Th.  15  gr.  für  Butter,  2  Th.  221 3  gr.  für  Obst,  1  Th. 
12  gr.  für  3  holländische  Käse,  6  gr.  für  1 3  Pfund  rothen  Zucker, 
32  Th.  21  gr.  für  allerlei  Gewürz,  10  gr.  für  irden  Töpfe,  15  gr. 
für  Milch,  2  Th.  10  gr.  für  Zwiebeln  Kohl  Salvei  und  Gurken, 
40  Th.  4  gr.  für  Rheinischen  Wein,  4  Th.  16  gr.  für  Land  wein, 
1  Th.  1  gr.  für  Essig,  19  Th.  für  Brod  und  Semmel,  2  Th.  18  gr. 
für  30  Pfund  Lichte,  5  Th.  7  gr.  der  Köchin  Lohn,  16  gr.  2  Auf- 
wärtern, 81  j  gi*.  dem  Trommelsclüäger,  2  Th.  den  Spielleuten, 
17  gr.  den  Thürhütern,  1  Th.  dem  Schenken,  Summa  200  Th. 
19\2  gr- 

„Joachim  Ernst  Markgraf  zu  Brandenbrug." 
„Meine  Hand." 

1597  schreibt  der  25jährige  Prinz  Sigismund,  nachmaliger  Kurfürst, 
aus  Schloss  Grimnitz,  an  seinen  Vater  den  Kurfürsten  Joachim 
Friedrich  in  Schloss  Cölln  a.  Spree: 

....  „Hiernebeu  mag  E  F.  G.  ich  söhnlich  nicht  vorenthalten, 
das  mich  der  Rath  zu  Cölln  gegen  schirsten  heiligen  Pfingsten 
zu  ihrem  habenden  Vogelschiessen  unterthäniglich  eingeladen 
und  gebeten,  dahin  sich  dann  meine  freundliche  liebe  älteste 
Vettern  auch  zu  verfügen  entschlossen. 

Wann  ich  aber  zu  solchem  Vogelschiessen  mit  keinem  guten 
Vogelbogen  versehen  un  ich  mich  erinnert,  dass  in  E.  G.  Rüst- 


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Chronik  der  Berliner  Schfltzenffilde. 


83 


kammer  zu  Ilalla  ein  solcher  grosser  Bogeu  vorhanden,  der  mir 
zu  diesen  Sachen  jetzt  wol  genöthig  und  gut  wäre,  als  gelanget 
an  E.  G.  mein,  söhnliches  bitten,  £.  G.  wollen  mir  zu  diesem 
mal  mit  demselben  grossen  Bogen  väterlich  willfahren  und  Ver- 
ordnung thun,  damit  mir  derselbe,  neben  etlichen  guten  Bolzen 
und  aller  anderen  Zubehör,  gegen  schirste  Pfingsten  gewisslich 
nach  Berlin  gebracht  werden  möge." 

1597  sendet  die  Colinische  Gilde  5  Schützen  zum  Freischiessen  in  Cott- 
bus, jeder  erhielt  dazu  1  Thaler. 

1599  ist  Peter  Werner  König  bei  der  Cöllnischen  Gilde  geworden  und 
erhält  als  Prämie  4  Tu.  1  gr. 

Die  persönliche  Beteiligung  der  Kurfürsten  an  den  Schützen- 
festen geht  ferner  aus  folgenden  Ausgabeposten  in  [den  kurfürstlichen 
Haus-Rechnungen  hervor: 

1604.  Kurfürst  Joachim  Friedrich  giebt  auf  Bitten  seines  Sohnes  Johann 
Sigismund  dem  Schützengüdemeister  zu  Berlin  35  Thaler  zu  dessen 
Ausrichtung. 

1606  wird  berichtet,  dass  die  beiden  Markgrafen  Johann  Georg,  Ad- 
ministrator des  Bistums  Strassburg,  und  Ernst  das  Schützenfest 
besuchten.  Sie  haben  „bei  der  Vogelstange  im  Glückstopf  gespielt" 
und  sind  vom  Rat  empfangen  und  bewirtet  worden,  wobei  Bürger- 
meister Purcelius  eine  Ansprache  hielt.  Sie  gewannen  4  Dutzend 
grosse  zinnerne  Teller. 
1608  wurde  auf  dem  Schützenfest  in  Berlin  statt  nach  dem  Vogel  nach 
einem  Türken  geschossen. 

Damals  war  der  Hass  gegen  die  Türken  wegen  ihrer  Grausam- 
keiten besonders  gross. 
1610.  28.  Juni.  68  Thaler  8  gr.  Seiner  Kurf.  Gnaden  zum  Vogelschiessen. 
29.  Juni.  6  Thaler,  so  Kurf.  Gnaden  dem  Prinzen  Georg  Wilhelm 

zum  Spiel  beim  Vogelschiessen  bewilligt. 
12.  Aug.  6  Thaler  Georg  Wilhelm  beim  Königschiessen  in  Berlin 
n    „      3  Thl.  12  gr.  für  Fürst  August  von  Anhalt  zum  Vogel- 
schiessen. 

1613.  116  Thaler  16  gr.  haben  Kurf.  Gnaden  mit  zum  Vogelschiessen 
genommen. 

31.  Mai.    11  Thaler  16  gr.  zum  Scheibenschiessen. 

25.  Juni.  68  Thl.  4  gr.  9  pf.  so  vor  2  Pokale  gezahlt  die  Kurf. 

Gnaden  und  dero  Gemahlin  bei  gehaltenem  Scheiben- 
schiessen vor  St.  Jürgenthor  aufgesetzt. 

Aug.  30  Thal.  12  gr.  für  Zinnzeug  so  Kurf.  Gnaden  bei  ge- 
haltenem Scheibenschiessen  zu  Berlin  verspielt,  noch 
3  Thaler  daselbst 

ö 

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34  Rudolph  Buchholi : 

1614.    Juni.    2  Till.  6  gr.  den  dreien  abgebrannten  Leuthen  welche  Kuif. 
Gnaden  bei  der  Vogelstange  angefallen. 
26.  Jnni.  6  Tbl.  beim  Vogelschiessen. 

5  Tbl.  au  2  Tonnen  Bernauisch  Bier  für  die  Cöllnischen 
Schützen. 

10.  Juli.  116  Thl.  16  gr.  Kurf.  Gnaden  zur  Berlinisoben  Yogelstange 
mitgenommen. 

10.  Juli.  14  Tb.  16  gr.  vor  einen  Becher  so  Kurf.  Gnaden  zur  Ber- 
linischen Vogelstange  verbraucht. 

12.  Juli.  110  Thl.  16  gr.  desgl.  als  daselbst  um  einen  Ochsen  nach 
der  Scheibe  geschossen. 

12.  Juli.  31  Thl.  13  gr.  noch  vor  2  Becher. 

1614.  Kurfürst  Johann  Sigismund  schenkt  der  Berliner  Schützengilde 
„den  Platz  vor  dem  Georgenthor,  hinter  der  kurfürstlichen  Meierei, 
zwischen  dem  Bernau'schen  Weg  und  ihrem  Schiesshause." 

Dieser  Platz,  der  an  der  alten  Schützenstrasse  begann  und  sich 
längs  der  Bernauer  (jetzigen  Neuen  König-Strasse)  hinzog,  ist  bis 
zum  Jahre  1707  als  Berlinischer  Schätzenplatz  benutzt  worden, 
dann  wurde  er  wegen  der  Ausdehnung  der  Vorstadt  weiter  hinaus, 
hinter  die  jetzige  Linienstrasse  verlegt. 

1616. 10.  Mai.  100  Thaler  von  Kurf.  Gnaden  zu  Erbauung  eines  neuen 
Schützenplatzes  bewilligt. 
21.  Mai.  18  Thl.  von  Kurf.  Gnaden  zum  Vogelschiessen  eingelegt. 
21.  Mai.  40 Thl. der  Gn.Kurfürstin  u.den  3 Fräulein  zum  Spiel  daselbst. 

„      44  Thl.  haben  Kurf.  Gn.  daselbst  an  Zinn  verspielt. 
9.  Juni.  62  Th.  12  gr.  als  Kurf.  Gn.  mit  Prinz  Georg  Wilhelm  zur 
Berlinischen  Vogelstange  gefahren. 

1617.  d.  d.  Königsberg  i.  Pr.,  1.  Juli.  Der  Kurfürst  gestattet  der  Schützen- 
gilde zu  Berlin,  eine  Schiessmauer  und  Vogelstange  da  zu  errichten, 
wo  es  ihr  bequem  sei  und  befiehlt  dem  Rat,  dawider  nichts  zu 
unternehmen.  Zu  dem  Bau  eines  neuen  Schiesshauses  hatte  der 
Kurfürst  100  Thaler  beigetragen. 

1619.  25.  Juli.  „30  Thaler,  so  Seine  Kurfürstliche  Gnaden  mit  zur 
Vogelstange  genommen. 

1620  beklagt  sich  die  Schützengilde  zu  Berlin  beim  Kurfürsten,  dass 
der  Rat  zu  Berlin,  entgegen  den  Privilegien,  bezüglich  der  Be- 
freiung des  Schützenkönigs  von  Steuern  p.  p.,  die  Befreiung  auf  die 
Steuern  beschränken  will,  welche  bei  Erteilung  des  Privilegiums 
im  Jahre  1568  bestanden,  die  inzwischen  neu  aufgelegten  Steuern 
dagegen  nicht  will  frei  passiren  lassen.  „Denn  in  Betrachtung  der 
jetzigen  grossen  Unkosten,  welche  in  vorigen  Jahren  bei  der  König- 
lichen Mahlzeit,  wie  man  es  so  nennt,  mit  geringem  bestalt  und 


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Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 


35 


verrichtet  werde,  kann  der,  wem  Gott  das  Glück  Riebt,  dass  er 
König  wird,  sich  dessen  hei  Ertragung  der  neuen  Steuern  wenig 
erfreuen.  So  ist  es  auch  vor  langen  .lahren  her  zur  Observanz 
gediehen,  dass  die  Könige,  so  den  Vogel  abgeschossen,  ohne  einige 
Hinderung,  aller  Steuern,  sie  haben  Namen  gehabt  wie  sie  gewollt, 
befreiet  gewesen,  nur  dass  man  anjetzo  das  Werk  in  Streit  ziehen 
und  gleichsam  kurfürstliche  Privilegia  disputirlich  machen  will." 

Der  Kurfürst  entscheidet  im  Sinne  der  Gilde  d.  d.  Preutschmark 
d.  4.  Jan.  1621. 

1623  ist  der  Kurfürst  persönlich  beim  Schiessen  nach  dem  Vogel. 
Nach  der  Kämmerei-Rechnung  von  Berlin  sind  bei  der  Gelegenheit 
73  Thaler  verausgabt.  Es  wurden  21  „Tuffen"  aufgetragen,  mit 
Hühnern,  Schoten,  Ochsenzungen,  Sallat,  Johannisbeeren,  Wildpret, 
Kirschen,  Besingen,  Erdbeeren,  holländischem  Käse,  Gänsen,  Confect, 
spanischen  Prätzeln,  Tamasehen  Brod,  Französisch  Brod,  Macaroni, 
Fischen,  Baumkuchen,  Spritzkuchen, Schinken,  Wurst,  Krebsen,  Pökel- 
lachs. Frau  Bürgermeister  Strassburg  hatte  den  Kuchen  zu  backen 
übernommen. 

1624  beklagt  sich  wiederum  die  Berliner  Schützengilde  beim  Kurfürsten, 
dass  die  Landschaft  die  Gildemeister  nicht  von  der  Bierziese  p.  p. 
befreien  wolle  und  dass  auch  der  Rat  von  Berlin  seinen  Gewinn 
daran  einziehe:  „Als  denn  beide  Exercitia,  des  Bogen- und  Büchsen- 
Schiessens  in  Vornehmen  Reichs-  wie  auch  Kur-  und  Fürstliche 
Städten  jederzeit  rühmlich  gehalten  worden,  Ew.  Kurf.  D.  Vorfahren, 
ja  Ew.  Kurf.  d.  Selbsten,  nebst  Gräflichen  wie  auch  Herren  und 
Adels  Staudespersonen  und  vornehme  Offiziere  denen  exercitiis  bei- 
gewohnet und  sich  damit  öfters  recreirct  p.  p." 

Kurfürst  schreibt  die  Sache  dem  Kanzler  zum  Bericht  zu,  welcher 
sicli  auf  einen  Auszug  aus  dem  Landtags-Recess  v. 9.  Juni  1624  beruft: 

„stehet  ausdrücklich,  dass  keinem  Bogen  oder  Büchsenschützen 
einige  freie  Brauen  weiters  erlaubet  werden,  sondern  sie  alle 
schuldig  sein  sollen,  das  volle  alte  und  neue  Biergeld  und  die 
vorige  accise,  wann  sie  brauen  wollen,  zu  erlegen." 

1627.  Kurfürst  schreibt  am  1.  Juli  aus  Königsberg  an  den  Rat  zu  Berlin: 
Die  Bogen  und  Büchsen  Schützen  zu  Berlin  haben  kurfürst- 
lichem Befehl  zufolg«;  ein  Schiesshaus  erbaut,  jedoch  aus  Mangel 
an  Mitteln  die  Vogelstange  und  die  Schiessmauer  nicht  ausführen 
können.  Da  es  nun  bei  den  Städten  nicht  ungebräuchlich  sei, 
dass  der  gesammten  Bürgerschaft  zum  Besten  dergleichen  von 
den  Rathhäusern  gebaut  werde,  so  verordne  der  Kurfürst,  dass 
der  Rath  solches  thue,  damit  er  bei  seiner  Heimkehr  aus  Preussen 
alles  parat  finde. 

3» 


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36 


Rudolph  Buchhol«: 


Die  Schiessfeste  haben  dann  bis  1632  in  Berlin  fortgedauert, 
während  die  in  Cölln  schon  in  den  20  er  Jahren  aufgehört  hatten. 

Von  16*25  ab  hatten  die  Räte  weder  die  üblichen  Hosentücher  bezw. 
das  Geld  dafür,  noch  die  10  Gulden  zur  Beschaffung  eines  Ochsen 
hergegeben,  trotz  wiederholter  Mahnungen  der  Gilden.  Auch  für 
die  Folge  fiel  diese  Bonifikation  weg. 

Der  Rat  zu  Cölln  hatte  sogar  die  Königskette  an  sich  genommen 
und  zum  Nutzen  der  Stadt  verkauft. 

1682  am  31 .  Aug.  nimmt  Bürgermeister  Reichert  von  Berlin  dem  Schützen- 
könig Adam  Krause  die  goldene  Kette  mit  dem  silbernen  Vogel 
und  den  daran  hängenden  15  kurfürstlichen  Kleinodien  im  Gewicht 
vou  128  Kronen  ab  und  lässt  sie  durch  den  Goldschmied  Ewald 
Naupe  einschmelzen,  angeblich  um  eine  andere  Kette  daraus  zu 
machen. 

Die  Gilde  verlangt  nach  dem  30 jährigen  Kriege,  1050,  wiederholt, 
aber  vergeblich  ihr  Eigentum  und  die  ihr  sonst  seit  1624  entzogenen 
Kompetenzen.  Ihre  Nachfordungen  betragen;  184  Thaler  für  den  26 
Jahre  lang  vom  Magistrat  nicht  gelieferten  Vogel,  für  nichtgelieferte 
Hosentücher,  jedes  Jahr  16  Stück,  auf  26  Jahre  554  Thaler,  für  die 
goldene  Kette,  über  deren  Verbleib  niemand  mehr  Auskunft  geben 
konnte,  176  Thaler  und  262  Thaler  Zinsen. 

Als  während  des  30jährigen  Krieges,  im  Jahre  1637,  die  Städte 
Berlin  und  Cölln  vom  Feinde  bedroht  sind,  fordert  der  Kurtürst 
die  Räte  zum  Aufruf  der  waffenfähigen  Bürgerschaft  und  zur 
Stellung  derselben  unter  das  Kommando  des  Oberst  von  Rochow 
auf.  Von  der  Schützengilde  ist  in  der  betr.  Ordre  keine  Rede, 
weil  sie  in  Cölln  schon  seit  1(525,  vermutlich  wegen  der  Entziehung 
der  Steuerfreiheiten,  in  Berlin  seit  1632  gar  nicht  mehr  besteht. 

Das  Schiesshaus  zu  Berlin  wurde  1637  und  1638  zum  Lazaret 
eingerichtet  und  verfiel  dann,  so  dass  es  anfangs  der  50er  Jahre 
fast  ganz  neu  wiederhergestellt  werden  musste. 

Nach  dem  30  jährigen  Kriege  werden  in  den  Jahren  1651 — 53  beide 
Schützengilden  mit  neuen  Satzungen  wieder  aufgerichtet  Das  wich- 
tigste in  den  neuen  Satzungen  ist  die  Aufhebung  des  Schiessens 
nach  dem  Vogel,  „weil  solches  keinen  Nutzen  hat;  es  soll  künftig 
mit  der  Büchse  oder  dem  Feuerrohr  nach  der  Scheibe  ge- 
schossen werden. 

Die  Berlinische  Gilde  bezog  wiederum  ihren  alten  Schützenplatz, 
der  Cölluischeu  wurde  vom  Rat  eine  Stelle  hinter  dem  Holzmarkt 
angewiesen.  Der  Holzmarkt  lag  zwischen  der  Spree  und  der  jetzigen 
Cöpenicker  Strasse  und  nahm  eine  Länge  ein,  welche  jetzt  durch 


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Chronik  der  Berliner  Schütxengilde. 


37 


die  Häuser  48 — 79  bezeichnet  wird.  Hinter  dem  Grundstück  Cöpe- 
nicker  Strasse  48  begann  also  der  damalige  Cöllnische  Schützenplatz. 

Als  der  Kurfürst  1651  behufs  Wiedererrichtung  der  Gilde  den 
Ausschank  von  Berlinischem  und  Bernauischem  Bier  im  Schützen- 
hause steuerfrei  zugestand,  protestierten  die  Magistrate  beider  Städte 
dagegen  beim  Geh.  Kurf.  Rath  mit  der  Begründung:  „da  die  Räthe 
beider  Städte  im  Jahre  1645  in  Betrachtung  ihrer  treuen  Dienste, 
auch  zu  Abtragung  ihrer  Schulden,  Konservation  der  Stadtgebäude 
und  Unterhaltung  der  Kirchen  und  Schulen,  ein  Privilegium  er- 
halten hatten,  allerhand  inländische  und  fremde  Biere  einzulegen  p.p." 

Der  Geheime  Rat  windet  sich  aus  der  Verlegenheit  durch  die 
Erklärung :  „es  müsse  zwar  bei  der  Kurfürstlichen  Concession  bleiben, 
doch  solle  der  Rath  darauf  sehen,  dass  der  Ausschank  von  Bieren 
nur  zum  Nutzen  der  Schützengilde  und  nicht  darüber  hinaus  geschehe." 

1653  erfolgt  durch  eine  Kundgebung  des  Rats  zu  Cölln  die  Wieder- 
aufrichtung der  Schützengilde,  weil  sie  „fast  an  ftO  Jahre  kein 
Schiessen  gehalten,  sondern  vielmehr  gar  erloschen  gewesen,"  „jetzt 
aber,  da  der  liebe  Gott  den  lieben  Frieden  im  Lande  bescheeret, 
etzliche  unsererBürger  öffter  bei  uns  Ansuchung  gethan,  wir  möchten 
wiederum  nach  dem  Exempel  unserer  Vorfahren  solche  Schützen- 
gilde, welche  allezeit  des  Raths  Gilde  gewesen,  anrichten  und  ge- 
wisse Innungs- Artikel  aufsetzen  und  zur  Bestätigung  Sr.  Kurf.Durchl. 
übergeben,  so  haben  wir  auch  endlich  gedachten  Bürgern  hierin 
billig  gefüget,  die  alten  Statuta  mit  ihnen  verlesen,  dasjenige,  was 
practica  bei  gewesen,  daraus  genommen,  was  sich  aber  nicht  thun 
lassen,  noch  beliebig  gewesen,  übergangen,  insonderheit  aber,  weil 
die  alten  Artikel  auf  ein  Schiessen  in  die  Höhe  nach  dem 
Vogel  eingerichtet  gewesen,  solches  aber  wenigen  Nutzen  hat, 
selbige  auf  ein  Scheibensehiessen  gerichtet  p.p.  Nachdem  auch 
hiebevorder  silberne  Schützenvogel  oder  Schützenkette  ver- 
kauft und  in  des  Raths  Nutzen  angewendet  worden,  wir  aber  be- 
funden, dass  die  jetzo  aufs  Neue  eingerichtete  Schützengilde  wohl 
nothwendig  werde  auf  dem,  hinter  dem  Holzmarkt  angewiesenen 
Platze  ein  Schützenhäuselein  bauen  müssen,  so  wollen  wir  auch  zur 
Erbauung  solchen  Häuseleins  so  viel,  als  vor  solchen  Schützen- 
vogel und  Schützenkette  gehoben  worden,  an  Materialien  her- 
geben und  also  solches  vor  obgedachter  Kette  gehobene  Geld  der 
Gilde  zu  Nutze  kommen  lassen." 

Folgen  die  neuen  Satzungen  in  28  Paragraphen. 
Die  Bestätigung  seitens  des  Kurfürsten  erfolgt  am  6.  Februar  1654. 

Von  allen  Gegenständen,  welche  die  Berliner  und  Cöllnische 
Schützengilde  bis  zu  dieser  Zeit  besessen,  ist  nur  noch  eine  Er- 


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Rudolph  Rudi  hol 


innerung  in  Form  der  Abdrücke  ihrer  Siegelstempel  übrig 
geblieben.  Wir  geben  hierbei  eine  ^njv^ 
Abbildung  mit  dem  Bemerken,  dass 
der  Berlinische  mit  der  Jahreszahl 
seiner  Anfertigung,  1654,  versehen  ist, 
der  Cöllnische  aber  nach  seiner  Form 
wohl  50  Jahre  älter  zu  sein  scheint. 
Beide  Siegel  sind  auch  deshalb  interessant,  weil  sie  eine  Vor- 
stellung der  Schützentracht  der  betreffenden  Zeit  bieten. 

lb'55  hat  General-Feldzeugmeister  O.  Chr.  von  Sparr  den  Kurfürsten  beim 
Scheibenschiessen  der  Cöllner  Gilde  vertreten  und  den  Preis  im 
Stechen  gewonnen.  Der  Kurfürst  bewilligt  ihm  deshalb  alle  dem 
Schützenkönig  zustehenden  Freiheiten  auf  das  Jahr,  insbesondere 
Befreiung  von  Sehoss  und  Contribution  und  8  freie  Brauen. 

1055.  Die  Klage  des  Kate  zu  Berlin  gegen  die  Schützengilde  wegen 
des  Bierschanks  wird  entschieden. 

1057  stellt  der  Kurfürstliche  Rat  dem  Kurfürsten  vor,  dass  er  wegen 
Vertretung  Sr.  Kurf.  Gnaden  beim  Scheibenschiessen  der  Cöllnischen 
Schützengilde  durch  Oberförster  v.  Brandt  und  „dass  die  Schützen 
zween  Schüsse  aus  Köhren  und  soviel  aus  Mousqueten  thuen"  dem 
Befehl  Sr.  Kurf.  Gn.  nachkommen  werde,  „erinnere  aber  unter- 
thäuigst,  dass  die  hiesige  Bürgerschaft  mit  den  Mousqueten  zu 
schiessen,  möchte  geübet  werden,  die  Schützengilde  aber  in  gar 
wenig  Personen  bestehet,  dass  E.  Kurf.  Gn.  solche  ihre  intention 
schwerlich  erreichen  möchten;  also  hielten  wir  unvorgreiflich  dafür, 
dass  alle  Wochen  oder  Monat  allemal  etwa  ein  halb  Viertel  der 
Bürgerschaft  mit  Mousqueten  exerciret  und  ihnen  aus  der  Contri- 
bution einige  geringe  Geschenke,  denjenigen,  so  sich  am  besten 
hielten,  zu  verreichen,  möchten  aufgesetzct  werden  p.  p.u 

1057  befiehlt  der  Kurfürst  aus  Königsberg  her  dem  Geheimen  Rat,  die 
klagende  Schützengilde  in  Berlin  wegen  der  ihr  zustehenden 
8  Freibrauen,  die  man  ihr  kürzen  will,  in  ihren  Privilegien  zu 
schützen. 

1059.  Feldlager  bei  Insel  Famo  gegen  Fünen,  19.  Juni.  Bei  dem  am 
27.  Juni  anzustellenden  Scheibenschiessen  will  der  Kurfürst  durch 
Geh.  Rat  von  der  Gröben  vertreten  sein;  für  die  beiden  Prinzen 
soll  Oberförster  Braudt  schiessen. 

Feldlager  bei  Middelfahrt,  19.  Juli.  Statthalter  Graf  Dohna  soll 
den  Kurfürsten  bei  dem  am  1.  Aug.  stattfindenden  Königschiessen 
vertreten,  auch  die  Prinzen  cominittiren. 


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oogle  1 


Chronik  der  Berliner  Schötzengilde. 


39 


lttol).  Die  Schützen  zu  Cölln  bitten  um  Ertheilung  eines  Schutzbriefes 
für  ihren  neu  erworbenen  Schützengarten  am  Tempelhofer  Wege 
(Lindenstrasse),  welchen  sie  von  Nicolaus  Idler  gekauft  haben. 
Der  alte  Garten  war  nicht  gut  gelegen,  deun  „was  im  Sommer 
mit.  vieler  Mühe  und  Unkosten  erbaut  ward,  ist  immer  im  Winter 
gestohlen  worden.  Der  jetzige  Garten  ist  mit  vielen  und  schönen 
Obstbäumen  bestanden,  unter  deren  Schatten  im  Sommer  ehrliche 
Leute  sitzen  können,  allein  inuthwillige  Gäste  und  junge  Hand- 
werksbursche brechen  Aeste  von  den  Bäumen  p.  p.  und  wollen 
Kurfürstliche  Gnadeu  im  Schutzbrief  eine  gebührende  Strafe  an- 
setzen." 

Ordre  des  Kurfürsten  aus  Viborg,  30.  März:  da  die  Schützen 
zu  Cölln  gebeten  haben,  dass  ihnen  ein  Schiessstand  gebaut  werde, 
so  wird  der  Ingenieur  Memhardt  beauftragt,  einen  Riss  dazu  ein- 
zusenden. 

Die  Cöllnischen  Schützenbrüder  beschweren  sich  beim  Kurfürsten, 
dass  von  ihrem  Schützenplatz  Contribution  gefordert  wird  und 
Gildemeister,  auch  Schützenkrüger  deshalb  schon  ausgepfändet  sind. 
Die  Berliner  Schützen  geben  aber  von  ihrem  Schützenplatz  nichts. 

Der  Kurfürst  behehlt  darauf,  dass  die  Schützen  in  Cölln  gleich 
denen  zu  Berlin  wegen  ihres  Schützenplatzes  privilegirt  werden 
sollen. 

Die  Cöllnische  Schützengilde  erbittet  vom  Kurfürsten  die  Be- 
stätigung der  alten  Privilegien  von  Kurf.  Joachim  II,  1558,  welche 
sich  jetzt  wieder  gefunden  hätten.  Die  Berlinische  Schützengilde 
hätte  nach  den  alten  Privilegien  mehr  Steuerfreiheiten  für  ihren 
König  und  sie  möchten  doch  jenen  gleichgestellt  sein. 

Der  Kurfürst  befiehlt,  d.  d.  Feldlager  bei  Friedrichsort,  d.  27. Mai 
ir>5(.l,  dem  Geheimen  Rat,  dass  der  Cöllnischen  Schützengilde  ein 
neues  Privilegium  in  derselben  Form,  wie  das  der  berlinischen  Gilde, 
ausgefertigt  werde,  auch  soll  dabei  das  Schiessen  nach  dem 
Vogel  mit  der  Armbrust  gänzlich  aufgehoben  sein,  weil 
solches  von  vielen  Jahren  her  nicht  den  geringsten  Nutzen,  sondern 
nur  unnötige  Spesen  und  Kosten  den  Gildebrüdern  verursacht  hat; 
dagegen  sollen  sie  auf  gewöhnliche  Zeit  mit  Büchsen  und  Feuer- 
röhren nach  der  Scheibe  schiessen.  Dann  soll  der,  welcher  ge- 
winnt und  ihrer  Gewohnheit  nach  König  genannt  wird,  das  .lahr 
über  8  Brauen  Bier  frei  von  alter  und  neuer  Bierziese  brauen 
können,  auch  frei  von  allen  Steuern,  Schüssen  und  anderen  Un- 
pflichten  sein;  der  Ausschank  von  einheimischein  und  Bernauischem 
Bier  im  Schützenhause  ausserhalb  der  Stadt  soll  ungehindert  und 
Ziese  frei  vor  sich  gehen  und  endlich  soll  das  jährliche  Schiessen 
bei  Strafe  der  Entziehung  dieser  Freiheiten  nicht  unterlassen  werden. 


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40 


Rudolph  Buchholz: 


Das  hiernach  aasgefertigte  Privilegium  vollzog  der  Kurfürst 
d.  d.  Cölln  d.  6.  Juni  1660. 

1661  bestimmt  Kurfürst  aus  Cleve,  13.  Sept.,  dass  den  Schätzenkönigen 
„für  alle  erlangten  Freiheiten  200  Thaler  aus  der  Con- 
tribution,  zur  Abstattung  der  Collation  so  der  König  geben  muss» 
gereichet  werden  sollen."  Die  Geheim  -Räte  sind  zweifelhaft,  ob 
die  200  Thaler  alle  anderen  Einolmnente  des  Schützenkönigs  aus- 
seid iessen  und  die  Räte  von  Berlin  und  Cölln  bringen  deshalb  die 
200  Thaler  an  jeden  der  beiden  Könige  nicht  zur  Zahlung.  Der  Kur- 
fürst entscheidet  zwar  unterm  4.  Dezbr.,  dass  neben  den  200  Thalern 
auch  noch  die  anderen,  jedoch  nicht  veräusserlichen ,  Freiheiten 
gewährt  werden  sollen,  der  Geheime  Rat  macht  indes  dagegen 
erhebliche  Bedenken  geltend  und  am  27.  Sept.  1662  verfügt  der 
Kurfürst  aus  Colberg,  dass  nur  die  200  Thaler  zu  zahlen  sind, 
alle  anderen  Emolumente  fortfallen  sollen. 

1 60«t  entscheidet  der  Geheime  Rat,  dass  die  Schützenkönige,  entsprechend 
den  Privilegien,  zwar  die  Freiheit  von  Schoss,  Einquartierung,  Zoll, 
Licent  und  Brauen,  sowie  von  der  Contribution,  für  ihre  Person 
haben  sollen,  dass  sie  aber  die  letztere  Freiheit  nicht  cediren  dürfen, 
wohl  aber  dafür  aas  der  Contributionskasse  200  Thaler  zu  erhalten 
befugt  sein  sollen. 

1664.  Magistrat  und  Vertreter  der  Schützengilde  beider  Städte  werden 
wegen  der  von  den  Magistraten  seit  2  Jahren  immer  noch  nicht 
zur  Auszahlung  gebrachten  200  Thaler  zum  Verhör  in  der  Geheim 
Rats  Stube  am  27.  Octbr.  um  2  Uhr  bestellt. 

Die  Magistate  weigern  sich  zu  zahlen,  weil  solche  hauptsächlich 
von  der  Armut  aufgebrachte  Gelder  nicht  zu  solchen  Zwecken 
verschleudert  werden  können  und  beantragen,  die  Sache  dem 
Kammergericht  zu  übergebeu. 

Der  Kurfürst  ernennt  am  15.  Febr.  1664  den  Geh.  Rat  v.  Hover- 
beck  und  v.  Jena  zu  Commissarien  in  diesem  Streit. 

Im  Märkischen  Provinzial- Museum  befindet  sich  ein  grosser, 
:160  Gramm  schwerer  silberner  Becher,  in  dessen  Boden  die  In- 
schrift eingraviert  ist:  „Sambtliche  Schützen  in  Berlin  1664." 

Dieser  Becher  wurde  im  Jahre  1895  beim  Bau  des  National- 
Denkmals  für  Kaiser  Wilhelm  I  im  Spreegrunde  hinter  der  abge- 
brochenen Schlossfreiheit  gefunden.  Er  muss  wohl  1664  den 
Schützen  geschenkt,  später  aber  veruntreut  oder  beseitigt  worden 
sein.  In  irgend  einem  Inventarien- Verzeichnis  der  Gilde  kommt 
ein  solcher  Becher  nicht  vor. 

1666  berichten  die  Räte  beider  Städte  an  den  Kurfürsten: 

„Schon  wieder  sind  die  Schützenbrüder  mit  Forderungen  auf- 


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Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 


41 


getreten,  die  man  ihnen  nicht  gewähren  kann  nnd  will.  Nicht 
allein,  dass  denselben  die  im  Privilegium  genannten  Freiheiten 
gelassen  sind,  wollen  sie  aus  den  Contributionsgeldern  noch 
200  Thaler  haben.  Das  wage  man  zu  fordern ,  es  sei  gegen  Recht 
und  Gottes  Gebot,  dies  Geld,  was  durch  die  armen  Bürger  auf- 
gebracht wurde,  hierzu  hinzugeben,  noch  dazu,  dass  ein  jetziger 
Schützenkönig  nicht  mehr  Auslagen  habe,  als  die  früheren.  Aber 
es  seien  mehrere  Personen,  die  ihr  Gewerbe  vernachlässigen  und 
sich  nur  im  Schiessen  üben,  um  von  den  ßeneficien,  die  sie  durch 
ihre  Fertigkeit  unausbleiblich  erlangen  müssten,  zu  leben." 

Der  Kurfürst  ist  mit  dem  Bericht  der  Räte  einverstanden,  da 
die  prämiirten  Schützen  schon  für  ihre  Person  contributions-  und 
schossfrei  sind. 

1666  hat  Oberstlieutenant  von  Sclilaberndorff  den  Kurfürsten  beim  Cöllni- 
schen Königschiessen  vertreten  und  den  besten  Schuss  gethan.  Der 
nächstbeste  war  auch  kein  Schützenbruder,  Artillerie -Corporal 
Grossmann.  Die  Gilde  zeigt  dem  Kurfürsten  an,  dass  sie  „Ew. 
Kurf.  Gn.  die  Königswürde  von  Rechts  wegen  zuerkannt  und  den 
von  Schlaberndorff,  als  Ew.  Kurf.  Hohe  Person  repräsentirende,  in  der 
weiland  Herzogin  von  Schöningen  Behausung  begleitet  und  mit  einem 
Trunk  bewirthet  habe".  Die  Gilde  bittet,  das  Königs  Prämium  dem 
Grossmann  zuwenden  zu  wollen,  der  „Ew.  Kurf.  Durchl.  viel  Jahre 
Dienste  geleistet,  auch  vor  dem  über  1000  Thaler  contribuiret  hat." 
Der  p.  „v.  Schlaberndorff  rühmet  die  unterthänigste  affection  und 
desfalls  verspürte  Freude  der  Sch.  G.  sehr  hoch,  nicht  zweifelnde, 
Ew.  Kurf.  Durchlaucht  dieses  ihr  zerrüttetes  Schützenwesen  mit 
dero  Autorität  wieder  aufrichten,  sie  bei  ihrem  Privilegio  und  so 
nützlichem  Exercitio  dem  gemeinen  Wesen  zum  Besten  gnädigst 
schützen,  auch  sie  mit  einem  Schildlein,  der  Gewohnheit  nach,  an 
der  güldenen  Schützenkette  begnaden  werden  p.  p."  Der  Kurfürst 
bewilligt  alles  d.  d.  Cleve,  3.  Juli  1666. 

1667.  20.  Mai.  Die  Cöllner  Schützengilde  ladet  den  Kurfürsten  auf  den 
28.  Mai  mittags  2  Uhr  zum  Königschiessen  ein,  zeigt  auch  an,  dass 
der  Schützenkönig,  Oberst  Lieutenant  von  Sclilaberndorff  jetzt  ver- 
reiset sei,  bei  dem  bevorstehenden  Schiessen  demnach  die  Schützen- 
kette keinen  Träger  haben  wird  und  bittet  um  Ernennung  eines 
Vertreters  und  um  Bewilligung  eines  Freischiessens  mit  Andenken 
für  die  Königskette. 

1667.  Juli.  Die  Gilde  kommt  beim  Kurfürsten  ein,  ihrem  gewordenen 
Schützenkönig  Hans  Grosse  das  Recht  zur  steuerfreien  Einlage  und 
Ausschank  von  Bier  und  Wein  zu  gewähren.  Dekret:  „Dem  Schützen- 
könig stehet  frei,  Wein  und  Bier  einzulegen  und  auszuschenken,  jedoch 
gegen  Erlegung  der  gewöhnlichen  Onera,  davon  niemaudt  befreiet  ist." 


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42  Rudolph  Buchhoh: 

1667.  12.  Juli.  Sämtliche  Gildemeister  und  Brüder  der  Residenz  und 
Veste  Berlin  laden  den  gesamten  Kurfürstlichen  Geheimen  Rat 
zum  Königschiessen  am  12.  Aug.  Mittags  12  Uhr  in  das  Schützen- 
haus ein. 

1068.  28.  April.  Kurfürst  bestimmt,  dass  von  jetzt  ab  jedem  der  Schützen- 
könige von  Berlin  und  Cölln,  wie  dies  auch  in  vielon  anderen 
Städten  eingeführt  sei,  50  Thaler  aus  der  Accise-Kasse  gereicht 
werden  sollen. 

1668.  Iß.  Juli.  Kurfürst  befiehlt,  dass  an  Stelle  des  Kurprinzen,  für 
welchen  in  Berlin  der  beste  Schuss  gethan  wurde,  die  Kaufleute 
Westorff  und  Brüning  die  Rechte  des  Schützenkönigs  erhalten  sollen, 
weil  sie  die  nächstbesten  Treffer  beim  Stechschiessen  gehabt  haben. 
Jeder  soll  aus  der  Aceisekasse  die  Hälfte,  also  25  Thaler  erhalten. 

1669.  11.  Juni.  Schützengilde  von  Berlin  ladet  den  Kurfürsten,  Prinz 
Phil.  Wilhelm,  Prinz  Friedrich  und  Prinz  Carl  Emil  auf  den  28.  Juni 
zum  ersten  Haupt-  oder  sogenannten  Ochseusehiessen  ein  und  bittet, 
event.  Stellvertreter  zu  ernennen. 

1669.  23.  Juni.  Zu  Stellvertretern  weiden  ernannt: 

1.  Oberstlieutenant  von  der  Guarde  zu  Fuss  von  Schlabemdorf. 

2.  Oberförster  von  Brandt. 

3.  Jagdjunker  von  Zetwitz. 

1669.  6.  Aug.  Gleiche  Einladung  derselben  Gilde  zu  ihrem  Königschiessen 
am  24.  August. 

1669.  7.  Mai.  Gilde  zu  Cölln  ladet  den  Kurfürsten  und  die  Prinzen  zum 
Königschiessen  am  3.  Plingstfeiertag  ein. 

1669.  13.  Mai.  d  d.  Königsberg  Preussen.  Her  Statthalter  hat  Ob.-Lieut. 
v.  Schlabivndorf,  Oberf.  v.  Brandt  und  Jagdjunker  v.  Zetwitz  mit 
der  Vertretung  beim  Königschiessen  in  (.'öl In  zu  beauftragen. 

1671.  Potsdam,  23.  Mai.  Auf  Einladung  der  Schützengilde  zu  Cölln  zum 
Königschiessen  soll  „ein  Minister,  der  solches  verrichten  kann" 
den  Kurfürsten  vertreten. 

Die  Einladungeu  seitens  beider  Gilden  wiederholen  sich  fast  jähr- 
lich und  werden  daher  hier  nicht  mehr  aufgeführt. 

1672.  Kurf.  Decret  auf  ein  Gesuch  der  Berliner  Schützengilde:  „wenn 
es  sieh  gebetener  Massen  verhält,  soll  die  Amtskammer  die  ge- 
wöhnlichen 20  Thaler  au  die  Gilde  bezahlen. 

1675.  Kurfürst  gestattet  die  Abhaltung  des  Königschiessens  beider  Gilden 

und  wird  für  Seine  Vertretung  dabei  sorgen. 
1677.  Oberst  von  Versen  wird  mit  der  Vertretung  des  Kurfürsten  und 

seiner  Gemahlin  beim  Königschiessen  in  Berlin  beauftragt. 
1677.  10.  Juli.  Die  Schützengilden  in  Berlin  und  Cölln  an  den  Kurfürsten: 

„Ew.  Kurf.  Durchl.  können  wir,  nebst  Wünschung  Glückes  und 

Sieges  wider  dero  Feinde  und  erlangenden  edlen  Frieden  hiermit 


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Chronik  der  Berliner  SchAtzengilde.  43 
• 

in  tiefster  Unterthänigkeit  nicht  verhalten,  welchergestalt  das  Exer- 
citium  armorum  bei  diesen  beiden  Residentz  und  Vesten  dergestalt 
zu  Grunde  gehet,  dass  sehr  wenig  sein,  die  in  solchem  löblichen 
Exercitio  sich  üben  und  also  sehr  unerfahren  und  die  meisten 
Bürger  sein,  die  kein  Gewehr  im  Schiessen  zu  gebrauchen  wissen, 
welches  leider  bei  jüngster  Invasion  der  Schweden,  da  man  sich 
wider  sie  hier  in  Positur  setzen  wollen,  der  Augenschein  genugsam 
bewiesen. 

Nun  rühret  solche  Unlust  bei  der  Bürgerschaft  daher,  dass  sie 
sehen,  wie  schlecht  und  geringe  das  Schützenwesen  geachtet  wird, 
indem  weder  fast  mehr  ein  Schiessen,  noch  der  Gilde  Gerechtigkeit 
erhalten  werden  kann ;  denn  ehemals  der,  so  das  Königsrecht  er- 
halten, dasselbe  wegen  der  Contributionsfreiheit  und  anderen  Zu- 
lagen gar  wohl  genossen,  dagegen  jetzo  weder  der  König  noch  die 
Gilden  fast  nichts  gemessen,  denn  neben  des  Königs  Freiheiten  von 
Contribution  hat  er  die  freie  Ziese  bei  der  Landschaft,  freie  Zölle 
und  dergl.  genossen,  jetzo  dagegen  geneusst  der  König  nicht  mehr, 
denn  das  Schoss,  die  Einquartierung  und  etwas  vom  Quartal-Geld, 
und  ob  zwar,  nachdem  Ew.  Kurf.  Dorchl.  gnädigst  die  accise  all- 
hier  introduciren  lassen,  davon  niemand  befreiet  sein  soll,  Ew. 
Kurf.  Dorchl.  gnädigst  verordnet,  dass  dem  Könige  aus  der  Con- 
tribution (jetzt  accise  Cassa)  jährlich  200  Thaler  gereichet  werden 
sollen,  weshalb  unterschiedliche  und  zum  Theil  scharfe  Verordnungen, 
als  am  22.  Juni  1658,  14.  Dezbr.  1661,  25.  Febr.  1662,  18.  März  1662 
und  14.  April  1662,  erfolget,  so  widersetzet  sich  doch  die  übrige 
Bürgerschaft  und  haben  unsere  Magistrate  uns  darin  niemals  die 
Hand  geboten,  also  dass  nun  in  vielen  Jahren  keiner,  dem  das 
Königsrecht  zugefallen,  was  genossen,  die  sämmtliche  Gildebrüder 
auch  zu  Erhaltung  der  Werke  die  übrige  Freibrauziesen  nicht  er- 
langen, sondern  noch  der  Landschaft  das  Einlegegeld,  und  der 
Accise  Cassa,  obgleich  ihre  Krüge  vor  der  Stadt  liegen,  ebenso  als 
die  Schenken  in  der  Stadt,  die  accise  baar  erlegen  müssen.  Wenn 
nun  gleichwohl  im  ganzen  Römischen  Reich  viel  auf  dieses  exer- 
citium  gehalten  und  spendiret  wird,  unsere  eigene  Nachbarn  in 
Cüstrin,  Frankfurt,  auch  geringen  Städten,  Ihr  gewisses  und  rich- 
tiges Einkommen  haben,  wir  auch  insonderheit  von  Ew.  Kurf. 
Durchl.  Hochlöbl.  H.  H.  Vorfahren  sowohl  als  von  Ew.  Kurf.  Durchl. 
Selbst  sehr  gnädigst  und  wohl  privilegiret  sein,  daher  auch  solche 
Gnade  beizubehalten  uns  angelegen  sein  lassen  müssen,  so  gelanget 
an  Ew.  Kurf.  Durchl.  unser  unterthänigstes  Bitten,  Sie  wollen  gnädigst 
geruhen,  uns  in  dero  gnädigsten  Schutz  zu  nehmen  und  eine  solche 
Verordnung  zu  machen,  dass  entweder  der  König  jährlich  der  accise 
von  allem  seinem  Thun  befreiet  sein  solle,  oder  dass  ihm  nebst 


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44  Rudolph  Buchholx: 

dem  Schoss,  Einquartierung  u.  dg],  die  verordnete  20Ö  Thaler  als 
ein  gewisses  Einkommen  gereichet,  auch  aus  der  Landschaft  die 
Freibrauziesen  gegeben  werden  sollen,  womit  denn  der  vornehme 
als  arme  Bürger,  wen  es  betrifft,  zu  vergnügen. 

Was  sonsten  wegen  Exercirung  der  jungen  Bürgerschaft  aus 
allen  Gewerken  wohl  nöthig  wäre,  stellen  wir  Ew.  Kurf.  Durchl. 
zur  gnädigsten  Verordnung." 

Die  Geh.  Räte  überreichen  dieses  Gesuch  unterm  17.  Juli  be- 
fürwortend dem  Kurfürsten,  am  3.  August  erinnern  sie  an  dessen 
Resolution,  „damit  man  den  unaufhörlich  ansuchenden  Schützen- 
gilden die  Antwort  ertheilen  könne",  und  am  10.  August  schreibt 
der  Kurfürst  aus  dem  Feldlager  vor  Stettin,  man  soll  die  Sache 
bis  zu  seiner  baldigen  Rückkehr  beruhen  lassen,  „da  wir  dann 
desfalls  eine  beständige  Verordnung  machen  wollen. u 
1(578  richten  die  Gildemeister  und  Schützeubrüder  beider  Städte  eine 
Klage  au  den  Kurfürsten  gegen  die  Räte  von  Berlin  und  Cölln: 
„ob  wohl  Ew.  Kurf.  Durchl.  H>(>2,  auch  sonsten  mehrmals,  aller- 
gnädigst  verordnet,  dass  dem  Schützenkönig  200  Thaler  jährlich 
gegeben  werden  sollen,  so  ist  doch  bis  dato  nicht  das  ge- 
ringste  erfolget  und  hat  die  löbl.  Landschaft  auch  viel  Jahr 
her  die  gewöhnliche  Freybrau-Ziesen  nicht  gereichet,  vorgebend, 
Ew.  Kurf.  Gnaden  hätten  alle  Freybrau  Ziesen  abgethan  p.  p. 
Und  ist  uns  vom  Rath  in  Berlin  lange  Zeit  her  weder  die  jähr- 
liche 10  Gulden  zum  Ochsenschiesen,  noch  die  Hosentücher  ge- 
geben worden,  obgleich  wir  Cöllnische  solche  empfangen  p.  p. 
Das  Schützenwesen  in  diesen  Residenten  liegt  so  gar  darnieder, 
dass  wenig  Bürger  sein,  die  solches  noch  beibehalten,  weil  alle 
beneficia  uns  entzogen  sein  und  wir  nicht  mehr  unsere  Schützen- 
häuser und  Plätze  erhalten  können,  sondern  solche  bereits  ver- 
schulden müssen.    Diese  und  andere  Mängel  haben  dieses  löb- 
liche Exercitium  bei  so  vornehmen  Residenten  gar  dahin  gebracht, 
dass  sie  von  dem  geringsten  Städtchen  im  Römischen  Reich  be- 
schämet sein.    Ew.  Kurf.  Durchlaucht  wollen  allergnädigst  ge- 
ruhen, nunmehr  solche  Verordnung  zu  machen,  dass  dem  Schützen- 
könig jährlich  ein  Gewisses  zur  Ergötzlichkeit  gegeben  und  der 
Gülde,  jechlicher,  die  8  Freibrauziesen,  nebst  der  freien  Einlage 
des  wenigen  Bierschanks,  wovon  die  Häuser  erhalten  werdeu 
sollen,  gereichet  auch  von  E.  K.  Raht  conteniret  und  unfehlbar 
alles  gelassen  werden  möge." 
Der  Kurfürst  gab  die  Sache  den  beiden  Räten  mit  dem  Befehl: 
„weilen  der  gantzen  Stadt  und  deren  Einwohnern  daran  gelegen, 
„dass  das  Exercitium  des  Schiessens  beibehalten  werde,  zu 
»überlegen,  wie  dem  Schützenkönig  eine  Ergötzlieh keit  deshalb 


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Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 


45 


„wiederfauren  möge,  weil  aus  der  Kriegskasse  wegen  überhäuftet' 
„Ausgaben  nichts  gegeben  werden  kann." 

1079.  6.  Juli.  Potsdam.  Befehl:  Die  Geheimen  Käthe  sollen  bestimmen, 
wer  zum  7.  Juli  die  Stelle  des  Kurfürsten  beim  Schiessen  in  Berlin 
vertreten  soll,  um  deshalb  vom  Schloss  nach  dem  Schützenplatz 
abgeholt  zu  werden.  Der  Kurfürst  war  nämlich  1678  durch  den 
besten  Schuss  seines  Vertreters  Schützenkönig  in  Berlin  geworden. 

1681  bitten  die  Gilden  von  Berlin  und  Cölln  um  Confinnation  der  neu- 
aufgesetzten Privilegien  und  namentlich  um  Vermehrung  der  Ein- 
künfte des  Schützenkönigs. 

Der  Bescheid  lautet  ablehnend. 

Aus  dieser  Zeit  datieren  2  noch  heute  im  Besitz  der  Gilde  be- 
findliche kleine  Bronce-Kanonen  mit  Räderlafette,  auf  welchen  sich 

ein  Wappen  (3  Hüft-  • 
hörner)  befindet. 

Es  ist  nicht  zu 
ermitteln,  aufweiche 
Weise  sie  in  den  Besitz  der  Gilde  gelangt  sind.  Eine  dritte,  eben- 
falls noch  vorhandene  Kanone,  ist  jenen  beiden  nachgegossen. 
Diese  3  Kanonen  waren  am  Nachmittag  des  18.  März  1848  auf 
unaufgeklärte  Weise  nach  der  auf  dein  Alexanderplatz  errichteten 
Barrikade  geschafft  worden,  wo  sie  mit  solcher  Wirkung  verwendet 
wurdeu,  dass  diese  Barrikade  bis  zum  nächsten  Tage,  also  am 
längsten  von  allen  auderen,  gehalten  werden  konnte. 

1682  denuncirte  die  Berliner  Schützengilde  ihr  Mitglied,  den  Job.  Moenigke 
beim  Rat  wegen  störenden  Betragens.  Er  habe  „sich  gegen  die 
Einführung  des  Kurfürstlicheu  Büchsen  Wärter  Job.  Schultze  unge- 
bührlich aufgelehnt  und  als  es  gegen  seine  Opposition  dennoch 
geschah,  habe  er  geschimpft,  das  wären  Schelme,  Diebe,  Fress- 
und  Sauf-Schützen;  er  würde  ein  Gericht  Krebse  und  Wurst  zum 
Besten  geben,  wenn  wir  mit  ihm  gingen.  Darauf  ist  er  zu  die 
Kunstpfeifer  gelaufen,  er  hielte  sie  vor  Schelme,  Hunde  u.  dgl. 
Dieses  und  viel  mehr  Tobens  so  man  nicht  alles  verzehlen  kann, 
welches  uns  Bedenken  machte,  dass  Mord  und  Todschlag  daraus 
entstehen  kann,  veranlasste  uns,  in  der  Stille  auseinander  und  nach 
Hause  zu  gehen  und  E.  Edlen  Rath  zu  bitten,  solchen,  von  Joh. 
Moenigke  uns  in  nnserm  Schützenhause  zugefügten  grossen  Schimpf 
und  Unfug  zu  ahnden  und  dermassen  abzustrafen,  dass  hinfüro 
andere  sich  scheuen,  wider  Kurf.  Abscheid,  Privilegium  und  Frei- 
heit des  Schützenhauses  sich  zu  setzen." 

1683  wird  Oberst  Wrangel  zur  Vertretung  des  Kurfürsten  beim  Cöllner 
Königschiessen  am  30.  Mai  und  beim  Berliner  am  30.  Juli  befohlen. 


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46  Rudolph  Buchhol«: 

1683.  Potsdam,  12.  Juli.  Der  Schützengilde  wird  trotz  der  eingefallenen 
Trauer  gestattet,  auf  bevorstehenden  Jacobi  das  gewöhnliche  König- 
schiessen abzuhalten,  aber  auch  dahin  zu  sehen,  dass  alles  in  Ehr- 
barkeit zugehe. 

1684  entsteht  ein  Streit  wegen  zu  geringer  Pacht  des  Schützenkrügers, 
der  vor  den  Kurfürsten  zur  Entscheidung  gebracht  wird. 

1684.  Dem  Kammergerichtsrat  von  Berchem  wird  trotz  des  Protestes  der 
Berliner  Schützengilde  vom  Kurfürsten  gestattet,  die  ihm  gegebene 
Stelle  am  Schützenplatz  zu  bebauen. 

Auf  eine  erneuerte  Vorstellung  entscheidet  der  Kurfürst,  die 
Gilde  soll  sich  an  den  Magistrat  wenden  und  wenn  sie  beweisen 
kann,  dass  der  Platz  ilir  Eigentum  ist,  soll  ihr  nach  Kecht  und 
Billigkeit  Schadenersatz  geleistet  werden. 

1687  bestimmt  der  grosse  Kurfürst,  „dass  die  Hofbedienten,  wenn  sie 
den  besten  Schuss  haben,  zum  Königsrecht  admittiret  werden,  gleich 
anderen  eingekauften  Schützenbrüdern. " 

1688.  Der  Kurfürstliche  Lelms  Canzlist  Kaisen  hatte  beim  Königschiessen 
in  Berlin  durch  einen  Vertreter  den  besten  Schuss.  Die  Gilde  und 
auch  Magistrat  wollten  ihm  als  Nichtin itglied  die  Königsprämie 
nicht  zukommen  lassen,  sondern  dem  nächstbesten  Schützenbruder. 
Der  Kurfürst  entschied,  dass  jeder  die  Hälfte  der  200  Thaler  haben 
solle,  veränderte  jedoch  1689  diese  Entscheidung  auf  Vorstellen  des 
Magistrats  dahin,  dass  Katsch  nichts  erhalten  solle,  weil  er  nicht 
selbst  geschossen  habe  und  das  Recht  der  Vertretung  sich  nur  auf 
fürstliche  Personen  und  ganze  Ooilegia  beziehe.  Auf  nochmalige 
Vorstellung  des  Katsch  werden  demselben  jedoch  100  Thaler  be- 
willigt, weil  die  Gilde  mit  dessen  Vertretung  durch  einen  Schützen 
einverstanden  gewesen  war. 

1688.  Ein  Gesuch  der  Berliner  Schützengilde  um  Bewilligung  zur  Ab- 
haltung eines  zweiten  Königschiessens  im  Oktober  wird  abgeschlagen. 

1688.  Kurfürstlicher  Befehl,  dass  die  Schützengilde  vorgeschlagener 
Massen  eine  hohe  Mauer  auf  dem  Schiessplatz  ziehen  lasse,  um 
den  Neuanbauenden  Sicherheit  zu  verschaffen. 

1689.  Kurfürst  befiehlt  dem  Geheimen  Rat,  dass  jedem  Schützenkönige 
zu  Berlin  und  Cölln  jedesmal  200  Thaler  aus  der  Accise  Kasse 
eines  for  alles  gezahlt  und  damit  jährlich  continuiret  werde. 

1690  beschwert  sich  die  Gilde  beim  Kurfürsten:  „Ew.  Kurf.  Durchlaucht 
müssen  wir  p.  p.  gehorsamst  vortragen,  wasgestalt  dero  durch- 
lauchtigste Hohe  Vorfahren  der  hiesigen  Bürgerschaft  gnädigst 
coueediret,  sich  im  Schiessen  zu  exerciren,  damit  sie,  wenn  etwa 
diese  kurf.  Residenz  feindlich  augegriffen  werden  sollte,  dieselbe 
desto  besser  defendiren  zu  helfen  kapabel  sein  möchte,  zu  welchem 


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Chronik  der  Berliner  Schütxengüde. 


47 


Eude  die  Schützengilde  aufgerichtet,  wozu  ihnen  vor  dem  St.  Georgen 
Thor  ein  ziemlicher  Platz  eingerichtet  worden,  welchen  erwähnte 
Schützengilde  von  undenklichen  Jahren  her  in  geruhiger  Posses.sion 
gehabt.  Und  ist  dieser  Platz  der  ganzen  Stadt  sehr  zuträglich, 
massen  darauf  nicht  allein  Ew.  Kurf.  Durchl.  Soldatesquc  von  dero 
Guarde  zu  Ross  und  zu  Fuss  dann  und  wann  exercireu,  sondern 
auch  in  den  Jahrmärkten  das  Vieh  zu  Verhütnng  aller  Jncommo- 
dität  und  Unfläterei  in  der  Stadt  dahin  getrieben  wird.  Es  wollen 
sich  aber  einige  unterstehen,  diesen  der  Stadt  höchst  nützlichen 
Platz,  dergleichen  vor  Berlin  keiner  mehr  zu  linden,  zu  bebauen 
und  einzuschränken,  u.  a.  ein  Schulmeister  Namens  Wentera,  der  in 
dieser  Gegend  einen  Raum  von  Herrn  Aratsrath  Weise  gekaufet, 
unternehmen  will,  die  Mauer,  so  von  Menschengedenken  her  daselbst 
zur  Aufhaltung  der  Kugeln  gebaut,  zu  seinem  dort  angefangenen 
Gebäude  zu  gebrauchen." 

Der  Kurfürst  entscheidet  zu  Gunsten  der  Gilde. 
WM)  hatte  beim  Königschiessen  in  Berlin  der  Oberstlieutenant  v.  Haacke» 
für  die  Prinzessin  Tochter  des  Kurfürsten  den  besten  und  das  Gilde- 
mitglied,  Sdineidermstr.  Melchior  Wedekindt  den  zweitbesten  Schuss 
gethan.  Beim  Eintreten  in  den  Schiessstand  hatte  der  Bürgermeister 
Schmidt  als  Gildemeister  an  den  v.  llaacke  die  bei  Gästen  übliche 
Frage  gestellt,  ob  er  im  Falle  des  besten  Schusses  das  ganze 
Königsrecht,  also  das  Tragen  der  Königskette  und  die  Dotation 
von  2U0  Thalern  in  Anspruch  nehmen  würde.  Bisher  hatten  sich 
die  Gäste  in  solchem  Fall  mit  der  Ehre  begnügt.  Herr  von  Haacke 
hatte  aber  die  Frage  bejaht  und  war  dann  in  Folge  eines  beson- 
deren Votums  der  Gildemeister  gleichwohl  zum  Schuss  gelassen 
worden.  Er  wurde  zum  König  ausgerufen,  richtete  das  übliche 
Freischiessen  mit  Festmahl  an,  und  erhielt  die  Königskette  auf  ein 
Jahr  ausgehändigt.  Wedekindt  begann  aber  eine  Agitation  dagegen 
und  verlangte  das  Königsrecht  oder  doch  wenigstens  die  2U0  Thaler, 
weil  der  Kurfürst  im  Jahre  1077  dieselbe  ausdrücklich  für  die 
Bürgerschützen  bestimmt  habe,  die  Accise  Kasse  ihre  Gelder  auch 
nur  von  den  Bürgern  nehme  und  dieSoldatesqiie  nichts  dazu  beitrage. 
Die  Gilde  richtete  dann  auch  an  den  v.  Haacke  ein  Gesuch,  sein 
Königsrecht  aufzugeben,  worauf  derselbe  aber  nicht  einging.  In 
der  Aufregung  darüber  hatte  Wedekindt  u.  a.  öffentlich  gesagt,  er 
halte  diejenigen  für  Schelme,  welche  den  Obcrstlieutenaut  als  König 
anerkennen  wollten,  v.  Haacke  ersuchte  darauf  den  Magistrat,  den 
„groben  Kerl  abzustrafen,44  damit  er  nicht  genötigt  sei,  ihm  „sein 
grobes  Maul  selbst  zu  stopfen,"  will  auch,  „falls  man  es  ihm  höf- 
lich sage,  mit  andern  seiner  Condition  sich  des  Schiessens  in 
Compagnie  mit  den  Schützen  für  die  Zukunft  entschlageu  und 


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48 


Rudolph  Buchhol»: 


schliesst,  dass  „dem  Wedekindt  für  seine  Beschwerde  eher  die 
spanische  Kappe  als  das  Königsrecht  gebühre".  Magistrat  kam  zu 
keinem  Entschluss  und  die  Sache  gelangte  vor  den  Kurfürsten, 
welcher  durch  eine  besondere  Kommission  entscheiden  Hess,  dass 
der  Oberstlientenant  sich,  da  er  selbst  gesagt,  es  sei  ihm  nicht  um 
den  Gewinn  zu  thun,  mit  der  Ehre  begnügen  solle,  das  Prämium 
aber  dem  Wedekindt  als  nächstbestem  Schützen  aus  der  Gilde  zu- 
fallen solle,  wovon  er  indess  die  50  Thaler  für  die  Mahlzeit  an  den 
Oberstlieutenant  erstatten  muss.  So  sollte  es  auch  künftig  gehalten 
werden. 

1691  kam  indess  wieder  ein  Streitfall  vor.  General-Major  v.  Wangenheim 
hatte  für  die  Prinzessin  von  Eisenach  den  besten  Schuss,  erhielt 
auch  die  Ehrenkette  und  trat  die  Prämie  von  200  Tbalera  an 
den  nächstbesten  Schützen,  Bürger  und  Sporermeister  Frey  ab. 
Frey  vergass  aber,  die  üblichen  50  Thaler  für  die  Mahlzeit  davon 
zu  verwenden  und  auf  Mahnung  berief  er  sich  darauf,  dass  die 

*  Prinzessin  aus  Dankbarkeit  für  die  gehabte  Ehre  ihm  auf  Befür- 
worten des  v.  Wangenheim  die  Ergötzlichkeit  von  50  Thalern  auch 
wohl  noch  angedeihen  lassen  würde;  der  General  sei  aber  von 
Berlin  fern  und  deshalb  schwebe  die  Sache  noch,  solle  aber  er- 
erledigt werden,  sobald  er  das  Geld  erhalte.  Als  auch  weitere 
ernste  Mahnungen  fruchtlos  blieben  und  das  nächstjährige  Schiessen 
herankam,  beschloss  die  Gilde,  ihn  von  allen  Schiessen  und  Mahl- 
zeiten auszuschliessen,  bis  er  seine  Pflicht  erfüllt.  Auf  die  durch 
den  Magistrat  ihm  übermittelte  bezügliche  Zustellung  schreibt 
Frey:  .  .  .  „ich  würde  auch  mich  vorlängst  hierzu  (zur  Mahlzeit) 
angeschickt  haben,  wofern  ich  von  dem  Hrn.  Gen.  v.  Wangenheim 
nicht  gewisse  Versicherung  bekommen,  dass  die  Prinzessin  v.  Eisenach 
sich  so  gnädigst  erkläret,  diese  Mahlzeit  auf  ihre  eigene  Kosten 
ausrichten  zu  lassen,  welches  ich  billig  abwarten  muss,  dahero  zu 
meiner  höchsten  Beschimpfung  geschiehet,  dass  man  mich  von  der 
Gilde  und  jetzo  vorseienden  Königsmahlzeit  excludiren  will  .  .  .  ich 
ersuche,  die  Schützengilde  dahin  anzuweisen,  dass  sie  bei  dieser 
meiner  Erklärung  so  lange  aquiesciren  soll,  bis  der  Herr  Gen.  v. 
Wangenheim  wieder  hier  zugezogen  ist,  wonach  ich  ihre  hungrige 
Magen  nicht  länger  aufhalten  will.*4 

Die  Gilde  richtet  darauf  sofort  an  den  Magistrat  eine  Beschwerde- 
Schrift  unterm  8.  November  1692,  worin  sie  sich'über  die  Grobheit 
und  Anzüglichkeit  beklagt.  Sie  hätten  keine  hungrige  Magen, 
wollten  gar  keine  Mahlzeit  von  diesem  Sporer  haben  und  verlangen 
die  Einziehung  der  50  Thaler  durch  Exekution.  Die  Sache  wird 
endlich  durch  Beitreibung  der  50  Thaler  1693  erledigt. 

1692  befiehlt    der    Kurfürstliche    Rat    dem   Rat    zu  Colin»  den 


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Chronik  der  Berliner  ScbQtzengilde. 


49 


Cöllnischen  Schützenplatz  zu  schliessen,  weil  sich  die  Gefährlichkeit 
des  Schiessens  wegen  der  angrenzenden  Häuser  herausgestellt  hat. 
die  Schützenbrüder  sollen  einen  andern  Ort  wählen,  wo  niemandem 
einige  Gefahr  und  Unglück  zustossen  könne. 

Der  Magistrat  von  Friedrichs  werder,  unter  dessen  Jurisdiction 
die  Häuser  am  Schützenplatz  standen,  hatte  sich  nämlich  über 
die  Gefährlichkeit  des  letzteren  beschwert  und  vergebens  hatte  der 
Rat  von  Cölln  dagegen  eingewendet,  am  Schiessplatz  sei  ein  so 
hoher  und  guter  Kugelfang,  dass  noch  niemals  Unglück  passiert  sei. 

Die  Schützengilde  kaufte  darauf  noch  in  demselben  Jahre  1692 
den  weiterhin  am  Tempelhofer  Wege  (jetzt  einige  Häuser  vor  dem 
Kainmergerieht  an  der  Lindenstrasse)  gelegenen  Platz  auf  der 
Meckliugs  Wiese  für  400  Thaler  und  erhielt  auch  die  Erlaubnis, 
sich  dort  einzurichten,  namentlich  auch,  auf  Gutachten  des  Bau- 
meisters Nehriug,  das  benötigte  Haus  aus  Holz  zu  bauen. 

Der  alte  Schützenplatz,  auf  welchem  die  Gilde  noch  JJöO  Thaler 
Schulden  hatte,  wurde  auf  1201)  Thaler  Wert  geschätzt,  eine  Tax«' 
von  1694  ergab  aber  16(0  Thaler  und  es  bedurfte  eines  Gesuches 
beim  Kurfürsten,  damit  die  Gilde  das  Kanfgeld  für  sich  nehmen  und 
zum  neuen  Platz  verwenden  konnte. 

In  den  damals  angelegten  Bebauungsplan  der  Friedrichstadt 
wurde  der  alte  Platz,  welcher  im  Winkel  zwischen  der  heutigen 
Schützen-  und  Lindenstrasse  lag,  einbezogen;  mitten  durch  seine 
Längsaxe  wurde  das  östliche  Ende  der  Zimmerstrasse  gelegt. 
1693  bittet  die  Gilde  den  Kurfürsten  um  Schutz  gegeu  die  Verkleinerung 
des  Schützenplatzes  durch  die,  welche  sich  am  Bernau'scheti  Weg«» 
(der  heutigen  Neuen  Königstrasse)  und  auf  der  anderen  .Seite,  sowie 
auch  dahinter,  anbauen  wollen.  Auf  dem  Platze  würde  nach 
4  Scheiben  geschossen,  es  würden  bei  zunehmender  Bürgerschaft 
noch  mehr  Scheiben  aufgestellt  werden  müssen,  er  würde  ja  auch 
zum  Exercieren  der  Soldaten  und  zum  Viehniarkt  benutzt  und 
dürfte  deshalb  nicht  verkleinert  werden.  Wenn  aber  doch  einige 
Baustellen  davon  abverkauft  werden  sollten,  so  beanspruche  sie  als 
Besitzerin  des  Platzes  das  Kaufgeld. 
1693  ermässigt  der  Kurfürst  die  aus  der  Steuerkasse  an  jede  der  beiden 
Sehützengildeu,  Cölln  und  Berlin,  zu  zahlende  Kölligsdotation  von 
200  Thaler  auf  100  Thaler,  weil  beim  Köuigschiessen  sich  nur  sehr 
wenige  —  7  bis  8  Personen  —  einfinden.  Die  andern  je  100  Thaler 
sollen  an  die  Stadthauptleute  zur  Veranstaltung  von  allgemeinen 
Freischiessen  gegeben  werden. 

Der  Magistrat  von  Berliu  hatte  nämlich  allgemeine  Schiessübungen 
der  ganzen  Bürgerschaft  vorgeschlagen  um  die  letztere,  in  Com- 
paguien  geteilt,  mehr  auf  einen  militärischen  Fuss  zu  bringen.  Dem 

3 


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50 


Rudolph  Buchholx: 


Kurfürsten  gefiel  der  Vorschlag  und  zur  Förderung  der  Sache  nahm 
er  den  beiden  Gilden  die  Hälfte  ihrer  Dotationen  ab. 

1f>94. 26.  Mai.  Kurfürst  befiehlt,  dass  die  Bürger  vor  den  Thoren  hei 
der  Schützengilde  event.  das  Königsrecht  mitgeniessou  sollen. 

1095.  Kurf.  Befehl,  dass  alle  Kurfürstlichen  und  Collegien-Bedieuten 
heim  Schiessen  der  Schützengilde  gleich  den  eingekauften  Schützen- 
brüdern zu  achten  und  wenn  sie  den  besten  Schuss  thun,  die 
Königswürde  und  Prämien  erhalten  .sollen.  Der  Geh.  Kanzlei- 
Verwandte  Braunsberg  hatte  sich  nämlich  beschwert,  dass  die  Gilde 
zu  Berlin  beim  letzten  Schiessen,  ehe  er  zum  Steehschuss  gekommen, 
die  Reihe  geändert  und  dann  einen  König  ausgerufen  habe,  wodurch 
er  aus  seinem  Recht  gesetzt  sei. 

1696.  Immediatgesuch  der  „sämtlichen  in  dem  Privilegio  der  hiesigen 

Schützengilden  zum  Königsschiessen  fundierten  Hof  bedienten!  

„Als  nun  die  Bürger  etliche  Jahre  aus  Eigennutz  den  Hof  bedienten 
diese  kurfürstl.  Gnade  zu  missgönnen  angefangen  und  bei  allen 
Königschiessen  ihnen  grossen  Verdruss  gemachet,  worüber  Ew. 
Kurf.  Durchl.  öfter  behelliget  werden  müssen,  so  ist  bereits  1687 
\  orgeweseu,  dass  die  Hof  bedienten  mit  sich  ein  Collegiuin  formireu 
sollten,  gestalt  dieses  der  selige  Obermarschall  v.  Grombkow  vor  gut 
angesehen  und  es  dahin  gebracht,  dass  über  vorige  200  Thaler  noch 
200  Thaler  von  Ew.  Kurf.  D.  gewilliget  worden,  es  ist  aber  die  Ein- 
richtung wegeu  vorzeitigen  Absterben  des  Obermarschall  unter- 
blieben. Inzwischen  und  weil  man  verhoffet,  es  würden  die  Bürger 
sich  hinkünftig  besser  eomportiren,  haben  die  Hof  bedienten  es  ge- 
schehen lassen,  dass  die  vornehmlich  en  regard  ihrer  aufs  neue 
gewiiligte  ^200  Tlialer  den  Bürgern  zugleich  zu  gute  gekommen, 
allein  es  haben  nach  der  Zeit  die  Bürger  diese  Gnade  so  gar  ge- 
missbrauchet  und  sich  bei  allen  Schiessen,  sowohl  in  Berlin  als  in 
Cölln,  dergestalt  impertinent  erwiesen,  dass  sie  dahin  getrachtet, 
dies  reichliche  Präiuium  der  400  Thaler  vor  sich  allein  zu  behalten, 
daher,  wenn  ein  Hoffbedienter  den  besten  Schuss  gethan,  ärgerlicher 
Streit  "entstanden,  zu  geschweigen  der  vielen  intriguen  und  bösen 
practiquen,  welche  dabei  vorgegangen,  so  dass  künftig  jeder  Hof- 
bedienter lieber  der  Bürger  Schiessen  quitiren  wird  als  solches 
Ungemach  weiter  erwarten  und  der  Bürger  unendlichen  Chicauen 
vor  beisitzendem  Magistrat  exponiret  zu  sein  und  würden  auf  diese 
Art  sehr  wenig  und  in  allem  über  10  gute  Schützen  nicht  sein,  die 
dieses  ansehnliche  Präinium  der  400  Thaler  unter  sich  zu  theileu 
und  zu  gemessen  haben.  Hingegen  sind  unter  den  Hofbedienten 
weit  mehr,  welche  in  diesem  exercitio  bereits  ziemlich  avaueiret  pp.u 
Ms  folgt  die  Bitte,  „zu  gestatten,  dass  wir  unter  uns  eine  absonder- 
liche Compaguie  der  Hüchscnschützeii  formireu  und  die  Hälfte  der 


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Chronik  der  Berliner  Schützengildc. 


öl 


beiden  Städten  gewilligten  Prämie  von  40  )  Thalern,  also  200  Thaler, 
dazu  erhalten". 

Hierzu  ist  erläuternd  zu  bemerken,  dass  die  Zulassung  der  Beamten  zum 
Königschiessen  zwar  vom  Kurfürsten  anbefohlen  war,  dass  aber  die 
Schützensatzungen  ausdrücklich  die  Königs-Rechte  nur  Mitgliedern 
der  Gilde  vorbehielten  und  dass  deshalb  ein  rechtlicher  Anspruch 
auf  die  Prämien  den  Beamten,  welche  nicht  zugleich  Gildobrüder 
waren,  nicht  zustand. 

Gleichwohl  entschied  der  Kurfürst  im  Sinuc  der  Antragsteller. 

10(J7  bildet  sich  die  Seh  ützeugi  lde  der  Eximirtcn,  d.  h.  der  Kurfürst- 
lichen Hof-  und  Collegien-Bedienteu,  mit  dem  Hecht  der  Benutzung 
der  beiden  Schützenplätze  und  der  Hälfte  der  früher  jeder  Schützen- 
gilde gezahlten  Königsprämie.  Diese  laden  natürlich  auch  jedesmal 
den  Kurfürsten  zu  ihrem  Königschiessen  ein. 

Damit  ist  der  Wiederkehr  van  vielen  Streitigkeiten  zwischen  den 
beiden  Gilden  einerseits  und  den  Hof-  und  Staats -Beamten  und 
Militairs  andrerseits  bezüglich  des  Mitbewerbs  J>eim  Königsschiessen 
und  bezüglich  der  Königspräinie  zwar  ein  Ende  gemacht,  doch  geht 
schon  aus  den  im  Folgenden  berührten  Verhältnissen  desselben  Jahres 
hervor,  wie  wenig  freundschaftlich  beide  Parteien  zu  einander  standen. 

1097.  Unterm  25.  Juni  beschweren  sich  die  Kurfürstlichen  Hof  bedienten, 
dass  die  Berlinische  Schützengilde,  welche  nach  den  Statuten  ihr 
jährliches  Königsschiessen  am  20.  Juli  abhalten  muss,  jetzt  dieses 
Schiessen  auf  den  28.  Juni  verlegt  hat,  lediglich  um  die  Vorberei- 
tungen zmn  ersten  Königschiessen  der  Hofbedienten  (auf  demselben 
Schützeupiatz),  welches  für  den  1.  Juli,  als  den  Geburtstag  des 
Kurfürsten,  geplant  war,  zu  stören. 

Der  Geheime  Rat  giebt  dem  Magistrat  von  Berlin  auf,  die  Schützen- 
gilde anzuweisen,  dass  sie  an  dem  herkömmlichen  Tag,  20.  Juli, 
ihr  Königschiessen  abhält  und  den  Supplikanten  in  keiner  Weise 
hinderlich  ist. 

Auf  erneuerte  Vorstellung  ist  der  Kurfürst  unterm  28.  Juni  zwar 
damit  einverstanden,  dass  die  Berliner  Bürgerschützengilde  heute 
ihr  Königschiessen  anfangen  möge,  „sie  müssen  aber  damit  auf  den 
3i).  Juni  fertig  und  der  eximirten  Schützengilde,  so  den  1  Juli  ihr 
Königschiessen  zu  halten  willens  ist,  nicht  hinderlich  sein  und 
weilen  im  Uebrigen  der  Ort  des  Schützenplatzes  Sr.  Kurf.  Dnrchl. 
zuständig  ist,  so  werden  die  Supplikanten  demselben  weder  Ziel 
noch  Maass  setzen,  wer  daselbst  schiesseu  solle". 

Die  Schützengilde  der  Eximirten  bestand  indes  nur  1  Jahr, 
denn  im  Jahre  10(J8  erging  unterm  23.  Novbr.  das  Kurf.  Decret, 
welches  die  Verhältnisse  zu  den  Bürgergilden  dahin  regelte,  dass 
die  Beamten  bei  der  Gilde  ihres  Wohnorts  eintreten  sollten. 

3* 

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52  Rudolph  Buchhok: 

1698. 15.  Oktober.  Kurfürst  bewilligt  der  Berlinischen  Schützeogilde 
140  Thaler  zur  Ersetzung  des  Schadens  und  zur  „Erstattung  der 
Unkosten,  so  dieselbe  bei  Veränderung  der  Strassen  und 
Häuser  vor  dem  St.  Jürgen  Thor  bei  der  neuen  Fortifi- 
kation  gehabt  und  noch  ferner  thun  inuss,  zu  ihrer  gänzlichen 
Befriedigung. u 

1702  u.  3.  Trotz  des  Kurf.  Befehls  von  1094  müssen  sich  doch  noch 
einzelne  Bewohner  der  Königsvorstadt  beschwerend  an  den  Landes- 
herr! i  wenden,  weil  die  Schützengilde  ihre  Aufnahme  verweigert. 

1702.25.  Jan.  Die  Schützengilde  in  Cöllu  hat  einen  Bau  vor.  Der 
König  weist  auf  Ansuchen  der  Gilde  das  Kammergericht  an,  die 
Entscheidung  in  einer  Prozess-Sache  zu  beschleunigen,  damit  der 
Bau  durch  diese  nicht  aufgehalten  werde. 

1703.  Dekret.  Die  Lehnskanzlei  hat  das  Privilegium  der  Schützengilde 
zu  Berlin  zur  Confirmation  vorzubereiten  und  in  dasselbe  aufzu- 
nehmen, dass  der  Schützenplatz  in  dem  Stande,  wie  er  jetzo  ist, 
verbleiben  solle.  Die  Einwohner  der  Königsvorstadt  sollen  zwar 
zur  Theilnahme  fähig  sein,  jedoch  kein  Recht  an  der  ersten  oder 
Königsprämie  erlangen,  nur  an  den  anderen  partieipiren. 

1707  wird  vom  König  bestimmt,  dass  der  Berlinische  Schützenplatz  „an 
die  Weinbergstücken  "  verlegt  und  der  alte  Platz  zum  Gottesacker 
verwendet  werde.  Nur  der  alte  Schützeukrug  soll  weiter  bestehen 
und  das  neue  Schiesshaus  ausschliesslich  mit  Bier  einlagefrei  ver- 
sorgen. Der  neue  Platz  war  45  Ruthen  breit  und  67  Ruthen  lang 
und  wurde  der  Gilde  zu  immerwährender  Disposition  überlassen. 
Es  ist  derselbe,  welcher  bis  zur  Uebersiedelung  der  Gilde  nach 
Schönholz  im  Jahre  1884  benutzt  wurde. 

1709  erfolgt  die  Vereinigung  der  beiden  alten  Städte,  Berlin  und  Cölln, 
wie  der  inzwischen  neu  entstandenen:  Friedrichswerder,  Dorotlieen- 
stadt  und  Friedrichstadt  sowie  der  Vorstädte  zu  einer  Stadt, 
Berlin,  unter  einem  Magistrat.  Diese  Vereinigung  wird  sogleich 
auf  die  Zünfte  der  verschiedenen  Städte  ausgedehnt  und  tritt  auch 
an  die  Schützengilden  heran,  deren  zu  dieser  Zeit  4  bestanden: 
die  Berlinische,  Cöllnische,  Friedrichswerder  Friedrichs-  und  Doro- 
theenstädtische  und  die  französische  Schützengilde,  letztere  aus  den 
inzwischen  eingewanderten  französischen  Refugiö's  gebildet.  Die 
Vereinigungs  versuche  führten  aber,  wie  die  Akten  ausführlich  er- 
weisen, wegen  der  verschiedenen  Sonderinteressen  zu  keinem  Re- 
sultat. Den  Friedrichswerderschen  pp.  wurde  gegen  20  Thaler 
Pacht  das  Schiessen  auf  dem  Cöllnischen  Schützenplatz  gestattet; 
wo  die  französische  Gilde  geschossen  hat,  ist  aktenmässig  nicht  zu 
ermitteln. 


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Chronik  der  Berliner  Schütiengilde. 


53 


1709.  3mal  hintereinander  Schützenkönig! 

„Martin  Zimmermann,  etliche  60  Jahre  alter  armer  Bürger  und 
Schuster  vor  dem  Cöpnickschen  Thor  und  3  mal  nacheinander  gewesener 
Colinischer  Schützenkönig"  wendet  sich  an  den  König  um  das  volle 
Prämium,  das  ihm  die  Gilde  vorenthalte,  zu  erlangen.  Dekret: 
Magistrat  zum  Bericht. 

Magistrat  d.  24.  Febr.  1710:  „Als  die  Schützengüde  in  Cölln  ihren 
alten  Schützenplatz  und  Haus  wegen  angelegter  Fridriehstadt  ver- 
,  lassen  und  der  Platz  gutes  Theils  zu  den  Gassen  und  Häusern  ge- 
zogen wurde,  kaufte  die  Gilde  einen  anderen  Platz,  bauete  darauf 
mit  grossen  Kosten  ein  Haus,  wodurch  ziemliche  Schulden  ent- 
standen. Um  nun  diese  zu  tilgen,  vereinigte  sich  die  Gilde  1701, 
dass  von  den  aus  der  Accise  Kasse  jährlich  gezahlten  200  Thaler 
140  Thaler  in  die  Schützenkasse  flössen,  während  50  Thaler  dem 
König  als  Freigeld  und  10  Thaler  zum  Köiygsfreischiessen  ver- 
wendet wurden.  Die  Gilde  übernahm  dagegen  die  übliche  Tracta- 
tion  der  Schützengesellsehaft.  Der  Schützenkönig  erhielt  ausserdem 
noch  eine  Obligation  über  50  Thaler,  die  dem  Alter  nach,  wenn  die 
fremden  Schulden  getilgt,  eingelöst  werden  sollten.  Zimmermann 
hat  dieses  Uebereinkommeu  selbst  mitunterschrieben  und  auch  1707 
sich  darnach  gerichtet;  1708  hat  er  aber  die  200  Thaler  behalten 
und  ist  dadurch  der  Gilde  126  Thaler  schuldig  geworden,  welche 
durch  Execution  nicht  einzutreiben  gewesen ,  weshalb  sein  in 
der  Cöllnischen  Vorstadt  belegenes  Haus  subhastirt  und  405  Thaler 
dafür  gegeben  wurden.  Jetzt  hat  ihn  das  Glück  zum  3ten  Mal  zum 
Schützenkönig  gemacht,  und  da  dies  noch  niemals  erlebt  worden", 
stellt  Magistrat  die  Entscheidung  dem  Könige  anheim. 

Der  König  verfügt,  „da  Zimmermann  den  Vertrag  selbst  unter- 
schrieben, auch  die  Subhastation  hat  rechtskräftig  werden  lassen, 
so  soll  es  beim  richterlichen  Entscheid  bleiben". 

1709  wird  ein  neues  Reglement  für  Scbeibensc Messen  in  22  Para- 
graphen gegeben: 

„Articul 

Wornach  so  wohl  die  sämtlichen  Schützen- 

Innungs  Verwandten  bey  der  Schützen-Gülde  allhier  in  Berlin,  als 
auch  andere,  so  denen  Scheiben  Schiessen  bey  wohnen,  sich  achten 
sollen. 

1,  Ein  Jeder  Schütze  sol  Gott  von  gantzen  Hertzen  fürchten, 
lieben  und  ehren,  wer  im  Schiess-Haus,  Stand  oder  Platz  be- 
troffen wird,  dass  er  flucht,  schwoert,  oder  sonst  lästerlicher 
Reden  sich  gebrauchet,  soll  8  Gr.  Straffe,  ja  auch  ein  mehres 
erlegen. 


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54 


Richard  Buchholz: 


?,  Wer  belieben  hat,  das  gewöhnliche  Freyschiessen  mit  beyzu- 
wolinen,  und  mitschiessen  wil,  der  sol  sich  zu  rechter  be- 
stirnter Zeit  darzu  einfinden;  Würde  aber  einer  oder  der 
andere  zu  spät  kommen,  so  dass  die  3  Schuss  in  der  grossen 
Seheibe  von  Jeden  Schützen  alle  herum  gethan,  und  die  Steeh- 
scheibe  aufgehangen  werden  solte,  sol  niemand  mehr  zuge- 
lassen werden  in  die  grosse  Scheibe  zu  schiessen,  und  mit  zu 
stechen,  und  die  andern  dadurch  aufzuhalten,  sondern  abge- 
wiesen werden. 

3,  Sol  ein  Jeder,  so  mit  schiesset,  auch  die  Jenigen  die  nicht 
mitschiessen,  Keinen,  welcher  in  den  Schiessstand  getreten 
und  schiessen  wil,  irren,  mit  einreden  oder  andern  Überreden, 
viel  weniger  in  den  Schiess  Stand  treten,  oder  sich  nieder- 
setzen bey  Straffe  4  Gr.  die  Schützengülde  Meister,  jeder  wann 
was  erhebliches  vorfiele,  dessen  ausgenommen. 

4,  Der  Jenige,  so  sein  Freyschiessen  giebet,  ist  nicht  gehalten, 
das  gewöhnliche  Einlage  Geld  zu  erlegen,  und  wird  ihm  den- 
noch nach  den  Rang  seines  Steehsehuss  der  Gewinn  dar- 
gereichet. 

r>.  Wer  seine  Büchse  eher  spannet,  ehe  er  in  den  ordentlichen 
Schiess  Stand  körnt,  sol  in  4  Gr.  Straffe  verfallen  seyn.  Ausser- 
halb der  Stände  aber  sol  niemand  seine  Büchse  abfeuern  bei 
Straffe. 

6,  Wer  seine  Büchse  geladen,  Pulver  ohne  Kugel,  und  Kugel 
ohne  Pulver,  ist  der  Schuss  verlohren,  und  sol  nicht  vergönnet 
seyn  den  Schuss  im  Schiessstand  herauszu  ziehen,  dadurch 
der  Schuss  ergäntzet  werde. 

7,  Wenn  Jemanden  die  Büchse  im  Schiessstand  unversehens  loss- 
ginge,  oder  so  Jemand  die  Büchse  dreymal  versaget,  das 
Pulver  brennet  von  der  Pfanne,  der  Schütze  habe  die  Büchse 
am  Boden  oder  nicht,  oder  so  Jemand  hat  die  Büchse  an  den 
Backen  geleget  zum  Schiessen,  und  setzet  dreymal  ab,  ist  der 
Schuss  verlohren. 

8,  Sol  niemand  erlaubet  seyn  aus  eines  andern  Büchse  beim 
Königschiessen  zu  schiessen,  bei  Verlust  des  Einlage  Geldes, 
es  were  dann,  dass  er  einen  beweisslichen  Schaden  an  seiner 
Büchse  hätte,  und  dieselbe  nicht  sobald  gebrauchen  könte,  so 
doch  von  den  Güldenmeistern  besichtiget  werden  sol,  solchen 
Falls  kan  er  sich  einer  andern  Büchse  bedienen. 

9,  Sol  niemand  bey  dem  König  oder  Freyschiessen  wechselweise 
aus  zween  Büchsen  schiessen,  auch  mit  keiuem  ungezogenen 
Gewehr  schiessen,  wer  darwider  handelt  hat  den  Schuss 
verlohren. 


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Chronik  der  Berliner  Schützengüde. 


55 


10,  Sol  ein  Jeder  bey  Verlust  des  Schusses  sich  mitten  im  Stand 
postiren,  aus  freyer  Hand,  schwebenden  Arm,  ohne  Ansetzung 
des  Fusses  oder  Knies  seine  12  Schuss  beym  Königs,  als  auch 
3  Schuss  beym  Frey  schiessen  in  die  grosse  Scheibe  untadel- 
haft  bringen,  dergestalt  dass  die  Kugel  gantz  in  der  Scheibe 
sei,  im  Fall  er  nun  hiervon  einen  fehlet,  kann  er  nicht  zum 
Stechen  kommen,  bei  dem  Freyschiessen  aber  sich  wieder  ein- 
kauften mit  dem  gewöhnlichen  Einlage  Gelde:  Welche  ihre 

3  Schuss  in  die  grosse  Scheibe  gebracht  und  hernachst  in  die 
kleine  Stech-Scheibe  gestochen,  dann  werden  nach  den  nechsten 
Schüssen  die  Gewinne  eingetheilet,  die  Jenigen  aber  so  unter 
den  3  ersten  Schüssen  einen  gefehlet,  können  nicht  zum  ersten 
oder  andern  Gewinn  mitstechen,  sondern  müssen  sich  an  den 
Ritter,  welcher  der  dritte  Gewinn  ist,  erholen,  wofern  sie  sich 
nicht  wieder  eingekauft. 

11,  Wann  um  den  Ritter  gestochen,  und  die  Schützen  alle  drey- 
mal  gefehlet,  so  stehet  den  sämtlichen  Schützen  frey  auf  der 
kleinen  Scheibe  nochmahle  zu  stechen,  und  wer  den  besten 
Schuss  alsdann  hat,  traget  den  Ritter  davon. 

12,  Dessen  Kugel  die  Scheibe  nicht  ganz  durchbohret,  sondern  in 
die  Scheibe  stechen  bleibt,  ist  allerdings  verwerfflich,  wie  gut 
auch  der  Schuss  angebracht  war. 

13,  Dessen  Schuss,  so  am  Rande  in  der  ordinairen  oder  Stech- 
scheibe ist,  wann  er  nicht  den  Meiser  oder  volle  Kugel  hält, 
ist  gantz  verwerfflich,  daferne  auch  ein  Schuss  disputirlich 
gemacht  würde,  sol  selbiger  von  dem  Schützen-König  und 
Gülde  Meistern  besichtiget,  und  niemand  nach  äffecten  ge- 
urthclt  werden. 

14,  Wann  ein  Fremder,  der  kein  Gülde  Verwandter  ist,  bey  dem 
Freyschiessen  mitschiessen  wil,  der  sol  angesehen  wann  man 
nicht  versichert  ist,  ob  er  ein  Freyschiessen  geben  wil,  noch 
einmal  so  viel,  als  ein  Gülde  verwandter  einlegen,  und  ihm 
nach  den  Rang  er  seine  Schüsse  gethan,  sein  Gewinn  gereichet 
werden,  in  Fall  er  ein  Frey  schiessen  gibt,  sol  ihm  das  übrige 
Einlage  Geld  restituiret  werden. 

15,  Wann  eiu  Gülde  Verwandter  dem  Freyschiessen  nicht  bey- 
wohnen  kann,  und  doch  seine  Büchse,  und  benöthigte  Kugeln 
und  Pulver,  und  das  gewöhnliche  Einlage  Geld  schicket,  so 
sollen  die  sämtl.  vorhandene  Gülde- Verwandten  schuldig  seyn, 
darüm  zu  losen,  wer  vor  ihm  schiessen  sol,  welchem  es  nun 
trifft,  muss  solches  willig  über  sich  nehmen,  bey  Vermeidung 

4  Gr.  Straffe,  auch  so  gut  als  vor  sich  Selbsten  schiessen,  es 
muss  aber  solches  Jährlich  nicht  über  4mahl  geschehen. 


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56 


Kudolph  Buchholz: 


16.  Sol  ein  Jeder  Schütze,  er  sey  eiu  Gülde  Verwandter  oder  nicht, 
seine  Büchse  aufrichtig  und  mit  einer  runden  Kugel  laden, 
sonder  einiger  leichtfertigen  Stück  oder  Künste,  oder  sonst 
unzulässigen  Dingen,  bey  Vermeidung  1  Thlr.  Straffe:  auch 
des  Magistrats  Befinden  nach  gar  auszusch  Ii  essen. 

17.  Sol  ein  .leder  der  mitschiesset  beym  Haupt  oder  Freyschiessen 
(ausgenommen  die  Hohe  Landes  Herrschafft  und  hiesiger 
Magistrat)  niemand  die  Büchse  an  der  ordentlichen  Richel 
einen  andern  vorhangen  auch  vor  den  Schiessstand  nicht  un- 
ordentlich vortreten,  bey  2  Gr.  Straffe. 

18.  Sol  niemand  den  andern  an  seinem  Schiesszeuge  einigen  Schaden 
zufügen,  oder  ohne  des  Eigenthnms  Herrn  Erlaubniss  dem- 
selben sein  Pulver  oder  Bley,  oder  sonst  etwas  entfernen,  bey 
4  Gr.  Straffe. 

[\),  Sol  ein  Jeder  sowohl  bey  dem  Schiessen,  als  andern  öffent- 
lichen Zusammenkünften  sich  alles  Zanckens  und  Streitens 
enthalten,  oder  gewärtig  sein,  dass  der  Anfänger  Jedesmahl 
mit  8.  12.  16  Gr.  und  mehr  Straffe  beleget  werden  soll. 

20,  Der  Jenige,  so  mitgeschossen,  und  weggehet  ohne  in  die 
Armen  Büchse  zulegen,  sol  jedesmahl  mit  1  Gr.  bestrafft  und 
dann  noch  in  die  Armen  Büchse  zu  geben  schuldig  und  ge- 
halten sein. 

21,  Ein  Jeder,  der  das  Freyscbiessen  giebet,  ist  verpflichtet,  eine 
Citrone  oder  Krantz  mitzubringen,  und  den  Anfang  mit  Schiessen 
zu  machen,  und  welcher  nach  Ihm  schiesset,  die  Citrone  oder 
Krantz  zu  präsentiren  bey  Vermeidung  2  Gr.  Straffe. 

22,  Alles  Geld,  welches  bey  allen  Schiessen  in  die  Armen  Büchse 
gesammlet  wird,  sol  Jedesmahl  bey  Abnahme  der  Gülden 
Rechnung  unter  denen  Hospital,  und  andern  nothdürftigen 
Armen  ausgetheilet  werden. 

17(M.  Die  vereinigtenFriedrichswerderschen,  Friedrich  städtischen 
und  Dorotheenstädtischen  Schützen  zeigen  dem  Magistrat 
an,  dass  sie  auf  Grund  einer  im  vorigen  Jahr  ertheilten  Königl. 
Erlaubniss  des  Bäcker  Lehmann's  Acker  gekauft;  sie  bitten  um 
Zustimmung  und  um  Anweisung,  „welchergestalt  wegen  einer 
Fahne  ein  Dessin  gemacht  werden  soll." 

Die  Französische  Grenadi er  -  Bürger- Kompagnie  hat 
Freiheit  von  Einlagegeld  nachgesucht.  Der  König  befiehlt  darauf 
dein  Magistrat,  „es  dahin  zu  richten,  dass  die  deutsche  und  die 
französiche  Schützen-Kompagnie  vereinigt  wird." 

Magistrat  stellt  darauf  vor,  dass  ausser  der  Französischen 
auch  die  Friedrichswerder'sche,  Friedrichstädtische  und  Dorotheen- 
städtische  Gilde  mit  der  Köllnischen  zu  vereinigen  wäre,  wodurch 


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Chronik  der  Berliner  ßchütxengilde. 


57 


die  Kosten  eines  neuen  Schützenplatzes,  welche  die  betreffenden 
Gilden  ohnehin  nicht  aufzubringen  vermögen,  gespart  werden;  sie 
könnten  alle  zusammen  auf  dem  Köllnischen  Schützenplatz  um 
das  Prämium  schiessen. 
Der  König  stimmt  zu. 
Magistrat    registriert:    „die   Fr.  Werd.  Gilde  will  20  Thaler 
Pacht  geben;  der  Schützenkrüger  soll  sie  aber  für  die  gewöhnliche 
Gebühr  aufwarten  und  nicht  übersetzen;  wegen  der  Einlage  von 
fremdem  Bier  wird  es  ja  keine  Schwierigkeiten  geben;  auch  hoffe 
die  Gilde,  dass  Magistrat  sie  bei   dem  Königl.  Beneficio  der 
200  Thaler  schützen  werde,  weil  sie  dieses  auf  einem  fremden 
Schützenplatz  zu  verlieren  fürchteten." 
1710.  Schreiben  der  Berliner  Schützengilde  d.  d.  6.  6.  1710: 

Die  Gilde  fürchtet  die  Vereinigung  sämmtlicher  hiesiger 
Gilden  und  bezieht  sich  darauf,  dass  ihr  „der  Kurfürst  anno  1614 
den  alten  Platz  geschenket,  sie  jederzeit  in  Possession  gewesen, 
auch  noch  1707,  als  auf  Königl.  Befehl  der  Schiessplatz  verändert 
und  an  die  Berlinische  Weinbergstücke  verleget;  habe  an  Bau- 
kosten mehr  als  200  Thaler  aufwenden  müssen;  der  Platz  bietet 
nun  aber  auch  die  grösste  Sicherheit;  jährlich  werden  von  der 
Königsprämie  50  Thaler  zu  Baukosten  genommen;  haben  bisher  in 
Harmonie  vergnüglich  gelebet,  was  nach  der  (befürchteten)  Combi- 
nierung  wegen  der  Grösse  der  Gilde  nicht  geschehen  möchte. 
Magistrat  wolle  es  beim  Alten  lassen  und  wenn  dennoch  Königl. 
Majestät  auf  Vereinigung  besteht,  dass  dann  die  andere  zu  uns 
auf  unsern  Platz  kommen  sollen." 

Im  Laufe  der  letzten  30  Jahre  waren  fortdauernde  Streitigkeiten 
zwischen  den  Magistraten  und  den  Schützengilden  wegen  der  Bezüge  der 
Schützenkönige  entstanden.  Die  Schützen  beriefen  sich  auf  die  alten 
Privilegien  und  verlangten  Freiheit  auch  von  neuen  Steuern,  namentlich 
von  der  Kontribution  und  der  städtischen  Bierziese;  die  Magistrate  ver- 
weigerten die  letzteren  Freiheiten,  und  wollten  die  alten  Privilegien  nicht 
gelten  lassen,  da  der  Bestand  der  Gilden  während  des  Krieges  unter- 
brochen war  und  neue  Steuerprivilegien  erteilt  seien;  es  entwickelt  sich 
daraus  ein  langwieriger  Prozess,  in  welchem  seitens  der  Schützengilden 
zuletzt  einige  Tausend  Thaler  Entschädigung  für  vorbehaltene  Kompe- 
tenzen ihrer  Könige,  wie  für  die  im  Nutzen  der  Stadt  eigenmächtig  ver- 
wendeten Königsketten  etc.  gefordert  werden.  Zunächst,  am  21.7.1710, 
wendet  sich  die  Gilde  an  den  Landesherrn  mit  der  Beschwerde,  Magistrat 
habe  Platzbeschränkungen  vorgenommen  und  „seit  vielen  Jahren  Ring- 
lein, Roggen  und  Hosentücher  nicht  prästieret."  Der  König  ernennt 
darauf  eine  besondere  Gerichts-Kommission  zur  Entscheidung  der  Sache. 
Die  sehr  weit  ausholenden  und  immer  viele  Bogen  umfassenden 


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58 


Rudolph  Buchholl: 


einzelnen  Schriftstücke  dieses  Prozesses,  Klage,  Replik,  Duplik  u.  s.  w., 
in  welchen  mancherlei  anderweitig  nicht  mehr  erhaltenes  ortsgeschicht- 
liches Material  vorkommt,  sind  zum  Teil  als  Quelle  älterer  Notizen 
benutzt. 

Die  Duplik  des  Magistrats  auf  die  Ansprüche  der  Kölln.  Schützen- 
gildc  wegen  der  vorenthaltenen  Schützenkönigs-Koinpeteuzen  enthält  unter 
anderen  die  folgenden  Ausführungen: 

 „denn  aus  den  Worten  des  Articulbriefs  de  anno  loc3 

lässt  sich  nicht  mehr  erzwingen,  als  dass  man  ihnen  einen  Platz  hinter 
dem  Holzmarkt  angewiesen,  darauf  zu  schiessen  und  auch  ein  Schützen- 
häuslein riarauf  zu  setzen-  

 „und  dann  gestehen  sie  (die  Schützenbrüder)  zu,  dass 

S.  Kurf.  Durchlaucht  den  Platz  nicht  länger  an  dem  Orte  leiden  wollen 
und  eine  Ziegelscheune  darauf  gebauet,  also  dass  sie  dominium  gar  nicht 
erweisen  und  überdem  bekennen,  nicht  Magistrat,  sondern  S.  K.  G.  hätte 
der  Gilde  den  usum  dieses  Platzes  abgenommen  und  ad  aliuin  usuin, 
nämlich  zu  Erbauung  einer  Ziegelscheune  verwendet,  so  dass  S.  K.  G. 
sogar  auch  dein  Magistrat  den  Nutzen  und  das  Eigenthum  des  Platzes 
abgenommen  und  also  Magistrat  dabei  mehr  verloren  als  die  Schützen- 
gilde selbst.  Hat  aber  die  Schützengilde  ein  Eigentum  daran  gehabt, 
warum  hat  sie  den  Platz  nicht  mainteniret,  warum  hat  sie  eher  den 
Platz  geräumt,  ehe  sie  von  Sr.  Kurf.  G.,  welche  niemand  sein  Eigentum 
mit  Gewalt  genommen,  satisfaction  bekommen?  und  weil  die  Kläger 
sagen,  S.  K.  G.  hätten  den  Platz  nicht  ganz,  sondern  nur  ein  Teil  davon, 
zur  Ziegelscheune  gebraucht,  warum  haben  sie  den  überbliebenen  Teil 
verlassen  und  nicht  in  ihrem  Besitz  behalten?  Ja  hätten  Kläger  vor 
Jahren  venneint,  dass  der  Platz  ihnen  eigentümlich  gehöre,  warum  haben 
sie  denn  den  Platz  so  willig  abgetreten?  Aber  diejenigen,  so  damals 
lebten,  sahen  wohl,  dass  Magistratus  ihnen  in  den  Articulis  nicht  mehr 
versprochen,  als  einen  Platz  zum  Schiessen  anzuweisen"  

Wegen  des  vielseitigen  Interesses,  das  Form  und  Inhalt  bieten, 
wählen  wir  zum  Abdruck  den  vollständigen  Text  der  Triplik,  welche 
vom  Rechtsvertreter  der  Schützengilde  auf  jene  Duplik  der  Gericht«- 
Kommission  überreicht  wurde: 

Königliche  Preussische 
Hoch  Verordnete  HErren  Geheimbde  und  Hoff  Räthe 
Auch  zu  dieser  Sache 
Hochbestallte  HErren  Commissarij 
Hochwürdiger  Hochwollgebohrner,  HochEdelgebohrner  HochEdle  Veste 
und  Hochgelahrte,  HochgeEhrteste  Hochgeneigte  HErren, 
Obgleich  der  Klagenden  Schützen  Guide  Verwandten  in  Cölln 

Replic  dem  beklagten  Magistrat  in  Berlin  schon  den  21.  Octobr.  1710 

insinniret  worden,  und  derselbe  darauff  binnen  denen  gesetzten 


k 


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C  hronik  der  Berliner  SchQtzengilde. 


50 


8  Tagen  peremptorischer  Frist  Dupliciren  sollen,  so  hat  er  doch 
uuter  «lern  Prätext  nicht  communicirter  disseitiger  Documentorimi 
die  Duplic  allererst  d.  Kten  December:  d.  :i.  ad  Acta  gebracht,  da 
doch  laut  des  Syndiei  Herrn  Gänsen  Schein  die  Documenta  schon 
d.  28.  Xovembr:  ej.  a.  dem  Magistrat  abschriftlich  communiciret 
worden.    Er  hat  aber  auch  denen  Klagenden  Schützen  Gülde  Ver- 
wandten solche  Duplic  copeylich  nicht  zufertigen  lassen  biss  Sie 
Ihnen  auft'  ihr  überreichtes  Memorial  Vom  9  Januarij  1711  eodcin 
die  ausgeantwortet  worden,  da  indes  durch  solchen  unverantwort- 
lichen und  Vorsetzlichen  Aufenthalt  der  beklagte  Magistrat  die 
Klagende  Schützen  Gülde  immer  mehr  und  mehr  um  ihre  privi- 
legirte  Freyheiten  zubringen  intendiret,  wie  er  dann  noch  jüngst 
Von  dem  Schützen  Krüger  abennahls  das  Einlage  Geld  für  etliche 
Tonnen  Bernauer  Bier  staute  Commissione  erpressen  lassen,  und 
allso  auch  contra  inhibitionem  Regiae  Majestatis  et  Rescriptum  Vom 
1.  Angl.  1710  die  Klägerin  in  ihrer  Freyheit  tnrbiret  und  spolijiet, 
welches  billig  Zubeahnten,  indem  ein  Bürger,  wann  er  des  Magi- 
strates Befehl  nicht  parircn  wollte,  bald  in  den  Neumeister  würde 
Kriechen  müssen,  so  unterstehet  sich  aber  Magistrates  die  Ileylige 
Praecepta  Regia  Majestatis  zu  übertreten.  Demnechst  aulf  die  gegen- 
seitige Duplic  zu  antworten,  so  ist  gewiss  dass  der  Gülde  wegen 
der  alten  Schützen  Kette  keine  Völlige  Satisfaction  Von  dem  Ma- 
gistrat geschehen,  gestalt  derselben  auch  die  Zinnsen  von  denen 
dafür  schuldig  gewordenen  4(.)  Tbl.  12  Gr.  gereichet  werden  sollen, 
so  lange  das  Capital  noch  nicht  gäntzlich  abgeführet  worden,  und 
ist  Magistrates  allerdings  schuldig  darauff  zu  antworten,  indem  es 
tunc  temporis  nicht  in  desselben  Gefallen  gestanden,  der  Schützen 
Gülde  quid  pro  quo  zu  geben,  gestalt  er  Kein  besser  Recht  alss 
sonst  ein  Debitor  hatte,  «ler  auch  die  Zinnsen  abführen  inuste,  und 
folget  nicht:  Dass,  weil  die  Schützen  Gülde  dahmals  die  partieu- 
larem  Solutionen«  angenommen,  «Hesel bige  dem  Rath  die  Zinnsen 
remittiret,  gestalt  Sie  solches  in  praejudicium  Successornm  nicht 
thun   können,   und   allso  dürften  ietzige   Klägerr  deshalb  nicht 
schweigen,  sondern  Sie  haben  das  Recht  ex  Privilegio  Reali  die 
Reste  an  Capital  und  Zinnsen  a  quovis  debitore  beyzutreiben  gleich 
wie  «'S  jetzigen  combinirten  Magistrat  alss  einem  Corporirten  Collegio 
freystehet  die  Schulden  einzufordern,   welche  ante  conibinatiouem 
active  contrahiret  worden,  es  hat  auch  dahmals  in  des  Magistrats 
Belieben  alleine  nicht  gestanden  die  Gülde  wieder  aufzulichten 
sondern  in  des  Snmini  Principis  gnadigen  gefallen,  welchem  auch 
die  projectirtc  Articul  zur  Confinnatioii  überreichet  worden,  und 
erzehlet  beklagter  Magistratus  Von  einer  conditione  sine  qua  non 
etwas  Vergeblich,  wie  er  dann  auch  nicht  setzet  worin  dieselbe  be- 


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Rudolph  Bucbhols: 


standen,  und  deshalb  Keinen  Beweiss  beybringet,  und  ist  mehr 
dann  Zugewiss  dass  Beklagter  denen  Klägern  in  Vielen  Stucken 
Eintrag  gethan,  welches  Ihnen  ihr  Gewissen  sagen  wird,  indem 
Klägerr  nur  den  eintzigen  Punct  wegen  des  Einlage  Geldes,  anderer 
für  ietzt  zugesehweigen,  anführen  wollen,  weshalb  Sie  und  ihre 
Vorfahren  sich  ie  und  allewege  Von  undenklichen  Jahren  her  in 
possessione  libertatis  befunden,  wie  aus  denen  in  Replica  allegirten 
Privileges  erhellet,  da  aber  Magistratus  bloss  aus  einer  revange 
weil  Klägerr  ihm  nicht  den  13  Schuss  in  die  Scheibe  accordiren 
wollen,  das  Einlage  Geld  wieder  der  Klägerr  Privilegia  des  Magi- 
stratus selbst  eigene  Facta  und  abgestattete  Relationes  wegen  Frey- 
heit  derer  Schützen  Gülden  in  Berlin  und  Cölln  Von  dem  Einlage 
Gelde,  dasselbe  von  Jhnen  oder  ihrem  Krüger  via  facti  und  durch 
die  Execution  erpresset,  ist  es  allso  eine  vana  gloria  des  Magi- 
stratus, sambt  Sie  denen  Klägern  mehr  Freyheit  nachgesehen,  und 
ist  nicht  genug  zu  schreiben  und  zu  sagen:  Dass  die  Klägerr  öffiters 
ia  tagtäglich  contra  Articulos  et  Privilegia  gehandelt,  und  sich 
solcher  Dinge  angemasset,  die  Ihnen  nicht  zugekommen,  und  directo 
contra  Privilegium  gelauffen,  sondern  es  muss  erwiesen  werden:  es 
veneriren  aber  die  Klägerr  den  Magistrat  in  billigen  und  gerechten 
Dingen  und  Verachten  ihn  gar  nicht,  Vielmehr  haben  Sie  so  viel 
Hespert  für  Ihm  gehabt:  Dass  Sie  Ihm  den  13  Schuss  in  die  Scheibe 
aber  sub  certis  conditionibus  einräumen,  welche  gratification  aber 
der  Magistrat  nicht  annehmen  wollen,  woraus  der  animus  propensus 
der  Kläger  gegen  den  Magistrat  genugsahm  erhellet,  dass  sich  aber 
derselbe  in  propria  causa  einer  Jurisdiction  über  die  Klägerr  an- 
maassen  wollen  dazu  haben  diese  ohmnüglich  stille  schweigen 
können,  sonst  aber  lassen  die  Klagen*  gerne  geschehen  dass 
Magistratus  sich  bey  seinem  Rechte,  wo  er  eines  hat,  mainteniret, 
aber  wieder  der  Kläger  gerechte  praetensiones  kan  er  sich  mit 
Fug  keines  Rechtes  rühmen,  und  thut  der  Niemanden  injuriam  qui 
suo  jure  nititur  und  allso  fügen  auch  die  Klägerr  dem  Magistrat 
keine  injurie  zu  wann  Sie  ihr  Recht  wieder  denselben  suchen,  Und 
kan  der  Magistrat  hiernechst  sich  wegen  des  der  Gülde  Vormahls 
zum  Schiessen  und  ein  Schützen  Hauss  zu  bauen  eingeräumeten 
Platzes  mit  der  gemachten  limitation  nicht  liberiren.  Dann  wie 
solcher  Platz  einmahl  ad  certos  usus  et  exercitia  publica  des 
Schiessens  destiniret  gewesen  und  der  Schützen  Gülde  eingethan 
worden,  auch  die  Schützen  Gülde  ein  Hauss  darauf!'  gebauet,  also 
folget  woll  nothwendig  dass  auch  dass  Dominium  des  Platzes  auf 
die  Schützen  Gülde  mit  transferiret  seyn  müsse,  wie  dann  der 
Magistrat  solchen  Platz  der  Gülde  ohne  eintziger  reservation  einer 
recognition  seu  Juris  Dominij  directi  et  inde  solvendi  canonis  ein- 


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Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 


61 


gethan  hat,  es  hat  auch  die  Schützen  Guide  solelien  Platz  viel*' 
Jahre  pro  suo  besessen,  und  ein  Schützen  Hauss  darauf)'  gehauet, 
wer  pfleget  aber  wo  II  zu  leiden:  dass  ich  auff  seinen  Platz  wovon 
er  das  Dominium  hat  ein  Hauss  haue,  und  wer  wird  doch  mit  dem 
Seinigen  so  wunderlich  hausshalten  und  es  Selbst  bezahlen:  Magi- 
strats gestehet  ja  Selbsten  zu:  dass  er  damahls  wegen  des  abge- 
nommenen Platzes  der  Schützen  Gülde  150  Thlr.  bezahlet,  wiewoll 
solches  secundum  Deducta  in  Replica  im  Grunde  irrig  und  nichtig 
ist,  hätte  nun  Magistratus  das  Domiuium  des  Platzes  und  die 
Schützen  Gülde  nur  den  usum,  was  hätte  er  nötig  gehabt  denselben 
der  Schützen  Gülde  da  er  ihr  abgenommen  worden,  zu  bezahlen, 
gewiss  hiedurch  gestehet  Magistratus  selbst  deutlich  zu,  dass  der 
Schützen  Platy,  der  Gülde  eigenthümlich  gehöret,  und  er  ad  evietionem 
Verbunden  gewesen,  wiewoll  die  Zahlung  dafür  durchaus  nicht  er- 
folget ist,  sondern  die  erwehnte  150  Tbl  seyen  Gehler  gewesen, 
welche  der  dahmalige  Raths  Cäminerer  Herr  Meinhardt  Neuhauss 
der  Schützen  Gülde  \  orgestrceket ,  welches  die  Klagen*  in  Replica. 
worauf)'  man  sich  Kürtze  halber  beziehet,  dargethan,  Und  da  nun 
solcher  gestalt  ex  Deductis  zu  hellem  Tage  lieget:  Dass  der  Platz 
der  Schützen  Gülde  eigenthümlich  zugehöret,  solches  auch  aus  der- 
selben Privilegio  alss  worin  Kr  absq.  ulla  restrictione  et  reser- 
vatione  alss  der  Schützen  Gülde  eigen  inseriret,  Klabr  zu  ersehen, 
so  können  sich  die  Beklagteu  oder  ihre  Vorfahren  keine  Concedeutes 
nennen,  Vielweniger  alliier  appliciren,  dass  der  usus  einer  Sache 
contraria  voluntate  concedentis  aufhöre,  und  ist  ex  Privilegio  das 
Dominium  allerdings  zn  ersehen,  dann  Vermöge  dessen  ist  der 
Schützen  Gülde  der  Platz  um  darauf)'  sich  in  armis  zu  exerciren 
und  ein  Hauss  darauff  zu  bauen  hingegeben  und  angewiesen,  er  ist 
dem  Privilegio  der  Schützen  Gülde  mit  einverleibet,  und  da  der- 
gleichen Privilegia  die  KratTt  eines  Gesetzes  haben,  so  stehet  auch 
daraus  denen  Klägern  ohnstreitig  das  Jus  Domiuij  zu ,  und  hat 
man  schon  oben  und  in  Replica  erwehnet:  D;iss  Magistratus  die 
Schuldigkeit  der  Schützen  Gülde  einen  Platz  zu  halten  dadurch 
schon  erkandt:  dass  er  Venneint  er  habe  dahmals  derselben 
wegen  des  abgenommenen  Platzes  150  Tbl.  bezahlet,  quod  vero 
falsissimum,  es  quadriren  auch  die  geführte  Exempel  von  denen 
Bau-  und  Marckt  Plätzen  hieher  im  geringsten  nicht,  dann  die 
Zimmerleute  und  Crähmer  haben  dergleichen  Privilegia  nicht  worin 
solche  Plätze  alss  ihr  Eigenthum  mit  inseriret  seyn,  wie  die  Klägerr 
haben,  alss  welche  auff  den  Laut  Privilegij  angewiesenen  Platz  nicht 
allein  nach  der  Scheibe  geschossen  sondern  ut  in  proprio  Fundo 
ein  Hauss  gebauet,  nec  obstat  die  Klägerr  hätten  zugestanden: 
Dass  Seine  Chur  Fflrstl.  Durchl.  den  Schützen  Platz  daselbst  nicht 


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Rudolph  Buchholz: 


länger  leiden  wollen  und  eine  Ziegel  Scheune  darauff  bauen  lassen, 
gestalt  daraus  nicht  zu  concludiren:  Dass  deshalb  der  Schützen 
Guide  das  Dominium  nicht  zugestunden,  dann  ein  grosser  Herr 
tliut  bisweilen  etwas  ex  plenitudine  potestatis  und  hat  Magistratus 
so  Viel  dabey  Verlohren:  Dass  er  anstatt  des  abgenommenen  Platzes 
der  Schützen  Guide  einen  andern  geben  und  ihr  die  eviction  leisten 
sollen,  wozu  sich  auch  ietziger  Magistrat  Verbuuden  zu  seyn  ge- 
achtet, indem  er  Vorgegeben  dass   tunc  temporis  der  Rath  der 
Schützen  Guide  150  Tbl.  für  solchen  Platz  gegeben,  welches  er  aber 
durch  die  producirte  Rechnung  nicht  erwiesen,  und  ist  dieses  eint- 
zige  und  die  propria  confessio  des  Magistratus  süffisante  darzuthun: 
Dass  der  Platz  der  Schützen  Guide  eigen  gewesen,  auch  thut  nichts 
zur  Sache,  dass  die  Kläger  gesetzet.  Se.  (.'hur  Fürstl.  Durchl.  hätten 
nur  einen  Theil  des  TMatzes  zur  Ziegel  Scheune  genommen,  gestalt 
der  grosseste  Theil  dazu  abgerissen  worden,   so  dass  die  Schützen 
Guide  keinen  Kaum  mehr  darauff  zu  schiessen  gehabt,  wannenhero 
dann  auch  der  Magistrat  den  Rest  des  Platzes  dahmals  wieder  zu 
sich  genommen,  und  der  Schützen  Gülde  für  dem  gantzen  Platze 
Satisfaction  zu  geben  Versprochen,  welches  Versprechen  dann  dar- 
aus erhellet:   Dass  die  Beklagte  Vermeinen,  es  sey  der  Schützen 
Gülde  wiireklich  Satisfaction  mit  150  Till  geschehen,  welche  aber 
nicht  erfolget  seyn,   und  allso  hat  es  dahmals  keiner  litis  deuun- 
ciatton  bedurfft,  weil  der  Rath  ohne  lite  sich  seiner  Schuldigkeit 
erinnert  den  überbliebenen  Rest  des  Platzes  wieder  zu  sich  genommen 
und  der  Schützen  Gülde  ratione  totius  Satisfaction,  wozu  er  ohne  dem 
verbunden  gewesen,  zu  geben  Versprochen  hat,  und  deshalb  hat 
sich  eben  die  Schützen  Gülde  den  überbliebenen  Theil  an  den  Magistrat 
wieder  abzutreten   nicht  geweigert,   weil  Sie  wegen  des  gantzen 
Vergnügung  haben  sollen,  und  also  brauchet  es   ratione  Dominij 
solches  Platzes   keiner   ferneren  Ausführung,  es  hat   sich  auch 
dahmals  die  Schützen  Gülde  dadurch   ihres  Juris  gar   nicht  be- 
geben, dass  sie  einen  andern  Platz  gekauft't,  sondern  Magistratus 
blieb   dann  ohngeachtet   nach   wie  Vor  ratione  Satisfactionis  in 
nexu  und  ist  hier  nicht  nötig  zu  erörtern,  wie  lange  die  Kläger 
den  jetzigen  Platz  halten  werden,  denn  wer  ihn  haben  will  muss 
Geld    dafür   oder   einen   andern   commoden    Platz   geben,  wozu 
Magistratus  aus  aftection  gegen  die  Kläger  schon   behültlich  seyn 
wird,  und  ist  irrig:  dass  die  alten  Schützen  Brüder  den  Platz  für 
ihr   Eigenthum   nicht  gehalten,    welche   negativam   der  beklagte 
Magistrat,  weil  er  sich  darin  fundiret,  au  ff  bedürffendeu  Fall  er- 
weisen muss.  und  ist  schon  oben  geantwortet,  dass  es  dieserhalb 
keines  Klageus  bedurft',  indem  dahmaliger  Magistrat  von  Selbsten 
sich  zur  Satisfaction  verstanden,   wäre  aber  auch  dieses  nicht  ge- 


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Chronik  der  Berliner  ScbOtzengilde.  (>3 

scheheu,  so  wäre  dennoch  die  action  dadurch  auch  nicht  ver- 
schlossen noch  ietziger  Magistrates  proseiiptione  tutns  dann  in 
dergleichen  Fällen  findet  keine  Proscription  statt. 

Quia  Privilegio  corporibus  competentia  seu  ordiui  vel  eollegio 
realia  sunt,  perpetua  et  immortalia 

Mev.:  P.  2.  Dec.  1713  N.  1  et  ± 

welchem  nach  alles  was  von  solchen  Privileges  dependiret  keiue 
proscription  leidet,  und  gesetzt  den  ungestandenen  Fall  dass  eine 
Proseriptio  statt  habe,  wie  würde  den  Magistrat  und  seinen 
Antecessoren  nicht  alleniahl  ein  mala  fides  begleiten :  Da  Sie 
wissen  und  überführet  sevn:  Dass  denen  Klägern  ex  Privileges 
ein  Platz  von  den  Magistrat  zustehet,  und  der  Vorige  Ihnen  abge- 
nommen worden  und  daher  wollen  die  Kläger  bey  diesem  punet 
sich  länger  nicht  aufhalten,  sondern  Sie  wiederholen  ihr  Voriges 
Suchen,  wegen  derer  Bau  Materialien  wie  auch  Extradition  derer 
Documenten  hätte  es  keiner  aeeeptation  bedurfft,  weil  deshalb 
nichts  in  lite  ist,  allein  es  ist  Vielmehr  Vom  Gegenteil  wunderlich 
argumentiret  alss  diesseits  wunderlich  limitiret,  dass,  weil  Magi- 
strates der  Schützen  Guide  die  Documenta,  daher  auch  derselben 
alle  das  Ihrige  extradiret  habe.  Denn  einer  quietantia  ist  strictissiini 
.Juris  die  über  das,  wovon  Sie  erwehnet,  nicht  extendiret  werden 
kan,  nun  redet  ia  die  von  dem  Magistrat  allegirte  Quitung  nur 
von  blosser  extradition  derer  Documenten.  nicht  aber  dass  Magi- 
strates der  Schützen  Gülde  wegen  des  Platzes,  des  Ringes,  der 
Hosentücher,  des  Winspel  Rogkens  &  etc.  Vergnügung  gethan, 
und  allso  kan  ja  auch  die  Quitung  auft"  alle  diese  Stücke  nicht 
extendiret  werden,  sondern  der  Magistrat  inuss  deshalb  die  Kläger 
entweder  befriedigen  oder  erweisen,  dass  es  bereits  geschehen,  wie 
denn  des  Magistrates  selbsteigenen  Hekändnüss  nach  die  Quitung 
nur  von  Documenten  der  Schützen  Laden  und  Fahnen  wie  auch 
der  Schützenkette  redet,  und  allso  ist  das  noch  der  Kläger,  so  sie 
nicht  empfangen  weshalb  die  Quitung  nicht  disponiret  und  die 
ietzige  lites  seyn,  und  lauffen  die  intendirte  actiones  garnicht 
contra  Jura  sondern  es  ist  vielmehr  einer  commiseration  würdig, 
wann  man  eine  Quitung  ultra  memorata  seu  cogitato  extendiren, 
und  eine  Schuld,  welche  die  Schützen  Gülde  bei  Meinhard  Neu- 
hausen gemacht,  für  einer  solchen  Post  ausgeben  will,  womit  die 
Schützen  Gülde  wegen  des  Platzes  wäre  bezahlet  worden,  welcher 
Inventionen  sich  ein  Privates  billig  schämet,  und  haben  die  Kläger 
nicht  nötig  zu  erweisen,  dass  die  150  Tbl.  ein  mutuum  gewesen 
so  der  Schützen  Gilde  dahmals  von  Meinhard  Neuhausen  ex 
proprijs  vorgeschossen  worden,  wiewoll  solches  aus  des  beklagten 


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Rudolph  Ruchhole: 


Magistrate  selbst  producirten  Rechnungen  alss  auch  der  disseitigen 
Berlage  Lit:  A.  bey  der  Keplic  erhellet,  sondern  Magistratus 
inuss  vielmehr  erweisen  dass  er  der  Schützen  Gilde  die  150  Till, 
wegeu  des  abgenommenen  Platzes  zahlen  lassen,  welches  aber 
keinesweges  mit  der  über  denen  Documenten  ausgestellten  Quitung 
thut,  und  wird  die  Meinhard  Neuhausen  ausgestellte  Obligation 
über  solche  150  Thl.  wie  auch  das  ad  Acta  liegende  Memorial 
pro  Moratorio  weisen  dass  solches  Debitum  anno  M>69  eontrahiret 
worden. 

Betrettend  das  Riuglein  und  die  zwei  Schock  an  Gelde,  so  ist 
deshalb  die  Sache  aus  den  17.  Articul  der  Klügerer  Privilegij  so 
klahr  dass  sie  nicht  Klährer  seyn  kan,  und  dieses  des  Raths 
Praemium  mit  dem  so  Seiner  Chur  Fürstl.  Durchl.  gegeben  gautz 
indifferent,  aller  massen  es  deshalb  keines  ferneren  disputirens 
bedarff,  weil  solcher  Streit  ex  Articulis  und  Privilegijs  der  Klügere 
sehr  leicht  zu  decidiren,  und  sind  die  weitläuffige  Dicenten  von 
dem  Praemio  item  dass  dem  König  vor  diesen  frey  gestanden  sein 
Recht  einen  andern  zu  cediren,  alle  von  dem  Praemio  zu  ver- 
stehen welches  Seine  Chur  Fürstl.  Durchl.  wegen  Befreytmg  von 
den  Steuern  und  Schössen,  item  von  den  acht  Brauen  Bier  gnädigst 
gesetzet  zu  verstehen,  an  welcher  Stelle  auch  des  Magistrats 
eigenen  Geständnüss  nach  nachher  aus  der  Coutributions  Cassa 
200  Thl.  und  zwar  nicht  anno  etliche  70  sondern  nach  der  dis- 
seitigen Beilage  Lit.  B.  bey  der  Replic  anno  1681  determinirt 
worden,  so  dass  des  Raths  Praemium  alss  der  Ring  und  die  zwei 
Schock  an  Gelde  mit  dem  von  Seiner  Chur  Fürstl.  Durchl.  Ver- 
willigten nicht  die  'allergeringste  Verwandschafft  hat,  nec  obstat 
dass  von  1680  und  1081  da  die  Aecise  iutroduciret  worden,  der 
Ring  und  die  zwei  Schock  an  Gelde  nicht  gezahlet  worden,  ge- 
stalt  Sie  desshalb  dein  Magistrat  nicht  geschencket  seyn,  die  For- 
derung auch  nicht  proscribiret  ist  noch  proscribiret  werden  kann, 
es  lässt  sich  auch  von  dem  Aufhören  der  Frey  brauen  so  zur  Zeit 
des  gesetzten  praemij  die  20i)  Thl.  cessiret  und  an  deren  Stelle 
solche  200  Thl  surrogiret  worden,  auft'  das  Prämium  so  der  Rath 
ihm  müsseu,  nicht  schliessen,  dann  wie  offte  erwehnet,  so  muss 
Magistratus  das  Versprochene  Prämium  dem  Schützen  Könige  a 
parte  reichen,  und  ist  freylich  wahr  dass  nach  dem  die  200  Tbl 
von  Se.  Chur  Fürstl.  Durchl.  alss  ein  Königs  Praemium  gewilliget 
worden,  die  Freybraueu  und  die  Befreiung  von  der  Ziese  respectu 
Sr.  Chur.  Fürstl.  Durchl.  und  des  von  derselben  gnädigst  gereichten 
Praemij  aufgehört,  nicht  aber  das  l'raemium  so  der  Magistrat  Ver- 
möge der  Privilegien  a  parte  und  en  particulier  geben  sollen  da- 
durch absorbiret  worden,  und  weil  es  von  dem  Magistrat  einige 


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Chronik  der  Berliner  Schüteengilde. 


65 


Jahre  her  nicht  gegeben  worden,  so  fordern  es  eben  die  Klägere 
ietzo.  Dass  auch  in  dergleichen  Fällen  keine  Proscriptio  stattfinde, 
ist  oben  erwebuet,  und  bedarff  keiner  recapitnlation  zuraahl  auch 
der  Magistrat  aus  denen  selbst  entworffenen  Articulis  zu  Reichnng 
eines  solchen  Praemij  verbunden  gewesen,  und  ihm  also  allemahl 
mala  fides  entgegen  gestanden,  und  ob  woll  der  Beklagte  Magistrat 
vermeinet  dass  dem  gantzen  corpori  wegen  solches  Ringes  und 
Geldes  kein  Jus  agendi  sondern  nur  dem  Schützen  Könige  und 
seinen  Erben  zustehe,  so  wisse  er  doch  dagegen  dass  die  ange- 
stellete  action  eine  actio  popularis  sey  welche  einem  ieden  Membro 
der  Schützen  Guide  offenstehet,  wie  auch  dem  toti  Collegio,  zumahl 
desselben  Jura  durch  die  nicht  Empfahung  solches  Praemij  ge- 
kränket werden. 

Den  dritten  Punct  wegen  des  Winspel  Rogkens  betreffend  so  ist 
schon  in  Replica  geantwortet  dass  die  Klägere  weder  die  Obligation 
Chur  Fürst  Joachimi  noch  die  Cession  deshalb  unter  ihren  Brieff- 
schafften  mehr  finden,  und  kan  es  seyn  dass  wie  Magistrates  Vor- 
malils  mit  dem  Mühlen  Ambt  wegen  solches  Winspel  Rogkens 
Process  führen  und  die  Schützen  Gülde  Vertreten  müssen,  solche 
Documenta  dem  Magistrat  pro  Fundanda  intentione  und  zu  Führung 
des  Processus  wieder  ausgeantwortet  worden,  wir  dann,  die  Klägere, 
deshalb  hiemit  den  Beklagten  Magistrat  darüber  das  Juramentum 
Judiciale  deferiren  dass  dem  Rath  tempore  des  Processus  mit  dem 
Mühlen  Ambt  die  Obligation  Chur  Fürst  Joachimi  de  dato  Montags 
nach  visitationis  Mariae  1546  über  solchen  Winspel  Rogken  nebst 
der  Cession  nicht  ausgeantwortet  worden,  selbige  sich  auch  unter 
des  Raths  Documenten  und  Brieffschaften  nicht  finde,  noch  der 
Rath  wisse  wo  Sie  geblieben  wie  dann  auch  Magistratus  sich  wegen 
solches  Winspel  Rogkens  ad  evictionem  schon  Verstanden,  da  er 
coram  Commissione  bekennet  dass  er  deshalb  mit  dem  Mühlen 
Ambt  ^einen  weitläuffigen  Process  geführet,  und  kan  ja  Magistratus 
contra  Acta  nicht  leugnen  dass  er  auch  nicht  dieses  quaestionirteu 
Winspels,  sondern  nur  desjenigen  so  ihm  zugleich  mit  abgenommen 
worden  und  die  Schützen  Gülde  allein  wegen  des  Winspels  litigiret, 
gestalt  Sie  ia  auch  solches  coram  Commissione  deutlich  zugestanden, 
die  Acta  es  auch  geben  werden,  dass  der  Rath  zugleich  wegen  des 
ietzt  quaestionirten  Winspels  litigiret,  so  dass  die  gegenseitige 
Cavillationes  nichts  helffen,  sondern  es  bleibet  der  Magistrat  auch 
deshalb  ad  evictionem  Verbunden,  uud  hat  das  Vermeinte  gratuitum 
schon  in  Replica  seine  Abfertigung  bekommen,  gestalt  ob  bene 
uierita  kein  gratuitum  statt  hat  auch  wird  sich  ex  Actis  weisen, 
dass  Magistratui  wegen  solches  Winspels  dahmals  die  Schützen 
Gülde  litem  denunciret,  wie  ihn  das  Mühlen  Ambt  in  Anspruch 


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Rudolph  Buchhol*: 


genommen,  ia  es  ist  auch  deshalb  Magistratus  wfirklich  den  Streit 
mit  impliciret  gewesen,  ist  aber  dahmals  denen  Klägern  der  Winspel 
Rogken  aberkand  worden,  so  ist  Magistratus  um  so  "Viel  mehr 
ad  evictionem  Verbunden,  und  findet  auch  hierbey  ex  supra  ad- 
ducto  Fundamento  keine  Praescription  statt  wie  dann  auch  der 
Beklagte  Magistrat  um  so  Viel  weniger  Von  einer  Proscription  etwas 
erwehnen  kan,  da  Er  wegen  solches  Winspels  selbst  Process  mitge- 
führet,  und  eo  ipso  confitiret,  dass  solcher  Winspel  Rogken  der 
Schützen  Guide  zustehe.  Es  lasset  sich  hier  auch  Von  einer 
Simpeln  donation  zu  der  Praestation  des  Magistrats  nicht  argu- 
mentiren,  dann  dass  der  Winspel  Rogken  in  remunerationem  und 
die  Schützen  Brüder  in  armis  zu  encuragiren  gegeben  worden,  ist 
aus  dem  Privilegio  Klahr,  fallen  allso  die  weitlänffigen  recocta 
Von  einer  sirapeln  Donation  oder  gratuito  übern  Hauffen,  und 
finden  in  praesenti  casu  keinen  application,  und  bestehen  die 
Praestationes  dagegen  Von  Seiten  der  Klägere  darin:  Dass  Sie 
sich  dem  Publico  zum  Besten  in  armis  exerciren  und  im  Fall  der 
Noth  dem  Feinde  resistiren  helflen  müssen,  welches  warlich  eine 
grössere  remuneration  dann  einen  Winspel  Rogken  Verdienet  und 
demnach  bleibt  es  eine  Schuldigkeit  und  Magistratus  ad  evictionem 
Verbunden,  aber  wie  elend  erinnert  sich  doch  das  Gleichnüss 
von  einem  Vornehmen  Mann  welcher  von  einem  gewissen 
Capital  der  Schützen  Gülde  die  Zinnsen  schenckete  und  bey  dem 
Verlust  des  Capitals  ad  evictionem  nicht  gehalten  sey,  hier, 
und  möchte  man  gerne  das  Jertium  Comparationis  wissen; 
dass  übrigens  die  Hosen  Tücher  mit  unter  denen  200  Thaler 
stecken  welche  Seine  Churfürstliche  Durchlaucht  alss  ein 
Praemium  gewilliget  ist  eben  so  irrig  alss  das  Vorbringen  des 
Raths  wegen  des  Ringes  und  der  zwei  Schock  Geldes  und  kau 
hier  bey  denen  Beklagten  eben  die  Antwort  so  oben  wegen  des 
Ringes  und  Geldes  geschehen,  dienen,  nemlich  dass  >.die  Hosen 
Tücher  mit  dem  von  Sr.  Chur.  Fürstl.  Durchl.  gesetztem  Praemio 
nichts  zuthun  haben,  sondern  gleichfalss  Von  dem  Magistrat  a 
parte  nach  Inhalt  des  Articuli  17.  der  Klägere  Privilegij  gereichet 
werden  müssen,  dass  aber  die  Hosen  Tücher  und  zwar  nur  2  Thl. 
IG  Gr.,  nur  demjenigen  der  den  besten  Schuss  in  die  Scheibe  ge- 
habt, gegeben  worden,  ist  irrig,  sondern  dass  es  Acht  Stücke 
Jährlich  oder  10  Thl.  gewesen,  welche  denen  ersten  nähesten 
in  die  Scheibe  gereichet,  aus  des  Beklagten  Magistrats  selbst 
eigenem  Producto  Vom  23.  Febr.  1682.  Klährlich  zu  sehen  auch 
muss  ia  der  Rath  Selbsten  zugestehen  dass  solche  Hosen  Tücher 
nicht  nur  zu  Bezeigung  seiner  des  Raths  affection,  sondern  auch 
damit  die  Bürger  desto  mehr  Lust  Sich  im  Schiessen  zu  exerciren 


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Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 


67 


bekommen  möchten,  gegeben  worden,  wie  dann  auch  der  Klägere 
Privilegium  Artieulo  17  in  Fine  davon  mit  mehreren  disponiret. 

Wegen  des  dritten  und  letztern  Puncts  das  praetendirte  Ein- 
lage Geld  betreffend  so  ist  das  freylicli  und  hauptsächlich  nach 
des  Magistrats  selbst  eigenem  Praesupposito  die  Braut,  warum 
man  tantzet,  mit  welcher  die  Klägere  alss  der  Bräutigam  schon 
den  Vorrey  gehabt  (i.  e.  possessionem  libertatis)  Sie  wollen  auch 
diese  Braut  behalten  und  soll  der  Magistrat  damit  nicht  buhlen, 
und  kan  der  Magistrat  salva  conscientia  solche  Possessionen 
libertatis  nicht  leugnen,  dann  Klägere  befinden  sich  darin,  haben 
auch  dieselbe  in  Replica  genugsahm  coloriret,  die  Vorgewandte 
restrictio  aber,  dass  Sie  nur  von  Einlagen  frey  gewesen  wann  das 
Schiessen  zum  Könige  gewesen  gehöret  ad  Petitorium  und  ist  im 
Grunde  irrig  dass  die  Klägere  die  Einlage  Gelder  bezahlen  müssen, 
und  dass  solches  die  Extracte  aus  denen  Cämmerey  Rechnungen 
besagen,  wiewoll  auch  diese  ad  probandnin  nicht  gültig  seyn,  ia 
es  befinden  sich  die  Klägere  nicht  nur  ratione  der  Biere  sondern 
auch  wegen  der  Weine  in  possessione  libertatis  alss  wovon  Sie 
gleichfalss  nie  einen  Heller  Einlage  Geld  gegeben,  und  allso 
können  der  Beklagten  Cämmerey  Rechnungen  der  Klägere 
possessionem  libertatis  nicht  übern  Hauffen  werffen,  allermassen 
schon  in  Replica  gedacht  ist  dass  die  dahmalige  Schützen  Krüger 
nicht  ut  Schützen  Krüger,  sondern  die  Vor  sich  alss  Privati  in 
ihren  Häusern  Bier  geschencket,  das  Einlage  Geld  gegeben,  und 
demnach  ist  im  Grimde  irrig,  dass  Magistratus  sich  ratione  der 
Klägere  in  possessione  percipieudi  der  Einlage  befinde,  die  Klägere 
lassen  sich  auch  mit  dem  gegenseitig  Vorgegebenen  Jure  exemptionis 
nicht  ad  Petitorium  Verweisen,  denn  dieser  des  Magistrats  Kunst- 
griff soll  die  Klägere  nach  der  Pfeiffe  des  Raths  zu  tantzen  lehren 
und  zwar  damit  er  ihm  um  desto  grössere  authorität  mache  und 
der  dreizehnde  Schuss  in  die  Scheibe  nicht  disputiret  werde,  aber 
die  Klägere  tantzen  nicht  darnach,  sondern  Sie  bleiben  bey  ihrer 
possessioni  libertatis  welche  Sie  nicht  nur  Von  Natur  haben,  son- 
dern die  ihnen  auch  Vermöge  derer  Privilegien  welche  in  Replica 
in  grosser  Menge  angeführet  worden,  bestätiget  ist,  und  wenn  man 
allererst  in  Petitorio  mit  dem  Beklagten  Magistrat  versiren  und 
derselbe  dahin  Verwiesen  sein  wird,  soll  ihm  auff  den  allegirten 
Abschied  vom  2ü.  Febr.  1063  geantwortet  werden,  dass  dieses  nur 
allein  den  Schützen  König  betreffe  welcher  dahmals  ohne  dem 
Praemio  auch  für  sich  in  seinem  Hause  die  Frcyheit  von  der 
Einlage  praetendiret,  so  dass  die  Sache  das  gantze  Corpus  der 
Schützen  Gülde  nicht  angehet,  wie  dann  auch  Magistratus  weder 
die  Sententz  vom  20.  Febr.    1663  produciren,   noch   sonst  auff 

6* 


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68 


Rudolph  Bucbholjt. 


einigerley  Art  nnd  Weise  der  Klagen»  possessionem  libertatis 
entkräfften,  gestalt  die  Privilegiii  eintzig  und  allein  genug  seyn 
solche  possession  zu  behaupten,  und  berichtet  man  nur  dieses 
noch  pro  nuda  infonnatione  nicht  aber  sich  ad  Petitorium  ein- 
zulassen dass  man  mit  dem  gegenseitigen  Einwurff  alss  ob  der 
Klägere  Privilegia  salvo  Jure  tertij  zu  verstehen  wären,  mitleiden 
haben  müsse  da  Magistratus  die  Articul  und  darin  mentionirte 
Freiheiten  selbst  entworffen  und  ad  eonärmandum  befordert,  so 
dass  hier  Keines  Processus  zwischen  den  Magistrat  und  der 
Schützen  Guide  wegen  des  Einlage  Geldes  zu  gedencken  ist  son- 
dern das  alles  kan  Magistratus  in  Petitorio  ausführen,  wie  er 
dann  solches  ohne  dem  den  Klägern  daselbst  zu  oppöniren  sich 
in  der  Duplic  anheischig  gemachet,  indess  hat  es  mit  dem  Extract 
aus  der  Lehns  Cantzelley  pro  colorandA  possessione  libertatis  der 
Klägere  wie  auch  mit  des  Raths  Relation  seine  Richtigkeit,  und 
kann  der  Beklagte  Magistrat  sich  mit  der  gemachten  restriction 
nur  in  Petitorio  melden,  woselbst  sich  weisen  wird  dass  die 
klagende  Schützen  Guide  in  Cölln  so  fromm  und  Viel  frömmer 
alss  die  Berlinische  sey,  die  Klägere  aber  haben  sich  ietzo  für  der  be- 
liebigen Concession  des  Magistrats  wegen  des  Einlage  Geldes  nicht 
zu  bedanken,  da  sie  deshalb  schon  in  possessione  libertatis  seyn, 
wann  ihnen  aber  sonst  Magistratus  noch  was  zuwenden  kan  und 
wird,  wollen  Sie  solches  wann  es  würcklich  ins  Werk  wird  ge- 
richtet seyn,  nicht  aber  das  blosse  Versprechen  mit  gehorsahmen 
Dank  erkennen,  wie  dann  Magistratus  schliesslich  denen  Klägern 
grossen  Tort  thut,  wann  er  sie  trotzig,  wiederspenstig  und  unge- 
horsahm  nennet,  da  vielmehr  Magistratus  sich  seiner  Schuldigkeit 
in  dem  Stare  promissis  erinnern  und  bedencken  sollten  dass  eine 
Obrigkeit  denen  fürgesetzten  Unterthanen  mit  guten  Exempelu 
vorgehen  und  denen  Legibus  nachleben  müsse,  damit  die  Unter- 
thanen derselben  desto  eher  imitiren  und  contrarium  agendo  der 
Obrigkeit  nicht  folgen  möge  auff  dass  es  nicht  heisst: 

Non  potest  mihi  quidquam  talis  prodesse  Praeceptor  (piain 
gubernator  in  tempestate  non  se  vagabundus. 
Endlich  haben  die  Klägere  das  Juramentum  Calumnia  nicht 
calumniose  sondern  de  Jure  gefordert  wozu  Sie  üm  so  vielmehr 
berechtiget  seyn  da  Magistratus  contra  propria  facta  und  seiner 
Relationes  die  Einlage  von  denen  Klägern  fordern  will,  aus  blosser 
revange,  weil  Sie  ihm  den  dreyzchenden  Schuss  in  die  Scheibe  nicht 
accordiren  wollen  und  wie  in  hoc  passu  der  Magistrat  der  Klägere 
Obrigkeit  nicht,  sondern  privata  persona  und  Reus  welcher  Judi- 
cium mit  constituiren  hilfl't,  ist,  allso  kan  Magistratus  solch  Jura- 
luentuin  calumnio  abzulegen  sich  nicht  einbrechen,  die  Klägere 


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Chronik  der  Berliner  Schützengildu. 


seyn  auch  wegen  der  Delation  solches  Juramenti  nicht  zu  bestraffen 
sondern  vielmehr  die  calumnia  des  beklagten  Magistrats  womit  die 
Kläger  nisi  quid  novi  submittiren  und  überall  ihr  Voriges  Suchen 
wiederholen. 
Unterm  28.  11.  1711  ergeht  das  Erkenntnis: 

Die  Schützenkönige  sollen  frei  sein  von  Schoss,  Zöllen,  Licenzen 
und  Contribution  oder  es  müssen  ihnen  200  Thaler  gereicht 
werden. 

Ob  sie  ihr  Recht  cediren  können,  soll  in  jedem  Fall  besonders 
entschieden  werden. 

Die  Cöllnische  Schützengilde  wird  mit  ihren  Ansprüchen 
an  den  Platz  hinter  dem  Holzmarkt,  sowie  an  einen  Wispel 
Roggen  aus  der  Vordermühle  abgewiesen. 

Magistrat  behält  die  Controlle  der  Gilde,  soll  auch  den  drei- 
zehntenSchuss  frei  haben.  Dem  Schützenkönig  muss  er  das  goldene 
Ringle  in  alljährlich  reichen,  „nicht  aus  Schuldigkeit,  sondern 
zur  Beibehaltung  guter  Harmonie;  er  gestattet  auch  der  Köll- 
nischen  Gilde  die  „freie  Einlage  der  fremden  Biere,  wie  sie  die 
Berlinische  hat." 

Die  Schützengilde  hat  sich  inzwischen  an  die  juristische 
Fakultät  in  Leipzig  um  ein  Gutachten  gewendet,  das  sie  nach 
vorstehendem  Erkenntniss  dem  Könige  überreicht.  Sie  erhält 
darauf  unterm   20.   2.    1712    eine   sehr   scharfe  Abweisung: 

 „Wie  nun  Seiner  Majestät  zum  besonderen  Missfallen 

gereichet,  dass  die  Gilde  sich  nicht  entblödet,  dero  Allerhöchsten 

gerechtesten  Decision  einem  auswärtigen  und  fremden 

ludici  zur  Examinirung  zu    untergeben"  „enorm 

Frevel"  

1711.  16.  Mai.    Schützengilde  zu  Cölln  bittet  um  Erlaubnis,  bei  dein 
am  27.  Mai  beginnenden  Königschiessen  trotz  der  Landestrauer 
um  den  Tod  des  Kaisers  sich  der  Tambours  und  Hautboisten  be- 
dienen zu  dürfen. 
Wird  genehmigt. 

1713  lässt  der  König  die  Zahlung  der  200  Thaler  an  die  Schützenkönige 
von  Berlin  und  Cölln,  also  im  Ganzen  400  Thaler,  einstellen.  Auf 
Vorstellung  der  Gilden  und  Bericht  des  General-Direktoriums  ver- 
fügt der  König:  200  Thaler  vor  beide  will  ich  passiren  lassen  aber 
nichts  mehr. 

Da  die  Streitigkeiten  unter  den  Gilden  selbst,  wie  auch  zwischen 
Gilden  und  Magistrat,  nicht  ruhten,  so  gedieh  das  Schützenwesen  in 
den  ferneren  Jahren  wenig,  das  Schützenfest  mit  allen  seinen  Trink- 
und  Spiel-Gelegenheiten  entwickelte  sich  aber  um  so  mehr,  bis  Friedrich 
Wilhelm  I.  daran  Anstoss  nahm  und  den  Übungen  und  Festen  der 


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Rudolph  Buchholz: 


Gilden  ein  Ende  machte.  Der  König  gab  unterm  18.  Mai  1727  fol- 
gende Ordre: 

„Es  ist  zwar  jetzo  die  Zeit,  dass  die  Schützen  platze  sollen 
gehalten  werden;  wir  wollen  aber  und  befehlen  hiermit  aufs 
allerschürfste  und  nachdrücklichste,  dass  vor  dieses  Jahr  aus 
erheblichen  Ursachen  in  allen  Schützenplätzen  uicht  solle  ge- 
schossen, nicht  gespielt,  nicht  getanzet,  auch  gar  keine  Spiel- 
leute sollen  geduldet  werden.    Wir  befehlen  demnach  dem 
Magistrat  ernstlich,  darüber  mit  allem  Nachdruck  zu  halten 
und  dahin  zu  sehen,  dass  dieser  Ordre  stricte  nachgelebet 
werde,  allermassen  Wir  alles  liederliche  und  üppige  Wesen 
gänzlich  abgestellt  wissen  wollen,  widrigenfalls  der  Magistrat 
davor  responsable  sein  soll.44 
Als  dann   Magistrat   und  Generaldirektorium  die  Vorstellung 
wagen,  dass  sich  viele  Gewerbtreibende  auf  das  Schützenfest  vorbereitet 
hätten  und  nun  mangels  Absatzes  ihrer  Waaren  in  Schulden  geraten 
würden,   der  König  möge  darum  wenigstens   noch  dieses  Jahr  das 
Schützenfest  dulden,  schrieb  derselbe  eigenhändig  unterm  9.  Juni  1727: 
„ besser  dass  ich  2<MM»  Thaler  (nämlich  an  Steuern)  verlier  als 
dass  ich  durch  die  permis  zum  Deuffel  fahre;  ich  werde  mein 
Page  es  nicht  mehr  zugeben.  Fr.  Wilhelm.* 

Auch    ein    Immediatgesuch  der  beteiligten  Gewerbetreibenden 
vom  30.  5.  1727: 

„Allerdurchlauchtigster  p.  p.  König  und  Herr! 

Es  ist  uns  gestern  eine  an  den  Magistrat  hierselbst  ergangene 
Höchste  ordre  publiciret  worden,  Kraft  welcher  Ew.  Königl. 
Majest.  auf  das  schärfteste  und  nachdrücklichste  anbefehlen,  dass 
dieses  Jahr  aus  erheblichen  Ursachen  in  allen  Schützen  Plätzen 
nicht  solle  geschossen,  nicht  gespielet,  nicht  getantzet,  auch  gar 
keine  Spiel-Leuthe  geduldet  werden. 

Ob  wir  nun  gleich  Ewr.  Königl.  Majest.  hierunter  hegende  glor- 
würdigste  Intention,  die  zu  solcher  Zeit  sonst  vorgefallenen  Üppig- 
keiten abzuschatten,  mit  der  allertiefsten  Devotion  erkennen,  und 
als  getreue  Unterthanen  gebührendt  jederzeit  bereit  sind,  unsers 
allergnädigsten  Beherrschers  Höchsten  Befehl  mit  dem  aller- 
tiefsten Gehorsam  nachzuleben:  So  befinden  Wir  Uns  dennoch 
durch  die  Noth,  so  Uns  drücket,  gezwungen,  hierdurch  eine  aller- 
uuterthänigste  Wehmütigste  Vorstellung  zu  thun,  und  Leben  an- 
bey  des  allertiefsten  Vertrauens,  Ew.  Königl.  Majest.  werden 
diess  unser  mit  der  allerersinulichsten  Submission  verknüpftes 
Unterfangen  allergriädigst  aufnehmen.  Es  bestehet  aber  Unser 
aller  De-  uud  wehmütigstes  Anliegen ,   welches  Ew.  Königl. 


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Chronik  der  Berliner  SchnfaengUde. 


71 


Majest.  zu  eröffnen,  wir  Uns  erkühnen,  darinnen,  dass  wir 
sämbtliche  Ziungiesser,  Porcellainbrenner  und  Pfefferküchler  Uns 
zu  dem  bisshero  gewöhnlichen  Scheiben -Schiessen  in  denen 
Schützen-Plätzen  angeschicket  und  desswegen  eine  Zeitlang  be- 
sondere Gesellen  gehalten,  auch  nicht  nur  alles  das  uusrige  in 
die  schon  verfertigte  Waaren  gestecket,  sondern  auch  der  gröste 
Theil  von  uns  sich  deshalb  in  tiefe  Schulden  gesetzet.  Wan  wir 
nun  die  Waaren  bey  dieser  Gelegenheit  nicht  wieder  loss  werden 
selten,  so  würden  wir  dadurch  in  den  eusersten  ruin  gerathen; 
indem  sonderlich  uns  Pfefferküchlern  dieselben  verderben,  allen 
aber  insgesambt  die  Creditores  auf  den  Halss  fallen  und  ihre 
vorgeschossene  Gelder  wieder  fodern  würde;  woraus  dann  gantze 
Concoursprocesse  und  viele  Verwirrung  erwachsen  möchten. 
Gleichwie  aber  Allergnädigster  König  und  Herr,  Ew.  Königl. 
Majest.  Landesväterliche  Hulde  nicht  zugeben  wird,  dass  dero 
allergetreuesten  Unterthanen,  ohne  ihr  Verschulden,  und  bloss 
aus  Hoffnung  etwas  zu  erwerben,  womit  sie  sich  retten  und  ihre 
bürgerliche  Pflichten  übertragen  könnten,  solcher  gestalt  auf  ein- 
mahl  über  einen  Hauifen  geworffen  werden;  das  Tantzen  und 
andere  Üppigkeiten,  wodurch  Ew.  Königl.  Majest.  zu  höchst  ge- 
dachter Verordnung  bewogen  sein  mögen,  auch  wohl  bey  dem 
Scheiben-Sclüessen  unterbleiben  kan,  überdiess  Ew.  Königl.  Majest. 
so  viel  wir  aus  dero  Höchsten  Ordre  abnehmen,  nicht  gewillet 
seyn,  das  Scheiben-Schiessen  beständig  abzuschaffen  und  daran 
nicht  gelegen  ist,  ob  es  8  oder  14  Tage  später  geschehe:  also 
erkühnen  wir  uns  Ew.  Königl.  Majestät  hierdurch  allerunter- 
thänigst  anzutreten  und  fussfälligst,  wehmüthigst  zu  bitten,  Sie 
wollen  in  Höchster  königl.  Gnaden  geruhen,  vorangebrachte 
Unsere  Umstände,  und  dass  uns  Dero  höchste  Ordre  so  späte 
publiciret  worden,  nachdem  wir  uns  bereits  völlig  zu  dem  bevor- 
gestandeneu Scheiben-Schiessen  angeschicket  gehabt,  in  höchst 
erleuchtete  Consideration  zu  ziehen,  und  dahero  die  ergangene 
Höchste  Ordre  dahin  zu  ändern,  dass  das  Scheiben-Schiessen  auf 
denen  Schützen- Plätzeu,  nur  noch  einige  Zeit,  weiche  Ew.  Königl. 
Majestät  allergnädigst  determiniren  werden,  ausgesetzet  bleiben 
solle.  Die  wir  in  Tiefster  Hoffnung  einer  allergnädigsten  Er- 
hörung dieses  unsers  bloss  aus  Besorgniss  äussersten  ruins  her- 
rührenden wehmüthigsten  Suchens  mit  der  allerersinnlichsten 
Devotion  ersterben 

Allerdurchlauchtigster  p.  p. 
Sämbtliche  Zinngiesser  Porcellain  Brenner  und  Pfefferküchler 

hierselbst" 

wurde  vom  Könige  abschläglich  beschieden. 


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72 


Rudolph  Buchholi : 


1727.  19.  Juni.  Reskript  an  den  Magistrat:  „Das  Scheibenschiessen  mit 
den  dabei  vorkommenden  Üppigkeiten  soll  vollständig  abge- 
stellt sein." 

Gleichzeitig  erhält  die  Kunnärk.  Kammer  Kenntnis,  damit  sie 
keinerlei  Zahlungen  leistet. 

1727.  lf>.  Juli.  Generaldirektorium  fragt  an,  wie  die  hiesigen  Büchsen- 
macher und  Schlosser  beschieden  werden  sollen,  welche  darum 
bitten,  ihre  angefertigten  Büchsen,  Flinten  und  Pistolen  auf  den 
hiesigen,  jetzt  geschlossenen  Bürgerschützenständen  eiuschiessen 
zu  dürfen. 

Eine  Entscheidung  fehlt  in  den  Akten. 

Das  General-Direktorium  fragt  an  der  Hand  der  nachfolgenden, 
von  der  Gilde  unterm  4.  3.  1728  nochmals  gewagten  Vorstellung  heim 
Könige  an,  ob  die  Gilde  bei  der  Anwesenheit  des  Königs  von  Polen 
nach  der  Pfingstwoche  ein  Festschiessen  abhalten  dürfe: 

....  „Es  werden  beim  Schiessen  auf  unserem  Schützcnplatz 
keine  Ueppigkeiten  getrieben,  sondern  selbiges  wird  mit  aller 
Ehrbarkeit  verrichtet  nach  Vorschrift  der  Gilde  Artikel.  Dass 
aber  auf  dem  Platze,  worauf  die  Zinngiesser,  Porcellainbrenner, 
Bürstenbinder,  Kuchenbäcker  p.  p.  ihre  Waaren  nach  alter  Ge- 
wohnheit verkaufen  und  verspielen,  wegen  Zulauf  der  grossen 
Menge  Leute  ein  Lärmen  ist,  solches  gehet  dem  Schiess  Wesen 
ganz  und  gar  nichts  an,  sondern  es  wird  solcher  Lärm  wegen 
vorgedachter  Professionen  Nahrung  und  den  kleinen  Profit,  so 
sie  davon  haben  und  sich  und  die  ihrigen  dadurch  erhalten 
müssen,  verursachet.  Dahingegen  das  Tanzen  in  dem  Schützen- 
hause während  dem  Hauptschiessen  gänzlicli  eingestellet  und 
keine  Spielleute  geduldet  werden  sollen;  wie  denn  auch  sonsten 
zu  Verhütung  aller  Unordnung  und  Ueppigkeit  eine  Wache  in 
dem  Schützenhause  und  auf  dem  Platz  gehalten  wird  und  wenn 
noch  dazu  den  Einwohnern  in  der  Lindenstrasse  nachdrücklich 
anbefohlen  würde,  bei  dem  Hauptschiessen  gleichfalls  keine 
Spielleute  und  Tanzen  in  ihren  Häusern  zu  gestatten,  so  würden 
auf  ein  mal  alle  Insolentien  verhütet  und  dadurch  Ew.  Königl. 
Maj.  heilsame  Intention  erfüllet,  das  Schiessen  aber  in  aller 
Stille  können  verrichtet  und  dadurch  zugleich  die  Bürger  in 
ihrer  Nahrung  unterhalten  werden.  Wir  wollen  nicht  anführen, 
dass  auch  der  Accise  wegen  der  Consumtion  ein  ziemliches  zu- 
wäehset,  wenn  aber  das  Scheibenschiessen  eingestellet  bleiben 
sollte,  würde  nicht  allein  die  Accise,  sondern  auch  viele  von  der 
Bürgerschaft  dabei  ihre  Nahrung,  ja  auch  die  Creditores,  welche 


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Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 


73 


uns  zum  Anbau  noseres  Hauses  Gelder  geliehen,  das  Ihrige  ver- 
lieren und  dann  würde  auch  der  Schiessplatz  gar  eingehen  .  .  .  . 
bitten  wir  za  bestimmen,  wann  wir  das  Haupt-  oder  König- 
schiessen halten  sollen  und  da  unser  Schützenhaus  zur  Zierde 
der  Strasse  einer  Reparatur  bedarf,  wir  aber  dazu  keine  Mittel 
haben,  indem  wir  schon  auf  1400  Thaler  in  Schulden  stecken, 
so  bitten  wir,  uns  das  Prämium  der  60  Thaler,  so  wir  im 
vorigen  Jahr  nicht  bekommen  haben,  zu  solcher  Reparatur  zu 
schenken"  p.  p  

Darauf  Randbemerkung  des  Königs: 

»Plat  abschlagen  dieses  kan  ich  nit  dulden. 

Fr.  Wilhelm. u 

1734.  11.  Novbr.  Chr.  Ernst  Lehr,  Büchsenmacher  beim  Corps  der 
Husaren,  erbietet  sich,  am  Eude  der  Koehstrasse,  so  von  dem 
Rondel  nach  dem  Thiergarten  gehet  (also  an  der  jetzigen  König' 
grätzer  Str..  damals  stand  das  Albrecht-Palais  noch  nicht  und  die 
Kochstrasse  ging  bis  zur  Mauer)  ein  Schützenhaus  für  die  Friedrich- 
stadt von  24  Ruthen  Front  und  28  Ruthen  Tiefe  anzulegen,  wenn 
ihm  vom  Könige  der  erforderliche  Platz  und  Baumaterialien  ge- 
schenkt, auch  ein  Schützen-Privilegium  ertheilt  wird. 
Der  König  schlägt  das  Gesuch  ab. 

Die  ersten  Jahre  der  Regierung  Friedrichs  des  Grossen  nahmen 
den  König  nach  aussen  hin  zu  sehr  in  Ansprnch,  als  dass  die  wenigen 
von  der  einstigen  Gilde  noch  übrigen  Bürger  es  wagen  konnten,  ihm 
die  Wiedererrichtung  nahe  zu  legen. 

Im  Jahre  1746  aber  begann  dafür  eine  Agitation  und  als  sieh  dann 
auch  der  Magistrat  und  Königliche  Behörden  der  Sache  annahmen  und 
sie  vor  den  König  brachten,  erging  unterm  8.  6.  1746  folgende  Ordre: 

„Da  die  Uebung  mit  den  Gewehren  zu  einer  etwaigen  Defension 
der  Stadt  nützlich  sein  sollte,  so  wäre  es  auch  gut,  wenn  sämmt- 
liche  Schützengilden  in  den  hiesigen  Residenzien  zu  einer  einzigen 
Gilde  vereinigt  würden  und  das  Schiessen  vor  dem  Königsthor 
stattfände,  anerwogen  die  vielfältigen  Schützenhäuser  und  Gesell- 
schaften allzuviel  Gelegenheit  an  die  Hand  geben,  dass  die 
Bürger,  so  zum  Müssiggang  und  Trinkgesellschaften  incliniren, 
ihre  Nahrung  und  Wirthschaft  negligiren,  öfters  Frau  und  Kinder 
hungern  lassen  und  dem  Scheibenschiessen  und  Trinken  nach- 
gehen. Die  Theilnehmer  sollen  lauter  ehrliebende  ordentliche 
und  in  guter  Nahrung  stehende  Bürger  sein.  Das  Schiessen  ist 
nur  in  2—3  Sommermonaten  zu  gestatten  und  mit  dem  König- 
schiessen zu  schliessen  p.  p. 

Friedrich." 


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74 


Rudolph  Buchholz: 


Hierauf  wurde  unter  Mitwirkung  des  Magistrats  ein  neues  Statut 
entworfen,  welches  unterm  20.  Juli  1747  die  Königliche  Bestätigung  er- 
hielt. Nach  diesem  Statut  war  die  Schützengilde  zwar  eine  einheitliche, 
jedoch  in  2  Kompagnien  geteilt;  die  erste  Kompagnie  umfasste  die 
Schüteen  aus  Berlin  und  Cölln  mit  ihren  Vorstädten,  die  zweite  die 
aus  den  3  andern  Städten. 

Genau  20  Jahre  nach  ihrer  Auflösung  konstituierte  sich  nun  die 
Schützengilde  von  neuem.  Das  erste  Königschiessen  fand  noch  in  dem- 
selben Jahr  statt  und  zwar  schoss  die  erste  Kompagnie  am  19.  und  die 
zweite  am  21.  September  1747.  Die  beiden  betreffenden  Scheiben,  welche 
wir  hier  abgebildet  wiedergeben,  befinden  sich  noch,  ebenso  wie  die  fast 
aller  folgenden  Jahre,  als  Denkmäler  in  den  Sälen  des  neuen  Berliner 
Schiesshauses  in  Schönholz. 

Im  Rahmen  des  neuen  Statuts  arbeitete  die  „Vereinigte  Haupt- 
Schützengilde"  mit  geringen  Unterbrechungen  weiter. 


Ein  besonderer  Förderer  des  Schützengildewesens,  der  Stadtkom- 
mandant von  Berlin,  General  Graf  Haacke,  schenkte  ihr  im  Jahre  1758 
eine  noch  jetzt  vorhandene  Prachtbüchse,  an  welcher  sich  das  Gräflich 
Haacke'sehe  Wappen  befindet,  mit  der  Bestimmung,  dass  damit  immer 
nur  für  Seine  Majestät  den  König  geschossen  werden  darf  (Abb.  S.  8.) 

Es  ist  dies  derselbe  Graf  Haacke,  der  bei  Niederlegung  der  Festungs- 
werke für  (nach  damaligen  Begriffen)  schöne  Strassen-Anlagen,  nament- 
lich in  der  Gegend  vor  dem  Spandauer  Thor,  gewirkt  hatte,  so  dass  der 
in  der  Mitte  dieser  Strassen  gelegene  Marktplatz  nach  ihm  benannt  wurde. 

Im  Jahre  1755  wurde  der  Gilde  auch  eine  Kesselpauke  geschenkt, 
die  noch  vorhanden  ist. 


Chronik  der  Berliner  Schützengilde. 


75 


Anf  dem  neuen  Schützenplatz  an  der  Linienstrasse  war  nur  eine 
Schiessbude  errichtet ;  der  Schützenkrug  war  noch  der  alte,  an  der  alten 
Schützenstrasse,  geblieben.  Im  Jahre  1793/5  wurde  auch  ein  neues 
grosses  Schützenhaus  erbaut  und  1795  eingeweiht.  Wir  sind  in  der 
Lage,  die  damals  von  Calau  gezeichnete  und  von  Haas  gestochene  Ab- 
bildung des  eben  fertig  gewordenen  Schützenhauses  und  eines  dabei 
abgehaltenen  Vogelschiessfestes  zu  geben. 

In  der  Zeit  der  französischen  Invasion  bildete  sich  aus  einem  Teil 
der  Schützengilde  ein  kleines  berittenes  Korps  und  nach  Errichtung  der 
Bürgergarde  ein  Schützenkorps,  welches  namentlich  1813  die  mili- 
tärische Besetzung  der  Stadt  übernahm. 


Die  Städteordnung  vom  19.  November  1808  besagt  in  §  28:  »Da 
eine  Schützengilde  in  der  Bürgerschaft  zu  den  notwendigen  Anstalten 
bei  jeder  Stadt  gehört,  so  soll  durch  ein  besonderes  Reglement  das 
Nähere  darüber  zur  Achtung  jedes  Bürgers  bestimmt  werden."  Die  hier 
offenbar  beabsichtigte  Ausdehnung  des  Schützengildewesens  auf  alle  wehr- 
fähigen Bürger  ist  indess  nicht  weiter  zur  Ausführung  gekommen,  weil 
die  Militairdienstpflicht  verallgemeinert  wurde;  auch  enthält  die  revidierte 
Städteordnung  vom  30.  Mai  1853  eine  solche  Bestimmung  nicht  mehr. 

1837  erhielt  die  Gilde  ein  neues  Statut. 

1847  feierte  sie  ihr  lOOjähriges  Bestehen  nach  der  Wiederaufrichtung 


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76 


Rudolph  Buchholz: 


durch  Friedrich  den  Grossen.    Die  Feier, 


an  der  sich  zahlreiche  aus- 
wärtige Gilden  beteiligten, 
gestaltete  sich  sehr  gross- 
artig. Der  König  nahm  eine 
Parade  der  Schützen  ab  und 
verteilte  eigenhändig  die 
Haupt- Prämien,  wie  die 
Illustration  auf  der  anliegen- 
den Tafel  zeigt. 

Im  Jahre  1884  verlegte 
die  Gilde  ihren  Turnier- 
Platz.  Sie  kaufte  die  seit 
fast  ICK)  Jahren  in  Privat- 
besitz gekommene  ehema- 
lige Plantage  der  Königin 
Elisabeth  Christine,  Ge- 
mahlin Friedrichs  II.,  Schon- 
holz, für  240  000  Mark  und 
richtete  sieh  dort  nach  den 
modernen  Anforderungen 
ein.  Die  Mittel  dazu  ge- 
wann sie  •  reichlich  durch 
Verkauf  ihres  Grundstücks 
an  der  Linienstrasse,  von 
dem  wir  hier  eine  Ansicht 
fies  Inneren  der  Schiess- 
halle aus  der  Zeit  von 
1847,  sowie  eine  Front- 
Ansicht  des  Schützenhauses 
vom  Jahre  1885  geben. 


Vorstehende  Abhandlung  enthält  eine  Zusammenfassung  des  ganzen 
Akten-  und  Urkunden-Materials,  das  vom  Verfasser  zu  einem  Vortrage 
in  der  zu  Schönholz  am  4.  September  1897  abgehaltenen  Sitzung  der 
„Brandeuburgia"  benutzt  worden  ist. 

Von  der  Aufnahme  der  jüngeren  Chronik  konnte  abgesehen  werden, 
weil  das  betreffende  Material  ein  geringeres  historisches  Interesse  hat, 
auch  unter  verschiedeneu  Formen  durch  den  Druck  verbreitet  ist.  Nur 
die  hauptsächlichsten  Vorkommnisse  sind  kurz  berührt. 

Der  das  gegenwärtige  Schützenheim  Schönholz  betreffende  Teil  des 
Vortrags  ist  als  Teil  des  Sitzungsberichts  im  Monatsblatt  der  „Branden- 
burgia",  Oktober  Heft  1897,  abgedruckt. 


Bilder  aus  dem  Leben  der  preussischen  Armee 

im  vorigen  Jahrhundert. 

(Nach  alten  Militftrkirchenbachern  und  biographischen  Aufzeichnungen 

fridericianischer  Feldprediger.) 

Vom 

Superintendent  und  Oberpfarrer  Erich  Schild  in  Bitterfeld. 


Die  durch  ihr  Alter  ehrwürdigen  Kirchenbücher  des  preussischen 
Heeres  gewähren  uns  vielfach  ein  getreues  und  naives  Spiegelbild  des 
Lebens  der  Armee,  wie  es  sich  im  Auge  des  Feldpredigers  im  vorigen 
Jahrhundert  reflektierte.  Heutzutage,  in  einer  schematisierenden  und 
schabionisierenden  Gegenwart,  sind  die  Kirchenbücher  neben  den  staudes- 
amtlichen Registern  zu  statistischen  Listen  geworden,  aus  denen  von 
Zeit  zu  Zeit  trockene  Auszüge  gegeben  und  tote  Prozentsätze  berechnet 
werden.  Anders  zu  jener  Zeit,  die  man  die  „gute,  alte"  nennt,  die  in 
Wirklichkeit  hart,  eckig  und  kantig  war,  aber  doch  voll  Leben  und 
Originalität  erscheint  auch  in  den  alten  Militär-Kirchenbüchern.  Stereoskop- 
bilder zeigen  sie  uns  aus  Pfarrstube,  Haus,  Schule  und  Kaserne,  aus 
Kriegs-  und  Friedenszeiten,  Bilder. immer  wahrheitsgetreu,  weil  ohne  jede 
Effektberechnnng ;  Bilder  nicht  selten  mit  lyrischen  und  humoristischen 
Arasbesken  umzogen,  besondere  fesselnd,  weil  sie  von  einem  grossen 
epischen  Hintergründe  sich  abheben,  der  Geschichte  der  Armee,  die  ja 
zugleich  die  Geschichte  unseres  Volkes  ist.  Und  darum  hat  solch'  eine 
Betrachtung,  besonders  weun  sie  sich  zugleich  stützt  auf  die  zum  Teil 
recht  wertvollen,  von  Leopold  v.  Ranke  z.  B.  wiederholt  in  seinen 
„Neun  Büchern  preussischer  Geschichte"  angeführten  Tagebücher  und 
sonstige  biographische  Aufzeichnungen  preussischer  Feldprediger  jeuer 
Tage,  nicht  bloss,  wie  ich  meine,  kulturhistorisches,  sondern  auch  patrio- 
tisches und  religiös-sittliches  Interesse.  Denn  manch  köstlicher  Einblick 
wird  uns  da  verstattet  in  einzelne  Seeleu,  die  aus  der  grossen  Masse  der 
Unbildung  und  der  Rohheit  doppelt  leuchtend  sich  herausheben.  Wir 


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78 


Erich  Schild  in  Bitterfeld. 


sehen  da  manches,  nns  Pastoren  der  Gegenwart  tiefbeschämende,  Bei- 
spiel pastoraler  Treue,  die  den  Einzelnen  nicht  blos  kennt  —  freilich 
hatte  damals  jedes  Regiment  seinen  eigenen  Feldprediger  —  sondern  ihm 
auch  nachgelit  und  ihn  je  nach  Bedürfnis  „besonders  von  dem  Volke" 
nimmt. 

Das  geschah  namentlich  vor  den  häufigen  Abendmahlsfeiern,  über 
die  sorgfältige  Listen  geführt  wurden,  in  denen  neben  dem  Namen  fast 
jedes  Kommunikanten  das  Urteil  des  Seelsorgers  sich  findet.  Da  werden 
dem  verschwiegenen  Kirch  buch  tief  bewegliche  Gebetsseufzer  des  Pastors 
über  seine  Gemeinde  anvertraut;  da  lesen  wir,  wie  mit  grossem  Ernst 
Unbussfertige  oder  Unversöhnliche  vom  heiligen  Mahl  zurückgewiesen 
werden;  da  finden  sich  ergreifende  Beispiele  der  Amtserfahrung  aufge- 
zeichnet. Wir  bekommen  dadurch  ein  interessantes  und  unanfechtbares 
Zeugnis  über  den  niedrigen  Stand  der  allgemeinen  .Sittlichkeit  in  der 
Armee  jener  Zeit,  über  die  Rohheit  wenigstens  der  äusseren  Gesittung. 
Wir  finden  vollauf  bestätigt  die  Klage  eines  theologischen  Schriftstellers 
jeuer  Tage,  des  Professors  Chr.  Gerber  in  seiner  Schrift  „Von  dem  sehr 
verderbten  Soldatenstande  und  dem  Zwange  zu  demselben":  „Eine  Armee 
ist  heutzutage  leider!  fast  nicht  anders  anzusehen,  als  eine  Pfütze,  darin 
alle  Laster  zusammenfassen.  Da  ist  Raub,  Mord,  Unzucht,  Meineid, 
Fluchen,  Gotteslästern,  Saufen,  Schwelgen,  Verachtung  des  göttlichen 
Wortes  u.  s.  w.  fast  überall  anzutreffen.  Das  kommt  denn  vornehmlich 
daher,  weil  insgemein  nur  solche  Leute  Kriegsdienste  annehmen,  die 
entweder  Eltern  und  Herren  ungehorsam  sind  und  nicht  folgen  wollen; 
oder  die  ein  Bubenstück  begangen  haben  und  der  Strafe  der  ordentlichen 
Obrigkeit  entgehen  wollen  und  alsdann  in  den  Krieg  als  in  eine  Frei- 
statt aller  Schande  und  Laster  laufen ;  oder  die  aus  Faulheit  nichts 
gelernt  haben,  auch  nichts  lernen  noch  arbeiten  wollen",  —  eine  Klage, 
die  das  Urteil  eines  neueren  Geschichtsschreibers  über  die  preussische 
Heeresverfassung  jener  Zeit  als  wohlbegründet  erweist:  „Durch  die  aus- 
drücklichen Massnahmen  Friedrich  Wilhelms  I.,  besonders  durch  das 
Edikt  vom  Jahre  1714,  schien  das  preussische  Heer  in  damaliger  Zeit 
bestimmt,  einer  Ablagerung  sämtlicher  Vagabunden  des  Landes  und 
einem  Gefängnis  ähnlicher  zu  werden,  als  einer  Gesellschaft  von  Kriegern, 
welche  jeden  Augenblick  bereit  wäre,  Leib  und  Leben  für  ideale  Güter 
daran  zu  setzen." 

So  können  wir  uns  freilich  nicht  wundern,  wenn  in  den  militär- 
ischen Kommunikantenlisten  jener  Zeit  die  pastorale  Note  „venator, 
amator,  potator,  scortator,  lusor"  (.lagdmacher,  Verliebter,  Säufer,  Un- 
züchtiger, Spieler)  neben  den  Namen  sehr  häufig  wiederkehrt  ;  dahinter 
freilich  auch  gar  oft  der  Zusatz:  „Verspricht  aber  unter  vielen  Thräuen, 
sich  zu  bessern";  einmal  aber  wird  einem  auch  derb  und  herb  im  Stil 
jener  Zeit  das  Epitaphium  im  Kirchenbuch  gesetzt: 


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Bilder  aus  dem  Leben  der  preusei sehen  Armee  im  vorigen  Jahrhundert.  79 


„Natus  est  ut  mus, 
Vixit  ut  sus, 
Mortuus  est  ut  canis, 
Ebrius  et  mente  inanis," 
d.  h.  etwa  im  derben  Stil  des  Originals: 

Geboren  wie  'ne  Maus  so  klein, 
Hat  er  gelebet  wie  ein  Schwein, 
Und  wie  ein  Hund  fuhr  er  von  hinnen 
Als  Trunkenbold  und  ganz  von  Sinnen. 
Den  im  Vergleich  mit  der  Jetztzeit  weit  niedrigeren  Stand  der  all- 
gemeinen Sittlichkeit  veranschaulichen  auch  die  Tauf-  und  Trauregister 
jener  Zeit.  Es  war  alter  Brauch,  dass  an  die  Kindtaufe  eine  Schmauserei 
sich  schloss.  Das  in  den  Kriegslagern*  des  17.  Jahrhunderts  bei  Taufen 
von  Soldatenkindern  üblich  gewesene  Ceremonial  bestimmt  bereits: 
„Nach  der  Taufe  schenken  die  Gevattern  der  Kindbetterin  jeder  einen 
Gold-K ron  oder  Thaler,  sitzen  danach,  wie  es  Zeit  und  Ort  in  einem 
Feldlager  leiden  mag,  zusammen,  leben  mit  dem,  was  Gott  bescheeret, 
wohl  und  thun  ein  gutes  Trünklein".  Aber  häufig  sind  die  Klagen  in 
den  alten  Kirchenbüchern,  dass  dies  Trünklein  vielfach  gar  zu  sehr  an- 
schwoll, dass  Taufmahle  oft  zu  „Saufftnahlen"  wurden.  König  Friedrich 
Wilhelm  I.  verordnete  deshalb,  dass  sich  ein  gemeiner  Soldat  so  viel 
Oberoffiziere  und  andere  mit  Hänsern  und  Gütern  angesessene  Personen 
als  er  immer  wollte,  zu  Paten  bei  seinen  Kindern  erbitten  durfte,  von 
seinen  Kameraden  sollte  er  jedoch  nicht  mehr  als  „einen  Kerl  und  ein 
Weiba  dabei  haben,  bei  Spiessruteustrafe.  Aus  dem  Zusatz  „zur  Ver- 
hütung aller  daraus  fliessenden  Inconvenientien"  erhellt,  dass  Zweck 
dieser  Verordnung  war,  die  schon  berührten  mancherlei  Missbräuche  — 
Vergeudung  des  zum  Lebensunterhalt  nötigen  Geldes,  Trunkenheit, 
Zank,  Schlägerei  —  zu  vermeiden,  die  bei  Taufschmansereien  damals  so 
leicht  vorkamen,  wenn  sämtliche  Paten  niederen  Standes  waren.  Die 
Anwesenheit  von  Oberoffizieren  und  angesehenen,  vermögenden  Bürgern  als 
Paten  sollte  jeder  Ausschreitung  vorbeugen,  während  sie  andererseits  dem 
Vater  des  Täuflings  durch  das  der  Mutter  dargereichte,  dem  Stande  der  Paten 
entsprechende  Patengeld  eine  materielle  Unterstützung  brachte.  In  diesem 
Sinne  verlangt  auch  Hocker  in  seinem  1710  in  Frankfurt  a.  d.  O.  er- 
schienenen „Pastorale  castrense  oder  nützlich  und  treuer  Unterricht  für 
neuangehende  FeldpredigerM,  dass  der  Feldprediger  auf  Verhinderung 
des  Schmausens  bei  den  Taufen  Bedacht  nehmen  solle,  damit  den  Kind- 
betterinnen  das  Patengeld  zu  ihrer  Pflege  bleibe. 

Die  Trauregister  zeigen  uns,  dass  im  vorigen  Jahrhundert  von 
den  gemeinen  Soldaten  nahezu  die  Hälfte  verheiratet  war,  während  heut- 
zutage verheiratete  Soldaten  im  Frieden  bei  der  Fahne  nur  in  ganz 
seltenen  Fällen  einmal  zu  finden  sind,  und  auch  von  den  Unteroffizieren 


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80 


Erich  Schild  in  Bitterfeld. 


die  früher  ziemlich  durchweg  beweibt  waren,  heute  nur  ein  geringer 
Bruchtheil  verheiratet  ist.  Dass  die  sittliche  Beschaffenheit  der  Soldaten- 
frauen jener  Zeit  viel  zu  wünschen  übrig  liess,  erklärt  sich  zur  Genüge 
aus  der  damaligen  Zusammensetzung  des  preussischen  stehenden  Heeres. 
Dasselbe  war  noch  kein  nationales,  noch  kein  Volksheer.  Nur  zu  einem 
Teil  bestand  es  aus  Landeskindern;  der  Rest,  oft  bis  zur  Hälfte,  musste 
ausser  Landes  angeworben  werden.  Schon  zwar  hat  Friedrich  Wilhelm  I. 
jedem  Regiment  im  Lande  seinen  bestimmten  Kanton  zur  Aushebung 
angewiesen;  aber  noch  werden  bei  der  Aushebung  die  arbeitenden  und 
steuerzahlenden  Kräfte  in  Stadt  und  Land  geschont,  noch  darf  der  Ver- 
mögende einen  Ersatzmann  stellen.  So  ist  das  Resultat  der  einheimischen 
Aushebung  doch  nur,  dass  die  wertlosesten  Elemente  des  Volkes,  die 
„unsicheren  Kantonisten",  oder  doch  die  sonst  für  die  Zwecke  des 
Staates  nicht  nutzbar  zu  machenden  Elemente,  gleichsam  die  Drohnen 
im  Bienenstock,  zum  Dienst  gezwungen  werden,  oder  gar  eine  Geld- 
spekulation daraus  machen.  Es  ist  noch  ein  Frohn dienst  dressierter 
Lohnsoldaten,  nicht  ein  Ehrendienst  der  Kinder  des  Vaterlandes; 
Soldat  zu  sein,  gilt  damals  noch  im  deutschen  Volke  für  eine  Schande, 
in  Preussen,  wo  bald  des  grossen  Königs  Rubm  für  vieles  Harte  im 
Dienste  entschädigte,  immer  noch  den  meisten  für  ein  Unglück.  Noch 
im  Jahre  1790  schämte  sich  ein  reicher  Bauernbursche  in  Kursachsen 
nahe  bei  Torgau,  der  durch  des  Amtmanns  Hass  zum  Dienst  gezwungen 
worden  war,  seiner  Uniform  und  seines  Standes  so  sehr,  dass  er  sich 
dnrch  eine  Magd,  so  oft  er  auf  Urlaub  nach  Hause  kam,  stets  Civil-  ' 
kleider  vor  das  Dorf  bringen  liess  und  sie  dort  erst  anlegte,  ehe  er 
dasselbe  betrat. 

Diese  Missachtung  des  Soldatenstandes  erklärt  sich  besonders  durch 
den  zweiten  Bestandteil  der  Armee,  die  grosse  Zahl  der  freiwillig  oder 
gewaltsam  zu  den  Landeskindern  hinzugeworbeneu  Ausländer.  Diese 
waren  entweder  die  Hefe  des  Volkes,  Abenteuerer  aller  Art,  auch  wohl 
Verbrecher,  die  in  ihrer  Heimat  sich  nicht  mehr  sehen  lassen  durften, 
oder  es  waren  bedauernswerte  Menschen,  die  um  ihres  guten  Wuchses 
willen  dnrch  alle  nur  erdenklichen  Mittel  der  List  oder  Gewalt  betrogen 
und  zur  Fahne  eingefaugen  wurden.  „Wachse  nicht,  sonst  fangen  dich 
die  Werber!"  sagten  darum  die  Mütter  bekümmert  zu  ihren  hoch  auf- 
schiessenden  Söhnen.  Büsching  in  seinem  Beitrag  zur  Lebensgeschichte 
des  Probstes  zu  St.  Petri  in  Berlin  Reinbeck  berichtet,  dass  letzterer 
seinen  zweiten  Sohn  Johann  Gustav,  weil  ihm  wegen  seiner  grossen 
Statur  schon  bei  angehendem  Jünglingsalter  von  den  Soldaten  sei  nach- 
gestellt worden,  nicht  nach  Halle,  „woselbst  von  Zeit  zu  Zeit  grosse 
Studenten  zu  Soldaten  gemacht  wurden,"  sondern  nach  Jena  auf  die 
Universität  gebracht  habe.  Der  Predigersohn  und  Kandidat  Laurentius 
Bollhagen,  im  Begriff,  eine  ihm  verliehene  Pfarrstelle  anzutreten,  wird 


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Bilder  aus  dem  Leben  der  preussischen  Armee  im  vorigen  Jahrhundert.  81 


unterwegs  von  preussischen  Werbern,  die  nach  „langen  Kerlen-  heruin- 
spüren,  gegriffen,  nach  Potsdam  gebracht  und  hier  sogleich  in  die  Montur 
des  Leibregimentes  gesteckt.  Vergebens  sind  alle  seine  Klagen  und 
Proteste;  zwei  Jahre  muss  er  als  gemeiner  Gardist  dienen,  während 
welcher  Zeit  der  Hauptmann  alle  Briefe,  die  der  unglückliche  junge 
Mann  an  seine  Eltern  iu  der  pommerschen  Heimath  richtet,  abfangt 
und  unterschlägt,  —  in  der  That  ein  sprechender  Beweis  dafür,  dass 
damals  der  Heeresdienst  dem  Aufenthalt  in  einem  Gefängnis  nicht  un- 
ähnlich war.  Nimmt  mau  dazu  die  grausamen  Strafen,  das  Fuchteln 
d.  h.  die  unmässigen  Stockprügel,  mit  denen  jeder  kleine  Felder  in 
Kleidung  und  Bewegung  bestraft  wurde,  das  Spiessrutenlaufen,  Ühren- 
und  Nasenabschneiden,  Anschmieden  an  Arbeitskarren  und  dergl.,  womit 
grössere  militärische  Vergehen  geahndet  wurden,  so  glaubt  man  gern, 
dass  das  Loos  der  „Heben  blauen  Kinder"  des  Soldatenkönigs  bei  aller 
Zärtlichkeit  und  Vorliebe  des  Vaters  für  sie  doch  so  wenig  beneidens- 
wert war,  dass  die  einheimische  Bevölkerung  den  Soldatenstaud  mit 
Schrecken  floh. 

Was  nun  das  Heiraten  der  geworbeneu  Ausländer  betraf,  so  sagte 
zwar  das  Reglement:  .,Fs  soll  solch  ein  ausländischer  Kerl  nicht  so 
blind  hin  heirathen  und  dessen  Braut  nicht  allzu  pauvre  sein,  zum 
wenigsten  soll  sie  durch  ihrer  Hände  Arbeit  sich  ernähren  können." 
Indessen  wenn  ein  angeworbener  Soldat  durchaus  nicht  von  seiner  Dirne 
lassen  wollte,  so  wurde  die  Trauung  auf  Anordnung  des  militärischen 
Befehlshabers  sofort  vollzogen,  wenu  auch  in  den  meisten  Fällen  die  so 
geschlossene  Verbindung  ein  Hohn  auf  die  Heiligkeit  der  Ehe  und  des 
Familienlebens  war.  Bei  manchen  Truppenteilen  sah  man  aber  auch 
in  solchen  Fällen  von  der  Trauung  ab  und  gestattete  das  Zusammen- 
leben ohne  Copulation.  Beim  ersten  Bataillon  der  Regiments  Garde  z.  B. 
kommen  sogenannte  Liebstensehcine  vor  d.  h.  die  schriftliche  Erlaubnis 
für  den  Soldaten,  mit  einer  bestimmten,  uamhaft  gemachten  Person  des 
anderen  Geschlechtes  im  Konkubinat  zu  leben.  Scheidungen  dieser 
seltsamen  Verbindungen,  über  deren  Anstössigkeit  man  hinwegsah,  ge- 
hörten vor  den  Riclitnstuhl  des  Kompagniechefs,  der  im  übrigen  nur 
darauf  zu  achten  hatte,  dass  die  so  mit  einander  Lebenden  sich  auch 
ernähren  konnten.  In  den  Garnisonstädteii  wohnten  die  verheirateten 
Soldaten  in  erster  Linie  in  den  Kasernen.  Jeder  hatte  Stube  und 
Kammer,  musste  aber  zwei  ledige  Soldaten  als  „Schlafburschen-  iu  diese 
enge  Wohnuug  mit  einnehmen.  Man  kann  sich  denken,  was  für  schlimme 
Verhältnisse  in  sittlicher  Beziehung  oft  daraus  entstanden  sein  mögen! 

Die  materielle  Lage  der  verheirateten  Soldaten  war  bei  der  geringen 
Löhnung  von  2  Thalern  monatlich  überaus  kümmerlich.  Ihre  in  den 
Kasernen  wohnenden  Frauen  hatten  nur  Recht  auf  Obdach  und  Lager- 
statt d.  h.  Bettstelle;  an  Holz,  Licht  und  Betten  aber  durften  sie  nichts 

U 


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Hl» 


Erich  Schild  in  RitterfelcL 


Besonderes  für  sich  fordern.  Uni  sich  Nebenverdienst  zu  verschaffen, 
betrieben  sie  in  den  Garnisonen  allerlei  Gewerbe,  besonders  Hökerei. 
Auf  einen  weiteren  Nebenerwerb  deutet  ein  Schreiben  des  Königs  vom 
4.  Mai  17li4  an  den  General  Lölhöffel,  Kommandeur  des  Kürassier- 
Regimentes  No.  ö,  worin  es  heisst :  ..Soldatenweiber  und  Soldatenkinder 
sollen  spinnen,  auch  die  Soldaten,  damit  sie  sich  etwas  verdienen.41 
Wurden  in  Berlin  Soldatenweiber  oder  Kindel*  beim  Betteln  betroffen, 
so  steckte  man  sie  kurzer  Hand  zum  Wollespinnen  in  das  Arbeitshaus. 
Disciplinarisch  konnten  die  Frauen  wegen  geringer  Diebstähle,  Injurien, 
Klatschereien  und  dergl.  körperlich  durch  den  Profoss  gezüchtigt  d.  Ii. 
mit  Hüten  gehauen  werden,  oder  sie  wurden  zum  Tragen  der  Fiddel 
verurteilt.  Die  Fiddel  war  ein  mit  Löchern  versehenes  hölzernes  Brett, 
durch  das  Kopf  und  Arme  gesteckt  wurden.  Die  so  Bestraften  mussten 
mit  ihrem  hölzernen  Schmuck  mehrere  Stunden  vor  der  Hauptwache  des 
Regimentes  spazieren  gehen.  Wie  elend  und  bedauernswert  die  soziale 
Stellung  der  Soldatenfrauen  damals  war,  erhellt  auch  aus  der  gesetz- 
lichen Bestimmung,  wonach  Soldatenfrauen  und  Kinder  nicht  durch 
Soldaten  zu  Grabe  getragen  werden  durften,  sondern  Bürger  diesen 
Dienst  verrichten  mussten.  Soldaten  durften  gar  nicht  einmal  der  Leiche 
folgen. 

Sonderbar  mutet  es  uns  heutzutage  an,  wo  ja  die  Vereidigung  der 
Rekruten  alljährlich  mit  ganz  besonderer  kirchlicher  und  militärischer 
Feierlichkeit  geschieht,  wenn  wir  in  den  Aufzeichnungen  der  alten  Feld- 
prediger wiederholt  lesen,  wie  diese  jüngeren  Kollegen  und  Amtsnach- 
folgern den  Rat  geben,  sich  zu  Eidesvermahnungen  an  die  Rekruten 
vor  Vereidigung  derselben  nicht  gebrauchen  zu  lassen.  Aber  dieser 
Rat  hatte  seinen  guten  Grund.  Denn  zahlreich  war  unter  den  Ge- 
worbenen die  Klasse  derer  vertreten,  die  schon  acht  Iiis  zehn  Boten- 
taten den  Fahneneid  geschworen  und  ihn  ebenso  oft  gebrocheu 
hatten.  Auch  um  der  laxen  Praxis  willen,  die  der  Staat  selbst  in  An- 
sehung des  Fahneneides  durch  Einstellung  fremder  Deserteure  in  die 
eigene  Armee  übte,  konnten  gewissenhafte  Feldprediger  in  solcher  Ver- 
eidigung nichts  anderes,  als  eine  Profanation  des  Eides  erblicken. 
Man  wusste,  dass  bei  der  Eidesabiegung  allerlei  Meutalreservatiouen 
gemacht  wurden.  „So  lange  wie's  dauert*4,  oder  „von  heute  bis  morgen*1 
und  dergl.  setzten  viele  leise  der  Eidesformel  hinzu.  Nach  empfangenem 
Handgeld  bei  der  ersten  Gelegenheit,  die  sich  bot,  zu  desertieren,  war 
das  Ziel,  dem  solche  Soldaten  uachtrachteten,  und  das  einen  unaufhör- 
lichen Kampf  zwischen  Gewalt  und  List  in  der  Armee  unvermeidlich 
machte.  Um  Desertionen  zu  verhüten,  glichen  namentlich  die  au  den 
Grenzen  gelegeneu  Städte,  wo  der  Reiz  zur  Desertion  sehr  gross  war. 
belagerten  Festungen,  so  sehr  waren  sie  mit  Wachen  und  Lärmkanonen 
umgeben.    Trotz  aller  Wachsamkeit  gelang  es  aber  gar  manchem,  über 


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Bilder  aus  «lern  Leben  der  preußischen  Armee  im  vorigen  Jahrhundert.  Sil 


die  nahe  Grenz«  zu  entkommen,  um  —  gegen  Empfang  neuen  Hand- 
geldes und  Zusicherung  der  Straflosigkeit  von  da  ans  zurückzukehren. 
In  derartige  Traktate  Hess  man  sich  also  ein.  Treubruch  beim  gemeinen 
Mann  schändete  nicht:  wie  würde  man  denn  auch  sonst  in  die  Reihen 
der  Armee  solche  aufgenommen  haben,  die  bereits  von  mehreren  Armeen 
desertiert  waren!  Eine  solche  Vereidigung  durch  Gehet  und  Rede  zu 
weihen,  war  ein  Amtsgeschäft,  dem  sich  die  damaligen  Feldprediger 
nach  Möglichkeit  zu  entziehen  suchten. 

Wie  auf  den  niedrigen  Stand  der  allgemeinen  Sittlichkeit  in  der 
Armee  jener  Zeit,  so  werfen  die  alten  Kirchenbücher  und  biographischen 
Aufzeichnungen  der  Feldprediger  jener  Zeit  auch  manches  Schlaglicht 
auf  den  Grad  der  damals  in  der  Armee  vorhandenen  allgemeinen 
Bildung.  Friedrich  Wilhelm  I.  unbestrittenes  Verdienst  ist  es  allerdings, 
auch  hierin  seines  Volkes  Wohlfahrt  klüftig  gefördert  zu  haben.  Seine 
prineipia  regulativa  oder  Gencral-Sclmlplan  vom  '10.  .Juli  17.' »II  sind  die 
ei'Ste  (Jrundlage  zur  allgemeinen  Schulbildung  in  Preussen  gewesen. 
Darin  wird  jeder  Gemeinde  zur  Pllicht  gemacht,  einen  Schulmeister  zu 
halten:  aber  noch  heisst  es  darin  charakteristisch  genug:  rlst  der  Schul- 
meister ein  Handwerker,  kann  er  sich  schon  ernidnen:  ist  er  keiner, 
wird  ihm  erlaubt,  in  der  Finte  sechs  Wochen  auf  Tagelohn  zu  gehen.44 
Wie  für  die  Volksschulen,  hielt  der  König  in  gleicher  Weise  —  und 
dadurch  zeichnete  sich  die  preussische  Armee  vor  allen  anderen  aus  — 
für  die  Soldatenkimler  eines  jeden  Regimentes  einen  Schutmeister  oder 
Kateclieta,  der  meistens  zugleich  Feldküster  war.  Wir  weiden  uns  aber 
nach  dem  soeben  über  die  Schulineister-Qualilät  von  damals  Bemerkten 
nicht  wundern,  dass  das  Katechisiuus-Exameu,  das  mit  jedem  Soldaten, 
der  zur  Kommunion  ging,  auch  mit  deren  Frauen,  zuvor  vom  Feld- 
prediger abgehalten  wurde,  nach  den  darüber  in  den  Militairkirchen- 
bücheru  vorhandenen  Notizen  noch  recht  ungünstige  Resultate  zeigte. 
Der  Feldprediger  Michaelis  heim  Regiment  von  Kalkstein  vermerkt  im 
Jahre  172*.»,  dass  er  die  grobe  Unwissenheit,  in  der  die  ihm  Anvertrauten 
befangen  gewesen,  als  die  (Quelle  aller  ihrer  Unordnungen  und  als 
traurige  Ursache  der  Fruchtlosigkeit  seines  Predigens  und  seiner  übrigen 
AmtsverrichtuDgen  bei  ihnen  erkannt  habe.  Da  die  meisten  Soldaten 
nicht  lesen  konnten,  so  sei  auf  sein  Betreiben  beim  Regiment  eine  be- 
sondere Selude  errichtet,  um  denen,  die  es  noch  nicht  verstanden,  das 
Lesen  und  Schreiben  beizubringen:  wobei  sie  auch  wöchentlich  einige 
Stuudeu  vom  Feldprediger  im  Katechismus  unterrichtet  waren.  Doch 
habe  die  grosse  Widersetzlichkeit  der  Soldaten  ihm  in  seinem  Hause 
beim  Unterricht  manche  Not  und  Störung  gemacht  und  sogar  bei  der 
Beichte  in  der  Kirche  veranlasst,  dass  einige  dieser  Widerspenstigen  in 
Arrest  geführt  weiden  mussten. 

Audi  unter  den  Offizieren  bestand  damals  eine  grosse  Verschieden- 

C* 


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84 


Erich  Schild  in  Bitterfeld. 


heit  wie  des  moralischen  so  des  intellektuellen  Bildungsgrades.  Es  gab 
Offiziere,  die  einen  reichen  Schatz  von  Kenntnissen  besassen,  selbst  über 
ihre  militairische  Sphäre  hinaus,  und  eifrig  bemüht  waren,  sich  immer 
weiter  auszubilden:  wir  brauchen  blos  an  Hans  Karl  v.  Winterfeld  zu 
denken,  den  General  und  Freund  Friedrichs  des  Grossen,  oder  an  Ewald 
von  Kleist,  den  Dichter,  der  bei  Kunersdorf  tötlieh  verwundet  wurde. 
Der  geistige  Bildungsgrad  der  grossen  Mehrzahl  aber  stand  wenig  über 
Null.  Prinz  Moritz  von  Dessau  z.  B.  war  General  und  konute  weder 
lesen  noch  schreiben.  Absichtlich  hatte  ihn  sein  Vater  Leopold,  der 
alte  Dessauer,  der  Exerzieruieister  des  preussischen  Heeres,  ohne  jeden 
Unterricht  aufwachsen  lassen,  um  zu  sehen,  was  die  Natur  ohne  mensch- 
liches Zuthun  aus  ihm  machen  werde.  Er  selbst,  der  alte  Dessauer,  war 
von  Künsten  und  Wissenschaften  kein  Freund;  er  hasste  sie  nicht  gerade, 
er  besass  sie  einfach  nicht  und  begehrte  sie  nicht.  Die  Tonkunst  allein 
machte  insofern  eine  Ausnahme,  als  er  es  endlich  dahin  brachte,  die 
Melodie  des  Dessauer  Marsches  singen  zu  können,  und  nach  dieser 
Melodie  sang  er  nun  in  der  Kirche  all'  und  jede  geistlichen  Lieder 
zum  Staunen  und  Grauen  der  Anwesenden.  Luthers  Lied  „Ein'  feste 
Burg  ist  unser  Gott"  war  ihm  besonders  wert.  Lobend  nannte  er  es 
unseres  Herrgotts  Dragonermarsch.  Den  Gottesdienst  besuchte  er  häutig 
und  sprach  sich  nachher  über  die  gehörten  Predigten  lobend  oder 
tadelnd  aus.  In  seiner  Loge  in  der  Hofkirche  in  Dessau  hatte  er  eine 
Bassgeige  stehen.  Bei  solchen  Stellen  der  Predigt,  denen  er  besonders 
zustimmte,  fuhr  er  mit  dem  Bogen  einmal  über  die  Saiten  der  Bassgeige 
und  gab  damit  dem  Prediger  gleich  während  der  Predigt  eiu  hörbares 
Zeichen  des  fürstlichen  Wohlgefallens.  Auch  schickte  er  ihm  für  jeden 
solcher  Basstidelstriche  nach  dem  Gottesdienst  als  Geschenk  eine  Flasche 
guten  Weines.  Einst  predigte  der  Geistliche  gegen  den  Luxus,  rügte 
insonderheit  die  grosse  Kleiderhoflart  der  Frauen  und  schloss  mit  der 
Bemerkung:  „Zwar  werdet  Ihr  im  Stillen  denken:  unsere  gnädigste 
Landcsinutter,  die  Frau  Fürstin,  macht  es  ja  ebenso;  aber  der  Unter- 
schied ist:  die  hat  es  dazu,  und  ihr  habt  es  nicht!*4  Sofort  nach  diesen 
Worten  vernahm  mau  ;ius  der  lYn>l liehen  Loge  des  Basses  Grundgcwalt 
in  drei  urkiäftigen  Bogenstrichen,  ein  Zeichen,  da-s  dies*'  Stelle  der 
Predigt,  wie  auch  die  nachher  vom  Für-ten  !_•■  -]n  i  deten  drei  Flaschen 
edelsten  Weine-  darthaten,  das  ganz  besondere  Wohlgefallen  des  alten 
Dessaueis  erregt  hatte. 

Bekannt  ist  sein  Gebet  vor  der  Schlacht  bei  Kesselsdorf.  Unter 
den  Klangen  des  Dessauer  Marsches  hatte  Fürst  Leopold  seine  Schaareu 
ruhig  und  regelrecht  aufmarschieren  la^en,  obgleich  die  Feinde  ein 
heftiges  Feuer  unterhielten:  dann  nah  in  er  den  kleinen  dreieckigen  Hut 
ab  und  sprach,  andächtig  zum  Himmel  blickend,  das  merkwürdige  Gebet: 
„Lieber  Hengott,  steh"  mir  heute  gnadig  bei,  oder  wenn  du  mir  nicht 


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Bilder  aus  dem  Leben  der  preussischen  Armee  im  vorigen  Jahrhundert.  85 


beistehen  willst,  so  hilf  wenigstens  den  Hundsföttern,  meinen  Feinden, 
nicht;  dann  will  ich  schon  allein  mit  ihnen  fertig  werden!  In  Gottes 
Namen  drauf  los!„ 

Als  seine  Tochter  Luise,  Fürstin  von  Anhalt-Hern  bürg,  hoffnungslos 
daruiederlag,  wünschte  sie,  vor  ihrem  Ende  noch  einmal  den  Vater  an 
der  Spitze  seines  Regimentes  aas  den  Fenstern  ihres  Schlosses  zu  sehen. 
Leopold  brach  also  mit  seinen  Soldaten  von  Halle  nach  Bernburg  auf; 
kaum  daselbst  eingerückt,  warf  er  sich  laut  schluchzend  zur  Erde  und 
betete  voll  Inbrunst:  „Herr,  ich  hin  kein  solcher  Lnmp,  der  dir  bei 
jeder  Hundsfötterei  mit  Bitten  beschwerlich  fällt!  Ich  komme  nicht  oft, 
will  auch  sobald  nicht  wiederkommen:  so  hilf  mir  denn  auch  jetzt  und 
lass  meine  Tochter  gesund  werden!"  Darauf  liess  er  die  Truppen  im 
Schlosshofe  vor  den  Augen  seiner  totkranken  Tochter  ihre  Uebungen 
machen:  dann,  während  das  Regiment  gespeist  wurde,  setzte  er  sich  auf 
das  Geländer  der  Saalebrücke  und  weinte  bitterlich.  — 

Charakteristisch  für  jene  Zeit  ist  die  Art  und  Weise,  wie  der  alte 
Dessauer  einst  die  erledigte  Feldpredigerstelle  seines  Regimentes  besetzte, 
denn  damals  hatte  der  Chef  des  Regimentes  das  Recht  der  Wahl  des 
Feldpredigers  für  sein  Regiment.  Fürst  Leopold  sass  einst  in  Halle, 
dem  Garnisonort  seines  Regimentes,  zur  Winterszeit  in  seinem  Zimmer 
am  Ofen,  nur  mit  dem  unentbehrlichsten  linnenen  Gewände  bekleidet, 
um  desto  behaglicher  die  Wärme  zu  gemessen.  In  dieser  Situation 
empling  er  einen  Kandidaten,  der  sich  persönlich  bei  dem  Fürsten  um 
die  Feldpredigerstelle  seines  Regimentes  bewerben  wollte.  Der  alte 
Dessauer  sagte  ihm:  „Erst  nuiss  ich  wissen,  ob  er  seine  Sache  aus  dem 
Grunde  versteht.  Denke  er  sich,  ich  sei  das  verstockteste  Subjekt  im 
Regiment  und  er  solle  mir  das  Gewissen  rühren.  Genir'  er  sich  nicht, 
sondern  spreche  er  frei  von  der  Leber  weg!u  Der  Kandidat,  der  lange 
als  flotter  Bursche  in  Halle  studiert  hatte,  trat  hinter  einen  Stuhl  und 
•schleuderte  zunächst  dem  Fürsten  als  Einleitung  eine  solche  Salve  aus- 
erlesener Srhimpfwnrte  an  den  Kopf,  «lass  der  alte  Murrkater  (so  nannten 
ihn  seine  Soldaten)  dabei  sichtlich  unruhig  wurde.  Dann  sprach  er 
weiter  über  die  Verderbenstief«',  in  die  der  Sünder  geraten,  mahnte  ein- 
dringlich zur  Müsse  und  Umkehr,  und  schloss  mir  dem  trostlichen  Hin- 
weise auf  die  rettende  Gnade  Rottes,  die  auch  dem  verlorensten 
Menschen  noch  in  suchender  Liebe  nachgehe.  Hierdurch  wurde  der 
alte  Dessauer  so  gerührt,  dass  er  helle  Thrünen  vergoss.  Durch  das 
laute  Sprechen  war  aber  die  Frau  des  Fürsten,  seine  Anneliese,  im 
Nebenzimmer  aufmerksam  geworden,  öffnete  die  Thür  und  sah  mit 
Staunen  die  seltsame  Sceue.  Der  Fürst,  in  Verlegenheit  gesetzt  durch 
das  [»lötzliche  Erscheinen  seiner  Frau,  sprang  auf  und  donnerte  dem 
Kandidaten  zu:  „Nun  halte  er  aber  sein  Maul,  sonst  glaube  ich  wahr- 
haftig noch  selber,  das  ich  solch  ein  Schuft  bin,  wie  er  aus  mir  gemacht 


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86 


Krieh  Srhiltl  in  BitkrfeM. 


hat.  Im  Uebrigen  aber  hat  er  seine  Sache  gut  gemacht  und  soll  die 
Feldpredigcrstelle  haben 

Ein  Original  in  kirchlicher  Beziehung  war  auch  der  Kürassier- 
general v.  Reppert  unter  Friedrich  dein  Groden.  Wenn  an  hohen  Fest- 
tagen das  „Herr  Gott,  Dich  lohen  wir"  angestimmt .wurde,  sang  er  das- 
seihe  stehend  mit.  nahm  den  Federhut  unter  den  Ann  und  legte  die 
Hand  au  seinen  Pallasch.  In  seiner  besonderen  Vorliebe  aber  für  die 
Kavallerie  verwandelte  er,  um  seinen  Herrgott  ganz  besonders  zu  ehren, 
die  in  diesem  Gesäuge  vorkommende  Stelle:  „Die  ganze  werthe  Christen- 
heit rühmt  dich  auf  Erden  allezeit"1  in  die  Worte:  „Die  ganze  werthe 
Christenheit  rühmt  dich  zu  Pferde  allezeit',  und  legte  auf  die  Stelle 
„zu  Pferde**  einen  ganz  besonderen  Nachdruck  mit  seiner  mächtigen 
Stimme,  die  dann  die  Stimmen  der  übrigen  Kirchcnhesucher  übertönte. 

Sonderbar  sind  ferner  manche  Predigtdispositinen  der  «guten  alten 
Zeit*4.  So  eine  über  die  Stelle  Psalm  147,  10  und  II:  „Per  Herr  hat 
nicht  Lust  an  der  Stärke  des  Kosses,  noch  Gefallen  an  Jemandes  Beinen: 
er  hat  Gefallen  an  denen,  die  ihn  fürchten,  die  auf  seine  <iüte  hoffen.4. 
Daraus  wird  zunächst  das  Thema  abgeleitet:  „Des  Herrn  Missfnllcn 
an  der  Armee*.  Theil  1:  Sein  Missfallen  au  der  Infanterie,  denn  er 
hat  nicht  Lust  an  Jemandes  Beinen.  Theil  II:  Sein  Missfallen  an  der 
Kavallerie,  denn  er  hat  nicht  Lust  an  der  Stärke  des  Kosses. 

Jene  streng  etikettös  gliedernde  Zeit,  in  welcher  das  bürgerliche 
Leben  durch  zahllose  kleine  Regeln  eine  gewisse,  gegen  die  Ungebunden- 
heit  der  Gegenwart  merklich  abstehende,  unveränderliche  Festigkeit  ge- 
wonnen hatte,  wo  die  Glückwünsche,  die  Trinkgelder  ihre  vorgeschriebene 
Form  und  genau  bestimmte  Grösse  hatten,  wo  es  bräuchlich  war,  in 
festen  Zwischenräumen  seine  Besuche  zu  machen,  seine  Rechnungen  zu 
bezahlen,  an  bestimmten  Tagen  zu  purgiren  und  zur  Ader  zu  lassen  — 
jene  pedantisch  steife  Zeit  hatte  auch  für  die  höflichen  Anreden  im 
persönlichen  und  brieflichen  Verkehr  die  denkbar  schwülstigste  Form 
zur  Pflicht  gemacht.  So  findet  sich  z.  B.  ein  Brief  eines  Feldpredigers 
mit  einer  ganz  unbedeutenden  amtlichen  Mitteilung;  aber  die  Anrede 
lautet :  „Hoch  Wohl  Er  Würdiger  Hochgelehrter  Amts  Bruder,  Besonders 
llochzuverehrender  Herr4*,  und  der  Schluss:  „Habe  die  Ehre  mit  aller 
ersinnlicheu  Hochschätzung  zu  sein  Euer  Hoch  Wohl  Ehr  Würden 
Ergebenst  Gehorsamster  Diener  N.  N."  Die  cei  emouielle,  streng  gliedernde 
Etikette  setzt  sich  fort  Iiis  iu  die  Kirche  und  den  Empfang  der  Sakramente. 
So  ein  Offizierhaus  von  damals,  besonders  in  den  vornehmeren  „Renther*- 
Regimentern,  muss  ein  förmlich  kleiner  Hofstaat  gewesen  sein.  Zur 
Kommunion  kommt  gewöhnlich  das  ganze  Haus,  wird  aber  in  sorg- 
fältiger Abstufung  in  den  Kirchenbüchern  aufgezählt:  Erst  des  Herrn 
Oberstlieutenants  oder  Rittmeisters  von  X.  N.  Gnaden,  dann  Hoehdero 
Frau  Gemahlin  Gnaden,  dann  die  Bedienung:  zuerst  die  zahlreiche  weib- 


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Bilder  aus  dem  Leben  der  preussiscben  Armee  im  vorigen  Jahrhundert.  87 


liehe:  Cammer-Fräulein  bei  lhro  Gnaden,  Dienstmägdehen  ibidem,  selbst 
Kinderfrau  und  Amme  werden  gewissenhaft  aufgezählt;  dann  die  noch 
grossere  Zahl  der  mannlichen  Dienerschaft:  der  Koch,  der  Jäger,  der 
Kutscher,  der  Rentknecht,  der  Yorreuter  und  ausserdem  noch  vielfach 
drei  bis  fünf  Bediente.  Auch  für  die  Frauen  besteht  eine  genaue  Ran- 
gierung  und  Titulatur.  Die  Frauen  der  Offiziere  werden  stets  „des 
Herrn  Oberst  u.  s.  w.  von  N.  N.  Frau  Gemahlin  Gnaden"  genannt,  die 
Frauen  der  Personen  des  sogenannten  Unterstabes  stets  „dessen  Frau 
Eheliebste",  oder  auch  nur  „Frau  Liebste**;  beim  Regimentspauker  und 
Stabstrompeter  heisst  es  schon  „dessen  Frau";  die  »Soldatenfrauen 
endlich  werden  summarisch  unter  einem  neuen  Strich  als  „Frauens- 
personen** oder  „Frauen*4*  aufgeführt,  und  zwar  entweder  „Hottmännin, 
Müllerin"  ja  sogar  „Trompeterin  Schulzin",  oder  „Sehrödersche,  Müller- 
sche"  u.  s.  f.  Streng  ist  auch  im  Kirchenbuch  und  in  den  Kommuni- 
kantenlisten von  den  Uebrigen  abgesondert  der  Profoss  und  sein  „Weib", 
weil  er  als  halb  unehrlich  galt.  —  Die  strenge  Etikette  wird  selbst  auf 
die  neugeborenen  Kinder  übertragen.  Während  die  Taufe  eines  »Soldaten- 
kindes kurz  und  bündig  notirt  ist,  heisst  es  mit.  vielen  Umschweifen 
z.  B.:  „Den  fünften  Maji  sind  des  Herrn  von  N.  N.  Frau  Gemahlin 
Gnaden  mit  einer  Fräulein  entbunden,  welche  den  sechsten  Maji  durch 
das  Bad  der  heiligen  Taufte  Christo  zutjeführet  worden.  Der  Name,  so 
der  Fräulein  in  der  Taufe  beigeleget  worden,  ist  N.  i\V 

Kleine  Stereoskop-Bilder  sind  dies  alles  nur,  und  doch,  verehrte 
Anwesende,  sie  spiegelu  getreulich  den  Charakter  der  Zeit  wieder,  jener 
„guten,  alten  Zeitu  mit  viel  naturwüchsigem,  originellem  Leben,  aber 
auch  mit  viel  Unnatur,  Schnörkelei  und  Zopf,  mit  viel  Hoheit  der  Sitte 
unter  der  Tünche  der  Galanterie.  Ich  verstehe  es  nicht,  wie  man  sich 
nach  dieser  guten  alten  Zeit  zurücksehnen  kann.  Ich  glaube:  Was  wir 
zurücksehnen  aus  der  Vergangenheit,  das  kennen  wir  nicht  genug,  und 
war  wir  haben  an  der  Gegenwart,  das  würdigen  wir  nicht  genug. 
Hätte  unsere  Zeit  uns  auch  nur  dies  Eine  gebracht,  die  Erfüllung  dessen 
was  einst  schon  dem  Soldatenkönig  Friedrich  Wilhelm  I.  als  zu  er- 
strebendes Ziel  vorschwebte,  da  er  sagte:  „Kein  Franzose  soll  über  uns 
Deutsche  gebieten  und  meinen  Kindern  will  ich  Degen  und  Pistolen  in 
die  Wiege  geben,  dass  sie  die  fremden  Natiouen  aus  Deutschland  helfen 
abhalten",  nur  dies  Eine,  dass  wir  jetzt  durch  Gottes  Gnade  wieder  ein 
deutsches  Reich  haben  stark  und  mächtig  wie  noch  nie,  „eins  nach 
aussen,  schwertgewaltig,  um  ein  hoch  Panier  geschaart,  innen  reich  und 
vielgestaltig,  jeder  Stamm  nach  seiner  Art'*,  —  dass  Berlin,  die  Metro- 
pole des  evangelischen  Deutschlands,  die  preussische  Königsstadt,  zu- 
gleich unsere  glorreiche  Kaiserstadt,  unsere  Keichshauptstarlt  ist,  die  es 
predigt  mit  der  ehernen  Schrift  ihrer  Monumente,  mit  dem  kriegerischen 
Glänze  ihrer  alten  und   neuen   Trophäen:   „Gott   hat   Grosses  an  uns 


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88 


Erich  Schild  in  Bitterfeld. 


gethan,  dess  sind  wir  fröhlich!",  —  ich  sage,  verehrte  Anwesende,  wenn 
wir  nur  dies  Eine  vor  jener  Generation  voraus  hätten,  so  stände  da- 
durch schon  unsere  Zeit  unendlich  hoch  über  jener  guten  alten  Zeit. 
Aber  vergessen  wollen  wir  nicht  :  was  wir  jetzt  als  reife,  reiche  Frucht 
gemessen,  das  ist  gewachsen  und  gereift  allmählich,  langsam  am  Baume 
des  Volkslebens  und  der  nationalen  Erziehung  durch  Jahrzehnte  und 
Jahrhunderte.  Auch  die  gute,  alte  Zeit  hat  ihr  gutes  altes  Verdienst 
daran,  sie  hat  die  Grundlage  zu  den  grossen  nationalen  Erfolgen  in 
harter  Arbeit  und  strenger  Erziehung  des  Individuums  wie  des  Volkes 
geschaffen.  Ohne  den  Corpora Istock  seines  Vaters  hätte  Friedrich  der 
Grosse  schwerlich  unsterbliche  Lorbeeren  um  seinen  Feldherrnstab  winden 
können. 

Und  so  gestatten  Sie  denn,  dass  ich  Ihnen  noch  in  kurzen  Worten 
einen  Mann  aus  der  fridericianischen  Zeit  vorführe,  aus  der  Zeit,  wo, 
was  bis  dahin  äussere  Dressur  gewesen  war  in  der  Erziehung  des 
Heeres,  durch  die  Macht  der  Persönlichkeit  des  grosseu  Friedrich  an- 
fing, sich  in  inneren  Trieb,  den  Trieb  freier  Begeisterung  umzuwandeln ; 
einen  Mann,  dem  in  dem  Lorbeerkranze  unserer  Geschichte  auch  ein 
Blättchen  gebührt,  der  auch  seinen  Nagel  hat  im  Schaft  der  preussischen 
Fahne,  der  insonderheit  vor  der  „Brandenburgia"  genannt  zu  werden 
verdient,  insofern  er  in  der  Kurmark  Brandenburg  nach  seinem  Aus- 
scheiden aus  dem  Heere  gewirkt  hat  und  da  auf  stillem  Dorfkirchhof 
auch  begraben  liegt.  Sein  Tagebuch  —  nach  dem  Urteil  Leopold  von 
Ranke's  ein  wichtiger  Beitrag  zur  Geschichte  des  ersten  schlesischen 
Krieges  —  gewährt  uns  ein  getreues  Bild  des  Campagnelebens  eines 
fridericianischen  Feldpredigers,  dem  es  weder  an  Interesse  für  die  Er- 
eignisse fehlte,  unter  denen  er  lebte,  noch  an  scharfer  Beobachtungsgabe 
und  treffender  Beurteilung  der  Leute,  mit  denen  er  in  Berührung  kam. 
Wer  überdies  gern  einen  Blick  thut  in  ein  gesundes  Christenthum,  fern 
von  allem  Kopfhängerischen,  in  eine  reine  Seele,  in  ein  wahrhaft  frommes 
Gemüt,  das  nichts  ahnte  von  der  Öffentlichkeit,  der  nach  mehr  als 
hundert  Jahren  seine  Ergiessungen  übergeben  werden  sollten,  der  lese 
das  Tagebuch  dieses  Mannes,  des  weiland  preussischen  Feldpredigers 
Seegebart,  das  im  Jahre  1849  einer  seiner  Nachkommen  in  den  Druck 
gegeben  hat. 

In  der  Schlacht  bei  Chotusitz  am  17.  Mai  1742  war  das  Regiment 
des  Erbprinzen  Leopold  von  Dessau  bei  dem  Sturm  auf  Chotusitz  be- 
sonders hart  mitgenommen  worden  und  hatte  an  Offizieren  wie  an 
Mannschaften  überaus  starke  Verluste  erlitten.  Vor  der  Schlacht  zählte 
das  Regiment  1400  Mann,  nach  derselben  400.  Ueber  diese  Bataille 
brachte  einige  Wochen  später  die  „Hallische  Zeitung"  Nr.  LVII.  vom 
31.  Mai  1742  einen  Artikel,  in  welchem  es  unter  anderem  heisst:  „In 
der  Aktion  ereignete  sich  dieses  Sonderbare,  dass,  als  Anfangs  etliche 


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Bilder  aus  dem  Leben  der  preussischen  Armee  im  vorigen  Jahrhundert.  $9 


unserer  Eskadrons  auseinander  gesprengt  wurden,  sich  ein  wohlgebildeter 
Mensch,  der  aber  nicht  vorn  Militairstande  war,  mit  dem  Degen  in  der 
Faust  einfand,  die  Offiziere  und  Gemeinen  aufs  Beste  enkouragirte  und 
mit  solcher  Hitze  dem  Feiud,  der  uns  in  den  Rücken  fallen  wollte,  ent- 
gegenging, dass  dieser  dreimal  repoussiret  und  dadurch  der  beste  Teil 
unserer  Bagage,  auch  vieler  hundert  Menschen  Lehen,  gerettet  ward. 
Man  sagt,  Ihro  Majestät  haben  dem  Unbekannten,  weil  er  keine  Kriegs- 
bedienung annehmen  wollen,  ein  Kanonikat  von  5(K>  Reichsthaler  jähr- 
licher Hebung  geschenkt." 

Das  Volk  aber  erzählte  sich  in  der  Folge,  es  sei  in  der  Hitze  des 
Kampfes  ein  schwarzer  Mann  im  dichtesten  Gewühl  erschienen,  habe  in 
ausgezeichnet  tapferer  und  besonnener  Weise  die  Zersprengten  gesammelt 
und  wieder  ins  Gefecht  gebracht,  und  sei  nachdem  er  so  durch  seine 
Geistesgegenwart  und  Furchtlosigkeit  wesentlich  zum  Gewinn  der  Schlacht 
beigetragen,  nach  erlangtem  Siege  ebenso  plötzlich  wieder  unsichtbar 
geworden,  als  er  gekommen. 

Der  unbekannte  Held  und  schwarze  Mann  gab  sich  bald  in  einem 
Schreiben  an  den  Professor  der  Theologie  Dr.  Michaelis  in  Halle  als  der 
Feldprediger  J.  F.  Seegebart  des  Hochfürstlich  Erbprinz  Leopoldschen 
Regiment  Infanterie  zu  erkennen,  jenes  von  mir  schon  genannten  Regi- 
mentes Anhalt,  das  beim  Sturm  auf  Chotusitz  so  schwere  Verluste  er- 
litten hatte.  Leopold  v.  Ranke  in  seiner  Darstellung  der  Schlacht  bei 
Chotusitz  erwähnt  auch  Seegebarts  wackeres  Benehmen  mit  den  Worten: 
„Hier  war  es,  wo  jener  Feldprediger,  dessen  wir  zuweilen  gedachten, 
sich  unter  die  Weichenden  mischte  und  mitten  in  dem  Kleingewehrfeuer, 
das  ihn  umsauste  „„wie  Mückensch  wärme" durch  die  wohlbekannte 
vertraute  Stimme,  welche  die  Gemüter  oft  zu  guten  Entschlüssen  an- 
geregt hatte,  die  Rotten  zum  Stehen  brachte." 

Der  Brief  Seegebarts,  in  welchem  er  dem  ihm  befreundeten  Prof. 
Michaelis  in  Halle  über  seinen  Anteil  an  der  Schlacht  bei  Chotusitz 
Bericht  giebt,  befindet  sich  gegenwärtig  abschriftlich  in  einem  „Rare 
alte  Papiere*  betitelten  Hefte  des  Königliehen  Kriegsministeriums  in 
Berlin.  Wie  Seegebarts  von  mir  schon  kurz  besprochenes  Tagebuch  so 
zeugt  auch  dieser  Brief  von  einer  edlen  anspruchslosen  Bescheidenheit  und 
einem  frommen,  Gott  ergebenen  Sinn.  Nachdem  Seegebart  in  ihm  zueist 
von  dem  Aufmarsch  der  beiden  Heere  und  der  Schlacht  im  Allgemeinen 
gesprochen,  fährt  er  fort: 

„Unser  Regiment  marschirte  gegen  1400  Mann  stark  in  die  Schlacht 
hinein,  ist  aber  jetzo  noch  nicht  4(X>  Mann  stark.  Die  Rekruten  vom 
hiesigen  Lande  sind  während  der  Aktion  fast  alle  entlaufen.  Der  ganze 
Verlust  an  Todten,  davon  auf  dem  Platze  gegen  7Ö0  gezählt  worden, 
Blessirten  und  Verlaufenen  erstreckt  sich  beinahe  auf  2(XK)  Mann  laut 
einer  Liste,  die  jetzo  gemacht  worden,  mag  aber  wohl  etwas  mehr  sein. 


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Fricb  Schild  in  Bitterfeld. 


Der  Verlust  der  Oesterreicher  ist  stärker,  und  hat  ein  feindlicher  in 
unser  Lager  geschickter  Trompeter  ausgesagt,  dass  sie  an  61KM)  Mann 
verrnissten. 

Ks  ist  ein  lamentabler  Anblick,  die  Erschlagenen  und  Blessirten 
auf  dem  Wahlplatze  liegen  zu  sehen.  An  manchen  Stellen  liegen  sie  so 
dick,  dass  man  in  einem  Kaum,  dergleichen  Ihr  Wohnzimmer  ist,  wohl 
JM  Personen  findet,  die  ihr  Lehen  verloren.  Tch  bin  den  Platz  (le  champ 
de  bataille)  mehr  als  einmal  durchgeritten.  Ein  blessirter  Oesterreicher 
bittet  nach  der  Aktion  einen  unserer  Offiziere,  er  mochte  ihm  doch  das 
Leben  nehmen  (welches  einige  auch  von  mir  verlangt  haben):  da  dieser 
ihm  aber  sagt,  dass  dergleichen  nicht  geschehen  dürfte  und  er  in  «lieser 
Hinsicht  noch  Gottes  Gnade  suchen  sollte,  so  entgegnete  jener:  Wenn 
auch  bei  Gott  für  alle  Menschen  Gnade  wäre,  so  wäre  doch  für  ihn 
keine,  denn  er  wäre  ein  gar  zu  grosser  Sünder. 

Bei  dieser  Aktion  habe  ich  mich  für  meine  Person  auch  etwas 
exponiert,  wenigstens  so  viel,  als  man  immer  von  meinesgleichen  er- 
fordern kann.  Die  Sache  ist  beim  König,  der  Generalität,  ja  der  ganzen 
Armee  bekannt  geworden,  und  man  redete  in  den  ersten  Tagen  selten 
von  dem  Siege,  den  uns  Gott  gegeben,  dass  man  nicht  meiner  gedachte. 
Wenn  ich  ein  Narr  wäre,  so  hätte  ich  die  beste  Gelegenheit  gehabt, 
mich  aufzublasen.  Der  König  hat  mir  durch  unseren  Prinzen  ein  sehr 
gnädiges  Kompliment  machen  und  mich  versichern  lassen,  ich  sollte  die 
beste  Pfarrstelle  in  allen  seinen  Landen  haben,  wozu  der  Prinz  hernach 
hinzugesetzt:  Wenn  das  nicht  geschähe,  so  wolle  er  mir  die  beste  in 
seinem  Fürstentum  geben,  denn  ich  hätte  in  der  Bataille  nicht  nur  wie 
ein  Prediger,  sondern  auch  wie  ein  braver  Manu  gethan.  Soll  ich  Ihnen 
sagen,  worin  diese  Bravour  bestanden,  so  will  ich  Ihnen  mit  folgendem 
dienen: 

1.  Ich  Inn  in  der  Aktion  und  zwar  an  dem  Orte,  wo  es  am 
hitzigsten  und  so  hitzig,  als  es  in  der  Welt  nur  möglich  ist,  zuging, 
hinter  meinem  Regiment  geblieben,  wo  die  Kanonen  und  Musketenkugeln 
über  meinen  Kopf  gleichsam  wegregneten.  Ich  hatte  eine  kleine  Deckung 
vor  mir,  die  durch  einen  Hohlweg  gebildet  wurde. 

'2.  Als  unser  Regiment  retirirte  und  zum  Teil  mit  feindlicher 
Kavallerie  und  Grenadieren  gemischt  war,  jagte  ich  spornstreichs  hin 
und  wieder  durch  dasselbe  und  redete  den  Burscheu  und  Offizieren  be- 
weglich und  notabene  recht  ernstlich  zu,  dass  sie  sich  wieder  setzen 
und  lassen  sollten.  Einige  schrien  mich  gleich  an  mit  einem  lauten 
.la!  und  waren  bereit  und  willig,  wurden  aber  von  der  andringenden 
Macht  verhindert,  kamen  aber  doch  wieder  zu  stehen,  und  das  ganze 
Regiment  saute,  auch  der  Prinz  selbst  in  Gegenwart  aller  Prinzen  von 
der  Armee,  als  ich  ihn  den  Tag  nach  der  Bataille  vor  dem  Hauptquartier 
sprach,  mit  vieler  Grazie:  ich  hätte   vieles   dazu   beigetragen.    Als  ich 


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Bilder  aus  dem  Leben  der  preussischen  Armee  im  vorigen  Jahrhundert. 


Ol 


dieses  that,  flogen  mir  die  Kugeln  so  dick  um  den  Kopf,  als  wenn  man 
in  einem  Schwann  sausender  Mücken  stehet,  doch  hat  mich,  Gott  Lob, 
keine  auch  nicht  einmal  den  Rock,  verletzt.  Ein  Barsch  hat  mein  Pferd 
in  diesem  Lärm  mit  einem  Bajonett  todtstechen  wollen,  aber  ein  anderer 
hat  es  ihm  weggeschlagen  per  providentiam  Dei:  dorh  meine  Lebhaftig- 
keit trieb  mich  damals  zu  noch  mehreren!  an. 

Denn  ich  sammelte  einige  Eskadrons  Kavallerie,  die  in  Konfusion 
waren,  vom  linken  Flügel,  brachte  sie  in  Ordnung  und  sie  attaquirten 
auch  in  meiner  Gegenwart  die  feindliche  Kavallerie  und  repoussirten  sie. 
Ich  war  so  dreist,  dass  ich  mich  zu  den  Generalen  und  Christen  machte, 
sie  bei  der  ITaml  fasste  und  im  Namen  Gottes  und  des  Königs  bat,  ihre 
Leute  wieder  zu  sammeln.  Wenn  dieses  geschehen,  so  jagte  ich  hin 
und  wieder  durch  und  trieb  die  Leute  dahin,  wo  sie  wieder  sich  zu  setzen 
antingen.  Ich  brauchte  allerlei  Beredsamkeit  und  man  folgte  mir  in  allen 
Dingen.  Ich  wundere  mich  nur,  dass  die  grossen  schweren  Pferde  meinen 
kleinen  Fuchs  nicht  zertreten  haben,  aber  es  schien,  als  wenn  alles  vor 
mir  auswiche  und  mir  Platz  machte.  Ich  that  und  redete  als  ein  Feld- 
marschall und  bemerkte  augenblicklich  die  Impression  von  meinem  Zu- 
reden und  meinen  Vorstellungen  an  der  Leute  Geberden  und  Gehorsam. 
Ecee  providentiam!  Mein  Gemüt  war  Gott  ergeben  und  in  einer  guten 
Fassung,  und  ich  habe  in  eigener  Erfahrung  damals  gelernt,  dass  das 
Christentum  resolut  und  mutig  macht  auch  in  den  verworrensten  Be^ 
gebenheiten. 

4.  Noch  eiumal  sammelte  ich  einen  grossen  Haufen  fliehender 
Kavallerie,  zum  Teil  von  unserem  linken  und  rechten  Flügel,  wohl  eine 
Viertelmeile  von  champ  de  bataille,  welches  mir  wohl  grosse  Mühe 
machte,  aber  endlich  doch  gelang,  und  führte  sie  zurück  bis  an  den  ge- 
dachten champ,  wo  sie  auch  sogleich,  weil  sich  die  Bataille  indess 
geendet,  dem  Feinde  nachging  und  ihn  verfolgte.  Die  Kavallerie,  so  ich 
gesammelt  und  die  sogleich  auf  meine  Vorstellung  wieder  zu  agiren  an- 
fing, ist  über  ^0  Eskadrons  stark  gewesen.  Gott  sei  gelobt,  der  mir 
Davids  Mut  und  Sinn  gegeben!  Mir  däucht  nicht,  etwas  gethan  zu 
haben,  so  meinem  Amte  unanständig  wäre.  Wahres  Mitleid  mit  den 
Verjagten  und  Verfolgten  und  die  starke  Tinpression  von  meinem  Amte 
als  Feldprediger  hat  mich  dazu  vermocht.  Habe  ich  zu  viel  gethan,  so 
habe  ich  es  Gott  und  dem  Könige  gethan." 

Dass  der  König  unter  dem  ersten  Eindruck,  den  das  heldenmütige 
Benehmen  des  Feldpredigers  auf  ihn  gemacht,  diesem  eine  „Kriegs- 
bedienung", nämlich  die  Stelle  eines  Hauptmanns  und  Kompagnie-Chefs 
habe  anbieten  lassen,  hat  sich  bei  Seegebarts  Nachkommen  als  Familieu- 
erzähluug  erhalten,  deren  Quelle  die  eigenen  durchaus  glaubwürdigen 
Aeusserungen  Seegebarts  sind.  Diese  Quelle  ist  um  so  zuverlässiger, 
als  ausdrücklich  bemerkt  wird,  Seegebart  habe  nur  selten  und  gezwungen 


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92 


Erich  Schild  in  Bitterfeld. 


davon  gesprochen;  teils  weil  er  überhaupt  ein  ungemein  bescheidener 
und  anspruchsloser  Mann  war,  teils  aber  auch  wohl,  weil  er  später  zu 
der  Ansicht  gekommen  sein  mochte,  er  habe  bei  Chotnsirz  für  einen 
Geistlichen  „etwas  zu  viel  gethan."  Die  Angabe  der  Halleschen  Zeitung 
vom  M.  Mai  174:?,  dass  „der  Unbekannte"  keine  Kriegsbedienung  habe 
annehmen  wollen,  iindet  sich  auch  in  „Geschichte  und  Thaten  des 
Printzen  Leopold*  auf  Seite  143.  Dieselbe  Angabe  soll  auch  enthalten 
sein  in  einer  handschriftlich  zu  Stendal  vorhandenen  Geschichte  des 
1715  errichteten  Regiments  Prinz  Leopold  (später  von  Knobelsdorf), 
desselben  Regimentes,  bei  welchem  Seegebart  Feldprediger  war.  Endlich 
hat  sie  v.  Orlieh,  Gesch.  der  Schles.  Kriege  1.,  2  )1  Anmerk  ,  aufgenommen, 
sodass  die  Sache  hinreichend  beglaubigt  erscheint. 

König  Friedrich  II.  gab  Seegebart,  der  seine  Feldpredigerstelle  etwa 
zwei  Jahre  verwaltet  und  sie  bald  nach  der  Schlacht  bei  Chotusitz 
niedergelegt  hat,  als  Belohnung  die  Pfarrstelle  zu  Etzin  in  der  Kurmark 
bei  Brandenburg.  Der  Freundlichkeit  des  früheren  Pastors  in  Etzin  Herrn 
E.  Duchstein  verdanke  ich  die  Mitteilung,  dass  Seegebart  diese  Pfarstelle 
durch  Kabinetsordre  vom  7.  .Funi  17-^2  bekommen  hat  und  am  2.  Sept. 
desselben  Jahres  dortseihst  eingeführt  ist.  Mit  Eifer  und  Liebe  hat  er 
hier  unter  seinen  Pfarrkindern  gewirkt.  An  Wochentagen  hielt  er  im 
Pfarrhause  Erbauiingsstunden  sowohl  für  Kinder  als  für  Erwachsene. 
Die  weitläufige  Pfarrwirtschaft  führte  er  selbst,  verbesserte  mancherlei 
in  derselben  und  machte  sie  durch  seine  Betriebsamkeit,  wie  die  von 
ihm  geführten  Register  beweisen,  ungleich  einträglicher  als  sie  früher 
gewesen.  Den  Pfarrgarten  hatte  er  ganz  verwildert  überkommen:  er 
pflanzte  die  besten  Obstsorten  an  und  hatte  die  Freude,  schon  im 
zweiten  Jahre  einige  Früchte  davon  zu  ernten.  So  oft  er  ein  so  günstiges 
Ergebnis  seines  Fleisses  in  seinen  noch  vorhandenen  Rechnungen  zu 
vermerken  hatte,  versäumte  er  ni«-ht,  in  einfachen  Worten  einen  kurzen 
Dank  an  Gott  auszusprechen. 

Seegebart  hat  kein  hohes  Lebensalter  erreicht.  Er  war  am 
14.  April  1714  im  Magdeburgischen  geboren,  hatte  seine  theologische 
Bildung  in  Halle  empfangen  und  starb  bereits  am  20.  Mai  1752,  also 
wenig  über  öS  Jahre  alt,  wie  das  Etziner  Kirchenbuch  sagt  an  einer 
auszehrenden  Krankheit.  Seinem  Tagebuche  hat  er  das  Motto  vorgesetzt: 
Quo  me  ('briste  trahas,  quo  retrahasque,  se<pior.  Nach  seinem  Bilde, 
das  in  der  Kirche  zu  Etzin  hängt,  hatte  er  freundliche  Züge,  aber  ein 
etwas  schwindsüchtiges  Aussehen.  Verheiratet  war  er  (wahrscheinlich 
seit  Ostern  des  Jahres  1748,  denn  seine  Frau  kommt  zuerst  am 
iiO.  April  1743  als  Taufzeugin  vor)  mit  einer  Tochter  des  Konsistorial- 
rats  und  ersten  Dompredigers  in  Magdeburg  Christoph  Sucro.  Aus 
dieser  Ehe  wurden  vier  Kinder  geboren,  das  vierte  nach  des  Vaters 
Tode. 


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Bilder  aus  dem  Leben  tler  preussisclien  Armee  im  vorigen  Jahrhundert. 


Der  Leichenstein  Seegebarte  auf  dem  Kirchhofe  in  Etzin  zeigt 
einen  Engelskopf  und  eine  aufgeschlagene  Bibel.  Die  Inschrift  des 
Steines  lautet: 

„Mein  Leser!  Hier  ruhen  in  Hoffnung  die  dem  Tode  getrost 
anvertrauten  Gebeine  des  weiland  Hoehwiirdigen  und  Hochgelehrten 
Herrn  Joachim  Friedrich  Segebartlr  —  der  Name  ist.  hier  unrichtig 
geschrieben.  —  „Das  Prinz  Leopoldsche  Regiment  und  die  Etziifsche 
und  Knoblauchzehe  Gemeinde14  —  Knoblauch  war  Kilial  der  Etziner 
Pfarre  —  „rühmen  noch  seine  wahre  Gottesfurcht  und  seltne 
Redlichkeit.  Daher  war  er  freudig  vor  Gott,  liehreich  vor  Menschen, 
sorgfaltig  im  Amt,  demüthig  bei  seiner  Gelehrsamkeit.  Von  seinein 
geistligen  Amt  zeugen  viel  lebendige  Briefe,  von  seinem  Christen- 
tum die  durch  das  Leben  bethätigte  Lehre,  von  seiner  Menschen- 
liebe die  vielen  Thränen,  von  seiner  vergnügten  und  gesegneten 
Ehe  weint  seine  verwittwete  Christiane  Elisabeth  Sucroin  und  seine 
vier  verwaiseten  Ehepfänder.  Er  betrat  diesen  mühseligen  Schau- 
platz 1714  den  14.  April.  Er  bezog  die  stolzen  Wohnungen  der 
Ewigkeit  1752  den  2b.  M,ti.  Leser!  Schaue  sein  Leben  an  und 
denke  an  seinen  Tod.  Betrachte  seinen  Glauben  und  ahme  ihm 
nach.  Sein  freudiger  Hingang  mache  dir  die  Ewigkeit  süss!*  — 
Der  Text  zur  Standrede  war  Daniel  12  Vers  o:  „Die  Lehrer  aber 
werden  leuchten  wie  des  Himmels  Glanz  und  die,  so  viele  zur  Gerechtig- 
keit weisen,  wie  Sterne  immer  und  ewiglich." 


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Die  Bevölkerung  Brandenburgs  vor  der 

sjawischen  Zeit.*) 
i. 

Von  Otto  Pniower. 

Ich  schicke  voraus,  dass  ich  den  Begriff  Brandenburg  nicht  im 
administrativen  Sinne  nehinc.  sondern  im  historischen  d.  h.  ich  habe 
hei  meinen  Erörterungen  nicht  bloss  die  heutige  |'ro\  inz  Brandenburg 
im  Siinu»,  sondern  mich  das  Land,  das  jetzt  zwar  zur  Provinz  Sachsen 
gehört,  das  einst  aber  hrandenburgiseh  war  unil  sogar  als  die  eigentliche 
Wiege  des  Brandcnburgisch-Preussischen  Staates  anzusehen  ist:  ich  meine 
die  alte,  Albrecht  dem  Bären  vom  Kaisur  Lothar  verliehene  Xordmark, 
die  heutige  Altmark. 

Von  welchen  Menschen  diese»'  Ländereomple\  von  unvordenklichen 
Zeiten  bis  zum  Eindringen  der  Slawen  bewohnt  war,  will  ich  zu  zeigen 
versuchen.  Dabei  wird  freilich  die  älteste  Epoche,  in  die  uns  lediglich 
die  erhaltenen  Altentümer  Einblick  gewähren,  nicht  annähernd  in  dem- 
selben Masse  Berücksichtigung  linden,  wie  die  späteren  Perioden,  in  die 
schon  das  wenn  auch  spärliche  Licht  der  Geschichte  fällt.  Der  Grund 
davon  ist  zunächst  ein  individueller  und  persönlicher,  insofern  meine 
Studien  nach  dieser  Richtung  hin  nicht  eben  weit  gediehen  sind.  Daun 
ist  man  aber  auch,  soviel  ich  sehe,  entsprechend  der  Jugend  der  W  issen- 
schaft, in  der  Erforschung  der  Altertümer  noch  nicht  so  weit  vor- 
gedrungen, dass  mau  aus  der  Art  und  Beschaffenheit  der  Eundc 
zwingende  Schlüsse  auf  den  Charakter  oder  gar  die  Nationalität  der 
Bewohner  ziehen  könnte. 

In  der  Einleitung  zu  dem  Werk  „Vorgeschichtliche  Alterthümer 
aus  der  Mark  Brandenburg"  bemerkt  Voss  (S.  7),  dass  sich  über  die 
Nationalität  der  Menschen,  die  in  der  sogenannten  neolithischen  Periode 

*)  1).  A.  in  den  Nachweisen  bedeutet  Deutsche  Altertumskunde  von  Karl 
Möllenhoff.  (Berlin  1870 -W)  1  lide.)  Z.  f.  tl.  A.  bedeutet  Zeitschrift  fOr  deutsches 
Altertum.    Zeuss.  D  Deutschen  und  die  Naehbaratkmme  v.  Knspar  Zeu*<».  München  1S:17. 


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Die  Bevölkerung  Brandenburgs  vor  der  slawischen  Zeit  I. 


unsere  Mark  bewohnten,  nichts  bestimmtes  aussagen  lasse.  Nur,  meint 
er,  sei  vielleicht  ein  ethnologischer  Unterschied  bemerkbar  zwischen  den 
den  nordwestlichen  und  westlichen  Teil  des  Landes  innehabenden  Bewohnern 
und  denjenigen,  die  im  östlichen  und  südöstlichen  Teile  süssen.  Jene 
zeigen  sich  in  der  Höhe  ihrer  Kultur,  in  der  Fonnengebung  ihrer  Werk- 
zeuge und  Geräte,  sowie  in  der  Totenbestattung  den  gleichzeitigen  Nachbar- 
völkern in  Skandinavien  und  Nordwestdeutschland  verwandt,  diese 
neigen  mehr  zu  den  östlichen  und  südlichen  Völkern.  Doch  reiche  /.u 
einer  wirklichen  Entscheidung  auch  dieser  Frage  das  Material  nicht  aus. 

Mit  mehr  Sicherheit  liisst  sich  ein  Bild  der  Kultur  jeuer  ältesten 
Bewohner  unserer  Heimatprovinz  geben.  Sie  waren  keineswegs  so  wild 
und  barbarisch  und  tierähnlieli,  wie  der  moderne  Kulturmensch  in  einer 
Art  Selbstgefälligkeit  anzunehmen  geneigt  ist.  Sie  besassen  nicht  nur 
die  Fertigkeiten  Knochen  zu  bearbeiten  und  Geräte  aus  ihnen  herzu- 
stellen, sowie  die  Steine  zu  behauen,  zu  schleifen,  zu  polieren  und 
zu  durchbohren,  sie  waren  nicht  nur  in  der  Töpferkunst  recht  vor- 
geschritten, sondern  sie  Messen  sich  bei  ihren  Arbeiten  auch  schon  von 
aesthetischen  Bedürfnissen  leiten.  Sie  kannten  nicht  bloss  das  Nützliche, 
sondern  sie  suchten  auch  das  Schöne,  und  das  Streben  ihren  Geräten 
eine  zierliche  Form  zu  geben  ist  unverkennbar.  Sie  trieben  einen  durch- 
aus nicht  allzu  primitiven  Ackerhau,  daneben  Viehzucht.  Mit  ihren 
Nacbbareu  unterhielten  sie  Handelsbeziehungen.  Ob  sie  Nomaden  oder 
sesshaf't  waren,  steht  nicht  fest. 

Sehr  wahrscheinlich  sesshaf't  dagegen  waren  die  Bewohner  unserer 
Provinz  in  dem  sogenannten  Bronze-Zeitalter.  Ihre  Kultur  entsprach 
mindestens  der  Höhe  derjenigen  ihrer  Vorfahren.  Ucbcrlcgcn  waren  sie 
ihnen  in  der  Handhabung  der  Weberei,  in  der  sie  eine  grosse  Geschicklich- 
keit besassen.  Darauf  lassen  die  Stoffe  schliessen,  die  man  in  Gräbern 
dieser  Zeit  zwar  nicht  in  Brandenburg  selbst,  aber  doch  in  Jütlaud  ge- 
funden hat,  einem  Laude,  dessen  Bewohner  denen  unserer  engeren 
Heimat  zweifellos  stammverwandt  waren.  Auch  in  Dänemark  und 
Mecklenburg  fand  mau  solche  auf  eine  hoch  entwickelte  Webekunst 
deutende  Stoffe.  Und  die  Bewohner  auch  dieser  Länder,  namentlich 
Mecklenburgs,  waren  offenbar  derselben  Nationalität  wie  diejenigen  unserer 
Provinz.  Diesen  unseren  Vorgängern  muss  auch  bereits  die  Kunst  der 
Töne  das  Leben  verschönt  haben.  Wenigstens  gestatten  diese  Annahme 
hörnerartige,  zum  teil  oder  ganz  aus  Bronze  verfertigte  Trompeten,  die 
man  in  Dänemark  und  Mecklenburg  gefunden  hat  und  dieser  Zeit  zu- 
schreiben muss.  Sonst  liisst  sich  eine  Vorliebe  für  glänzenden,  kunst- 
vollen Schmuck,  für  prunkvolle  Waffen  nicht  verkennen.  Freilich  werden 
nur  die  durch  Macht  und  Reichtum  Ausgezeichneten  in  der  Lage  gewesen 
sein,  derartige  Gegenstände  zu  besitzen. 

Aber  welcher  Nationalität  war  denn  diese  Bevölkerung-  des  Bronze- 


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Otto  Pniower. 


Zeitalters?  Auch  auf  diese  Frage  kann  die  Forschung  nicht  mit  der 
wünschenswerten  Zuversieht  antworten.  Die  physische  Anthropologie 
kann  zur  Bestimmung  dieses  Punktes  nicht  herangezogen  werden,  da  die 
in  dieser  Zeit  in  unserem  Lande  herrschende  Sitte  des  Leichenhrandes 
ihr  alles  Forschungsinaterial  entzogen  hat  und  der  einzige,  aus  dieser 
Zeit  uns  aufbewahrte,  bei  Bredow,  unweit  Nauen  im  Torfmoor  gefundene 
Schädel  (a.  ;i.  O.  S.  '.  )  zu  einer  derartigen  Feststellung  natürlich  nicht 
ausreicht*).  Sprachliche  Reste  liegen  gleichfalls  nicht  vor.  Was  bleibt 
da  anders  übrig,  als  zu  versuchen  durch  vorsichtiges  Rückschliesseu 
aus  Momenten  der  späteren  historischen  Zeit  zu  einer  gewissen  Wahr- 
scheinlichkeit der  Annahme  zu  gelangen?  Und  das  scheint  auch  noch 
ganz  gut  möglich. 

Voss  setzt  den  Beginn  der  Bronzezeit  in  der  Mark  ins  sechste  bis 
fünfte  Jahrhundert  vor  Chr.  Geburt.  Um  40U  v.  Chr.  erreichten  aber 
die  von  Osten  nach  Westen  sich  ausdehnenden  Germauen,  die  bis  zu 
dieser  Zeit  westlich  bis  zur  Weser  reichten,  den  Rhein  und  veranlassten 
durch  ihr  Vordringen  die  gewaltige  keltische  Bewegung,  die  damals 
einen  grossen  Teil  von  Europa  erschütterte  und  unter  amlerm  zu  der 
Schlacht  an  der  Allia  führte,  in  der  die  Römer  von  den  Galliern  unter 
Bremms  besiegt  wurden.  Nun  lag  der  Ausgangspunkt  «ler  Germanen 
in  Deutschland,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  in  dem  Lande  zwischen 
Oder  und  Elbe  uud  da  wir  uns  ihr  Vorrücken  in  Verstössen  von  gewiss 
nicht  geringen  Zwischenräumen  vorzustellen  haben,  so  wird  die  Ver- 
mutung, dass  zwei  Jahrhunderte  vor  dieser  Zeit  Teile  dieses  Volkes  im 
heutigen  Brandenburg,  diesem  Ursitze  der  Nation,  gesessen  haben, 
sicherlich  nicht  gewagt  erscheinen.  Also  Germanen  waren  höchst 
wahrscheinlich  die  Menschen,  die  im  Beginne  des  Bronzezeitalters  dieses 
Land  bewohnten. 

Wenn  ich  sagte,  dass  die  Germanen  um  400  v.  Chr.  den  Rhein  er- 
reichten, so  hatte  ich  dabei  die  grandiose  Hypothese  Karl  Möllenhoffs  im 
Auge,  die  er  im  zweiten  Bande  seiner  Deutscheu  Altertumskunde  entwickelt 
hat.  Verwirft  man  sie,  dann  wird  dadurch  unsere  Folgerung  nicht  nur 
nicht  erschüttert,  sondern  sie  besteht  dann  nur  um  so  besser.  Wenn 
die  Gennaneu  nämlich  nicht  um  41)0  v.  Chr.  zum  Rhein  vordrangen,  so 
kann  es  nur  in  einer  früheren  Zeit  geschehen  sein.  Je  geringer  aber 
der  zeitliche  Abstand  zwischen  diesem  Ereignisse  und  jenem  Termin  an- 
genommen wird,  der  nach  Voss  für  den  Beginn  des  Bronzezeitalters  iu 
unserem  Lande  zu  gelten  hat,  um  so  höher  wird  die  Wahrscheinlichkeit, 
dass  in  jener  Epoche  ein  vom  Rhein  so  weit  abgelegenes  Land  wie 
Brandenburg  auch  schon  von  Germanen  bewohnt  war. 

*)  Mehrere  Schädel  sind  inzwischen  auf  einem  der  jüngeren  Bronzezeit  an- 
gehörigen  Urnenfeld  bei  Havelberg  gefunden  worden.  Doch  sind  sie  noch  nicht 
untersucht.    ZUchr.  f.  Ethnologie  20,  367  f. 


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Die  Bevölkerung  Brandenburg«  vor  der  slawischen  Zeit. 


97 


Eine  andre  Frage  ist,  ob  diese  Bevölkerung  dieselbe  ist  wie  diejenige, 
die  wir  im  weiteren  Verlauf  des  Bronzezeitalters,  als  die  Geschichte  des 
Landes  eben  aufzudämmern  beginnt,  hier  ansässig  finden.  Wir  kommen 
darauf  später  zurück. 

In  der  Zeit,  als  die  Germanen  in  die  Weltgeschichte  eingetreten 
waren,  als  ihre  Beziehungen  zum  Schauplatz  der  antiken  Geschichte,  dem 
Abendlande,  nicht  mehr  auf  den  Handelsverkehr  beschränkt  waren,  als 
sie  vielmehr  schon  politisch  in  sein  Geschick  eingritfen,  in  dieser  Zeit 
wohnten  sicher  in  unserem  Heimatlande  Teile  dieses  Volkes.  Wir 
fragen:  welche? 

Die  Germanen,  ein  Zweig  der  Indogermanen  oder  Arier,  haben 
ihre  Urheimat  in  Deutschland,  in  den  zwischen  Oder  und  Elbe  gelegenen 
Ländern.  (DA.  2,207 — 3r»  und  «{,168.)  Hier  bildeten  sie  sich  zu  einem 
selbständigen  Volke  aus.  Hier,  im  Kampfe  mit  einem  „traurigen,  licht- 
und  sonnenlosen,  von  dichten  Wäldern  starrenden,  von  ungeheuren 
Wassermassen  durchzogenen  und  überfluteten,  annseligen  Land"  schufen 
sie  ihre  Nationalität.  Natürlich  in  Uebereinstimmuug  mit  der  Natur 
ihrer  Umgebung,  die  auf  Charakter,  Sitte,  Einrichtung  und  Anschauungs- 
weise des  Volkes  bestimmend  einwirkte.  So  prägten  sie  ihre  aus  der 
asiatischen  Heimat  mitgebrachten  religiösen  Vorstellungen,  deren  ursprüng- 
liche Beschaffenheit  durch  die  Natur  des  Landes,  in  dem  sie  entstanden 
waren,  bedingt  war,  die  aber  im  Laufe  der  langen  Wanderung  gewiss 
eine  beträchtliche  Umgestaltung  erfuhren,  diese  Vorstellungen  prägten 
sie  entsprechend  dem  Charakter  der  Landschaft  um  und  schufen  aus 
der  arischen  die  germanische  Mythologie.  Auch  ihre  nationale  Sprache 
entstand  erst  jetzt  und  zwar  wirkte  auf  ihre  Gestaltung  die  Art  der 
Landschaft  ebenfalls  ein.  Ihre  Haupteigentümlichkeit,  diejenige,  durch 
die  sich  das  Germanische  von  den  anderen  arischen  Sprachen  unter- 
scheidet, die  Umgestaltung  und  Neuordnung  des  Konsonantismus,  die 
man  mit  Jacob  Grimm,  der  ihren  gesetzmässigen  Verlauf  zuerst  erkannt 
hat,  Lautverschiebung  nennt,  diese  Eigentümlichkeit  führt  Karl  Möllen- 
hoff in  ihrem  letzten  Grund  auf  die  Schwierigkeiten  zurück,  die  für  die 
Germanen  das  Einleben  in  die  Verhältnisse  des  wilden  Landes  mit  sich 
brachte.    (DA.  8,197.) 

Von  diesem  zwischen  Oder  und  Elbe  gelegenen  Gebiete  aus  breiteten 
sich  unsere  Ahnen  gewiss  sehr  lauge  vor  der  geschichtlichen  Zeit  nach 
Norden  aus,  indem  sie  Jütland,  die  dänischen  Inseln  und  Skandinavien 
besiedelten,  dann  nach  Osten,  indem  sie  bis  zur  Weichsel  vorrückten, 
endlich  nach  Westen,  indem  sie  bis  zum  Rheine  vordrangen.  In  der 
ältesten  kartographischen  Darstellung  Gerinaniens,  die  wir  kennen  oder 
vielmehr  aus  einer  jahrhundertelangen  historischen  Tradition  rück- 
schliessend  zu  reconstruieren  vermögen  (DA.  8,212  ff.),  auf  der  Welt- 
karte des  Agrippa,  die  ungefähr  um  den  Beginn  unserer  Zeitrechnung 

7 


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98 


Otto  Pniower. 


entworfen  wurde,  hat  Germanien  schon  seine  sozusagen  historischen 
Grenzen.  Es  reicht  nördlich  bis  Skandinavien  hinein,  sudlich  bis  zur 
Donau,  östlich  erstreckt  es  sich  im  grossen  und  ganzen  bis  zur  Weichsel, 
westlich  bis  zum  Rhein  (DA.  2,3  f.).  Diese  Ausdehnung  hatte  Germanien 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  schon  Ü  bis  4  Jahrhunderte  vorher. 

Zu  der  Zeit,  da  die  Germanen  in  den  Gesichtskreis  der  alten  Welt 
traten,  was  sich  nach  aussen  hin  durch  den  um  das  Jahr  180  v.  Chr. 
Geburt  unternommenen  Einfall  der  Bastarnen  in  die  politischen  Länder 
dokumentiert,  waren  sie  kein  einheitliches  Volk  mehr.  Sehr  wahrscheinlich 
waren  sie  es  auch  schon  lange  vorher  nicht  mehr.  In  zwei  Gruppen 
sehen  wir  sie  geschieden:  in  Ost-  und  Westgermanen.  Jene  bewohnen 
auf  dem  Festland  die  östlich  der  Oder  bis  zur  Weichsel  hin  und  darüber 
hinaus  gelegenen  Länderstrecken  nnd  ausserdem  Skandinavien.  Nach 
Westen  reichen  sie  im  Gebiete  der  oberen  Oder  über  den  Fluss  hinaus 
und  treffen  im  Gebirge  mit  den  Westgermanen  zusammen,  die  die  übrigen 
westlich  der  Oder  gelegene  Teile  Deutschlands  inne  hatten. 

Wann  diese  Scheidung  vor  sich  ging,  wissen  wir  nicht.  Vermuten 
möchte  ich,  dass  sie  mit  der  nördlichen  und  östlichen  Ausdehnung  der 
ältesten  Grenzen  bis  nach  Skandinavien  und  zur  Weichsel  hin  zusammen- 
hängt. Und  zwar  wird  das  Ausweiten  des  alten  Gebietes,  der  Urheimat, 
die  Spaltung  veranlasst  haben.  Was  wir  dann  in  der  historischen  Zeit 
an  Merkmalen  wahrnehmen,  durch  die  sich  die  Ost-  und  Westgerraanen 
von  einander  unterscheiden,  ist  das  Resultat  einer  jahrhundertelangen 
Entwickelung,  zu  der  jener  Vorgang  den  Anstoss  gegeben  hat. 

Welches  sind  nun  die  Merkmale,  durch  die  sich  die  Ostgermanen 
von  den  Westgermanen  unterscheiden?  Es  handelt  sich,  soviel  wir 
sehen,  um  Unterschiede  des  Charakters,  genauer  des  Temperaments, 
der  Sprache  und  der  Religion. 

Auf  den  Unterschied  des  Temperaments  weisen  schon  die  Namen 
hin,  unter  denen  die  beiden  Gruppen  zuerst  in  der  Geschichte  auftreten. 
Die  Ostgermanen  hiessen  Vandilier  d.  h.  die  „beweglichen"  „unter- 
nehmungslustigen''. Die  Westgermanen  müssen  einmal  —  wie  sich  nach- 
weisen lässt  —  den  Gesammtnamen  Sueben  geführt  haben,  wenn  dieser 
Name  auch  später  im  verschiedentlichsten  Sinne  gebraucht  wurde,  im 
ganzen  aber  mehr  und  mehr  einschwand  und  zuletzt  bei  den  ältesten 
Stamme  der  Westgermanen  haften  blieb,  demjenigen,  der  einst  in  unserem 
Lande  ansässig,  später  nach  Süddeutschland  zog  und  hier  den  Namen 
Schwaben  d.  i.  nichts  anderes  als  Sueben  erhielt.  Ähnlich  wurde  später 
der  Name  der  Vandilier  auf  ein  Volk  der  Ostgermanen,  die  Vandalen, 
eingeschränkt.  Uber  die  Etymologie  des  Namens  „Sueben"  sind  nun  die 
verschiedensten  Ansichten  aufgestellt  werden.  Die  jüngste  und  wie  es 
scheint  allein  haltbare  ist  die,  dass  der  Name  die  „schläfrigen",  die 
„Schlafmützen"  bedeutet.    (Much,  Ztschr.  f.  dtsch.  Altert.  32,407  ff.) 


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Die  Bevölkerung  Brandenburgs  vor  der  slawischen  Zeit. 


99 


Diesen  Spottnamen  zogen  sich  die  Westgermanen  augenscheinlich  dadurch 
zu,  dass  sie  sich  an  jenem  Ereignis,  das  zur  ersten  Spaltung  der 
Germanen  führte,  an  dem  Hinausschieben  der  Grenze  über  die  Oder  nach 
Osten  und  Norden  nicht  beteiligten,  sondern  dies  den  östlichen  Stämmen, 
den  unternehmungslustigen  Vaudiliem  überliessen.  Diesen  unternehmenden 
Sinn  bewiesen  die  Ostgerraanen  aber  auch  weiterhin.  Sie  sind  überhaupt 
die  begabtesten  unter  den  Germanen  und  beispielsweise  auch  die  Schöpfer 
des  epischen  Heldensanges.  (Kögel,  Gesch.  d.  dtsch.  Litteratur  1,51. 
121.  134  f.  194.)  Jordanes,  der  um  die  Mitte  des  sechsten  Jahrhunderts 
sein  Geschichtswerk  de  rebus  Geticis  schrieb,  vergleicht  sie,  indem  er 
sich  dafür  auf  Dio  Chrysostomus  beruft,  den  Griechen.  Und  wie  Teile 
von  ihnen,  die  Bastarnen,  um  180  v.Chr.  den  ersten  Vorstoss  gegen  die 
alte  Welt  und  zwar  nicht  ohne  Erfolg  unternahmen  und  in  ihrem  Bereich 
sich  niederliessen,  so  wurden  die  Ostgermanen,  Völker  wie  die  Goten, 
Vandalen,  Burgunden  später  die  eigentlichen  Träger  der  Völkerwanderung, 
zugleich  freilich  ihre  tragischen  Helden.  Sie  sind  das  Opfer  ihres 
ungestümen,  leidenschaftlichen  Temperaments  geworden.  Bis  auf  die 
Bewohner  Skandinaviens  sind  sie  als  selbständige  Völker  ausgestorben. 

Über  den  Unterschied  der  Sprache,  der  zwischen  Ost-  und  West- 
germanen bestand,  kann  ich  mich  hier  nicht  eingehender  auslassen  (vgl. 
darüber  Wilhelm  Scherer,  Zur  Geschichte  der  deutschen  Sprache  2  S.  8  f. 
Friedrich  Kluge  in  Pauls  Grundriss  der  germ.  Philologie  I,  362  ff.). 
Genug,  dass  er  schon  in  der  vorgeschichtlichen  Zeit  beträchtlich  war 
und  dass  aus  dem  Ostgermanischen,  dem  das  Gotische  angehörte,  sich 
die  nordischen  Sprachen,  das  Dänisch-Norwegische  und  das  Schwedische 
entwickelten,  aus  dem  Westgennanischen  die  heutige  deutsche  und 
holländische  Sprache. 

Was  den  Unterschied  in  der  Religion  betrifft,  der  zwischen  beiden 
Gruppen  bestand,  so  ersehen  wir,  wenn  wir  eine  von  Tacitus  im 
43.  Kapitel  der  Germania  gebrachte  Nachricht  mit  Berichten  späterer 
Historiker  und  Erzählungen  aus  der  Heldensage  combiniereu,  dass  die 
Ostgennanen  einen  eigenen  Kultus  hatten,  an  dem  die  Westgerraaneu 
nicht  teilnahmen.  Sie  verehrten  ein  Briiderpaar,  die  Alci,  die  Tacitus 
mit  Castor  und  Pollux  vergleicht.  Er  ahnte  bei  dieser  Zusammenstellung 
nicht,  dass  jene  Gestalten  der  römischen  Mythologie  mit  diesen  germanischen 
ihrem  Ursprünge  nach  identisch  sind.  Es  sind  die  Zwillingssöhne  des 
Tivas  oder  Tili  gemeint,  wie  Castor  und  Pollux  Jupiters  Söhne  sind  und 
wie  die  entsprechenden  Gestalten  der  Griechen  und  Inder,  die  Dioskuren 
und  AcA'inau,  Söhne  des  Zeus  oder  des  Djaus  sind  (vgl.  Möllenhoff  in 
der  Ztschr.  f.  d.  A.  12,34(5—54).  Es  waren  also  Lichtgötter  und  die 
beiden  Alci  sind  nach  der  Ansicht  von  Karl  Möllenhoff  sozusagen  die 
kontinentalen  Vertreter  der  nordischen  Götter  Baldr  und  Vali.  Verehrt 
wurden  diese  göttlichen  Zwillinge  auch  von  den  Westgermanen.  Der 

7* 


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Otto  Pniower 


Unterschied  zwischen  ihnen  und  den  Ostgermanen  liegt  darin,  dass  sie 
von  diesen  zu  Stammesgöttern  erhoben  wurden,  der  Mittelpunkt  des 
Stammkultus  wurden.  Vielleicht  legte  diese  religiöse  Differenz  den  ersten 
Grund  zur  Ausweitung  des  urheimatlichen  Gebietes  nach  Osten  und 
bildete  so  den  Keim  zur  ersten  grossen  Spaltung  der  Germanen.  Den 
Anlass  gerade  diesen  Göttern  eine  erhöhte  Verehrung  zu  widmen  er- 
hielten die  Ostgerraanen  möglicher  Weise  von  benachbarten  Völkern,  etwa 
den  im  Osten  hausenden  Slawen  oder  den  westlich  und  südlich  benachbarten 
Kelten.  Wenigstens  wissen  wir,  dass  eine  spätere  grosse  Veränderung, 
die  im  Götterglauben  der  Germanen  vor  sich  ging,  die  Verdrängung  des 
alten  höchsten  Gottes  Tivas  durch  Wödan,  vom  Westen  aus  ihren  An- 
fang nahm  und  auf  Einflüssen  des  benachbarten  Volkes,  der  Kelten, 
beruhte.   (Zs.  f.  d.  A.  18,251). 

Unser  Brandenburg  nun  war  in  der  altgermanischen  Zeit  von 
Völkern  beider  Gruppen  bewohnt.  Sowohl  West-  wie  Ostgermanen 
sassen  hier.  Vier  Völkerschaften  kennen  wir  als  seine  Bewohner.  Die 
Altmark  hatten  Langobarden  im  Besitz,  in  der  Mittelmark  und  der 
Priegnitz  sassen  Semnonen,  vielleicht  auch  Warnen,  die  auch  einen  Teil 
der  Uckermark  gewiss  bewohnten,  in  der  Neumark  Burgunder.  Davon 
sind  die  Burgunden,  wie  wir  schon  wissen,  Ostgermanen,  die  Langobarden, 
Semnonen  und  Warnen  Westgermanen. 

Allein  die  Westgermanen  waren  im  Anfang  der  Geschichte  Deutsch- 
lands keineswegs  einheitlich.  Sie  waren  ihrerseits  wieder  in  drei  Gruppen 
geschieden:  die  Irminonen,  Jngvaeonen  und  lstvaeonen.  Zu  den 
Irminonen  gehören  alle  Binnenvölker  bis  etwa  zu  den  westlichen  Zu- 
flüssen der  Weser  hin,  also  Semnonen,  Hermunduren,  Cherusker,  Chatten, 
Marcomannen  u.  a.  Zu  den  Ingvaeonen  gehören  die  Küstenvölker,  also 
Warnen,  Angeln,  Sachsen,  Chauken,  Friesen,  aber  auch  sehr  wahr- 
scheinlich die  Langobarden  (Kögel  a.  a.  O.  104  ff);  zu  den  lstvaeonen  die 
zwischen  Ems  und  Rhein  angesessenen  Völkerschaften  aus  denen  die 
späteren  Franken  wurden,  also  Bructerer, Sugambrer,  Usipier,Tencterer  u.a. 

Von  jedem  der  drei  Verbände  wurde  als  Stammheros  derjenige 
Gott  verehrt,  von  dem  er  den  Namen  fährte.  Die  Irminonen  verehrten 
den  Ermnas  oder  Irmin,  die  lugvaeonen  den  Ingvas,  die  lstvaeonen  den 
Istvas.  Jeder  dieser  Heroen  oder  Götter  geht  seinem  Ursprünge  nach 
auf  den  alten  indogermanischen  Gott  Tivas  zurück,  den  wir  schon  als  den 
Vater  der  Alci  kennen  und  den  wir  bei  den  Indern  als  Djaus,  bei  den 
Griechen  als  Zeus,  bei  den  Römern  als  Jupiter  (Djauspitar)  wieder 
finden.  Aus  dem  alten  germanischeu  Namen  wurde  später  Tiu,  hoch- 
deutsch Ziu,  während  das  Wort  im  Nordischen  regelrecht  zu  Tyr  wurde. 
Man  hat  neuerdings  (Bremer  in  den  Indogermanischen  Forschungen  hrsg. 
v.  Brugmann  und  Streitberg  3,301  f.)  die  Entsprechung  von  Tivas  und 
Djaus,  Zeus  u.  s.  w.  bestritten  und  in  Tivas  die  einfache  Bedeutung  für 


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Die  Bevölkerung  Brandenburgs  vor  der  slawischen  Zeit.  101 

Gott  =  lat  divu8  erblicken  zu  dürfen  gemeint,  doch  wird  an  der  alten 
Gleichung  festzuhalten  sein  (Kogel,  Gesch.  d.  dtsch.  Litteratur  S.  14). 
Das  Wort  bedeutet  eigentlich  strahlend  (Grundriss  der  germ.  Philologie 
1,1054)  und  benennt  den  Gott  nach  seiner  ursprünglichsten  Funktion 
als  eine  glanzende  Himmels-  und  Tagesgottheit. 

Die  Heroen  der  drei  Verbände,  die  von  den  zu  ihnen  gehörenden 
Völkerschaften  zugleich  als  ihre  Ahnherren  betrachtet  wurden,  Irmin, 
Ingvas  und  Istvas,  sind  also  weiter  nichts  als  verschiedene  Erscheinungs- 
formen des  altgermanischen  Tivas.  Ermnas  oder  Irmin  ist  nichts  anderes 
als  ein  Prädikat  des  Tivas,  ein  Epitheton,  mit  dem  der  Gott  als  der 
„erhabene",  „alles  umfassende"  bezeichnet  wurde.  Der  Stammesheros 
und  Stammvater  der  Ingvaeonen  ist  diejenige  Erscheinungsform  des 
Tivas,  die  ihn  als  den  Ankömmling  betrachtet,  als  den,  der  aus  der 
Ferne  kam,  um  den  seeanwohnenden  Völkerschaften  Glück  und  Gedeihen 
zu  bringen.  Der  Bezeichnung  Istvas,  wie  der  von  den  Istvaeonen  verehrte 
Stammesgott  hiess,  liegt  nach  der  Meinung  des  einen  eine  reine  Natur- 
anschauung zu  Grunde,  indem  das  Wort  „flammend"  bedeutet  und  Tivas 
mit  diesem  Prädikat  wieder  nach  seiner  ursprünglichsten  Funktion  als 
der  Spender  des  sonnigen  Lichts  benannt  wird.  (HoflFory,  Eddastudien, 
Berlin  1889,  S.  163  ff.)  Ein  anderer  Forscher  (Kögel,  Ztschr.  f.  d.  A., 
37  Anz.,  S.  9)  erklärt  Istvas  als  den  „wahren",  „echten"  Gott,  was  aber 
nicht  gerade  zutreffend  erscheint. 

Diese  Sonderung  der  Westgermanen  hängt  gewiss,  wie  wir  das 
schon  bei  der  ersten  Scheidung  der  Germanen  in  die  beiden  Haupt- 
gruppen, die  östliche  und  westliche,  beobachtet  haben,  mit  der  Ausdehnung 
des  alten  Besitzes  —  die  hier  aber  nach  Westen  hin  geschah  —  zusammen. 
Daraus  ergiebt  sich  schon  die  Folgerung,  dass  wir  in  denjenigen 
Scharen,  die  wir  in  der  historischen  Zeit  in  dem  alten  Urgebiet  oder 
in  seiner  unmittelbaren  Nähe  antreffen,  die  Nachkommen  des  eigentlichen 
Kernes  der  Westgermanen  zu  erblicken  haben.  Da  aber  in  einer  älteren 
Periode  sich  von  hier  aus,  wie  wir  wissen,  auch  die  Ausbreitung  der 
Germanen  nach  Osten  und  Norden  hin  vollzog,  so  bildeten  die  Ahnen 
jener  Scharen  den  Kern  des  ganzen  Volkes,  das  später  den  Namen 
Germauen  erhielt.  Fassen  wir  den  Begriff  des  Stamm  Verbandes  in's 
Auge,  so  waren  die  Ahnen  der  Scharen,  die  diesen  Kern  bildeten,  die 
Irmiuonen.  Innerhalb  dieses  Kultverbandes  aber  muss  wieder  ein  Volk 
für  das  älteste  gelten,  für  dasjenige,  das  den  Kern  zur  Bildung  des 
Stammes  abgab.  Dieses  Volk  waren  die  Hauptbewohner  unserer  Mark 
die  Semnonen. 


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Otto  Pniowar 


I.  Die  Semnonen. 

Dafür,  dass  die  Semnonen  als  das  älteste  Volk  der  Germauen 
anzusehen  sind,  dafür  sprechen  mehrere  Indicien.  So  bezeugt  uns  Tacitus 
da,  wo  er  in  seiner  Germania  ihrer  Erwähnung  thut,  dass  sie  selbst 
sich  für  die  ältesten  und  edelsten  der  Sueben  hielten,  bei  welchem  Satz 
zu  berücksichtigen  ist,  dass  bei  Tacitus  in  einer  übrigens  ungerecht- 
fertigten Auffassung  unter  Sueben  fast  alle  Germanen  zu  verstehn  sind, 
nämlich  alle  Völkerschaften  von  der  Weser  bis  zur  Weichsel  und  sogar 
die  in  Skandinavien  angesessenen,  d.  h.  also  lrminoneu  und  Ingvaeonen 
von  den  Westgermanen  und  die  Ostgermanen. 

Ferner  bemerkt  Tacitus  ausdrücklich ,  dass  der  Kultus,  desseu 
Verwaltung  in  den  Händen  der  Semnonen  lag,  der  Inhalt  iher  Gottes- 
verehrung das  hohe  Alter  des  Volkes  bestätige  (fides  antiquitatis  religione 
firmatur).  Und  von  dem  heiligen  Hain,  in  dem  der  Gott  verehrt  wurde, 
dessen  Statthalter  auf  Erden  gleichsam  die  Semnonen  Jahrhunderte  lang 
waren,  von  dem  Hain  sagt  er,  dass  auf  ihn  der  ganze  —  wir  müssen 
im  Sinne  des  Tacitus  ergänzen  —  suebische  Glaube  zurückblicke,  wie 
wenn  von  ihm  aus  das  Volk  seinen  Ausgang  genommen  hätte,  wie  wenn 
in  ihm  die  Wiege  des  Volkes  stünde  (eoque  oinnis  superstitio  re9picit, 
tamquam  iude  initia  gentis).  Wir  werden  später  sehen,  wie  diese  Dar- 
stellung des  Tacitus  sowohl  unserer  heutigen  Auffassung  des  germanischeu 
Götterglaubens  gemäss  ist  als  auch  sonst  bestätigt  wird. 

Jetzt  aber  müssen  wir  uns  dem  ganzen  Kapitel  der  Taciteisehen 
Germania  zuwenden,  aus  dem  ich  eben  einige  Sätze  citiert  habe.  Es  ist 
in  der  gesammten  antiken  Litteratur  die  Hauptstelle  über  die  Semnonen. 
Zuerst  erwähnt  sind  sie  hier  allerdings  nicht.  Schon  Strabo,  der  um 
d.  J.  20  nach  Christi  Geburt  sein  grosses  geographisches  Werk  schrieb, 
also  fast  80  Jahre  früher  als  Tacitus  seine  Germania,  nennt  sie,  indem 
er  p.  290  berichtet,  dass  Marbod,  nachdem  er  aus  einem  schlichten 
Privatmann  ein  König  geworden  war,  eine  Reihe  von  Völkerschaften 
unterwarf,  darunter  das  „grosse  Volk  der  Sueben,  die  Semnonen".  Und 
noch  früher  werden  sie,  wenn  auch  nicht  in  litterarischer  Weise,  in 
jenem  Rechenschaftsbericht  über  seine  Regierungshandlungen  erwähnt, 
den  der  Kaiser  Augustus  kurz  vor  seinem  Tode,  i.  J.  14  n.  Chr.,  ver- 
fasste  und  der  sich  uns  auf  dem  Monumentum  Ancyranuin  erhalten  hat. 
Hier  werden  (cap.  XXVI)  die  Semnonen  unter  denjenigen  Völkerschaften 
des  germanischen  Nordens  aufgeführt,  die  durch  Gesandte  seine  und  des 
römischen  Volkes  Freundschaft  erbaten. 

Wir  wissen  schon,  dass  Tacitus  das  Semnonenkapitel  mit  der 
Bemerkung,  beginnt,  dass  sie  sich  selbst  für  das  älteste  und  edelste 
Volk  erklären  und  dass  der  von  ihnen  besorgte  Kultus  diesen  Anspruch 
als  berechtigt  erscheinen  lässt.  Wir  fragen  zunächst:  warum  heissen  sie 


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Die  Bevölkerung  Brandenburgs  vor  der  slawischen  Zeit. 


loa 


Semnonen?  Sollte  der  Name  eines  so  ausgezeichneten  Volkes  nicht 
irgendwie  der  Stellang  des  Trägers  entsprechend  gewählt  sein?  Sollte 
sich  nicht  in  ihm  die  Bedeutung  des  Volkes  aussprechen? 

In  der  That  macht  sich  bei  denen,  die  die  Etymologie  des  Namens 
zu  bestimmen  suchten,  das  Bestreben  geltend,  ihn  mit  der  Funktion, 
die  dem  Volk  innerhall)  der  Nation  anvertraut  war,  in  Verbindung  zu 
bringen.  So  hat  Karl  Müllenhoff  ihn  für  einen  hieratischen  erklärt  und 
in  ihm  die  Wurzel  si  binden,  fesseln  zu  finden  geglaubt,  weil,  wie  wir 
gleich  sehen  werden,  den  Hain  der  Semnonen,  in  dem  der  Gott  verehrt 
wurde,  niemand  un gefesselt  betreten  durfte.  Darnach  deutete  er  den 
Namen,  früher  (Ztschr.  f.  d.  A.  7,383  f.)  als  die  „gefesselten",  später 
(Ztschr.  f.  d.  A.  10,562)  als  die  „Fesseler".  Ein  jüngerer  Forscher 
Rudolf  Much  (a.  a.  O.  36,41  ff.)  hat  dagegen  in  der  Benennung  die 
Wurzel  seb  zu  finden  geglaubt,  die  dem  lat.  sap  in  sapere  entspricht, 
und  die  Semnonen  darnach  für  die  „verständigen"  erklärt.  Ein  Dritter 
(A.  Erdmann,  Ueber  die  Heimat  und  den  Namen  der  Angeln,  S.  99  f.) 
denkt  bei  dem  Namen  wie  Müllenhoff  an  die  Wurzel  si  binden,  hält  das 
Wort  aber  der  Form  nach  für  ein  Participium  passivi  und  vindiciert 
ihm  die  übertragene  Bedeutung  des  Bindens,  so  dass  die  Semnonen 
=  den  „Verbundenen",  „Verbündeten"  wären.  Ein  vierter  Forscher 
endlich  (Bremer,  Ztschr.  f.  d.  A.  37,9)  erklärt  den  Namen  als  „alle  zu- 
sammen", „alle  insgesamt",  so  dass  er  etwa  dasselbe  ausdrücken 
würde,  wie  Alamannen,  eine  im  3.  Jahrhundert  nach  Christi  Geburt 
auftauchende  Bezeichnung  für  eine  Reihe  in  der  Nähe  des  Rheins  ange- 
sessener Völkerschaften.  Welche  von  diesen  vier  Etymologien,  mit 
denen  übrigens  die  Zahl  der  bisher  vorgebrachten  keineswegs  erschöpft 
ist,  die  richtige  ist,  ist  schwer  zu  sagen  und  irgend  Sicherheit  darüber 
wird  wohl  noch  lange  nicht  zu  gewinnen  sein.  Das  eine  oder  andere 
lässt  sich  gegen  alle  bisher  geltend  gemachten  Deutungen  einwenden. 
Am  wahrscheinlichsten  dünkt  mich  noch  die  an  zweiter  Stelle  angeführte, 
wonach  die  Semnonen  die  „verständigen"  heissen  (vergl.  Much,  Ztschr. 
f.  d.  A.  39,  46  f.). 

Wir  fragen  weiter  nach  der  genaueren  Lage  der  Semnonen,  nach 
den  genaueren  Grenzen  des  Gebietes,  das  sie  einnahmen.  Die  Angaben 
des  Tacitus  selbst  darüber  sind  recht  unbestimmt,  wie  es  ihm  ja  in 
seiner  Schrift  weit  mehr  auf  die  Schilderung  der  Sitten,  des  Charakters 
der  Germanen  ankam,  als  auf  eine  geographische  Beschreibung  ihres 
Landes.  Aber  auch  die  anderen  Notizen,  die  uns  über  diesen  Punkt  zur 
Verfügung  stehn,  ermöglichen  es  uns  nicht,  den  Wohnsitz  der  Semnonen 
bis  ins  einzelne  mit  Sicherheit  festzustellen.  Meist  sind  wir  auf  Ver- 
mutungen und  Wahrscheinlichkeitsbestimmuugen  angewiesen.  Nur  die 
westlichen  und  östlichen  Grenzen  sind  sicher.  Dass  sie  im  Westen  bis 
zur  Elbe  reichten,  bezeugt  uns  Vellejus  Paterculus,  ein  römischer  Histo- 


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Otto  Pniower. 


riker,  der  unter  Tiberius  Kriegsdienste  that  und  ihn  auch  auf  seinen 
i.  J.  4 — 5  nach  Christus  unternommenen  Feldzügen  in  Germanien  beglei- 
tete. Im  zweiten  Buch  seines  Werkchens,  da,  wo  er  über  die  Thaten 
seines  Kaisers  in  Deutschland  in  überschwenglicher  Weise  berichtet, 
bemerkt  er,  dass  die  Elbe  am  Gebiete  der  Hermunduren  und  Semnonen 
vorüberfliesse  (Üb.  II,  cap.  10i>  ad  Humen  Albim,  qui  Semnonum  Her- 
muudurorumque  fines  praeterfluit).  Dass  sie  im  Osten  bis  zur  Oder 
reichten,  geht  aus  Ptolemaeus  hervor.  Dieser  ägyptische  Astronom, 
dessen  Weltsystem  vom  späten  Altertum  bis  in  die  Neuzeit  herrschte 
und  erst  von  Copernicus  gestürzt  wurde,  war  auch  Geograph.  Er  gab 
die  Vuvycafyix^  v^rfyrjffi;  heraus,  die  im  Wesentlichen  eine  Beschreibung 
der  Ortlichen  Lage  der  der  antiken  Welt  bekannten  Länder  war.  Das 
zweite  Buch  dieses  Werkes  enthält  im  11.  Kapitel  auch  eine  Glau;  Vtp- 
juema;,  d.  i.  eine  kartographische  Darstellung  Deutschlands,  die  sich 
darauf  beschränkt,  geographisch  merkwürdige  Details,  wie  Völkernamen, 
Berge,  Flüsse,  Städte  bezw.  Ansiedlungen  oder  befestigte  Lager  anzu- 
geben, die  geographisch-astronomisch  genau,  d.  h.  in  Bezug  auf  die 
Himmelsgegend  und  nach  Graden  bestimmt  werden.  Eine  weitere  Schil- 
derung der  Länder  bietet  es  nicht,  wie  denn  Ptolemaeus  sein  Werk 
lediglich  als  Anweisung  zum  Entwerfen  von  Karten  hat  betrachtet  wissen 
wollen.  Er  veröffentlichte  es  um  180  n.  Chr.  Was  er  gab,  war  im 
Wesentlichen  das  Werk  des  Mariuus  von  Tyros,  eines  griechischen  Ge- 
lehrten, der  es  etwa  zu  derselben  Zeit,  wie  Tacitus  seine  Germania,  schrieb. 
Die  Darstellung,  die  Deutschland  bei  Ptolemaeus  erfahren  hat,  ist  überaus 
fehlerhaft,  voll  von  Irrtümern  und  wohl  auch  willkürlichen  Entstellungen 
(D.  A.  2,7<)  ff.,  325  ff.).  Sie  bietet  der  Kritik  die  ärgsten  Blossen,  ist 
aber  dennoch  für  die  Erforschung  des  ältesten  Germaniens  überaus 
wichtig.  Nicht  blos,  weil  wir  an  älteren  Quellen  so  arm  sind,  sondern 
weil  Ptolemaeus  z.  Tl.  vortreffliche  Vorlagen  benutzt  hat,  die  zu  recon- 
struieren  Aufgabe  einer  wissenschaftlichen  Kritik  ist.  Ihn  zu  kontro- 
lieren,  zu  rectificieren  und  so  zur  Wahrheit  durchzudringen,  dienen  die 
Angaben  der  anderen  Geographen  und  Historiker,  wie  Strabp,  Tacitus 
u.  a.,  wenn  sie  aucli  leider  keineswegs  ausreichen. 

Ptolemaeus  sagt  also  (lib.  2,  11,  15)  dass  das  Gebiet  der  Semnonen 
sich  von  der  mittleren  Elbe  östlich  bis  zur  Oder  erstrecke  (xai  ro  tw 
liovrßwv  rtüv  Z.efJivövwv,  a'rtte;  di/j'xovci  fitTti.  rcv  AXjStv  azo  tov  iipr\\iivov  fi£pov$ 
npo<;  avaroXa;  jue'xpt  ~cü  Zovtßcv  ^rora/ütou),  wenn,  worüber  wohl  kein  Zweifel 
besteht,  mit  dem  Korafio;  LoJrjßo;  die  Oder  gemeint  ist.  In  Bezug  auf  den 
Norden  wissen  wir  aus  einer  Angabe  desselben  Geographen  (2,  11,  17), 
wo  AvapTot  ein  Verderbnis  für  Ovupvot  ist  (D.  A.  2,80),  im  Verein  mit 
späteren  Nachrichten,  dass  über  den  Semnonen  die  ingvaeischen  Warnen 
sasseu .  Wo  aber  die  Grenze  zwischen  beiden  lief,  wissen  wir  nicht. 
Oestlich  von  den  Semnonen  sassen,  wie  wir  schon  bemerkt  haben,  die 


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Die  Bevölkerung  Brandenburgs  vor  der  shiwisrhen  Zeit. 


105 


ostgerraanischen  Burgunden,  südöstlich  die  ostgermanischen  Silingen, 
Jene  waren,  wie  wir  wissen,  von  den  Semnonen  durch  die  Oder  getrennt. 
Die  Silingen  aber  reichten  westwärts  über  den  Fluss  hinaus.  Bis  wie' 
weit  und  wo  genau  die  Grenze  zwischen  ihnen  und  den  Semnonen  lag, 
können  wir  bis  jetzt  nicht  sagen.  Kaspar  Zeuss  nimmt  an,  dass  die 
Semnonen  mit  den  Silingen  etwa  an  der  Neisse  zusammenstießen.  Im 
Süden  und  Südwesten,  nach  Zeuss  etwa  in  der  Gegend  der  schwarzen 
Elster,  trafen  sie  mit  den  irminonischen  Hermunduren  zusammen,  die 
nordwärts  die  Elbe  hinunter,  vermutlich  bis  zur  Mündung  der  Saale 
ihre  Grenznachbaren  blieben.  Ihnen  folgten  weiter  nordwärts  die  Cher- 
usker, über  denen  dann  —  etwa  vom  Gebiete  der  Zuflüsse  der  Aller 
an  —  als  westliche  Nachbaren  der  Semnoneu  die  Langobarden  sassen. 

Unser  Volk  war  also,  wenn  wir  vom  Westen  aus  gehn  und  über 
den  Norden,  Osten,  Süden  zu  ihm  zurückkehren,  von  folgenden  Völker- 
schaften umgeben:  den  irminonischen  Langobarden,  den  ingvaeischen 
Warnen,  den  ostgermanischen  Burgunden  und  Silingen,  den  irminonischen 
Hermunduren  und  Cheruskern. 

Nachdem  Tacitus  von  dem  Anspruch  der  Semnonen,  das  älteste 
Volk  zu  sein  und  seiner  durch  die  Art  ihres  Kultus  bewährten  Berech- 
tigung gesprochen  hat,  fährt  er  in  der  Schilderung  des  Volkes  folgen- 
dermassen  fort:  „Zu  einer  bestimmten  Zeit  des  Jahres  kommen  alle 
Völker  desselben  Blutes,  durch  Abgesandte  vertreten,  in  einem  Walde 
zusammen,  der  durch  den  Weihedienst  der  Vorfahren  und  durch  alt- 
hergebrachte Scheu  geheiligt  ist.  Hier  begehen  sie,  indem  von  Staats- 
wegen ein  Mensch  geopfert  wird,  einen  barbarischen  Festkult,  der  aus 
den  schaudervollen  Urzeiten  der  Götterverehrung  stammen  muss.  Aber 
noch  auf  eine  andere  Art  wird  dem  Haine  Ehrfurcht  erwiesen :  nur 
gefesselt  darf  man  ihn  betreten,  damit  man  sich  gleichsam  als  der 
Gottheit  untergeordnet  bekenne  und  ihre  überlegene  Macht  äusserlich 
bekunde.  Fällt  einer  zufällig  zu  Boden,  dann  ist  es  ihm  nicht  gestattet 
sich  zu  erheben  und  aufzurichten,  sondern  auf  der  Erde  liegend  wälzen 
sich  die  Gefallenen  hinaus.  Diese  abgöttische  Verehrung  aber  hat  in 
dem  Glauben  ihren  Grund,  dass  in  dem  Haine  gleichsam  die  Wiege  des 
Stammes  gestanden  habe  und  dass  dort  der  all  waltende  Gott  wohne, 
dem  alles  übrige  unterworfen  und  gehorsam  seiw.  (Die  Uebersetzung 
grösstenteils  nach  der  vortrefflichen  Verdeutschung  bei  Kögel,  Geschichte 
der  deutschen  Litteratur  1,20.) 

Eine  ganze  Reihe  von  Fragen  knüpfen  sich  au  diese  inhaltreichen 
Sätze.  Zunächst,  wo  lag  dieser  geheimnisvolle,  Andacht  und  Scheu 
erweckende  Hain? 

Man  hat  ihn  an  den  verschiedensten  Stellen  zu  finden  geglaubt: 
die  einen  verlegten  ihn  in  den  Spreewald  und  zwar  nach  Burg,  andere 
nach  Görlitz,  wieder  andere  nach  Schlieben.    Auch  im  Blumendal  auf 


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Inf, 


Otto  Pniower. 


dem  hohen  Barnim  lokalisierte  mau  ihn,  und  einige  halten  die  Müggel- 
berge  für  jene  heilige  Stätte,  vergl.  Hugo  Jentsch,  Die  praehistorischen 
Altertümer  aus  dem  Stadt-  und  Landkreise  Guben,  1885,  S.  12.  Aber 
in  Wahrheit  wissen  wir  nicht  mehr  als  was  Tacitus  sagt:  dass  er  im 
Semnonenlande  lag.  Ob  er  in  der  Spree-  oder  Havel-Gegend  oder  süd- 
licher in  der  Nieder-  oder  Oberlausitz  zu  suchen  ist,  ist  durchaus 
ungewiss. 

Ptolemaeus  nennt  —  wenn  wir  eine  sicher  falsche  Angabe  von 
ihm  richtig  stellen  —  ungefähr  in  der  Gegend  der  Semnonen  eine  v\rt 
Square  (2,  11,7).  Zweifellos  steckt  dahinter  ein  geographisch  bemerkens- 
werter Begriff.  Erwägt  man  den  Anklang  des  Namens  an  den  der 
Semnonen,  dann  liegt  die  Versuchung,  zwischen  beiden  eine  innere 
Beziehung  zu  vermuten,  recht  nahe.  Wie  natürlich  erscheint  es,  den 
Hain  den  semnonischen  zu  nennen,  wenn  es  dem  Volke  dieses  Namens 
oblag,  das  in  ihm  beherbergte  Heiligtum  zu  wahren  und  zu  pflegen! 
Und  doch  werden  wir  gut  thun,  der  Versuchung  zu  widerstehn.  Mit 
Ir'/uava  ist,  wenn  man  es  sprachlich  zu  Semnones  hält,  soviel  ich  sehe, 
nichts  anzufangen.  Es  enthält  ein  langes  6,  während  der  Volksname 
durchweg  ein  kurzes  ö  zeigt.  Also  erst,  wenn  man  an  der  Form  ein 
Verderbnis  voraussetzt,  ist  eine  sprachgeschichtlich  berechtigte  Gleichung 
möglich.  Aber  es  ist  auch  nicht  zu  übersehen,  dass  bei  Ptolemaeus 
mit  v\rh  soweit  Germanien  in  Betracht  kommt,  ein  Waldgebirge  be- 
zeichnet wird.  So  heisst  der  Böhmer  Wald  raßpr^a  uXtj,  der  Mailhart 
Aovva  vk^.  Für  die  Mährische  Höhe  dagegen  wird,  wie  ich  bei  der 
Gelegenheit  bemerken  will,  die  Bezeichnung  dpvpo;  gewählt  ('Opxvnoq 
fipvpos,  Ptolem.  2,  11,  7).  Und  dass  mit  der  linjuava  vXr]  in  der  That  ein 
Gebirge  gemeint  ist,  dafür  kann  als  Beweis  der  Umstand  gelten,  dass 
sie  von  Ptolemaeus  da  genannt  wird,  wo  er  die  Gebirge  Deutschlands 
der  Reihe  nach  aufzählt.  Das  allein  würde  freilich  zunächst  nicht  aus- 
schliesseu,  dass  der  Semnonenhain  zu  der  'Lr^ava  in  Beziehung  zu 
setzen  ist.  Denn  warum  sollte  der  heilige  Wald  sich  nicht  in  einem 
Gebirge  befunden  haben  und  dies  schliesslich  nach  ihm  benannt  worden 
sein?  Wohl  aber  müssen  wir  fragen,  wo  im  Lande  der  Semnonen  findet 
sich  ein  nennenswertes  Waldgebirge?  Wollen  wir  bei  der  Fixierung  der 
Unnava  uX/j  dieses  Moment  berücksichtigen,  dann  müssen  wir  mit  ihr 
schon  bis  zum  sächsischen  Erzgebirge  hinabgehn.  Hier  aber  wohnten 
gewiss  Hermunduren. 

Also  ist  das  Resultat  aller  Erwägungen  eiu  herzhaftes  ignoramus. 
Weder  wissen  wir,  wo  im  Lande  der  Semnonen  der  Hain  lag,  noch  ist 
er  mit  der  Sr'juava  vXrj  des  Ptolemaeus  zu  identifizieren. 

Tacitus  sagt  aber,  dass  die  Vertreter  der  einzelnen  Staaten  sich 
zu  einer  bestimmten  Zeit  (stato  tempore)  in  dem  Semnonen-Hain  ver- 
sammelt hätten.    Wir  fragen:  zu  welcher?    Verschiedene  Erwägungen 


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Die  Bevölkerung  Brandenburgs  vor  der  slawischen  Zeit.  K)7 

führen  zu  der  Annahme,  dass  es  im  Herbst  geschah,  in  der  sogenannten 
gemeinen  Woche,  d.  h.  also  in  den  Tagen  Ende  Septembers  und  Anfang 
Oktobers.  Das  Fest,  von  dem  Tacitus  spricht,  war  darnach  zugleich 
eine  Erntefeier.  Dass  es  bei  ihr  nicht  an  Liedern  gefehlt  hat,  die  zu 
Ehren  des  Gottes  gesungen  wurden,  wird  neuerdings  mit  Recht  vermutet. 
Denn  gerade  hier  in  dieser  Schilderung  des  Tacitus,  scheint  ein  alter 
Hymnus  durchzuklingen  (Kögel,  Gesch.  d.  deutschen  Litteratur,  S.  20). 

Die  Völkerschaften  „eiusdera  sanguinis",  die  durch  Abgesandte  ver- 
treten, sich  in  dem  Haine  versammeln,  sind  natürlich  alle  diejenigen, 
die  zusammen  die  Amphietyonie  der  Irminonen  bilden. 

Wer  aber  war  denn  der  Gott,  der  also  gepriesen  wurde,  dem  man 
so  schauervolle  Ehren  erwies,  dessen  Heiligtum  jener  ehrfurchtgebietende 
Hain  barg?    Tacitus  verschweigt  seinen  Namen. 

Wenn,  wie  wir  gesehen  haben,  die  Ahnherren  der  einzelnen  Amphic- 
tyonien  der  Irminonen,  Ingvaeonen,  Ietvaeonen  nichts  anderes  sind  als 
Vertreter  des  Himmelsgottes  Tivas,  die  Semnonen  aber  die  Pfleger  des- 
jenigen Heiligtums  sind,  das  für  die  Wiege  des  Begründers  nicht  bloss  des 
engeren  Verbandes,  dem  sie  angehören,  sondern  des  ganzen  Volkes 
galt  (S.  102),  so  ergiebt  sich  schon  daraus,  dass  der  von  ihnen 
verehrte  Gott  Tivas  ist. 

Dafür  giebt  es  aber  auch  noch  eine  Reihe  anderer  bestätigender 
Momente.  Das  bezeichnendste  ist  folgendes.  Wir  berührten  (oben  S.  98) 
schon  die  Thatsache,  dass  die  Semnonen  später  das  Land  zwischen  Oder 
und  Elbe  verliessen  und  nach  Süd-Deutschland  zogen.  Auch  dass  sie 
in  den  neuen  Sitzen  unter  dem  Namen  Schwaben  auftauchen  und  wie 
sich  diese  Benennung  erklärt,  wurde  erwähnt  Diese  „Schwaben"  werden 
nun  einmal  in  der  christlichen  Zeit  Ziuwarii  genannt  (Grimms  Mytho- 
logie 1,165),  d.  h.  etwa  Ziumänner.  Aus  welchem  andern  Grunde  kann 
ihnen  dieser  Beiname  beigelegt  seiu,  als  weil  sie  im  eigentlichsten  Sinne 
die  Ziu-Verehrer  waren,  die  bestellten  Hüter  des  diesem  Gotte  gewid- 
meten Kultus? 

Auch  die  wenigen  Worte,  die  Tacitus  über  das  Wesen  und  die 
Bedeutung  des  von  den  Semnonen  verehrten  Gottes  sagt,  stimmen  trefflich 
zu  dem,  was  wir  über  die  einstige  Stellung  des  Tivas  im  germanischen 
Göttersystem  wissen,  und  rechtfertigen  so  die  Identifizierung  der  beiden. 

Nach  der  heute  allgemein  verbreiteten  Anschauung  war  der  höchste 
Gott  der  Germanen  Wodan.  Das  ist  auch  richtig  und  Tacitus  sagt  im 
9.  Kapitel  seiner  Germania,  da  wo  er  im  allgemeinen  von  der  Religion 
unserer  Vorfahren  spricht,  ausdrücklich,  dass  sie  unter  den  Göttern  am 
meisten  den  Merkur,  d.  i.  die  interpretatio  Romana  von  Wödan  ver- 
ehren. Allein  das  entspricht  erst  einem  späteren  Stadium  des  germa- 
nischen Götterglaubens.  Den  Wödanskultus  sehen  wir  erst  in  historischer 
Zeit  allmählich  an  Bedeutung  und  zugleich  an  räumlicher  Ausdehnung 


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Otto  Pniower. 


gewinnen.  Er  verbreitet  sicli  nicht  aus  dem  Herzen  Deutschlands  heraas, 
von  dorther,  wo  der  alte  Glaube  ausgebildet  wurde  (S.  97),  sondern 
beginnt  seinen  Lauf  an  der  Peripherie,  was  nebenbei  bemerkt  ein  Zeichen  ist, 
dass  sich  der  Schwerpunkt  Germanieus  verschoben  hat.  Er  ist  gewisser- 
massen  importiert.  Er  verbreitet  sich,  wie  wir  schon  angedeutet  haben, 
(oben  S.  10U),  von  Süden  und  Westen  Germaniens  ans  und  ist  auf  gallisch- 
römischen Einfluss  zurückzuführen.  Um  den  Beginn  unserer  Zeitrech- 
nung mag  etwa  die  Bedeutung  des  Wödanskultus  anfangen  sich  geltend 
zu  machen.  Dass  dieser  Gott  allmählich  zur  höchsten  Stelle  im 
Götterkollegium  aufrückt,  darin  spricht  sich  die  Thatsache  aus,  dass 
die  Germanen  aus  einem  Naturvolk  zu  einem  Kulturvolk  werden.  Indem 
sie  aber  aufhören  denjenigen  Gott  als  höchstes  Wesen  anzuerkennen, 
der,  wenn  ihm  auch  früher  unzweifelhaft  geistige  Funktionen  zuge- 
schrieben waren,  doch  vor  allem  ein  Gott  des  Krieges  war  und  sich 
dem  zuwenden,  der  ein  Kulturgott  ist,  dem  Gott  der  Erfindung  und  des 
Wissens,  offenbart  sich  zum  ersten  Mal  jene  intensive  Wirkung  des 
Westens  und  Südeus  von  Europa  auf  das  geistige  und  sittliche  Leben 
unseres  Volkes,  die  es  später  so  oft  erfahren  sollte.  Dass  diese  Wand- 
lung sich  von  dieser  Seite  aus  vollzieht,  ergiebt  sich  hinreichend  aus 
dem  Umstand,  dass  dem  nordischen  Odinn,  d.  i.  Wodan,  die  Erfindung 
der  Runen  zugeschrieben  wird.  Dieses  alte  germanische  Alphabet  war 
allem  Anscheine  nach  die  Erfindung  eines  einzelnen  geistig  hochstehenden 
und  weitblickenden  Mannes,  eines  Mannes  von  jenem  Holze,  aus  dem  die  Heroen 
eines  Volkes  geschnitzt  werden.  In  der  uns  überlieferten  Gestalt  geht  es,  wie 
jetzt  sicher  erwiesen  ist,  auf  das  römische  zurück,  wie  es  um  180  n.  Chr. 
beschaffen  war,  und  ist  zu  den  Germanen  durch  die  Gallier  gelangt. 

Einst  war  freilich  Wodan  nichts  anderes  als  eine  besondere  Er- 
scheinungsform desjenigen  Gottes,  den  er  nun  vom  Throne  stiess,  des 
Tivas.  Wie  wir  sahen,  dass  dieser  als  Ahnherr  der  drei  Verbände  bald 
als  der  erhabene,  bald  als  der  Ankömmling,  bald  als  der  flammende 
verehrt  wurde  (S.  100  f.),  so  wurde  ihm  ehemals  auch  als  Wödanas, 
d.  h.  als  dem  wehenden,  dem  Sturm-  und  Windgott,  gehuldigt.  Später 
löste  sich  das  Prädikat  von  seinem  Beziehuugsworte  los  und  ward  für 
sich  gebraucht.  Dann  vergass  man  gänzlich,  dass  es  einst  einen  Haupt- 
begriff erläuterte  und  verband  mit  ihm  eine  selbständige  Vorstellung. 
So  wurde  aus  dem  Prädikat  eine  eigene  Gottheit,  der  zuletzt  ein  be- 
stimmter Kultus  gewidmet  wurde,  und  dank  dem  Eiufluss  eines  fremden 
Volkes  gewann  sie  schliesslich  eine  so  hohe  Bedeutung.  Wödan  ist  also 
ursprünglich,  um  mich  des  dafür  üblichen  Terminus  zu  bedienen,  weiter 
nichts  als  eine  Hypostase  des  Tivas.  Ganz  ähnlich  haben  sich  aber  der 
Golt  Thonar  nord.  Thörr,  ebenso  der  nordische  Freyr,  dem  ein  deutscher 
Frö  oder  Frauja  entsprach,  aus  dem  Tivas  differenziert.  Es  eröffnet 
sich  so  eine  Perspektive  in  eine  um  viele  Jahrhunderte,  vielleicht  Jahr- 


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Die  Bevölkerung  Brandenburgs  vor  der  «lawiechen  Zeit.  1Q(.) 


tausende,  zurückliegende  Zeit,  in  der  die  göttliche  Macht  in  einem' 
einzigen  Wesen  verkörpert  gedacht  wurde.  Der  Polytheismus  ist  erst 
die  Folge  der  monotheistischen  Weltanschauung.  Wenn  dann  endlich 
in  der  historischen  Zeit  die  Vielzahl  der  heidnischen  Götter  dem  Glauben 
an  ein  einziges  Wesen  weichen  muss,  so  macht  dieser  Vorgang  nur 
wieder  gut,  was  eine  unermesslich  lange  Entwickelung  verschuldet  hat, 
und  die  Religion  kehrt  wie  nach  einer  vieltausendjährigen  Verirrung  in 
einem  gewissen  Sinne  zu  ihren  Uranfängen  zurück. 

In  der  Zeit,  da  Tacitus  schrieb,  existierte  dieser  Monotheismus  bei 
den  Germanen  freilich  laugst  nicht  mehr.  Wir  haben  schon  erwähnt 
(S.  99  f.),  wie  bei  den  Ostgermanen  ein  Kultus  bestand,  dessen  Mittel- 
punkt die  Alci,  das  sind  die  Zwillingssöhne  des  Tivas,  bildeten.  Und 
unsere  Semnonen  müssen  nach  den  Worten  des  Tacitus  auch  eine 
Gemahlin  des  Tivas  in  ihrem  Göttersystem  gehabt  haben,  wenn  sie  ihn 
zum  Ahnherrn  ihres  Stammes  machten.  Dass  diese  Gemahlin  Frija 
war,  die  nord.  Frigg,  d.  i.  eigentlich  die  Geliebte  skr.  priya  ist  jetzt  er- 
wiesen (Müllenhoff,  Frija  und  der  Halsbandmythus,  Ztschr.  f.  dtsch. 
Altert.  30,  217  ff.).  Wahrscheinlich  brachten  die  Germanen  den  Poly- 
theismus, mindestens  aber  die  Keime  dazu  schon  aus  der  asiatischen 
Urheimat  mit. 

Doch  war,  als  Tacitus  die  Germania  schrieb,  Tivas  bei  den  Irmi- 
nonen,  also  auch  bei  unseren  Semnonen  zweifellos  noch  der  höchste 
Gott.  Der  Wödankultus  war  auf  seinem  Wege  von  Westen  nach  Osten 
und  Norden  damals  nicht  über  die  Weser  hinausgedrungen  und  erst  bei 
den  Istvaeonen  eingeführt.  Die  hohe  Machtstellung  des  Tivas  wird  uns 
denn  auch  iu  der  Schilderung  des  Tacitus  ausdrücklich  im  allgemeinen 
bekundet  und  ist  ausserdem  noch  für's  einzelne  aus  ihr  zu  erschliessen. 
Wenn  die  Feier  nämlich,  von  der  der  Römer  spricht,  wie  wir  sahen, 
im  Herbst  stattfand,  so  war  Tivas  ein  ländlicher  Gott,  derjenige, 
von  dem  Wachsen  und  Gedeihen  der  Pflanzen  abhing.  Und  gewiss 
wurde  in  den  Liedern,  die  ihm  zu  Ehren  bei  der  Feier  erklangen,  der 
Dank  für  die  Güte  nicht  vergessen,  mit  der  er  die  Früchte  wachsen  und 
reifen  Hess.  Wenn  dann  berichtet  wird,  dass  niemand  ungefesselt  den 
heiligen  Hain  betreten  durfte,  so  hat  man  darin  wohl  ein  symbolisches 
Anzeichen  dafür  zu  erblicken,  dass  Tivas  der  Herr  über  Leben  und  Tod 
ist,  also  ein  Todesgott  (Müllenhoff  in  Schmidts  Allgem.  Ztschr.  f.  Gesch. 
8,  255).  Ihm  ist  jeder  Sterbliche  uuterthan.  An  den  Tod  ist  jeder 
Mensch  gefesselt.  Auch  ein  Kriegsgott  —  und  das  vor  allem  —  war 
Tivas.  Dafür  giebt  es  eine  ganze  Reihe  von  Beweisen.  In  der  nordischen 
Mythologie  wurde,  als  Ödiun -Wodan  den  alten  Himmelsgott  Tyr  d.  i. 
die  Entsprechung  des  Tivas  (S.  10U)  gestürzt  hatte,  dieser  auf  die 
Funktionen  des  Kriegsgottes  beschränkt.  Ferner  setzt  die  interpretatio 
Romana  für  Tivas  geradezu  Mars  und  so  erhielt  auch  im  deutschen 


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Otto  Pniower. 


Kalender  derjenige  Tag,  der  im  römischen  dies  Martis  hiess,  den  Namen 
Tivesdag  engl.  Tuesday,  unser  Dienstag. 

Tivas  war  aber  auch  der  Hüter  des  öffentlichen  Lebens,  der  Be- 
schützer des  Rechts,  der  Schirmer  der  Eide,  derjenige,  dessen  Beistand 
in  allen  öffentlichen  Dingen,  so  auch  in  Volksversammlungen  angerufen 
wurde.  Das  wissen  wir,  seit  im  Jahre  18811  in  dem  englischen  Städtchen 
Housesteads  römische  Steinaltäre  zum  Vorschein  kamen,  auf  denen 
germanische  Soldaten  ihrem  Gott,  dem  Mars  Thingsus,  d.  h.  dem  Tivas, 
dem  Gott  der  Versammlung,  des  Staatslebens,  ihre  Huldigung  dargebracht 
hatten  (Hoffory  a.  a.  O.  S.  148  ff.).  Man  sieht:  Tivas  war,  wenn  wir 
nun  noch  seine  ursprüngliche  physikalische  Funktion  als  Himmelsgott 
und  Spender  des  Lichts  hinzunehmen,  ein  Allherrscher,  ein  Allgott  und 
mit  vollem  Recht  sagt  Tacitus  von  ihm:  regnator  omnium  deus,  cetera 
subjecta  atque  parentia. 

Tacitus  sucht  noch  einen  allgemeinen  Begriff"  von  «lern  dem  Gott 
gewidmeten  Kultus  zu  geben,  indem  er  an  die  schaudervollen  Gewohn- 
heiten erinnert,  die  wir  bei  jedem  Volke  in  den  Anfängen  der  Götter- 
verehrung beobachten  (caesoque  publice  nomine  celebraut  barbari  ritus 
horreuda  primordia).  Welche  bestimmten  Sitten  er  oder  sein  Gewährs- 
mann dabei  im  Auge  hat,  ist  nicht  ersichtlich.  Vielleicht  ist  der  Aus- 
druck nur  eine  rhetorische  Floskel  für  die  Thatsache,  die  er  mit  erwähnt, 
dass  bei  der  Feier  ein  Mensch  geopfert  wurde. 

Menschenopfer  waren  bei  den  Germanen  auch  zur  Zeit  des  Tacitus 
nichts  seltenes.  Gleich  im  nächsten  Kapitel  berichtet  er,  dass  beim 
Nerthusdienst  der  Ingvaeonen  die  Sklaven,  die  beim  Waschen  des  Bildes 
der  Göttin  im  See  behilflich  waren,  in  ihm  ertränkt  wurden.  Und  cap.  \) 
sagt  er,  dass  die  Germanen  —  gemeint  sind  wohl  die  Istvaeonen  — 
dem  Gotte  Wodan  an  bestimmten  Tagen  Menschen  opferten  (cni  [Mer- 
curio]  eertis  diebus  humanis  quoqtie  hostiis  litare  fas  habent).  Besonders 
wurden  Tiu  oder  Tivas,  dem  Kriegsgott,  Menschenopfer  dargebracht. 
So  kam  es  im  Kriege  öfter  vor,  dass  die  Kämpfer  das  feindliche  Heer 
dem  Gotte  weihten,  d.  h.  sie  versprachen  im  Falle  des  Sieges  alle  Ge- 
fangenen zu  hängen,  die  Rosse  zu  ertränken  und  die  ganze  Beute, 
Waffen  und  Kostbarkeiten  zu  vernichten  (DA.  2,  297  f.).  Nach  dem 
Sieg  im  Teutoburger  Walde  schlachteten  die  Germanen  als  ein  solches 
Opfer  die  römischen  Tribunen  und  Centurionen  (Tacitus  Annal.  1,  01). 
Noch  in  der  Zeit  des  ausgehenden  Altertums  berichtet  Jordanes  von  den 
Goten  (Get.  c.  5),  dass  sie  dem  Kriegsgott  Mars  d.  i.  also  wieder  Tiu 
die  Feinde  opferten  und  dass  sie  damit  am  ehesten  den  Herrn  der 
Schlachten  zu  versöhnen  und  sich  geneigt  zu  machen  glaubten.  Ihm, 
berichtet  er  weiter,  werden  denn  auch  die  ersten  Beutestücke  darge- 
bracht, für  ihn   werden  die  eroberten  Waffen  und  Rüstungen  an  den 


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Die  Bevölkerung  Brandenburgs  vor  der  slawischen  Zeit. 


11 1 


Bäumen  aufgehängt  (Vgl.  über  Menschenopfer  bei  den  Germanen  Pauls 
Grundriss  der  germ.  Philologie  I,  1054.  1058.  1124  f.). 

Gewiss  war  aber  das  Menschenopfer  das  höchste  uud  feierlichste 
aller  Opfer,  das  im  Frieden  eben  nur  an  so  hohen  Festtagen,  wie  die 
bei  den  Semnonen  es  waren,  wo  es  sich  um  eine  Gottheit  von  dem 
Range  des  Tivas  handelte,  stattfand.  Daneben  wird  es  auch  bei  dieser 
Feier  nicht  an  den  einfachen  üblichen  Opfern  gefehlt  haben.  Besonders 
werden,  da  das  Fest  zugleich  eine  Erntefeier  war,  Früchte  des  Feldes, 
Erträge  der  Wein-  und  Obsternte,  dargebracht  worden  sein. 

Nun  aber  erkennen  wir  erst  ganz,  von  welcher  Bedeutung  das  von 
den  Semnonen  verwaltete  Heiligtum  war  und  welcher  Sinn  den  Worten 
desTacitus:  eoque  omnis  superstitio  respicit  tamquam  inde  initia  gentis 
beizulegen  ist  (S.  102).  Nicht  bloss  die  Sueben  veranlasste  ihr  religiöser 
Glaube  auf  den  Hain  der  Semnonen  wie  auf  ihre  heiligste  Stätte  zurück- 
zublicken, nein,  einst  müssen  alle  Germanen  in  ihm  ihr  Nationalheiligtum 
gehabt,  von  ihm  müssen  sie  angenommen  haben,  dass  er  die  Wiege 
ihres  höchsten  Gottes  und  zugleich  ihres  Volkes  berge.  Mit  vollem  Recht 
behaupteten  daher  die  Semnonen  von  sich,  dass  sie  das  älteste  und 
edelste  Volk  der  Sueben  seien. 

Das  wird  nun  noch  von  einer  anderen  Seite  her  bestätigt.  Wir 
erwähnten  schon,  dass  die  Semnonen  in  ihren  späteren  Sitzen  in  Süd- 
deutschlau d  einmal  Ziuwarii  genannt  werden.  Das  ist  jedoch  nur  ein 
Beiname.  Ihr  eigentlicher  Name  lautete,  bevor  für  sie  die  Bezeichnung 
Suavi-Schwaben  aufkam,  was  erst  im  fünften  Jahrhundert  geschah 
(Zeuss,  S.  365),  .Juthungen.  Juthungen  aber  heisst  die  Sprösslinge. 
Natürlich  kann  eine  solche  Bezeichnung  nur  im  prägnanten  Sinue  ver- 
standen werden  und  sie  bedeutet  die  Sprösslinge  des  Gottes,  die  eigent- 
lichen Gottessöhne  (Ztschr.  f.  d.  A.  10,5*12).  Dass  mit  dem  Gott  Tivas 
gemeint  ist,  ist  klar.  Heissen  die  Semnonen  aber  Söhne,  echte  Nach- 
kommen des  Tivas  und  galt  dieser  für  den  höchsten  Gott  und  Stamm- 
vater der  Irminonen,  ja  der  Germanen  überhaupt,  so  müssen  sie  not- 
wendig für  die  älteste  und  edelste  Völkerschaft  gehalten  worden  sein. 
Zugleich  ergiebt  sich  aber  auch  hieraus  für  sie  eine  sehr  lange  Anwesen- 
heit im  Stammlande  der  Germanen,  in  dem  Lande  zwischen  Oder  und 
Elbe  und  die  am  Anfaug  (S.  97)  aufgeworfene  Frage,  ob  in  der  älteren 
Periode  des  Bronzezeitalters  eine  andre  germanische  Bevölkerung  in 
unserer  Heimat  sass,  als  wir  später  hier  finden,  zu  der  Zeit,  als  der 
erste  Lichtstrahl  der  Geschichte  auf  das  Land  fällt,  diese  Frage  können 
wir  nun  mit  einer  gewissen  Zuversicht  dahin  beantworten,  dass  ein 
Wechsel  der  Bevölkerung  nicht  stattfand,  dass  ein  und  dasselbe  Volk 
vielmehr  von  jenen  uralten  Zeiten  an  bis  zur  beginnenden  Völker- 
wanderung hier  sass.  Für  diese  Annahme  treten  der  Mythus  des  Volkes 


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1 12  Otto  Pniower 

9 

und  seine  angesehene  Stellung  bei  den  Verbandsgenossen  nnd  wohl 
sämiutlichen  Germanen  aufs  entschiedenste  ein. 

Dieser,  in  die  graueste  Vergangenheit  reichenden  Existenz  der 
Semnonen  entspricht  es,  wenn  ihnen  eiue  gewisse  numerische  Stärke 
nachgerühmt  wird.  Strabo  nennt  sie,  wie  wir  schon  wissen,  ein  „grosses 
Volk"  (S.  102)  und  Tacitus  bemerkt,  nachdem  er  ihre  —  wir  würden 
heute  sagen  —  glückliche  ökonomische  Lage  hervorgehoben  hat  (adicit 
auctoritatem  fortuna  Semnonum),  dass  sie  eine  grosse  Körperschaft 
bilden  und  schon  dadurch'  ein  gewisses  Recht  besitzen,  sich  für  das  Haupt 
der  Sueben  (d.  i.  wieder  der  gesamten  Germanen  mit  Ausnahme  der 
Tstvaeonen,  oben  S.  102)  zu  halten.  Wenn  eine  weitere  Angabe  von 
ihm  (centum  pagis  habitant)  richtig  ist  und  mit  Beziehung  auf  Caesar 
(Bell.  Gall.  IV,  1  und  I,  ;J7)  richtig  gedeutet  wird,  dann  waren  sie  im 
Stande,  120  000  Mann  ins  Feld  zu  stellen.  Natürlich  soll  das  bei  Tacitus 
nur  ein  ungefährer  Anschlag  sein. 

Mit  einem  solchen  Heer««  waren  sie  schon  in  der  Lage  in  die  Ge- 
schichte achtunggebietend  einzugreifen.  In  welchem  Masse  das  geschehen 
ist,  bleibt  uns  leider  verborgen.  Wir  wissen  nur  von  wenigen  Fällen, 
in  denen  sie  als  Teilnehmer  an  geschichtlichen  Vorgängen  genannt 
werden,  von  anderen  können  wir  es  mir  mittelbar  durch  Kombination 
erschliessen. 

Das  erste  Mal,  wo  ihrer  in  der  Überlieferung  gedacht  wird,  die 
Stelle  vom  Monumentum  Ancyranum,  ist  schon  erwähnt  (oben  S.  1(  2) 
Doch  müssen  wir  in  eine  viel  frühere  Periode  als  den  Beginn  unserer 
Zeitrechnung  ein  anderes  sehr  bedeutsames  geschichtliches  Hervortreten 
der  Semnonen  hinaufrücken,  falls  wir  die  schon  erwähnte  Hypothese 
Möllenhoffs  acceptieren.  Darnach  sind  die  Semnonen  an  der  grössten 
und  folgenreichsten  Wendung,  die  im  Leben  der  Germanen  eingetreten 
ist,  hervorragend  beteiligt.  Gemeint  mit  der  Wendung  ist  jener  Augen- 
blick, wo  die  Germanen  das  Gebiet  ihrer  Urheimat  nach  Westen  hin  er- 
weitern und  damit  das  Gesicht  der  Nation,  das  bis  dahin  nach  dem 
Osten  und  Norden  gerichtet  war,  nach  jener  Seite  kehren.  Der  undurch- 
dringliche llrwaldgürtel,  der  Altgermanien  nach  Westen  bis  zur  unteren 
Weser  hin  abschloss,  wird  von  germanischen  Scharen,  unter  denen  sich 
Semnonen  befunden  haben  müssen,  durchbrochen.  Diejenigen  von  ihnen, 
die  sich  aus  dem  Volke  der  Semnonen  loslösten,  lassen  sich  im  Süd- 
westen hart  am  hercyntschen  Urwald  d.  h.  der  alten  Mark  nieder  und 
erhalten  so  den  Namen  „Markomannen*.  Diejenigen,  die  sich  von  den 
südlichen  Nachbaren  der  Semnonen,  den  Hermunduren,  loslösten,  und 
weiter  westlich  Fuss  fassen,  werden  Chatten  genannt.  Mit  diesem  Durch- 
bruch der  alten  westlichen  Grenze  sind  die  Germanen  erst  eigentlich  in 
den  Zusammenhang  der  Weltgeschichte  eingetreten,  indem  jetzt  erst  die 
politische  Berührung  mit  der  antiken  Welt  hergestellt  ist. 


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Die  Bevölkerung  Brandenburgs  vor  der  slawischen  Zeit.  H3 

Die  nächste  Folge  dieses  Ereignisses  ist  der  Kimbern-  und  Teu- 
tonenkrieg, an  dem  nach  Müllenhoffs  Auffassung  Semnonen  teilgenommen 
haben.  Sie  zusammen  mit  den  Hermunduren,  Cheruskern,  Langobarden 
bildeten  das  Heer  der  Kimbern,  wie  die  Kelten  und  Römer  die  Scharen 
nannten  (DA.  2,  300— 303). 

Aber  auch  dem  Heere,  mit  dem  Ariovist  in  Gallien  eindrang  und 
später  (58  v.  Chr.)  gegen  Cäsar  kämpfte  und  das  dem  Kerne  nach  aus 
Chatten  bestand,  haben,  wenn  man  einer  scharfsinnigen  Vermutung 
trauen  darf,  Semnonen  angehört.  Unter  den  Völkerschaften,  die  zu 
seiner  Armee  Kontingente  gestellt  hatten,  werden  Sedusü  genannt  (Caesar 
Bell.  Gall.  I,  51).  Dass  dieser  Name  falsch  überliefert  ist  und  dafür 
Eudusii  zu  lesen  ist,  hat  schon  Kaspar  Zeuss  bemerkt.  Eudusii  aber  ist 
etymologisch  dasselbe  wie  Juthungen  und  nur  mit  einem  anderen  Suffix 
gebildet  wie  dieses  Wort.  Wie  dieses  heisst  es  die  Sprösslinge  sc.  des 
Tivas.  Da  nun  die  Eudusii  von  der  Mittelelbe  herstammen  müssen,  so 
ist  die  Annahme,  dass  mit  diesem  Namen  Semnonen  bezeichnet  sind, 
nicht  ungerechtfertigt,  wenn  wir  bedenken,  dass  ihnen  in  ihrem  späteren 
Auftreten  der  Name  Juthungen  beigelegt  wurde  (Möllenhoff,  Ztschr.  f. 
d.  A.  10,  552,  563  f.). 

Darnach  hören  wir  von  den  Semnonen  erst  in  der  Zeit  Marbods 
17  n.  Chr.  Zu  den  zahlreichen  Völkern,  die  er  seinem  Scepter  unter- 
warf, gehörten  auch  sie  (Strabo  p.  291,  oben  S.  102).  Sehr  glücklich 
müssen  sie  sich  unter  seiner  Herrschaft  nicht  gefühlt  haben.  Denn  als 
Marbod  mit  Armin  in  Kampf  geriet,  fielen  sie  von  ihm  ab  und  wandten 
sich  dem  Gegner  zu  (Tacitus,  Annalen  2,  45.  46). 

Es  vergehen  beinahe  70  Jahre,  ehe  in  der  Überlieferung  Semnonen 
wieder  genannt  werden.  Damals,  i.  J.  84  n.  Chr.,  begab  sich  einer 
ihrer  Könige,  namens  Masyos,  nach  Rom  zu  Domitian.  Zu  welchem 
Zweck,  erfahren  wir  nicht.  Wir  erfahren  nur  noch,  dass  er  nach  Hause 
zurückkehrte,  nachdem  ihm  vom  Kaiser  die  üblichen  Ehren  erwiesen 
worden  waren  (Cassius  Dio  67,  5). 

Dann  vergehen  wieder  fast  100  Jahre,  ehe  der  Semnonen  in  der 
Überlieferung  Erwähnung  geschieht.  Im  markomanni sehen  Krieg  um  das 
Jahr  174  beabsichtigen,  wie  wir  erfahren,  die  in  den  Krieg  verflochtenen 
Quaden  zu  den  Semnonen  auszuwandern  (Cassius  Dio  71,  20). 

Der  markomannische  Krieg  fällt  schon  in  die  Zeit,  in  der  der  Osten 
Germaniens  durch  Völkerbewegungen  erschüttert  wird.  Mit  mehr  Recht 
als  mit  dem  Einbruch  der  Hunnen  in  Europa  im  4.  Jahrhundert,  muss 
man  mit  diesen  Vorgängen  die  Epoche  der  Völkerwanderung  beginnen. 
Schon  damals  zogen  gotische  Scharen  von  der  Ostsee  an  den  Pontus. 
Auch  die  Semnonen  müssen  bereits  in  dieser  Zeit  von  den  Unruhen  stark 

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Otto  Pniower. 


in  Mitleidenschaft  gezogen  worden  sein,  denn  nicht  lange  nachher  sah 
sich  der  grösste  Teil  des  Volkes  veranlasst,  die  Heimat  zu  verlassen. 
Er  brach  nach  Süddeutschland  auf  und  liess  sich  zwischen  Lech, 
Rhein,  Schwarzwald,  Bodensee  und  am  Neckar  abwärts  bis  gegen  Heil- 
bronn nieder. 

Gerne  möchten  wir  wissen,  wann  dieser  Abzug  stattfand.  Doch 
ist  eine  genauere  Datierung  bis  jetzt  nicht  möglich.  Aus  der  Nachricht, 
dass  die  Quaden,  um  allen  Mühseligkeiten  zu  entgehen,  sich  um  180  n.  Chr. 
entschliessen,  zu  den  Semnonen  auszuwandern,  darf  man  wohl  entnehmen, 
dass  diese  damals  noch  in  ihren  alten  gesicherten  Gebieten  sassen. 
Allerdings  ist  gerade  daraus  der  Schluss  gezogen  worden,  dass  sie  die 
alte  Heimat  bereits  verlassen  hatten  (Baumann,  Forschungen  zur  deutscheu 
Gesch.  XVI),  doch  wird  man  diese  Annahme  wohl  uicht  für  gerecht- 
fertigt halten  dürfen.  Nun  finden  wir  die  Semnonen  in  ihren  neuen 
Sitzen  um  270  erwähnt,  als  der  römische  Kaiser  Aurelian  mit  ihnen  an 
der  Donau  und  in  Italien  kämpft  (DA.  3,  217).  In  der  Zeit,  die  von 
diesen  beiden  Daten  begrenzt  wird,  müssen  sie  also  ihre  Heimat  ver- 
lassen haben.*) 

Was  sie  veranlasste,  ein  Gebiet  aufzugeben,  das  sie  seit  Urzeiten 
inne  hatten,  dessen  Besitz  sie  mit  dem  Nimbus  des  ehrwürdigen  Alters 
umgab,  wissen  wir  nicht.  Gering  kann  die  Ursache  nicht  gewesen  sein. 
Ob  sie  von  den  südwärts  ziehenden  Goten  unmittelbar  gedrängt  wurden 
oder  ob  die  von  diesen  bedrängten  Burgunden  sie  wegtrieben,  ist  uns 
unbekannt.  Am  wahrscheinlichsten  möchte  mich  diese  letztere  Annahme 
dünken.  Wenigstens  spricht  dafür,  dass  (wie  wir  weiterhin  sehen 
werden)  die  Burgunden  sehr  bald  den  Semnonen  folgten  und  sich  gleich- 
falls im  Südwesten  von  Deutschland  niederliessen.  Vermutlich  besetzten 
sie  also  zunächst  die  von  ihnen  geräumten  Gebiete. 

So  gross  die  Bewegung  aber  war,  die  im  3.  Jahrhundert  den  Osten 
Germanieus  erschütterte  und  so  sehr  die  Semnonen  von  ihr  getroffen 
wurden,  es  haben  damals  doch  nicht  alle  die  Heimat  verlassen.  Nur 
das  Gros  der  Bevölkerung  kann  zu  jener  Zeit  fortgezogen  sein.  Denn 
noch  mehr  als  drei  Jahrhunderte  später  hören  wir  von  „Suabi"  im 
Lande  der  Mittelelbe,  womit  nur  die  Überbleibsel  der  Semnones  des 
Tacitus  gemeint  sein  können.  Nach  der  Sage,  die  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  auf  historischer  Grundlage  beruht,  gab  Auduin,  der  Vater  des 


*)  Unbegründet  ist  die  Annahme,  der  man  begegnet  (vgl.  Kaufmanns  Deutsche 
Gesch.  1,  86),  dass  der  torminus  ad  quem  für  die  Niederlassung  der  Semnonen  in 
Sttddeutachland  das  Jahr  213  sei.  Sie  beruht  auf  der  Identifizierung  der  Alemannen 
und  Juthungen,  die  Baumann  in  dem  schon  angeführten  Aufsatz  in  den  Forschungen 
z.  dtach.  Gesch.  Bd.  X.VI  vergeblich  zu  beweisen  sucht. 


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Die  Bevölkerung  Brandenburgs  vor  der  slawischen  Zeit.  H5 

berühmten  Langobardenkönigs  Alboin,  einem  Könige  dieser  Semnonen 
seine  Tochter  zur  Gemahlin.  Diese  „Schwaben*  blieben  in  dem  alten 
Stammlande  der  Germanen  bis  znm  Jahre  568/69.  Da  war  eine  Zeit 
gekommen,  in  der  sich  im  Elbland  Vorgänge  von  weltgeschichtlicher 
Bedeutung  abspielten.  Drohend  waren  im  Osten  des  fränkischen  Reiches 
die  Awaren  erschienen  und  ihr  Ansturm  hatte  zuerst  jene  Semnonen- 
reste  getroffen.  Darauf  wandten  sie  sich  gegen  Sigibert  von  Australien, 
der  sie  zurückschlug,  bald  hernach  aber  von  ihnen  besiegt  wurde.  Schon 
schien  es,  als  ob  es  im  Osten  Germaniens  zu  dauernden  Kämpfen 
mit  diesem  türkischen  Volk  kommen  sollte,  da  schlössen  die  Awaren 
kurz  nach  ihrem  Siege  einen  Vertrag  mit  Sigibert  (a.  566,  Menander  p. 
302  f.  =  230,  Gregor  v.  Tours  4,  29),  wonach  sie  von  ihm  verproviantiert 
abzogen,  um  nach  Dacien  zu  marschieren.  Dorthin  hatte  sie  Alboin 
gerufen,  um  mit  ihnen  gemeinsam  den  Vernichtungsschlag  gegen  die 
Gepiden  zu  führen.  Als  dies  gelungen  war,  hielten  die  Langobarden 
den  Augenblick  für  gekommen,  nach  dem  lang  ersehnten  Italien  aufzu- 
brechen. Weit  nach  Norden  hinauf  wirkte  die  Nachricht  von  diesem 
gewaltigen  Unternehmen.  20000  Sachsen  mit  Weib  und  Kind  folgten 
Alboin  nach  Italien  und  auch  bei  den  Semnonen  regte  sich  die  Lust, 
ihre  freudlose  Heimat  mit  den  herrlichen  Gefilden  des  Südens  zu  ver- 
tauschen. Ein  Teil  von  ihnen  schloss  sich  also  Alboin  an,  der  andere, 
der  sich  nun  nicht  mehr  im  Lande  zu  halten  vermochte,  ward  von  Sigi- 
bert von  Austrasien  über  ihre  uralte  westliche  Grenze  in  die  Gegend 
zwischen  Harz,  der  unteren  Bode  und  Elbe  verpflanzt  (DA.  2,  101  ff. 
Müllenhoff,  Beovulf  S.  103). 

Damit  war  das  Land,  das  im  Besitze  der  Germanen  seit  und  mit 
ihrer  Existenz  war,  das  ihre  Urheimat  darstellte,  einem  Volke  überlassen, 
das  von  Anfang  an  ihnen  benachbart  war,  aber  einer  anderen  Nationaliät 
angehörte.  Ich  meine  die  Slawen.  Sie  mögen  schon  früher  in  das  Land 
zwischen  Oder  und  Elbe  eingedrungen  gewesen  sein.  In  zerstreuten 
Haufen  oder  ganz  vereinzelt  hatten  sie  sich  vielleicht  schon  seit  Jahr- 
hunderten in  dem  verödeten  Gebiete  niedergelassen,  wie  es  ihrer  Art 
entsprach,  allmählich  und  in  lockeren  Scharen  vorzudringen.  Vielleicht 
waren  sie  seit  langem  auch  schon  in  der  Überzahl  im  Lande  und  be- 
trachteten sich  als  seine  Herren.  Dennoch  wurde  der  uralte  Besitz  erst 
jetzt  wirklich  von  den  Germanen  aufgegeben.  Mindestens  fasste  das 
Volk  die  Vorgänge  so  auf.  Denn  bis  dahin  galt  in  der  Sage  des 
6.  Jahrhunderts  das  Land  zwischen  Elbe  und  Weichsel  für  germanisch 
und  für  ein  Gebiet,  auf  das  die  Germanen  ein  unverjährtes  Anrecht 
hatten.  Jetzt  aber  wich  aus  ihm  mit  dem  Reste  der  germanischen  Be- 
völkerung auch  der  germanische  Geist.  Das  Land  fiel  an  die  Slawen. 
In  gewaltigen  Kämpfen  der  Völkerwanderung  hatte  Deutschland  im 
Westen  und  Süden  an  Ausdehnung  ungeheuer  gewonnen.    Hier  im  Osten 

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Otto  Pniower. 


büsste  es  seine  alte  historische  Grenze  ein.  Es  reichte  nur  noch  bis 
zur  Oder  und  sein  Staramland  schien  verloren.  Wir  wissen,  dass  es 
zurückerobert  wurde  und  wieder  deutsch  ward,  wenn  auch  Jahrhunderte 
lauge  Kämpfe  dazu  erforderlich  waren.  Welch'  wunderbares  Walten  der 
Geschichte  aber,  dass  von  demselben  ehrwürdigen  Gebiete  aus,  das  die 
Ursprungsstatte  unseres  Volkes  war,  dann  für  lange  Zeit  einer  fremden 
Nation  überlassen  und  in  harten  Kämpfen  wiedergewonnen  werden 
musste,  dass  von  hier  aus  sich  die  Erneuerung  unseres  Vaterlandes  voll- 
zog, dass  hier,  wo  vor  Jahrtausenden  die  Wiege  des  germanischen  Volkes 
stand,  auch  das  neue  deutsche  Reich  geboren  wurde! 


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Haus  Jessen,  Kreis  Sorau. 


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Haus  Jessen,  Kreis  Sorau. 

Ludwig  Krug,  Rittmeister  a.  D. 


In  einer  hügeligen,  waldreichen  Gegend  der  Nieder -Lausitz,  7  bis 
9  Kilometer  von  den  drei  Stationen  Sommerfeld,  Gassen  und  Liebsgen 
der  Niederschlesisch-Märkischen  Eisenbahn  entfernt,  liegt  in  einem  Thale 
das  Rittergut  und  Dorf  Jessen.  Beide  liegen  zusammenhängend,  von 
den  die  Gebäude  deckenden  Gärten  umgeben,  sodass  man  von  allen 
Seiten,  von  der  Höhe  kommend,  sie  nicht  eher  sieht,  als  bis  man  davor 
steht.  Das  Dorf  ist  ein  kleiner,  sauberer  Ort,  dessen  sämtliche  Ge- 
bäude mit  Ziegeln  gedeckt  sind.  Das  Schloss  liegt  vor  dem  Gutshofe, 
in  einem  Parke  von  26  Morgen  Fläche,  welcher  mit  seinen  hohen,  alten 
Bäumen,  grossen  Rasenplätzen,  Springbrunnen  und  Teichen  dasselbe  von 
drei  Seiten  umgiebt.  Ein  lebendig  messender  Bach  durchströmt  ihn. 
Die  Gegend  hat  einen  guten,  oft  schweren  Thonboden,  welcher  sehr 
quelleureich  ist,  und  dessen  fruchtbare  Wirkung  sich  in  dem  prachtvollen, 
üppigen  Grün  der  Rasenplätze  und  der  Bäume  des  Parkes,  sowie  in  der 
das  Gut  umgebenden  Forst  geltend  macht.  Diese  zieht  sich,  wie  ein 
breiter,  fast  vollständig  geschlossener  Gürtel,  um  die  Feldmark  des 
Gutes,  in  ihr  abwechselnd  Hügel  und  Thal,  und  bietet  in  ihren 
in  dem  frischen  Waldboden  schön  wachsenden  Beständen,  in  denen 
neben  der  Kiefer  hauptsächlich  die  Eiche  und  Birke  treiben,  manch' 
hübsche  Partie.  In  ihr  findet  sich  auch  nördlich  vom  Gutshofe,  unter- 
halb einer  Anhöhe,  ein  alter  heidnischer  Opferstein,  an  dem  die  zum 
Abflugs  des  Blutes  eingehauene  Rinne  deutlich  kenntlich  ist.  Es  ist  ein 
langer,  platter  Stein  von  ungefähr  acht  Fuss  Länge  in  schräger  Lage, 
das  Kopfende  ziemlich  drei  Fuss,  das  Fussende  zwei  ein  viertel  Fuss 
über  der  Erde,  dicht  daneben  ein  jetzt  versumpfter  Wasserlauf,  der 
vor  Zeiten  jedenfalls  bedeutender  war.  Die  Forst  erstreckt  sich  bis 
dicht  an  das  auf  der  Höhe  gelegene  Dorf  Jueritz,  dessen  Gut  aus  alten 
Zeiten  bis  zur  Mitte  dieses  Jahrhunderts  mit  Jessen  vereint  war,  und 
welches  in  weiteren  Kreisen  durch  den  dort  in  den  siebenziger  Jahren 
aufgedeckten,  alten  heidnischen  Begräbnisplatz  bekannt  wurde,  dessen 
Ausbeute  sich  jetzt  im  Besitze  des  Märkischen  Museums  der  Stadt  Berlin 
befindet.  In  der  ganzen  Gemarkung  des  Gutes  und  Dorfes  Jessen  findet 
man  häufig  Urnenscherben,  welche  entweder  beim  Ackern  oder  bei 
Waldkulturen  zu  Tage  gefördert  sind.    Ich  habe  auch  hin  und  wieder 


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Ludwig  Krug. 


beim  Nachgraben  einzelne  Urnen  gefanden,  jedoch  kein  geschlossenes 
Feld,  wie  das  vorerwähnte  von  Jueritz.  — 

Jessen  mit  Jueritz,  richtiger  Gueritz,  gehörten  früher  nebst  einer 
grossen  Anzahl  benachbarter  Güter  mehrere  Jahrhunderte  hindurch  der 
ehemals  in  der  Nieder  -  Lausitz  sehr  begüterten  Familie  von  Zeschau. 
Für  Jessen  mit  Jueritz  lässt  sich  dieser  Besitz  bis  auf  das  Jahr  1660  nach- 
weisen, während  andere  Güter  der  Nachbarschaft  schon  lange  vorher 
in  ihrem  Besitze  waren.  Die  sämtlichen,  vordem  Zeschauschen  Güter 
der  Umgegend,  sind  fast  immer  noch  heute  durch  die  um  den  Gutshof 
oder  auf  ihm  stehenden  hohen  italienischen  Pappeln  kenntlich,  sodass 
man  beim  Anblick  dieser  Bäume  auf  einem  Gute  meistens  mit  Recht 
annehmen  kann,  es  sei  Alt  -  Zeschauscher  Besitz.  Auch  Jessen  hat  in 
seinem  Parke  viele  dieser  riesigen  Pappeln,  von  denen  allerdings  in  den 
letzten  Jahren  der  Sturm  manch'  eine  niederlegte. 

Beide  Güter  hatten  die  Freiherrn  von  Bieberstein  zu  Lehn,  der 
Letzte  des  Geschlechtes  Heinrich  Wenzel  hatte  keine  männlichen  Nach- 
kommen. Um  nun  seinen  Schwestern  ein  Erbe  zu  stiften,  beantragte  er 
die  Umwandlung  derselben  in  ein  Allod,  weil  sie  aus  Erbmitteln  erkauft 
seien;  diese  erfolgte  auch  mit  Churfürstlich  Sächsischer  Bewilligung 
d.  d.  Schloss  Luebben  am  30.  Juni  1655,  jedoch  erst  nach  seinem  Tode. 
Darnach  kaufte  sie  Albrecht  von  Ronof,  von  dem  noch  ein  Urbarium 
beider  Güter  ultimo  1659  existiert.  Das  Jahr  darauf,  also  1660,  ver- 
kaufte er  sie  an  Frau  Helene  von  Dyherrn,  Wittwe,  geborene  von 
Zeschau,  welche  sie  in  ihrem  Testamente  ihrem  Vetter  (Neffen?)  Siegis- 
mund  von  Zeschau  auf  Drehnow  damals  „Thren"  genannt,  aus  dem 
Hause  Wüsten  Dobritzsch  im  Saganschen  vermachte.  Am  21.  April  1665. 
Von  da  ab  waren  Jessen  und  Jueritz  im  Besitze  der  Zeschau  bis  zum 
Jahre  1858.  Wüsten  Dobritzsch,  das  Stammhaus  dieses  Zweiges  der 
Zeschau,  gehörte  ihnen  bereits  1369.  Als  Kuriosum  sei  hier  erwähnt, 
die  Mutter  des  Siegismund,  Elisabeth,  geborene  von  Börnsdorf,  hatte 
16  Kinder;  er  selbst  hatte  mit  seiner  Ehefrau  Margarethe,  geborene  von 
Dyherrn,  14  Kinder.    Erstere  starb  in  Jessen,  (.I5  Jahre  alt. 

Jessen  hatte  schon  vor  dem  3U jährigen  Kriege  ein  als  „schöner 
Bau"  bezeichnetes  Schloss,  dies  wurde  aber  während  der  Wirren  des 
Krieges  von  den  durchziehenden  Truppen  arg  verwüstet.  So  erzählt 
Schneider  in  seiner  Chronik  der  Stadt  und  Herrschaft  Forst  S.  120,  dass 
die  Schweden  während  der  Belagerung  von  Guben  im  Jahre  1642  das 
Schlos6  plünderten,  und  die  kupfernen,  vergoldeten  Dachrinnen  mit- 
nahmen. Darnach,  als  Frieden  im  Lande  war,  erschien  ein  Neubau  ge- 
boten, und  es  wurde  das  jetzige  Schloss,  und  zwar  ganz  nahe  der  Stelle 
des  alten  Baues,  von  dem  sich  noch  auf  dem  Wirtschaftshofe  ein  hoher, 
gewölbter  Keller  als  letzter  Überrest  befindet,  erbaut.  Dies  geschah 
wohl  in  den  Jahren  1681  bis  84,  also  durch  Siegismund  von  Zeschau, 


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Haus  Jessen,  Kreis  Sorau. 


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der  auch  in  der  Tradition  als  Erbauer  bezeichnet  wird.  Über  diesen 
Nenbau  existiert  die  nachstehende  Sage:  Es  sassen  drei  Vettern  von 
Zeschau,  auf  Jessen,  Gassen  und  Niewerte  einst  in  einer  der  benach- 
barten Städte  beim  Glase  zusammen  und  fassten  hierbei,  da  ihre  Häuser 
alle  mehr  oder  weniger  im  langen  Kriege  verwüstet  und  zerstört  waren, 
den  Entschluss  zum  Neubau.  Sie  kamen  überein,  sich  in  gewisser  Zeit, 
bis  dass  die  Schlösser  fertig  seien,  gegenseitig  nicht  zu  besuchen,  aber 
nach  ihrer  Vollendung  durch  Schiedsmänner  feststellen  zu  lassen,  wer 
von  ihnen  den  schönsten  Bau  aufgeführt  habe,  und  sollte  dieser  als 
Prämie  dann  Zeit  seines  Leben,  wenn  er  mit  ihnen  pokulierte,  zechefrei 
ausgehen.  Durch  Zufall  sind  nun  die  drei  Vettern,  ohne  es  zu  ahnen, 
an  einen  und  denselben  Baumeister  geraten,  und  dieser  hat  sich  nach 
den  gegebenen  Mitteln  gerichtet.  So  sind  denn  die  drei  Häuser  in  einem 
Baustyle  errichtet:  Gassen  hat  14  Fenster  Front,  liegt  jedoch  ohne  Sou- 
terrains flach  auf  der  Erde  auf;  Jessen  hat  nur  13  Fenster  Front,  jedoch 
hohe,  gewölbte  Souterrains;  Niewerte  ist  bedeutend  kleiner  und  hat,  soviel 
ich  mich  erinnere,  nur  7  Fenster  in  der  Front.  Darnach  hat  der  Besitzer 
von  Jessen  den  Preis  erhalten  und  mag  sich  seiner  wohl  manches  Mal 
erfreut  haben,  denn  wenn  es  der  erwähnte  Siegismund  war,  so  starb  er 
erst  als  ein  8lJjähriger  Greis.  — 

Wie  der  nachstehende  Situationsplan  zeigt,  liegt  das  Schloss  mit 
seiner  Vorderfront  nach  Norden,  dem  Wirtschaftshofe  zugekehrt,  mit  den 
drei  anderen  Seiten  im  Park.  Es  hat  ausser  den  Souterrains,  welche 
ihm  den  Preis  erworben,  zwei  Etagen  mit  einem  hohen,  gebrochenen 
Dache.  Der  Bau  ist  durch  alle  Etagen  durch  einen  von  Giebel  zu  Giebel 
führenden  breiten  Korridor  geteilt,  welcher  in  der  Mitte  in  einen  grossen, 
drei  Fenster  breiten  Vorraum  führt,  in  welchem  die  Treppe  liegt.  Von 
diesem  Baume,  sowie  vom  Korridor  aus  führen  Flügelthüren  in  die 
einzelnen  Zimmer,  welche  wieder  unter  sich  fast  immer  durch  Thüren 
verbunden  sind.  In  den  Korridor -Wänden  befinden  sich  ausserdem  die 
durch  Thüren  verschlossenen  Eingänge  zu  den  Heizungen.  Diese  Wände 
sind  nach  aussen,  dem  Korridor  zu,  ganz  glatt,  nach  verschiedenen 
Zimmern  zu,  also  in  den  Zimmern  selbst,  fällt  es  jedoch  dem,  allerdings 
sehr  aufmerksamen,  Beobachter  auf,  dass  in  den  Wänden  zuweilen 
grössere  Nischen  sind,  welche  durch  rechts  und  links  belegene  stärkere 
Pfeiler  gebildet  werden.  Beim  ersten  Blick  sieht  man  diese  Pfeiler  als 
Schornsteine  an,  was  sie  auch  häufig  sind.  Dann  befindet  sich  in  ihnen 
der  Kamin  resp.  steht  jetzt  der  Ofen  davor.  Untersucht  man  die  Sache 
näher,  so  findet  man  an  einigen  Stellen,  wenn  man  vom  Korridor  aus 
in  die  Kamin-Öffnung  tritt,  einen  schmalen  Gang,  welcher  in  einen  Hohl- 
raum der  Wand  führt.  Diese  Räume  sollen  bestimmt  gewesen  sein,  um 
in  Kriegszeiten  zum  Versteck  sowohl  von  Personen  als  Wertgegenständen 
zu  dienen.    Es  sind  gegenwärtig  nur  noch  drei  solche  Verstecke  vor- 


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120 


Ludwig  Krag. 


h  an  den,  es  sollen  jedoch  früher  mehrere  gewesen  sein,  was  sich  aach 
aus  der  Konstruktion  der  Wände  nachweisen  lässt.  Sie  sind  jetzt  ab- 
gebrochen und  dadurch  in  den  Zimmern  glatte  Wände  geschaffen.  Diese 
Bauart  könnte  nun  wohl  für  die  Behauptung,  dass  das  Schloss  nicht 
lange  nach  dem  80jährigen  Kriege,  wo  man  die  verschiedenen  Plünderungen 
und  Überfälle  noch  in  frischer  Erinnerung  hatte,  erbaut  sei,  sprechen. 
Die  Ansicht  möchte  auch  noch  durch  eine  alte  eiserne  Wetterfahne  mit 


der  Jahreszahl  1681,  welche  ich  unter  altem  Eisen  auf  dem  Boden  fand, 
Bestätigung  finden,  doch  wird  andererseits  auf  Grund  des  Baustyles  ein 
so  hohes  Alter  bestritten  und  gesagt,  das  Schloss  sei  nicht  älter  als  aus 
der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts.*) 

Zu  der  Vorderfront  des  Hochparterres  führt  eine  steinerne  Vortreppe, 
welche  von  zwei  Säulen  flankiert  wird  und  den  darüber  liegenden  Balkon 


*)  Und  zwar  soll  es  von  dem  Sächs.  Rittmeister  Balthasar  Gottlob  Erdmann 
von  Zeschau  erbaut  worden  sein,  was  in  seinem  Nekrolog  im  Lausitzer  Magazin 
Jahrg.  1784,  8.  267-69  erwähnt  wird.  Bei  der  Renovierung  des  Gebäudes,  die  ich 
i.  J.  1877  vornehmen  Hess,  fand  ich  an  der  8teinplatte,  die  über  dem  Haupteingang 
den  Balkon  tragt,  unter  Moos  versteckt,  die  Zahl  1754.  Ob  diese  sich  jedoch  auf  die 
Erbauung  bezieht  oder  nur  auf  eine  in  diesem  Jahre  ausgeführte  Restaurierung  hin- 
weist,  lasse  ich  dahingestellt. 


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Hau«  Jessen,  Kreis  Sorau. 


121  . 


trägt.  Die  beiden  Säulen  tragen  anf  ihren  Kapitalen  das  Zeschaasche 
Wappen.  Von  hier  tritt  man  in  eine  grosse  Vorhalle,  von  welcher  aus 
man  rechts  und  links  in  die  Zimmer  tritt.  Diese  sind,  mit  Ausnahme 
eines  nur  zweifenstrigen  Zimmers,  grosse  saalartige  Räume.  Die  dem 
Parke  zugelegene  Hinterfront  scheint  mehr  zu  Wohnräumen  bestimmt 
zu  sein,  unter  ihnen  befindet  sich  ein  schön  gewölbter  Raum  mit  eiserner 
Thür,  der  die  Jahreszahl  1775  aufgenietet  ist.  Auch  Gassen  sowie  Nie- 
werte haben  diesen  gewölbten  Raum  im  Parterre.  In  der  Beletage  ist 
die  Einrichtung  eine  ähnliche,  vorn  die  grossen  Repräsentations-Räume, 
hinten  die  bequemeren  Wohnzimmer.  Vorn  befindet  sich  der  grosse  Saal 
mit  Balkon,  5  Fenstern  in  der  Front,  in  der  einen  Ecke  ein  grosser 
Kamin,  in  der  andern  ein  alter,  sehr  schöner  Ofen  auf  hohen  Füssen, 


wie  sie  jetzt  wieder  in  Mode  kamen.  In  einem  Ecksaale  steht  ein  eben 
solcher  Ofen.  Die  Wände  des  Saales  sind  noch  aus  alter  Zeit  her  grün 
bemalt  mit  Landschaften,  welche  Bilder  der  Umgegend  aus  längst  ver- 
gangener Zeit,  unter  ihnen  angeblich  auch  ein  Bild  des  alten  Schlosses, 
darstellen  sollen.  Über  der  Thür  des  Saales  im  Korridor  hängen  neben 
einander  zwei  grosse,  auf  Holz  gemalte  Wappentafeln,  die  eine  mit  der 
Umschrift:  Siegismund  von  Tzscheche  a.  d.  1681;  die  zweite:  Anna 
Margarethe  Tzschechin,  geb.  von  Dyheru,  a.  d.  1681.  —  Dies  sind  die 
Wappen  der  angeblichen  Erbauer  des  Schlosses.  Im  Saale  selbst  hängen 
in  der  breiten  Hohlkehle  unter  der  Decke  die  Wappen  der  sechszehn 
Ahnen  des  Siegismund  und  seiner  Gemahlin.  Neben  dem  Saale  liegt,  ein 
einfenstriges  Zimmer,  dessen  eine  Wand  dem  Saale  zu  zur  Hälfte  her- 
ausgenommen und  durch  einen  bemalten  Leinwand -Vorhang,  welcher 
zum  Heraufziehen  eingerichtet  ist,  geschlossen  wird.  Die  Wände  dieses 
Raumes  sind  wie  der  Saal  bemalt,  jedoch  nur  mit  Darstellung  musi- 
kalischer Instrumente;  das  jetzt  noch  sogenannte  Musikanten -Zimmer 


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122 


Lndwig  Krng. 


hat  bei  Festlichkeiten  zur  Aufnahme  des  Musik -Chores  gedient.  Auf 
der  zur  Beletage  führenden  Treppe  hängt  an  der  Wand  das  fast  lebens- 
gross  in  Öl  gemalte  Brustbild  einer  Dame  in  der  Tracht  des  vorigen 
Jahrhunderts  mit  hoch  frisiertem,  weiss  gepudertem  Haar.  Es  soll  eine 
polnische  Starostin  darstellen,  welche  in  den  polnischen  Unruhen  mit 
ihrem  Gatten  nach  Jessen  flüchtete  und  hier  bei  der  befreundeten  Familie 
des  damaligen  Besitzers  Jahre  lang  gastliche  Aufnahme  fand.  Das 
Porträt  des  Starosten,  welches  ebenfalls  vorhanden  war,  ist  nicht  mehr 
zu  finden.  Das  Bild  der  Dame  ist  gut  gemalt  und  macht  den  Eindruck, 
als  fixire  es  mit  seinen  dunklen  Augen  den  die  Treppe  herauf  Steigenden 
und  folge  ihm  mit  dem  Blick.  —  Wie  bekannt,  war  die  Nieder -Lausitz 
bis  zum  Jahre  1815  mit  Sachsen  vereinigt  und  fiel  erst  damals  an 
Preussen,  und  da  der  Herzog  von  Sachsen  gleichzeitig  zur  Zeit  König 
von  Polen  war,  fand  ein  reger  Verkehr  der  Hof  leute  beider  Länder 
statt.  So  soll  auch  König  August  der  Starke  auf  seinen  Reisen  von  und 
nach  Polen  häufig  Gast  in  Jessen  gewesen  sein. 

In  seiner  oberen  Etage  hat  das  Gebäude  noch  die  kleinen  Fenster- 
scheiben des  vorigen  Jahrhunderts  bewahrt.  Dass  es  nach  dem  Glauben 
des  Volkes  in  den  langen  Korridoren  spukt,  wird  nicht  auffallen,  aber 
dass  dies  auch  am  hellen  lichten  Tage  zur  Mittagsstunde  geschehen  soll, 
ist  doch  merkwürdig.  Auf  dem  hohen  Boden  sollen  sich  einer  Dame 
wegen  zwei  Brüder  im  Duell  erstochen  haben.  Oft  hört  man  in  der 
Nacht  noch  das  Geklirr  der  Degen  und  darnach  einen  starken  Schlag, 
als  fiele  ein  Körper  zur  Erde.  —  Die  Sache  ist  leicht  erklärlich,  denn 
wenn  in  stürmischen  Frühjahrs-  oder  Herbst -Nächten  der  Wind  durch 
den  Boden  und  die  Korridore  heult  und  sich  in  den  vielfach  angebrachten 
Ventilations-Schächten  fängt,  so  bringt  er,  wenn  auch  nur  eine  Fenster- 
scheibe zerbrochen,  eine  Thür  nicht  gehörig  geschlossen  ist,  zuweilen 
Töne  hervor,  die  schauerlich  klingen  und  rätselhaft  erscheinen.  Die  in 
Blei  gefassten  rasselnden  Fensterscheiben  klingen  dem  Degengeklirr 
ähnlich,  und  auf-  und  zuschlagende  Thüren  erwecken  den  Gedanken,  es 
ginge  Jemand  aus  und  ein.  Das  Duell  der  Brüder  ist  nicht  historisch 
nachzuweisen,  denn  noch  lebende  Mitglieder  der  Familie  von  Zeschau 
haben  mir  versichert,  dass  die  Sage  ihr  Geschlecht  nicht  beträfe,  da,  so 
lange  Jessen  im  Besitze  der  Familie  gewesen,  niemals  zwei  Brüder  im 
Schlosse  gelebt  hätten.  Es  müsste  also  in  der  Zeit  vor  1660  geschehen 
sein,  damals  stand  jedoch  der  jetzige  Bau  noch  nicht. 

Dicht  hinter  der  Südseite  des  Schlosses  zieht  sich  ein  Teich  hin, 
in  dem  es  viele  Ratten  giebt ;  sie  haben  von  dort  nach  der  im  Souterrain 
belegenen  Küche  ihre  unterirdischen  Gänge,  und  wenn  sie  dann  in  der 
Nacht  öfter  die  Treppen  auf-  und  niedersteigen,  hallt  es,  als  huschten 
Menschen  hin  und  her.  Diese  Ratten  sind  nicht  zu  vertilgen,  da  sie 
sowohl  in  den  Kaminen  und  ihren  Vorgelegen,  als  auch  unter  den 


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Haus  Jessen,  Kreis  Borau. 


123 


Dielen  ihre  Verstecke  haben,  in  denen  ihnen  nicht  beizukommen  ist, 
und  schliesslich  retirieren  sie  in  den  Teich.  Das  Souterrain  wurde,  als 
ich  das  Gut  kaufte,  nur  allein  zum  Durchgang  für  die  Dienstboten  be- 
nutzt, da  lediglich  Besucher  der  Herrschaft  den  Haupt-Eingang  benutzten. 
Es  hätte  sich  auch  niemand  darin  aufgehalten,  denn  es  sah  wirklich 
schauerlich  aus.  Die  schönen  gewölbten  Räume  lagen  an  einigen  Stellen 
Meter  hoch  voll  Schmutz  und  Erde,  welche  letztere  besonders  durch  die 
in  fast  gleicher  Höhe  mit  dem  Erdboden  liegenden  Fenster,  die  selten 
noch  eine  Scheibe  aufwiesen,  bei  Regengüssen  im  Laufe  der  Jahre  hin- 
eingeschwemmt war.  Ein  Wirtschafts  -  Inspektor,  den  ich  gleich  nach 
dem  Kaufe  des  Gutes  installiert  hatte,  während  ich  selbst  erst  drei 
Wochen  später  kommen  konnte,  sagte  mir,  als  ich  mit  ihm  über  die 
Düngung  der  Wiesen  sprach:  „Hundert  Fuhren  Dung  fahre  ich  allein 
aus  dem  Schloss!"  Als  nun  die  Keller  und  Gänge  gereinigt  und  vom 
Maurer  frisch  abgeputzt  waren,  wobei  noch  ein  Brunnen  entdeckt  wurde, 
von  dem  niemand  etwas  wusste,  wollte  doch  zuerst  kein  Mensch  länger 
darin  bleiben,  trotzdem  alles  jetzt  sauber  und  hell  war.  Die  Leute  be- 
haupteten, es  spuke  dort  am  hellen  Tage,  in  der  Mittagstunde,  zuweilen 
öffneten  sich  sämtliche  Thüren  auf  ein  Mal  und  fielen  gleichzeitig  mit 
Geräusch  wieder  zu,  Töne  erschallten,  als  lache  jemand,  Tritte  würden 
gehört,  und  doch  wäre  kein  Mensch  zu  sehen.  Es  dauerte  Jahre  lang, 
ehe  sich  die  erregten  Gemüter  beruhigen  konnten,  und  ich  die  Leute 
dazu  brachte,  in  einigen  dieser  hellen,  schönen  Räume  zu  schlafen. 
Die  Starostin  ging  um  und  suchte  ihren  Gatten,  dessen  Bild,  wie  schon 
erwähnt,  verschwunden  war.  Auch  Tiergestalten  mussten  zum  Spuk  her- 
halten. So  sollte  öfter  eine  Gans  vom  Boden  aus  die  Treppen  langsam 
heruntersteigen  und  im  Souterrain  verschwinden.  — 

Das  jetzige  sowie  das  alte  Schloss  waren  offenbar  Sumpfburgen, 
welche  von  drei  Seiten  vom  Wasser  umgeben  waren,  oder  doch  unter 
Wasser  gesetzt  werden  konnten.  Der  Boden  des  Parkes,  in  dem  der 
jetzige  Bau  liegt,  ist  erst  in  spätere u  Zeiten  erhöht  und  meterhoch  auf- 
gekarrt worden ;  der  ursprüngliche  Wallgraben,  von  dem  noch  ein  Teich 
als  Cberbleibsel  vorhanden  ist,  wurde  später  eingedämmt  und  zieht  sich 
jetzt  noch  hakenförmig  um  die  Mittag-  und  Abendseite  des  Schlosses. 
Er  ist  jetzt  Karpfenteich.  Er  wird  von  einem  aus  Morgen  kommenden 
lebhaft  fliessenden  Bach  gespeist,  der  auch  den  oberhalb  liegenden  Gold- 
fischteich bildet  und  bei  Regengüssen  oft  solche  Mengen  Wasser  herbei- 
führt, dass  die  vorhandenen  Schleusen  schnell  geöffnet  werden  müssen, 
weil  sonst  ein  grosser  Teil  des  Parkes  unter  Wasser  gesetzt  und  die 
Dämme  der  Teiche  gebrochen  werden  würden.  Weiter  unten  treibt  der 
Bach,  noch  durch  andere  Wasserläufe  verstärkt,  zwei  im  Walo^e  versteckt 
liegende  Mühlen.  Der  gut  gehaltene  Park  hat  schöne,  schattige  Gänge, 
grosse  üppige  Rasenflächen  und  stattliche  alte  Bäume.    Unter  diesen  sind 


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124 


Ludwig  Krug. 


besonders  drei  Linden  merkwürdig,  die  durch  ihre  von  der  sonstigen 
Form  abweichende  Astbildung  auffallen.  Sie  machen  den  Eindruck  in 
der  .lugend  gekröpfter  Weiden  und  sollen  der  Sage  nach  verkehrt,  mit 
den  Wurzeln  nach  oben,  den  Ästen  nach  unten  eingepflanzt  sein.  Ur- 
sprünglich sollen  es  vier  im  Quadrat  stehende  Bäume  gewesen  sein,  von 
denen  der  eine  ausging.  Unter  ihneu  soll  früher  ein  Sommerhaus,  oder 
nach  anderer  Lesart,  eine  Orangerie  gestanden  haben.  Hiervon  ist  keine 
Spur  mehr  vorhanden. 

Das  eine  halbe  Meile  von  Jessen  entfernte  Rittergut  und  Stadt 
Gassen  gehörte  früher  ebenfalls  den  Zeschaus,  welche  das  Patronat 
hatten.  In  der  dortigen  Kirche  liegen  in  der  Erbgruft,  welche  die  viel- 
fach vorkommende  Eigenschaft  haben  soll,  die  darin  beigesetzten  Leichen 
zu  mumifizieren,  viele  «1er  alten  Zeschaus.  Jessen  gehört  jetzt  zur 
Kirche  nach  Dölzig,  in  deren  Gruft  die  von  Zeschau  seit  fast  zweihundert 
Jahren  ruhen.  In  der  Kirche,  in  der  Wand  eingemauert,  stehen  zwei 
Grabsteine,  welche  bis  zu  der  vor  bereits  längerer  Zeit  vorgenommenen 
Renovierung  der  Kirche  in  ihr  über  der  Gruft  vor  dem  Altar  gelegen 
haben  sollen.  Sie  stellen  in  Lebensgrösse  einen  Ritter  und  eine  Dame 
dar,  je  mit  acht  Wappen  umgeben.  Der  erste  des  Ritters  trägt  die  Um- 
schrift: „Herr  Siegmund  Zesche  auf  Jessen,  Thren*)  und  Guertz  ward 
geboren  A.  1).  Ili20  den  u,  der  Rest  ist  abgetreten  und  unleser- 
lich. Auf  dem  Stein  der  Dame  steht:  „Anna  Margarethe  Zeschin,  ge- 
borene von  Dvherrn"  —  nichts  weiter.  Dies  sind  also  die  Bilder  der 
angenommenen  Erbauer  des  jetzigen  Schlosses,  deren  Wappen  über  der 
Thür  des  grossen  Saales  hängen.  Der  Ritter  in  der  reichen  Tracht 
seiner  Zeit  mit  grosser  Allongen -Perücke  hält  in  der  rechten  Hand  eine 
Peitsche,  richtiger  nur  den  Stiel  einer  solchen,  denn  das  übrige  ist  ab- 
gebrochen. Hieran  knüpft  die  Sage  an,  er  sei  ein  sehr  strenger  Herr 
gewesen  und  habe  die  im  Frohndienst  beim  Bau  des  Schlosses  be- 
schäftigten Arbeiter  oft  mit  der  Peitsche  angetrieben. 

Wie  nun  das  Schloss  von  der  Sage  umwoben  ist,  so  bietet  auch 
die  dazu  gehörige  Gemarkung  zwei  des  Erwähnens  werte  Punkte.  Bevor 
die  Nierler-Lausitz  mit  Preussen  vereint  wurde,  bildete  im  Norden  ein 
an  der  Gutsforst  von  Jessen  von  Westen  nach  Osten  führender  Weg 
die  Grenze  zwischen  Sachsen  und  Preussen.  Am  Kreuzungs  -  Punkte 
dieses  Weges  mit  dem  von  Jessen  nach  der  Stadt  Sommerfeld  führenden 
Wege  ist  noch  heute  eine  frühere  Garten-Anlage  durch  einige  verkrüppelte 
alte  Obstbäume  und  Sträucher  in  der  ringsumliegenden  Forst  deutlich 
erkennbar.  An  dieser  Stelle  stand  einst  das  Grenz-Zollhaus,  und  auch 
hier  spukt  es.    Ich  fuhr  eines  Tages  im  Hochsommer  im  offenen  Wagen 


*)  Thren  ist  da«  jetzt  Drehnow  genannte,      Meile  von  Jessen  entfernte  Ritter- 
gut, welches  bereits  vor  Jessen  im  Besitze  der  von  Zeschau  war. 


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Hau b  Jensen,  Kreis  Sorau. 


125 


in  der  Mittagstunde  zwischen  zwölf  und  ein  Uhr  über  diese  Stelle,  als 
plötzlich  meine  beiden  Pferde  mit  einem  grossen  Satz  links  sprangen 
und  dann  im  rasenden  Galopp  den  Weg  geradeaus  weiter  stürmten.  Ich 
war  erstaunt,  denn  ich  hatte  weder  rechts  noch  links  in  der  Kiefern- 
Schonung,  noch  vor  mir  geradeaus  im  Wege  etwas  bemerkt,  vor  dem 
die  Pferde  hätten  scheuen  können ;  ich  fragte  daher  meinen  Kutscher,  als 
sich  die  Tiere  etwas  beruhigt  hatten,  ob  er  irgend  etwas  bemerkt  habe, 
und  erhielt  die  Antwort,  auch  er  habe  nichts  gesehen,  aber  an  dem 
Kreuzwege  spuke  es  und  es  sei  nicht  gut,  in  der  Mittagsstunde  oder  des 
Nachts  an  der  wüsten  Hausstelle  vorbeizukommen.  Es  gehe  dort  ein 
Frauenzimmer  um  in  brennenden  Kleidern  und  Haaren.  — 

Ich  erkundigte  mich  darauf  näher  nach  dieser  Geschichte  und 
brachte  in  Erfahrung,  dass  dies  Zollhaus  die  Heimstätte  oder  doch  ein 
Schlupfwinkel  der  Grethe  Delitz  und  ihres  Geliebten,  des  Mordbrenners 
Horst,  gewesen  sein  soll,  welche  anfangs  dieses  Jahrhunderts  das  grosse 
Dorf  Schönerlinde  bei  Berlin  anzündeten  und  dann  beide  am  *JH.  Mai  1813 
in  Berlin  auf  dem  Neuen  Markte  auf  dem  Scheiterhaufen  verbrannt 
wurden.  Dies  war  die  letzte  derartige  Hinrichtung  im  Preussischen 
Staate.  Die  Stelle  liegt  tief  und  einsam  im  Walde,  dicht  an  der  früheren 
Grenze,  und  mag  das  dort  stehende  Haus  wohl  öfter,  zumal  in  den 
langen  Französischen  Kriegszeiten  als  Schlupfwinkel  für  allerhand  Ge- 
sindel gedient  haben.  Nicht  weit  davon  liegt  in  dem  Forst  ein  mit 
Schilf  und  Binsen  fast  verwachsener  See,  und  was  eine  Rohrdommel, 
die  bekanntlich  derartige  Flecke  liebt,  mit  ihren  Tönen  vermag,  hat 
uns  Reuter  in  seinem  ^Durchläuchting"  geschildert.  So  mag  die  Sage 
von  dem  brennenden  Weibe,  welches  oft  schreiend  im  Walde  umher 
läuft,  entstanden  sein. 

Der  zweite  Fall,  welcher  auch  an  einem  Kreuzwege  spielt,  bezieht 
sich  auf  eine  Begebenheit,  die  sich  im  Anfange  dieses  Jahrhunderts  auf 
Jessener  Grund  und  Boden  ereignete.  In  der  Richtung  nach  Nord-Osten 
vom  Gutshofe  aus  zieht  sich  am  Parke  entlang  der  Weg  nach  Gassen, 
zuerst  durch  die  Felder,  dann  durch  die  Forst  des  Gutes,  welche  hier 
an  einigen  Stellen  sumpfige  Partien  enthält.  An  einem  schwülen  Sommer- 
abend trat  ich,  im  Park  umhergehend,  an  die  Umzäunung,  weil  ich, 
allerdings  sehr  weit  von  mir,  im  Walde  ein  Licht  zu  sehen  glaubte. 
Bald  erschien  es  an  dieser,  bald  an  jener  Stelle,  sodass  ich  mir  uach 
längerer  Betrachtung  der  Erscheinung  in  Hinblick  auf  das  sumpfige 
Terrain  sagte,  es  sei  ein  Irrlicht.  Als  ich  bald  darauf  hierüber  mit 
Leuten  aus  dem  Orte  sprach,  wurde  mir  gesagt,  die  Erscheinung  sei  ein 
im  Walde  vergrabener  Schatz,  der  hin  und  wieder  in  der  Nacht  brenne, 
das  wisse  jeder  Mensch  im  Dorfe.  Neugierig  gemacht,  wandte  ich  mich 
an  den  alten  Gemeinde- Vorsteher,  einen  70jährigen  Mann,  dessen  Familie 
seit  Urzeiten  im  Dorfe  ansässig  war,  und  der,  so  zu  sagen,  eine  lebende 


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12ß 


Ludwig  Krug. 


Chronik  der  Gegend  war.  Von  diesem  hörte  ich  nun,  es  sei  vor  vielen 
Jahren,  als  Jessen  noch  sächsich  war,  ein  Gutsbesitzer  aus  Sachsen, 
welcher  im  Preussischen  eine  Erbschaft  von  20  OOO  Rtblr.  gemacht  und 
diese  erhoben  habe,  auf  seinem  Rückwege  im  Jessener  Walde  Wege- 
lagerern in  die  Hände  gefallen.  Der  Mann  sei  mit  seinem  einspännigen 
Wagen,  auf  dem  er  das  Geld  in  Säcken  zu  stehen  hatte,  in  der  Nacht 
allein  von  Gassen  ausgefahren,  und  sei  am  Rande  des  Waldes,  wo  der 
Gassener  Weg  sich  noch  heute  mit  einem  Feldwege  kreuzt,  unter  dort 
stehenden,  hohen  alten  Eichen,  von  zwei  Männern  überfallen,  nieder- 
geschlagen und  seines  Geldes  beraubt  worden.  Pferd  und  Wagen  kamen 
später  nach  Jessen,  und  als  man  der  Spur  des  Wagens  nachging,  fand 
man  den  Eigentümer  blutüberströmt,  besinnunglos  unter  den  Eichen 
liegen.  Die  seitens  der  Behörden  angestellten  Recherchen  führten  endlich 
zur  Verhaftung  eines  Einwohners  von  Gassen,  den  der  Beraubte  auch 
rekognoszierte,  und  welcher  nach  längerer  Zeit  den  Raub  auch  ein- 
gestand. 

Er  sagte,  das  Geld  sei  im  Jessener  Walde  vergraben,  und  war 
auch  bereit  die  Stelle  zu  bezeichnen.  Der  Richter  fuhr  darnach  in  Be- 
gleitung eines  alten  Gefangenenwärters  und  eines  Schreibers  mit  dem 
geschlossenen  Verbrecher  im  Wagen  von  Gassen  aus.  Nicht  weit  vom 
Kreuzwege  im  Walde  liess  er  auf  Ansuchen  des  letzteren  den  Wagen 
halten,  es  stiegen  die  drei  ab,  und  hoben  den  Gefesselten  herunter. 
Jetzt  verlangte  dieser,  man  solle  ihm  erst  die  Eisen  abnehmen,  damit 
er  sich  frei  bewegen  könne,  und  erklärte  schliesslich,  als  ihm  dies  vom 
Richter  verweigert  wurde,  dann  würde  er  ihm  die  Stelle  nicht  zeigen. 
Der  Richter  in  der  Befürchtung,  dass  der  Räuber,  wenn  er  ihm  die 
Eisen  abnehmen  Hesse,  sofort  im  Walde  verschwinden  würde,  und  er 
mit  seinen  beiden  alten  Begleitern  nicht  imstande  sein  werde,  ihn  daran 
zu  verhindern,  blieb  bei  seiner  Weigerung.  Ebenso  weigerte  sich  der 
Dieb  auch  nur  einen  Schritt  zu  gehen.  Schliesslich  wurde  er  wieder 
auf  den  Wagen  gesetzt,  und  in  das  Gefängnis  zurückgebracht  —  dort 
fand  man  ihn  am  nächsten  Morgen  in  seiner  Zelle  erhängt.  —  Seinen 
Mithelfer  hatte  er  nicht  genannt,  das  Gericht  hatte  zwar  auf  eine  Person 
Verdacht  gefasst,  diese  war  jedoch  nicht  aufzufinden  und  soll,  wie  man 
später  erzählte,  nach  Amerika  geflüchtet  sein.  Ob  mit,  oder  ohne  Geld, 
ist  nicht  festgestellt,  wohl  aber  wurde,  als  die  Sache  ruchbar  gewordeu 
war,  die  Umgebung  der  Stelle  in  der  Forst,  an  welcher  der  Verbrecher 
vom  Wagen  gestiegen  war,  von  unzähligen  Schatzgräbern  durchwühlt. 

Das  Factum  der  Beraubung  an  dieser  Stelle  steht  fest,  der  jetzt 
verstorbene  Herr  Landrat  von  Lessiug  in  Sorau  sagte  mir,  die  Sache 
sei  wahr,  und  habe  er  selbst  als  Kind  den  Beraubten,  einen  Guts- 
besitzer Heine  aus  der  Luebbener  Gegend  gekannt.  Was  aber  aus  dem 
Gelde  geworden  ist,  weiss  niemand,  die  Sage  hat  sich  der  Geschichte 


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Haus  Jessen,  Kreis  Sorau. 


127 


bemächtigt,  es  soll  noch  heute  im  Walde  vergraben  liegen,  und  harrt 
des  glücklichen  Finders.  In  schwülen,  trüben  Nächten  brennt  danu, 
wie  das  Volk  sagt,  der  Schatz,  aber  die  Leute  sind  jetzt  schon  zu  klug 
geworden,  um  sich  durch  einen  Jrrwisch  hänseln  zu  lassen,  und  betritt 
jetzt  in  der  Nacht  jemand  die  Stelle,  so  sucht  er  nicht  den  Schatz, 
sondern  eine  schlanke  Kiefer,  die  er  still  niederlegt  und  sich  aneignet. 
Das  ist  reeller  Gewinn  und  wenn  man  dabei  ertappt  wird,  ist  es  auch 
weiter  nicht  gefährlich,  wenigstens  nicht  wie  das  Schatzgrabeu,  wobei 
einem  bekanntlich  der  Teufel  holen  kann. 

Zum  besseren  Verständnis  der  Lage,  sowie  des  Baues  des  Schlosses 
lege  ich  einen  Situationsplan  der  Hof  lage  Jessen  aus  dem  Jahre  1885, 
sowie  einen  Grundriss  und  eine  Ansicht  des  Schlosses  bei. 

Schliesslich  erwähne  ich  noch,  dass  ich  die  Angaben  in  Bezug  auf 
meine  Vorbesitzer,  die  Familie  von  Zeschau,  der  gütigen  Mitteilung  des 
Königlich  Sächsischen  Majors  a.  D.,  Herrn  Wilhelm  von  Zeschau  zu 
Passau  in  Bayern  verdanke. 


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Register. 


Seit© 

Armbrust   6 

Agrippa,  Weltkarte   07 

Alci   oo 

Ariovist  ll.'i 

A  waren  115 

Barrikade  auf  d.  Alexanderplatz   .  .  15 

Beeskow,  Schützengilde   :$ 

Berlin,  Schützengilde  3.  10  ff. 

Bieberstein,  Freiherr  v  11* 

Bogen   6 

Brandenburg,  Bronze  Periode  ....  05 
Neolithische  Periode   .  94 

„  l:rkunde   12 

Brandt,  v.,  Oberförster   38 

Kösching   80 

Burgunder  KM).  104  f.  IM 

Chatte»   100.  112  f. 

Cherusker  100.  10."» 

Chronik  der  Berl.  Sehützengildc        10  ff. 

Dehlitz,  Grete  125 

Dessau,  Leopold  u.  Moritz  v.  .  .  .  84  f. 
Dohna,  Graf  v  


Seit« 

General  Srhulplan  .  .    83 

Gerber,  Prof   78 

Germanen,  Urheimat    07 

.,         Ost-  u.  Westgertuanen  .  .  0* 

Grenz  Zollhaus   124 

Groben,  v.  d   38 

Grossmanu   41 

Haarke,  v  47.  74 

Hermunduren  .  .      ...  100.  105.  IOC 

Hinrichtung,  Letzte       .   125 

Hocker,  Feldprediger   79 

Hosentücher    .      .........  12 

Hoverbeck.  v  40 

Jena,  v  40 

Jessen,  Haus      ......  .117 

Ingvaeonen,  Irminonen,  Istvaonen    100  f. 

•lueritz,  Dorf   117 

Jut  billigen  III.  113 


Kanonen 
Krug,  Ludwig 


45 
117 


Eibenbaume 


Festessen  d.  Schützengilde   31 

Fiddel,  Strafinstrument  

Frankfurt  a.  O.,  Schützengilde    .  . 


Friedrich  Wilhelm  I.,  Schützenfeste  . 

„  „  Edikt 

Krya   .   .  . 


38 

Langobarden   

100.  105.  115 

6 

....  3 

82 

...  3 

51 

31 

Märkisches  Museum     .  . 

.      .   .  117 

82 

...  112 

3 

Masyos,  Senmonenkönig  . 

....  113 

Meinhardt 

....  30 

70 

Michaelis,  Professor  D. 

83.  80 

78 

100 

Mülicheberger  Schützengilde 

.  .  .  .  3 

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Register. 


Seit« 

Nieder-Lausitz   124 

Ochsenschieesen  v.  1524    12.  42 

Offiziere,  Bildung   84 

Opferstein,  heidnischer  117 

Ostpreußen,  Schatzengilde        ...  8 

Petrik  irehe,  Visitationsprotokoll  v.  1 51) i     1 J 

Predigtdi8position   86 

Preussische  Armee  77  f. 

„              „    -Bildung           .   .  83 

„              „     -Liebstenschein  81 

„             „    -Tauf  mahle    ...  79 

,.          Verheiratete  Soldaten  81 

Pritzwalk,  Schützengilde   3 

Prozess,  SchützengiUle  gegen  Magistrat  58 

Ptoleniaeus,  Astronom  u.  Geograph  .  104 


Radschlossgewehr   8 

Reinbeck,  Probst   80 

Reppert,  v.,  General  .    86 

Schatz,  vergrabener   125 

Schild,  Superintendent    78 

Schieesgraben  d.  Schützengilde     .  .  31 

Schiesspreise   .  .    9 

Schlabemdorff,  v.,  Oberstlieutenant  .  41 

Schönerlinde,  Einäscherung       ...  126 

Sehönholz  (s.  a.  Monatsblatt  1897)  .  .  76 

Sehützengilde,  Entstehung   1 

„           Patrone   10 

„  Privilegium      .  .  12  u.  ö. 

Schützenplatze  .  34.  37.  39.  46.  49.  52.  75 

Schützensiegel  von  1654    38 

Schwaben  DK.  107.  114 

Seegebart,  Feldprediger   88 

Sedusii   113 

Sr'uava  uXr    106 


Seit« 

Semnonen  100.  101  f. 

Sigismund,  Markgraf  1507   32 

I  Silberbecher  v.  1664    40 

Sil  i  ngen   105 

Slawen    115 

Spaldt   38 

Spandauer  Thor.  Umgegend   ....  75 

Spuk  122,  124 

Steinschlossgewehr    8 

Strabo   .   102 

Sueben   98 

8uevus,  Fluss   104 

Sumpfburg   123 

I 

i  Tacitus,  Germania     ....      .39.  102 

1  Tiu  oder  Tivas  99.  107 

Trauregister   79 

|  Treueubrietzener  Schützengilde  ...  3 

I 

l.Tnenscherben   117 

Vandilier   9* 

Vellejus  Pateikulus                           .  103 

Yerkehrtlindcn    124 

Versen,  v   42 

Wangenheini,  v   48 

Warnen  100.  104 

Wedekindt   47 

Wodan  ICH  107 

Wrangel   4.-» 

Zeschau,  v.,  Adelsfamilie   Iis 

Zetwitz,  v   42 

Zielenzig,  SchÜUengilde   :t 


Zimmermann,  dreimal  Schützenkönig  53 


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ARCHIV 


„BRANDENBURGS" 


GESELLSCHAFT  FÜR  HEIMATKUNDE 

DER 

PROVINZ  BRANDENBURG 

ZU 


Unter  Mitwirkung  des  MKrktschen  Proyinzial-Museums 

herausgegeben 


Gesellachafts  -  Vorstände. 


4.  Band. 


Berlin  1898. 
Druc  k  und  Verlag  von  P.  Stankicwicz'  Buchdruckerei 
Bernburgerstraase  14. 


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Inhalt 


Seite 

1.  Adolf  Kec kling:  Geschichte  der  Stadt  Driesen   1 

2.  Karl  Altrichter:  Die  Wandgemälde  der  Kapelle  St.  Spiritus  zu  Wusterhausen 

a.  Dosse   8/i 

3.  Robert  Mielkc:   Die  Blockhaukirche  in  Bursehen   98 

J.  II.  Lange:  Flachsbau  und  Leinwandweberei   105 

f>.  Kobert  Behla:  Der  Barzlin  im  Spree wald   100 

C.  Richter.  Die  Kirche  zu  Tammendorf  und  ihr  Erbauer  der  General  Lieutenant 

Freiherr  von  Mikrander   117 

7.  W.  Zincke:   Teber  die  historischen  Beziehungen  der  alten  Stadt  Jüterbog 

zu  Berlin   121 

S.  P.  Ciraebner:    Ueber  die  Bildung  natürlicher  Vegetationsformationen  im 

Norddeutsehen  Flachland   133 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 

Von 

Adolf  Reckling,  Bürgermeister. 


Die  nachstehende  Geschichte  der  Stadt  Driesen  ist  für  den  Grund- 
stein des  Kaiser  Wilhelm -Denkmals  auf  dem  alten  Markt  von  mir  ge- 
schrieben und  bis  zum  dreissigjahrigcn  Kriege  zum  grössten  Teil  aus  der 
Chronik  des  Bürgermeisters  Treu  -  Friedeberg  und  ans  angefangenen 
Chroniken  des  Postsekretärs  a.  D.  Henke-Driesen  entnommen.  Die  Ur- 
kunden sind  aus  dem  Codex  diplom.  von  Riedel  und  der  im  Besitz  des 
Magistrats  befindlichen  alten  Privilegien  abgeschrieben.  Vom  dreissig- 
jährigen  Kriege  ab  sind  die  Aufzeichnungen  teils  aus  dem  Stadtbuch  der 
Stadt  Driesen,  teils  aus  publizierten  Schriften  und  der  Chronik  des  Bei- 
geordneten Rentiers  Ferdinand  Modro-Driesen  zusammengestellt 

Die  in  den  Grundstein  gelegte  Abschrift  dieser  Geschichte  der  Stadt 
Driesen  widme  ich  der  Nachwelt  als  ein  Vermächtnis,  mit  der  Bitte,  das 
Denkmal,  welches  auf  diesem  Grundstein  von  den  dankbaren  Bürgern 
dieser  Stadt  und  Bewohnern  der  Umgebung  errichtet  ist,  zu  schirmen 
und  zu  schützen.  Wer,  wie  ich,  die  Zerrissenheit  des  deutschen  Vater- 
landes gekannt  und  König  Wilhelm  von  Preussen,  dem  Gründer  der 
deutschen  Einheit,  als  Kaiser  der  Deutschen,  mit  Driesens  Bürgern  „Heil 
Kaiser  Dir"  zugerufen  und  diesen  Ruf  für  den  Kaiser  Friedrich  und 
Kaiser  Wilhelm  II.  in  Liebe  und  Treue  unentwegt  bis  zum  heutigen  Tage 
fortgesetzt  hat,  hat  dies  mit  Driesens  Bewohnern  einstimmig  gethan  und  aus 
innerstem  Herzen,  aus  Dankbarkeit  für  die  Hohenzollernfürsten,  welche 
Deutschland  die  ihm  gebührende  Macht  und  Stellung  angewiesen,  die  ihm 
im  Rate  der  Völker  gebührt.  Wir  Driesener  haben  dein  grossen  Kaiser 
Welheim  I.  das  Denkmal  errichtet,  zum  Andenken  an  die  Zeit,  wo  Fürst 
und  Volk  einig  und  bestrebt  waren,  des  Vaterlandes  Grösse  als  das 
heiligste  Band  fortzupflegen  und  zu  erhalten. 

An's  Vaterland,  an's  tlieure  schlicss  Dich  an, 

Das  halte  fest  mit  Deinem  ganzen  Herzen; 

Hier  sind  die  starken  Wurzeln  Deiner  Kraft! 
Gott  segne  den  Kaiser  und  durch  den  Kaiser  segne  Gott  stets  das 
deutsche  Vaterland!    Gott  schütze  die  Stadt  Driesen,  damit  sie  wachse, 
blühe  und  gedeihe! 

Adolf  Reckling,  Bürgermeister. 

1 

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•2 


Adolf  RecUinp: 


Nach  Giesebrecht  (Wendische  Geschichten  II.  Seite  162)  ist  der  Name 
der  Stadt  Driesen  zum  ersten  Male  im  Jahre  10U2  den  5.  April,  Sonn- 
abend vor  Palmarum,  verzeichnet.  Die  heidnischen  Preusseu  im  Bunde 
mit  den  Pommern  und  Kassuben  zwangen  zu  dieser  Zeit  den  König 
Wladislaw  von  Polen,  der  mit  ihnen  im  Kriege  war,  dadurch,  dass  sie 
die  ganze  Gegend  um  ihn  verwüsteten  und  seiner  Armee  alle  Unter- 
haltungsmittel  entzogen,  zum  Rückzüge,  und  als  sein  Nachzug  bei  Driesen 
über  die  Netze  setzen  wollte,  entspann  sich  hier  eine  so  blutige  Schlacht, 
dass  erst  die  eintretende  Finsternis  die  Kämpfenden  zu  trennen  ver- 
mochte. Die  Polen  verloren  hierbei  viele  Tote  und  Verwundete,  und 
mehr  als  von  ihnen  gesund  geblieben  waren,  fielen  in-  Gefangenschaft. 
Der  einzige  Erfolg  dieser  Schlacht  war  der,  dass  sie  Driesen  im  Besitz 
behielten. 

In  diesem  Geschichtswerk  steht  „Flecken  Drczen",  und  dies  ist  der 
polnische  Name  Driesens,  welcher  auf  deutsch  „Kern",  das  Innere,  das 
Herz  oder  Mark  vom  Nadelholz,  im  Gegensatz  zum  Splind  oder  Spund, 
bedeutet. 

Nach  anderen  Urkunden  ist  der  Name  Driesens  auch  „Dresn", 
„Dresno",  „Drizen",  „Drysdenu,  „Dreisen"  und  „Pass  Drisen"  ge- 
schrieben, soll  auch  vor  dem  elften  Jahrhundert  „Ossnia"  und  „Ossinia" 
geheissen  haben.    Allo  diese  Namen  deuten  einen  alten  Ursprung  an. 

Nach  der  vorangeführten  Schlacht  wurden  die  Polen  von  den 
Pommern  noch  wiederholt  angegriffen,  aber  im  Jahre  1100  vom  Könige 
Boleslaw  zurückgeschlagen.  Der  Pommernherzog  Suantipolk  I.  verlor 
hier  mit  den  ihm  verbündeten  Preusseu  im  Jahre  IIIS  und  1118  noch 
zwei  Schlachten  gegen  die  Polen  und  wurde  in  der  letztgenannten  ge- 
fangen genommen  und  nach  Nakel  gebracht,  wo  er  1120  starb.  Um  die 
Mitte  des  V.\.  Jahrhunderts  bildet  die  Burg  Driesen  nebst  Zantoch  den 
Mittelpunkt  des  Kampfes  zwischen  den  Polen  und  Pommern,  und  als 
1250  Premisl  von  Grosspolen  seinen  Bruder  Boleslaw  gefangen  ge- 
nommen hatte,  benutzte  Herzog  Barnim  I.  von  Stettin  diesen  Zwist 
seiner  Feinde,  eroberte  Zantoch  und  im  nächsten  Jahre  auch  die  Burg 
Driesen,  deren  Besatzung  er  nachts  überrumpelte.  Doch  schon  nach 
wenigen  Wochen  gelang  es  Premisl,  Driesen  wiederzugewinnen. 

Um  diese  Zeit  hatten  die  brandenburgischen  Markgrafen  Johann  I. 
und  Otto  III.  ihre  Herrschaft  über  die  Oder  hinaus  auf  verschiedene 
Gebiete  der  jetzigen  Neumark  ausgedehnt,  und  einer  der  Söhne  Johanns, 
Konrad,  welcher  sich  mit  Konstanze,  der  Tochter  des  schon  erwähnten 
Polenherzogs  Premisl  vermählt  hatte,  erhielt  als  Mitgift  die  Kastellanei 
Zantoch.  Um  diesen  Besitz  kam  es  jedoch  nach  Preraisl's  Tode  zwischen 
Konrad  und  Boleslaw  zu  mancherlei  Streitigkeiten,  die  schliesslich  1266 
dadurch  beigelegt  wurden,  dass  man  die  Burgen  Zantoch  und  Driesen 


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Geschichte  der  Stadt  Priesen. 


3 


schleifte.  Im  Jahre  1260  teilten  die  ältere  und  jüngere  Linie  der  As- 
kanier  ihre  Besitzungen  untereinander  und  dabei  fiel  die  terra  Landsberg 
an  die  jüngere,  so  dass  nun  Boleslaw  von  Polen  es  nicht  mehr  mit 
Konrad,  dem  Gemahl  seiner  Nichte  Konstanze,  sondern  mit  Otto ~  dem 
Langen  zu  thun  hatte.  So  brachen  die  Streitigkeiten  von  neuem  aus. 
Otto  baute  1270  die  Burg  Zantoch  und  Boleslaw  Driesen  wieder  auf; 
bald  nachher  eroberte  Otto  auch  Driesen  uud  war  so  im  Besitze  beider 
vielumstrittener  Burgen,  allein  der  Besitz  war  uoch  nicht  ein  dauernder. 

Im  Jahre  1271  unternahm  Boleslaw  einen  verheerenden  Plünderungs- 
zug durch  die  Neumark,  und  im  folgenden  Jahre  that  sein  Neffe  Premisl  II. 
dasselbe,  wobei  er,  obgleich  erst  10  Jahre  alt,  seinen  Oheim  au  Grau- 
samkeiten noch  übertraf.  Bei  seinem  Ilerannahon  kapitulierte  auch  die 
Besatzung  der  Burg  Driesen  gegen  freien  Abzug. 

Nun  blieb  Driesen  ein  polnisches  Kastell,  bis  es  1296  Otto  IV.  für 
kurze  Zeit  wieder  eroberte;  allein  bereits  im  Jahre  1309  setzten  sich 
die  Polen  wieder  in  Driesen  fest  und  gaben  den  Besitz  erst  im  Jahre 
1315  wieder  auf. 

Am  Maria  Lichtmesstage,  den  2.  Februar  1317,  belehnte  Markgraf 
Waldemar  zu  Liebeuwalde  die  ehrbaren  Ritter  Heinrich  und  Burkhard 
von  der  Osten,  für  2000  Mark  braudenburgischen  Silbers,  mit  Haus  und 
Stadt  Driesen,  mit  den  vorhandenen  und  noch  zu  bauenden  Mühlen, 
mit  dem  Land-  und  Wasserzoll,  mit  der  Heide  und  den  Dörfern  auf 
der  polnischen  Seite,  mit  der  Heide  auf  der  deutschen  Seite,  welche  die 
Berge  zu  Driesen  geheisseu,  mit  dem  obersten  und  niedersten  Gericht, 
mit  allen  Beden,  Diensten  und  Wagendiensten  uud  mit  den  Kirehen- 
lehnen.  Die  Grenzen  des  Schlossgebiets  Driesen  gingen  von  Gottschimm 
nach  Carbe,  von  da  bis  zum  Fliesse  zu  der  Czuchen  —  hei  Schlanow 
und  Mehrenthiu  —  von  da  die  neide  hinauf  bis  zur  Drage  und  von  der 
Drage  abwärts  bis  an  die  Netze;  von  der  Netze  aber  wieder  bis  zu 
Gottsclümm  hin.  In  einem  am  31.  Juli  1333,  am  Sonnabend  nach  Jakobi, 
auf  2  Jahre  geschlossenen  Bündnis  verpflichten  sich  König  Kasimir  von 
Polen  die  Seinigen  während  dieser  Zeit  von  Befehdung  des  inarkgräf- 
lichen  Gebiets  abzuhalten,  und  diejenigen,  welche  gleichwohl  heimlich 
oder  offen  Schaden  verübt  hätten  oder  Streit  vorgenommen  hätten,  zu 
nötigen,  nach  polnischem  Recht  vor  des  Markgrafen  Vogt  in  der  Burg 
zu  Driesen  über  sich  entscheiden  zu  lassen.  Die  Burg  Driesen  ver- 
walteten zu  dieser  Zeit  die  Brüder  Betkin  und  Arnold  von  der  Osten 
und  ihre  Veste  war  in  den  Kriegen  mit  den  Polen  stets  der  Markgrafen 
bester  Halt  gewesen,  deshalb  hatte  der  Markgraf  Ludwig  auch  schon 
durch  die  Urkunde  von  Zedenik,  dein  Tage  der  heiligen  Agnes,  den 
21.  Januar  1330,  dein  älteren  von  der  Osten,  Betkin,  und  seinem  Bruder 
und  Oheimen  zur  Verbesserung  der  Wege  und  Dämme,  die  zum  Schlosse 
Driesen  führten,  mit  50  Mark  brandenburgischem  Silber  aus  der  Urbede  • 

1* 

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4 


Adolf  Recklinj?: 


der  Stadt  Friedeberg  belehnt.  Es  war  dies  nur  geschehen,  damit  die 
von  der  Ostens  Driesen  und  seinen  Kriegern  offen  halten  sollten,  und 
um  dies  zu  belohnen,  verlieh  er  1334  Berthold  und  Arnold  von  der  Osten 
erblieh  40  braudenburgiscbe  Pfennige  jährliche  Hebung  aus  den  Abgaben 
von  Friedeberg  unter  der  Bedingung,  ihm  und  seinen  Nachkommen  mit 
der  Burg-,  Schloss-  und  Stadt  Driesen  gegen  Jedermann  und  so  oft  es 
nötig,  mit  allen  den  Ihrigen  gehorsam  zu  sein. 

Für  die  Dienste,  welche  Betkin  von  der  Osten  dem  Markgrafen 
Ludwig  geleistet,  gab  ihm  dieser  und  allen  Bürgern  zu  Driesen,  welche 
daselbst  ein  eigenes  Haus  und  einen  festen  Wohnsitz  hatten,  die  Freiheit, 
die  Netze,  Warthe  und  Oder  stromaufwärts  und  abwärts  bis  Zantocli, 
Landsberg,  Cüstrin  und  Schwedt  mit  jeglicher  Ware,  wie  Getreide,  Mehl, 
Malz,  Tuch,  Heriugen,  Asche,  Kupfer,  Eisen  und  Salz  zu  befahren. 
Ferner  erhielt  Betkin  von  der  Osten  am  14.  Dezember  1351  die  Stadt 
und  Schloss  Tankow,  welches  so  lauge  Henning  von  Wenden  gehabt, 
mit  allem  Zubehör  zum  ewigen  Besitz.  Diese  Ewigkeit  dauerte  aber 
kaum  ein  Vierteljahr,  da  Schloss  und  Stadt  Tankow  bereits  am  2.  April 
1352  wieder  an  den  Frankfurter  Bürger  Lange  Bruno  Goldschmidt  kam 
und  Betkin  anderweit  abgefunden  wurde;  er  erhielt  am  22.  Juni  1353 
für  6(i  Pfund  leichter  Pfennige  die  Bede  von  Breitenstein  verschrieben, 
nachdem  er  am  Tage  vorher  12  Stücke  Geldhede  in  Beyersdorf,  und 
wenn  solche  hier  nicht  voll  zu  erheben,  zum  übrigen  Teil  von  Lorenz- 
dorf verliehen  erhalten  hatte;  dagegen  hatte  Betkin  von  der  Osten  die 
Bede  von  Büssow  wieder  frei  gegeben. 

Die  von  der  Ostens,  die  sonst  so  treuen  Anhänger  der  bayrischen 
Markgrafen,  hatten  sich  nach  Betkins  Tode  vom  Markgrafen  Otto  ab- 
gewendet, und  Dobrigast  und  seine  Brüder  Arnold,  Ulrich  und  Barthold 
von  der  Osten  waren  am  22.  Juli  1305  wegen  ihrer  Schlösser  Driesen 
und  Zantoch  zum  Könige  Kasimir  von  Polen  in  ein  Lehnsverhältnis  ge- 
treten. 

Am  2U.  August  1372  kam  es  in  Arnswalde  zwischen  ihnen  wieder 
zu  einem  Vergleich,  und  Markgraf  Otto  nahm  sie  unter  der  Bedingung 
wieder  in  seine  Dienste,  dass  sie  ihm  ihr  Schloss  Driesen  in  allen  Nöten 
offen  zu  halten  und  damit  gegen  jeden,  ausgenommen  den  König  Ludwig 
von  Polen  und  Ungarn,  zu  dienen  hätten.  Zugleich  aber  erkannte  der 
Markgraf  an,  dass  er  ihnen  Ü00  Mark  brandenburgisch  Silber  schulde 
und  sich  verpflichte,  diese  ihnen  in  verschiedeneu  Fristen  zurückzuzahlen. 

Markgrat  Sigismund  von  Brandenburg  bestätigte  am  31.  August  1382 
Arend  und  Ulrich  von  der  Osten,  Herren  zu  Driesen,  alle  ihre  Besitzungen; 
der  letztere  war  ein  tapferer  Ritter,  der  Proben  davon  in  Polen  wieder- 
holt gezeigt  hatte. 

König  Sigismund  von  Ungarn  hatte  von  Pressburg  aus  am  29.  Sep- 
•  tember  1402  die  Neumark  rechts  der  Oder  dem  deutschen  Ritterorden 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen.  5 

überwiesen,  aber  grosse  Sorgen  entstanden  diesem  daraus,  vorzugsweise 
wegen  Driesens,  welches  ihm  überaus  verhängnisvoll  werden  sollte. 
König  Wladislaw  von  Polen,  welcher  dem  deutschen  Ritterorden  schon 
von  früher  feindlich  gesinnt  war,  nahm  Driesen,  als  zu  seinem  Reich 
gehörig,  in  Anspruch,  und  dieser  Streit  entzweite  beide  immer  mehr, 
sodass  er  zuletzt  zu  dem  Vernichtungskampfe  des  Ordens  führte.  Ulrich 
von  der  Osten  hatte  Driesen  dem  Orden  verpfändet  und  zur  Besatzung 
eingeräumt.  Die  Polen  verlangten  aber  den  nördlich  der  Burg  Driesen 
gelegenen  Graben,  den  sogenannten  Berminik,  den  sie  als  Netze  bezeich- 
neten, als  Grenze,  während  der  Vogt  Balduin  von  Stahl  dem  Hochmeister 
am  5.  Januar  1404  berichtet  —  „was  die  Polen  Netze  nennen,  sei  nur 
ein  Graben  nördlich  von  der  auf  einer  Insel  gelegenen  Veste  Driesen, 
ein  Viertel  Weges  lang,  der  auf  dieser  Seite  des  Hauses  Driesen  gegen 
die  Neumark  zuginge;  wenn  dieser  Graben  die  Netze  bilden  solle,  so 
wollen  die  Polen  auch  die  Stadt  und  sonach  auch  das  Haus  Driesen 
haben." 

Die  Stadt  Driesen  war  aber  wegen  der  Ansprüche  der  Polen 
gleichfalls  in  Angst,  und  Richter  und  Rat  wandten  sich  am  8.  März 
14U4  an  den  Hochmeister  mit  der  Bitte,  ihnen  zur  Wiederherstellung  eines 
Burgfriedens  (Plankenzaunes)  zu  Hülfe  zu  kommen,  da  der  frühere  im 
ersten  Kriege  abgebrannt  sei,  sie  wollten  dafür  auch  zur  Sicherung  des 
Schlosses  beitragen.    Sie  wären  zu  arm,  es  selbst  zu  thun. 

Die  darüber  ausgestellte  Urkunde  lautet  wie  folgt: 

„Unsern  willigen  vndertanigen  Steden  pflegen  dinst.  Ersamer  vnd 
grosmechtiger  gnediger  Herre,  wir  bitten  euwer  Ersamen  genade  geruchen 
czu  wissen  vmme  die  Schelunge,  die  polen  habin  weder  vnser n  Heren 
czu  Drysin,  die  senden  wir  euwer  Ersamen  gnade  vorschrebin  van 
artikeln  czu  stucken  In  vnserm  vorsegelden  geslossen  bryfe.  Alz  waz 
vns  dar  an  wissenlichin,  so  daz  thun  wir  euwern  Ersamen  gnaden  offen- 
bar, als  euwer  genade  wol  voruemen  wert.  Ouch  erwird iger  genediger 
Herre,  So  bitte  wir  euwer  genaden  vmme  hultfe  vnde  genade,  czu  bu- 
wende  eynen  bergfrede,  die  vnser  affgebrant  wart  In  dem  Irsten  krige, 
wen  wir  gerne  euwer  Schlos  vnd  Stad  besseren  wolden;  wen  wir  sint 
zo  arm,  daz  wir  nicht  gethun  mögen,  sunder  euwer  hulffe  und  rad  vnd 
genode  vnd  genediger  Herre  denket  vor  vns  armen  lüde.  Gegeben  vnder 
vnser  Stad  Secret.  Im  Irsten  Sonabende  In  der  fasten. 

Richter  vnd  Rad  euwer  Stad  Drysin. 

Dem  Erwirdigen  vnd  grosmechtigen 

Herrn  Homeister  zu  Pruczen  Dutsches 

ordens,  erem  genedigen  Herrn, 

mit  ganezer  Krsamkeit." 
(Aus  dem  Königlichen  Geh.  Archive  in  Königsberg  i.  Pr.  ohne  Jahreszahl. ) 


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Adolf  Reckling: 


Ohne  sich  jedoch  auf  die  Grenzfrage  näher  einzulassen,  erklärte 
darauf  der  König  von  Polen  Ulrich  v.  d.  Osten  für  seinen  Vasallen,  und 
wollte  ihn  vor  sein  Gerieht  ziehen.  Als  sich  nun  dem  der  Hochmeister 
widersetzte,  kamen  der  Vogt  Balduin  Stahl  und  der  Hauptmann  von 
Grosspolen  Thomiko  Podczesse  in  Driesen  am  10.  September  1404  dahin 
überein,  dass  je  vier  Räte  des  Königs  und  des  Hochmeisters  am  Nicolai- 
tage zusammenkommen  und  nach  den  beigebrachten  Urkunden  den 
folgenden  Beschluss  fassen  sollten  über  den  Streit  wegen  Driesen: 
„Hier  vff  sal  man  sich  beroten. 
Czum  ersten,  das  man  gedenke,  wie  man  beweisse  das  Herr  Ulrich 
von  der  Ost  sey  gewest  eyn  rechter  erbe  und  nachkomling  der  Hern 
Heynrichs  vnd  Burkards  von  der  Oest. 

Item  das  her  das  Hws  Dryszen  mit  syner  czubehorunge  Jenehalben 
vnd  dessehalben  der  Netze  sam  eyn  rechter  erbe  noch  der  egedochten 
beider  tode  dirfolget  hat. 

Item  das  her  also  besessen  hat. 

Item  das  der  Homeister  vnd  orden  das  mit  syner  czubehorunge 
gekouft  hat 

Item  das  her  is  noch  dem  kouffe  besessen  hat. 

Item  das  kein  mitteler  besitczer  do  czwuschen  besessen  hat. 

Item  das  man  das  obengeschreben  mit  altgloubigen  wirdigen  ge- 
czugen  möge  beweisen,  Ap  sy  ouch  Heru  Ulrichs  frunde  gar  nahe  seyn. 

Item  so  wolde  man  den  koufbriff  abir  Drissen  nicht  czur  Stelle 
vorbrengen  durch  Sache,  die  vorgoben  die  Sendeboten,  die  czu  Littouwen 
woren. 

Item  das  der  Procurator  desser  Sache  eyne  etliche  tage  in  der 
Marke  were  in  einer  bequemen  Jegend,  do  desser  Sachen  geczuge  by 
dem  voithe  weren,  das  mau  sie  vorhorte  vnd  anrichte,  was  nutczlichen 
were.u    (Riedel,  cod.  Band  18  S.  31f>.) 

Der  König  schien  sich  jedoch  hieraus  keinen  günstigen  Erfolg  zu  ver- 
sprechen, und  unterliess  es,  seine  Räte  zu  dem  Termin  zu  entsenden, 
daher  einigten  sich  Ulrich  von  der  Osten  und  der  Hochmeister  dabin, 
dass  der  Orden  das  Schloss  Driesen  noch  ein  Jahr  behalten  und  schützen, 
Ulrich  dafür  Lippehne  übernehmen  und  wegen  des  Verkaufs  von  Driesen 
in  dieser  Zeit  das  weitere  verhandelt  werden  sollte.  Die  darüber 
zu  Marienburg  am  ;J0.  September  1405  ausgestellte  Urkunde  lautet 
folgendennassen : 

„Ich  Virich  von  Oest,  Ritther,  Herre  czu  Drysden,  Bekennen  in 
dessem  offenem  briefe  Allen,  die  en  seilen,  hören  adir  lezeu,  das  Ich  von 
gutem  willen  mit  Rathe  vnd  volbort  ineyner  freunde  dem  Erwirdigen 
geistlichen  Herren,  Herrn  Conradt  von  Jungingen,  Homeister  deutczes 
Ordens,  vnd  seyine  ganczen  Orden  meyn  Hues  Drysden  mit  allen  nutczen 
vnd  czugehorungen,  als  molen,  wassern,  Fischereyen,  Czollen,  Heyden, 


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Geschichte  der  Stadt  Driosen. 


7 


Bwthen  vnd  allen  andern  genyssen  czu  getrouwer  hant  gesatezt  vnd 
yngegeben  habe,  dasselbe  czu  halden  vnd  czu  beschirmen  vff  eyn  gancz 
Jar,  von  der  gebunge  deses  briefes  zu  rechen,  usgenomen  alleyne  die 
czynse  ynn  der  Nuwen  Marke  die  czu  Drvsden  gehören,  die  Ich  czu 
meyner  behuff  will  behalden.  Do  kegen  hat  mir  der  vorgenannte  Elerre 
Homeister  die  Stadt  Lyppeyn  yngegeben  mit  alle  lrem  czugehoren,  als 
her  sie  hat  gehabt,  dieselbe  czu  halden  vnd  der  czu  gebruchen  eyn 
gancz  yor  von  der  gebunge  deses  briefes,  vnd  bynnen  desem  yore  sullen 
czwene  Gebittiger  des  Ordens,  die  der  Homeister  doczu  schicket,  vnd 
czwene  meiner  frunde  czu  sampne  vorsuchen,  ap  sie  vmb  Drvsden  eyns 
mögen  werden,  das  is  der  Herre  Homeister  vnd  der  Orden  yn  kaufes 
weyze  czu  In  nemen  vnd  mir  gnuk  dor  vorthun.  Können  sie  adir  vnd 
ireinandir  nicht  eyns  werden,  So  soll  der  Herre  Homeister  uud  der 
Orden  mir  adir  meynen  Erben  Drysden  wedir  entwerten  nach  dissem 
yore,  Also  doch,  das  Ich  adir  meyne  Erben  dem  Orden  solche  gewishcit 
thun  sullen  czu  der  czeit,  zo  vns  Drysden  geentwert  wird,  das  wir  czur 
Nuwen  Marke  halden  wellen,  und  auch  gleychewol  czu  der  selben  czeit 
die  Stadt  Lyppeyn  dem  Herren  Homeister  und  syme  Orden  wedir  ant- 
worten, das  ich  glaube  czu  thun  mit  desem  briefe,  ane  gefeer  vnd  argelist 
bey  guten  truwen.  Vnd  ap  dem  Herren  Homeister  vnd  den  seynen 
bynnen  desem  yore  das  Hus  Drysden  mit  gewalt  abgewonnen  adir  lichte 
mit  vorretnisse  entfremdet  wurde,  das  got  nicht  enwelle,  So  sal  der 
Herre  Homeister  vnd  seyn  Orden  von  mir  vnd  meynen  Erben  keynerley 
manunge  dorumb  lyden,  Noch  keynen  schaden  dorvor  offriehten,  vnd 
geloube  bey  guten  truwen  vor  mich  vnd  meyne  Erben,  die  Stad  Lyppeyn 
gleichewol  noch  desem  Jore  dem  Orden  wedir  czu  antwcrten  ane  alle 
widersprocbe,  So  verre  ap  sie  mir  nicht  mit  gewalt  genommen  wirt 
adir  mit  vorretnisse  leichte  empfrendet,  vnd  ap  das  geschege,  das  Got 
nicht  engebe,  So  sal  Ich  vnd  meyne  Erben  von  dem  Herrn  Homeister 
vnd  dem  Orden  ewiclichen  ungeraanet  dorumb  bleiben,  Noch  keyneu 
schaden  douor  offrichten.  Vortmerczo  bekenne  Ich  Ulrich  mit  desim 
briefe,  das  mir  der  Erwirdige  Herre  Homeister  obengenannt  frundlich 
gelegen  hat  Dreyzenhundert  schog  groschen  Behcmischer  Muncze  off 
meyne  guttere  vnd  czinse,  die  Ich  bynnen  der  Nuwen  Marke  habe,  die 
Ich  czu  gnuge  vnd  genczlich  von  Im  empfangen  habe  off  den  Hwse 
Marieuburg,  vnd  gelowbe  bey  guten  truwen  ane  gefeer  vnd  ane  alle 
arglist  vnd  ane  eydes  stat  vor  mich  vnd  meyne  Erben,  die  dreyczen- 
hundert  schog  an  gleicher  Moncze  vnd  wirde  dem  Herren  Homeister 
und  dem  Orden  wedir  czu  beczalen  ane  alle  Ilulfterede  vnd  nuwe  vnde 
bynnen  eylff  Joren  nechst  volgende,  Also  das  wir  die  erste  beczalunge 
thun  sullen  von  der  gebunge  deses  briefes  obir  eyn  Jor  und  sullen 
hundert  vnd  czwenzig  schog  grosschen  geben  vnd  dornach  alle  Jor 
hundert  vnd  czwenczig  schog  grosschen,  bys  wir  die  Dreyczenhuudert 


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Adolf  Recktinj? 


schog  grosschen  gancz  vnd  gar  beczalen.  Vnd  ap  Ich  adir  meyne  Erben 
die  beczalunge,  als  vorgesehreben  ist,  nicht  thun  worden,  So  sal  sich 
der  Herre  Houieister  vnd  der  Orden  Jres  geldes  dir  holen  an  meynen 
guttern  vnd  czinsen,  die  Ich  in  der  Newen  Marke  habe.  Geseheges 
abir,  das  des  Ordens  czwene  Gebittiger  und  czwene  meyner  frunde  vmb 
das  Hues  Drysden  eynen  kouf  machten,  als  oben  berurt  ist,  So  sal  man 
die  dreyczenhundirt  schog  grosschen  abeflan  an  der  summen  des  selben 
koufes.  Czu  merer  Sicherheit  vnd  geezugnisse  defir  vorgeschreben  dinge 
habe  Ich  Virich  vorgenaut  meyn  Jngesegil  von  rechten  willen  an  desen 
brieff  lassen  hengen,  Der  gegeben  ist  off  dem  Hwsse  Marienburg,  an  der 
liebsten  Mittewochen  vor  Sinte  Michaelis  tage,  Nach  Christi  geburt  vir- 
czenhundirt  vnd  fünft'  Jor. 

Der  Orden  hatte  sich  dadurch  Driesen,  die  bedeutendste  Veste  zu 
jener  Zeit,  gesichert,  doch  im  Lande  der  Neumark  war  man  damit  nicht 
zufrieden.  Die  Mannen  und  Städte  lehnten  sich  dagegen  auf,  und  über 
die  von  dem  Vogt  geforderten  Beden  und  Beiträge  zur  Versorgung  des 
Schlosses  Driesen  kam  es  zu  verschiedenen  Erörterungen. 

Dies  gab  dem  König  von  Polen  Veranlassung,  Driesen  durch  einen 
Handstreich  in  seine  Gewalt  zu  bekommen,  und  im  März  1406  warf 
sich  ein  von  polnischen  Edelleuten  geführter  Heereszug  gegen  das  Schloss. 
Die  Besatzung  schlug  jedoch  den  Augriff  ab.  Dies  heimtückische  Be- 
nehmen erzürnte  die  Mannen  und  die  Städte  der  Neumark,  sie  wandten 
sich  infolgedessen  am  30.  August  1406  an  den  König  Sigismund  von 
Ungarn  und  baten  ihn,  dafür  einzutreten,  dass  Driesen  bei  der  Neumark 
verbleibe.  Ebenso  richtete  Ulrich  von  der  Osten  von  Arnswalde  aus 
am  8.  September  1406  eine  gleiche  Bitte  au  den  König  Sigismund.  Die 
schlechte  Vermögenslage  Ulrich  von  der  Ostens  brachte  ihn  dahin,  dass 
er  mit  Zustimmung  seiner  Gemahlin  Katharina  von  Wartenberg,  seines 
Sohnes  Hans  und  seines  Vetters  Hans  von  der  Oest,  das  Haus  und  Stadt 
Driesen,  mit  den  dazu  gehörenden  Dörfern,  Mannen,  Lehnen,  Mühlen 
und  anderen  Einkünften  dem  Orden  für  7750  Schock  böhmische  Groschen 
verkaufte. 

Der  König  von  Polen  war  aber  damit  nicht  einverstanden  und 
rüstete  heimlich  gegen  den  Orden.  Da  dieser  endlich  einsah,  dass  der 
Frieden  nicht  mehr  aufrecht  zu  erhalten  sei,  sagte  sich  der  Hochmeister 
offen  am  6.  August  14011  von  Polen  los  und  Hess  durch  den  Vogt  der 
Neumark  deren  Vasallen  zum  Schutz-  und  Trutzbündnis  aufbieten  mit 
der  Weisung,  am  23.  Juli  1409  mit  Spiessen,  Wagen  und  Pferden  in 
Friedeberg  sich  zu  sammeln.  Zur  stärkeren  Besatzung  des  Schlosses 
Driesen  wurden  Mannschaften  aus  Woldenberg  und  Friede- 
berg herbeigeholt,  zugleich  aber  von  den  festen  Schlössern  zu  Wolden- 
berg und  Landsberg  die  polnischen  Grenzbezirke  geplündert  und  mit 
Brandstiftungen  heimgesucht.  Weder  der  Orden  noch  die  Polen  errangen 


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Geschichte  der  Stadt  Priesen. 


9 


in  dem  um  Driesen  begonnenen  Kriege  besondere  Vorteile ,  deshalb 
schlössen  sie  am  8.  Oktober  1409  bereits  einen  Waffenstillstand,  wobei 
sie  übereinkamen,  dass  der  König  Wenzislaus  von  Böhmen  die  gegen- 
seitigen Beschwerden  schlichten  sollte.  Dieser  gab  nun  hierauf  um  Mit- 
fasten 1410  den  Schiedsrichterspruch  dahin  ab,  dass  Polen  nicht  nur 
Sameiten,  sondern  auch  das  zur  Neumark  gehörige  „Driesen"  an  den 
Orden  abzutreten  habe. 

Dieser  Entscheidung  fügte  man  sich  aber  polnischerseits  nicht, 
obgleich  der  König  von  Böhmen  die  Erklärung  abgegeben,  dass  er  dann 
dem  Orden  thätigen  Beistand  leisten  würde.  Jedoch  der  Krieg  begann 
von  neuem,  und  in  der  Schlacht  von  Tannenberg  am  15.  Juli  1410 
wurde  der  Orden  fast  gänzlich  vernichtet.  Unter  den  Toten  in  dieser 
Schlacht  befand  sich  auch  der  tapfere  Hochmeister  Ulrich  von  Jungingen. 
An  seiner  Stelle  bestieg  am  9.  November  1410  den  Hochmeisterstuhl  der 
edle  Graf  von  Plauen,  welcher  noch  einige  zweifelhafte  Treffen  lieferte, 
bis  am  1.  Februar  1411  zu  Thorn  der  Frieden  definitiv  abgeschlossen 
wurde. 

In  den  Friedensbedingungen  hiess  es: 

„8.  Der  Streit  wegen  Driesen  und  Zantoch  solle  durch  Schieds- 
richter entschieden  werden,  und  wenn  sich  solche  nicht  vergleichen 
könnten,  solle  der  Papst  darüber  den  Ausspruch  thun." 

Am  8.  Juli  1411  hatte  König  Sigismund  von  Ungarn,  der  unter- 
dessen römischer  Kaiser  geworden,  den  Burggrafen  Friedrich  VI.  von 
Nürnberg  zum  obersten  Hauptmann  der  Mark  Brandenburg  berufen,  ihm 
diese  verpfändet  und  am  30.  April  1415  für  400  000  Gulden  mit  der 
Kurfürsten-  und  Markgrafenwürde  verkauft.  Als  erster  Hohenzoller 
übernahm  er  als  Friedrich  I.,  Kurfürst  von  Brandenburg,  die  Regierung 
und  mit  fester  Hand  und  frommem  Sinn  brachte  er  in  das  ihm  anver- 
traute Land  wieder  Frieden  und  Ordnuug.  Nach  der  Niederlage  des 
Ordens  hatte  dieser  alle  Ursache,  den  Frieden  aufrecht  zu  erhalten.  Die 
von  ihm  dem  König  von  Polen  versprochene  Summe  der  Kriegsent- 
schädigung sollte  zum  Teil  an  den  Kaiser  Sigismund  gezahlt  werden, 
und  hierbei  musste  noch  der  Orden  versprechen,  dass  die  Nenraark  und 
Driesen  dem  Kaiser  eingeräumt  werden  sollte,  falls  die  Gelder  zur 
rechten  Zeit  nicht  abgeliefert  würden.  Da  hier,  wo  der  Neuinark  gedacht 
ist,  auch  noch  ganz  ausdrücklich  „Driesen"  erwähnt  wird,  so  hat  man 
wohl  dadurch  alle  Missdeutungen  und  Zweifel,  wohin  Driesen  eigentlich 
gehören  soll,  begegnen  wollen. 

Der  Burggraf  von  Driesen,  Andreas  Langel,  übergab  dem  neuen 
Burggrafen  Nikolaus  Maxsen  die  Burg  nach  dem  nachstehend  inf  Originale 
aufgeführten  Verzeichnis  am  25.  März  1414: 

„Tn  der  Jorczal  cristi  M.  C.  C.  C.  C.  vnd  im  Xlin  den  Jore,  am 
Sunthage  Judica,  habe  ich  Andreas  Langel,  Burkgraue  czu  Drisen 


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to 


Adolf  Reckling: 


Rechenschaft  gethan  dem  Vogthe  der  Nuwenraarke  vnd  dem  Nuwen 
Burkgrauen  czu  Drisen,  Nicoiao  Maxsom,  vud  habe  in  dys  nochgeschreben 
geantwert,  Item  XXI  armbroste,  Item  XI  rucke  armbroste,  Item  II  tunnen 
vnde  I  Vas  mit  ptilen,  Item  V  spangortel,  Item  VIII  kropen,  Item  XXII 
Schilde,  Item  I  grose  steinbuchse  vnd  11  kleine,  Item  VII  lotbuchsen, 
Item  V  tunnen  Pulvers,  Item  IX  schock  lode,  Item  VI  Platen,  Item  III 
Isenhute,  Item  III  Panczer,  Item  II  schorcze,  Item  I  Kolner  ofme  fuller, 
Item  V  Winspel  vnde  III  scheffel  rocken,  Item  VIII  tunnen  meles,  Item 
XXIV  flicke  vleysch,  Item  XXXI  splisse  rintfleysch,  Item  XXX  splisse 
Swinen  wiltbret,  Item  XXXVIII  splisse  Hogwildbret,  Item  II  schok  kese, 
Item  I  tunne  Putter,  Item  III  scheffel  erweys,  Item  I  scheffel  grutcze, 
Item  I  scheffel  Heerse.  In  der  Küche  Item  I  gropen,  Item  VI  Kessele, 
Item  I  brotspis,  Item  I  morser,  Item  I  Kinpfanne,  Item  II  Schaben, 
Item  I  Vleyschbeil,  Item  I  roste,  Item  III  Kesselhokeu.  Im  Keller  Item 
II  tunne  metes,  Item  II  Drillink  birs,  Item  I  tunne  Honiges,  Item  II 
Stauden  Konent,  Item  II  stelene  Kannen,  Item  1  bruepfanne,  Item  II 
botenen,  Item  V  Stauden  Im  Vyehoue,  Item  XV  Kue,  Item  IUI  pferde, 
Item  IUI  oxsen,  Item  I  Bullen,  Item  I  schock  Swine,  Item  IUI  axsen, 
Item  I  biudaxse,  Item  I  suclaxse,  Item  II  borser,  Item  II  pflüge,  Item 

II  wagene,  Item  II  steinhamer,  Item  II  pussolt,  Item  IV  picken,  Item 

III  vullehamer,  Item  I  Kalkspis,  Item  I  Wendehaken,  Item  IIII  tunnen 
salczes,  Item  LX  scheffel  Hoppen,  Item  HI  Iserne  Stangen,  Item  I  Ornat 
czur  messe  vnde  I  Kelch,  Item  XI  reegarn,  Item  I  Holczsage,  Item 
I  tunne  vnslit.    (Aus  dem  Königlichen  Archive  in  Königsberg  i.  Pr.) 

Unterm  27.  Januar  1426  erteilt  der  Hochmeister  dem  Vogt  der 
Neuraark  den  Befehl,  den  Burggrafen  von  Driesen  seines  Amtes  zu  ent- 
heben, da  sich  die  Polen  über  ihn  beschwert  hatten,  aber  unterm 
29.  April  berichtete  der  Vogt  zurück,  dass  sich  der  Burggraf  von  der 
gegen  ihn  erhobenen  Beschuldigung  gereinigt  und  er  ihn  im  Amte  be- 
lassen habe. 

Am  Sonntag  den  12.  Juli  1429  einigte  sicli  der  Orden  mit  dem 
König  von  Polen  über  die  Grenze  der  Neumark  und  namentlich  wegen 
Drieseus.  Die  Mitte  der  Netze  sollte  die  Grenzscheide  bilden,  von  ober- 
halb des  Hauses  Driesen  an  der  polnischen  Seite  bis  niederwärts,  wo 
das  Land  des  Markgrafen  von  Brandenburg  angeht,  wo  die  Netze  bei 
Zantoch  in  die  Warthe  mündet,  und  die  Polen  innerhalb  der  alten 
Grenzen  keine  Gebäude  errichten  durften,  welche  dem  Hause  Driesen 
Schaden  bringen  könnten.  Die  Fischerei  auf  der  Netze  sollte  dem  Orden 
verbleiben,  sowie  der  Zoll  der  Brücke,  die  zum  Schlosse  von  Driesen 
gehörte  und  von  diesem  zu  unterhalten  war;  auch  sollte  das  Haus  und 
die  Stadt  Driesen  und  deren  Einwohner  zu  ewigen  Zeiten  die  Viehtrift 
innerhalb  und  binnen  der  gedachten  Grenze  behalten;  ferner  freies  Holz 
zu  Bauten,  Brunnen  und  aller  Notdurft,  wie  vorher,  und  die  alte  Be- 


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Geschichte  der  Stadt  Drieaen. 


11 


rechtigung,  Steine,  Kalk,  Lehm  und  was  sonst  nützliches  zu  finden,  zu 
graben  und  abzufahren.  Der  König  aber  sollte  zu  seinem  Reich  die 
Dörfer  auf  der  polnischen  Seite,  die  Seeen  und  Wildnisse  mit  der  halben 
Netze  behalten.    (Riedel,  Band  XVIII  S.  335  und  Treu  S.  113.) 

Am  19.  Juli  1429  meldet  der  Vogt  dem  Hofmeister,  dass  er  das 
Schloss  Driesen  in  einen  guten  wehrhaften  Zustand  gesetzt,  und  dürfte 
dies  die  Veranlassung  gewesen  sein,  dass  der  Frieden  einige  Jahre  er- 
halten blieb. 

Nach  einer  Urkunde  vom  22.  August  1430  ersucht  der  Komptur 
von  Schlochau  den  Hochmeister,  dafür  zu  sorgen,  dass  die  Kompture 
von  Danzig,  Mewe  und  Tuchel  ihre  Diener,  die  sie  nach  Driesen  senden 
müssen,  zu  gehöriger  Zeit  und  mit  dem  nötigen  Oelde  dahinsenden. 
Unterm  5.  August  1444  berichtet  der  Vogt  der  Neumark  dem  Hoch- 
meister, dass  er  den  Bau  des  Hauses  Driesen  nicht  übernehmen  könne, 
da  er  noch  mit  dem  Bau  des  Schlosses  Schievelbein  zu  thun  habe,  doch 
wäre  er  mit  dem  gesandten  Maurer  in  Driesen  gewesen,  der  erklärt  habe, 
dass  man  das  Schloss  stützen  müsse,  da  es  dann  im  Winter  über  noch 
stellen  würde,  aber  ein  Stück  Mauer  am  Thor  müsste  sofort  gemacht 
werden,  wozu  man  ihm  ICH)  Mark  preuss.  Silber  senden  möchte. 

Als  im  Jahre  1444  der  Orden  die  Neumark  wegen  eines  Darlehns 
an  den  Kurfürsten  Friedrich  II.  verpfändet  hatte  und  mit 
Polen  sich  wieder  im  Kriege  befand,  so  übertrug  er  die  Neu- 
mark zuerst  dem  Schutze  des  Kurfürsten  und  verkaufte  sie  ihm  unter 
Bodo  von  Erichshausen  für  100  000  Gulden  im  Jahre  1445.  Um  aber 
alle  Irrungen  wegen  Driesens  hierbei  vorzubeugen,  wurde  in  den  Ver- 
briefungen ausdrücklich  gesagt:  es  sei  die  Neumark  samt  Schloss  und 
Stadt  Schievelbein  und  Driesen  mit  allem  Zubehör  an  den  Kurfürsten 
Friedrich  und  seine  Nachfolger  verkauft.  Der  neue  Herrscher  durch- 
reiste die  ganze  Neumark  und  hinterliess  zu  Königsberg,  Landsberg, 
Vietz,  Friedeberg,  Cüstrin,  Lippehne,  Dramburg,  Schöntliess,  Woldeuberg 
und  anderen  Orten  Merkmale  seiner  Gnade,  auch  können  alle  Orte  Be- 
stätigungsbriefe ihrer  Gerechtssamen  von  diesem  Kurfürsten  aufweisen, 
während  Driesen  nicht  erwähnt  wird.  Es  scheint,  als  ob  Driesen  noch 
einige  Jahre  weiter  in  ein  Abhängigkeitsverhältnis  zu  dem  Orden  ge- 
blieben ist,  denn  der  Burggraf  daselbst  meldet  am  lo\  Mai  1450,  dass 
er  die  nötige  Besatzung  im  Schlosse  Driesen  nicht  mehr  halten  könne, 
da  der  Vogt  der  Neumark  ihm  sein  Einkommen  aus  Arnswaldc  ge- 
nommen habe.  Ferner  meldet  unterm  13.  Juli  1452  der  Vogt  der  Neu- 
mark dem  Hochmeister,  dass  er  mit  dein  Maurer  Mattis  zu  Driesen  die 
Mauern  besehen,  nach  dessen  Meinung  diese  noch  in  diesem  Jahre 
brechen  würden,  zugleich  habe  er  die  Befürchtung,  dass  die  Mauern  in 
den  Graben  fallen  und  ihn  zudämmen  werden.  Weiter  berichtet  der  Vogt 
den  25.  März  1453  dem  Hochmeister,  dass  er  die  schadhaften  Mauern 


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12 


Adolf  Reckling: 


Jim  Schlosse  zu  Driesen  an  einen  Maurer  verdinget  habe,  der  diese  ab- 
zubrechen und  wiederaufzubauen  hat,  sodass  sie  in  00  Jahren  nicht 
wieder  zu  bauen  sind,  und  dass  er  dafür  80  gute  Mark  zahlen  muss. 
Erst  am  12.  August  1455  verweist  die  nachstellende  Urkunde  die  in 
dem  Gebiete  des  Schlosses  Driesen  wohnenden  Vasallen  an  den  Kur- 
fürsten Friedrich : 

„Wir  Bruder  Ludwig  von  Erichshausen,  llomeister  Deutsches  Ordens, 
empitten  den  Gestrengen  vnd  Erbarn  vnsern  lieben  Getruwen  Rittern, 
Knechten  vnd  gemeiniglich  allen  Mannen  des  Gebites  vnsers  Hwses 
Driesen,  in  der  Neüwen  Marken  gelegen,  vnsern  Grus  vnd  alle  Gurte, 
vnd  lassen  euch  wissen,  das  wir  mit  vnsern  Gebittigern  vnd  Brüdern 
eintregtiglichen  czu  Rate  sein  gewurden,  das  wir  deme  hochgebornen 
Jrluchten  Fürsten  vnd  Grossmechtigen  Horn,  Herrn  Friderichen,  Marg- 
grafen czu  Brandenborg  etz.,  vnsern  gnedigen  Herren,  das  gnante  Sloss 
Drisen  mit  aller  seiner  Zubehorunge  wellen  inantworten  lassen,  das  in 
massen  alse  andere  Sloss  der  Neuwen  marken  inne  czuhalden.  Himmme 
verlassen  vnd  weisen  wir  euch  an  den  gnanten  unsern  gnedigen  Hern 
Marggrafen  czu  Brandenborgk  vnd  erfordern  vnd  befeien  euch  auch  mit 
ernster  begemnge,  das  ihr  deme  beruften  vnsern  gnedigen  Herren  Marg- 
grafen Holdigung  thut  etc.  —  Hergegeben  ist  uf  vnsern  Huse  Marien- 
borg, am  Dinstag  neest  vor  Assuraptionis  Maria,  im  viertzenhundertsten 
vnd  fümf  vnd  fünfzigsten  Jare.    (Nach  Orig.  im  Archiv  des  Staats.) 

Von  nun  an  hob  sich  der  Handel  und  Wohlstand  für  Driesen  und 
ebenso  in  den  Nachbarstädten,  allein  die  Sicherheit  auf  den  Landstrassen 
liess  noch  viel  zu  wünschen  übrig,  und  Raubanfalle  kamen  gerade  bei 
Driesen  oft  vor.  Kurfürst  Friedrich  II.  überträgt  am  6.  September  1460 
das  Schloss  Driesen  seinem  Rat  Heinrich  von  Bornstedt  und  macht  ihm 
hierbei  zur  Pflicht,  es  in  seinem  Namen  vom  Michaelistage  ab  sechs 
Jahre  ordnungsmässig  zu  verwalten  und  mit  getreuen  Wächtern  auf 
eigene  Kosten  zu  versehen.  Zugleich  aber  behält  sich  der  Kurfürst  in 
dem  Vertrage  vor,  ihn  gegen  seehsmonatliehe  Kündigung  und  ohne 
Widerrede  wieder  zu  lösen.  Die  Urkunde  ist  in  Cöln  an  der  Spree  aus- 
gestellt. Dieser  Heinrich  von  Bornstedt  wurde  später  auch  Vogt  der 
Neumark,  jedoch  folgte  ihm  bereits  in  beiden  Ämtern  einige  Jahre  später 
die  Familie  von  Sparr,  der  auch  die  Einnahmen  aus  den  Beden  von 
Friedeberg  und  Woldenberg  überwiesen  wurden,  als  Ersatz  für  die  Nach- 
jagd der  Feinde  und  Gefängnis. 

Hierauf  erhielten  d;is  Schloss  Driesen  der  Ritter  von  Barfuss  und 
am  16.  März  1485  der  Landvogt  der  Neumark  Christoph  von  Polens 
für  800  Rheinische  Gulden  verpfändet;  am  24.  September  1487  erklären 
sich  in  einem  Schreiben  die  Ritter  Hans,  Henning  und  Cone  von  Barfus 
wegen  der  Baukosten  für  befriedigt,  welche  sie  während  ihrer  Besitzzeit 
auf  Schloss  Driesen  verwandt  haben.    (Riedel,  Band  XVIII,  Seite  349.) 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


13 


Christoph  von  Polenz  starb  im  Jahre  1499,  und  am  20.  September 
desselben  Jahres  vergleichen  sich  Kurfürst  Joachim  und  Markgraf  Al- 
brecht mit  dessen  Wittwe  Elisabeth  geb.  Gräfin  von  Eberstein  wegen 
Auslösung  von  Schievelbeiu  uud  Driesen;  letztere  erhielt  100(3  Rheinische 
Gulden.  Noch  in  demselben  Jahre  kam  Driesen  an  Hans  von  Borke. 
Eine  Übersicht  im  Codex  Riedel,  Band  XY1II  giebt  in  der  nachstehenden 
Urkunde  vom  Jahre  1503  die  Bauten  an,  welche  Christoph  von  Polencz 
in  Driesen  ausgeführt  hat. 

„Item  ein  stuck  an  der  Ringk  muren  von  acht  unde  vngeferlich 
III  rude  hoch  vud  IUI  stein  dick.  Item  ein  Wonhwss  von  XV  gebint, 
die  eine  syte  des  hwses  leyt  vff  die  Riugmure  vnd  die  ander  syte  jn 
holzwerk  gemuret.  Item  im  Hwss  II  stubeti,  vber  der  einen  stuben 
I  capella  vnd  dry  kaminern  darneben,  I  Kuchen,  der  scharsteiu  steit  oft' 
holtz.  Item  ein  klein  backhwss  mit  einem  beclewet  scharstein.  Item 
neben  der  Kuchen  ein  tonn  gebessert  oben  mit  zweien  ge weihen.  Item 
ein  hwss  oben  dem  thor  von  X  gebint,  das  haben  die  Barfussen  gebawet 
vnd  stat  vft'  der  alten  Muren,  das  hat  der  Cristoff  in  der  Iloltzwerk 
gemuret  und  einfeldig  gedeckt.  Item  ein  Bora  im  Sloss  von  newe  vff 
geschortzt.  Item  vir  Zogbrucken,  einsteils  newe  gebawt,  auch  eiusteils 
gebessert.  Item  zwoy  verlorne  Zewne  vmb  das  Slos  von  eichen  Stachen. 
Item  dem  Graben  zu  Rewmen  vmb  das  Sloss.  Item  ein  Zaun  gemacht 
im  Slossgraben,  auch  ein  verlorn  Zaun.  Item  im  vor  Sloss  I  stall  als 
spikerwerck  gebawt,  X  gebint  mit  Zygel  vssgefluchten  und  mit  Zygel 
gedecket.  Item  dorneben  ein  thorhwss  von  III  gebinden.  Item  umb 
den  stall  und  Darhws  ein  graben  gemacht,  vngeferlich  XX  Rüden  langk 
vnd  einweudig  kegen  dem  Sloss  mit  Boln  vssgefuttert.  Item  ein  Tor- 
buden t wischen  beiden  graben  vnd  in  finf  gebinden  als  spikerwerck 
gebawet,  in  holtz  gemuret  vnd  mit  Zygel  gedeckt.  Item  im  Z wenger 
etlich  Flickwerck  an  etlichen  ortern  Zweier  stein  dick.  Item  als  die 
Ringmure  nedergefallen  ist,  sind  etliche  stein  in  den  groben  gefallen, 
sind  ausgebracht.  Item  im  Vorwerck  ein  korn  Hwss  von  VII  gebiuden 
geklewet  vnd  mit  Splete  gedecket.  Item  ein  Zygelschun  mit  einem 
ofen.  .  Item  das  Sloss  ein  wendig  gebrucket  mit  feltstein.  Item  vff 
solichen  gebew  haben  die  geschickten,  vnser  gnedigen  vnd  gnedigsten 
Herrn  Rethe,  als  neinlich  der  wildig  Er  Anthonius,  abt  zu  Marienwald, 
Jorg  »piast,  Hwsshalter,  Hans  Schonenbeek  vnd  Claus  Strutz,  von  der 
herschafft  wegen  der  frawen,  den  Kindern  vnd  irn  Vormunden,  als 
Mattis  Lubtitz,  V°-  gülden  vor  das  obgenannte  gebawte  zugegeben  ge- 
hotten vnd  sehen  das  dafür  an,  das  ess  vor  solich  gebewte  genug  sey 
mit  dem  vorrath  vnd  hulft",  so  her  Cristoff  seliger  von  dem  Lande  vnd 
vnsern  gnedigen  Herrn  gehabt  etc.  Item  vssage  meister  Vrbans,  des 
murmeisters,  ist  doselbs  gemuret  zu  Drisen:  Ein  stuck  mure,  Vin  rüden 
langk,  II  Rüden  hoch,  von  iglicher  rude  HI  gülden  vnd  costung  dartzu, 


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14 


Adolf  ReckliiiK: 


i 

I 


alle  virtzehn  tag  III  tonneu  bir.  Item  doselbs  sindt  zukomen  VII  ofeii' 
stein  mit  sampt  dem  torm,  in  itzlichen  ofeu  sind  DJ  thussen  stein  ge- 
wesen, davon  zu  brennen  gegeben  und  zu  streichen  von  iglichen  ofen 
VII  gülden  etc. 

Am  10.  Juli  1504  genehmigt  Kurfürst  Joachim  und  Markgraf  Albrecht, 
dass  Vifianz  von  Wedel  das  Schloss  Driesen  käuflich  erwirbt.  Im  Jahre 
vorher,  und  in  dem  Jahre  der  Übernahme  durch  von  Wedel,  waren  so 
trockene  Sommer  und  zugleich  so  heisse,  dass  das  Laub  an  den  Bäumen 
vertrocknete  und  die  Bäche  versiegten.  Hierdurch  kam  eine  Hungersnot, 
und  die  Pest  wütete  in  der  ganzen  Neumark  und  verschonte  auch  Driesen 
nicht.  Das  Jahr  1507  lieferte  dagegen  wieder  eine  so  reiche  Ernte,  dass 
die  Bestellung  der  Äcker  teurer  zu  stehen  kam,  als  die  Ernte  Ertrag 
brachte,  denn  der  Scheffel  Roggen  wurde  mit  21  Pfennigen,  der  Scheffel 
Gerste  mit  10  Pfennigen  und  der  Scheffel  Hafer  mit  11  Pfennigen  bezahlt. 

Nachdem  das  Schloss  Driesen  aus  dem  Wedeischen  Besitz  wieder 
gelöst  war,  nimmt  nach  einer  Urkunde,  ausgestellt  zu  Kölln  an  der 
Spree  am  Abend  Katharine  virginis,  den  24.  November  1514,  Kurfürst 
Joachim  Hans  Belliug  zum  Amtshauptmann  zu  Driesen  an.  Er  sollte 
nach  dem  Lehnsvertrage  die  dazu  gehörenden  Unterthanen,  Nutzuugen 
und  Gerechtigkeiten  als  Hauptmann  getreulich  verwesen,  das  Schloss 
in  gutem  Zustande  erhalten  und  zu  seinem  Stellvertreter  einen  glaub- 
haften und  verständigen  Edelmann  auf  seine  Kosten  annehmen,  diesen 
auch  mit  einem  Klepper,  10  Gulden  an  Wert,  versehen.  Ferner  wurde 
ihm  übertragen,  sich  zu  befleissigen,  den  Plackereien  und  Räubereien 
auf  den  Landstrassen  Einhalt  zu  thuu  und  dafür  zu  sorgen,  dass  der 
Kurfürst  mit  seinen  Nachbarn,  den  Polen,  in  Feindschaft  gerate.  Im 
Falle  der  Not  standen  ihm  4  gerüstete  Pferde  zu  Gebote,  wofür  ihm,  im 
Falle  des  Verlustes  für  sein  Leibpferd  50,  für  das  des  Knappen  41)  und 
für  je  eines  Knechtes  35  Gulden  vergütigt  werden  sollten.  An  barem 
Gelde  erhielt  der  Hauptmann  50  Gulden  und  Hofkleider  für  die  Be- 
satzung, sowie*  Nägel  und  Eisen  für  die  gerüsteten  Pferde  und  5  Wispel 
Hafer  jährlich  für  jedes  Pferd.  An  Einnahmen  wurden  ihm  ferner  über- 
wiesen das  Ackerwerk  zu  Driesen,  die  Mühlenpächte  von  den  Friede- 
berger und  Woldenberger  Mühlen  und  alles  Getreide,  das  an  das  Amt 
Driesen  entrichtet  werden  musste,  —  den  Heidehafer  ausgenommen. 
Ferner  hatte  er  die  Fischerei  und  Jagd  und  einen  baren  Zuschuss  von 
,'JO  Gulden,  um  den  Haushalt  desto  stattlicher  auszurüsten  und  121  Giddeu 
für  den  Amtsschreiber  und  Gesindelohn.  Dem  Amte  zu  Driesen  mussten 
auch  die  Bauern  zu  Trebitsch,  Gottschimm,  Beelitz  und  Kietz  bei  Driesen 
alljährlich  zu  Martini  je  eine  Mandel  Hechte  liefern.  Diese  Abgabe 
wandelte  Kurfürst  Joachim  am  \).  Dezember  1514  in  eine  Geldabgabe 
in  nachstehender  Urkunde  um: 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


15 


„Wir  Joachim,  von  gots  gnaden  Marggrane  zu  Brandenburg  vnd 
Churfurst  etc.  Bekennen  etc.  Nachdem  vnd  als  zu  Jderzeit  hievoreu 
alle  gepawren  vnd  einwoner  der  dorffer  gotsem,  drebitz,  der  Kitz  zw 
driesem  vnd  Belicz  alle  Jar  Jerlich  Jn  vnser  Ampt  driesen  vnseren 
Amptleuteu  daselbst,  die  des  bevelh  gehabt,  Jder  ein  Mandel  Hecht  vff 
Martini  vngeferlich  gegeben  vnd  zugeben  verpflichtet  gewest;  haben  wir 
vns  nue  Jnen  zu  gnaden  vffs  new  mit  Jnen  vertragen  vnd  verwilligt,  ver- 
tragen vus  auch  mit  Jnen  vnd  Jren  Nachkomen  vnd  verwilligen  Jn  crafft 
vnd  macht  dits  brieves,  das  sie  nu  furder  mer  zu  ewigen  zeitten  alle 
vnd  Jr  yder  Jn  sunderheit  vnd  alle  Jr  erben  vnd  nachkomen  vor  solich 
mandel  hecht  alle  Jar  Jerlich  vff  martini  vnserm  Ambtschreiber  zu 
driessn,  der  zu  einer  iglichen  zeit  alda  sein  wird,  ein  halben  gülden  an 
Muncz  und  Landwerung  zu  verreichen  vnd  zu  bezahlen  verpflichtet  sein 
sollen,  Jnmassen  wie  sie  mit  den  hechten  gethan  haben,  getrwelich  on 
Argelist  vnd  genczlich  on  geferd  etc.  Datum  etc.  am  Sunabent  nach 
Conceptionis  Marie,  Anno  etc.  X1III.  (Nach  dem  Churmärkischen  Lehns- 
copialbuche  XXX.  25b\) 

Am  25.  Januar  1522  verschreibt  der  Kurfürst  Joachim  dem  Amts- 
hauptinaun  Hans  Belling  wegen  der  ihm  im  Amt  zu  Driesen  geleisteten 
treuen  Dienste  eine  lebenslängliche  Rente  von  10  Gulden  Rheinisch  und 
zwei  Wispel  Roggen  aus  seiner  Mühle  zu  Soldin.  Am  3.  April  1525 
gestattet  der  Kurfürst  Joachim  dem  Barthold  Müller,  eine  Mühle  zu 
Driesen  zu  erbauen  durch  nachstehende  Urkunde: 

Wir  Joachim  etc.  Bekennen  etc.,  das  wir  vnsern  lieben  getreuen 
Bartollt  molner  eine  molle  zu  Driesen  an  der  Necze  aufzurichten  vnd 
zu  pawen  vnd  die  erblichen  zu  besiezen  gnediglich  vergont  vnd  erleubt 
haben,  vergönnen  vnd  erleuben  .Im,  solche  Molle  zu  driesen  auf  der 
Necze  zu  pawen,  aufzurichten  vnd  erblich  zu  besiezen,  wie  obstett,  Jn 
krafft  vnd  macht  dits  briues,  doch  also,  das  gedachter  Bartollt  moller 
vnd  seine  erben  oder  nachkamen  besiezer  der  mollen  zwey  winspel 
Roggen  vnd  ein  mandel  all  vn  vnser  Ampt  dryesen  zu  pacht  geben  vnd 
vorreichen,  auch  die  leut,  so  dar  In  malen,  wider  die  billigkeit  und  ge- 
burlicher  weiss  nicht  besweren,  vnd  sollen  das  wehre  halten,  das  man 
darüber  nicht  gehen  kann  zu  nachteyll  des  Slosscs  vnd  sonst  kein 
Schade  darüber  geschieht,  vnd  auch  die  Lexe,  so  sie  phaen,  zu  Slos 
vorreichen,  dafür  Inen  souill  den  Kiczern  gegeben  werden  soll,  on  geuerd. 
Zu  urkunt  etc.    Datum  etc.  am  Montag  nach  Judica,  Anno  etc.  XXV. 

Relator  Ohristoff  von  Maltitz. 

(Nach  dem  Churm.  Lehnscopialbuch  XXX,  202.) 

In  demselben  Jahre,  am  20.  September  wurde  dem  kurfürstlichen 
Rat  George  von  der  Schulenburg  das  Amt,  Schloss  und  die  Stadt  Driesen 
mit  allem  Zubehör  und  den  Orbeden  von  Friedeberg  und  Woldenberg 
auf  drei  Jahre  gegen  4000  Rheinische  Gulden  als  Amtshauptmann  über- 


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16 


Adolf  Recklin^: 


tragen,  und  am  10.  November  1529  dem  Rat  Heine  von  Döbnitz  in 
Wiederkaufs  und  Aratsweise  für  1760  Gulden  mit  allem  Zubehör,  wie 
vor  aufgeführt,  und  den  Mühlen-  und  Honigpächten,  den  Hirsch-,  Schwein- 
und  Rehjagdeu  und  mit  der  Verpflichtung  übergeben,  einen  Büchsen- 
macher daselbst  in  Kost  zu  halten,  der  aber  von  der  Herrschaft  Lohn- 
und  Kleidung  erhielt,  wie  auch  das  Schloss  mit  notdürftigem  Geschütz, 
Blei  und  Pulver  zu  versehen. 

Wegen  der  Jagd  auf  Hochwild,  welche  der  Amthauptmann  bis  zum 
Schwalmsberg  bei  Gurkow  ausübte,  kam  er  wiederholt  mit  Christoph 
von  Rulicke  auf  Zantoch  in  Streit  und  in  einem  Verhör,  das  der  kur- 
fürstliche Kommissar,  Curt  von  Burgsdorf,  Landvogt  und  der  Probst 
von  Soldin,  Bartholemaeus  von  Kremzow,  am  Margarethentage,  den 
12.  Juli  1533  in  Friedeberg  abhielten,  fungierte  der  dortige  Bürger- 
meister Otto  als  Zeuge,  und  es  wurde  festgestellt,  dass  im  Dezember 
1532  der  von  Rulicke  und  seine  Leute  zu  Pollychen  beim  Schwalms- 
berge  eine  Otter  erschlagen  und  7  Stück  Hirsche  erlegt  und  dort  über 
das  Eis  geschafft  hatten,  von  denen  ihnen  aber  die  Gurkowschen  wieder 
4  Stück  abgenommen. 

In  einer  Urkunde  vom  Sonntage  Judica,  den  18.  März  1526  hatte 
der  Kurfürst  Joachim  I.  den  Bürgern  Driesens  freies  Bauholz  und  freie 
Weide  in  der  Driesener .  Heide,  die  Fischerei  auf  den  beiden  Lobow- 
Seeen,  dem  Grotto-See,  dem  Bürgersee  „Klesna",  sowie  auf  dem  Bermenigk, 
zwischen  den  beiden  Gräben,  die  auf  beiden  Seiten  der  Stadt  liegen, 
verliehen  und  mehrere  Rechte  der  Stadt  bestätigt,  und  durch  das  Privi- 
legium vom  Ii).  März  1539  verlieh  Markgraf  Hans  den  Driesenern,  da- 
mit sie  wieder  zu  Gedeihen  und  Nahrung  kommen  und  da  sie  durch 
wiederholte  Brände  in  Verfall  geraten,  Befreiung  von  allen  landesherr- 
lichen Zöllen,  die  auf  Wagen,  Pferde  und  Waren  in  der  Neumark  gelegt 
waren  und  verfügte,  dass  sie  der  Jagddienste  auf  der  Netze  entledigt 
bleiben  sollten.  Dafür  aber  hatten  sie  27  Gulden  Rheinländisch  bar  an 
das  Amt  zu  zahlen  und  mussten  ausserdem,  wenn  der  Markgraf  selbst 
nach  Driesen  käme,  vor  seinen  Kammerwagen  Vorspann  leisten  und  das 
Wild  von  einer  Stätte  zur  andern  fahren  und  bringen. 

Im  Jahre  1570  hat  das  Hochwasser  bei  Driesen  die  Brücke  fort- 
gerissen und  Kurfürst  Johann  Georg  bestätigte  zu  Landsberg  a.  W.  nach 
dem  im  Besitze  der  Stadt  Driesen  befindlichen  Privilegium  am  Freitag 
nach  Lätare,  den  30.  März  1571,  dessen  Gerechtsame. 

Am  1.  Juli  1577  wurde  vom  Amt  Driesen  im  Dorfe  Guscht  das 
Mühlen  vor  werk  augelegt  und  in  Erbpacht  ausgegeben. 

Vom  Jahre  1519  bis  1585,  mithin  66  Jahre  war  Jacob  Creuwitz 
Pastor  an  der  Stadtkirche  in  Driesen  und  zu  Martmi  1585  trat  als  erster 
Diaconus  Franz  Pöllicke  hier  sein  Amt  an. 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


17 


Am  7.  Sonntage  nach  Trinitatis,  den  2.  August  1590,  verlieh  nach 
einem  Privileg  der  Kurfürst  Johann  Georg  der  Stadt  Driesen  noch  die 
Abhaltung  eines  zweiten  Jahr-  und  Viehmarktes  auf  Sonntag  nach  Mar- 
tini, während  der  bereits  bestehende  auf  Maria  Himmelfahrt  abgehalten 
wurde.  Am  7.  August  desselben  Jahres  wurde  der  Stadt  versuchsweise 
ein  neuer  Zoll  von  2  deutschen  Pfennigen  verliehen  mit  der  Bestimmung, 
ihn  wieder  abzuschalten,  wenn  die  Polen  noch  eine  höhere  als  die  be- 
stehende Zolltaxe  einführen  sollten. 

Die  Ernten  der  Jahre  1593  bis  1595  waren  recht  gesegnete,  denn 
der  Scheffel  Roggen  kostete  11  Pfennige  bis  1  Groschen,  die  Tonne  Bier 
4  Schillinge,  die  Mandel  Eier  1  Pfennig,  das  Pfund  Butter  2  Pfennige, 
ein  Schaf  10  Pfennige,  1  Kuh  3  Schillinge  und  an  Tagelohn  wurden  incl. 
Beköstigung  3  Heller  gezahlt.  Gleich  nach  Ostern  1597  entstand  aber 
durch  jüdische  Kornaufkäufer  eine  plötzliche  Teuerung,  sodass  der 
Scheffel  Koggen  in  Berlin  5  Ürtsthaler  und  in  anderen  Orten  bis  auf 
lJ/3  Thaler  stieg. 

Um  diese  Zeit  fingen  auch  in  Driesen,  wie  bereits  vorher  in  Friede- 
berg, die  Hexenprozesse  an.  Der  Bürgermeister  Jahn  der  letzteren  Stadt 
und  seine  Ehefrau  waren  infolge  einer  Denunciation  des  Geistlichen 
Lemrich  in  einen  solchen  verwickelt,  aber  die  vom  Amtshauptmann 
Grame  in  Driesen  geführte  Untersuchung  ergab  die  Unschuld  beider,  und 
wurde  daraufhin  der  Geistliche  Lemrich  seines  Amtes  entsetzt. 

Am  8.  Januar  1598  starb  der  Kurfürst  Johann  Georg  und  sein 
Sohn  Joachim  Friedrich  übernahm  die  Regierung  und  führte  sogenannte 
Musterungen  ein,  wobei  sich  die  Bürger  bei  Verlust  der  Privilegien  be- 
waffnen mussten.  Am  3.  April  1599  fand  in  Driesen  eine  solche 
Musterung  statt  und  ergab,  dass  von  102  Bürgern  14  mit  langen  Röhren, 
jedenfalls  die  ersten  Schützen  und  Gründer  der  Gilde,  40  mit  Spiessen 
und  48  unvollständig  gerüstet  waren. 

Im  Mai  desselben  Jahres  sandte  der  Kurfürst  drei  Bergleute  nach 
Driesen,  um  in  der  Umgegend  nach  Silber  zu  graben.  Zu  diesem  Zweck 
wurden  die  Berge  von  Vordamm  bis  Alt -Garbe  mit  der  Wünschelrute 
untersucht,  und  zeigte  dieselbe  248  Gänge  Weisssilber  und  3  rotgülden 
Erz  an.  Von  der  Carziger  Grenze  die  Berge  über  die  Springe  entlang, 
das  heutige  Goldbruch,  bis  über  den  Weg  von  Friedeberg  nach  Carbe, 
schlug  und  deutete  die  Wünschelrute  auf  73  starke  Silbergänge  und 
einige  Schläge  Gold.  Im  Goldbruch  fand  man  auch  Spuren  von  alten 
Bergwerkeinschlägen,  und  es  zeigte  hier  die  Wünschelrute  wiederum  auf 
Gold.  Die  Berggesellen  wurden  vom  kurfürstlichen  Kainmerschreiber 
Nicolaus  Schubert  begleitet;  sie  hatten  jedoch  mit  zu  vielem  losem  Sand 
zu  kämpfen,  wie  der  vielen  Quellen  halber  vom  Wasser  zu  leiden,  so 
dass  sie  die  Arbeiten  einstellen  mussten,  nachdem  sie  überhaupt  weiter 
nichts  als  Eisenstein  gefunden  hatten.    Nachdem  man  bereits  seit  dem 

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Adolf  Recklinj?: 


Hexenprozess  in  Friedeberg  die  taube  Anua  im  Schloss  Driesen  der 
Zauberei  bezichtigt,  wurde  dieselbe  beim  Beginn  des  siebenzehnten  Jahr- 
hunderts deswegen  inhaftiert  und  zur  Untersuchung  gezogen.  Die  Unter- 
suchung ergab  ihre  Schuld  und  sie  wurde  zum  Tode  durch  das  Schwert 
verurteilt,  und  auf  dem  Galgenberge,  dem  sogenannten  Eiskulenberg 
zwischen  Vordamm  und  Alt-Beelitz,  hingerichtet.  Der  Thorwärter,  welcher 
sie  zweimal  hatte  entfliehen  lassen  und  ihr  zu  Willen  gewesen  war,  wurde 
mit  Staupenschlag  aus  dem  Amt  Driesen  gewiesen. 

Im  Jahre  H>01  und  1<>Ü2  wurde  die  Festung  auf  der  sogenannten 
Gruse  angelegt.  Sie  besteht  aus  5  Bastionen,  die  sternartig  zusammen- 
liefen, in  der  Mitte  Magazine,  Verwaltungsgebäude,  Kasematten  für  die 
Soldaten  als  einfache  einstöckige  Häuser  aus  Bindwerk,  uraschliessende 
Wallgräben  und  zum  Schutz  nach  der  polnischen  Seite  am  linken  Ufer 
der  Netze  der  Brückenkopf.  Mit  Ausnahme  des  Zugangs  von  der  Stadt 
aus  sind  die  Werke  bis  jetzt  erhalten. 

Aus  dieser  Zeit  rührt  auch  das  jetzige  Stadtsiegel  und  Wappen 
her:  „der  brandenburgische  rote  Adler  mit  einem  goldenen  Herz  auf 
der  Brust  und  einem  fünfspitzigen  goldenen  Stern  (in  der  Form  der 
Festung)  auf  dem  Schweif.  Im  Jahre  1004  wurde  hier  eine  Frau  von 
Adel,  die  Brandbriefe  geschrieben  und  ihren  Ehemann  vergiftet  hatte, 
einen  Giftguss  gethan  und  Zauberei  und  Vergrabung  von  Töpfen  und 
Pfählen  gethan  und  getrieben,  durch  den  Schöppenstuhl  zu  Brandenburg 
und  auf  Grund  einer  auf  Befehl  des  Kurfürsten  abgegebenen  Resolution  des 
Kammergerichts  zu  Berlin  zur  ewigen  Landesverweisung  verurteilt. 

Ein  auf  kurfürstlichen  Befehl  durch  den  Landreiter  Stephan  Puchner 
am  Ostermontag,  den  28.  März  lb08  erstatteter  Bericht  giebt  über  die 
Besitzungen  des  Amtes  Driesen  folgende  Nachricht: 

„Zum  kurfürstlichen  Amt  Driesen  gehören  das  Städtlein  Driesen, 
wenig  mehr  als  1HJ  Feuerstellen,  und  unter  den  Mitgliedern  seiner  Bürger- 
schaft und  Pfarrgemeinde  noch  viele  —  insbesondere  die  Kietzer  — 
polnisch  redende  zählend,  da  die  beiden  Geistlichen,  der  Pfarrer  und 
der  Kaplan,  des  polnischen  mächtig  sein  sollen,  und  neben  dem  deutschen 
Küster  auch  ein  polnischer  angenommen  war;  die  Festung  Driesen  und 
nachstehend  aufgeführte  Dörfer:  Garbe,  Beelitz,  dessen  Lehnschulzc  nach 
einem  Privileg  Joachims  I.  für  jede  Traft  Holz,  welche  die  Drage  bei 
ihm  vorbei  passierte,  ein  Beinkleid  und  ein  Paar  Schuhe  einzufordern 
berechtigt  war;  —  Friedrichsdorf  und  Neuendorf  (Lebiach)  Gottschimm, 
Trebitsch,  Guscht,  Neuteich  und  Schlanow.  Nur  in  den  drei  letztge- 
nannten gab  es  besondere  Lehnschulzen  nicht.  Friedrichsdorf,  Neueu- 
dorf und  Neuteich  waren  seit  dem  Regierungsantritt  des  Kurfürsten 
Joachim  Friedrich  aus  nach  und  nach  vergrösserten  Ansiedelungen  ent- 
standen, alle  übrigen  sind  alte  Slavendörfer. 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


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Zu  dieser  Zeit  war  Max  von  Petersdorf  Amtshauptmann  und 
Matthias  Rahn  Amtsschreiber  in  Driesen.  Mit  dem  Hammergut,  einer 
kurfürstlichen  Anlage  wurde  1612  Michail  Sehende!  belehnt.  Ausserdem 
war  um  diese  Zeit  mit«)  Ansiedlern  die  Kolonie  Salzkossäthen  gegründet, 
so  genannt,  weil  sie  statt  anderer  Leistungen  das  auf  der  Netze  ange- 
kommene Salz  in  die  kurfürstliche  Niederlage  zu  Driesen  (die  noch  heute 
vorhandene  Bindung,  neben  welcher  der  Heideknecht  seine  Wohnung 
hatte)  befördern  mussten. 

Kurfürst  Joachim  Friedrich  hatte  im  Jahre  1604  in  Driesen  eine 
Boy  (See)  Salzsiederei  auf  der  neuen  Glashütte  an  der  Bindung  anlegen 
und  zu  diesem  Zweck  zunächst  20  Lasten  Boysalz  von  Hamburg  kommen 
lassen,  und  wurde  dabei  besonders  auf  den  Absatz  nach  Polen  gerechnet. 

Im  Jahre  1606  wurde  das  Dragebruch  mit  Ansiedlern  aus  Elbing 
und  das  eigentliche  Netzbruch  mit  einigen  Kolonisten  und  Holländern 
besetzt.  Diese  Ansiedelungen  hatten  jedoch  keinen  rechten  Fortgang, 
und  nach  dem  Tode  des  Kurfürsten  Joachim  Friedrich  wurden  sie  wegen 
Verwüstung  der  Wildbahnen  ganz  eingestellt,  bis  Kurfürst  Georg  Wilhelm 
d.  Königsberg,  16./26.  Januar  1620  die  Wiederaufnahme  der  Kolonisation 
„auf  holländische  Art"  anordnete,  die  jedoch  der  dreissigjährige  Krieg 
verhinderte. 

Die  Bezeichnung  Holländer  für  die  Kolonisten  der  Netz-  und 
Warthebrücher  kam  deshalb  in  den  Gebrauch,  weil  in  den  älteren 
brandenburgischen  Provinzen  ein  Teil  der  Flussniederungen  in  der  That 
mit  Ansiedlern  aus  Holland  besetzt  und  in  Kultur  gebracht  wurde  und 
weil  deren  Wirtschaftsart  für  alle  gleiche  Ansiedelungen  als  Muster  galt. 
Die  auf  abgetriebenen  Forstboden  und  den  dichtbewachseuen  Brüehern 
im  Grossherzogtum  Posen  werden  überall  Hauländerien  genannt. 

Der  dreissigjährige  Krieg  brachte  der  Stadt  Driesen  viel  Unheil, 
und  bei  einer  Musterung  am  25.  Juni  1623  zeigte  es  sich,  dass  von 
178  Bürgern  nur  27  lange  Rohre,  3  Musketen  und  107  Federspiesse  auf- 
gebracht wurden,  während  41  Bürger  ganz  verarmt  waren.  Ja  es  kam 
so  weit,  dass  im  Jahre  1628,  den  23.  Juli,  die  Amtskammerräte  Gurt 
von  der  Marwitz  und  Nicolaus  Schubert  über  Driesen  an  den  kurfürst- 
lichen Oberst  Hildebrand  von  Kracht  zu  Cüstrin  berichteten,  dass 
60  Häuser  in  der  Stadt  leer  und  zerfallen  und  die  meisten  Bürger  nach 
Polen  ausgewandert  seien,  keinerlei  Einquartierung  mehr  gehalten  werden 
könne,  und  in  der  Stadt  die  allerbitterste  Armut  vorhanden  wäre. 

Die  Festung  Driesen  war  von  den  kaiserlichen  Truppen  besetzt, 
und  beim  Anrücken  der  Schweden  unter  General-Major  von  Dromont 
Mitte  Februar  1637  war  diesem  der  ausdrückliche  Befehl  erteilt,  „das 
Nest"  um  jeden  Preis  zu  nehmen  oder  auszuhungern. 

Dromont  musste  jedoch  unverrichteter  Sache  wieder  abziehen,  denn 
Driesens  starke  Mauern  und  die  umliegenden  Moräste  boten  hinreichend 

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Adolf  Reckling: 


Schutz.  Die  offene  und  ungeschützte  Stadt,  die  Altstadt  westlich  der 
Grusenstrasse,  hatten  sie  zerstört  und  niedergehrannt,  so  dass  der  Rat 
1638  dem  Kurfürsten  klagte,  dass  kein  Bürger  mehr  auf  dem  öden  und 
wüsten  Platz,  da  sonst  die  Stadt  gestanden,  zu  finden  sei  und  bat,  den 
Wiederaufbau  nicht  wie  der  kurfürstliche  Rat  Georg  Abraham  von  Grüu- 
berg  vorgeschlagen,  hinterwärts  nach  dem  Werder  zu,  sondern  auf  der 
alten  Stelle  zu  gestatten. 

Am  27.  November  lb38  verfügte  der  Kurfürst  an  den  Statthalter, 
(trafen  Ad.  von  Schwarzenberg,  mit  dem  Wiederaufbau  der  Stadt  I>riesen 
unverzüglich  vorzugehen  und  dabei  den  armen  Bürgern  allen  Vorschub 
angedeiheu  zu  lassen.  Am  27.  November  1639  war  es  den  Schweden 
gelungen,  den  Brandenburgern  Driesen  zu  entreissen.  Ein  Hauptmann 
vom  Regiment  Jung-Kracht,  Georg  Laurisky,  eines  Küsters  Sohn  aus 
Messow  bei  Crossen  a.  O.,  der,  um  eine  Kompagnie  Reiter  zu  werben, 
nach  Driesen  kommandiert  war,  hatte  sich  mit  dem  Feinde  in  Verbindung 
gesetzt  und  diesem  mehrere  verführte  Unteroffiziere  und  Stückknechte 
zulaufen  lassen,  welche  die  schwächsten  Stellen  der  Festung  verraten 
sollten. 

Der  Kommandant  der  letzteren,  Oberstlieutenant  Ernst  Ludwig  von 
der  Groeben,  hatte,  wie  ihm  zum  Vorwurf  gemacht  war,  die  äusserst 
unzuverlässige  Besatzung  nicht  genügend  beaufsichtigt  und  sich  mehr  bei 
einer  in  der  Stadt  wohnenden  Wittwe  von  Brand  und  deren  Töchtern 
aufgehalten.  So  allein  soll  es  möglich  geworden  sein,  dass  Laurisky 
sein  Bubenstück  ungehindert  vorbereiten  konnte.  Als  am  frühen  Morgen 
des  vorbenannten  Tages  der  Oberst  Gordon  mit  300  bis  400  Schweden, 
die  Kähne  auf  Wagen  mit  sich  führten,  und  denen  die  entwichenen 
brandenburgischen  Soldaten  und  der  lange  Hans,  ein  Buschläufer  aus 
Trebitsch,  als  Führer  dienten,  sich  ungehindert  der  polnischen  Brücke 
und  des  Thores  au  dieser  Seite  bemächtigt  und  schnell  die  Festungs- 
wälle erstiegen  hatten,  leistete  man  ihnen  nur  geringen  Widerstand. 
Nur  der  Kommandant  that  seine  Pflicht,  focht  wie  ein  Rasender  und 
wehrte  sich  mit  noch  20  getreuen  Soldaten,  bis  sie  sämtlich  von  den 
Schweden  niedergehauen  wurden.  Die  übrige  Besatzung,  120  Mann, 
1  Major  und  1  Lieutenant  wurden  gefangen  genommen.  26  metallene 
Stücke,  6  Feuermörser  und  eine  Menge  Munition,  wie  10000  Thaler 
Werbegelder  fielen  den  Schweden  zu. 

Der  flüchtig  gewordene  Laurisky  wurde  durch  den  Spruch  des 
Kriegsgerichts,  welches  am  13.  April  1640  in  Spandau  über  ihn  abge- 
halten wurde,  „wegen  genug  begangener  Verrätherei  verurtheilt,  dass 
ihm,  wenu  man  seiner  habhaft  werden  könnte,  erst  die  beiden  Vorder- 
linger,  dann  die  ganze  Hand,  damit  er  geschworen,  abgehauen,  darauf 
die  Zunge  aus  dem  Halse  gerissen,  und  dann  gespiesst  werden  sollte". 
Wäre  er  jedoch  nicht  zu  erlangen,  dann  solle  er  in  den  vornehmsten 


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Geschichte  der  Stadt  Driewn. 


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brandenburgischen  Städten  durch  den  Büttel  ausgerufen  und  an  die 
Galgen  der  Soldaten  geschlagen  und  für  vogelfrei  erklärt  werden. 

Von  Driesen  und  Landsberg  schrieben  nun  die  schwedischen  Kom- 
mandanten ohne  Aufhören  ihre  massloseu  Forderungen  aus  und  belastigten 
die  umliegenden  Orte.  In  Driesen  hatte  der  Oberstlieutenant  Kadicke 
ein  Haupt-Proviantmagazin  für  das  Wrangeische  Korps  eingerichtet,  und 
als  Königlich  schwedischer  Amtmann  leitete  der  frühere  kurfürstliche 
Amtmann  das  Requisitionswesen,  und  zu  dieser  Stellung  gezwungen, 
nahm  er  die  Städte  Friedeberg,  Woldenberg  und  Arnswalde  oft  in 
Anspruch. 

Mitten  in  der  Zeit  der  Verwüstung  seines  Landes  starb  Kurfürst 
George  Wilhelm  am  1.  Dezember  1640,  und  sein  Sohn,  der  grosse  Kur- 
fürst, kam  zur  Regierung.  Driesen  blieb  aber  auch  ferner  von  den 
Schweden  besetzt  und  zwar  bis  zum  Herbst  1649,  trotzdem  der  west- 
fälische Frieden  bereits  am  14.  Oktober  1648  abgeschlossen  war. 

Der  schwedische  Oberst  Gordon  hatte  während  seines  Hierseins 
den  Holm  roden  lassen  und  dort  eine  Milchbude  und  Scheune  erballt, 
mithin  das  jetzige  Vorwerk  Holm  angelegt. 

Nach  dem  Abzüge  der  Schweden  begann  für  Driesen  wieder  eine 
bessere  Zeit,  und  die  Gewerke  erhielten  ihre  Privilegien  von  neuem  be- 
stätigt; so  am  3.  April  1650  die  Schmiede  -  Innung,  in  dem  festgesetzt 
wurde,  dass  keiner,  sowohl  Grob-,  Klein-,  Gold-  oder  Kupferschmied 
das  Meisterrecht  erwerben  konnte  und  sein  Handwerk  betreiben,  ehe  er 
das  Bürgerrecht  erworben  und  seine  Meisterprüfung  gemacht.  Es  hatte 
ferner  ein  jeder  für  Verbote  36  Groschen  zu  zahlen,  und  andere  ihm 
auferlegte  Pflichten,  wie  eiue  Mahlzeit,  1  Tonne  Bier,  wozu  die  Frau 
Meisterinnen  und  deren  Kinder  mitgeladen  wurden.  Ferner  musste  ein 
jeder  seine  eheliche  Geburt  durch  Zeugnisse  nachweisen.  Ein  Lehrling 
musste  von  dem  Altmeister  angenommen  werden  und  hatte  zum  Verbot 
1  Düttken  und  4  Groschen  zu  Bier  zu  geben,  ausserdem  aber  zur  Lade 
für  eine  Mahlzeit  12  Groschen  und  1  Pfund  Wachs,  ehe  er  anfangen 
durfte,  das  Handwerk  zu  lernen.  Ein  Grobschmied  musste  1  Jahr, 
1  Kleinschmied  3  Jahre  und  1  Goldschmied  4  Jahre  lernen. 

Die  Leinweber  erhielten  ihr  Privileg  1651,  die  Böttcher  am  4.  April 
1652,  die  Schuhmacher  1653.   Alle  sind  dem  der  Schmiede  ähnlich. 

Nachdem  Driesen  mit  dem  Kietz  kaum  wieder  notdürftig  aufgebaut 
war,  brannte  es  am  11.  April  1662  wieder  gänzlich  nieder  und  wurden 
bei  diesem  Brande  auch  die  Kirche  mit  Turm  vernichtet.  Die  Abgebrannten 
erhielten  am  12.  Mai  1662  die  Erlaubnis  zu  einer  Landes-Kollekte,  und 
von  den  kurfürstlichen  Ämtern  Driesen,  Hinnuelstädt  und  Marienwalde 
sehr  erheblich«'  Beihülfen  an  Material.  Kommandant  von  Driesen  war 
zu  dieser  Zeit  von  der  Osten  und  regierende]-  Bürgermeister  Georg  Klettke. 


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Adolf  Reckling: 


Der  letztere  legte  ein  Stadtbuch  an,  in  welches  alle  Neuigkeiten 
und  besondere  Vorkommnisse  eingetragen  werden  sollten;  jedoch  der 
Stadtschreiber  Andreas  Schmidt  hat  das  Buch  bis  zum  Jahre  1679  liegen 
lassen,  ohne  darin  etwas  zu  vermerken.  Im  Jahre  1664  war  die  Kirche 
in  Fachwerk  wieder  erbaut  und  im  Jahre  1679  der  Turm  dazu.  Die 
grosse  Glocke  darin  hatte  die  Inschrift: 

„Anno  1662  den  11.  April  hat  uns  das  Feuer  in  Stücken  gebracht, 

„Der  Meister  wieder  ganz  gemacht. 

„Zu  Gottes  £11^  und  heiligem  Dienst  wir  erklingen 

„Und  die  Gemeinde  in  Eil  zusammen  bringen. 

„Herr  Joachim  von  der  Marwitz,  Kommandant  und  Hauptmann 
.,Driesen;  Cuja.  M.  Andrea  Friederico  T.  T.  Ecclesiae  Pastoris; 
„Paulus  Prophalns,    electoralis   Driesenae   Praefectus.  Georg 
„Kutzer,  Johann  Beneckendorf,  consules.     Christoph  Starke, 
„Georg  Herbe,  Richter,  Johann  Dames,  Senatoren  und  Rathsherrn.'' 
„Christoph  Kokeritz  goss  mich  1662  im  November". 
Bis  zum  Jahre  166U  wohnte  der  Scharfrichter  vor  der  polnischen 
Brücke,  aber  die  Witwe  des  Scharfrichters  Schulz  beschwerte  sich  zu 
dieser  Zeit,  dass  sie  unter  den  gefährlichen  Leuten  auf  der  polnischen 
Seite  nicht  mehr  länger  wohnen  könne,  daher  gab  man  ihr  am  Ende 
des  Kietz,  gegen  den  Einspruch  dieser  Gemeinde,  ein  wüstes  Kietzergut. 

Die  Kietzer  hatten  dem  Amte  sehr  schwere  Frohndienste  zu  leisten, 
deshalb  beschwerten  sie  sich  im  Jahre  1653  beim  Kurfürsten  und  baten 
um  Erleichterung.  Darauf  wurde  bestimmt,  dass  sie  für  künftig  wöchent- 
lich nur  zwei  Tage  zu  dienen  hätten,  zur  Heu-  und  Erntezeit  sollten  sie 
alles  Heu  und  Getreide  auf  den  zum  Bergvorwerk,  jetzt  Schoeneberg, 
gehörenden  Wiesen  und  Acker  mähen,  bergen  und  einscheuern;  des- 
gleichen müssten  sie  die  Wälle  und  Gräben  der  Festung  durch  Räumen 
und  Abschneiden  des  Rohres  und  Grases  reinhalten  und  gäbe  es  keiu 
Gesetz  für  die  Grenze  ihrer  Dienste,  und  wenn  die  Herrschaft  sich  an 
dieser  geringen  Forderung  nicht  genügen  lasse,  so  müssten  sie  auch 
mehr  dienen. 

Im  Jahre  1662  erhielt  der  Apotheker  George  Klettke  das  Privileg, 
hier  eine  Apotheke  zu  errichten  und  zwar  auf  dem  Grundstück,  wo 
noch  heute  die  Adlerapotheke  ist.  In  diesem  Privileg  ist  unter  anderem 
aufgeführt,  dass  er  allein  berechtigt  sei,  gestossene  Gewürze  in  der  Stadt 
zu  verkaufen,  wie  auch  die  Barbiere  und  Wundärzte  alle  Salben  und 
Ptlaster  in  dieser  Apotheke  kaufen  müssten. 

Nach  einer  Polizei-Verordnung  aus  dieser  Zeit  war  auch  bestimmt 
worden,  dass  die  Scheunen  ausserhalb  der  Stadt  und  die  Häuser  in  der 
Stadt  mit  Ziegeldächern  zu  erbauen  sind;  ferner  war  in  derselben  das 
Schelten,  Gotteslästern  und  Fluchen  verboten,  und  wer  gegen  letzteres 
Gebot  Verstösse,  sollte,  ob  hohen  oder  niederen  Standes,  4  bis  6  Tage 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


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und  Nichte  getanglich  eingezogen,  bei  Wasser  und  Brot  sitzen  und  täg- 
lich um  einen  Thaler  gestraft  werden. 

Nach  dem  Stadtbuch  der  Stadt  Driesen  erkrankte  im  Jahre  1087 
der  jüdische  Krämer  Abraham  Moses  und  Hess  sich  auf  den  Rat  einer 
Soldatenfrau  Liesken  aus  der  Apotheke,  der  Besitzer  hiess  Hanisch  und 
war  ein  Schwiegersohn  des  vorangeführten  George  Klettke,  ein  Brech- 
pulver holen.  Nachdem  Moses  das  Pulver  genommen,  wurde  ihm  grün 
und  gelb  vor  den  Augen;  es  kamen  ihm  Blasen  vor  den  Mund  und  das 
Mittel  wirkte  bei  ihm  so  stark,  dass  er  drei  Schritt  vom  Stuhl  fortge- 
schleudert wurde.  Als  er  aufstand,  kam  der  Krampf  wieder  und  warf 
ihn  sechs  Schritt  unter  den  Tisch  fort,  worauf  Bliiterbrechen  eintrat. 
Der  herbeigerufene  Rat  nahm  den  Hergang  zu  Protokoll.  Die  Ehefrau 
des  Moses  war  inzwischen  zum  Apotheker  Hanisch  gelaufen  und  hatte 
diesem  den  Zustand  ihres  Mannes  geschildert,  worauf  dieser  die  Äusserung 
gethan,  es  sei  ihrem  Manne  ganz  recht,  warum  verkaufe  er  auch  Tabak 
und  Pflaster.  Doch  ging  der  Apotheker  zum  kranken  Moses  und  gab 
ihm  ein  Gegenmittel  ein,  wonach  derselbe  wieder  ruhiger  wurde.  Einige 
Tage  später  erschien  der  Rat  wieder  am  Krankenbett  des  Moses  und 
nahm  dessen  Aussage  noch  einmal  dahin  auf,  dass  Moses  und  seine 
Frau  dem  Apotheker  unrecht  gethan,  und  inussten  daraufhin  beide  dem 
Apotheker  Abbitte  leisten.  Abraham  Moses  starb  gleich  darauf.  Die 
wiederholte  Beschuldigung  von  einem  gewissen  Jacob  Caspar  aus  Ber- 
linchen, dass  Hanisch  den  Moses  vergiftet,  kostete  dem  Caspar 
8  Thaler  Strafe. 

Die  damalige  Justiz  kennzeichnet  sich  auch  aus  dem  nachstehenden, 
im  Stadtbuch  verzeichneten  Fall:  Im  Sommer  1688  hatte  der  Bürger 
Knnicke  den  vorbenannten  Moses  bei  den  Ziegelscheunen  überfallen  und, 
da  er  ihm  nicht  einen  Thaler  Biergeld  geben  wollte,  durchgeprügelt. 
Itzig  Leib  kam  dazu  und  zog  seinen  Geldbeutel  aus  der  Tasche,  welchen 
ihm  der  Kunicke  mit  Inhalt  von  1  Thaler  S)  Groschen  entriss,  worauf  er 
ihn  gleichfalls  prügelte.  Die  beiden  Juden  trugen  darauf  ajn  18.  Juni  H>SS 
dem  Rat  ihre  Klage  vor;  Kunicke  wird  geholt  und  bestreitet  alles, 
behauptet  aber,  dass  der  Abraham  Moses  ihn  einen  Schelm  genannt. 
Der  Rat  beschliesst  hierauf,  dass  die  Prügel,  welche  Moses  erhalten, 
durch  die  Beschimpfung  Schelm  kompensiert  sei.  Leibchen  niusste 
Kunicke  öffentlich  Abbitte  leisten  und  Kunicke  1  Thaler  Strafe  zahlen 
mit  der  Weisung,  künftig  keinen  Juden  mehr  durchzuprügeln:  wer  es 
aber  wage,  ihm  diese  Handlung  vorzuhalten,  der  solle  dem  Rat  fünf 
Thaler  und  fünf  Thaler  dem  Amte  Strafe  zahlen,  auch  öffentlich  Abbitte 
thun,  wie  Itzig  Leib. 

Die  Braugewerbe  lagen  nach  dem  dreissigjährigen  Kriege 
vollständig  darnieder,  und  das  kurfürstliche  Amt  erschwerte  nicht 
nur  den  Wiederaufbau   alter  Häuser  mit  Braugerechtigkeit,  sondern 


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24 


Adolf  Reckling: 


verbot  sogar,  dieselben  auf  der  alten  Stelle  zu  errichten.  Der  Preis 
eines  Brauhauses  betrug  40  bis  100  Thaler.  Das  Bierbrauen  ging  nach 
der  Reihe,  und  erst,  wenn  die  letzte  Tonne  Bier  angezapft  war,  durfte 
der  nächstfolgende  mit  dem  Brauen  anfangen.  Auch  von  den  Bäckern 
buk  nur  die  Hälfte  die  eine  Woche,  während  die  andere  Hälfte  die 
nächste  Woche  backen  durfte.  In  der  Woche,  wo  die  Bäcker  nicht 
buken,  kauften  sie  das  Getreide  und  Hessen  es  mahlen. 

Zur  Beurteilung  der  Mode  in  damaliger  Zeit,  möge  das  aus  dein 
Stadtbuche  entnommene  nachstehende  Schreiben  dienen  : 

Am  12.  Juli  1087  starb  der  Stadtschreiber  Schmieder;  er  und  seine 
Ehefrau  hatten  an  Kleidung  und  Geräte  besessen: 

„2  goldene  Herzchen  mit  einem  zerbrocheneu  Ring,  5  goldene 
Ringe,  3  Schnüre  Perlen,  2  silberne  Löffel,  3  silberne  Näpfe. 
Ein  Himmelbett  mit  grünseidenen  Vorhängen,  einen  Schwein-, 
einen  Vogel-  und  einen  Kalbsbratenspiess.  Ein  Polomitonrock 
mit  Wämmschen.  Ein  Schnupftuch  mit  goldenen  Spitzen.  Ein 
Paar  Bernsteinarmbänder."  Aus  der  Taxe  geht  ferner  hervor, 
dass  eine  Kuh  4  Thaler,  eine  Kalbe  2  Thaler,   1  Stein  Wolle 

2  Thaler  4  Groschen,  ein  Bett  mit  Züchen,  Unterbett  und  Kissen 

3  Thaler,  1  Scheffel  Roggen  7  Groschen  6  Pfennige  und  1  Elle 
Warx  6  Pfennige  kosteten. 

Alle  gerichtlichen  Akten  aus  damaliger  Zeit  bekunden  grosse  Gottes- 
furcht, denn  Kaufbriefe  und  Testamente  beginnen: 

„Im  Namen  der  hochgelobten  seligen  Dreieinigkeit  etc."  und 
endigen  mit  „Amen!u 

Ein  Fischereistreit  zwischen  den  Bürgern  zu  Driesen  und  den  Be- 
wohnern des  Kietz  wurde  nach  einer  Urkunde  durch  folgenden  Vergleich 
am  H.Dezember  K>88  geschlossen  und  erledigt: 

„Es  soll  der  Bürgerschaft  vergönnt  sein   und  zugelassen, 
zwischen  den   beiden  Stadtgraben  sowohl  die  grosse  als  die 
kleine  Netze  ungehindert  zu  befischen.    Die  Fischerei  um  den 
Schlossberg  bis  au  die  Gasse,  so  zwischen  Zimanki  und  Klinken 
belegen,  und  haben  die  Bürger  von  des  K linkes  Wehr  an,  so 
beim  Schlossberg  ist,  und  da  sich  die  Netze  teilet,  der  Fischerei 
in  solchen  Strömen  und  der  dabei  liegenden  kleinen  Seee  sich 
gänzlich  zu  begeben.    So  stehet  auch  der  Bürgerschaft  frei,  auf 
beiden  Seiten  des  Dammes  (Strasse  nach  Vordamm)  einen  guten 
Steinwurf  weit  zu  fischen;  auch  ist  E.  E.  Rat  befugt,  auf  der 
grossen  Netze  zwischen  dem  Stadtgraben  ein  Aalwehr  zu  haben  etc. 
Adt.  Driesen,  den  Dezember  1688.       Kurfürstlich  Amt. 
gez.  Hercules  Nicolaus  von  Pestalotzi,  kurfürstlicher  Hof  und 
Legat ionsrath,  Hauptmann  zu  Driesen. 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


25 


Vierzehn  Tage  vor  Michaelis  1695,  an  einem  Sonnabend,  brach 
beim  Apotheker  Feuer  aus,  dessen  Magd  zuvor  mit  Licht  auf  dem  Boden 
war.  Es  brannten  infolge  dessen  43  Häuser  ab.  Die  nach  dem  Brande 
zwei  Jahre  nachher  wieder  aufgebaute  Apotheke  steht  noch  jetzt  am 
Alten  Markt. 

Im  Jahre  1700  war  General-Major  Paul  von  Brand,  Sohn  des 
damaligen  Besitzers  von  Wutzig  und  Hermsdorf,  Kommandant  der  Festung 
Driesen  und  dessen  Sohn  Christian  zugleich  Amtshauptmann  von  Driesen. 

Nach  dem  Feuerkataster  von  1706  gab  es  zu  dieser  Zeit  in  Driesen 
135  Häuser,  davon  81  mit  Ziegeldächern  und  54  mit  Strohdächern.  Der 
Winter  1709  war  so  kalt  und  streng,  dass  fast  alle  Bäume  und  der 
Wein  erfror,  insbesondere  die  Wintersaaten. 

Im  Winter  1720  erschien  eine  Kabinetsordre,  wonach  fahrende 
Gauner,  Landstreicher  und  Zigeuner  überall  festzunehmen  und  ins  Ge- 
fängnis zu  stecken,  und  falls  dieselben  über  18  Jahre  alt,  dann  an  den 
Galgen  zu  bringen,  die  jüngeren  aber  zur  Erziehung  in  Arbeitshäuser 
zu  bringen  wären.  Besonders  trieb  sich  bei  Driesen  an  der  polnischen 
Grenze  viel  Gesindel  herum,  und  wurden  1724  sechszehn  aufgegriffene 
Zigeuner  von  hier  nach  Friedeberg  gebracht,  und  da  einige  davon  ge- 
stohlen, ward  ihnen  der  Kopf  abgeschlagen,  die  anderen  wurden  mit 
Staupenschlag  über  die  Grenze  gebracht. 

Im  Jahre  1711  wurde  in  Hammer  die  Kirche  gebaut,  der  dort  be- 
findliche Eisenhammer  ging  1709  ein. 

1723  wurden  in  den  Städten  die  Magistrate  durch  ein  am  21.  Juli 
erlassenes  Reglement  eingerichtet.  Die  Viertelsmänner,  auch  Stadt- 
verordnete genannt,  vertraten  die  Bürger,  und  mussten  diese  zu  ihren 
Beratungen  zuziehen  und  befragen. 

Wie  wenig  wohlhabende  Bürger  in  dieser  Zeit  in  Driesen  waren, 
geht  aus  dem  nachstehenden  Schulddokument  hervor,  das  wörtlich  wie 
folgt  lautet: 

„Wir  Bürgermeister  und  Rath  bekennen,  dass  uns  der  wohl- 
ehrwürdige Vatig,  Prediger  in  Netzbruch,  auf  unser  dienstliches 
Ersuchen  und  Bitten  43  Thaler  12  Groschen  zu  unserer  höchsten 
Bedürfnis  und  wohin  es  eigentlich  verwendet  werden  müssen  in 
Gemeinde-Stadtkassenrechnunn  zu  befinden,  gutwillig  geliehen. 
Wir  versprechen  auch  für  uns  und  Gemeinde  statt  bei  Treu  und 
Glauben,  die  43  Thaler  12  Groschen,  sobald  es  der  Stadtkasse 
Zustand  leidet,  abzugeben  und  jährlich  mit  2  Thaler  15  Groschen 
4$  Pfennig  zu  verzinsen,  die  Zinsen  dem  Gläubiger  sicher  in 
seiner  Behausung  einzuliefern,  damit  er  aber  wegen  des  vorge- 
streckten Kapitals  und  Zinsen  Sicherheit  habe,  haben  wir  ihm 
den  Stadtsee  Nibiling  zu  Unterpfand  gesetzt  und  verschrieben. 


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26 


Adolf  Reckling: 


Im  Fall  der  Nichtzahlung  solchen  zu  besitzen  und  zu  gebrauchen 
und  nicht  eher  abzutreten,  bis  er  seine  Forderung  erhalten." 

Driesen  in  curia,  den  5.  August  1736. 

Bürgermeister  und  Rath  nebst  den  4  Vicrtelsmännern. 

gez.  Prittwitz,  Zimonsky,  Chino,  Köntzer,  Schnell,  Bartusch, 

Fenske,  Eichler. 

Am  4.  April  1 737  brach  im  Hause  No.  17  der  Mittelstrasse  Feuer 
aus  und  brannten  50  Häuser  und  30  Scheunen  ab.  In  demselben  Jahre 
trat  der  berühmte  Kanzelredner  und  Verfasser  grösserer  geistlicher 
Schriften,  wie  der  Synopsis  bibliothecae  exegeticae  in  novum  testamentum, 
der  Oberprediger  Christoph  Starke,  hie  rsein  Amt  an.  Sein  Bild  hängt 
am  Tuchmachergewerkschor  zunächst  der  Kanzel.  Zu  seinen  Einkünften 
gehörte  damals  auch  ein  Kiehnblock,  welchen  derselbe  aus  der  König- 
lichen Forst  für  das  Ablesen  der  Holzmärkte  von  der  Kanzel  erhielt. 
Ebenso  erhielt  der  Diaconus  einen  Kiehnblock,  doch  musste  er  sich 
diesen  von  Alt-Beelitz  holen  lassen. 

Die  Desertion  der  Soldaten  aus  der  Festung,  wozu  die  eine  Meile 
entfernte  polnische  Grenze  eine  sehr  günstige  Gelegenheit  bot,  nahm 
immer  mehr  zu,  deshalb  erliess  der  Amtmann  Liebenow  an  sämtliche 
Schulzen  des  Amtes  Driesen  den  Befehl  am  18.  April  1738,  dass  die 
Bewohner  ihrer  Gemeinden  jeden  Soldaten,  welchen  sie  sehen,  nach  dem 
Pass  fragen  sollten  und  falls  er  einen  solchen  nicht  vorzeigen  könne, 
ihn  gefangen  zu  nehmen,  da  ihnen  bei  Ablieferung  das  vom  Könige  für 
jeden  Deserteur  festgesetzte  Geldgeschenk  ausgezahlt  werden  solle.  Als 
Kennzeichen,  dass  ein  Soldat  desertiert  sei,  würden  in  der  Festung  zwei 
Kanonenschüsse  abgefeuert  werden.  Wenn  aber  drei  Kanonenschüsse 
abgefeuert  würden,  so  bedeute  es  Feuer,  und  alle  Leute  sollten  dann 
zur  Stadt  geschickt  werden,  um  retten  und  löschen  zu  helfen. 

Der  Winter  1740  war  wieder  sehr  streng,  und  sprangen  infolge 
dessen  die  beiden  Kirchenglocken. 

Im  Jahre  1744  gab  es  in  Driesen  ausser  den  öffentlichen  138  Bürger- 
häusern nur  18  Mietsbürger,  und  im  Jahre  1750  betrug  die  Einwohner- 
zahl: 155  Männer,  151)  Frauen,  142  Söhne,  161  Töchter,  21  Gesellen, 
12  Knechte,  26  Jungen  und  KW  Mägde,  mithin  im  ganzen  785  Ein- 
wohner; dagegen  stieg  diese  Zahl  bis  1754  auf  1336. 

1750  wurde  auf  städtischem  Grund  und  Boden  neben  der  wenige 
Jahre  früher  vom  Könige  angelegten  Kolonie  Erchbruch  die  städtische 
Kolonie  Klein-Erchbruch,  wozu  die  sogeuannte  Schornsteinfegerwiese 
von  5  Morgen  147  Ruten  und  die  Salzleckerberge  genommen  wurden, 
angelegt  und  die  Wirte  Kysow,  Böhlke  und  Fröhlich  aus  Polen,  und 
Christian  Andreas  Stoltz,  ein  Inländer  und  Urgrossvater  des  Kommerzien- 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


27 


rats  Leopold  Stoltz  hier,  darauf  angesiedelt:  sie  hatten  an  die  Stadtkasse 
einen  Grundzins  zu  entrichten. 

Für  gewerbliche  Erzeugnisse,  welche  vom  Ausland  bezogen  wurden, 
ging  in  dieser  Zeit  noch  viel  Geld  aus  dem  Lande,  daher  begünstigte 
der  König  Friedrich  der  Grosse  solche  Gewerbe,  die  dergleichen  Sachen 
hier  im  Lande  fabrizierten,  und  liess  hier  in  Driesen  für  Rechnung  des 
Staates  in  der  Netzstrasse  das  Fabrikenhaus  für  die  Tuchmacher-Innung 
erbauen  und  für  8  Familien  einrichten.  Am  17.  August  1780  schenkte 
der  König  es  dieser  Innung,  um  darin  eine  Spinnschnle  zu  errichten; 
allein  nach  7  Jahren  fanden  sich  keine  Lehrlinge  mehr,  daher  wurden 
die  Wohnungen  im  G«bäude  für  5  Thaler  vermietet. 

Die  am  11.  April  1662  abgebrannte  uud  1664  wieder  erbaute 
Kirche  war  so  baufällig  geworden,  dass  am  5.  April  1752  der  Glocken- 
turm niedergerissen,  und  am  10.  Sonntag  nach  Trinitatis  in  dem  alten 
Gebäude  zum  letzten  Male  gepredigt  wurde.  Bereits  am  26.  Oktober 
desselben  Jahres  wurde  die  neue  Kirche  gerichtet,  am  18.  April  17511 
auf  den  neuen  Turm  die  Spitze  und  am  30.  April  der  Knopf  aufgesetzt. 

Am  2.  Dezember  1753,  am  1.  Advent,  wurde  die  neue  Kirche 
durch  den  Inspektor  Frey  eingeweiht  und  hierbei  „Allein  Gott  in  der 
Höh'  sei  Ehr,tt  gesungen  und  über  den  Psalm:  „Wie  lieblich,  o  Herr, 
sind  deine  Wohnungen"  vom  Oberprediger  Johann  George  Starke  ge- 
predigt.   Diakonus  war  Jacob  Philipp  Gensichen. 

Das  Stammholz  zur  neuen  Kirche  war  vom  Staate  aus  der  Ober- 
försterei Driesen  geliefert,  und  das  Stammgeld  hatte  der  damalige 
Oberförster  der  Kirchengemeinde  geschenkt,  aber  dafür  derselben  die 
Verpflichtung  auferlegt,  ein  Chor  für  seine  Forstbediensteten  zu  bauen. 
Während  des  Baues  der  Kirche  wurde  der  Gottesdienst  auf  dein  Boden 
des  Salzhaus«'S  abgehalten.  Der  Verband  des  Dachstuhls  der  neuen 
Kirche  ist  ein  seltenes  Werk,  welches  der  Zimmermeister  Klettuer  gebaut 
hat  und  das  in  heutiger  Zeit  die  Bewunderung  aller  Techniker  hervorruft, 
die  zum  Zweck  eines  Neubaues  der  Kirche  die  alte  besichtigt  haben. 

Das  im  Jahre  1662  gleichfalls  abgebrannte  Schulhaus  konnte  wegen 
Armut  der  Bürgerschaft  nicht  sofort  wieder  erbaut  werden,  daher  gab 
man  dem  damaligen  Rektor  und  zugleich  alleinigen  Lehrer  jährlich 
5  Thaler  zur  Miete  eines  Schulgebäudes,  jedoch  bereits  Ende  des  sieben- 
zehnten Jahrhunderts  wurden  ihm  2  Thaler  zugelegt,  da  für  ersteren 
Preis  eine  Wohnung  nicht  mehr  zu  haben  war.  Im  Jahre  11)91  kaufte 
dann  die  Stadt  vom  Uhrmacher  Schmieder  dessen  Wohnhaus  in  der 
Hinterstrasse,  jetzt  No.  {)  und  10,  für  90  Thaler  22  Groschen  und  konnte 
darauf  HO  Thaler  anzahlen,  während  der  Rest  in  6  Jahren  getilgt  wurde. 
Das  Haus  hatte  eine  Schulstube  und  eine  Stube  für  den  Rektor. 

Im  Jahre  1756  wurde  mit  dem  Zimmermeister  Düringen  vom  Rate 
der  Stadt  ein  Baukontrakt  zum  Bau  eines  neuen  Schulgebäudes  von 


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28 


Adolf  Reckting 


2  Etagen,  68  Fuss  lang,  36  Fuss  tief  und  17  Gebinden  a  Gebinde 

3  Thaler  und  1  Tonne  Richtbier  auf  der  wüsten  Kaplanei  am  Kirchhofe 
abgeschlossen.  Die  Mauersteine  hierzu  wurden  aus  Lauchstädt  gekauft 
und  pro  Tausend  mit  2  Thaler  17  Groschen  bezahlt.  Die  Gesamtbau- 
kosten exkl.  des  freien  Bauholzes  aus  der  Königlichen  Forst  betrugen 
488  Thaler;  das  Holz  hatte  nach  der  damaligen  Taxe  einen  Wert  von 
137  Thaler.  Im  neuen  Schulhause  waren  2  Schulklassen  und  2  Lehrer- 
wohnungen  eingerichtet.  Seit  1836  dient  dieses  Haus  zu  Lehrerwohnungen. 

Jedoch  zurück  zu  einer  für  die  Stadt  Driesen  sehr  trüben  Zeit,  welche 
für  sie  durch  den  1756  begonnenen  siebenjährigen  Krieg  eintrat  und  ihr 
viel  Unheil  brachte.  Hussland  hatte  sich  zu  unseren  Feinden  gesellt, 
und  im  Sommer  1758  rückte  eine  Armee  dieses  Reiches  von  Polen  her 
gegen  die  Mark  Brandenburg.  Ein  Grauen  überkam  die  Bewohner  der 
Stadt  und  deren  Umgebung,  wie  sie  es  lange  nicht  gekannt.  Von  der 
Ostsee  eilte  der  preussische  General  Graf  Dohna  zum  Schutze  der  Mark 
Brandenburg  herbei,  und  als  Avantgarde  kam  das  Freiregiment  des 
Grafen  von  der  Hordt  nach  der  Festung  Driesen  und  schlug  hier  den 
russischen  General  Demikoff,  welcher  Driesen  durcli  einen  Handstreich 
nehmen  wollte,  zurück.  Da  aber  Graf  Dohna  sich  zur  Oder  wenden 
musste,  um  zu  verhüten,  dass  der  Feiud  in  die  innere  Mark  Branden- 
burg eindringe,  war  auch  Oberst  Hordt  genötigt,  ihm  samt  der  Besatzung 
von  Driesen,  einer  Kompagnie  Invaliden  und  dem  Festungskommandanten 
Oberstlieutenant  von  Schwerin,  nachdem  sie  noch  bei  Annäherung  der 
Russen  hier  alles  verbrannten,  zu  folgen. 

Am  11.  Juni  1758  erschienen  die  Russen  zum  ersten  Mal  in  diesem 
Kriege  vor  Driesen  und  zündeten  das  Ziemanskysche  Vorwerk  an.  Es 
brannten  ein  mit  Ziegeln  gedecktes  Haus,  zwei  Scheunen  von  90  Fuss 
Länge  und  die  Ställe  nieder,  wobei  3  Kälber,  2  fette  und  6  magere 
Schweine  und  das  ganze  Federvieh  umkamen.  Das  übrige  Vieh  war 
auf  die  Weide  in  das  Bruch  getrieben.  Seinen  Verlust  gab  Zieinansky 
auf  1603  Thaler  an.  Er  brachte  darauf  seine  Familie,  welche  nichts 
gerettet  hatte,  nach  Stettin  und  trat  dortselbst  als  Lieutenant  in  die 
Armee  ein.  Vorher  war  Ziemansky  in  Driesen  Bürgermeister  gewesen. 
Am  13.  Juli  gingen  die  Russen  bei  Trebitsch  über  die  Netze  und  nahmen 
dort  sämtliches  Vieh  fort. 

Am  14.  Juli  traf  das  Hordtsche  Freiregiment  mit  2  Kompagnien 
Landmiliz,  sowie  der  preussischen  Besatzung  der  Festung  Driesen,  von 
den  Russen  verfolgt,  in  Friedeberg  ein,  und  dort  kam  es  vor  dem 
Driesener  Thore  mit  den  Russen  zum  Gefecht,  wo  die  Preussen  weichen 
mussten.  Hordt  hatte  hierbei  einen  Verlust  von  27  Mann  und  3  Kanonen 
und  zog  sich  auf  Cüstrin  zurück.  An  demselben  Tage,  den  15.  Juli  1758 
nachmittag  4  Uhr,  rückten  die  Russen  in  Driesen  ein,  und  nahm  der 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


2<l 


russische  Oberst  Molina  die  Festung  in  Besitz.  Er  Hess  sofort  die 
Werke  verstärken,  wobei  die  Bewohner  der  umliegenden  Städte  und 
Dörfer  Schanzarbeiten  verrichten  mussten.  Die  Bürger  Driesens  waren 
in  die  Brücher  geflüchtet  und  hatten  dort  ihre  beste  Habe  und  ihr  Gut 
vergraben.  Mit  ihnen  waren  auch  beide  Prediger  geflohen.  Die  Bürger 
weigerten  sich  später,  sie  wieder  anzunehmen,  da  sie  die  Stadt  in  der 
Zeit  der  Gefahr  verlassen  hatten.  Der  Prediger  Abraham  kam  während 
dieser  Zeit  nach  Driesen  und  hielt  den  Gottesdienst,  und  erst  durch 
dessen  Vermittelung  nahm  die  Bürgerschaft  die  beiden  hiesigen  Prediger 
wieder  auf,  jedoch  mussten  sie  zuvor  öffentlich  geloben,  in  jeder  Gefahr 
bei  ihrer  Gemeinde  künftig  zu  bleiben.  Nachdem  die  Russen  bei  Zorn- 
dorf von  den  Preussen  geschlagen  waren,  zogen  sie  sich  bis  Landsberg 
zurück;  da  aber  hier  wenig  Lebensmittel  vorhanden,  ging  die  Armee 
des  Generals  Fermor  nacli  Pommern.  Die  bei  Landsberg  zurückge- 
lassene Besatzung  wurde  von  preussischen  Truppen  bei  Zantoch  in  das 
polnische  Gebiet  zurückgedrängt  und  ein  Teil  davon  machte  in  und  um 
Driesen  Halt.  Auf  ihrem  Zuge  wurde  überall  geplündert  und  gebrannt, 
die  Einwohner  gek nutet  und  ihr  Vieh  mitgenommen.  So  waren  in 
Gurkow  allein  48  Gehöfte  in  Asche  gelegt,  und  in  Friedeberg  ent- 
kleideten sie  den  Juden  Gumpert  auf  dem  Markte  und  peitschten  ihn 
fast  zu  Tode. 

Am  14.  Oktober  1758  erhielt  der  Magistrat  zu  Driesen  vom 
russischen  General  Dietz  den  Auftrag,  2600  Thaler  Kontribution,  die 
erste  Hälfte  zum  20.  Oktober,  die  zweite  zum  1.  November  von  den 
Bürgern  zu  erheben  und  au  seine  Armee  abzuführen,  andernfalls  er  den 
Bürgern  alles  fortnehmen  würde.  Dies  wurde  sofort  durch  den  Rat 
und  den  Gewerksältesten  bekannt  gemacht.  Den  nächsten  Tag  ging  der 
Rat  zu  dem  russischen  Kommandanten  Peters  und  erklärte  diesem,  dass 
die  Stadt  zu  arm  wäre,  um  eine  so  hohe  Summe  zu  zahlen,  worauf  der 
Kommandant  zur  Absendung  einer  Bittschrift  an  die  Kaiserin  und  an 
den  russischen  Oberbefehlshaber  riet,  damit  der  Auftrag  von  dein 
General  Dietz  zurückgenommen  würde.  Dies  geschah  denn  auch  sofort, 
doch  wurde  die  vorläufige  Aufbringung  des  Geldes  aufrecht  erhalten 
und  auf  die  Bürger  repartiert.  Es  kamen  aber  nur  800  Thaler  zusammen. 
Am  23.  Oktober  traf  vom  General  von  Dietz  auf  die  Petition  die  Ant- 
wort ein.  Die  Zahlungstermine  waren  nur  bis  zum  1.  und  15.  November 
verlängert  mit  der  Bedinguug,  dass  dann  das  Geld  in  Dramburg  abzu- 
liefern wäre.  Eine  Deputation,  bestehend  aus  den  beiden  Bürgermeistern 
Muthmann  und  Eift'ert,  dem  Stadtgeschworenen  Modrow  und  dem  Ge- 
werksältesten Sehneil  reiste  von  hier  in  Begleitung  von  2  Kosaken  mit 
den  eingekommenen  800  Thalern,  wozu  noch  200  Thaler  aus  der  Feuer- 
kasse genommen  wurden,  nach  Dramburg  und  zahlten  an  die  Kanzlei 
des  General  Dietz  diesen  Betrag,  aber  an  eine  Ermässigung  war  nicht 


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30 


Adolf  ReckHng: 


zu  denken.  Den  darauf  folgenden  Tag  brach  die  ganze  russische  Armee 
auf,  und  die  Deputation  musste  ohne  Bedeckung  zurückfahren. 

In  Driesen  traf  die  Nachrieht  ein,  dass  8000  Preussen  in  Lands- 
berg  und  Friedeberg  dort  die  Russen  vertrieben  hätten,  worauf  die  hier 
in  der  Stadt  liegenden  russischen  Soldaten  sofort  in  die  Festung  sich 
zurückzogen  und  in  der  Nacht  abmarschieren  wollten;  allein  dies  unter- 
blieb infolge  einer  zweiten  Nachricht,  dass  die  Preussen  nach  Stargardt 
marschiert  seien. 

Am  8.  November  1758  kamen  noch  2  Regimenter  russischer  Truppen 
hier  an  und  begannen  die  Festungswälle  abzutragen.  Abends  wurden 
die  Pallisadeu  und  Faschinen  um  die  Festung  angezündet  und  den  fol- 
genden Tag  mit  dem  Abgraben  der  Wälle  fortgefahren. 

Am  22.  November  1758  verliessen  die  Russen  die  Festung  Driesen 
und  den  Friedeberger  Kreis,  nachdem  sie  noch  vorher  grosse  Kontri- 
butionen erhoben  hatten.  Für  die  Festung  hier  waren  von  Friedeberg 
60  Ochsen,  1500  Scheffel  Roggen  und  2200  Scheffel  Gerste  geliefert. 
Die  Stadt  Woldenberg  konnte  von  den  geforderten  40  Ochsen  nur  die 
Hälfte  liefern,  und  hatte  dazu  1000  Scheffel  Roggen,  1000  Scheffel  Gerste 
und  448  Scheffel  Hafer  zu  geben.  Driesen  sollte  31  Ochsen,  150  Scheffel 
Roggen  und  400  Scheffel  Gerste  aufbringen,  war  aber  hierzu  nicht  in 
der  Lage,  so  dass  der  der  Bürgerschaft  wohlwollend  gesinnte  Oberst 
Olitz,  der  auch  sonst  stets  gute  Zucht  hier  unter  den  Soldaten  gehalten 
hatte,  der  Stadt  diese  Abgabe  erliess. 

Da  der  Rest  der  vom  General  Dietz  der  Stadt  auferlegten  Kon- 
tribution nicht  gezahlt  werden  konnte,  rückte  im  September  1759  wieder 
ein  russisches  Exekutions-Kommando  unter  Major  von  den  Brinken  hier 
ein,  der  unterm  15.  September  1759  vom  Magistrat  Friedeberg  1500  Thaler 
Kontributionsgelder  verlangte;  darauf  sandte  letzterer  eine  Deputation 
nach  hier,  welche  dem  General  Dietz  150  Thaler  schenkte,  worauf  dieser 
den  geforderten  Betrag  auf  300  Thaler  ermässigte,  der  ihm  dann  sofort 
gezahlt  wurde. 

Im  Jahre  1760  durchzogen  die  Kosacken  von  Driesen  aus  den 
ganzen  Friedeberger  Kreis,  verübten  häufig  Unfug  und  Diebstähle,  so 
dass  die  Städte  den  Marschall  Butterlin  in  Arnswalde  um  eine  stehende 
Schutzwache  baten,  die  ihnen  auch  gewährt  wurde.  Bis  zum  22.  No- 
vember 1760  musste  für  die  Kosacken  in  Driesen  Brot  und  Fourage 
geüefert  werden. 

Im  Frühjahr  1761  zog  von  Polen  aus  ein  russisches  Heer  unter 
Marschall  Butterlin  nach  Schlesien,  um  sich  dort  mit  den  Östreichern 
zu  vereinigen,  und  ein  zweites  Corps  unter  General  Romanzow  nach 
Pommern.  Die  Generale  von  Berg,  von  Fermar  und  Butterlin  blieben 
in  Driesen,  und  die  Stadt  hatte,  wie  im  Jahre  vorher,  dem  hier  liegenden 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


31 


Fürsten  Dolgurucki  8  Fuder  Heu  zu  geben  und  musste  das  Fuder  kaufen 
und  mit  l  Thaler  12  Groschen  bezahlen. 

Schon  in  den  ersten  Tagen  des  Juni  1761  zeigten  sich  bei  Driesen 
wieder  Kosacken,  und  am  Dienstag,  den  9.  Juni  1761,  abends  Cy  Uhr, 
sah  man  eine  grosse  Truppenmasse  vom  kurzen  Damm  her  anmarschieren, 
welche  sich  in  einer  Entfernung  von  1UUU  Schritt  von  der  Stadt  auf 
dem  Felde  ausbreitete  und  Biwak  bezog.  Kurze  Zeit  darauf  kamen 
einige  Kosacken  zur  demolierten  polnischen  Brücke  und  einige  zur  Netze, 
gegenüber  dem  Salzhause,  geritten  und  verlaugten  den  Bürgermeister  zu 
sprechen.  Als  dieser  erschien,  forderten  sie  Brot  für  2  Regimenter,  das 
sofort  auf  Kähnen  herüber  geschafft  werden  sollte.  Der  Bürgermeister 
sagte  ihnen,  dass  Kähne  nicht  da  seien,  und  sie  möchten  nur  durch  die 
Netze  reiten  und  sich  das  Brot  selbst  holen.  Darauf  ritten  sie  wieder 
ab,  aber  nach  einer  Stunde  kam  ein  Major  mit  mehreren  Kosacken, 
ritten  durch  die  Netze  und  verlangten  vom  Bürgermeister  die  Wieder- 
herstellung der  demolierten  Brücke  bis  zum  nächsten  Morgen.  Auf  die 
Einwendung,  dass  dies  nicht  möglich  sei,  sagte  der  Major,  wenn  er 
100  Rubel  erhielte,  so  wolle  er  den  Baumeister  selber  machen  und  den 
Bau  bald  vollenden;  auch  würde  er  sich  mit  närrischen  Ausreden  nicht 
abweisen  lassen;  er  wisse  wohl,  dass  die  Brücke  auf  Befehl  des  Königs 
abgebrochen  sei,  auch  würde  er  wohl  Kähne  ünden,  doch  dann  solle  es 
für  die  Stadt  ein  Unglück  werden.  Hierauf  erwiderte  ihm  der  Bürger- 
meister, dass  sämtliche  Kähne  nach  Küstrin  seien  und  sich  heute  hier 
in  der  Stadt  schon  preussische  Husaren  gezeigt,  die  stündlich  zurück 
erwartet  würden,  worauf  er  sofort  zu  seiner  Truppe  wieder  zurückritt. 

Abends  11  Uhr  überbrachten  einige  Kosacken  dem  Bürgermeister 
den  Befehl,  er  solle  den  nächsten  Tag  früh  zum  Kommandeur  hinaus- 
kommen, und  wenn  dies  auf  zusammengebundenen  Trögen  geschehen 
müsste,  sollten  die  Kosacken  bis  dahin  noch  Kähne  auffinden,  dann 
würde  man  ihn  aufhängen. 

Den  nächsten  Morgen  erschien  denn  auch  ein  Kommando,  um  den 
Bürgermeister  zu  holen.  Er  sollte  mit  durch  die  Netze  reiten,  was  er 
sich  zu  thun  weigerte,  worauf  sie  den  Dolmetscher  allein  mit  hinaus 
nahmen.  Nachdem  letzterer  mit  einem  Offizier  wieder  zurückgekehrt 
und  diesem  eröffnet  wurde,  die  Stadt  hätte  seit  Beginn  des  Krieges 
keine  Zufuhr  und  Ernten  gehabt,  und  der  russische  General  Czernitscheft' 
hätte  bereits  vor  3  Jahren  deshalb  die  Stadt  von  der  Getreidelieferung 
befreit,  Hess  er  von  seiner  Forderung  1300  Pfund  Brot  fallen,  verlangte 
jedoch,  dass  2000  Pfund  geliefert  weiden,  davon  sofort  304  Pfund,  und 
er  würde  auch  diese  nicht  fordern,  wenn  es  nicht  unbedingt  nötig  wäre. 
Für  seinen  Tisch  solle  man  ihm  morgen  besonders  einen  Hammel  und 
ein  Kalb  senden,  wobei  er  dann  die  Äusserung  that:  „Bin  ich  gut 
Oberst",    was    dann  der    Bürgermeister  Muthmann,    sich    bei  ihm 


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32 


Adolf  Reckling: 


bedankend,  bejaht«*.  Zugleich  erhielt  der  Magistrat  den  Auftrag,  an  den 
Magistrat  Landsberg  zu  schreiben,  damit  dieser  eine  Tonne  Häringe, 
eine  Tonne  Salz  und  10()()  Pfund  Brot  liefere,  wie  ebenso  nach  Friede- 
berg und  nach  Woldenberg  behufs  Lieferung  von  je  eines  Ankers  Wein 
und  Branntwein.  Mittags  inusste  der  Magistrat  noch  einmal  an  diese 
drei  Städte  schreiben,  dass  Landsberg  am  lti.  Juni  100  Schafe,  1000  Brote, 
o  Tonnen  Häringe  und  5  Tonnen  Salz,  Friedeberg  und  Woldenberg  je 
50  Schafe,  den  Rest  von  400  Broten  und  weitere  500  Brote,  2  Tonnen 
Salz  und  2  Tonnen  Häriuge  nach  Driesen  zu  liefern  hätten,  und  wenn 
dies  nicht  geschehen  würde,  kämen  starke  Kommandos,  die  alles  fort- 
nehmen würden.  Auch  Driesen  inusste  die  1000  Brote  geben  und  auf 
Wunsch  des  Obersten  ein  Bett  hinaussenden. 

Am  Sonntag,  den  14.  Juni  1701,  lud  sich  der  Oberst  beide  Bürger- 
meister zum  Mittagessen  ein.  Entschuldigungen  wurden  zurückgewiesen, 
auch  gefordert,  Tischzeug,  Zinn  und  dergleichen  mitzubringen.  Die 
Bürgermeister  wurden  vom  Obersten,  der  mit  17  Offizieren  'zu  Tisch 
sass,  mitKüssen  bewiUkommt  und  ihnen  zu  beiden  Seiten  von  ihm  die  Plätze 
angewiesen.  Tische  und  Stühle  gab  es  an  der  Tafel  nicht,  sondern  mau 
sass  nach  orientalischer  Sitte  auf  der  Erde  mit  kreuzweise  übereinander 
geschlagenen  Beinen,  welches  der  erste  Bürgermeister  wegen  seiner 
Korpulenz  nicht  fertig  bekam.  Zum  Empfange  erhielt  jeder  einen 
Humpen  Wein,  der  sofort  geleert  werden  inusste.  Das  Essen  bestand 
aus  Hühnerfleischsnppe  und  drei  Gerichten  Hammelfleisch,  davon  das 
letzte  gebraten.  Wein  wurde  aus  grossen  Gläsern  getrunken  und  der 
Oberst  hielt  darauf,  dass  jeder  stets  sein  Glas  sofort  bis  auf  den  Rest 
austrank. 

Ende  Juni  17(>1  zogen  diese  Truppen,  zuletzt  waren  es  3  Regimenter, 
nachdem  sie  drei  Wochen  hier  im  Biwak  gelegen,  wieder  ab. 

Im  Herbst  17Ü1  marschierte  die  ganze  russische  Armee  durch 
Driesen,  im  ganzen  14  000  Mann,  und  nach  ihr  kamen  wieder  preussische 
Truppen  unter  General  von  Platen  hier  an,  der  jene  verfolgte  und  später 
zwischen  Berlinchen  und  Bernstein  ein  Gefecht  mit  ihr  hatte.  Aus  diesem 
Gefecht  brachte  man  auf  30  Wagen  verwundete  Kosacken,  auf  4  Wagen 
schwerverwundete  Preussen,  und  ausserdem  an  gefangenen  Preusseu 
einen  Artillerie  -  Oberst,  14  Husaren,  47  Dragoner  vom  Regiment 
Holstein  nach  Driesen.  Am  30.  September  1761  kam  das  Gros  der 
russischen  Armee  unter  Marschall  Butterlin  und  General  Fermor 
wieder  zurück,  der  erstere  ging  dann  am  G.  Oktober  gegen  Wolden- 
berg, doch  blieben  noch  Infanterie-  und  Kavallerietruppen  hier  an  der 
Netze  zurück  und  namentlich  durch  letztere  hatten  die  Bruchgegend  und 
die  Dörfer  viel  zu  leiden.  Ganze  Schaaren  von  Bruchkolonisten  kamen 
nackt  und  bloss  nach  Driesen  geflüchtet,  andere  versteckten  sich  in  den 
Büschen,  Brüchern  und  Forsten.    In  Driesen  wurde  den  Bürgern  vom 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


33 


Feinde  alles  Futter,  Brot,  Getreide  und  Lebensmittel  genommen,  und 
man  musste  das  Notwendigste  von  Arnswalde  wieder  herbeiholen  und 
dort  für  den  Scheffel  Koggen  3  bis  4  Thaler  zahlen.  Der  russische 
Major  Völkersam,  welcher  die  Not  hier  sah,  nahm  daher  den  Bedarf  für 
seine  Truppen  von  anderen  Städten;  trotzdem  hatte  die  Stadt  Driesen 
vom  16.  September  ab  50  Kosacken  vom  Kolparoffschen  Regiment  und 
andere  durchziehende  Detachements  zu  verpflegen. 

Zu  dieser  Zeit  gab  es  in  Driesen  nur  153  Häuser.    Die  Bürger 
konnten  den  Truppen  nichts  mehr  geben  uud  wendeten  sich  um  Befreiung 
von  der  Heulieferung  an  den  General  von  Berg  in  Stargardt;  sie  wurden  aber 
abgewiesen,  doch  sollten  sie  für  die  russische  Armee  keine  Körner  mehr 
liefern.    Der  Kosackenoffizier  hierselbst  kehrte  sich  jedoch  an  diesen 
Befehl  nicht  und  liess  sich  mit  seinen  Kosacken,  wie  bisher,  weiter  ver- 
pflegen, sodass  die  Bürgerschaft  ihr  letztes  Hab  und  Gut  hingeben 
musste.    Als  der  Bürgermeister  Muthmann  durch  den  Dolmetscher  dem 
Offizier  mitteilen  liess,  dass  die  Stadt  nun  nichts  mehr  liefern  könne, 
liess  ihm  dieser  zurücksagen,  dass  er  ihm  dann  Klötze  an  die  Füsse 
legen  uud  damit  fortschleppen  lassen  würde,  auch  sollte  man  dann  für 
jedes  Pferd,  welches  krepierte,  100  Rubel  zahlen;  der  Bürgermeister 
wäre  garnichts  gegen  einen  Kosacken  und  wenn  er  selbst  General  in 
der  preussischen  Armee  gewesen  wäre.    Wenn  er  erst  die  Antwort  von 
seinem  General  aus  Posen  zurückhabe,  würden  20  Kosacken  mit  Pieken 
zum  Bürgermeister  reiten,  ihm  die  Hände  auf  den  Rücken  binden  und  ihn 
in  die  Wache  werfen,  dann  würde  wohl  seinen  Kosacken  Brot  geliefert 
werden.    Ferner  würde  er  den  Bürgern  aus  den  Häusern  alles  fort- 
nehmen.   Darauf  beschwerte  sich  der  Bürgermeister  Muthmann  beim 
Fürsten  Wolchonsky  in  Posen  über  diese  Behandlung  und  bat  ihn,  er 
möchte  sich  doch  der  Stadt  Driesen  annehmen.    Am  16.  November  1761 
erschien  auf  der  polnischen  Seite  an  der  Netze  bei  Driesen  ein  Kommando 
Kosacken  und  überbrachte  dem  Bürgermeister  einen  schriftlichen  Befehl 
vom  Major  Völkersam,  die  Brücke  über  die  Netze  so  schnell  als  möglich 
wiederherzustellen.    Es  wurde  darauf  die  Bürgerglocke  geläutet  und  die 
Hälfte  der  Bürger  unter  Anleitung  eines  Zimmermanns  zum  Brückenbau 
beordert,  am  17.  November  wurde  damit  fortgefahren  und  diejenigen,  welche 
zu  Hause  blieben,  von  Kosacken  herbeigeholt.    Ein  Offizier  ritt  mit 
einigen  Kosacken  durch  die  Netze  zum  deutschen  Thor  und  liess  aus 
Furcht  vor  einem  Überfall,  einige  Bohlen  der  Brücke  aufnehmen,  und 
das  deutsche  Thor  schliessen. 

Das  von  der  zerstörten  polnischen  Thorbrücke  daselbst  zusammen- 
gesuchte Holz  reichte  zur  Wiederinstandsetzung  nicht  aus,  deshalb  liess 
der  Kommandeur  auf  dem  Holm  eine  Scheune  einreissen  und  die  Netze 
herunterflössen.  Am  Nachmittag  wurde  der  Kommandeur,  da  es  mit 
dem  Bau  zu  langsam  ging,   ungehalten  und  liess  durch  beide  Bürger- 

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34 


Adolf  Reckling: 


meister  den  Bau  beaufsichtigen.  Als  jodotrh  abends  die  Kosackenwache 
am  deutschen  Thor  eingezogen  wurde  und  sicli  über  die  Netze  zurückzog, 
Hofen  auch  die  Bürger  vom  Brückenbau  fort  und  nach  Hause. 

Am  18.  November  mittags  kam  der  Major  Völkersam  selbst  zur 
Brücke  geritten  und  sagte  zu  den  Bürgermeistern:  „Ich  beklage  Euch 
Driesener,  Ihr  kommt  mir  wie  die  Herrnstädter  vor,  mit  denen  haben 
wir  uns  auch  solange  gezankt,  bis  es  der  Feldmarschall  in  den  Grund 
schiessen  Hess.  Eure  Leute  demolieren  die  Brücke,  und  wir  zwingen 
Euch,  sie  wieder  zu  bauen.  Ich  habe  vom  Marschall  den  Befehl,  wenn 
es  unmöglich  wäre,  die  Brücke  zu  bauen,  so  würde  die  Netze  doch 
nicht  zu  breit  sein,  als  dass  die  Kosacken  durchkommen,  um  die  Stadt 
in  Asche  zu  legen". 

Der  Zimmermann  versprach  darauf  dem  Major,  mit  dem  Bau  bis 
zum  nächste?i  Morgen  9  Uhr  fertig  zu  werden,  worauf  ihm  dieser  als 
Belohnung  einen  Rubel  zusicherte,  andernfalls  würde  er  ihm  jedoch 
Klötze  an  die  Füsse  legen  lassen.  Darauf  ritt  er  zum  deutschen  Thor, 
Hess  dieses  wieder  schliessen  und  die  Bohlen  von  dieser  Brücke  zur 
polnischen  schatten,  welche  dann  damit  bis  zum  Abend  fertig  hergestellt 
wurde.  Die  Kosacken  gingen  darauf  zur  polnischen  Seite  zurück,  und 
die  Bürger  zogen  die  polnische  Thorbrücke  wieder  auf. 

Den  anderen  Tag  rückte  der  Major  Völkersam  mit  einem  Regiment 
Kosacken  in  die  Stadt  ein,  sodass  dessen  Soldaten  wieder  von  den 
Bürgern  verpflegt  werden  mussten;  Netzbruch  hattedas  nötigeHeu  zu  liefern. 
Ein  Kosack,  welcher  in  Trebitsch  den  Förster  Collins  beim  Gelderpressen 
geschlagen  hatte,  musste  diesem  auf  Anordnung  des  Majors  Völkersam 
das  Geld  zurückgeben  und  erhielt  mit  dem  Kantschuh  Prügel.  Am 
22.  November  1761  erhielt  der  Major  Völkersam  vom  Fürsten  Wol- 
chonsky  den  Bofehl,  mit  seinem  Regiment  nach  Posen  zu  marschieren. 
Es  wurden  daher  hier  in  Driesen  die  Thore  geschlossen  und  es  blieb  nur 
ein  Wachtkommando  zurück.  Dem  Magistrat  übergab  der  Major  noch 
ein  Rekommandationsschreiben  für  seinen  Nachfolger,  den  Obersten  Kal- 
pankoff,  welcher  bereits  den  2o\  November  mit  180  Kosacken  eintraf 
und  in  der  Richtstrasse  Quartier  nahm.  Den  folgenden  Tag  war  er  be- 
trunken, und  Bürger,  welche  gegen  seine  Soldaten  Klagen  bei  ihm  vor- 
brachten, erhielten  von  ihm  Ohrfeigen.  Dem  Sohn  des  Juden  Jacob, 
Namens  Leiser,  hing  er  sein  Kruzilix  um  und  zwang  ihn,  es  zu  küssen; 
hierauf  Hess  er  ihn  durch  einen  Kosacken  durch  die  Stadt  führen,  bis 
ihn  die  Eltern  auf  vieles  Bitten  zurückerhielten. 

Als  gegen  Mittag  der  Rittergutsbesitzer  von  Brand  aus  Wutzig  zu 
ihm  kam,  welcher  um  eine  Sicherheitswache  bat,  Hess  er  auch  den 
Stiidteforstmeister  von  KorfV  holen  und  die  beiden  Bürgermeister  zu  sich 
bitten,  um  mit  ihnen  zutrinken.  Letztere  lehnten  jedoch  ab  und  sandten 
den  Dolmetscher  Bürger  Weise  hin.     Der  Oberst  bewirtete  seine  Gäste 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


B5 


gut,  und  der  Stadtmusikus  musste  dabei  spielen.  Nach  dem  Essen  wurde 
mit  der  Gesellschafterin  des  Obersten  getanzt;  diese  hatte  man  ihm  von 
Arnswalde,  wo  sie  gefangen  war,  wieder  zugesandt.  Bei  froher  Wein- 
laune forderte  der  Landforstmeister  den  Obersten  auf,  er  möchte  doch 
auch  die  Bürgermeister  und  die  Viertelsmänner  holen  lassen,  jedoch 
lehnten  diese  die  Einladung  wieder  ab. 

Der  Bürger  Matzke  ging  zum  Obersten  und  führte  gegen  einen 
Soldaten  Klage.  Die  Gesellschafterin  wollte  die  Sache  schlichten,  jedoch 
der  Sotnick,  der  zugegen  war,  prügelte  sie  und  nannte  sie  hierbei  des 
Obersten  Dirne.  Der  Oberst  wollte  ihn  dafür  durch  einen  andern  Sot- 
nick prügeln  lassen,  was  dieser  jedoch  nicht  that.  Darüber  wurde  nun 
der  Oberst  so  wütend,  dass  er  beide  Sotnicks  mit  der  Faust  ins  Gesicht 
schlug  und  hiernach  mit  dem  Kantschuh.  Da  man  nun  befürchtete,  der 
Oberst  würde  den  Sotnick,  der  seine  Gesellschafterin  geschlagen,  töten, 
legte  man  ihn  auf  die  Erde,  prügelte  ihn  auf  dem  blossen  Kücken,  wobei 
der  Oberst  mitschlug.  Kosacken  kamen  nun  zum  Bürgermeister  Eiffert, 
bei  dem  der  Oberst  im  Quartier  lag,  und  baten  um  Hülfe.  Dieser  ging 
darauf  zum  Obersten,  entriss  ihm  den  Kantschnh  und  der  Sotnick  wurde 
losgelassen.  Einen  anderen  Sotnick,  welcher  vorher  für  seinen  Kameraden 
bitten  wollte,  hatte  der  Oberst  mit  dem  Säbel  über  den  Kopf  gesclüagen. 
Der  Oberst  tanzte  darauf  und  trank  mit  seinen  Gästen  weiter,  bis  er 
abends  in  der  Strasse  sitzend  einschlief  und  von  hier  ins  Bett  getragen 
werden  musste. 

Bei  solcher  Wirtschaft  zitterten  alle  Bürger  in  der  Stadt,  jedoch 
kam  abends  9  Uhr  der  Major  Völkersam  wieder  zurück  und  blieb  hier. 
Das  Betragen  des  Obersten  wurde  ihm  sofort  erzählt;  doch  am  nächsten 
Morgen,  als  der  Oberst  nüchtern  war,  ging  er  zum  Bürgermeister  und 
bat  ihn  um  Verzeihung. 

Landsberg  hatte  nun  wieder  800  Scheffel  Roggen  und  6  Tonnen 
Häringe,  und  Netzbruch  und  Trebitsch  Heu  zu  liefern.  An  einen 
Kosacken,  der  sich  hier  an  einem  Bürger  vergriffen  hatte,  statuierte  der 
Major  Völkersam  folgende  Strafe:  Er  Hess  ihn  so  sehr  knuten, 
dass  die  anderen  Kosacken  mit  erhobenen  Lanzen  auf  den  Major  ein- 
ritten,  wodurch  dieser  sich  jedoch  nicht  beeinflussen  liess  und  durch  ein 
donnerndes  „Zurück"  sie  wieder  zur  Ruhe  brachte. 

Am  24.  Dezember  1761  ging  der  Major  Völkersam  mit  seinem 
Regiment  nach  Birnbaum,  liess  hier  eine  kleine  Besatzung  zurück  und 
prägte  dem  Führer  Iwan  Saltuschin  ein,  die  schärfste  Manneszucht 
während  seiner  Abwesenheit  hier  zu  halten. 

Da  die  Lieferungen  aus  Friedeberg  und  Woldenberg  ausblieben, 
musste  die  Stadt  Driesen  zu  Weihnachten  1U0  Zweigroschenbrote  der 
Besatzung  hier  und  (lottsehiinm  der  Besatzung  in  Trebitsch  ein 
Schwein  liefern. 

3* 

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36 


Adolf  Reckling: 


Nachdem  die  Kosacken  des  Major  Völkersarnschen  Regiments 
Driesen  verlassen,  kam  am  18.  Januar  1762  eine  Eskadron,  94  Mann 
stark,  vom  russischen  gelben  Husarenregiment  mit  mehreren  Weibern 
und  Kindern  nach  Priesen  nnd  blieben  für  den  Winter  hier.  Pie  Bürger 
mussten  auch  diese  verpflegen,  und  es  erhielt  jeder  Soldat  morgens  1  Glas 
Branntwein  und  täglich  dreimal  zu  essen. 

Pie  Not  wurde  immer  grösser,  und  ein  Bürger  nach  dem  andern 
verliess  mit  seiner  Familie  die  Stadt,  sodass  der  Magistrat  befürchtete, 
dass  die  ganze  Bürgerschaft  auswandern  werde.  Per  Schulze  und  der 
Gerichtsmann  zu  Kietz  wurden  fürchterlich  geknutet,  weil  sie  nicht  sofort 
die  nötigen  Fische  liefern  konnten,  und  ebenso  wurden  die  Bürger  bei 
jeder  Kleinigkeit  geschlagen  und  gestossen.  Um  diese  Zeit  stellte  sich 
denn  auch  hier  noch  ein  hitziges  Fieber,  jedenfalls  Typhus,  ein  und  es 
erkrankten  daran  %  Personen.  Von  900  Einwohnern  starben  96  Per- 
sonen, an  manchen  Tagen  3  bis  4.  Pie  Ställe  waren  ohne  Dächer 
und  Fächer,  und  die  Husaren  verlangten,  dass  sie  ordnungsmässig 
repariert  und  gebohlt  würden.  Hierzu  wurden  die  Bretter  von  Thor- 
wegen, Giebeln  und  Stuben  genommen;  ja  selbst  in  Hausfluren  und 
Stuben  stellten  die  Husaren  ihre  Pferde  ein.  Vom  Boden  des  Amts- 
hauses nahm  mau  die  Bohlen  und  dielte  damit  die  Ställe  auf  dem 
Rittergute,  wobei  die  Bürger  helfen  mussten;  als  sie  aber  auch  die 
Fuhren  stellen  sollten,  beriefen  sie  sich  auf  ihre  Privilegien,  wonach  sie 
hierzu  erst  verpflichtet  seien,  wenn  kein  Pächter,  Edelmann,  Prediger 
oder  Bauer  ein  Pferd  mehr  im  Stalle  hätte. 

Viele  Bürger  baten  mit  weinenden  Augen,  sie  von  der  Last  der 
Verpflegung  der  Truppen  zu  befreien,  da  sie  sonst  mit  ihren  Familien 
verhungern  müssten.  Daher  sandte  der  Magistrat  an  den  Herzog  von 
Bevern  nach  Stettin  eine  Bittschrift  und  bat  um  Befreiung  von  den 
gelben  Husaren,  an  deren  Stelle  sie  zehnmal  lieber  Kosacken  im  Quartier 
haben  möchten. 

Am  26.  März  1762  verliessen  die  Husaren  Driesen,  und  die  Stadt 
hatte  eine  Forderung  von  379  Scheffel  Roggen,  95  Scheffel  Grütze  und 
1294  Thaler  an  Geld,  welches  der  Kommandeur,  von  Schwartreit,  nach 
einem  Befehl  des  Geuerals  von  Berg  an  die  Stadt  zahlen  sollte.  Zu 
diesem  Zweck  traf  am  1.  Oktober  1762  der  Lieutenant  von  Carpen,  ein 
Wachtmeister  und  2  Husaren  hier  ein,  die  den  Bürgern  mittelst  Ver- 
gleiches 858  Thaler  bezahlten.  Dafür  mussten  letztere  dem  Lieutenant 
30  Thaler  als  Geschenk  und  Fuhren  zur  Rückreise  nach  Pratzig  geben. 
Pie  Deputierten  und  Ersatzgeschworenen  erhielten  von  dem  gezahlten 
Gelde  4  Thaler  zu  Ergötzlichkeiten;  der  Magistrat  erhielt  für  seine  Be- 
mühungen davon  36  Thaler,  und  der  Rest  wurde  an  die  Quartierwirte 
verteilt. 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


37 


Nachdem  Peter  der  Dritte  den  russischen  Tlirou  bestiegen,  sehloss 
er  mit  Proussen  am  5.  Mai  17l>'2  zu  Petersburg  Frieden.  Am  1.  Plingst- 
feiertag  wurde  in  der  Driesener  Kirche  von  den  hier  liegenden  Russen 
das  Friedensfest  mitgefeiert,  und  bald  darauf  verliessen  dieselben  die 
Stadt  und  die  Festung. 

Nachdem  am  15.  Februar  1763  zu  Huberfusburg  auch  mit  Öster- 
reich der  Frieden  geschlossen  war,  endete  der  für  Driesen  so  verderblich 
gewordene  siebenjährige  Krieg.  Am  13.  Mai  desselben  Jahres  fand  die 
Feier  des  Friedensfestes  statt,  und  der  Oberprediger  Kröbel  predigte 
über  Kapitel  33  des  Propheten  Jeremias.  Einen  günstigen  Einfluss  auf 
Driesen  übte  die  Ende  17(5:2  beginnende  Kolonisation  des  Netzbruchs 
durch  den  Wirklichen  Geheimen  Oberfinauz-  und  Domänenrat  Balthasar 
Schönberg  von  Brenkenhotf,  der  seinen  Sitz  in  Driesen  nahm.  Ihm  war 
die  Aufgabe  zugefallen,  die  von  den  Russen  verwüstete  Neumark  wieder 
herzustellen  und  das  Netz-  uud  Warthebruch  urbar  zu  machen,  und  mit 
einer  Arbeitskraft  uud  Arbeitsliebe  ohnegleichen  hat  er  das  Werk 
vollendet.  Viele  wegen  Glaubenshass  in  andere  Länder  Vertriebene 
fanden  hier  in  und  bei  Driesen  eine  neue  Heimat.  Zu  gleicher  Zeit 
hörte  auch  Driesen  auf,  Festung  zu  sein,  die  Häuser  in  derselben 
wurden  mit  Kolonisten  besetzt  und  die  Neustadt  hierselbst  nach  einem 
Plane  Brenkenhoffs  neuerbaut.  Ebenso  wurden  auf  Driesener  Grund  die 
Kämmerei-Kolonien  Neu-Ulm  und  Militzwinkel  angelegt,  deren  Bewohner 
eine  jährliche  Grundrente  von  971)  Thalern  1(>  Groschen  3  Pfennige  an 
die  Kämmereikasse  zu  zahlen  hatten. 

Das  Tuchmachergewerbe  begann  sich  nach  und  nach  zu  heben 
und  stand  bald  in  voller  Blüte,  da  Brenkenhoff  für  Absatzquellen 
sorgte;  es  wurden  namentlich  viele  Tuche  nach  Russland  und  der  Moldau 
verkauft. 

Driesen  gehörte  mit  den  Städten  Memel,  Tilsit,  Königsberg,  Elbing, 
Bromberg,  Stettin  und  Breslau  zu  den  begünstigten  und  privilegierten, 
denen  allein  die  Erlaubnis  erteilt  war,  mit  Polen  auf  Grund  des  Zoll- 
tarifs vom  24.  Mai  1775  Handel  zu  treiben  und  fremde  und  seidene 
Tücher,  sowie  andere  Waren  nach  Polen  einzuführen. 

Die  vom  Kommerzionrat  Treppmacher  ans  Posen  hier  in  Driesen 
auf  dem  Festungsplatz  No.  17  mit  einem  Betriebskapital  von  100000  Thalern 
errichtete  Handlung  versandte  viele  Waren,  namentlich  Wein  nach  Polen, 
und  Ungarwein  bis  an  den  Königlichen  Hof  nach  Schweden. 

Der  Fleischer  Modrow  betrieb  einen  regen  Handel  mit  podolischen 
und  ukrainischen  Ochsen  nach  Berlin. 

Da  Driesen  wenig  Acker  besass,  war  es  den  Bürgern  gestattet, 
das  Getreide  aus  Polen  zum  eigenen  Gebrauche  zollfrei  einzuführen; 
doch  durften  sie  unverzolltes  Getreide  durch  das  deutsche  Thor  nicht 
wieder  ausführen. 


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38 


Adolf  Ruckliug: 


Nach  einer  Viktualientabelle  des  Magistrats  vom  5.  März  1707 
kostete  der  Scheffel  Weizen  1  Thaler  7,/'J  Groschen,  1  Scheffel  Roggen 
24  Groschen,  1  Scheffel  kleine  Gerste  171/*  Groschen,  1  Scheffel  Hafer 
II1/*  Groschen,  die  Tonne  Bier  2  Thaler,  1  Quart  Bier  6  Pfennige. 
Eine  Semmel  für  »i  Pfeuuige  wog  Iii  Loth  1  Quentchen,  1  Scharren- 
brot für  21/»  Groschen  ß  Pfund,  ein  Hausbackenbrod  für  2,/l2  Groschen 
(i  Pfund  2()lti  Loth.  Das  Pfund  Rindfleisch  kostete  l1/«  Groschen,  das 
Pfund  Schweinefleisch  ll/3  Groschen,  das  Pfund  Kalbfleisch  1  Groschen. 

Da  die  Sperlinge  für  schädlich  gehalten  wurden ,  erliess  die 
Regierung  eine  Verordnung,  wonach  jeder  Hausbesitzer  jährlich  an  den 
Magistrat  12  Sperlingsköpfe  zu  liefern  hatte.  Auf  diese  Weise  wurden 
im  Jahre  1707  in  Drieseu  2124  Sperlingsköpfe  geliefert. 

Im  Jahre  1772  wurde  die  grosse  Poststrasse  von  Berlin  nach 
Königsberg  i.  Pr.  und  die  von  Posen  nach  Stettin  über  Driesen  gelegt. 

Zum  Transport  der  vielen  nach  Ostpreusseu  zu  transportierenden 
Rekruten  stand  hier  ein  Kommando  Dragoner.  Am  Uolmerthor  war 
nur  eine  Pforte,  und  es  musste  hier  ein  Thorschreiberhaus  und  zwischen 
der  kleinen  Netze  und  dem  Festungsgraben  Pallisaden  errichtet  werden, 
um  das  Desertieren  der  Soldaten  zu  verhindern.  Das  Brennholz  zu  den 
Wachen  und  zum  Lazarett  musste  durch  Abgabe  je  einer  Klobe  von 
den  die  Thor«  passierenden  Holzwagen  geliefert  werden,  und  nach  dem 
Accise  -  Manual  passierten  jährlich  5500  Fuhren  mit  Holz  die  beiden 
Stadtthore. 

Im  Jahre  1775  gab  es  in  Driesen  5  Schutzjuden,  welche  Häuser 
als  Eigentum  erwerben  durften,  jedoch  mussten  sie  dafür  einen  hoheu 
Schutzzoll  zahlen.  Ausser  diesen  waren  hier  noch  andere  jüdische 
Familien  wohnhaft,  im  ganzen  ilö  Köpfe,  stark.  Den  Gottesdienst  in 
ihren  Häusern  zu  halten,  wurde  ihnen  verboten,  und  auf  Brenkenhoffs 
Anordnung  mussten  sie  1767  eine  Synagoge  bauen. 

Am  7.  Februar  1 774  brach  bei  einem  starken  Sturm  die  Kirchturm- 
spitze ab  und  schlug  durch  das  Dach,  sodass  sie  4  Fuss  in  dem  Schiff 
der  Kirche  steckte. 

Am  2.  August  1777  schlug  der  Blitz  in  den  Kirchturm  und  setzte 
diesen  in  Brand.  Infolgedessen  musste  später  die  oberste  Kapsel  abge- 
nommen werden. 

Das  auf  dem  alten  Markt  stehende  Rathaus  war  so  baufällig,  dass 
es  dem  Einsturz  drohte,  und  es  wurde  1780  abgebrochen.  Die  alten 
Materialien  wurden  verkauft  und  brachten  54  Thaler  21  Groschen.  Beim 
Sattler  Rolüeder,  Richtstrasse  No.  1  wurde  ein  passendes  Lokal  gemietet, 
bestehend  aus  einer  Stube  zum  Sessionszimraer,  einer  Stube  mit  Alkoven 
zur  Registratur,  Küche  und  Kammer  zum  Holzgelass,  ferner  im  Seiteu- 
gebäude eine  Stube  und  Kammer  zur  Dienstwohnung  und  ein  Stall  zur 
Unterbringung  der  Rats  wage  und  Rohrs  pritze.  Die  Miete  dafür  betrug  vom 


Guschichte  der  Stadt  Dritten. 


39 


21.  Juli  178«)  bis  1.  Oktober  17«%  jährlich  30  Thaler:  du  über  die  Nach- 
bargebäude initStroh  uudSchindel  gedeckt  waren,  wurde  vom  1.  Oktober  178(> 
eine  ähnliche  Wohnung  in  der  Holmstrasse  25  gemietet. 

Im  Jahre  171)2  erhielt  der  Magistrat  vom  Ministerium  den  Befehl, 
ein  eigenes  Rathaus  zu  bauen,  doch  unterblieb  es,  da  nicht  soviel  Geld 
dafür  vorhanden  war,  denn  die  Kommune  hatte  nur  2t  K)  Thaler  ausge- 
liehen,  und  der  Käinmereiüberschuss  betrug  nur  18  Thaler,  die  Anschlags- 
summe zum  neuen  Rathaus  aber  3500  Thaler.  Da  aber  das  Ministerium 
bei  seiner  Anordnuug  blieb,  kaufte  1798  der  Magistrat  das  Haus  des 
Schutzjuden  Abraham  Judas  in  der  Richtstrasse  No.  2b  (jetzt  Amts- 
gerichtsgebäude)  für  4150  Thaler  als  Rathaus  au  und  lieh  der  Ritter- 
gutsbesitzer von  Waldow-Mehrenthin  der  Stadt  hierauf  301 X)  Thaler  u  4  n/0 
zur  ersten  Stelle.  Beim  Ausbau  des  Gebäudes  erhielt  der  Maurermeister 
Herold  pro  Tag  15  Groschen,  für  den  Gesellen  \iln  Groschen  uud  für 
den  Handlanger  7I'i  Groschen. 

Durch  Anlegung  des  Bromborger- Kanals  war  die  SchiftTahrt  auf 
der  Netze  zu  jener  Zeit  schon  sehr  bedeutend,  denn  im  Jahre  1785 
passierten  2000  Kähne  die  Netze  bei  Priesen.  Nachdem  der  Krieg  wegen 
der  zweiten  Teilung  Polens  beendet  war  und  die  Regimenter  zurückkehrten, 
erhielt  Priesen  als  Garnison  die  3.  Eskadron  des  von  Prittwitzschen 
Dragoner-Regiments,  die  vorher  in  Bärwalde  gestanden  hatte.  Es  kostete 
viel  Mühe,  für  180  Pferde  Stallung  zu  beschaffen,  und  es  erhielten  die 
Bürger  zum  Bau  der  Ställe  freies  Bauholz  aus  der  Königlichen  Forst  und 
13  arme  Bürger  ausserdem  10b'  Thaler  Baugelder  geschenkt. 

Am  18.  November  1793  rückte  die  Schwadron,  von  Kaiisch  kommend, 
hier  ein,  bestehend  aus  dem  Oberst  und  Kommandeur  Grafen  Truchsess 
zu  Waldburg,  0  Offizieren,  53  verheirateten  Unteroffizieren  und  Dragonern 
und  39  unverheirateten  Dragonern. 

Der  Schreiber  des  Grafen  Truchsess  hiess  Rüther  und  war  zugleich 
seiu  Diener.  Derselbe  wurde  später  Chef  der  Seehandlung  und  1848 
Finanzminister.  Er  verheiratete  sich  hier  mit  der  Schwester  der  Ur- 
grossmutter  des  Schuhmachcrmeisters  Friedrich  Grunow,  Mittelstrasse  23, 
welche  im  Hause  des  Grafen  als  Jungfer  diente. 

Als  Koscioszki  Polen  befreien  wollte,  rückte  am  23.  März  1794  die 
Eskadron  wieder  aus  und  kehrte  erst  im  November  1795  zurück;  dann 
blieb  sie  bis  zum  Jahre  lSHG  hier  in  Garnison.  1790  erhielt  der  zum 
General  -  Major  ernannte  Graf  Truchsess  das  Kürassier  -  Regiment  in 
Warschau  (jetzt  Leib-Kürassier-Regiment  Grosser  Kurfürst  [schlesisches] 
No.  1)  und  an  seine  Stelle  kam  der  Oberst  von  der  Osten  als  Chef  des 
Dragoner-Regiments  nach  Driesen,  welcher  vom  Oberprediger  Starke  das 
Rittergut  hier  kaufte  und  bezog.  Im  Jahre  1799  wollte  das  Königliche 
Forstamt  den  Bürgern  das  ihnen  zustehende  freie  Bauholz  nicht  mehr 
geben,  doch  strengte  dieStadt  einen  Prozess  deshalb  au,  den  sie  auch  gewann. 


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40 


Adolf  Reckling: 


In  diesem  Jahre  kündigte  von  Waldow  -  Mührentirin  die  der  Stadt 
zum  Rathausankauf  gegebene  Hypothek,  und  da  diese  anderweit  nicht 
zu  beschaffen  war,  wollte  der  Magistrat  üerrn  von  Waldow  statt  4°/0 
fortan  5°/«  Zinsen  zahlen,  womit  derselbe  auch  einverstanden  war.  Der 
König  genehmigte  jedoch  diesen  höheren  Zinssatz  nicht  und  wies  den 
Magistrat  an,  das  Geld  vom  Neumärkischeu  Kirchenämter -Fonds  zu 
leihen;  das  Gesuch  wurde  aber  abgelehnt,  da  die  Stadt  Driesen  nicht 
die  nötige  Sicherheit  bieten  konnte.  Nachdem  dies  dem  Könige  berichtet 
war,  schrieb  er  zurück:  „Dann  solle  die  Stadt  dem  Waldow  die  5°/0  Zinsen 
geben*.  Am  1.  Januar  1801  wurde  überall  im  Lande  und  so  auch  hier 
das  Säkularjubelfest  gefeiert.  Der  Oberprediger  Samuel  Friedrich  Starke 
hielt  die  Festpredigt,  die  er  später  in  Jena  drucken  Hess;  er  predigte 
über  Daniel  cap.  2,  Vers  20 — 21.  Die  Bürgerschaft  hatte  sich  vor  dem 
Rathause  versammelt  und  ging  von  hier  in  feierlichem  Zuge  zur  Kirche. 
Nach  beendetem  Gottesdienst  sang  die  Gemeinde:  „Herr  Gott,  Dich  loben 
wir",  und  die  Schützengilde  gab  zum  Sehluss  drei  Salven. 

In  diesem  Jahre  hatte  Driesen  4  massive  und  130  Häuser  vou 
Fachwerk  mit  Ziegeldächern,  57  mit  Strohdächern,  41  Scheunen,  2  wüste 
Stellen,  Kirche,  Rat-,  Pfarr-  und  Schulhaus,  eine  Wasser-  und  2  Wind- 
mühlen. Die  Einwohnerzahl  bestand  aus  432  Männern,  492  Frauen, 
415  Söliuen,  450  Töchtern,  S2  Gesellen,  39  Knechten,  b"2  Jungen  und 
180  Mädchen,  in  Summa  2152  Bewohnern,  darunter  270  Personen  vom 
Soldatenstande  und  9  Schutz Juden  mit  W  Seelen.  Vou  den  östlichen 
Städten  der  Neumark  hatte  Driesen  den  grössten  Verkehr.  Es  waren 
in  der  Stadt  1  Apotheker,  2  Barbiere,  7  Bäcker,  10  Böttcher,  1  Buch- 
binder, 2  Drechsler,  2  Färber,  3  Garnweber,  1  Glaser,  1  Gärtner, 
5  Hufschmiede,  3  Hutmacher,  1  Kürschner,  3  Material warenhändler, 
2  Maurermeister,  2  Müller,  1  Nadler,  3  Stellmacher,  1  Sattler,  1  Seifen- 
sieder, 7  Fleischer,  2  Raschmacher,  1  Strumpfwirker,  2  Schlosser, 
15  Schneider,  30  Schuhmacher,  1  Stärkemacher,  7  Tischler,  2  Tabaks- 
spinner, 4  Töpfer,  85  Tuchmacher,  1  Tuchscheerer,  1  Weissgerber, 
1  Walker,  2  Zimmenncister;  überhaupt  304  Meister,  124  Gesellen  imd 
08  Lehrlinge. 

Es  waren  28  beständige  und  16  zeitweise  Braustellen  vorhanden, 
welche  im  Jahre  1800  im  ganzen  9f>  Wispel  IG  Scheffel  Malz  verbrauten 
und  1(>3  Tonnen  Bier  an  die  Schankwirte  absetzten;  80  Blasen,  die 
132  Wispel  Schrot  verbrannten  und  davon  4591  Quart  Branntwein  au 
die  Schankwirte  verkauft  hatten.  Der  Ackerbau  war  dagegen  unbe- 
deutend, und  es  wurden  nur  einige  sogenannte  Kainpländer  bestellt,  da- 
gegen auf  den  Wiesen  viel  Heu  gewonnen. 

Der  erste  Bürgermeister  hiess  Tannenbring,  und  der  Prokonsnl  und 
zugleich  Richter  Braun,  an  dessen  Stelle  1800  Strassburg  gewählt  war. 
Die  Senatoren  hicsseu  Henke  und  Masch. 


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Geschiebte  der  Stndt  Priesen. 


41 


Im  Jahre  1804  erwarb  der  Kanfmann  Maassen  vom  Kaufmann 
Christian  Jautzen  das  zum  Gasthause  erbaute  Haus  an  der  polnischen 
Brücke,  um  hier  eine  Tuchfabrik  anzulegen.  Zum  Ankauf  waren  ihm 
2000  Thaler  und  zur  Einrichtung  3000  Thaler  Vorschuss  vom  Staate 
gegeben,  welche  ihm  nach  15 jährigem  Betriebe  der  Fabrik  geschenkt 
werden  sollten.  Das  Geschäft  kam  auch  zu  Stande,  jedoch  nach  einem 
Jahre  starb  Maassen  auf  einer  Geschäftsreise  in  Frankfurt  a.  O.  und  die 
Fabrik  ging  wieder  ein. 

Im  Jahre  1805  wurde  für  die  Kirche  eine  Orgel  beschafft  und  es  lieh 
hierzu  die  Armenkasse  der  Kirchenkasse  800  Thaler,  welche  Summe  vom 
Jahre  1816  ab  in  jährlichen  Katen  von  100  Thalern  zurückzuzahlen 
war.  Die  Orgel  hatte  907  Thaler  gekostet  und  wurde  vom  Orgelbauer 
Grüneberg  in  Stettin  gebaut;  ausserdem  erhielt  er  für  sich  und  seine 
Gehülfen  bei  Aufstellung  dorselben  freies  Quartier  und  Beköstigung. 

Im  Oktober  1805  rückten  die  Dragoner  von  hier  nach  Franken, 
kehrten  aber  im  März  1800  wieder  zurück,  nachdem  der  Minister  von 
Haugwitz  im  Auftrage  seines  Fürsten  mitNapoleon  Frieden  geschlossen  hatte. 
Allein  im  Mai  marschierten  sie  bereits  wieder  zur  Ostseeküste  und  sind 
hier  nie  wieder  in  Garnison  gekommen.  Mit  dem  Kriege  gegen  den 
korsischen  Eroberer  und  den  für  unser  teures  Königshaus  und  Vaterland 
so  schweren  Unglückstageu  von  Jena  und  Auerstädt  begann  auch  für 
unsere  Stadt  Driesen  wieder  eine  schwere  Zeit.  Am  25.  Oktober  1800 
hielt  der  Sieger  von  Auerstädt  bereits  in  Berlin  seinen  Einzug,  und  der 
König  Friedrich  Wilhelm  III.  mit  der  Königin  Luise  trafen  am  27.  Oktober 
auf  ihrer  Reise  nach  Königsberg  in  Driesen  ein  und  übernachteten  im 
Modrowschen  Gasthause,  Neuer  Markt  und  Grusenstrassenecke  No.  7, 
wo  heute  von  dem  Kampfgenossen-  und  Militär- Verein  eine  Gedenktafel 
angebracht  ist,  um  am  folgenden  Tage  ihre  Reise  nacli  Filehne  fort- 
zusetzen. Allein  jedenfalls  hatte  der  König  schlechte  Nachrichten  er- 
halten, denn  er  kehrte  von  Neuteich  den  folgenden  Tag  wieder  zurück, 
blieb  hier  beim  Koramerzienrat  Dietrich,  Festungsplatz  No.  17  und  fuhr 
nach  Arnswalde  weiter. 

Schon  am  5.  November  1806  kamen  die  ersten  französischen 
Truppen,  1  Offizier  und  25  Chasseurs,  in  Driesen  au  und  verlangten 
3  gute  Pferde,  mit  welchen  sie  wieder  abzogen.  Zwei  von  diesen  Pferden 
wurden  dem  Ober- Amtmann  Sydow  genommen,  welcher  dafür  von  der 
Stadt  400  Thaler  verlangte  und  auf  seineu  Wunsch  im  Jahre  1816  dafür 
den  Bleichplatz  links  der  deutschen  Thorbrücke  als  Eigentum  von  der 
Stadt  erhielt. 

Am  6.  November  1806  nachts  1  Uhr  kamen  wieder  ein  Offizier  und 
25  Mann,  quartierten  sich  hier  ein  und  ritten  früh  8  Uhr  wieder  ab, 
flankierten  den  Netzstrom,  nahmen  32  Kähne  mit  Hafer  und  4  Kähne 
mit  Pulver  in  Beschlag  und  brachten  sie  nach  Cüstrin. 


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42 


Adolf  Reckling: 


Am  7.  November  kam  eine  grössere  Abteilung  Franzosen  hier  an, 
die  auch  einige  Preussen  als  Gefangene  mit  sieh  führten.  Am  9.  November 
musste  die  Kirche  ausgeräumt  und  zum  Heu-  und  Strohmagazin 
eingerichtet  werden.  Der  Hafer  wurde  auf  den  Kirchenboden  ge- 
schüttet und  im  Boden  ein  Loch  geschnitten,  welches  noch  heute  vor- 
handen ist,  durch  welches  der  Hafer  auf  den  Fussboden  gelassen  wurde, 
um  ihn  bequemer  hinauszuschaffen.  Später  musste  der  Kreis  auf  dein 
Werder  hinter  der  Kirche  aus  Holzfach  werk  mit  Bretterverschlag  ein 
Magazin  erbauen,  wonach  die  Kirche  der  Gemeinde  zur  Abhaltung  des 
Gottesdienstes  wieder  zurückgegeben  wurde. 

In  der  Nacht  vom  9.  zum  10.  November  1800  traf  ein  französischer 
Kommissar  hier  ein,  welcher  ein  Lazarett  einrichtete,  dessen  Unter- 
haltung die  Stadt  zu  übernehmen  hatte.  Unter  den  vielen  Requisitionen 
musste  die  Stadt  binnen  48  Stunden  50  Backöfen  auf  dem  Festungsplatz 
erbauen  hissen,  um  für  die  anrückenden  französischen  Truppen  das  von 
Laudsberg  nach  Driesen  verschiffte  Mehl  zu  verbacken.  Arbeiter  und 
Utensilien  hierzu,  soweit  nicht  vorhanden,  wurden  von  den  benachbarten 
Orten  geholt.  Die  grossen  Stuben  in  den  Festungshäusern  wurden  zu 
Backstuben  eingerichtet  und  zu  Backtrögen  nahm  man  Kietzerkähne. 
Die  Mauersteine  zu  den  Backöfen  wurden  durch  Kreisfuhren  vom  Hege- 
meister Koch  aus  Alt- Beelitz  angefahren,  dem  später  die  Stadt  Driesen 
die  Steine  bezahlen  musste,  obgleich  der  Landrat  4  Wochen  später  die 
Materialien  wieder  hatte  verkaufen  lassen  und  der  Erlös  zur  Kreiskasse 
vereinnahmt  war. 

Vom  November  bis  Weihnachten  1800  zogen  die  französischen 
Heere  auf  der  grossen  Strasse  durch  Driesen,  und  fortwährend  brachten 
Extraposten  französische  Heerführer  hier  durch,  und  die  Stadt  und  die 
umliegenden  Dörfer  mussten  hierzu  Vorspann  geben.  Am  11.  November 
logierte  hier  im  Gasthaus  zum  Kronprinzen,  Neu -Markt  No.  7,  der 
Marschall  Lanes,  Herzog  von  Montebello. 

Im  allgemeinen  waren  die  Franzosen  nicht  so  roh  wie  die  Russen 
im  siebenjährigen  Kriege  und  stets  zufrieden  mit  dem,  was  ihnen  die 
Bürger  gaben. 

Von  der  der  Neumark  auferlegten  Kriegskontribution  von 
2  780  400  Thalern  entfielen  auf  Driesen  27  118  Thaler.  Von  jedem 
grossen  Hause  sollten  100  Thaler,  von  einem  mittleren  60  und  einem 
kleinen  30  Thaler,  vom  Morgen  Garten  oder  Acker  2  Thaler  gezahlt 
werden.  Allein  nur  ein  Viertel  der  Summe  kam  auf  und  deshalb  traf 
Anfang  September  1807  ein  Exekutions  -  Kommando  ein.  Für  jeden 
Mann  war  gute  Verpflegung,  täglich  ein  Quart  Franzwein  und  1  Pfund 
Fleisch  zu  geben;  den  Offizieren  noch  besseres  und  mehr.  Da  Driesen 
noch  7820  Thaler  aufzubringen  hatte,  und  die  anderen  Städte  die  ge- 
forderten Gelder  auch  nicht  herbeischaffen  konnten,  nahmen  sie  gemein- 


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Geschichte  der  8tadt  Driesen. 


43 


schaftluli  eine  Anleihe  auf  und  bezahlten  den  Rest  der  Schuld,  worauf 
das  Exekutions-Kommando  hier  wieder  abzog. 

Anfang  Januar  1807  waren  noch  6  französische  Soldaten  hier  im 
Lazarett  an  der  polnischen  Brücke;  dieselben  wurden  anderweit  unter- 
gebracht und  das  Haus  wieder  geräumt.  Die  Rechnung  für  Medizin 
betrug  380  Thaler.  Jedoch  bereits  am  24.  März  1807  kam  der  fran- 
zosische Kommissär  Douradon  nach  Driesen  und  vorlangte,  dass  das 
grosso  Haus  des  Postmeisters  von  der  Groeben  an  der  polnischen 
Brücke,  jetzt  Brückenkopfstrasse  No.  1,  als  Lazarett  für  100  bis 
120  Lagerstellen  eingerichtet  werde  für  diejenigen  französischen  Soldaten, 
welche  von  Thorn  und  Bromberg  hierher  gesandt  und  später  nach 
Landsberg  und  Küstrin  übergeführt  werden  sollten.  Die  Stadt  hatte 
wieder  hierzu  die  Medikamente  und  Verpflegung  zu  geben,  ebenso  für 
die  Lazarettbeamten  zu  sorgen  und  die  Weiterbeförderung  der  kranken 
Soldaten  auf  Kähnen  bis  Landsberg  a.  W.  zu  bewirken.  An  Miete 
musste  die  Stadt  für  das  grosse  Haus  jährlich  105  Thaler  zahlen,  und 
für  gelieferte  Medikamente  hatten  die  beiden  Apotheker  3392  Thaler 
erhalten.  Die  Gesamtrechnung  betrug  nach  der  Aufstellung  des  Bürger- 
meisters Strassbnrg  1 1  t)55  Thaler  5  Groschen  1  Pfennig.  Ausserdem 
waren  noch  Kosten  entstanden  für  gelieferte  Tuche  nach  Küstrin 
(124  Thaler,  für  1  Pferd  153  Thaler  und  für  Kuchen  und  Pasteten,  die 
der  französische  Kommandant  vom  Konditor  Salis  entnommen  hatte, 
21  Thaler  271 2  Groschen.  Die  französischen  Kommandanten  Driesens 
waren:  Tardieu,  Favereau,  Dieny,  Douradon,  Liger,  Belaire  und  Clement. 

Zu  all  diesen  Leiden  für  Driesen  kam  noch  die  Rinderpest  und  es 
krepierten  415  Stück  Vieh,  während  nur  47  Stück  durchkamen  und  2 
getötet  wurden.  In  der  Gegend  des  Schiessstandes  auf  dem  Sande  war 
für  erkrankte  Tiere  ein  grosser  Stall  errichtet,  der  nach  dem  Aufhören 
der  Krankheit  dort  verbrannt  wurde. 

Im  Oktober  1807  begannen  die  Truppendurchzüge  aufs  neue.  In- 
folge der  Kontinentalsperre  kostete  das  Pfund  Zucker  1  Thaler  lf>  Groschen 
1  Pfund  Kochzucker  1  Thaler,  1  Pfund  Kaffee  1  Thaler  0  Gr.,  1  Quart 
Rum  2  Thaler  15  Groschen  und  1  Quart  Kornbranntweiu  IG  Groschen 
bis  1  Thaler. 

Im  Mai  1808  wurde  im  Hause  Neuestrasse  No.  11  über  einen 
französischen  Soldaten  Kriegsgericht  abgehalten;  er  wurde  zum  Tode  ver- 
urteilt, da  er  desertiert  war.  In  der  Nen-Anspacherstrasse,  wo  jetzt  die 
Häuser  No.  10  und  11  stehen,  erschoss  ihn  hiernach  eine  zu  diesem 
Zweck  nach  hier  kommandierte  Abteilung.  In  dieser  schweren  Zeit 
kamen  die  Gesetze  über  die  Selbstverwaltung  und  die  Städte-Ordnung  vom 
1(J.  November  1808.  Die  bisherigen  zweiten  Bürgermeister  waren  Juristen 
und  übten  nach  dem  Reglement  vom  12.  Juni  1723  die  Polizei  und 


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44 


Adolf  Reckling: 


Justiz  mit  dem  als  eine  Behörde  vereinigten  Magistrat.  Aufsichtsbehörde 
war  der  Land  rat. 

Am  28.  Januar  1809  traf  vom  Kommissariiis,  Herrn  von  Knobels- 
dorf, ein  Bote  mit  dem  Befehl  ein,  sofort  die  Vorarbeiten  zur  Einführung 
der  Städte-Ordnung  vorzunehmen,  damit  die  Wahl  der  Stadtverordneten 
im  Monat  Februar  erfolgen  könne.  Gleichzeitig  musste  der  Justizbürger- 
meister  Strassburg  eine  Übersicht  der  Stadtverfassung,  ihrer  Gerechtsame 
und  ein  Orts-Statut  aufstellen. 

Wahlberechtigte  Bürger,  welche  unbescholten  waren  und  ein  jähr- 
liches Einkommen  von  wenigstens  150  Thalern  hatten,  ein  bürgerliches 
Gewerbe  betrieben  oder  Grundbesitzer  waren,  gab  es  damals  241  auf 
2448  Einwohner,  und  diese  wählten  am  20.  Februar  1809  zum  ersten 
Male  nachstehende  24  Stadtverordneten: 

I.  Im  Alten-Markt-Bezirk:  I.  Kaufmann  Grundemann;  2.  Tuch- 
machermeister  Carl  Wende;  3.  Schneidermeister  Haupt;  4.  Chirurgus 
Selchow;  5.  Fleischermeister  Lange;  (i.  Tabaksspinner  Gage,  und  zu 
Stellvertretern:  den  Tischlermeister  Quolke  und  den  Tischlermeister 
Andreas  Schnell. 

II.  Im  Kirchenbezirk:  7.  den  Fleischermeister  Jacob  Giesler; 
S.  Schneidermeister  Zech;  9.  Schuhmachermeister  Starke;  10.  Tischler- 
meister Ludwig  Schnell;  11.  Tuchmachermeister  Beugsch;  12.  Tuch- 
machermeister  Stellmacher;  zu  Stellvertretern:  Glasermeister  Gebhard 
und  Tuchmachermeister  Erlemann. 

III.  Im  Neuen-Markt-Bezirk:  13.  Färbermeister  nellmoldt:  14.  Gast- 
wirt Modrow;  15.  Nagelschmied  Puppe;  16.  Mühlenbesitzer  Hennicke; 
17.  Schlossermeister  Sellin;  18.  Schneidermeister  Bornemann.  Zu  Stell- 
vertretern: Apotheker  Modrow  und  den  Knopfmacher  Ulle. 

IV.  Im  Festungsbezirk:  19.  Uhrmacher  Bolzmann;  20.  Riemer 
Bräuning;  21.  Tuchmachenneister  Wittke;  22.  Schuhmachermeister  Teske: 
23.  Tuchmachermeister  Benjamin  Wende  und  24.  Ackerbürger  Jacob 
Büttner.  Zu  Stellvertretern:  Schneidermeister  Bombeion  und  Tuch- 
machenneister Carl  Friedrich  Hähn. 

Der  pensionierte  Kämmerer  Henke  wurde  Vorsteher  der  Stadtver- 
ordneten, und  die  erste  Versammlung  derselben  trat  am  23.  April  1809 
zusammen,  um  den  Magistrat,  bestehend  aus  einem  Bürgermeister,  einem 
besoldeten  Katmann  und  Kämmerer  und  4  unbesoldeten  Katmännern,  zu 
wählen.  Diese  Wrahl  mit  Ausnahme  des  Kämmerers  erfolgte  darauf  am 
8.  Mai  1809,  es  wurde  der  bisherige  erste  Bürgermeister  Tannenbring 
wiedergewählt;  zu  unbesoldeten  Ratmäunern  der  Uhrmacher  Bolzmann, 
Chirurg  Selchow,  Kammzieher  Dietrich  und  Apotheker  Modrow.  Der 
bisherige  Kämmerer  Henke  wurde  mit  190  Thalern  Pension  in  den 
Ruhestand  gesetzt  und  für  ihn  der  Kaufmann  Kruse  gewählt,  der 


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Geschichte  der  Stadt  Priesen. 


45 


1811  starb,  an  dessen  Stelle  der  Färber  Suckow  in  den  Magistrat 
eintrat. 

Mit  der  Einführung  der  Städte-Ordnung  wurde  zugleich  das  Gericht 
vom  Magistrat  getrennt  und  hier  ein  Königliches  Stadtgericht  gebildet. 
Der  bisherige  Bürgermeister  Strassburg  wTurde  Stadtrichter  und  der  bis- 
herige Senator  und  Stadtschreiber  Mesch  als  Sekretär  bei  demselben  an- 
gestellt. Nach  einem  Rescript  des  Oberlandesgerichts  zu  Frankfurt  a.  O. 
vom  12.  März  1811  musste  die  Stadt  an  den  Stadtrichter  Strassburg 
jährlich  1 10  Thaler  1(5  Groschen  und  an  den  Sekretär  Mesch  39  Thaler 
Pension  zahlen,  sie  wurde  jedoch  auf  hiergegen  erhobenen  Protest 
später  davon  wieder  befreit. 

Das  Justizamt  im  Seitengebäude  des  Königlichen  Amtshauses 
mit  den  Gefängnissen  auf  dem  Schlossberge  war  mit  dem  Stadtgericht 
ohne  Zusammenhang  und  hatte  die  Jurisdiction  über  die  Ortschaften, 
welche  zum  Amt  Driesen  gehörten.  Dem  Justizamt  stand  der  Justizamt- 
mann Hörnigk  vor.  Am  1.  Januar  1823  wurden  beide  Behörden  unter 
dem  Namen  „Land-  und  Stadtgericht"  vereinigt. 

Am  21.  September  1808  übernachteten  der  Kaiser  von  Russland 
und  sein  Bruder,  der  Grossfürst  Constantiu,  welche  zum  Kongrcss  mit 
dem  Kaiser  Napoleon  nach  Erfurt  fuhren,  hier  in  Driesen  im  Hause 
Festungsplatz  No.  17  beim  Kommerzienrat  Dietrich. 

Zeitweise  hatte  Driesen  in  dieser  Zeit  auch  preussische  Truppen 
als  Besatzung,  bo  am  1.  Mai  1809  zwei  Kompagnien  des  leichten 
Pommerschen  Infanterie  -  Regiments  unter  Kommando  des  Majors  von 
Syholm  und  vom  Juli  bis  September  1810  ein  Grenzdetachement  unter 
Major  von  Arnim. 

Durch  Kabinots-Ordre  vom  28.  April  1810  wurden  die  Strafen  auf 
Halseisen,  Schandpfahl,  Block  oder  Stock,  des  Rippenhauses,  des 
spanischen  Mantels  und  der  Fiedel  abgeschafft  und  durch  Gefängnis 
und  Geldstrafen  ersetzt.  Der  spanische  Mantel  wurde  am  23.  Juli  1810 
für  1  Thaler  7^3  Groschen  und  die  beiden  Halseisen  für  14  Silbergr. 
hier  meistbietend  verkauft. 

Der  spanische  Mantel  war  ein  hölzenies  Gefäss  in  Gestalt  einer 
Tonne  mit  einem  Boden,  in  dessen  Mitte  ein  Loch  ausgeschnitten  war, 
durch  welches  der  Kopf  eines  Menschen  bequem  durchging.  Mit  derselben 
auf  den  Schultern  mussten  die  bestraften  männlichen  Personen  in  Be- 
gleitung eines  Polizeidieners  unter  Jubel  und  Schimpfen  der  Schuljugend 
durch  die  Strassen  gehen.  Weibliche  Personen  trugen  die  Fiedel,  ein 
hölzernes,  einer  Geige  ähnliches  Instrument.  Der  Kriminalrichter  durfte 
auch  nach  dieser  Zeit  noch  in  gewissen  Fällen  auf  die  Strafe  des  Hals- 
eisens und  „Stellen  an  den  Pranger"  erkennen.  Letztere  Strafe  wurde 
in  Driesen  im  Jahre  1839  auf  dem  Neuen  Markt  an  dem  Barbier  Bisch- 
kopf vollstreckt,  der  dem  Eigentümer  Bumke  in  Eschbruch  eine  Menge 


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46 


Adolf  Reckling: 


Geld  abgeschwindelt  hatte,  indem  er  ihm  allerlei  Üokiis-Pokus  vorgemacht 
und  einen  verborgenen  Schatz  auf  dessen  Grundstück  heben  wollte. 

Der  Zimmermeister  Schmidt  erbaute  im  Jahre  1K11  für  850  Thaler 
den  Turm  am  Rathause,  dem  jetzigen  Amtsgericht,  und  da  die  Kämmerei- 
kasse die  Mittel  hierzu  nicht  hatte,  sammelten  die  Stadtverordneten  Haus 
für  Haus  das  Geld  für  den  Turm,  Uhr  und  Glocke.  Sie  brachten 
90  Pfund  fi  Loth  Gloekenmetall  und  22<>  Thaler  27  Groschen 
4  Pfennige  zusammen.  Der  Turinknopf  wurde  am  1.  September  1811 
aufgesetzt.  Das  Umgiessen  der  Uhrglocke  nebst  Transportkosten  von 
Stettin  kostete  50  Thaler. 

Im  Jahre  1811  verkaufte  der  Staat  das  Amt  Driesen,  das  Vorwerk 
Hohn  und  Schlauow  mit  dem  Amtsgehöft,  der  Ziegelei  in  Mühlendorf 
und  19  in  der  Driesener-  und  Lubiathfliesser  -  Forst  belegenen  Seeen. 
Zuerst  wurde  die  Besitzung  in  Parzellen  ausgeboten.  Der  Apotheker 
Modrow  bot  für  den  Amtsgarten  200  Thaler,  der  Tuchmacher  Benjamin 
Wende  für  mehrere  Parzellen  des  Holmerfeldes  9000  Thaler,  jedoch 
erhielt  für  das  ganze  Amt  der  Amtsrat  Steinke  in  Stettin  für 
53  810  Thaler  den  Zuschlag,  der  es  1819  an  den  Oberamtmann  Sydow 
für  80  000  Thaler  wiederverkaufte. 

Nach  einem  Edikt  vom  f>.  Dezember  1811  musste  Driesen  zur  Ver- 
pflegung der  französischen  Trappen  in  den  Oderfestungen  495  Thaler 
4  Groschen  zahlen  und  musste  hierzu  jeder  Geselle  oder  Knecht 
10  Silbergroschen,  jede  Magd  5  Silbergroschen  geben. 

Im  Jahre  1812  wurde  hier  ein  Gendarmerie-Kommando  stationiert, 
bestehend  aus  dem  Rittmeister  von  Kroppe,  dem  Wachtmeister  Rosen- 
zweig, dem  Feldwebel  Wilmer  und  2  Gendarmen. 

Wegen  begangenen  Mordes  wurde  der  Landmann  Töpper  vom 
Justizamt  zum  Tode  verurteilt  und  am  17.  Dezember  1812  auf  dem  Eis- 
kulenberge  hinter  Vordamm  hingerichtet.  Zuvor  hatte  man  ihn  in  eine 
Kuhhaut  gewickelt  und  auf  einem  Schlitten  in  Driesen  durch  die 
Strassen  geschleift.  Die  Bürgergarde  und  Gendarmerie  begleitete  den 
Zug  und  bildeten  bei  grimmiger  Kälte  Carre  auf  dem  Richtplatz.  Ein 
Jahr  vorher  war  auf  derselben  Stelle  der  Mörder  Kehler  gerädert  worden. 

Frankreich  hatte  Russland  den  Krieg  erklärt,  und  am  12.  März 
begann  hier  in  Driesen  der  Durchzug  der  grossen  Heeresmassen 
Napoleons.  Soldaten  verschiedener  Länder  und  verschiedene  Sprachen 
sprechend  zogen  hier  durch.  Zu  ihrer  Verpflegung  wurden  anfangs 
Fleisch  und  Brot  in  kleinen  Portionen,  dann  Roggen  oder  Erbsen  an  die 
Quartierwirte  verteilt,  zuletzt  aber  die  grosse  Einquartierungslast  auf 
diese  ganz  gelegt,  sodass  für  sie  selbst  fast  nichts  mehr  übrig  blieb. 

Als  preussischer  Kommissar  war  der  Regierungsreferendar  von 
Hautfleck  hier  angestellt  und  hatte  sich  während  seiner  Amtirung  die 
Anerkennung  der  ganzen  Bürgerschaft  erworben.     Er  verliess  1813 


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Geschichte  der  Stadt  Drieaen. 


47 


sein  Amt  und  trat  als  Offizier  in  das  Neumärkische  Dragoner- 
Regiment  ein. 

Als  Etappen -Kommandant  fungierte  hier  der  Major  von  Sawitzki, 
dessen  Stellung  1818  gleichfalls  aufhörte  und  von  da  ab  vom  Bürger- 
meister Tannen  bring  verwaltet  wurde. 

Schon  unterm  6.  Mai  1812  hatte  die  Neumärkische  Regierung  auf 
Befehl  des  Königs  die  Bildung  einer  Bürgergarde  angeordnet  und  zwar 
zuerst  zur  Aufrechterhaltung  der  öffentlichen  Sicherheit.  Dieselbe  war 
hier  mit  Säbeln  ausgerüstet,  zwei  Kompagnien  stark,  dazu  kam  als  dritte  die 
Schützeukompagnie.  Sie  standen  unter  dem  Befehl  des  Bürgermeisters  Taimen- 
bring. Hauptmann  der  1 .  Kompagnie  war  Apotheker  Modrow  und  der  der  2. 
der  Färber  Hellmoldt,  während  Färber  Suckow  die  Schützen  kommandierte. 
Bei  der  letzten  Kompagnie  thaten  Offizierdienst  der  Apotheker  Radeke, 
Tuchmacher  Benjamin  Wende  und  Glaser  Gebhardt,  und  bei  den  beiden 
ersteren  Bolzmann,  Niewerth,  Haupt,  Beilach,  Bombeion  und  Abraham  Lewin, 
Als  Adjutant  fungierte  der  Chirurgus  Bombeion,  als  Fahnenträger  Ludwig 
Kuntze,  als  Feldwebel  Ernst  Wende,  Gottlob  Starke  und  Karow. 

Jeder  unbescholtene  Bürger  war  zum  Eintritt  in  die  Bürgergarde 
verpflichtet  und  die  ärmeren,  welche  die  Mittel  zur  Beschaffung  einer 
Uniform  nicht  besassen,  bildeten  eine  vierte  Kompagnie,  welche  der 
Rentier  Cariton  kommandierte.  Diese  Kompagnie  nannte  man  spott- 
weise die  Knüttelgarde.  Es  wurde  täglich  Wachtdienst  geübt  und  die 
Wache  am  deutschen  Thore  mit  einem  Unteroffizier  und  3  Gardisten, 
die  am  polnischen  Thor  mit  3  Gardisten  besetzt. 

Noch  ehe  mit  der  Wehrbarmachung  der  freiwilligen  Jäger  begonnen 
und  der  Aufruf  des  Königs  zur  Bildung  der  Landwehr  erlassen  war, 
kehrten  die  Trümmer  der  einst  so  stolzen  französischen  Armee  aus 
Russland  elend,  jammervoll  und  krank  wieder  heim ;  es  waren  dies  aber 
nur  wenige,  die  meisten  lagen  erfroren  und  erschlagen  in  Russlands 
Steppen.  Die  hier  Zurückkehrenden  waren  zusammengewürfelte  Reste 
verschiedener  Truppengattungen,  die  still  und  traurig  mit  verbundenen 
Häuptern  und  mit  Lumpen  dick  umwickelten  erfrorenen  Gliedern  an- 
geschlichen kamen  und  an  den  Strassenecken  warteten,  bis  ihnen  Quartier 
gegeben  wurde. 

Im  grossen  Hause  an  der  polnischen  Brücke  wurde  wieder  ein 
Lazarett  eingerichtet  und  es  starben  viele  Franzosen  darin,  welche  auf  der 
Anhöhe  zwischen  der  Neu  -  Anspacher-  und  Wasserstrasse  begraben 
wurden.  Dieser  Platz  wurde  deshalb  der  Franzoseuberg  genannt.  Die 
zurückkehrenden  Franzosen  brachten  einen  bösen  Feind  mit,  den  Typhus, 
dem  auch  viele  Bürger  in  Driesen  erlagen. 

Anfangs  Februar  1813  zeigten  sich  in  Driesen  die  ersten  Kosacken 
und  Baschkiren.  Ihnen  folgte  der  General  Czernitscheflf,  der  hier  Quartier 
nahm.    Fast  täglich  kamen  nun  russische  Truppen  hier  durch,  welche 


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48 


Adolf  RecklinR: 


verpflegt  werden  mussten  und  ebenso  preussische  Regimenter,  sowohl 
alte  wie  neuerrichtete.  Ein  ostpreussisches  Landwehr-Bataillon  kam  mit 
Piken  an,  legte  diese  hier  ah  und  empfing  dafür  Gewehre.  Die 
Piken  wurden  auf  dem  Rathausboden  aufbewahrt  und  beim  Ausbruch 
der  polnischen  Revolution  an  die  Bürger  verteilt  und  diese  damit 
bewaffnet. 

Am  11.  April  1818  sandte  der  Landrat  von  Schönebeck  aus  Friede- 
berg folgendes  Schreiben: 

„Die  aus  Stettin  ausmarschirten  Franzosen  bezeugen  sich 
sehr  wüthend  in  den  Städten  und  Dörfern.    Schwedt  brennt, 
und  die  Brücke  bei  Güstebiese  soll  auch  brennen.    Es  ist  daher 
nothwendig,  diesen  fürchterlichen  Feind  so  schleunig  als  möglich 
mit  voller  Kraft  entgegen  zu  eilen,  und  den  Magistrat  ersuche 
ich  recht  dringend  und  inständigst,  alle  Welirbare,  sowohl  zu 
Fuss  als  zu  Pferde  unter  Anführung  der  Offiziere,  Gendarmerie 
und  denen,  die  auf  Wartegelder  stehen,  sowie  die  Offiziere  der 
Bürgergarde  ohne  Aufenthalt  scldeunigst  zu  sammeln.  Ein 
Jeder  hat  sich  mit  Pistolen,  Gewehren,  Piken  und  mit  jeder 
Waffengattung  zu  versehen  und  bin  ich  von  dem  Patriotismus 
und  der  Vaterlandsliebe  Eines  Wohllöblichen  Magistrats  und 
sämmtlicher  Einwohner  zu  sehr  überzeugt,  als  dass  ich  nicht 
die  kräftigsten  Massregeln  zu  erwarten  berechtigt  wäre.  Die 
versammelten  und  bewaffneten  Mannschaften  müssen  sich  un- 
fehlbar  morgen  Vormittag  um  9  Uhr  hier  einfinden". 
Es  wurde  daher  sofort  Alarm  geschlagen  und  ein  grosser  Teil 
bewaffneter  Bürger  rückte  nach  Friedeberg  ab;  der  Rest  sollte  unter 
Befehl  des  Bürgermeisters  Tannenbring  mittags  nachfolgen.    Auf  dem 
Wege  nach  Friedeberg  brachte  aber  der  vorausgesandte  Kämmerer 
Suckow  den  Befehl,  wieder  umzukehren,  da  Franzosen  nirgends  zu 
sehen  seien. 

Am  12.  Juni  1813  wurde  der  Landsturm  vereidet.  Er  bestand  hier 
aus  einer  reitenden,  einer  Schützen-  und  drei  Lanzen-Kompagnien.  In- 
folge einer  Verordnung  vom  17.  Juli  1813  wurde  der  Landsturm  in  ein« 
Stadtwehr  umgewandelt.  Der  Dienst  wurde  auf  wöchentliche  Übungen, 
Wachen  und  Patrouillen  beschränkt. 

Die  Bürger  und  die  Kietzer  bauten  sich  1814  gemeinschaftlich  eine 
zweite  Brücke  über  die  alte  Netze,  um  mit  ihrem  Heu  aus  den  Wiesen 
nicht  jedesmal  den  grossen  Umweg  über  die  polnische  Brücke  nehmen 
zu  müssen.  Die  Stadtgemeinde  baute  */j  der  Brücke,  40  Fuss  lang  an 
der  Stadtblänke,  die  Kietzergemeinde  2<;*  =  80  Fuss  lang  an  den  Netzwiesen; 
ausserdem  trug  das  Amt  Driesen  (Rittergut)  soviel  bei,  wie  2  Kietzcr- 
wirte.  Die  Stadt  gab  den  Weg  bis  zur  Brücke  au  der  Blanke  unent- 
geltlich, die  Gemeinde  Kietz  hingegen  kaufte  von  der  rechts  der  Brücke 


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Geschichte  der  Stadt  l)rieaeü. 


49 


gelegenen  Netzwiese  zwei  Morgen  zum  Wege  an,  um  zu  den  Kietzerwieseu 
zu  gelangen.  Die  Brücke  erhielt  den  Namen  „Kietzerbrücke".  Am 
1.  September  1814  rückte  hier  die  3.  Escadron  des  1.  Landwehr- 
Kavallerie  -  Regiments  ein  und  blieb  bis  zum  8.  April  1815  in 
Garnison.  Nach  ihrem  Abmarsch  kam  die  Reserve -Escadron  des  Ost- 
preussischen  Kürassier-Regiments  No.  3  unter  Rittmeister  von  Gottberg 
und  als  diese  am  1.  März  1810  nach  Ostpreussen  ging,  kam  von  dieser 
Zeit  bis  zum  1.  Mai  die  reitende  Batterie  No.  8  unter  Hauptmann  von 
Bock  und  zuletzt  noch  die  4.  Escadron  des  Halberstiidter  Kürassier- 
Regiments  No.  7  unter  Rittmeister  von  Schurff  nach  Driesen. 

Die  zurückgekehrten  Krieger  wurden  von  allen  Bewohnern  warm 
empfangen  und  geehrt.  Die  Gefallenen  wurden  tief  betrauert.  Auf  einer  Tafel 
am  Orgelchor  unserer  Kirche  stehen  die  Namen  der  letzteren  verzeichnet, 
welche  im  Freiheitskriege  den  Tod  für  König  und  Vaterland  starben. 
Am  18.  Januar  1817  wurde  das  Friedensfest  gefeiert. 

Der  Neue  Markt  wurde  1810  mit  Sand  erhöht  und  umgepflastert 
und  ebenso  1818  der  alte  Markt.  Die  Kosten  wurden  auf  die  Einwohner 
repartiert,  sodass  die  Wohlhabenden  3  Thaler  und  so  abwärts  bis 
5  Silbergroschen,  letzteren  Betrag  der  Arbeiter,  zu  zahlen  hatten. 

Die  Gehälter  der  Beamten  waren  1816  wie  folgt  festgesetzt:  Der 
Bürgermeister  erhielt  37(5  Thaler  und  150  Thaler  Zulage  für  einen  Schreiber. 
Der  Stadtrichter  hatte  120  Thaler  10  Groschen  Gehalt  und  die  Sportein; 
der  Gerichtsschreiber  82  Thaler  und  die  Sportein;  der  Kämmerer 
220  Thaler;  der  Polizeidiener  06  Thaler;  der  Feldhüter  42  Thaler  und 
der  Nachtwächter  25  Thaler. 

Nach  der  Konfirmation  am  18.  Mai  1817,  als  diese  hier  zum  letzten 
Male  am  Himmelfahrtstage  stattfand,  gingen  nachmittags  die  Konfirmanden 
nach  dem  Bleichplatz  an  der  polnischen  Brücke  zum  Spiel.  Dort  fand 
in  einer  hohlen  Weide  der  Sohn  des  Drechslermeisters  Wust  Gold- 
stücke; andere  Kinder  fanden  später  ebenfalls  noch  einige  Stücke,  welche 
sie  später  auf  dem  Polizeibureau  abliefern  mnssten.  Es  waren  im  ganzen 
17  Münzen  im  Werte  von  140  '/»  Thalern.  Wahrscheinlich  hatte  ein  im 
Lazaret  behandelter  und  darin  später  verstorbener  Franzose  das  Geld 
dort  versteckt.  Da  sich  später  der  Verlierer  nicht  gemeldet,  erhielten  , 
die  Kinder  die  Hälfte  des  Geldes  zurück,  und  die  andere  Hälfte  behielt 
die  Stadt  als  Besitzerin  der  Weide. 

1817  fallierte  die  seit  1703  hier  bestehende  Engroshandlung  des 
Kommerzienrats  Treppmacher.  Bei  seinem  17(J8  erfolgten  Tode  hinterliess 
Treppmacher  ausser  den  grossen  Legaten  an  seine  Verwandten  der  Hand- 
lung Aktiva  im  Werte  von  einer  halben  Million  Thaler.  Da  er  kinder- 
los war,  erbte  seine  Nichte,  die  den  Disponenten  der  Handlung  namens 
Dietrich  geheiratet  hatte,  dieses  Geschäft.  Der  Krieg  1800,  der  Aufstand 
iu  Polen,  die  Kontinentalsperre,  durch  welche  die  Seeschiffe  der  Handlung 

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Adolf  Reckling: 


gekapert  und  als  gute  Prise  genommen  waren,  die  Blokade  Stettins,  bei 
der  die  Handlung  für  70  (XX)  Tlialer  Holz  verlor,  verursachten  den  Kon- 
kurs, bei  welchem  sich  800  000  Thaler  Passiva  vorfanden.  Viele  Bewohner 
Driesens  hatten  ihre  Ersparnisse  hei  der  Firma  stehen  und  verloren 
sie.  Das  grosse  Haus  auf  dem  Festungsplatz  No.  17  mit  dem  Festungs- 
gürtel! wurde  1  Hl H  subhastiert  und  der  verwittweten  Kommerzienrat 
Treppmacher  für  1:2  800  Thaler  zugeschlagen.  Diese  konnte  es  aber 
nicht  halten  und  es  kam  abermals  zur  Subhastation,  wobei  es  der 
Apotheker  Lasch  erstand,  der  es  am  18.  Dezember  IHM  dem  Ober- 
inspektor Oberfeh.lt  verkaufte  und  von  dem  es  durch  Erbvergleich  auf 
den  Oberamtmann  Sydow  überging. 

Der  Besitzer  der  Driesener  Wassermühle,  ITcnnicke,  Hess,  um  der 
Mühle  mehr  Wasserzufluss  zu  Schäften,  den  nach  ihm  benannten  Graben 
vom  Hammerflosskanal  bis  zur  alten  Netze  stechen.  Diese  Anlage 
kostete  ihn  über  1000  Thaler,  erfüllte  aber  den  Zweck  nicht. 
Für  den  dazu  benutzten  Grund  musste  Ilennicke  jährlich  an  die 
Kämmereikasse  10  Tlialer  zahlen.  Als  der  Graben  fertig  war,  weihte 
ihn  der  Oberprediger  Starke  ein. 

Erst  nach  Beendigung  des  Krieges  war  die  Stadt  in  der  Lage,  die 
grosse  Schuldenlast,  welche  er  ihr  gebracht  hatte,  zu  übersehen.  Nach 
einer  bei  den  Akten  befindlichen  Aufstellung  vom  Jahre  1810  betrugen 
die  durch  den  Krieg  gemachten  Stadtschulden  88  070  Thaler  und  an 
einjährigen  Zinsen  zu  5  und  0  Prozent  1  *»<>-">  Thaler. 

Hieran  partizipierten  nachstehende  Gläubiger  mit  den  daneben  auf- 


geführten Summen: 

Witwe  Zachert                                             1  0<X)  Tlialer 

Pächter  Matthias   1  (XX) 

Müller  Troschke   1  000 

Witwe  Ziniansky   1  000 

Treppmachers  Erben   j    1  8(X)  „ 

desgleichen  für  Waren   |  1 1  700  „ 

Abraham  Jacobs  Söhne   j    1  150  „ 

desgleichen  für  Waren   \    2  4(X)  „ 

Löwenberg  bar   j      070  „ 

desgleichen  für  Waren   \      080  „ 

Lesser  bar   f      600  „ 

desgleichen  für  Waren   \      250  „ 

Kudolphi  bar   (      200  „ 

desgleichen  für  Waren   \      200  „ 

Meissner  bar                                                    120  „ 

Zachert  für  Waren                                         200  „ 

Gerber  Ilellmoldt                                             875  „ 

Apotheker  Kadcke  für  Waren                         2  050  „ 

Kochs  Erben  in  Alt-Beelitz  für  Steine  .  .         115  „ 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


51 


Forner  noch  verschiedene  unbezahlte  Rechnungen  an  städtische 
Einwohner  4000  Thaler  und  die  zum  Rathauskauf  beim  Rittergutsbesitzer 
von  Waldow  -  Mehrenthin  aufgenommene  Hypothek  von  «3000  Thalern. 
Bei  dein  daniederliegenden  geschäftlichen  Verkehr  war  überall  Not, 
und  oft  konnte  die  Kämmereikasse  ihren  Verbindlichkeiten  nicht  nach- 
kommen. Die  Gläubiger  hatten  bis  zum  1.  Oktober  1815  keine  Zinsen 
erhalten.  Nach  dem  Gesetz  sollten  zur  Abtragung  der  Kriegsschulden 
besonders  die  Kommunalgrundstucke  herangezogen  werden.  Der  Bürger- 
meister Tannenbring  machte  181 6  den  Vorschlag,  entlegene  Grundstücke 
wie  die  Blanke,  Kälberwiese  au  der  alten  Netze  und  vom  Holm  bis 
Liependorf  belegene  Äcker  zu  verkaufen.  In  einem  hierzu  angesetzten 
Termin  wurde  für  ein  Stück  Land,  dem  Holm  gegenüber,  von  7  Morgen 
Grösse  1400  Thaler  und  für  sämtliche  vorbenannte  Grundstücke 
17  000  Thaler  geboten;  jedoch  die  Stadtverordneten  verweigerten  den 
Zuschlag,  weil  durch  den  Verkauf  die  Weide  für  das  Vieh  ge- 
schmälert würde. 

Der  Magistrat  musste  seinen  Vorscldag  zum  grossen  Nachteil  der 
Gesamtheit  aufgeben,  und  bald  darauf  sank  der  Wert  der  Grundstücke 
auf  ein  Drittel  herab.  Die  Stadtverordneten  beschlossen  nun  die  Er- 
hebung von  Weidegeld,  und  es  sollten  für  1  Pferd  1 1 3  Thaler,  für  1  Stück 
Rindvieh   1  Thaler,  für  1  Kalb  »;'„  Thaler,  für  1  Schaf  oder  Schwein 

0  Groschen  und  für  1  Gans  3  Groschen  erhoben  werden.  Ein  mit 
10C)  Unterschriften  gestellter  Antrag,  den  Gesamtgrundbesitz  der  Kämmerei 
für  ICK)  000  Thaler  zu  verkaufen,  ging  zum  Glück  für  die  jetzige  Zeit 
nicht  durch. 

Im  Jahre  1818  kam  die  Kaiserin -Witwe  von  Russland  nach  Driesen; 
im  folgenden  Jahr  wiederum  zusammen  mit  der  regierenden  Kaiserin.  Sie 
logierten  im  Gasthof  zum  Hirsch,  Breitestrasse  No.  11.  Der  Gasthof  war 
illuminiert  und  auf  dem  Neuen  Markt  eine  Pyramide  errichtet  uud  ebenfalls 
erleuchtet.  Die  Bürgergarde  hatte  die  Thore  besetzt,  und  einige  Land- 
wehrmänner waren  eingekleidet  und  stellten  die  Ehrenwache  im  Gasthause. 
Die  Vorspaunkosten  wurden  auf  den  Kreis  übernommen  und  Driesen  hatte 
hierzu  34  Thalor  (>  Groschen  11  Pfennige  beizutragen. 

Die  1812  errichtete  Bürgergarde  wurde  1819  aufgelöst,  womit  die 
Bürger  dieser  Last  enthoben  wurden. 

Die  Wache  am  polnischen  Thore  ging  am  1.  Dezember  1820  ein, 
jedoch  am  deutschen  Thore  mussten  täglich  noch  3  Bürger  auf  Wache 
ziehen.  Später,  im  Jahre  1822,  wurde  die  Wache  im  Seitengebäude 
des  Rathauses   eingerichtet,   wobei  zuerst  2   und  einige  Zeit  später 

1  Mann  die  Gefangenen  bewachen  mussten.  Diese  Pflicht  der  Bürger, 
wozu  die  Hausbesitzer  doppelt  so  oft  als  die  Mietsbürger  herangezogen 
wurden,  dauerte  bis  zum  Jahre  1846  uud  hörte  auf,  als  der  die  Wache 

4* 


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52  Adolf  ReckUng: 

habende  Tuchmacher  Eichler  von  dem  wahnsinnigen  Gefangeneu  Jachalsky 
auf  der  Wache  erschlagen  wurde. 

Die  drei  Thorwachthäuser  kaufte  1822  die  Stadt  vom  Staat  für 
415  Thaler,  und  verkaufte  sie  am  7.  April  desselben  Jahres  meistbietend 
einzeln  wieder.  Das  am  deutschen  Thore,  jetzt  Richtstrasse  No.  34, 
erwarb  der  Ulironhändler  Benjamin  Bantz  für  730  Thaler,  das  am 
polnischen  Thor,  jetzt  Netzstrasse  No.  24,  der  Böttcher  Zoen  für  40b"  Thaler 
und  das  am  Holmerthor,  jetzt  Hohnstrasse  No.  10,  der  Oberamtmann 
Sydow  für  220  Thaler.  Am  Sonntag,  den  29.  August  1819  kam  auf 
dein  Kietz  Feuer  aus  und  blieben  nur  drei  Häuser  an  der  Stadt,  der 
Scharfrichter  und  Büdner  verschont. 

1S20  wurde  in  Driesen  die  Mahl-  und  Schlachtsteuer  aufgehoben 
und  dafür  die  neue  Klassensteuer  eingeführt. 

Infolge  testamentarischer  Bestimmung  erhielt  am  4.  Juni  1819  die 
Armenkasse  vom  Fleischer  Daniel  Blüinke  dessen  am  Militzwinkel  ge- 
legene Wiese  von  fi  Magd.  Morgen  8  Quadratruten  als  Eigentum. 

Als  die  Neue-Brücke  beim  Salzhause  gebaut  werden  sollte,  erhoben 
die  Bewohner  der  Neustadt  Widerspruch,  doch  «Iii»  Altstadt  setzte  den 
Beschluss  durch  und  begann  sofort  mit  dem  Bau.  Erstere  petitionierten 
bei  der  Regierung  zu  Frankfurt  a.  U.  und  von  dieser  traf  der  Bescheid 
ein,  der  Bau  solle  sofort  inhibiert  werden.  Die  Bürger  der  Altstadt 
hatten  unter  der  Hand  von  dieser  Verfügung  Kenntnis  erhalten  und 
arbeiteten  mit  allen  Kräften  am  Bau  der  Brücke  weiter,  und  diese  war 
gerade  fertig,  als  das  Schreiben  an  der  Brücke  den  Bürgern  vorgelesen 
wurde.  Darauf  fuhr  der  an  der  Brücke  wohnende  Gerber  Lesser  unter 
dem  Hurrah  der  Anwesenden  über  die  fertige  Brücke;  sie  blieb  stehen 
und  musste  von  der  Bürgerschaft  fortan  unterhalten  werden. 

In  einem  Schreiben  vom  21.  Juni  1821  verlangten  die  Bürger 
Büttner,  Lengert,  Hennicke  und  Lange  vom  Magistrat  die  Einteilung  der 
Kommunalgrundstücke  und  die  Stadtverordneten-Versammlung  genehmigte 
diesen  Beschluss.  Der  Rittmeister  von  Brehm  leitete  als  Kommissar  die 
Gemeinheitsteilung  und  der  Geometer  Olberg  vermass  die  Feldmark. 
Bereits  im  Jahre  1828  jedoch  verlangten  die  Stadtverordneten  die  Auf- 
hebung des  früheren  Beschlusses,  da  sie  anderer  Ansicht  geworden 
seien.  Es  entspann  sich  hieraus  ein  Prozess  der  Mietsbürger  gegen  die 
Hausbesitzer  und  des  Ritterguts  wegen  Teilnahme  der  ersteren  an  der 
Hütung.  Die  Mietsbürger  wurden  durch  Obertribunalsbesclüuss  ab- 
gewiesen (4.  März  1828),  dem  Rittergut  aber  zuerkannt,  dass  es  mit- 
berechtigt sei.  Darauf  beantragte  unterm  20.  April  1831  der  Magistrat 
die  Aufhebung  der  Separation,  da  die  Kommunalgrundstücke  Kämmerei- 
vermögen seien,  und  die  bis  dahin  bereits  entstandenen  Separationskosteu 
von  in  Summa  4000  Thaler  mussten  aus  der  Kommunalkasse  gezahlt 
werden ;  der  Anger  aber  verblieb,  nach  den  darüber  geführten  Prozessen, 


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Geschichte  der  Stadt  Priesen. 


53 


der  Kammern  und  ist  dadurch  für  die  Stadt  Driesen  ein  grosser  Nutzen 
geworden. 

Ein  grosser  Teil  des  Angers  war  mit  Laubholz  bewachsen,  und 
die  letzteu  grossen  Buchen  auf  der  Teufelsburg  (jetzt  Plan  8)  sind  im 
Jahre  1822  abgehauen. 

Auf  Antrag  des  Magistrats  genehmigte  die  Königliche  Regierung, 
dass  hier  Montags  und  Donnerstags  im  Jahre  1823  Wochenmärkte  ab- 
gehalten werden  durften. 

Das  grosse  Haus  an  der  polnischen  Brücke  brannte  am  12.  April 
desselben  Jahres  ab  und  wurde  später  nur  1  Stock  hoch  wieder  erbaut. 

Am  13.  Juni  1824  kam  der  Kronprinz  Friedrich  Wilhelm  von 
Samter  nach  Driesen,  blieb  im  Hause  Festungsplatz  No.  17  über  Nacht 
und  fuhr  den  nächsten  Tag  zur  Denkmalseinweihung  nach  Pyritz.  Der 
Magistrat  und  die  Stadtverordneten  hatten  sich  zu  seiner  Begrüssuug  auf- 
gestellt und  überreichten  ihm  eine  Petition,  in  der  sie  um  Garnison  und 
eine  Beihülfe  zu  den  Kriegsschulden  baten. 

In  demselben  Jahre  starb  der  Fleischermeister  Giesler  an  der  Toll- 
wut; er  war  von  einem  tollen  Hunde  gebissen.  Da  der  Hund  auch 
die  Zuchtstiere  auf  der  Weide  gebissen  hatte,  wurden  diese  getötet. 

Mit  der  Erbauung  der  Chaussee  von  Berlin  nach  Königsberg  hörte 
der  Postkurs  durch  Driesen  auf  und  wurde  über  Woldenberg  gelegt. 
Nach  44 jähriger  Amtirung  legte  der  Bürgermeister  Tannenbring  1827 
seih  Amt  nieder  und  erhielt  keine  Pension,  da  ihm  diese  abgesprochen 
war.  Später  bekam  er  aus  der  Armenkasse  eine  jährliche  Unterstützung 
von  100  Thalern.  Er  starb  um  3.  März  1847.  An  seine  Stelle  trat  der 
Forstkassen-Rendant  Menger,  welcher  am  28.  Oktober  1828  zum  Bürger- 
meister gewählt  war.  Gross  war  hier  in  Driesen  wieder  die  Furcht,  als 
sich  1830  die  Polen  gegen  Russland  erhoben,  da  man  das  Übertreten 
polnischer  Insurgenten  befürchtete.  Die  Landwehr  wurde  im  Dezember 
eingezogen  und  rückte  am  2.  Januar  1831  von  Landsberg  a.  W.  nach 
Graudenz.  Hier  in  Driesen  verteilte  man  die  auf  dem  Rathausboden 
lagernden  Piken  an  die  Bürger;  jedoch  blieb  alles  ruhig. 

Im  Mai  1830  wütete  hier,  von  einem  Gewitter  begleitet,  ein  furcht- 
barer Orkan,  der  auch  durch  den  grössten  Teil  von  Deutschland 
ging.  Die  Kähne  auf  den  Flüssen  wurden  teilweise  umgeworfen, 
Windmühlen  und  viele  Häuser  beschädigt.  In  der  Königlichen  Driesener 
Forst  waren  allein  über  6000  Bäume  entwurzelt. 

1831  wütete  in  Driesen  die  Cholera  sehr  stark.  Es  war  infolge- 
dessen die  Ortssperre  eingeführt,  und  wer  zum  Thore  hinaus  wollte, 
erhielt  vom  Ratmann  Seile  einen  auf  einen  halben  Tag  gültigen  Erlaubnis- 
schein, den  er  beim  Passieren  der  Thore  vorzeigen  musste.  Für  Fremde 
war  auf  dem  Vorwerk  in  der  Ackerstrasse  No.  1  eine  Kontumazanstalt 
eingerichtet,   während  von  einer  Reise  heimkehrende  hiesige  Bürger 


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54 


Adolf  Rcckling: 


gründlich  geräuchert  wurden.  Die  Briefe  wurden  auf  der  Post  mit  einer 
eisernen  Zange  in  Empfang  genommen,  mit  Nadeln  durchstochen  und 
ebenfalls  geräuchert,  das  Geld  in  einen  Behälter  mit  Wasser  geworfen 
und  hiernach  vom  Postbeamten  entnommen  und  gezählt.  Zur  Verstärkung 
des  Grenzkordons  rückte  im  Juni  1831  der  Major  von  der  Heyden  mit 
2  Kompagnien  vom  14.  Infanterie-Regiment  hier  ein.  Ulanen  patrouillierten 
längs  der  Netze  und  Jäger  der  2.  Abteilung  lagen  in  Schöneberg.  Sowohl 
Holzfuhrwerke  wie  Hirten  wurden  von  Soldaten  begleitet,  damit  sie 
nicht  mit  Leuten  aus  infizierten  Orten  zusammenkommen  sollten.  Als 
die  Cholera  immer  näher  nach  Driesen  kam,  Hess  der  Major  die  polnische 
Brücke  sperren;  die  Bewohner  der  Vorstadt,  die  ihre  Bedürfnisse  in  der 
Stadt  einkaufen  wollten  oder  darin  arbeiteten,  wurden  zurückgewiesen. 
Daher  entstand  ein  Aufstand  und  man  bedrohte  die  Soldaten.  Der 
Magistrat  bat  deshalb  den  Major,  seine  unzweckmässige  Anordnung 
wieder  aufzuheben,  worauf  er  dies  auch  that.  Das  Militär  wurde  öfters 
gewechselt  und  als  am  23.  August  1831  wieder  eine  andere  Kompagnie 
vom  14.  Regiment  hier  einrückte,  erkrankte  in  der  Nacht  in  seinem 
Quartier,  dem  heutigen  Rathause,  Grusenstrasse  No.  5,  ein  Soldat  an 
der  Cholera  und  starb  den  folgenden  Tag.  Auf  dem  Kirchhofe  wollte 
man  ihn  nicht  beerdigen,  daher  fuhr  man  ihn  zum  Thore  hinaus  und 
begrub  ihn  hinter  dem  jüdischen  Kirchhofe.  Die  Sachen  des  Verstorbenen 
wurden  verbrannt. 

Da  der  Kirchhof  bei  der  Kirche  voll  war,  legte  man  rechts  der 
Karlstrasse  und  Alten-Netze  einen  neuen  an,  welchen  der  Superintendent 
Starke  am  27.  August  1831  einweihte.  Am  8.  September  starb  darauf 
die  neunjährige  Tochter  des  Maurers  Roller  an  der  Cholera  zuerst,  und 
dies  war  die  erste  Leiche,  welche  auf  diesem  Kirchhof  beerdigt  ist. 
Auf  dem  Dregackschen  Grundstück,  Friedrichstrasse  No.  3,  wurde  eine 
Krankenanstalt  errichtet,  ein  einfacher  Krankenwagen  beschafft  und  vier 
in  Wachstuch  gekleidete  Krankenträger  angestellt.  Die  Cholera  trat 
aber  von  jetzt  ab  sehr  heftig  auf,  daher  wurden  die  Iläuser,  in  welchen 
Kranke  lagen,  gesperrt  und  ein  Bürger  als  Wache  vorgestellt.  Die 
Bewohner  durften  diese  Häuser  nicht  verlassen,  und  angestellte  Boten 
mussten  die  Bedürfnisse  einholen.  Anfangs  November  1831  hörte  die 
Cholera  hier  erst  auf,  nachdem  vier  Prozent  der  Bevölkerung  daran 
gestorben  waren. 

Am  15.  September  1831  brach  in  den  Scheuneu  Feuer  aus  und  es 
brannten  40  davon  nieder.    Der  Gesamtschaden  betrug  40  000  Thaler. 

1831  zweigten  sich  die  Gemeinden  Vordamm  und  Mühlendorf  vom 
hiesigen  Schulvorbando  ab  uud  bauten  sich  ein  eigenes  Schulhaus.  Die 
hiesige  Schule  war  aber  trotzdem  überfüllt,  daher  wurde  der  sechste 
Lehrer  angestellt. 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


55 


Im  Oktober  1833  hatte  Driesen  3090  Einwohner,  darunter  240  stimm- 
fähige Bürger.  In  diesem  Jahre  wurde  das  Berliner  Gesangbuch  ein- 
geführt, und  dazu  für  arme  Einwohner  20  Thaler  aus  der  Stadtkasse 
bewilligt.  Da  der  neue  Kirchhof  umzäunt  war,  wurde  der  alte  bei  der 
Kirche  geschlossen  und  als  letzte  Leiche  der  Tuchmacher  Martin  Hähn 
darauf  beerdigt.  Der  Superintendent  Heinrich  Starke  starb  am 
11.  August  1834,  und  er  sollte  noch  auf  dem  alten  Kirchhof  beerdigt 
werden.  Die  Gruft  war  auch  unter  dem  Fenster  des  Oberpfarrhauses 
bereits  fertig,  jedoch  der  Bürgermeister  Menger  verweigerte  die  Beerdigung 
und  Hess  die  Gruft  wieder  zuschütten. 

Das  hier  einst  so  blühende  Tuchmachergewerbe  war  vollständig 
gesunken,  fast  sämtliche  Tuchmacher  waren  verarmt,  und  nur  wenige 
betrieben  noch  das  Gewerbe;  die  meisten  arbeiteten  als  Tagelöhner. 

Mit  Genehmigung  der  Königlichen  Regierung  wurden  im  Jahre  1835 
hier  zwei  neue  Viehmärkte,  der  eine  am  28.  April,  der  zweite  am 
28.  Oktober,  eingeführt. 

Da  die  Schulzimmer  zu  klein  waren,  musste  ein  neues  Schulhaus 
bei  der  Kirche  erbaut  werden  und  der  Zimmeruieister  Schilling  erhielt 
hierzu  183t>  mit  3500  Thalern  den  Zuschlag;  er  hat  bei  dem  Bau 
1800  Thaler  zugesetzt.  Da  die  Gemeinde  Kietz  zum  Bau  nichts  beitragen 
wollte,  schloss  der  Magistrat  mit  ihr  einen  Vergleich,  zahlte  eine  ein- 
malige Ablindung  von  300  Thalern,  worauf  sich  die  Kietzer  eine  eigene 
Schule  einrichteten. 

1837  wurden  auf  Anordnung  des  Königlichen  Bauinspektors  Anders 
die  Liuden  an  der  Strasse  von  Driesen  nach  Vordamm  augepflanzt.  In 
demselben  Jahre  verkaufte  der  Oberamtmann  Sydow  das  von  den 
Driesenern  oft  besuchte,  in  Vordamm  an  der  Brücke  belegene  Tanzlokal 
au  die  Kaufleute  Meudheim  und  Eisnecker,  welche  auf  diesem  Grund- 
stück die  Steingutsfabrik  errichteten.  Im  Jahre  vorher  hatte  der  Buch- 
drucker Moritz  hier  die  erste  Buchdruckerei  eingerichtet  und  gab  das 
Driesener  Wochenblatt  heraus. 

1837  erbaute  der  Müller  Henuicke  hier  eine  Dampfmahl-  und 
Schneidemühle  mit  7  Pferdekräften.  Diese  brannte  1845  ab.  Die  neue 
Mühle  wurde  mit  einem  Kessel  von  20  Pferdekräften  versehen. 

Wie  überall  im  Vaterlande,  so  war  auch  hier  tiefe  Trauer,  als  die 
Nacluicht  vom  Ableben  König  Friedrich  Wilhelms  III.  am  3.  Pfingst- 
feiertage  1840  eintraf.  Sämtliche  Festlichkeiten  wurden  sofort  abbestellt 
und  14  Tage  von  12  bis  1  Uhr  mittags  die  Glocken  geläutet. 

Am  Geburtstag  König  Friedrich  Wilhelms  IV.  war  auch  dessen 
Huldigungstag,  der  überall  festlich  im  preussischeu  Staate  begangen  wurde. 
In  Driesen  war  zu  diesem  Zweck  die  Kirche  festlich  geschmückt  und 
abends  grosse  Illumination.  Es  war  beabsichtigt,  an  diesem  Tage  den 
Knopf  und  das  Kreuz  auf  den  reparierten  Kirchturm  zu  setzen,  jedoch 


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56 


Adolf  Reckling: 


die  Arbeiten  waren  nicht  fertig  geworden,  daher  geschah  es  am 
2t>.  Oktober,  da  am  20.  Oktober  18Q<>  hier  in  Driesen  der  König  Friedrich 
Wilhelm  III.  mit  der  Königin  Luise  im  Gasthof  zum  Kronprinzen 
gewohnt  hatte. 

Der  Gelbgiesser  Stiller,  ein  Katholik,  schenkte  der  evangelischen 
Kirche  einen  von  ihm  selbst  gearbeiteten  messingnen  Kronleuchter,  der 
jetzt  über  dem  Taufrisch  hängt  und  die  Inschrift  tragt:  „Diesen  von  mir 
selbst  gefertigten  Kronleuchter  widmet  der  hiesigen  Kirche  der  Gelb- 
giessermeister  Herr  Andreas  Stiller  und  Ehefrau  Eva  Maria  geborene 
Schnell.    Driesen,  den  15.  Oktober  1841)«. 

Das  Pflaster  in  den  Strassen  war  in  sehr  schlechtem  Zustande, 
und  eine  Umlegung  Hess  sich  nicht  mehr  hinausschieben.  Man 
übertrug  diese  Arbeit  dem  Steinsetzer  Voss  in  Woldenberg  für 
22 Va  Silbergroscheu  pro  Quadratrute.  184U  wurde  zuerst  die  Richt- 
strasse und  die  in  diese  mündenden  Gassen  und  1841  die  anliegenden 
Strassen  und  1842  der  letzte  Teil  für  1179  Thaler  umgepflastert.  In 
letzterem  Jahre  wurde  auch  der  Bau  des  Obeq>farrhauses  vollendet. 
Ferner  schenkte  in  diesem  Jahre  die  Aachen-Münchener  Feuerversicherungs- 
gesellschaft  der  Stadt  Driesen  200  Thaler  zur  Anschaffung  von  Strassen- 
laternen,  die  bis  dahin  hier  noch  nicht  vorhanden  waren.  Für  diese 
Summe  wurden  drei  Laternen  beschafft  und  durch  freiwillige  Beiträge 
unterhalten.  Am  1.  Februar  1842  brannten  die  Laternen  zum  ersten 
Mal,  wobei  sich  auf  dem  alten  Markt  viele  Zuschauer  eingefunden  hatten. 
Nach  und  nach  wurden  dann  die  Laternen  vermehrt  und  deren  Unter- 
haltung von  der  Stadtkasse  übernommen. 

Da  das  Rathaus  durch  das  in  demselben  befindliche  und  sich  mehr 
und  mehr  vergrössernde  Gericht  zu  klein  wurde,  kaufte  die  Stadt  das 
jetzige,  Grusenstrasse  No.  5,  vom  Schankwirt  Karow  im  Jahre  1844 
und  überliess  das  alte  dem  Justizfiskus  für  1500  Thaler  mit  der  darauf 
ruhenden  Holzgerechtigkeit,  die  später  mit  800  Thalern  abgelöst  wurde. 

Durch  die  Bemühungen  des  Oberpfarrers  Marquardt  gelang  es  1844 
und  1845  das  Hospital,  Kirchplatz  No.  3,  zu  erbauen.  Die  Stadt  gab 
hierzu  500  Thaler,  500  Thaler  der  König  Friedrich  Wilhelm  IV.,  500  Thaler 
der  Oberamtmann  Sydow,  200  Thaler  der  Geheimsekretär  Beinert, 
200  Thaler  der  Justizrat  Sturm,  100  Thaler  der  Seifensieder  Ladisch  und 
25  Thaler  das  Fleischergewerk.  Vom  Konrektor  Bolz  erhielt  das 
Hospital  nach  dessen  Tode  000  Thaler,  wofür  von  den  Markschen  Erben 
später  die  Hospitalwiese  angekauft  ist. 

Am  8.  Dezember  1845  entdeckte  der  hier  geborene  Postsekretär  a.  D. 
Heiike,  ein  Sohn  des  Kämmerers  hierselbst,  die  Astrea,  den  fünften  der 
kleineren  zwischen  Mars  und  Jupiter  kreisenden  Planeten  und  eröffnete 
den  Reigen  der  Planetenentdeckungen.  Henke  wurde  infolgedessen  Ehren- 
doktor und  erhielt  die  grosse  goldene  preussische  Medaille  für  Kunst  und 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


57 


Wissenschaften  und  andere  Ehrenniedaillen.  Ferner  war  er  Mitglied  der 
englischen  Astronomischen  Gesellschaft  and  erhielt  den  Koten  Adler- 
Orden  III.  Klasse.  Auf  seinem  früheren  Hause  Kietz  No.  9  befindet 
sich  noch  heute  die  kleine  Sternwarte,  die  der  Besitzer  des  Hauses  ver- 
tragsraässig  zu  unterhalten  hat.  Am  1.  Juli  1847  entdeckte  Henke  die 
„Hebe«. 

Die  Ernte  1846  war  sehr  schlecht,  die  Lebensmittel  stiegen  be- 
deutend und  in  vielen  Familien  herrschte  hier  grosse  Not.  Der  Scheffel 
Roggen  kostete  1847  im  Mai  4S  Thaler  und  es  bildeten  sich  Wohl- 
thätigkeitsvereine,  welche  reichlich  unterstützten;  daher  kam  es  hier 
nicht  zu  Unruhen,  wie  in  Berlin  und  in  anderen  grossen  Städten.  Die 
Ernte  1847  war  wieder  gut  und  da  sich  genügend  Arbeit  bot,  war  die 
Not  vorüber. 

In  der  Nacht  vom  18.  zum  \\).  Mai  1847  brach  eine  Räuberbande 
beim  Tuchmacher  Bautz  in  der  Nenenstrasse ,  der  für  wohlhabend 
galt,  ein.  Die  Diebe  hatten  sich  durch  den  alten  Festungsgraben  an 
das  Haus  geschlichen,  stiegen  in  den  Keller,  traukeu  dort  das 
Bier  aus  und  drangen  durch  eine  Kammer  zur  Stube,  wo  die 
Eheleute  schliefen.  Die  Gesichter  geschwärzt,  mit  einem  Licht 
in  der  Hand  und  mit  Knütteln  bewaffnet,  verlangten  sie  von 
Bautz  dessen  Geld.  Zugleich  drückte  ihm  der  eine  auch  schon 
die  Gurgel  zu,  wobei  die  Bettstell  zusammenbrach.  Ein  zweiter  Dieb 
versprach  auf  das  Bitten  der  Ehefrau  des  Bautz,  ihr  das  Leben  zu  lassen, 
wenn  sie  das  Geld  herausgeben  würde.  Die  43  Jahre  alte  Tochter  des 
Bautz  schlief  in  der  Ilinterstube  und  war  durch  einen  Hieb,  den  sie  an 
der  Stirn  erhalten  hatte,  betäubt  und  wurde  später  mit  dieser  Wunde, 
einer  Schnittwunde  am  Ellbogen  und  auf  dem  Rücken  braun  geschlagen, 
besinnungslos  in  ihrem  Bett  aufgefunden.  Nur  durch  einen  Zufall 
waren  die  drei  gerettet,  da  der  Töpfer  Quolke  gegen  1  Uhr 
von  seiner  Braut  beim  Bautzschen  Hause  vorbeikam  und  das  Stöhnen 
der  Bewohner  darin  hörte.  Er  hielt  die  offenstehende  Thür  zu  und 
schrie:  „Was  geht  hier  vor"!  Frau  Bautz,  als  sie  dies  hörte,  sprang 
aus  dem  Bett,  schlug  die  Fensterscheiben  entzwei  und  schrie  Feuer. 
Hierauf  flüchteten  einige  der  Diebe  durch  den  Garten,  während  ein 
anderer  durch  das  Fenster  kroch,  den  Quolke  festhielt.  Der  Dieb  schlug 
mit  dem  Knüppel  um  sich,  wurde  aber  von  im  Hemd  herbeigeeilten 
Nachbarn,  Barbier  Brüning,  Schneider  Wiesenthal  und  dem  jetzigen 
Beigeordneten  Modrow  umzingelt.  Hierauf  schlich  sich  ein  zweiter  Dieb, 
ohne  bemerkt  zu  werden,  aus  dem  Hause  und  schlug  die  seinen 
Kameraden  festhaltenden  Personen  mit  einem  Knüppel  zu  Boden,  sodass 
Modrow  mit  2  Löchern  im  Kopf  besinnungslos  nach  seiner  Erzählung 
in  den  Rinnstein  fiel,  dem  Wiesenthal  das  Ohr  und  Brüning  die  Stirn 
blutig  geschlagen  war.    Quolke  hatte  einen  Hieb  über  den  Kopf  erhalten, 


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58 


Adolf  Reckling: 


hielt  jedoch  den  Dieb  fest,  bis  er  einen  starken  Hieb  über  den  Ann 
erliielt  und  loslassen  mnsste.  Beide  Diebe  entkamen  darauf  durch 
das  Holmerthor.  Eine  auf  dein  Kampfplatz  zurückgelassene  Mütze 
wurde  als  dem  Töpfergesellen  Druck  gehörig  erkannt,  und  Quolke  wie 
der  Schornsteinfegenneister  Fürsteuberg  beeideten  später  vor  Gericht, 
dass  sie  in  den  entflohenen  Dieben  den  vorgenannten  Druck  und  den 
Arbeiter  Winkelraann  erkannt  hätten  Diese  beiden  wurden  hierauf  zu  zehn 
Jahren  Zuchthaus  bestraft.  Die  anderen  Diebe,  welche  geflohen  waren, 
hatten  im  Gärtner  Schmidtschen  Garten  eine  geladene  Pistole  verloren, 
welche  der  Prediger  Berthold  in  Erchbruch  als  diejenige  wiedererkannte, 
die  eine  bei  ihm  eingebrochene  Bande  ihm  auf  die  Brust  gesetzt.  Der 
Büchsenmacher  Finge  gab  an,  dass  er  diese  Pistole  vor  kurzem  für  den 
Eigentümer  Pähl  in  Eschbruch  repariert  habe,  doch  blieb  die  weitere 
Untersuchung  ohne  Erfolg. 

Im  Jahre  1847  bildete  sich  aus  den  ehemaligen  Kriegern  von  1H0G 
bis  1814  und  1815  der  Kriegerbegräbnisverein,  dessen  letzte  Mitglieder 
bis  zum  Jahre  1885  dem  Kampfgenossen-Verein  angehört  haben  und  von 
diesem  bestattet  sind. 

1847  verkaufte  die  Stadt  den  an  der  Schützenstrasse  belegenen 
31  a  Magd.  Morgen  grossen  Platz  an  den  Zimmermeister  Schmidt  als 
Zimmerplatz  und  erwarb  im  Jahre  1848  den  Speicher  auf  dem  Festungs- 
platz No.  20  für  13l>  Thaler. 

Grosse  Bestürzung  trat  hier  ein,  als  die  Nachricht  von  den  Unruhen 
des  18.  März  1848  in  Berlin  ankam,  und  wie  überall  im  Lande,  wurden 
auch  hier  Volksversammlungen  abgehalten.  Die  grosse  Masse  wusste 
eigentlich  nicht,  was  sie  wollte,  und  nach  einer  am  Sonntag  nach  Ostern 
im  Schützenhause  abgehaltenen  Versammlung  kam  es  auch  hier  zu  Auf- 
läufen. Ein  von  einem  Tischler  geführter  Volkshaufen  setzte  sich  von 
der  Restauration  an  der  polnischen  Brücke  nach  der  Stadt  zu  in  Be- 
wegung und  brachte  dem  Deposital  -  Kassen  -  Rendanten  Weitzmann, 
welchem  man  das  in  einer  Rede  gebrauchte  Wort  „Spiessbürger"  — 
übel  geuommeu  hatte,  eine  Katzenmusik,  anderen  Personen  dagegen  „Hochs" 
und  „Hurrahs".    Zu  weiteren  Ausschreitungen  kam  es  jedoch  nicht. 

Zur  ersten  preussischen  National-Versammluug  wählte  der  Friede- 
berger Kreis  den  Färber  und  Ratmanu  Salis  aus  Drieseu  zum  Ab- 
geordneten. Zu  gleicher  Zeit  war  auch  im  Grossherzogtum  Posen  der 
Aufstand  der  Polen  ausgebrochen,  und  Insurgentenbanden  griffen  viel- 
fach das  Militär  an. 

Der  Mühlen besitzer  Grun  in  Neuteich  hatte  nachts  einige  Gewehr- 
schüsse abgefeuert,  die  Dorfbewohner  alarmiert  und  nach  Hammer  einen 
Boten  um  Hülfe  gesandt.  Darauf  meldete  der  Rittmeister  von  Rochow 
in  Hammer  dem  Domänenrat  Steinke  in  Driesen,  dass  sich  polnische 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


59 


Horden  nahten.  Infolgedessen  wurde  hier  in  den  ersten  Stunden  des 
U.  Mai  1848  Alarm  geschlagen.  Die  Bürger  sammelten  sich  auf  den 
Marktplätzen  und  zogen  unter  Kommando  des  Major  a.  D.  Netzer  nach 
der  Posener  Vorstadt.  Hier  wurde  der  Haufen  einigermassen  geordnet 
und  eine  Patrouille  unter  Oberprediger  Marquardt  (ehemaligem  frei- 
willigem Jäger)  nach  Neu  -  Anspach  zur  Rekognoszierung  ausgesandt, 
welche  mit  der  Meldung  zurückkam,  dass  dort  alles  ruhig  sei,  worauf 
jeder  wieder  nach  Hause  ging  und  sich  schlafen  legte.  Die  Nachricht 
vom  Anrücken  der  Polen  war  durch  das  ganze  Bruch,  ja  sogar  bis 
Cüstrin  gedrungen  und  hatte  fast  alle  Orte  alarmiert.  Die  Leute  aus 
Carbe  und  den  Bruchkolonien  gingen  bei  Trebitsch  über  die  Brücke,  die 
Trebitscher  und  Neu  -  Ulmer  schlössen  sich  an  und  eilten  der  Stadt 
Driesen,  wo  man  die  Polen  vermutete,  zu  Hülfe.  Die  auf  dem  Driesen  er 
Felde  arbeitenden  Menschen,  vom  Schrecken  der  Nacht  noch  aufgeregt, 
eilten  beim  Anblick  dieser  mit  Sensen,  die  gerade  gerichtet,  bewaffneten 
Schar  in  die  Stadt  und  schrieen :  „Jetzt  kommen  die  Poleu  von  Neu-Ulm 
her"!  Es  war  mittags  1  Uhr.  Schnell  wurde  die  Sturmglocke  geläutet 
und  die  Bürgerschaft  alarmiert.  Die  Landleute,  durch  das  Läuten  der 
Glocken  stutzig  gemacht,  hielten  vor  der  Stadt  an  und  sandten  eine 
Patrouille  hinein.  Nachdem  sich  dann  der  Irrtum  aufgeklärt,  wurden 
die  Landleute  mit  Musik  eingeholt,  nach  dem  Festungsplatz  geführt,  hier 
als  treue  Bundesgenossen  bewirtet  und  abends  mit  Musik  zur  Stadt 
hinaus  begleitet. 

Dieser  Schrecken  hatte  zur  Folge,  dass  die  Bürgerwehr  wieder  er- 
richtet wurde,  um  die  öffentliche  Ordnung  aufrecht  zu  erhalten.  Dieselbe 
bestand  hier  aus  5  Kompagnien,  den  Schützen  und  4  mit  Lanzen  be- 
waffneten. 2  Kompagnien  erliielteu  anstatt  der  Lanzen  vom  Staate  später 
Gewehre.  Zum  Kommandeur  wählte  sich  die  Bürgerwehr  den  Major  a.  D. 
Netzer  und  zu  dessen  Adjutanten  den  Gerichts-Assessor  Sachse.  Kompagnie- 
führer wurden  Rendant  Müller,  Hauptmann  Sasse,  Domäuenrat  Steinke, 
Bauinspektor  Berndt  und  Gerichts-Direktor  von  Rabenau.  Die  Begeisterung 
für  das  neue  Institut  war  allgemein,  und  es  wurde  tüchtig  exerziert. 
Die  Jungfrauen  Driesens  vereinigten  sich  und  schenkten  der  Bürgerwehr 
eine  Fahne,  zu  welcher  die  Stickerei  von  den  Fräuleins  von  Rabenau, 
Gebhard,  Kuntzemüller,  Sommerfeld,  Menger  und  Marquardtgefertigt  wurde. 

Diese  Fahne  wurde  am  30.  Juli  1848  eingeweiht.  Hierzu  traten  die 
Bürgerwehrmänner  nachmittags  2  Uhr  zusammen,  marschierten  561  Mann 
stark  durch  die  mit  Guirlauden  geschmückten  Strassen  nach  dem  Neuen 
Markt  und  formierten  hier  Carre*.  Hinter  ihnen  standen  1900  Mann  zu 
Fuss  aus  den  umliegenden  Ortschaften,  die  wackeren  Bundesbrüder  des 
11.  Mai,  denen  die  Banner  von  Hammer,  Dragebruch,  Neu-Dessau  und 
Liependorf  voranwehten.  102  Mann  waren  beritten  und  wurden  vom 
Domänenrat  Steinke  geführt. 


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60 


Adolf  R  cklin* 


Die  Hauptleute  traten  vor  die  inmitten  des  Marktplatzes  errichtet*» 
Rednertribüne,  von  der  herab  die  beiden  Fahnen  der  Schützen  wehten, 
wie  an  jeder  Ecke  preussisehe  Fahnen  und  über  alle  in  der  Mitte  das 
deutsche  Banner.  Hierauf  zogen,  dem  voranschreitenden  Musikchor 
folgend,  die  royrthenbekränzten  153  Ehrenjungfrauen,  zugweise  in  blauen, 
weissen,  rosa  und  schwarzen  Kleidern  mit  der  neuen  Fahne,  welche  der 
Glaser  Gebhardt  trug,  iu  das  Carre.  Die  Fahne  hatte  im  weissen  Felde 
den  schwarzen  Adler  mit  der  Inschrift:  „Driesens  Bürgerwehr  1848". 
Von  der  Spitze  derselben  wehte  ein  schwarz  -  rot  -  goldenes  Band.  Das 
Musikcorps  spielte  zuerst  den  Choral  „Lobe  den  Herrn"  und  Fräulein 
Julie  Gebhardt,  später  verehelichte  Klettner  in  Friedeberg,  sprach  hierauf 
ein  zu  diesem  Zweck  vom  Hendanten  Weitzmann  verfasstes  Gedicht. 
Hierauf  übergab  der  Major  Netzer  die  Fahne  dem  Brauer  Steinke,  der 
sie  künftig  tragen  sollte,  und  der  Oberprediger  Marquardt  hielt  die  Weih- 
rede, in  welcher  er  die  Thaten  der  preussischen  Waffen  im  siebenjährigen 
und  Befreiungskriege  hervorhob  und  daran  den  Wunsch  knüpfte,  der 
preussische  Adler  möge  fortan  den  Doppeladler  überflügeln,  obgleich 
man  jetzt  versuche,  dem  ersteren  die  Flügel  zu  stutzen.  Hierauf  saug 
man  zum  Sclduss  „Nun  danket  alle  Gott"  und  mit  dreimaligem  Hurrah 
wurde  die  Fahne  begrüsst.  In  ähnlicher  Weise  sprach  auch  der  Major 
Netzer,  der  die  Fahne  für  die  Wehr  übernahm,  gedachte  hierbei  des 
Patriotismus  der  Frauen  von  1813/14,  der  hier  in  den  Töchtern  wieder 
auflebe  und  schloss  mit  einem  Hoch  auf  den  König,  Geberinnen  der 
Fahne,  Vaterland,  Stadt-  und  Landgemeinden.  Ein  Parademarsch 
beschloss  die  Feier,  die  Bataillone  marschierten  nach  dem  Anger  am 
Schiessplatz,  setzten  hier  die  Gewehre  zusammen  und  tanzten  bis  zum 
frühen  Morgen. 

Zweimal  musste  die  Bürgerwehr  in  dieser  Zeit  die  Ordnung  wieder- 
herstellen. Die  Holzdefraudanten  waren  hier  zum  Forstgerichtstag  vorge- 
laden, und  da  sie  von  einer  erlassenen  Amnestie  gehört,  wovon  das  Gericht 
noch  keine  Nachricht  hatte,  nahmen  sie  an,  dass  ihnen  die  Strafe  er- 
lassen sei.  Sie  zerrissen  daher  in  der  Gerichtestube  ihre  Vorladungen, 
schimpften  auf  den  Richter  und  wollten  die  Förster  angreifen,  weshalb 
sich  letztere  im  Gerichtsziramer  einschließen  mussten.  Die  infolgedessen 
alarmierte  Bürgerwehr  verhaftete  die  Rädelsführer  und  begleitete  den 
bedrohten  Oberförster  Sonnenberg  bis  zu  seiner  Wohnung  nach  der 
Oberförsterei  Driesen. 

Am  22.  Januar  1849  fand  in  der  Rittergutsschänke  eine  grosse 
Schlägerei  zwischen  Leuten  vom  Sande  und  den  Kietzern  statt  Nach- 
dem die  Ruhestörer  in  der  Schankstube  alles  zerschlagen  hatten,  zogen 
sie  jubelnd  zum  Marktplatz.  Die  Bewohner  schlössen  ihre  Läden,  und 
die  Bürgerwehr  wurde  alarmiert.  Der  Gefährlichste  der  Rotte  war  ein 
oft  bestrafter  Dieb,  namens  Seifert,  welchen  man  später  aus  seiner 


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Geschichte  der  Stadt  t)rie*ert. 


61 


Wohnung  auf  dem  Sande  beim  Fuhrmann  Druck,  jetzt  Wilhelms- 
strasse No.  20,  herausholte  und  mit  einer  Lanze  erstach.  Der  Thäter, 
der  ihm  den  Stiel»  beigebracht,  wurde  nicht  ermittelt.  Ausser  Seifert 
hatte  auch  der  Arbeiter  Fischer  einen  Stich  in  den  Schenkel  erhalten. 
Seitdem  blieb  in  Driesen  Ruhe. 

Nach  dem  Erlöschen  des  polnischen  Anfstandes  wurde  am  24.  Ok- 
tober 1849  auch  hier  in  Driesen  die  Bürgerwehr  wieder  aufgelöst.  Die 
Fahne  wurde  zuerst  im  Rathause  aufbewahrt,  später  dem  Turnverein 
und  nachdem  sie  entsprechend  geändert,  dem  sich  1S0()  bildenden  Kampf- 
genossen-Verein im  Jahre  1872  von  den  städtischen  Behörden  geschenkt, 
welcher  sie  noch  heute  führt. 

Am  I.April  1849,  bei  der  Reorganisation  des  Gerichtswesens,  ging 
in  Driesen  das  Land-  und  Stadtgericht  ein  und  blieb  nur  eine  Deputation 
von  3  Richtern  bestehen,  während  Friedeberg  ein  Kreisgericht  erhielt. 
Die  Bürgerschaft  hatte  den  Gerichts-Direktor  von  Rabenau,  den  Bürger- 
meister Menger  und  den  Ratmann  Salis  nach  Berlin  deputiert,  um  dahin 
zu  wirken,  dass  das  Kreisgericht  nicht  von  Driesen  verlegt  werde,  und 
trotzdem  der  König  und  der  Justizminister  sich  dafür  erklärten,  blieb 
das  Kreisgericht  in  Friedeberg. 

Bei  der  Volkszählung  am  3.  Dezember  1849  hatte  Driesen 
3900  Einwohner. 

Im  Jahre  1850  wurden  die  drei  gesprungenen  Kirchenglocken  vom 
Glockengiesser  Voss  in  Stettin  umgegossen,  und  nachdem  sie  der 
Prediger,  Diakouus  Gensichen,  geweiht,  im  September  im  Kirchturm 
aufgehängt. 

Die  grosse  Glocke  hat  folgende  Inschrift: 

„Der  erste  Guss  dieser  Glocke  ist  unbekannt. 

„Umgegossen  im  November  10t>2  durch  Lorenz 

„Kokeritz.    Zum  zweiten  Mal  umgegossen 

„in  Gemeinschaft  mit  den  andereu  zwei  Glocken 

„zu  Stettin  1850  von  Carl  Voss  No.  97  unter  der 

„glorreichen  Regierung  des  constitutionellen 

„Königs  Friedrich  Wilhelm  IV.  und  Seiner 

„Gemahlin,  der  Königin  Elisabeth,  geborenen  Prinzess  von  Bayern. 
„Nachdem  die  Form  in  Stücke  war  zerbrochen, 
„Die  uns  umgab  in  finst'rer  Grabesnacht, 
„Erstauden  wir,  da  es  begann  zu  tagen, 
„Wo  neugeschaffen  durch  des  Feuers  Macht, 
„Ein  ehernes  Geschwister  Dreigeläute; 
„Wir  künden  jetzt  in  schöner  Harmonie, 
„Dass  Alle,  die  uns  hören,  einst,  wie  heute 
„Nur  holder  Fried'  und  Eintracht  stets  umzieh' u. 


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Adolf  Reckling: 


Die  mittlere  Glocke  hat  folgende  Inschrift: 

„Tch  ruf  Euch,  wenn  der  Herr  will  in  den  Tempel  gehen, 
„O,  kommt  in  grosser  Zahl,  sein  theures  Wort  zu  hören, 
„Ich  lt'hre  Euch  zugleich  auch  Eure  Sterblichkeit, 
„Drum  macht,  wenn  Ihr  mich  hört,  zum  Sterben  Euch  bereit. 
„Von  Philipp  Carl  Schwelm  am  29.  Juli  1797  zu  Alt-Stettin  um- 
gegossen: desgleichen  von  Carl  Voss  in  Stettin  1850  No.  99*. 

Die  kleine  Glocke  hat  nachstehende  Inschrift: 

„Gleich  wie  der  Glockeuton  ruft  Allen,  die  es  hören, 
„So  will  Gott  durch  sein  Wort,  Euch  allesamint  bekehren, 
„Drum  lass'  Dein  Herz  und  Ohr,  o  Mensch  geöffnet  sein, 
„So  bringet  mit  dem  Schall,  zugleich  die  Kraft  hinein". 

„Zur  Zeit  als  in  Driesen  waren: 

„Johann  Gottlieb  Steinke,  Königlicher  Domainenrath. 
„Heinrich  Menger,  Bürgermeister. 
„Johann  Born,  Kämmerer. 

„Carl  Ludwig  Henke,  Friedrich  Starke,  Ernst  Martini 
„und  Carl  Salis,  Rathmänner. 
„Friedrich  Zoch,  Stadt  verordneten- Vorsteher. 
„Eduard  Spude,  Stellvertreter  desselben. 
„Ferdinand  Klauss,  Stadtverordneten-Protokollführer, 
„und  Eduard  Hellmoldt,  Stellvertreter  desselben. 

„In  Kirche  und  Schule: 

„Friedrich  Rudolph  Marquardt,  pastor  primarius. 

„Hennann  Franz  Alexander  Gensichen,  Diaconus. 

„Friedrich  Stosch,  Rector.    Ferdinand  Oswald  Bartsch,  Kantor 

„und  Konrector.    Johann  Friedrich  August  Hellwig,  Organist. 

„Die  Lehrer:  Richter,  Quast,  Rättig,  Herguth,  Böttcher. 

„Umgegossen  von  Friedrich  Karnier,  desgleichen  von  Carl  Voss  1 850" . 

Das  den  Kriegsrat  Lehmannsehen  Erben  gehörige  Haus  Holm- 
strasse No.  19  wurde  im  Subhastationstermin  für  1201  Thaler  von  der 
Stadt  gekauft.  Nachdem  es  mit  einem  Aufwand  von  800  Thalern  umgebaut 
wurde,  ward  es  im  Jahre  1853  als  Schulhaus  für  die  beiden  oberen 
Mädchenklassen  in  Benutzung  genommen. 

Am  0.  Oktober  desselben  Jahres  fand  nach  der  neuen  Städte-Ordnung 
vom  30.  Mai  1853  die  Neuwahl  der  Stadtverordneten-Versammlung  nach 
demDreiklassenwahlsystemstatt.  Die  Zahl  blieb  bei  beiden  Behörden  dieselbe. 

1857  übernahm  der  Prinz  von  Preusseu  unter  dem  Namen  als  „Prinz 
Regent"  an  Stelle  seines  erkrankten  Bruders,  des  Königs  Friedrich 
Wilhelms  IV.,  die  Regierung  über  Prenssen  und  führte  unser  Vaterland 
in  eine  neue  Ära  ein. 


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Geschichte  der  Stadt  Drieseti. 


Als  im  Jahre  1859  Napoleon  im  Bunde  mit  Italien  Österreich  an- 
griff, da  hatte  es  den  Schein,  als  ob  Pmissen  in  diesen  Krieg;  mit 
hineingezogen  werden  würde,  doch,  nachdem  die  Mobilmachung  der 
prenssischen  Armee  vom  Prinz-Regeuten  befohlen  war,  schloss  Napoleon  III. 
sofort  mit  Österreich  Frieden. 

Zum  Glück  für  Preussen  und  später  für  Deutschland  erkannte  der 
Prinz-Regent,  dass  unsere  Armee  nicht  mehr  zeitgemäss  wäre.  Sie  zu 
reorganisieren,  ward  sein  Hauptbestreben,  wodurch  leider  eine  politisch 
schwere  Zeit  eintrat,  da  die  liberalen  Parteien  hiergegen  die  grösste 
Opposition  machten.  Da  starb  Friedrich  Wilhelm  IV.  und  der  Prinz- 
Regent  bestieg  unter  dem  Namen  Wilhelm  I.  den  preussischen  Königs- 
thron. Mit  Hülfe  seiner  Minister  von  Bismarck  und  von  Roon  führte 
er  die  Militär  -  Reorganisation  zum  Segen  unseres  Vaterlandes  durch. 
Das  preussische  Heer  hatte  am  Schlüsse  des  Jahres  1861  eine  Kriegs- 
stärke von  700  000  Mann  und  stand  hinsichtlich  der  Organisation, 
Ausrüstung  und  Einübung  den  Armeen  der  anderen  Staaten  Europas 
zum  wenigsten  gleich,  in  der  Waffe,  dem  Zündnadelgewehr,  war  es  deu 
anderen  aber  voraus. 

Am  7.  April  1808  beantragte  der  seit  85  Jaliren  in  Driesen  im 
Amte  befindliche  Bürgermeister  wegen  Krankheit  seine  Pensionierung, 
und  am  10.  Juni  IHM  wählte  die  Stadtverordneten -Versammlung  den 
Polizei-Verwalter  des  Grafen  Brühl  aus  Pforten,  Namens  Rhode,  zu 
seinem  Nachfolger. 

Da  der  Kirchhof  an  der  alten  Netze  voll  war,  wurde  der  neue  längs 
der  Karlstrasso  angelegt  und  am  18.  Oktober  1808  vom  Oberpfarrer 
Cattin  eingeweiht. 

Im  September  1808  wurde  hier  ein  Zweigverein  vom  Landsberger 
Kredit- Verein  errichtet,  um  den  hiesigen  Gewerbetreibenden  und  Land- 
wirten der  Umgegend  gegen  angemessene  Sicherheit  zu  jeder  Zeit  Geld 
zu  verschaffen. 

Nach  einer  am  3.  Dezember  1804  aufgenommenen  Personenstands- 
nachweisung hatte  Driesen  4424  Einwohner. 

Anfang  Februar  begann  der  Feldzug  gegen  Dänemark,  zu  dem  auch 
mehrere  Driesener  eingezogen  waren  und  an  dem  sie  aktiv  teilnahmen. 
Als  die  Kunde  vom  Sturm  auf  die  Düppeler  Schanzen  hier  eintraf,  fanden 
grosse  Kundgebungen  statt. 

Im  Jahre  1805  wurde  das  Dorf  Neuteich  vom  hiesigen  Oberpfarr- 
amt abgezweigt  und  der  Neu- Anspacher  Pfarrgemeinde  zugelegt.  Es  ver- 
blieben hiernach  noch  bei  der  Oberpfarre  ausser  Stadt  und  Amt  Driesen  die 
Gemeinden  Hammer  mit  eigener  Kirche,  Vordamm,  Mühlendorf,  Salz- 
kossäthen,  Sehlsgrund,  Langstheerofen  und  die  Etablissements  der  Ober- 
försterei Driesen.  Vom  Diakonat  wurden  Trebitsch,  Gottschimm,  Nen- 
Ulm,  Militzwinkel  abgetrennt  und  im  ersteren  Orte  ein  neuer  Pfarrer  für 


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Adolf  Reckling: 


diese  Gemeinden  eingesetzt.  Dem  Diakonat  Driesen  blieben  fortan  noch 
die  Gemeinden  Kietz,  Neu-Dessau,  Alt-  und  Neu  Beelitz  und  Schöneberg. 

Der  Bürgermeister  Rhode  war  zum  Bürgermeister  in  Könitz  gewählt 
und  gab  seine  Stelle  am  15.  Februar  18150  liier  auf;  für  ihn  wählte 
die  Stadtverordneten -Versammlung  am  3.  Mai  18*50  den  Aktuar  Emil 
Jacobitz  aus  Frankfurt  a.  O.,  welcher  am  10.  Mai  desselben  Jahres  vom 
Landrat  von  Zastrow  in  sein  hiesiges  Amt  eingeführt  wurde. 

Im  Mai  1S00  begannen  die  Feindseligkeiten  zwischen  Preussen  und 
Österreich.  Täglich  gingen  auf  der  Ostbahn  Militärzüge  durch,  und  am 
27.  Mai  1800  kam  hier  das  Füsilierbataillon  vom  4\l  Regiment  ins  Quartier, 
welches  von  sämtlichen  Wirten  aufs  beste  verpflegt  wurde.  Den  Ehe- 
frauen der  einberufenen  Reservisten  und  Landwehrmänner  wurden  neben 
den  Kreisunterstützungen  viele  freiwillige  Beitrage  gegeben.  Beim  Ein- 
treffen des  Sieges  von  Königgrätz  wurden  überall  hier  die  Häuser  geflaggt. 
Aus  diesem  Kriege  kehrten  alle  Driesener  wieder  zurück  bis  auf  den 
Musketier  Kaczinowsky,  welcher  an  der  Cholera  gestorben  war.  Am 
11.  November  wurde  das  Friedensfest  kirchlich  gefeiert.  Ein  viel 
schlimmerer  Feind  als  die  Österreicher  war  in  diesem  Jahre  die  Cholera 
für  Driesen.  Am  28.  Juni  starb  der  erste  an  dieser  Krankheit,  und  in 
der  Woche  vom  15.  bis  22.  Juli  wurde  für  78  Personen,  die  hieran  ge- 
storben, die  Danksagung  gehalten,  und  entfielen  davon  auf  die  Stadt 
08  Fälle.  Als  die  Krankheit  immer  weiter  um  sich  griff,  Hess  der 
Bürgermeister  Jacobitz  auf  beiden  Marktplätzen  einige  40  Theertonnen 
und  mehrere  Haufen  Kiefern-Strauch  abbrennen  und  einige  Wagen  mit 
brennenden  Theertonnen  durch  die  Strassen  fahren,  um  durch  den  Theer- 
geruch  die  Luft  zu  reinigen.  Es  starben  in  diesem  Jahre  310  Personen 
in  Driesen,  davon  158  an  der  Cholera. 

Im  Jahre  1807  erwarben  die  katholischen  Einwohner,  100  Seelen 
stark,  in  der  neuen  Strasse  das  Haus  No.  15  und  errichteten  darin  eine 
katholische  Kirche  und  Privatschule. 

Als  Entschädigung  für  die  neueingeführte  Grundsteuer  erhielt  die 
Stadt  3473  Thaler  incl.  der  bis  zum  Jahre  1807  aufgewachseneu  Zinsen. 

Durch  Besch luss  der  städtischen  Behörden  wurde  am  2.  Mai  1808 
das  Schulgeld  in  der  Elementarschule  aufgehoben. 

Zwischen  Stadt  und  Forstfiskus  kam  am  10.  Oktober  1808  ein  Ver- 
gleich wegen  der  Weide  in  der  Königlichen  Forst  zu  Stande,  wonach 
die  Stadt  eine  Landabfindung  von  340  Magd.  Morgen  an  der  Königlichen 
Lubiathfliesser  Forst  von  dieser  erhielt. 

Da  in  diesem  Jahre  auch  das  Saizmonopol  aufhörte,  wurde  das 
Königliche  Salzhaus  an  der  neueu  Brücke,  Richtstrasse  No.  14,  im 
öffentlichen  Termin  an  den  Kaufmann  Gustav  Adolf  Sauer  verkauft 
Gleichzeitig  hörte  nach  dem  Freizügigkeitsgesetz  das  Einzugsgeld  auf. 


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Geschichte  der  Stadt  Drieaen. 


65 


Im  Jahre  1869  erbaute  der  Mühlenbesitzer  Leopold  Stoltz  auf  dem 
Judenberge  hinter  dem  jüdischen  Kirchhofe  eine  neue  Darapfsehneideinühle, 
der  von  der  Königlichen  Regierung  der  Name  „Carlsmühle"  und  dem 
dahinter  liegenden  Berg  der  Name  „Carlshöhe"  beigelegt  wurde. 

Mitten  im  tiefsten  Frieden  erscholl  plötzlich  am  IG.  Juli  1870  der 
Kriegsruf  und  durch  Kabinets-Ordre  war  die  Mobilmachung  der  ganzen 
Armee  befohlen.  Es  galt  dem  Erbfeind  Preussens  und  Deutschlands, 
desHalb  standen  mit  Preussen  die  jetzigen  Staaten  des  deutschen  Bundes 
treu  bei  einander. 

Am  27.  Juli  fand  ein  allgemeiner  Buss-  und  Bettag  statt,  und  Gott 
erhörte  der  Deutschen  Gebete  und  war  mit  Deutschlands  Fürsten  und 
ihren  Armeen.  In  vieleu  glänzenden  Schlachten  wurde  Frankreich  ge- 
schlagen, und  König  Wilhelm  von  Preussen  erhielt  als  „Kaiser  Wilhelm" 
am  18.  Januar  1871  zu  Versailles  die  Kaiserkrone.  Beim  Friedensschluss 
fielen  die  alten  deutschen  Provinzen  „Elsass"  und  „Lothringen"  wieder 
an  Deutschland  zurück  und  Frankreich  hatte  ausserdem  5  Milliarden 
Thaler  an  Kriegskosten  zu  zahlen. 

Am  18.  Juni  1871  ward  in  allen  Kirchen  des  Landes  und  so  auch 
hier  das  Friedeusfest  gefeiert.  Der  Kreis  Friedeberg  hatte  an  Unter- 
stützungen für  Frauen  der  eingezogenen  Landwehrmänuer  und  Reservisten 
5000  Thaler  gezahlt,  davon  entfielen  auf  Driesen  442  Thaler  9  Groschen. 

Am  13.  Mai  1871  wurde  auf  dem  Festungsplatz  eine  aus  der 
städtischen  Forst  entnommene  Friedenseiche  gepflanzt,  uud  der  Bürger- 
meister Jacobitz  führt  dies  in  seinem  Verwaltungsbericht  hierüber  an  und 
äussert  den  Wunsch,  „dass  die  Eiche  wachsen  und  gedeihen  uud  vom 
schönsten  Punkte  des  Ortes  aus  mit  weitverbreiteten  Zweigen  einst  eine 
glückliche  Stadt  beschatten  möge". 

Da  im  Jahre  1872  in  Driesen  die  Pocken  heftig  auftraten  und  viele 
Personen  daran  starben,  die  in  Körben  und  gewöhnlichen  Wagen  zur 
Leichenhalle  geschafft  wurden,  so  wurde  vom  Schmiedemeister  Zander  in 
Friedeberg  ein  Leichenwagen  für  410  Thaler  gekauft. 

Der  Bürgermeister  Jacobitz  war  in  Züllichan  zum  Bürgermeister 
gewählt  uud  verliess  am  1.  Juli  1873  Driesen.  An  seiner  Stelle  wählte 
die  Stadtverordneten-Versammlung  am  19.  Juli  1873  den  bereits  21  Jahre 
hier  angestellten  Kämmerer  Julius  Adolf  Koch  zum  Bürgermeister,  der 
am  8.  August  desselben  Jahres  in  sein  Amt  vom  Landrat  von  Bornstedt 
eingeführt  wurde.  Die  Kämmcrerstelle  ging  von  dieser  Zeit  ab  ein  und 
wurde  ein  Stadtkassen-Rendant  angestellt.  Der  erste  Rendaut  war  der 
Polizei-Verwalter  und  Rechnungsführer  Genschmer  aus  Berneuchen.  Zum 
unbesoldeten  Beigeordneten  wählte  die  Stadtverordneten- Versammlung 
an  Stelle  des  Kämmerers  Koch  in  demselben  Jahre  den  Rentier  Ferdinand 
Modro. 

6 


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G6 


Adolf  Reckling: 


Am  4.  Januar  1874  fanden  nach  der  neuen  Kirchengemeinde-Ordnung 
vom  10.  September  1873  liier  die  ersten  Wahlen  statt,  und  es  wurden 
gewählt  in  den  Kirchenrat:  derBeigeordnete  Modro,  die  UatmännerHeiurich 
Mareks,  Ferdinand  Klauss,  der  Rektor  Greulich  und  der  Heutier  Carl 
Stoltz  aus  Driesen,  der  Fabrikbesitzer  Krüger  aus  Vordamm  und  der 
Gutsbesitzer  Sch wandt  aus  Salzkossäthen.  Der  Patron,  die  Königliche 
Regierung,  ernannte  zum  Patronatsältesten  den  Major  a.  I).  von  Heyn. 

Am  1.  Juli  1874  trat  die  Kreis-Ordnung  in  Kraft.  Infolgedessen 
wurden  die  Kämmereidörfer  Neu  -  Ulm  und  Militzwinkel  von  der 
Polizei -Verwaltung  in  Driesen  abgezweigt  und  mit  den  Gemeinden 
Trebitsch  und  Siel»  zu  einem  Amtsbezirk  vereinigt  und  der  frühere 
Mühlenbesitzer  Ferdinand  Büttner  aus  Trebitscher-Mühle  als  Amts-Vor- 
stcher  daselbst  eingesetzt.  Zu  derselben  Zeit  hörte  auch  in  Driesen  das 
Königliche  Rentamt  auf,  und  der  letzte  Rentmeister  Schulz  wurde  als 
Kreisausschuss-Sekretär  nach  Friedeberg  N.-M.  versetzt. 

Am  1.  Oktober  1874  trat  das  Gesetz  über  die  Beurkundung  des 
Personenstandes  in  Kraft,  und  zum  Standesamtsbezirk  Driesen  wurden  Anst- 
und Freigut  Driesen,  Vorwerk  Holm  und  die  Gemeinde  Kietz  zugelegt.  Der 
Bürgermeister  Koch  wurde  Standesbeamter  und  der  Beigeordnete  Modro 
sein  Vertreter.  Sämtliche  Geburten,  Eheschliessungen  und  Todesfälle 
mussten  von  dieser  Zeit  an  auf  dem  Staudesamt  beurkundet  werden. 

Bei  der  Volkszählung  am  1.  Dezember  1875  betrug  die  Einwohner- 
zahl in  Driesen  4200  Personen,  die  Häuserzahl  371. 

Die  Gemeinheitsteilung  der  städtischen  Grundstücke  war  soweit 
vollendet,  dass  den  Bürgern  und  der  Kommune  in  diesem  Jahre  nach 
einem  vorläufig  unterzeichneten  provisorischeu  Recess  die  neuen  Pläne 
überwiesen  werden  konnten.  Die  Stadtgemeinde  Hess  ihre  Pläne  vom 
Bauunternehmer  Braun  in  Morgenparzellen  einteilen  und  verpachtete  sie 
öffentlich. 

Im  Jahre  1876  kam  gegen  das  bisherige  Weidegeld  bereits  ein  Mehr 
von  3(i(>3  Mk.  ein.  Das  Etatsjahr  wurde,  wie  beim  Staat,  auch  bei  den 
Kommunen  von  1878  ab  auf  den  1.  April  gelegt. 

Am  7.  April  1 879  starb  der  Bürgermeister  Julius  Koch,  welcher 
27  Jahre  als  Kämmerer  und  als  Bürgermeister  amtiert  hatte.  Am  25.  Juni 
desselben  Jahres  wählte  die  Stadtverordneten-Versammlung  von  55  Be- 
werbern den  Mühlengutsbesitzer  und  Amts- Vorsteher  Premier-Lieutenant 
Reckling  in  Guscht  zum  Bürgermeister,  der  vom  Landrat  von  Bornstedt 
am  23.  Juli  187V)  in  sein  Amt  eingeführt  winde. 

Zu  dieser  Zeit  bestand  der  Magistrat  aus  nachstehenden  Personen: 

1.  Bürgermeister  Adolf  Reckling;  2.  Beigeordnetem  Ferdinand  Modro: 
3.  Ratmann  Apotheker  Robert  Starke;  4.  Ratmann  Rentier  Albert  Ziegler: 
5.  Ratmann  Reutier  Wilhelm  Weber;  6.  Ratmann  Eisen wareuhändler 
Heinrich  Stephan. 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


07 


Die  Stadtverordneten-Versammlung  zählte  zu  ihren  Mitgliedern: 

1.  Rentier  Ferdinand  Schady,  Vorsteher;  2.  Zimmermeister  Otto 
Daunhoff,  stellvertretenden  Vorsteher;  3.  Kaufmann  Friedrich  Matthes, 
Schriftführer:  4.  Rentier  Wilhelm  Wernhardt,  stellvertretenden  Schrift- 
führer: 5.  Kaufmann  Eduard  Spude;  (>.  Kaufmann  Gustav  Sauer; 
7.  Mühlenhesitzer  Leopold  Stoltz:  8.  Schmiedemeister  Adolf  Kahel; 
9.  Rentier  Rudolf  Schnell;  10.  Kammmachermeister  Carl  Seil;  11.  Porzellan- 
warenhändler Julius  Wichmann;  12.  Töpfermeister  Franz  Mareks; 
13.  Fleischermeister  August  Thiele;  14.  Kaufmann  Benjamin  Schachian; 
15.  Fleischermeister  Julius  Klettner;  lß.  Rentier  Albert  Giesler;  17.  Agent 
Heinrich  Grün;  18.  Gäi tnereibesitzer  Ernst  Schmidt;  19.  Färbermeister 
August  Grossmann;  20.  Tuchmachermeistcr  Rudolf  Dargatz;  21.  Nadler- 
meister Adolf  Pfeiffer.  Drei  Stellen  waren  durch  Todesfall  resp.  Aus- 
scheiden unbesetzt. 

Beamte  der  Stadt  waren:  1.  Stadtsekretär  Adolf  Wernicke; 
2.  Gemeinde-Einnehmer  Gustav  Prietz. 

Polizeibeamte:  Carl  Warnke  und  Carl  Lenz.  Nachtwächter  und 
Schuldiener:  Carl  Krause;  Nachtwächterund  Totengräber:  Julius  Hohm; 
Nachwächter  und  Ausrufer:  Carl  Lange;  Forstaufseher:  Jacob  Tetzlaff 
und  Krankenwärter  Wilhelm  Schröder;  Aichmeister:  der  Fabrikbesitzer 
Gustav  Stiller. 

Kirchenbeamte:  Oberpfarrer  Carl  Oxfort,  Diakonus  Reiche,  Kantor 
August  Brödtler,  Organist  Cujus,  Küster  Ferdinand  Widinsky,  letztere 
drei  zugleich  Lehrer  an  der  Elementarschule,  an  welcher  ferner  amtierten: 
der  Rektor  Köhn,  Lehrer  Royer,  Lehrer  Dossow,  Lehrer  Friedrich 
Geuschmer,  Lehrer  Müller,  Lehrer  Lange,  Lehrer  Wolf,  Lehrer  einer. 
Cantor  Schmidt,  Lehrerin  Mosler  und  Handarbeitslehrerin  Pauline  Geb- 
hardt, die  in  (>  Knaben-  und  (i  Mädchenklassen  den  Unterricht  erteilten. 

Das  Stadtgebiet  umfasste  1(302  ha,  davon  gehörten  der  Kämmerei 
459  ha  incl.  98  ha  Forst  und  Wiesen. 

Am  1.  April  1879  ward  in  Driesen  die  obligatorische  Fleischschau 
eingeführt  und  die  Untersuchung  der  Schweine  auf  Trichinen  und  Finnen 
dem  Tierarzt  Thuueke  übertragen,  welcher  ausser  einer  Untersuchungs- 
gebühr von  75  Pfg.  pro  Schwein  für  die  Beaufsichtigung  der  Wochen- 
märkte  pro  Jahr  600  Mk.  erhielt. 

Das  Resultat  der  Fleischschau  im  Jahre  1880  ergab  folgendes:  Es 
wurden  untersucht  1892  Schweine,  von  denen  12  finnig,  5  trichinös  und 
5  an  Rotlauf  erkrankt  befunden,  teils  minderwertig  verkauft,  teils  dem 
Abdecker  übergeben  wurden. 

Im  Jahre  1879  wurde  der  Bau  der  Provinzial-Chaussee  nach  Birn- 
baum bis  zur  Wilhelms -Strasse  hierselbst  vollendet  und  im  nächsten 
Jahre  bis  Vordamm  fertiggestellt.  Nach  einem  mit  der  Provinz  ge- 
schlossenen Vertrag  gab  die  Stadt  Driesen  die  Unterhaltung  der  neuen 

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Adolf  Hackling: 


Brück«'  und  der  Richtstrasse  gegen  18  (.H.K)  Mk.  Entschädigung  an  die 
Provinz  Brandenburg  ab  und  liob  den  Brückenzoll,  der  ca.  1HX)  Mk. 
jährlich  einbrachte,  auf. 

Am  I.  April  IST1.)  errichtete  der  Gymnasiallehrer  Schröder  im  Hause 
Festungsplatz  No.  III  eine  höhere  Privat -Knabenschule  und  erhielt  von 
der  Königlichen  Regierung  die  Genehmigung,  die  Schüler  dieser  Anstalt 
bis  zur  Sekunda  eines  Gymnasiums  vorzubereiten.  Um  das  Bestehen 
dieser  Schule  zu  sichern,  zahlte  die  Stadt  einen  jährlichen  Zuschuss  von 
1000  Mk.  ge»-en  Gewährung  von  8  ganzen  und  12  halben  Freistellen  für 
befähigte  arme  Kinder  der  Stadt  Driesen.  Zugleich  erhielt  Fräulein  SeUo 
von  der  Itcgierung  «lie  Konzession  zur  Errichtung  einer  höheren  Privat- 
Mädchensehule.  Im  Hause  Neuestrasse  No.  15  befand  sich,  wie  noch 
heute,  eine  katholische  Privatschule  und  Kirche  unter  Leitung  des 
Vikars  Willnich. 

Am  11.  .Juni  1879  wurde  die  goldene  Hochzeit  Sr.  Majestät  des 
Kaisers  und  der  Kaiserin  gefeiert  und  nach  beendetem  Gottesdienst  das 
Gitter  um  die  Friedenseiche  eingeweiht. 

Vom  1.  Oktober  IST'.)  ab,  dem  Tage  der  Einführung  der  neuen 
Geriehtsorganisation,  blieben  in  Driesen  nur  noch  '2  Amtsrichter,  und 
die  bisherigen  Amtsgerichtsrät«'  Roquette  und  Cantian  Hessen  sich 
pensionieren.  An  ihre  Stelle  traten  der  Amtsrichter  Max  Fromme  uud 
der  Amtsrichter  Mankiewicz,  nachdem  «lie  Stellen  einige  Monate  von 
den  Gerichts- Assessoren  Krumm  und  Jerichow  verwaltet  waren.  Zum 
Amtsanwalt  war  «1er  Forstkassen  -  Rendant  Georg  Kamcke  bestellt  und 
als  Schiedsmann  der  Goldarbeiter  Schlecht  gewählt. 

Am  1.  Juli  IST9  war  der  Kentier  Ferdinand  Klauss,  der  viele 
Jahre,  von  1841  ab,  zuerst  Stadtverordneter  und  zuletzt  Katmann,  aus 
dem  Magistrat  ausgetreten  und  ihm  der  Titel  „Stadtältester*  verliehen 
worden. 

Infolge  der  örtlich  verbundenen  Lage  der  Gemeinde  Kietz  und  der 
Güter  Amt  und  Freigut  Driesen  wurden  behufs  besserer  Kontrole  diese 
vom  Amtsbezirk  Vordanim  abgezweigt  und  in  polizeilichen  Sachen  am 
I.  November  IST'.)  der  Polizei-Verwaltung  in  Driesen  unterstellt. 

Am  8.,  \).  und  10.  Juli  1880  tagte  in  Driesen  der  Märkische  Forst- 
verein, an  welchem  «ler  Regierungs-Pi  äsident  Graf  von  Villers,  der  Über- 
forstmeister von  Waldow  und  80  Mitglie«ler  des  Vereins  teilnahmen  und 
bei  der  Bürgerschaft  einquartiert  wurden.  Am  ershm  Abend  war  ge- 
selliges Zusammensein  im  Festungsgarten.  Freitag,  den  {).  Juli,  vor- 
mittags c.)  I  hr  eröffnete  der  Oberforstmeister  von  Waldow  im  Restaurant 
Spilke,  Richtstrasse  No.  8,  die  VIII.  Versammlung  des  Vereins.  Nach- 
mittags fand  ein  F«'stessen  im  Gesellschaftshanse,  Richtstrasse  2a,  statt, 
an  welchem  sich  der  Magistrat  uml  zahlreich  die  Bürger  beteiligten. 
Abends  war  Konzert  im  Festungsgarten,  und  am  10.  Juli  wurde  die 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen.  09 

Königlich  Steinspringer  und  Königlich  Driesener  Forst  besichtigt.  Mit 
dem  Jahre  1881  hören  in  Driesen  die  lokalen  Bezeichnungen  Alt-  und 
Neustadt  und  Sand  und  Posetier  Vorstadt  auf,  da  die  Stadt  au  Stelle  der 
bisherigen  4  Bezirke  in  Ii  eingeteilt  und  au  Stelle  der  fortlaufenden 
Nummern  an  den  Häusern  solche  nach  den  Strassen  gegeben  wurden 
und  die  Vorstadt  neue  Strassennamen  erhielt. 

Dem  1.  Bezirk  wurden  zugewiesen:  die  Kietzerstrasse,  Hinter-  und 
Mittelstrasse,  der  Kirchplatz  und  die  Schulgasse.  Vorsteher  des  Bezirks: 
Schnhmachermeister  Julius  Born:  Stellvertreter:  Händler  Adolf  Teske. 

Zum  2.  Bezirk  gehörten:  Richtstrasse,  Alter  Markt,  die  Holm-  und 
Marktstrasse  und  die  Kirchgasse.  Vorsteher:  Gerbermeister  Rudolf 
Schwarz;  Stellvertreter:  Klempnermeister  Hermann  Stössel. 

Zum  3.  Bezirk:  die  Grusen-,  Breite-  und  Netzstrasse  und  der  Neue 
Markt.  Vorsteher:  Porzellanmaler  Adolf  Mennig;  Stellvertreter:  Hotel- 
besitzer Julius  Boeck. 

Zum  4.  Bezirk:  die  Neue-  und  Festungsstrasse  und  der  Festungsplatz. 
Vorsteher:  Heilgehülfe  Rudolf  Oswaldt:  Stellvertreter:  Mühlenbesitzer 
Ferdinand  Janetzky. 

Zum  5.  Bezirk:  Brückenkopf-,  Neuanspacher-,  Wasser-,  Schützen- 
und  Acker  -  Strasse  und  Driesener  Feld.  Vorsteher:  Vorwerksbesitzer 
Rudolf  IJettig;  Stellvertreter:  Webermeister  Friedrich  Polensky. 

Zum  t>.  Bezirk:  Wilhelms-,  Friedrich-,  Carl-,  Garten-,  Schweriner- 
und  Neu-l'linerstrasse.  Vorsteher:  Kaufmann  Heinrich  Rädel;  Stellver- 
treter: Rentier  Gustav  Siebert. 

Der  Standesamtsbezirk  hatte  öoTS  Einwohner  und  es  wurden  l SS  1 
geboren  LMM  Kinder.  Hiervon  entfielen  auf  die  Stadt  Driesen  1S5, 
darunter  Kl  unehelich,  auf  Kietz  IS,  darunter  2  unehelich  und  auf  Amt 
und  Freigut  Driesen  mit  Vorwerk  Holm  (».  Bei  den  Geburten  waren 
2  Zwillings-  und  eine  Drillingsgeburt.  Es  starben  in  diesem  Jahre 
UV.)  Personen,  dabei  befanden  sich  S  Totgeborene,  in  Driesen  145,  in 
Kietz  2\  und  Amt  Driesen  i).    Ferner  wurden  4'A  Ehen  geschlossen. 

Nachdem  bereits  1S80  die  Riehtstrasse  und  der  Alte  Markt  wie  die 
Mittelstrasse  zur  Hallte  umgeptlastert  worden  war,  wurde  in  diesem  Jahr«' 
der  Neue  Markt,  die  Marktstrasse  und  Breitestrasse  sowie  die  llolmstrassc 
zwischen  der  Breitenstrasse  und  Grusen>trasse  un  ige  pflastert  und  diese 
Arbeiten  wieder  dem  Steinset/.ineister  Stiehl  in  Landsberg  a.  W.  über- 
tragen. Derselbe  musste  sämtlich««  Materialien,  soweit  sie  nicht  beim 
alten  Pflaster  vorhanden  waren,  liefern  und  erhielt  pro  Quadratmeter  Kopf- 
steinpflaster 'J,70  Mk.  und  pro  Quadratmeter  rundes  Pflaster  Iii)  Pfennige. 

Auf  Anregung  des  Kaufmanns  Eduard  Spudc,  der  eine  Schrift  zur 
Errichtung  eines  Denkmals  für  den  Geheimen  Ober-Finanz  -  und  Domänen- Hat 
Franz  Balthasar  Schönberg  von  Brenkenhofl"  über  dessen  Leben  und  Wirken 
herausgegeben  hatte,  trat  unter  dem  Vorsitz  des  Landrats  von  Bornstedt 


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70 


Adolf  Reckling: 


am  Sonntag,  den  15.  Mai  1881  ein  zu  diesem  Zweck  gebildetes  Komitee 
im  Bahnhof  Friedeberg  N.-M.  zur  ersten  Sitzung  zusammen.  Erschienen 
waren  ausser  den  Nachkommen  des  zu  Feiernden,  des  Majors  von  Knobels- 
dorft'-Mansfelde  und  des  Rittmeisters  von  Knobelsdorff-Pehlitz,  der  Ritter- 
gutsbesitzer von  Rietz-Lielitenow,  Bürgermeister  Oberstlieutenant  Zöllner- 
Friedeberg,  Oberbürgermeister  Meydam-Landsberg  a.  W.,  Deichhauptinann 
Müller  und  Stadtrat  Röske  ans  Landsberg  a.  W.,  Rektor  Sieber-Küstrin, 
Bürgermeister  Reckling-Driesen  und  der  Mühlenbesitzer  Leopold  Stoltz 
und  Kaufmann  Eduard  Spude- Driesen.  Da  zu  beregtem  Zweck  bereits 
3500  Mk.  gesammelt  waren,  wurde  dem  anwesenden  Bildhauer  Steine- 
mann,  einem  Schüler  Drakes,  welcher  in  Friedeberg  N.-M.  das  Krieger- 
denkmal gefertigt,  das  in  Driesen  auf  dem  Neuen  Markt  zu  errichtende 
Brenkenhoffs  Deukmal  für  den  Preis  von  58(10  Mk.  übertragen.  Der 
Kreistag  bewilligte  hierzu  gleichfalls  1000  Mk. 

Auf  Grund  der  Novelle  zur  Gewerbe-Ordnung  wurden  in  Driesen 
1884  die    nachbenannten   Innungen    reorganisiert:    1.   die  Fleischer-, 

2.  die  Schuhmacher-,  3.  die  Schneider-,  4.  die  Böttcher-,  5.  die  Tuch- 
macher-, (').  die  Bauhandwerker-,  7.  die  Tischler-,  8.  die  Müller-,  (J.  die 
Gold-,  Silberarbeiter-,  Klempner-,  Uhrmacher-,  Nadler-,  Gelbgiesser-  und 
Kupferschmiede-,  10.  die  Gerber-,  Kürschner-,  Sattler-,  Handsehuhmacher- 
und  Buchbinder-,  11.  die  Schmiede-,  1*2.  die  Bäcker-,  13.  die  Schlosser-, 
Feilenhauer-  und  Büchsenschmiede-,  14.  die  Stellmacher-,  15.  die  Barbier- 
Innung,  lt>.  die  Töpfer-,  Maler-.  Glaser  -  Innung  neugebildet  und  die 
Weber-Innung  aufgelöst,  da  Meister  dieses  Gewerbe  nicht  mehr  betrieben. 

In  diesem  Jahre  wurde  auch  das  alte  Gerichtsgefängnis  abgebrochen 
und  auf  dem  Gerichtshofe  ein  neues  erbaut. 

Im  Frühjahr  1882  verkaufte  die  Stadt  den  Verschönerungsgarten 
an  der  alten  Netze  in  Grösse  von  35  ar  mit  der  Verpflichtung,  darauf 
ein  Fabriketablissement  zu  errichten  oder  ein  Haus  zu  erbauen,  an  den 
Mühlenbesitzer  Leopold  Stoltz  für  den  Preis  von  21  350  Mk.  Zugleich 
wurde  ihm  die  Verpflichtung  auferlegt,  den  Treidelsteg  an  der  alten 
Netze  für  die  Schifffahrt  freizuhalten. 

Am  1.  Mai  1882  erhielt  der  Bürgermeister  Reekling  als  Hauptmann 
der  Landwehr-Infanterie  die  Bezirks-Kompagnie  Drieseu  des  2.  Bataillons 
5.  Brandenburgischen  Landwehr  -  Regiments  No.  48.    Zum  Bezirk  der 

3.  Kompagnie  gehörten  die  Kontrol platze  Woldenberg,  Sehüttenburg, 
Di  iesen  I,  Driesen  II,  Modderwiese  und  Guschter  -  Holländer,  wo  im 
Frühjahr  und  Herbst  die  Kontrolversammlungen  abgehalten  wurden. 

Am  21.  Mai  1882  fand  auf  dem  Neuen  Markt  in  Driesen  die 
Grundsteinlegung  zum  Brenkenhoff- Denkmal  statt.  In  den  Grundstein 
wurde  eine  kupferne  Kapsel  mit  dem  nachstehend  aufgeführten  Inhalt 
gefügt: 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen.  71 

1.  Nachrichten  über  den  Kreis  Friedeberg  vom  Landrat  von  Bornstedt: 

2.  Nachrichten  über  Brenkenhoff  und  seine  Schöpfungen  in  und  uni 
Cüstrin  vom  Kektor  Sieber  daselbst  ; 

o.  Nachrichten  über  die  Familie  von  Brenkenhoff  vom  Rittmeister  Hugo 
von  Knobelsdorff-Pelilitz : 

4.  Nachrichten  über  die  Entstellung  des  Denkmals,  unterzeichnet  von 
allen  Komiteemitgliedern ; 

ö.  Nachrichten  über  die  unter  Leitung  des  Geheimen  Oberfinanzrats 
von  Brenkenhofl*  in  den  Jahren  1704  bis  1774  und  unter  Leitung 
anderer  Manner  in  den  Jahren  177Ö  bis  17S8  im  Warthebruch 
ausgeführten  Meliorationen  vom  TViehhauptmaun  Müller  in  Lands- 
berg a.  W. ; 

(>.  Historische  Nachrichten  der  Stadt  Driesen  vom  Beigeordneten 
Modro-Driesen: 

7.  Driesener  Zeitungen  vom  November  und  Dezember  1881,  worin  die 
Arbeiten  Brenkenhoffs  im  Netzbrueh  nach  Baudirektor  Hahns  Auf- 
zeichnungen vom  Beigeordneten  Modro-Driesen  veröffentlicht  sind; 

8.  Ein  Lebensbild  Brenkenhoffs  vom  Kaufmann  Eduard  Spude-Driesen; 
II.  Verwaltungsbericht    der    Stadt    Driesen    über    den    Stand  der 

Gemeinde-Angelegenheiten  pro  1880/81  vom  Bürgermeister  Keckling- 
Driesen; 

10.  Verwaltungsbericht  der  Driesener  (iewerbebank  pro  1  SSI ; 

11.  Handzeichnung  vom  Netzebruch  des  Friedeberger  Kreises  vom 
Bürgermeister  Keckling; 

\'J.  Plan  der  Neumärkische!»  Stadt  und  Schanze  Driesen,  gezeichnet  von 
Pressi,  kopiert  vom  Bürgermeister  Keckling; 

13.  Verwaltungsbericht  der  Stadt  Cüstrin  pro  1SSO  81; 

14.  Verwaltungsbericht  der  Stadt  Landsberg  pro  ISSOSI; 

lö.  Phui  zur  Erweiterung  der  Stadt  Driesen  nebst  der  Festung  Driesen 
von  L.  Hahn,  Königlicher  Baudirektor,  kopiert  von  Bürgermeister 
Keckling; 

HS.  Plan  der  Stadt  Driesen  vom  Jahre  1  SS  1 ,  gezeichnet  vom  Bürger- 
meister Reckling; 

17.  Widinungsurkunde  fler  städtischen  Behörden  zu  Driesen,  unter- 
zeichnet von  allen  Mitgliedern; 

18.  Ein  Steffenscher  Kalender  vom  Jahre  1SSO; 
Die  neuesten  Zeitungen  und  Münzen. 

Die  Feier  eröffnete  der  Driesener  Gesangverein  „Harmonie**  mit 
dem  Choral  „Lobe  den  Herrn**,  worauf  der  Bürgermeister  Keckling  die 
Festrede  hielt  und  zum  Schluss  den  Landrat  von  Bornstedt,  als  Leiter 
•  les  Friedeberger  Kreises,  aufforderte,  die  ersten  Hammerschläge  vor- 
zunehmen, der  «lies  mit  einem  Hoch  auf  den  Kaiser  ausführte.  Nach 
dem  Landrat  folgten  mit  den  nachstehend  aufgeführten  Widmungssprüchen: 


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Adolf  Reckling: 


Major  von  Knobelsdortt-Brenkenhoff-Mansfelde : 

„Treue  dem  Fürsten,  den  Gott  uns  gegeben, 

„Liebe  zum  Nächsten  und  selbstloses  Streben 

„Führet  zu  Werken,  die  ewiglich  leben." 
Rittmeister  von  Knobelsdorfl-Brenkenhoff-Pehlitz: 

„Die  gross  geschaut,  die  gross  gebaut, 

„Die  schlummern  in  den  Särgen. 

„Möge  die  Nachwelt  und  die  Gegenwart  eingedenk  sein, 

„Dass  die  Macht  und  das  Gelingen  durch  Selbstlosigkeit  erlangt 

„sind". 

Gymuasial-Direktor  Schneider-Friedeberg  N.-M. : 

„Schaffen  und  Streben 

„Zum  Besten  des  Ganzen 

„Das  ist  Leben". 
Amtsrichter  Fromme-Driesen : 

„Mit  Gott  für  König  und  Vaterland!" 
Amtsrichter  Dr.  Mankiewicz-Driesen  : 

„Es  kann  die  Spur  von  seinen  Erdentagen 

„Nicht  in  Äonen  untergehen!" 
Rechtsanwalt  Dr.  Pöppel-Driesen : 

„Stelle  fest  und  trotze  dem  Sturm  der  Zeit  als  ein  bleibendes 
Denkmal  verehrungswürdiger  Dankbarkeit  gegen  die  Todten!" 
Beigeordneter  Modro-Driesen : 

„An  Gottes  Segen  ist  Alles  gelegen,  Er  spende  ihn  auch  auf 
dieses  Denkmal  der  Dankbarkeit!" 
Stadtverordneter,  Kaufmann  Ed.  Spude-Driesen : 

„Gottes  Mühlen  mahlen  langsam  aber  fein,  Ihr  goldenes  Mehl 
ist  Wahrheit  und  Gerechtigkeit!4' 
Rektor  Sieber- Cüstrin: 

„Was  uns  noth  thut,  uus  zum  Heil 

Ward's  gegründet  von  den  Vätern; 

Doch  das  ist  nun  unser  Theil, 

Dass  wir  sorgen  für  die  Späteren!" 
Bürgermeister,  Oberstlieutenant  Zöllner-Friedeberg: 

„Ehre  der  Stadt  Driesen,  die  das  Andenken  der  Stadt  Driesen 
in  dieser  Weise  ehrt!" 
Stadtverordneter,  Dampfmühlenbesitzer  Leopold  Stoltz-Driesen : 

„Der  erste  Schlag  sei  Dankbarkeit, 

„Dem  Hingeschiedenen  geweiht; 

„Der  zweite  gilt  der  Thätigkeit, 

„Die  über  uns  den  Segen  streut, 

„Der  dritte  für  das  Musterbild 

„Der  Gegenwart  und  Zukunft  gilt". 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


73 


Bürgermeister  Reekling-Driesen : 

„Ihm  ist  die  That  gelungen,  er  scheute  keine  Müh', 
„Er  hat  den  Kranz  errungen,  der  Nachwelt  Sympathie!" 

Hierauf  sprach  der  Oberprediger  Oxford  ein  Gebet,  womit  die 
offizielle  Feier  der  Grundsteinlegung  schloss.  Es  folgte  darauf  ein  Fest- 
essen im  Hotel  Böck.  Die  schönen  Toaste,  die  dabei  ausgebracht 
wurden,  schreibt  die  „Landsberger  Zeitung",  charakterisieren  sich  am 
besten,  wenn  wir  von  ihnen  sagen,  dass  auf  sie  zutrifft  der  Vers,  der 
nicht  immer  von  Rednern  beherzigt  wird: 

„Nicht  leicht  mag  trocken  scheinen, 
Ein  Toast  bei  guten  Weinen. 
Sollst  doch  nur  den  ausbringen, 
Der  klingt  —  ohn'  Gläserklingen". 

Zugleich  brachte  die  „Landsberger  Zeitung"  auf  der  Mitte  des  über 
die  Feier  ausgegebenen  Extrablatts  das  Bildnis  von  Brenkenhoff  mit 
seinem  Namenszug. 

Nur  wenige  Monate  später,  am  Sonntag,  den  20.  August  1H82,  fand 
die  feierliche  Enthüllung  des  Brenkenhoff  -  Denkmals  statt,  wobei  ganz 
Driesen  im  Flaggenschmuck  prangte. 

Bei  der  im  Jahre  1882  stattgehabten  Berufszählung  für  das  deutsche 
Reich  wurden  in  Driesen  gezählt: 

316  Haushaltungen,  in  welchen  Landwirtschaft  betrieben  wurde, 
24ß  Gewerbe,  welche  mit  einem  Gehülfen  oder  Lehrling  und  mehr 
arbeiteten  und  4848  anwesende  Personen. 

An  Vieh  waren  vorhanden  128  Pferde,  201  Stück  Rinder,  31 '.I.Schweine, 
47  Schafe,  23  Ziegen  und  36  Bienenstöcke. 

Im  Jahre  1883  erbaute  der  Zimmermeister  Otto  Dannhoff  auf 
seinem  Grundstück,  Friedrichstrasse  No.  4,  eine  neue  Dampfschneide- 
mühle, die  vierte  in  der  Stadt  und  legte  mit  Genehmigung  der  städtischen 
Behörden  einen  Schienenstrang  über  die  Karlstrasse  bis  zur  alten  Netze 
an,  um  die  Hölzer  aus  dieser  vermittelst  eines  Drahtseils  direkt  zur 
Mühle  zu  bringen.  Für  diese  Erlaubnis  ist  vom  Unternehmer  eine 
jährliche  Abgabe  von  30  Mk.  zur  Kommunalkasse  zu  zahlen. 

Tin  Januar  1883  starb  in  Berlin  der  Rentier  E.  H.  Schnell,  ein 
geborener  Driesener  und  vermachte  der  Stadt  seinen  beim  Kranken- 
hause in  der  Schwerinerstrasse  belegenen  Garten  von  71  Quadratruten 
und  den  Annen  3000  Mk. 

Die  den  Gebrüdern  Robert  und  Julius  Wende  in  der  Netzstrasse  No.  4 
gehörige  Tuchfabrik  brannte  im  August  1883  nieder.  Hierbei  stellte  sich 
heraus,  dass  die  Pflichtfeuerwehr  veraltet  war  und  ihrem  Zweck  nicht  mehr 
entsprach,  daher  gründete  der  Kaufmann  Hermann  Ziegler  eine  freiwillige 
Feuerwehr,  welche  vom  Brandmeister  Fichtner  aus  Berlin  ausgebildet 


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74 


Adolf  Reckling: 


wurde.  Die  Pflichtfeuerwehr  ist  dein  Kommando  der  freiwilligen  unter- 
stellt und  wird  als  Druckmannschaft  verwendet. 

Das  Stiftungskapital  des  Beinertscheu  Waisenstifts  war  bereits  im 
Jahre  1882  vom  Amtsgericht  in  Höhe  von  57  042,50  Mk.  behufs  Erbauung 
des  Waisenhauses  ausgezahlt  und  dies  wurde  von  dem  Maurermeister  Zöllner 
im  folgenden  Jahre  fertiggestellt,  sodass  am  1.  Dezember  1883  die  ersten 
5  Waisenkinder  darin  aufgenommen  werden  konnten.  Der  Geheim- 
sekretär  Beinert  hatte  «ler  Stadt  Driesen  zu  diesem  Zweck  ein  Legat 
überwiesen,  welches  durch  Zusehreibung  der  Zinsen  auf  45  000  Mk.  an- 
wachsen sollte  und  hiernach  sollte  die  Stadt  «lie  Anstalt  einrichten.  Da 
aber  der  Fonds  zu  dieser  Zeit  bereits  auf  OOOOOMk.  angewachsen  war, 
und  der  Bau  nebst  Einrichtung  18  000  Mk.  gekostet  hatte,  so  konnten 
45  000  Mk.  noch  hypothekarisch  angelegt  werden.  Ausser  den  Zinsen 
hiervon  erhält  das  Stift  noch  nach  Abzug  der  Legatzinsen  jährlich 
ca.  1000  Mk.,  sodass  die  statutenmässig  aufzunehmende  Zahl  von  6  bis 
8  Kindern  sehr  gut  verpflegt  werden  kann.  Zum  Kuratorium  gehören 
ein  Magistratsmitglie«l  als  Vorsitzender  und  2  von  «ler  Stadtverordneten- 
Versammlung  zu  wählende  Mitglieder.  Ins  Stift  dürfen  nur  Waisen- 
kinder aus  «ler  Stadt  Driesen  und  dem  ehemaligen  f!an«lgerichtsbezirk 
Driesen  aufgenommen  werden,  und  Kinder  aus  der  Stadt  haben  den 
Vorzug.  Den  Vorsitz  im  Kuratorium  übernahm  der  Bürgermeister 
Keckling  und  in  dasselbe  gewählt  wurden  der  Kaufmann  Ed.  Spmle  und 
der  Apotheker  Conrad.  Zu  Waiseneltern  wurde  der  Mühlenmeister  Tobias 
Tourbier  und  dessen  Ehefrau  bestellt. 

Die  Umpflasterung  des  inneren  Teiles  der  Stadt  wurde  im 
Jahre  1884/85  vollendet,  sie  hat  «ler  Kommune  im  ganzen  55  333,70  Mk. 
gekostet.  Diese  Kosten  wurden  gedeckt  durch  «len  angesammelten 
Strassenpflasterungsfomls  in  Höhe  von  1)449,33  Mk.,  «lurch  eine  Anleihe  beim 
Städteunterstützungsfonds  von  35000  Mk.  und  «lurch  die  Anzalüungauf  den 
Platz  an  «ler  alten  Netze  in  Höhe  von  0204  Mk.,  welchen  der  Kommerzien- 
rat  Stoltz  gekauft  hatte. 

Die  Handarbeitslehrerin  Fräulein  Pauline  Gebhardt  und  ihre  Tante 
Fräulein  Meissner  vermachten  der  Stadt  kurz  vor  ihrem  Tode  anfangs 
Dezember  1885  ein  Legat  von  2000  Mk.  unter  der  Bedingung,  von  «len 
Zinsen  ihre  Gräber  zu  unterhalten  uml  den  Cberschuss,  «ler 
alljährlich  ca.  78  Mk.  betragen  hat,  zur  Christbes«  heerung  armer  Schul- 
kinder zu  verwenden. 

Da  die  Schulzimmer  in  der  El«Mnentars«:hule  überfüllt  waren,  so 
wurden  ans  Mädcheuschulhaus  vier  Klassenzimmer  ang«*baut  und  «liese 
am  1.  Oktober  1880  b««zogen.  Zugleich  wurden  von  den  bisherigen 
0  Klassen  7  für  die  Knaben-  und  7  für  «lie  Mädchenschule  eingerichtet 
und  «'in  Mittelschullehrer,  der  Kealgvmnasiallehrer  Michell,  neu  als 
13.  Lehrer  augestellt. 


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Geschichte  der  Stadt  Priesen. 


75 


Am  25.  Januar  1887  starb  der  Kaufmann  Eduard  Spude.  Derselbe 
war  40  Jahre  lang  ein  thätiges  Mitglied  der  Stadtverordneten-Versaininlu um- 
gewesen, deren  Vorsteher  er  28  Jahre  lang  war. 

Um  das  Betteln  mehr  und  mehr  einzuschränken,  wurden  im  Friede- 
berger Kreise.  5  Pflegestationen  eingerichtet,  in  den  drei  Städten  je  eine, 
die  beiden  anderen  in  den  Gemeinden  Guscht  und  Wugarten.  Die 
Wanderer  werden  in  den  Stationen  verpflegt  und  erhalten  Nachtquartier, 
jedoch  sollen  sie  hier  dafür  arbeiten.  Diese  Einrichtung  kostete  dem 
Kreise  24  ü>  Mk.  Gleich  im  ersten  Jahre  waren  in  Driesen  2214  Personen 
verpflegt.  Durch  Kreistagsbeschluss  vom  10.  Dezember  181)5  gehen  die 
Pflegestationen  wieder  ein. 

1887  erhielt  die  Stadt  aus  dem  Nachlas«  der  verstorbenen  Kentiere 
Oberfeldt  geborenen  Selchow  ein  Legat  von  (>U0  Mk.,  deren  Zinsen  zum 
Weihnachtsfest  an  Arme  jährlich  zu  verteilen  sind.  Ebenso  vermachte 
der  Rentier  Ed.  Spude  dem  Hospital  300  Mk.  mit  der  Bestimmung,  dass 
die  Zinsen  am  20.  Juli  jährlich,  dem  Geburtstage  seiner  Ehefrau,  an  die 
Hospitaliten  zu  verteilen  sind. 

Der  Kaufmann  Albert  Labus  und  die  Rentiere  Johanne  Gumpert- 
Berlin  vermachten  dem  Hospital  900  Mk.  mit  der  Bestimmung,  dass  den 
Hospitanten  am  Geburtstage  des  Kaisers  von  den  Zinsen  ein  Mahl, 
bestehend  aus  Schweine-  oder  Kalbsbraten,  Backpflaumen  und  je  einer 
Flasche  Braun-  oder  Weissbier  zu  geben  und  der  daun  verbleibende  Cber- 
schuss  zu  verteilen  sei. 

Von  den  16  neuorganisierten  Innungen  hatten  die  Schuhmacher-, 
Tischler-,  vereinigte  Töpfer-,  Maler-  und  Glaser-,  die  Bäcker-  und  ver- 
einigte Kürschner-,  Gerber-,  Sattler-,  Buchbinder-  und  Handschuhmacher- 
Innung  die  Vorrechte  des  §  HM)"  der  Reichsgewerbe -Ordnung  erhalten, 
wonach  nur  Mitglieder  dieser  Innungen  Lehrlinge  halten  dürfen. 

Zweimal  erscholl  im  Jahre  1888  der  Trauerruf  durch  unser  deutsches 
Vaterland:  zuerst  am  *J.  März,  als  unser  allgeliebter  Kaiser  Wilhelm  I. 
und  am  15.  Juni,  als  sein  grosser  Ilcldcnsohn,  der  edle  Dulder,  Kaiser 
Friedrich  starben.  Der  Magistrat  und  die  Stadtverordneten  hatten 
jedesmal  Beileidsadressen,  sowohl  den  hinterbliebenen  hohen  Witwen, 
der  Kaiserin  Augusta  und  der  Kaiserin  Victoria,  wie  den  regierenden 
Kaisern,  Friedrich  und  unserem  jetzigen  allgemein  geliebten  und  ver- 
ehrten Kaiser  Wilhelm  IL,  übersandt. 

Vierzehn  Tage  wurden  täglich  mittags  von  12  bis  1  Uhr  die  Glocken 
geläutet,  und  wie  überall  im  Vaterlande,  wehten  auch  hier  an  den 
Häusern  die  Trauerfahnen.  Der  Kampfgenossen-  und  Militär -Verein 
hatte  zur  Beerdigung  des  geliebten  Landesfürsten  Deputationen  mit  ihren 
Fahnen  entsandt. 

Am  1.  April  1888,  zur  Zeit  als  die  Glocken  am  J.  Osterfeiertage 
zur  Kirche    einläuteten,    drangen    infolge    des   Walldurchbruchs  bei 


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I 


76  Adolf  Reckling. 

Alt -Beelitz  und  Neu  -  Dessau  die  Fluten  der  Netze  auf  unsere  Stadt  ein 
und  überschwemmten  den  an  der  alten  Netze  gelegenen  Teil.  Nur  mit 
grösster  Anstrengung  wurde  die  Polnische-  und  die  Mühlenbrücke  ge- 
halten. Die  freiwillige  Feuerwehr  rückte  mit  Kähnen  zur  Rettung  der 
Bewohner  von  Neu-Dessau  am  1.  und  2.  April  aus.  Die  erst  neuerbaute 
massive  Amtsbrücke  wurde  zum  grössten  Teil  und  die  Kosterbrücke 
ganz  fortgerissen.  Der  Damm  nach  Vordamm  lag  teilweise  einen  halben 
Meter  unter  Wasser,  und  der  Verkehr  nach  Vordamm  fand  auf  Kähnen 
statt.  Reichlich  gingen,  von  auswärts  die  Unterstützungen  für  die  Über- 
schwemmten ein,  und  der  Magistrat  in  Driesen  verteilte  dieselben  in 
Höhe  von  45  259  Mk.,  in  Sachen  und  Naturalien  von  Neubeelitz  ab  in 
den  Gemeinden  bis  zur  Grenze  des  Landsberger  Kreises.  Die  Alt- 
Beelitzer  Brücke  war  gleichfalls  fortgerissen,  und  diese  Gemeinde  erhielt 
zum  Bau  der  neuen  Brücke  einen  Staatszuschuss  von  35  000  Mk.  Zur 
Begrüssung  der  Kaiserin  Friedrich,  welche  am  9.  Juni  1888  von  der 
Besichtigung  des  Überschwemmungsgebietes  in  Elbing  zurückkehrte, 
hatten  sich  imter  Führung  des  Bürgermeisters  Hauptmanns  Reckling  in 
Driesen  der  Militär-  und  Kampfgenossen  -Verein  in  Driesen  und  der 
Krieger -Verein  in  Kreutz  daselbst  auf  dem  Bahnhofperron  aufgestellt. 
Nachdem  der  Hauptmann  Reckling  bei  Ankunft  Ihrer  Majestät  die  Ver- 
eine gemeldet,  schritt  Ihre  Majestät  die  Front  derselben  ab  und  lud  den 
Hauptmann  zur  Tafel,  wo  er  seinen  Platz  neben  Ihrer  Königlichen 
Hoheit  der  Priuzess  Victoria  erhielt.  Der  Stadtmusikus  Kunze  aus 
Driesen,  den  die  Driesener  Vereine  mitgenommen  hatten,  spielte  während 
der  Tafel  auch  den  Fackeltanz  von  Meyerbeer,  wobei  Ihre  Majestät  zum 
Ober-Präsidenten  Grafen  v.  Zedlitz  äusserte,  dass  dieses  Stück  bei  ihrem 
Einzüge  in  Berlin  nach  ihrer  Verheiratung  gespielt  worden  wäre,  als  die 
Garde-Korps  die  Quadrille  geritten  hätten.  Der  Herr  Oberpräsident  er- 
klärte hierauf,  dass  er  damals  diese  mitgeritten  hätte.  Am  8.  August  1888 
erhielt  der  Bürgermeister  Reckling  als  Vorsitzender  des  Unterstützungs- 
Komitees  von  Seiner  Majestät  «lein  Kaiser  den  Kronen-Orden  IV.  Klasse 
und  der  Händler  Emil  Becker  für  Hülfeleistung  bei  den  Rettungsarbeiten 
das  Allgemeine  Ehrenzeichen.  An  die  Aushändigung  der  Orden  durch 
den  Landrat  von  Bornstedt  schloss  sich  ein  Festessen  im  Hotel  Boeck 
an,  an  welclwt'm  84  Personen  aus  der  Bürgerschaft  teilnahmen. 

Am  22.  Juni  1890  erschien  das  Gesetz  über  die  Invalidität*»-  und 
Altersversicherung,  welches  am  I.  Januar  1891  iu  Kraft  trat.  Die 
Polizei -Verwaltung  hatte  hierzu  iHHJI  Versicherungskarten  und  über 
2000  Arbeitsbescheinigungen  auszustellen.  Von  den  Bewohnern  der  Stadt 
Driesen  erhielten  bereits  MS  Personen,  welche  über  70  Jahre  alt  waren, 
Altersrente,  davon  die  männlichen  Personen  11,25  Mk.,  die  weibliehen 
8,90  Mk.  pro  Monat. 

Da  nach  der  Volkszählung  am  1.  Dezember  1890  die  Einwohnerzahl 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


77 


der  Stadt  Driesen  auf  5 KM  gestiegen  war,  erliess  der  Magistrat  ein  Orts- 
Statut,  nach  welchem  infolge  Genehmigung  durch  Verfügung  des  Herrn 
Regierungspräsidenten  den  unbesoldeten  Magistratsmitgliedern  vom 
12.  Januar  1891  ab  statt  des  bisherigen  Charakters  „Ratmann"  der  Titel 
„Ratsherr"  gegeben  wurde. 

Am  24.  Juni  1891  wurde  der  Recess  über  die  Gemeinheitsteilung 
abgeschlossen.  Die  Kämmerei  erhielt  hiernach  450  ha  33  ar  00  Quadrat- 
meter Acker,  Wiesen  und  Forst,  das  Hospital  1  ha  48  ar  50  Quadrat- 
meter Wiesen  und  die  Armenkasse  1  ha  4(J  ar  40  Quadratmeter  Wiesen, 
in  Summa  459,31,50  ha  mit  202,34  Mk.  Grundsteuer. 

Am  1.  April  1892  wurde  das  Gesetz  über  die  Selbsteiuschätzung 
zur  Staatseinkommensteuer  vom  24.  Juni  1891  eingeführt.  Driesen  mit 
Amt  und  Freigut,  Holm  und  Kietz  wurde  zum  37.  Voreinschätzungs- 
bezirk des  Kreises  zusammengelegt,  der  Bürgermeister  Reckling  zum 
Vorsitzenden  und  der  Beigeordnete  Modro  zum  Stellvertreter  bestellt. 

Am  1.  Oktober  1892  übernahm  der  Scliulvorsteher  Dr.  Lorenz  eine 
höhere  Privatknabenschule  in  Osterburg  i.  d.  Altmark;  um  hier  diese  An- 
stalt zu  erhalten,  kaufte  der  Magistrat  das  Grundstück  Festungsplatz  No.  19 
an  uud  übertrug  die  Leitung  dieser  Schule  dem  Gymnasiallehrer  Einst 
Schulze  aus  Seehausen. 

Durch  Beschluss  des  Bezirks-Aussehnsses  zu  Frankfurt  a.  (>.  wurden 
am  1.  April  1S94  die  Güter  Amt  und  Freigut  Driesen  mit  7  bebauten 
Grundstücken  und  72  Seelen,  wie  15  ha  25  ar  Gärteu  und  Wiesen  und 
durch  Allerhöchsten  Erlass  des  Königs  vom  19.  Februar  1894  am 
1.  April  1894  auch  die  Landgemeinde  Kietz  mit  30  bebauten  Grund- 
stücken, 430  Seelen  uud  143  ha  Wiesen  in  den  Stadtbezirk  Driesen  ein- 
gemeindet. Gegen  die  Eingemeindung  von  Kietz  hatten  die  städtischen 
Behörden  protestiert,  wurden  jedoch  mit  ihrer  Beschwerde  am 
15.  November  1893  abgewiesen,  da  ein  öffentliches  Interesse  zur  Ein- 
gemeindung vorlag. 

An  Gemeiudeeigentum  erhielt  die  Stadt,  die  Schulgrundstücke,  welche 
sofort  wegen  der  Baufälligkeit  des  Schulhauses  verkauft  wurden  und 
5930  Mk.  brachten.  Die  zum  Schulhausgrundstück  gehörende  Fischerei- 
gerechtigkeit, welche  die  Fischerei  auf  der  Neuen  Netze  von  Vordamm 
bis  Gurkovv,  von  der  Mündung  der  Drage  auf  dieser  stromaufwärts  bis 
Friedrichsdorf  und  auf  der  alten  und  faulen  Netze  mit  ihren  Keigevvässern 
umfasst,  behielt  der  Magistrat  für  die  Stadtgemeinde  zurück.  Ferner 
übernahm  die  Stadt  eine  Hypothek  für  ein  lleuablösungskapital  der 
Schulstelle  in  Höhe  von  1237,50  Mk.,  eine  andere  für  Holzablösung 
über  419,80  Mk.  und  einen  Baarbestand  von  487,30  Mk.  in  der 
Gemeindekasse. 

Infolge  dieser  Eingemeindung  wurden  die  eisten  4  Bezirke  neu  ein- 
geteilt und  folgeudermasseu  zusammengelegt: 


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78 


Adolf  Reckimg: 


I.  Bezirk:  Kietzerstrasse,  Kietz,  Kirchplatz  und  Hinterstrasse. 
84  Grundstücke  und  bei  der  Aufnahme  im  November  1895  1 337  Seelen. 
Bezirks-Vorsteher  wurde  der  frühere  Kietzer  Schöffe  Eigentümer  Leopold 
Mitling,  dessen  Stellvertreter  der  Viehhändler  Fritz  Höhne. 

II.  Bezirk:  Mittelstrasse,  Alter  Markt,  Schul-  und  Kirchgasse. 
58  Grundstücke  mit  881  Seelen.  Vorsteher  des  Bezirks:  Kaufmann 
Adolf  Teske  und  dessen  Stellvertreter  Nadlermeister  Wilhelm  Brose. 

III.  Bezirk:  Rieht-,  Markt-,  Grusen-  und  Holmstrasse  und  Neuer 
Markt.  (.IS  Grundstücke  mit  1110  Seelen.  Vorsteher  des  Bezirks  der 
Mehlhändler  Carl  Lettner  und  dessen  Vertreter  der  Kaufmann  Heinrich 
Pfeiffer. 

IV.  Bezirk:  Breite-,  Netz-,  Festungs-  und  Neuestrasse  und  der 
Festungsplatz.  107  Grundstücke  mit  1151  Seelen.  Vorsteher  des 
Bezirks:  Rentier  Gustav  Zoch  und  Vertreter:  der  Schlossernleister 
Carl  Ziebarth. 

V.  Bezirk:  Brückenkopf-,  Neu-Anspacher-,  Wasser-,  Schützen-  und 
Ackerstrasse  und  Driesener  Feld.  43  Grnndstücke  mit  705  Seelen. 
Vorsteher:  Stadtmusikus  Wilhelm  Kuntze,  Vertreter:  Rentier  August  Kehn. 

VI.  Bezirk:  Wilhelm-,  Friedrich-,  Schweriner-,  Carl-,  Garten-  und 
Neu-Ulmerstrasse.  00  Grundstücke  mit  820  Seelen.  Vorsteher:  Fabrik- 
besitzer Ernst  Schrinner,  Vertreter:  Kaufmann  Paul  Helhvig. 

Im  Ganzen  waren  bei  der  Aufnahme  Ortsbewohuende  6010  Seeleu 
gezählt  worden,  während  die  Volkszählung  am  2.  Dezember  1895  nur  5897 
ergeben  hatte,  davon  2801  männliche  und  3058  weibliche  Personen,  welche 
in  488  Wohnhäusern  und  2  Baulichkeiten  gezählt  wurden.  Dieselben 
lebten  in  1278  Haushaltungen  von  einer  und  mehr  Personen  und  159  in 
Einzelhaushaltungen.  Von  den  Gezählten  waren  5327  evangelische, 
409  katholische,  4  altkatholische  und  7  lutherische  Christen,  110  Juden 
und  2  Dissidenten. 

Die  am  14.  Juni  1895  stattgehabte  Berufszählung  ergab  für  Driesen 
1414  Haushaltungen  mit  2705  männlichen  und  2987  weiblichen  Personen, 
von  denen  344  Landwirtschaft  und  250  ein  Gewerbe  mit  einem  und  mehr 
Gehilfen  oder  Lehrlingen  betrieben. 

Von  den  Gewerbetreibenden  ist  zur  ersten  Gewerbesteuerklasse  die 
Firma  C.  Stoltz  veranlagt,  deren  Inhaber  der  Königliche  Kommerzien- 
rat  Leopold  Stoltz  ist,  der  dieses  Geschäft  zu  einem  Weltgeschäft  erhoben 
hat  und  ausser  der  hier  gelegenen  Wassermühle  wie  Dampfmahlmühle 
in  der  Stadt  und  Dampfschneidemühle  daselbst,  den  Dampfschneidemülden 
„Johanna- Mühle"  und  „Carlsmühle"  noch  mehrere  Mühlen  in  Ost-  um! 
Westpreussen  besitzt.  Seinem  für  Driesen  jahrelangen,  segensreichen 
Wirken  wurde  durch  sein  am  24.  November  1895  erfolgtes  Ableben  ein 
Ende  gesetzt.     Das  Geschäft  übernahmen  seine  Söhne,  der  Premier- 


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Geschichte  der  Stadt  Driesen. 


79 


Lieutenant  der  Landwehr -Kavallerie  Ernst  Stoltz  und  der  Sekonde- 
Licutenant  der  Reserve  Leopold  Stoltz. 

Zur  zweiten  Gewerbesteuerklasse  gehören : 

1.  die  Seifenfabrik  E.  A.  Ladiseh,  Inhaber:  Kaufmann  Rudolf 
Ladiseh  und 

2.  die  Baufirma  Gustav  Polensky  und  August  Zöllner,  welche  Mit- 
erbauer des  Nordostsee -Kanals  sind  und  zur  Zeit  grösser«» 
Arbeiten  in  Emden  am  Dortniund-Ems-Kanal  ausfuhren. 

Zur  dritten  Gewerbesteuerklasse  gehören  33  Gewerbetreibende, 
dabei  arbeiten  mit  Dampfbetrieb: 

1.  die  Schneidemühle  des  Zimmermeisters  Otto  Dannhoft", 

2.  die  Destillation  des  Kaufmanns  G.  A.  Sauer, 

3.  die  Destillation  des  Kaufmanns  Ed.  Spude,  Inhaber  Kaufmann 
Max  Spude, 

4.  die  Gelbgiesserei  A.  Stiller,  Inhaber  Fabrikbesitzer  Gustav  Stiller, 

5.  die  Spinnerei  und  elektrische  Anlage  der  Gebrüder  Robert  und 
Julius  Wende, 

0.  die  Molzbearbeitungs-Fabrik  H.  0.  Ziegler  und  Comp.,  Inhaber 
Kaufmann  Hermann  Ziegler  und  Kaufmann  Franz  Hollstein, 

7.  die  Brunnen-  und  Landwirtschaftliche  Maschinen -Fabrik  von 
Ernst  Schrinner. 

Zu  dieser  Gewerbesteuerklasse  gehören  ferner  die  Brauerei  von 
Hermann  Kuntzmüller  und  von  Tobias-New-York,  die  Essigfabrik  von 
Friedrich  Mattlies  und  die  Bildhauerei  von  Marutzky. 

Zur  vierten  Gewerbesteuerklasse  gehören  142  Gewerbetreibende. 
Die  aufkommende  Gewerbesteuer  betrug  im  Etats  jähr  1895  ;9(i  <>b49  Mk. 
und  die  Betriebssteuer  von  37  Gast-  und  Schankwirten  ÜÖO  Mk. 

Im  Standesamtsbezirk  Driesen,  zu  welchem  auch  das  Vorwerk  II« »Im 
geholt,  waren  1895  geboren  190  Kinder  gegen  223  des  Vorjahres;  von 
den  Geboreneu  waren  16  unehelich.  Es  starben  188  Personen  gegen 
141  des  Vorjahres.  Von  den  Gestorbenen  befanden  sich  im  Alter  von 
80  bis  90  Jahren  9  und  2  Personen  im  Alter  von  (,)0  bis  100  Jahren. 
Ehen  waren  30  geschlossen. 

Auf  Grund  der  Versicherungsgesetze  erhielten  am  Schluss  des 
Jahres  1895 

5(>  Personen  (>5S9,80  Mk.  Altersrente, 

20  Personen  2393,40  Mk.  Invalidenrente  und 

28  Personen  3*81,40  Mk.  L'nfallrente. 

Zusammen  12S74,(>0  Mk.  pro  Jahr. 

Am  5.  Oktober  1894  starb  in  Berlin  ein  ehemaliger  Driesener,  der 
hier  im  Hause  Richtstrasse  No.  27  und  Marktstrassenecke  geborene 
Rentier  Louis  Roedel,   welcher  ein  Legat  von  100  000  Mk.  mit  der 


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80  Adolf  Reckling: 

Bestimmung  vermachte,  dass  dieses  Legat  den  Namen  „Louis  und  Annette 
Roedel-Stiftung"  führen  und  am  Hochzeitstage  des  Stifters,  dem  3.  Juni, 
jährlich  ein  Viertel  der  Zinsen  an  bedürftige  Driesener  verteilt  werden 
solle.  Dreiviertel  der  Zinsen  werden  dem  Kapital  zugeschrieben,  bis 
dieses  die  Höhe  von  200  000  Mk.  erreicht,  worauf  wie  vor,  ein  Drittel 
der  Zinsen  verteilt  werden  und  zwei  Drittel  dem  Kapital  zuwachsen,  bis 
dieses  zwei  Millionen  Mark  beträgt,  dann  hat  die  Stadt  ein  Waisen-, 
Kranken-  oder  Siecheuhaus  zu  bauen,  in  welchem  die  Aufgenommenen 
alles  frei  haben.  Die  Gelder  sind  zu  vier  Prozent  hypothekarisch  aus- 
geliehen und  wurden  am  o".  Juni  18%  schon  1000  Mk.  an  Arme  verteilt, 
während  nach  100  Jahren  über  25  000  Mk.  zur  Verteilung  kommen. 
An  weiteren  Legaten  besitzt  die  Stadt: 

2.  Das  Legat  von  Fräulein  Meissner-Gebhardt  in  Höhe  von  2000  Mk.; 
aus  den  Zinsen  sind  die  Gräber  der  Eltern  und  Stifterinnen  zu 
unterhalten,  während  der  Überschuss,  der  zur  Zeit  7H  Mk. 
beträgt,  zur  Christbeseheerung  armer  Schulkinder  verwendet 
wird.  Fräulein  Pauline  Gebhardt  war  viele  Jahre  Handarbeits- 
lehrerin an  der  Elementarschule  und  hatte  während  dieser  Zeit 
stets  für  die  armen  Kinder  viel  gethan  und  gewirkt,  wie  sie 
ebenso  als  Vorstandsdame  des  Frauenvereins  eine  reiche  Arbeits- 
kraft entfaltet  hatte. 

){.  Das  Legat  der  Reutiere  Charlotte  Oberfeldt  geb.  Selchow  mit 
000  Mk.,  dessen  Zinsen  zum  Weihnachtsfest  au  Arme  verteilt 
werden. 

4.  Das  Legat  der  verwitweten  Förster  Wilhelmiue  Schmalowsky 
mit  (1U0  Mk.  Von  den  Zinsen  werden  der  Stifterin  und  deren 
Ehemannes  Gräber  unterhalten;  der  Überschuss  kommt  deu 
Hospitaliten  zu. 

5.  Das  Legat  des  Kaufmanns  Alexander  Gebhardt  mit  500  Mk.  mit 
der  gleichen  Bestimmung. 

G.  Das  Legat  des  Kaufmanns  Paul  Spude  mit  1000  Mk.,  welches 

nach  dem  Besehluss  der  Stadtverordneten  zur  Zeit  noch  seiner 

Bestimmung  harrt. 
7.  Das  Legat  von  Fräulein  Henriette  Würl  mit  <>00  Mk.,  wovon 

während  der  Lebenszeit  der  Stifterin  diese  noch  die  Zinsen  bezieht 

und  hiernach  deren  Grab  zu  unterhalten  ist. 
S.  Ein  Legat  des  ehemaligen  Fechtvereins,  zur  Zeit  407,05  Mk.,  welches 

zur  Errichtung  einer  Kleinkindcrbcwahranstalt  bestimmt  ist. 
Ferner  besitzt  das  Hospital  nachstellende  Legate: 
',).  Legat  der  Frau  Major  von  Groeben  mit  450  Mk.     Von  den 

Zinsen  wird  deren  Grab  unterhalten,  der  Überschuss  fliesst  zur 

Hospitalkasse. 

10.  Legat  Getzlaff  mit  200  Mk.  zu  derselben  Verwendung. 


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Geschichte  der  Stadt  Priesen. 


81 


11.  Das  Rentier  Klaff kesehe  Legat  mit  fiOO  Mk.  desgleichen. 

12.  Das  Legat  des  Kaufmanns  Eduard  Spude  mit  300  Mk.  Die 
Zinsen  werden  am  Geburtstage  der  Ehefrau  des  Stifters,  am 
20.  Juli,  jährlich  verteilt. 

13.  Das  Legat  des  Kaufmanns  Albert  Labus  und  Frau  Gumpert  mit 
1100  Mk.  Von  den  Zinsen  werden  die  Hospitaliten  am  Geburts- 
tage des  Kaisers  gespeist;  diese  haben  davon  Kalbs-  resp. 
Schweinebraten,  Backobst,  geschälte  Kartoffeln  und  je  eine 
Flasche  Braun-  oder  Weissbier  zu  erhalten  und  den  hiernach 
verbleibenden  Überschnss  in  Geld. 

12.  Das  dem  Magistrat  zur  Verteilung  übergebene  Legat  des  Rentiers 
E.  H.  Schnell  von  301)0  Mk.,  welches  bis  zum  31.  März  1895 
noch  518,71  Mk.  betrug. 
15.  Am  1.  April  1895  betrug  das  unter  Verwaltung  des  Kuratorii 
des  Beinertschen  Waisenstifts  stehende  Kapitalvermögen  dieses 
Stifts  47  400  Mk.  excl.  des  Wertes  der  Gebäude.     Vom  Stifts- 
kapital, welches  der  Kurator  Oberstlientenaut  a.  D.  von  Rabenau 
in  Magdeburg  für  die  Erben  verwaltet,  flössen  der  Waisenstifts- 
kasse nur  noch  jährlich  800  Mk.  zu.    Im  Stift  befinden  sich  zu 
dieser  Zeit  13  Kinder. 
Der  Wunsch  nach  einem  öffentlichen  Schlachthause  bestand  in 
Driesen  seit  17  Jahren  und  nachdem  die  Angelegenheit  wiederholt  ab- 
gelehnt war,  beschlossen  die  städtischen  Behörden  am  18.  Mai  1895  ein 
solches  zu  erbauen  und  zum  Schlachthausverband  die  Gemeinde  Vordamm 
mit  heranzuziehen.    Ein  zu  diesem  Zweck  aufgestelltes  Verbandsstatut 
wurde  am  2.  November  1895  von  den  Behörden  der  Stadt  Driesen  und 
Vordamm  genehmigt.    Im  Bezirk  der  Stadt  Driesen  waren  im  Jahre  1895 
auf  dem  Fleischschauamt  2(>44  Schweine  gescldachtet  und  auf  Trichinen  und 
Finnen  makroskopisch  und  mikroskopisch  untersucht  worden.  Dem  Fleisch- 
schauamt stand  der  Tierarzt  I.  Klasse  Theodor  Hohenhaus  vor,  der  für 
die  Untersuchung  eines  jeden  Schweines  75  Pfennige  erhielt,  aber  aus 
der  Gesamteinnahme  nebenbei  2  Trichinenbeschauer  zu  besolden  hatte. 

Die  Zeitpächte  und  Mieten  der  städtischen  Grundstücke,  die  in  der 
Mitte  der  achtziger  Jahre  21  000  Mk.  betragen  hatten,  sind  infolge  der 
schlechten  Lage  der  Landwirtschaft  im  Etatsjahre  1894/95  auf  181<>(y$3  Mk. 
herabgegangen,  jedoch  waren  sämtliche  Kämmereiländereien  verpachtet 
gewesen.  Die  98  ha  grosse  an  den  Bila wer- Wiesen  belegene  Stadtforst 
zeigt  durchweg  einen  guten  Bestand  und  liefert  den  Bedarf  an  Bau-  und 
Brennholz  für  die  kommunalen  Gebäude  der  Stadt. 

Die  aus  Fachwerk  im  Jahre  1752  erbaute  evangelische  Kirche  ist 
so  baufällig,  dass  der  Neubau  derselben  schon  im  Jahre  188G  beschlossen 
wurde.  Die  erste  vom  Königlichen  Baurat  Giebe  in  Friedeberg  gefertigte 
Zeichnung    wurde    vom   Herrn   Minister   verworfen   und   eine  zweite 

6 


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82 


Adolf  Reckling: 


Zeichnung,  vom  Professor  Adler  nach  der  Thomas-Kirche  in  Berlin  und 
der  neuen  Kirche  in   Luckenwalde   entworfen,   wegen  der  schlechten 
Akustik  in  diesen  Kirchen  vom  Gemeinde-Kirehenrat  und  der  Gemeinde- 
Vertretung   in   Driesen   angelehnt.     Die   kirchlichen  Behörden  Hessen 
hierauf  auf  eigene  Kosten  vom  Geheimen  Regierungsrat  Professor  Johannes 
Otzen,  dem  Erbauer  der  Lutherkirche  in  Berlin,  einen  neuen  AnscMag 
und  eine  Zeichnung  fertigen,  der  in  der  Sitzung  am  15.  Januar  18Wi  von 
den  kirchlichen   Behörden   einstimmig  angenommen    wurde    und  der 
Königlichen  Regierung  zur  Befürwortung  beim  Herrn  Minister  eingereicht 
ist.    Die  Kosten  zur  neuen  Kirche  sind  ohne  die  innere  Einrichtung  auf 
240  000  Mk.  berechnet,  und  da  die  Kirchengemeinde  arm  ist,  muss  die 
politische  Gemeinde  die  Baugelder  übernehmen.     Das  Vermögen  der 
letzteren  betrug  am  Schlüsse  des  Etatsjahres  1894  U5  nach  Abzug  der 
Schulden  in  Höhe  von  35  500  Mk.  34  274,(55  Mk.,  dazu  tritt  der  Wert 
der    Kämmereiländereien    und    städtischen    Gebäude    in    Höhe  von 
000  000  Mk.    Zur  Bestreitung  des  städtischen  Bedarfs  wird  neben  den 
vom  Staate  seit  dem   1.  April  18t>5  überwiesenen  Realsteuern  ein  Zu- 
schlag von  90";,,  von  der  Staatseinkommeiisteuer  erhoben,  jedoch  werden 
hieraus  zugleich  die  Kreissteuern,  welche  28,,;'0  betragen,  bestritten.  Die 
Kreissteuern  sind  infolge  der  Kreischausseen  sehr  hohe,  da  vom  Jahre 
1888  ab  die  Strassen  von  Friedeberg  nach  Tankow,  von  Friedeberg  nach 
Schönrade,   von   Friedeberg  nach   Wugarten,    von   Woldenberg  nach 
Lammersdorf,  von  Driesen  nach  G lischt,  von  Driesen  nach  Neuteich  und 
von  Friedeberg-Bahnhof  bis  zur  Netze  mit  Brücke  und  von  hier  bis  zum 
Auschluss  an  Chaussee  Driesen  -  Guscht  chausseemässig  ausgebaut  sind 
und  zu  Anschlusspflasteruugen  au  diese  Chausseen  20  000  Mk.  in  den 
Kreisetat  eingestellt  werden. 

Iu  der  Stadt  Driesen  bestehen  drei  Leichensocietäten,  welche  am 
Schlüsse  des  Jahres  18U5  nachstehenden  Vermögensbestand  hatten: 

I.  Leichensocietät:  411»  Mitglieder,  zahlt  (.M)  Mk.  Sterbegeld.  Es 
werden  bei  jeder  Leiche  von  jedem  Mitgliede  30  Pfennige  Beitrag  er- 
hoben.   Vermögen:  IO870/J5  Mk. 

II.  Leichensocietät  zahlt  (>0  Mk.  Sterbegeld.  Die  Mitgliederzahl  ist 
unbeschränkt.  Mitgliederbeitrag  für  die  älteren  Mitglieder  pro  Monat 
28  Pf.,  für  neuaufgenommene  15  Pf.    Vermögen:  5128/.I4  Mk. 

III.  Leichensocietät  zahlt  75  Mk.  Sterbegeld  und  hat  410  Mitglieder. 
Ks  werden  bei  jeder  Leiche  25  Pfg.  Beitrag  erhoben.  Das  Vermögen 
beträgt  80(J3,Sü  Mk. 

Jedes  Mitglied  der  I.  und  III.  Societät,  welches  IM)  resp.  75  Mk. 
gezahlt  hat,  erhält  einen  Freischein  und  ist  dann  von  Beiträgen  befreit. 

Die  Sparkasse  der  Stadt  Driesen  ist  gegrüudet  mittels  Statut  der 
städtischen  Behörden  vom  25.  Juni  1852  und  genehmigt  vom  Ober- 


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Geschieht«  der  Stadt  Driesen.  83 

Präsidenten  der  Provinz  Brandenbnrg,  Staatsminister  Flottwell,  unterm 
21.  September  1852.  Unterin  30.  April  1881  ist  für  die  Sparkasse  von 
dem  Magistrat  ein  revidiertes  Statut  erlassen  worden,  welches  unterm 
25.  Mai  1881  die  Genehmigung  des  Ober  -  Präsidenten  der  Provinz 
Brandenburg,  Staatsminister  a.  D.  Achenbach,  erhalten  hat.  Zu  diesem 
jetzt  gültigen  Statut  sind  unterm  14.  April  18(JÜ  und  4.  März  1895  Nach- 
träge erlassen  worden. 

Die  erste  Einlage  in  die  Sparkasse  ist  am  16.  November  1852  von 
der  unverehelichten  Wilhelmine  Granow  hierselbst  mit  80  Thalern  erfolgt. 

Nach  dem  25  jährigen  Bestehen  der  Sparkasse  am  1.  Januar  1878  be- 
trugen die  Einlagen  106  150,23  Mk.  auf  427  Büchern.  Der  angesammelte 
Reserve-Fonds  betrug  zu  derselben  Zeit  6845,41  Mk. 

Am  1 .  Januar  1896  betrugen  die  Einlagen  1  484  365,86  Mk.  und  der 
Reserve- Fonds  war  angewachsen  auf  93  958,91  Mk.  Im  Umlauf  waren 
2732  Sparkassenbücher. 

Die  Bestände  der  Sparkasse  Ende  1895  waren  angelegt: 
auf  Hypotheken  zu  4  u.  41/>°/o  .  .  900424,52  Mk. 

in  Wertpapieren   484  844,60  Mk. 

in  Wechsel- Darlehen   4  200,—  Mk. 

in  Faustpfand-Darlehen   47  580, —  Mk. 

Der  Zinsfuss  für  Einlageu  beträgt  3'/:i  Prozent. 
Der  zeitige  Vorstand  der  Sparkasse  besteht  aus  folgenden  Personen : 
Beigeordneter  Ferdinand  Modro,  Vorsitzender, 
Ratsherr  Robert  Starke,  stellvertretender  Vorsitzender, 
Stadtverordneten-Vorsteher  Wilhelm  Ladisch, 
Kaufmann  Friedrich  Mattlies, 
Brauereibesitzer  Hermann  Kuntzmüller 
Kaufmann  Max  Spude,  \  , 

Kaufmann  Heinrich  Pfeiffer   }  m 
Verwaltet  ist  die  Sparkasse: 

a)  seit  der  Zeit  des  Bestehens  bis  30.  August  1873  durch  den 
Kämmerer  Julius  Koch; 

b)  vom  30.  August  1873  bis  1.  April  1878  durch  den  Kämmerei- 
kassen-Rendanten  Franz  Genschmer  und 

c)  vom    letzteren    Zeitpunkte    ab    durch    den  Kämmereikassen- 
Rendanten  Gustav  Prietz. 

Seit  dem  1.  Mai  1895  ist  dem  Rendanten  ein  berufsmässiger 
Kontroleur  in  der  Person  des  Kämmereikassen-Assistenten  Bruno  Böttger 
beigegeben. 

Im  Oktober  1888  erliessen  der  Vorstand  des  Kampfgenossen- Vereins 
und  der  Vorstand  des  Militär-Vereins  einen  Aufruf  zur  Errichtung  eines 
Denkmals  für  den  Kaiser  Wilhelm  1.  und  den  Kaiser  Friedrich.  Um 
die  Sache  einheitlich  mit  der  Bürgerschaft  zu  fördern,  trat  noch  in 


aus  der 
Stadtverordneten- 
Versammlung, 


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84  Adolf  Reckling:  Geschichte  der  8tadt  Driesen. 

demselben  Jalire  unter  dem  Vorsitz  des  Bürgermeisters  Reckling  ein 
grösseres  Komite  zusammen,  zu  welchem  die  Stadt  verordneten- Versammlung 
aus  ihrer  Mitte  den  Vorsteher  und  drei  Mitglieder  wählte;  der  Kampf- 
genossen-Verein, der  Militär-,  der  Gesang-Verein  Harmonie,  der  Bürger- 
uud  Volksbildungs  -  Verein  und  die  Schützeugilde  deputierten  in  das 
Komite  je  ein  Mitglied. 

Nach  jahrelanger  Sammlung  war  es  dem  Komite  gelungen,  im  Monat 
März  189")  bei  der  Erz-  und  Kunstgiesserei  der  Aktien  -  Gesellschaft 
Schäfter  und  Waleker  in  Berlin,  Lindenstrasse  18,  für  den  Preis  von 
.r)(KK)  Mk.  das  Denkmal  fest  anzukaufen.  Auf  einem  Sockel  von 
bayrischem  Granit  mit  polierten  Medaillonflächen  in  Höhe  von  2,70  Meter 
kommt  die  überlebensgrosse  Figur  des  Kaiser  W  ilhelms  I.  mit  Hermelin- 
nuintel,  Helm  mit  Federbusch  und  der  Gesetzesrolle  in  der  Hand  in 
Bronze  in  2,30  Meter  Höhe  zu  stehen.  Vorn  auf  der  Medaillonfläche 
befindet  sich  das  Kopf  bild  des  Kaisers  Friedrich  in  Hochrelief,  t»7X'r>2  cm 
gross,  an  jeder  Seite  in  Flachrelief  die  Kopfbilder  des  Fürsten  Bismarck 
und  des  Generalfeldmarschalls  v.  Moltke.  Auf  der  Rückseite  oben 
das  eiserne  Kreuz,  darunter  „Wilhelm  I.,  Deutscher  Kaiser.  1 896. " 
Das  Denkmal  wird  auf  dem  alten  Markt  errichtet  und  wird  die  Auf- 
stellung und  Einfriedigung  gleichfalls  noch  1000  Mk.  kosten,  welche 
Summe  aus  der  Kommunalkasse  gedeckt  wird.  Die  Medaillons  werden, 
wie  die  Statue  des  Kaisers,  aus  echter  Bronze  hergestellt.  Die  Grund- 
steinlegung fand  am  Sonntag,  den  25.  Mai  und  die  Euthüllung  am 
Sonntag,  den  7.  Juni  18%  statt 


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Die  Wandgemälde  in  der  Kapelle  St.  Spiritus 
zu  Wusterhausen  a.  Dosse. 

Von  Karl  Altrichter. 

Jüngst  fiel  mir  ein  Band  Zeichnungen  in  die  Hände,  an  dem  ich 
seit  1881  mehrere  Jahre  mit  grosser  Liebe  gearbeitet  hatte.  Dieses 
Werkchen  „Historisches  Bilderalbum  der  Stadt  Wusterhausen  a.  D." 
hatte  nach  seiner  Vollendung  dem  damaligen  Kronpriuzen,  späteren 
Kaiser  Friedrich,  vorgelegen  und  in  dem  Grade  dessen  Interesse  erweckt, 
dass  er  mit  der  Absicht  umgegangen  war,  dasselbe  vervielfältigen  zu 
lassen.  Leider  waren  die  von  ihm  erforderten  Anschläge  derartig  hohe, 
dass  er  zu  seinem  Bedauern  aussprechen  musste,  dass  das  W  erk  wohl 
Unicum  bleiben  würde,  da  die  Kosten  für  die  Herausgabe  im  Verhältnis 
zu  dem  allgemeinen  Interesse  dafür  sich  zu  hoch  belaufen  möchten.  So 
blieb  die  Sache  vorläufig  ruhen. 

In  der  neueren  und  ueuesten  Zeit  sind  mehrfach  dem  Mittelalter 
angehörige  Wandgemälde  in  Kirchen  und  anderen  Bauwerken  entdeckt 
worden.  Das  erwähnte  Bilderalbum  enthält  solche  ebenfalls,  die  jetzt 
um  so  mehr  Interesse  selbst  in  weiteren  Kreisen  erregen  möchten,  als 
ihr  vollständiger  Untergang  nur  eine  Frage  der  Zeit  ist.*) 

In  der  ehemaligen  Kapelle  St.  Spiritus  zu  Wusterhausen  a.  Dosse, 
in  der  jetzt  Hospitanten,  teils  Ortsarme,  teils  sogenannte  Präbendaten, 
untergebracht  sind,  und  die  amtlich  „Hospital  zum  Heiligen  Geist" 
genannt  wird,  belinden  sich  die  Überreste  einer  Reihe  mittelalterlicher 
Wandgemälde.  Diese  Kapelle  sollte  als  historisches  Baudenkmal  für  die 
Nachwelt  erhalten  werden,  nachdem  durch  langjährige  Beobachtung  fest- 
gestellt worden  war,  dass  ein  grosser  Mauerriss  zu  irgend  welchen 
Besorgnissen  keine  Veranlassung  gab.  Die  Sache  kam  jedoch  anders. 
Der  Begründer  der  Berliner  Messingwerke,  Kommerzienrat  Wilhelm 
Christof  Bordiert,  ein  geborener  Wusterhausener,  hatte  nach  seinem 
Testament  dem  Hospital  seiner  Vaterstadt  den  Betrag  von  105  (XX)  Mk. 
mit  der  Bestimmung  vermacht,  für  den  Betrag  von  30000  Mk.  an  Stelle 
des  Beguinenhauses,  wie  die  Kapelle  mit  ihren  Anbauten  auch  genannt 
wird,  für  die  alten  Männer  und  Frauen  ein  neues,  den  billigen  An- 
forderungen der  Zeit  entsprechendes  Haus  zu  erbauen  und  den  Betrag 

•)  Der  Abbruch  ist  inzwischen  erfolgt. 


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Karl  Altrichter: 


von  75  000  Mk.  zur  Verbesserung  der  Präbendatenstelleu  zu  verwenden. 
Der  Magistrat  als  Patron  des  Hospitals  hatte  sich  mit  Rücksieht  auf  das 
bestehende  Abbruchverhot  vergeblich  bemüht,  eine  geeignete  anderweite 
Baustelle  zu  finden.  Es  war  ihm  endlich  gelungen,  die  Erlaubnis  zum 
Abbruch  der  Kapelle  zu  erwirken.  So  ist  denn  das  Verschwinden  der 
vorhandenen  „architektonisch  und  kunsthistorisch  hochzuschätzenden 
Ruine",  wie  sie  der  Herr  Geheime  Baurat  Bluth  nennt,  gewiss. 
Bestimmend  für  die  Erteilung  der  Genehmigung  war  die  hochgradige 
Baufälligkeit  der  Ruine.  Es  ist  jedoch  Anordnung  seitens  des  Herrn 
Kultusministers  getroffen  worden,  dass  bei  dem  Neubau  des  Hospitals 
der  schöne  Ostgiebel  derselben  unter  Verwendung  des  alten 
Materials  und  in  der  alten  Technik  wieder  aufgeführt  wird.  Von 
der  Ausführung  dieser  Anordnung  macht  man  sich,  wie  verlautet,  in  den 
beteiligten  Kreisen  etwas  wunderbare  Vorstellungen,  die  im  Grunde 
genommen  auf  einem  ähnlichen  Aufbau  in  neuem  Material  hinauskommen. 
Sie  ist  aber  glücklicher  Weise  zur  rechten  Zeit  in  eine  sach-  und  kunst- 
verständige Hand  gelegt  worden*). 

Unwiederbringlich  verloren  sind  die  Überreste  alter  Wandgemälde, 
welche  einst  die  Langseiten  dieses  Gebäudes  im  Innern  schmückten  und 
deren  Bedeutung  annähernd  noch  erkennbar  ist.  Unter  den  denkbar 
schwierigsten  Verhältnissen  ist  es  mir  s.  Z.  gelungen,  nachdem  ich  durch 
vorsichtiges  Anfeuchten  der  sorgfältig  vom  Staub  gereinigten  Wände  ein 
schärferes  Hervortreten  der  Umrisse  dieser  Bilder  hervorgerufen  hatte, 
dieselben  zu  zeichneu.  Diese  Arbeit  war  wesentlich  dadurch  erschwert, 
dass  die  Beleuchtung  teils  ungünstig,  teils  garnicht  vorhanden  war  und 
ein  durch  das  ganze  Gebäude  in  »ler  halben  Höhe  der  Bilder  gehender 
Fussboden  den  Zusammenhang  der  Bildreste  oberhalb  und  unterhalb  des- 
selben zerstörte.  Ein  genauer  Auschluss  beider  Hälften  Hess  sich  um 
so  schwieriger  herstellen,  als  überhaupt  Lücken  vorhanden  waren  und  arge 
Verzeichnungen,  ohne  Veränderungen  herbeizuführen,  dies  nicht  gestatteten. 

Bevor  ich  jedoch  auf  die  nähere  Beschreibung  der  Gemälde  eingehe, 
dürfte  es  nicht  ohne  Interesse  sein,  einen  Blick  auf  das  Bauwerk  selbst 
und  seine  Geschichte  zu  werfen. 

Man  nimmt  mit  Recht  an,  dass  Wusterhausen  noch  zur  Zeit  der 
Plothos,  also  mindestens  um  1250,  das  Stadtrecht  erlangt  habe.  Im 
Jahre  1277  ist  die  Stadtkirche,  wie  aus  einer  in  Wusterhausen  aus- 
gestellten Urkunde,  in  der  der  Bischof  von  Havelberg  und  die  Markgrafen 
mit  ihrem  Gefolge  aufgeführt  sind,  mit  einiger  Sicherheit  hervorgehen 


*)  Die  hier  abgesprochene  Hoffnung  hat  sich,  wie  eine  Besichtigung  des  Neu- 
baues ergiebt,  nicht  erfüllt.  Statt  des  monumentalen  Ostgiebels  sind  unterhalb  des 
Daches  und  überall  von  demselben  überragt  mehrere  erkerartige  Anbauten  errichtet, 
die  ganz  entfernt  an  die  Gestalt  des  alten  Giebels  erinnern.  Die  vom  Kultusministerium 
gestellte  Bedingung  ist  somit  nicht  erfüllt. 


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Die  Wandgemälde  in  der  Kapelle  St.  Spiritus  zu  Wusterhausen  a.  Dosse.  87 


dürfte,  geweiht  worden.  Im  Jahre  1807  ist  der  Annen  im  Hospital  zum 
Heiligen  Geist,  denen  eine  immerwährende  Bierspende  gestiftet  wird,  ur- 
kundlich gedacht.  Die  entsprechende  Kapelle  zum  Heiligen  Geist  musste, 
entgegen  der  Anführung  in  Bergaus  Denkmälern  der  Mark,  bereits  vor- 
handen gewesen  sein,  denn  die  Hospitäler  entwickelten  sich  immer  erst 
im  Schatten  der  Kapellen,  von  denen  sie  den  Namen  annahmen.  Dazu 
tritt  noch  folgendes.  Das  Wildberger  Thor  dieser  Stadt  (s.  Abbildung  1), 
an  dem  die  Kapelle  lag,  ist  längst  als  Baulichkeit  verschwunden;  es  sind 
jedoch  unverkennbare  Spuren  dafür  vorhanden,  dass  die  Baulichkeiten 
dieses  Thores  mit  der  Kapelle  organisch  verbunden  waren,  wie  noch 


tos  Vi/cfaujrr    jfjcr   u„  Ti'utbtjjiiuvn  'lvQ,, 
Abbildung  1. 


jetzt  aus  dem  Ostgiebel  der  Kapelle  heraus  sich  auf  der  anderen  Seite 
die  noch  vorhandene  Stadtmauer  fortsetzt.  Ks  ist  nicht  anzunehmen, 
dass  die  Bürgerschaft  lange  gezögert  haben  wird,  ihre  Stadt  zu  befestigen, 
mindestens  den  Eingang  durch  ein  massives  Thor  zu  schützen.  Da 
dieses  mit  der  Kapelle  und  der  daranschliessenden  Stadtmauer  in  e inem 
Verbände  hergestellt  war,  so  bleibt  nur  der  Schluss  übrig,  dass  die  Kapelle 
bald  nach  1250  entstand. 

Der  ursprüngliche  Bau  betrug  im  Lichten  nur  I)  in  in  der  Breite 
und  5,75  ra  in  der  Tiefe  und  war,  wie  die  noch  vorhandenen  Spuren 
unzweifelhaft  erkennen  lassen,  mit  einem  Kreuzgewölbe  versehen.  Nach 
Osten,  also  nach  dem  Stadtgraben  zu,  befanden  sich  drei  sehr  schmale 
Fenster  (im  Lichten  0,10  m),  während  grosse  Fenster,  eines  im  Süden 
und  eines  im  Norden,  der  Kapelle  volles  Licht  gaben.    Die  verschiedene 


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88 


Karl  Altrichter: 


Breite  und  Konstruktion  derselben  macht  es  aber  zweifelhaft,  ob  von 
Anfang  an  .schon  beide  vorhanden  waren.  Das  Fenster  im  Süden  war 
ursprünglich  rundbogig  und  es  ist  auf  ein  spitzbogiges  durch  einen  Ein- 
bau eingeschränkt.  Das  letztere  hat  1,85  in  Nischenweite,  während  das- 
jenige im  Norden  spitzbogig  ist  und  nur  ca.  1,25  m  Nischenweite  zeigt, 
Form  und  Mass,  wie  sie  bei  den  Fenstern  des  späteren  Anbaus  wiederkehren. 
Diese  engen  räumlichen  Verhältnisse  genügten  vollkommen  den  Ansprüchen, 
die  an  diese  Thorkapelleu  gestellt  wurden,  in  denen  vorherrschend 
Reisende  ihre  Andachten  zu  verrichten  pflegten.  Der  Pfeiler  an  der 
Nordwestecke  dieser  Kapelle  war  auffallend  stark;  er  enthielt  die  noch 
jetzt  zum  Teil  vorhandene  Wendeltreppe  und  war/  wie  die  jetzt  in  Dach- 
höhe erkennbare  Vermaueruug  der  Fortsetzung  der  Treppe  zeigt,  erheblich 
höher,  sodass  er  als  Ausguck  dienen  konnte.  Vielleicht  befand  sich  auf 
diesem  Turme  die  noch  jetzt  vorhandene,  1385  von  Knüppel  in  Torgau 
gegossene  Glocke,  die  insofern  interessant  ist,  als  sich  an  ihr  das  ur- 
sprüngliche Wappen  der  Stadt,  die  Plothosehe  Lilie,  beiindet.  Im  An- 
fang des  16.  Jahrhunderts  spätestens  ist  dieses  Lilienwappen  mit  dem 
Arnsteinschen  Adler  zu  dein  jetzigen  Stadtwappen  verbunden  worden. 
Die  Südwestecke  stützte  ein  einfacherer  Pfeiler,  in  dessen  Südseite  etwa 
in  Brusthöhe  drei  Schädel  eingelassen  waren,  von  denen  Reste  noch  im 
Aufauge  der  achtziger  Jahre  dieses  Jahrhunderts  vorhanden  waren. 
Den  staftelartig  aufsteigenden  Ostgiebel  zieren  Fialen.  Er  ist  von  zwei 
massigen  Strebepfeilern  gestützt,  zwischen  denen  einige  Reihen,  allerdings 
durch  Verwitterung  stark  verletzte  Rillen  und  Kundmarken  sichtbar 
sind.  Die  Schädel,  welche  wahrscheinlich  von  hingerichteten  Ver- 
brechern herrührten,  weisen  auf  abergläubische  Vorstellungen  des  früheren 
Mittelalters.  Durch  dies  „Opfer"  sollten  die  Unterirdischen  für  die 
Belastung  der  Erde  mit  diesem  Gebäude  gewissennassen  entschädigt 
und  dem  Bau  eine  lange  Dauer  gewährleistet  werden. 

Zunächst  hatte  diese  Kapelle  nach  Riedel  im  Codex  diplomatieus 
Brandenburgensis  nur  einen,  dem  Heiligen  Geist  geweihten  Altar.  Uber 
ihre  weitere  Ausschmückung  ist  nichts  bekannt. 

Nach  etwa  200  Jahren  erfuhr  die  St.  Spiritus-Kapelle  eine  erhebliche 
Veränderung. 

Im  Jahre  1470  wurde  ein  Erweiterungsbau  der  eingangs  gedachten 
Stadtkirche  vorgenommen,  der  1474  beendigt  wurde.  Augenscheinlich 
eine  angemessene  Zeit  vorher  ist  die  Erweiterung  der  Kapelle  eingetreten, 
die  ihre  gegenwärtige  Gestalt  in  den  räumlichen  Umrissen  entstehen 
Hess  und  zwar  zu  dem  Zwecke,  den  nötigen  Raum  für  den  Gottesdienst 
während  des  Kirchenbaues  zu  gewinnen.  Es  sind  darüber  zwar  keine 
Urkunden  vorhanden,  jedoch  liegt  dies  einmal  sehr  nahe,  zum  Andern 
lassen  aber  die  Überreste  der  vorhandenen  Wandgemälde  einen  ziemlich 


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Die  Wandgemälde  in  der  Kapelle  St.  Spiritus  zu  Wusterhausen  a.  Dosse.  89 

sicheren  Schluss  auf  die  Zeit  der  Kapellenerweiterung  zu,  denn  Bau  und 
Ausschmückung  werden  sieher  Zug  um  Zug  erfolgt  sein. 

Der  beschriebenen  Kapelle  ist  ein  Langhaus  angebaut  worden  von 
etwa  9  m  Länge  und  6,~5  m  Tiefe  im  Lichten,  welches  mit  einer  flachen 
Decke  abgedeckt  war,  denn  nirgends  finden  sich  Spuren  eines  Gewölbe- 
ansatzes. Dass  in  der  That  ein  Anbau  vorliegt,  ergiebt  der  nicht 
organische  Zusammenhang  mit  der  Mauer  der  ursprünglichen  Kapelle, 
ein  erkennbarer  Mauerdurchbruch  an  dem  von  Norden  in  die  Kapelle 
hineinspringenden  Pfeiler,  #  der  den  Abschluss  des  hohen  Chores  andeutete 
und  die  schiefe  nach  innen  neigende  Lage  der  Nordwand  des  Langhauses, 
welche  eine  erheblich  schlechtere  Fundamentierung  als  die  ursprüngliche 
Kapelle  erkennen  lässt.  Der  ältere  Kapellenbau  steht  noch  heute  tadellos 
in  lotrechten  Wändeu. 

Das  Langhaus  hatte  auf  der  Südseite  zwei,  an  der  Nordseite  ein 
spitzbogiges  Fenster  und  an  der  Südseite  zwischen  den  Fenstern  eine 
ebensolche  Thür.  Die  jetzt  auch  noch  au  der  Nordseite  sichtbare  Thür 
ist  wahrscheinlich  erst  in  späterer  Zeit  ganz  kunstlos  durch  die  Wand 
gebrochen.  Die  Südwand  wird  von  zwei  Strebepfeilern  gestützt.  Wie 
der  Westgiebel  gestaltet  war,  lässt  sich  jetzt  nicht  mehr  feststellen, 
nachdem  im  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  derselbe  entfernt,  ein  weiterer 
Fachwerkanbau  hergerichtet  und  das  Innere  zu  profanen  Zwecken  in 
der  jetzt  sichtbaren  Weise,  wie  eingangs  angedeutet,  umgestaltet 
worden  war. 

Die  Fenster  beginnen  etwa  2  in  vom  Fussboden  der  Kapelle;  die 
jetzige  mittlere  Etage,  die  in  der  Höhe  der  unteren  Fensterkante  liegt, 
ist  2,27  m  hoch,  die  darunterliegende  2  m;  die  Spitze  der  Fensterbogen 
ist  0,50  m  unter  der  obersten  Mauerkante.  Die  Nord-  und  die  Südwand 
dieses  Langhauses  ist  mit  Überresten  von  Gemälden  bedeckt,  die  sich 
durch  die  erste  und  zweite  Etage  erstrecken  und  zwar  dasjenige  auf 
Tafel  II  in  der  Breite  von  2,60  m  zwischen  den  Fenstern  der  Südwand, 
diejenigen  No.  1,  2  der  Tafel  III  auf  der  östlichen  Hälfte  der  Nordwand 
in  der  Breite  von  zusammen  4  m  und  diejenigen  No.  3  und  4  auf  der 
westlichen  Hälfte  dieser  Wand.  Das  Bild  No.  Ü  hat  eine  Breite  von 
2,25  m.  Ob  nun  der  westliche  Teil  der  Südwand  in  einer  Breite  von 
2,85  m  gleichfalls  mit  Bildwerken  geschmückt  war,  lässt  sich  nicht  fest- 
stellen. Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  weil  die  Symmetrie  dadurch  gestört 
worden  wäre  und  es  vielleicht  auch  an  der  nötigen  Beleuchtung  gefehlt 
hätte.  Eher  könnte  man  annehmen,  dass  hier  eine  Empore  aus  Balken 
errichtet  war  zur  Aufnahme  der  Posauuenbläser.  Sehr  alte  Posaunen 
befinden  sich  noch  in  der  Kirchenbibliothek. 

Die  ursprüngliche  Kapelle,  die  nun  den  hohen  Chor  darstellte, 
trug,  wie  einzelne  Konturen  erkennen  lassen,  gleichfalls  bildnerischen 
Wandschmuck,  jedoch  lässt  sich  kein  rechter  Zusammenhang  in  das 


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no 


Karl  Altrichter: 


Liniengewirr  hineinbringen.  Gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  war  noch 
mehr  davon  erhalten.  Es  ist  eine  Notiz  aus  jener  Zeit  vorhanden,  die 
das  zweifellos  crgiebt.  Augenscheinlich  ein  Kirchenbeamter  hatte  an 
diesen  Bildern  ihm  fremde  Sehriftzeichen,  auf  die  ich  später  zurück- 
komme, entdeckt  und,  nachdem  er  dieselben  abgezeichnet,  darunter  ver- 
merkt: „Diese  Buchstaben  oder  Charakters  sind  in  der  hiesigen 
Hospital  -  Kirche  au  der  Wand  an  einem  Heiligen  oder  Königlichen 
Bildnis  um  den  Hals  oder  Aufschlag  des  Gewandes  gemalt  mit  schwarzer 
Farbe,  befindlich  am  Ende  der  Kirche  oder  hinter  dein  Altar,  wo  das- 
selbe zu  stehen  pflegt,  weil  das  gewesene  Gewölbe  eingefallen  und  ein 
leimerner  Boden,  dass  unten  Leute  wohnen  können,  über  welchen  Boden 
solche  Bilder  zu  sehen.  Ob  es  nun  des  Heiligen  Name  oder  die  Jahres- 
zahl daraus  zu  machen,  ist  mir  unwissend44.  Wenn  der  Chronist  auch 
etwas  aus  der  Satzkoustruktion  gefallen  ist,  bleibt  es  doch  sicher,  dass 
der  hohe  Chor,  die  Umgebung  des  Altars,  und  zwar  auch  etwa  '2  m 
über  dem  Fussboden  beginnend,  mit  Gemälden  geschmückt  war. 

Im  Anfang  des  lü.  Jahrhunderts  fand  hier  noch  ein  zweiter  Altar 
seine  Aufstellung.  Vor  dem  Kyritzer  Thor  lag  die  St.  Georgskapelle. 
Diese  war  in  Verfall  geraten  und  wurde  ihr  Altar  und  ihr  Einkommen 
mit  der  St.  Spiritus-Kapelle  vereinigt. 

So  blieb  die  Sache  bis  zur  Einführung  der  Reformation.  Dann 
scheint  die  Kapelle  als  solche  bald  aufgegeben  worden  zu  sein.  Nach 
einigen  Menschenaltern  wurde  sie  profanen  Zwecken  geweiht.  Zwei 
Fussböden  wurden  durch  das  Langhaus  gezogen,  das  Kreuzgewölbe  ge- 
sprengt und  in  der  Höhe  des  ersten  Fussbodens  die  „leinierne"  Decke 
angebracht,  um  die  Stube  für  deu  Hausvater  des  Hospitals  herzustellen, 
auch  Schiff  und  Langhaus  in  der  ersten  und  zweiten  Etage  durch  eine 
Lelunstakwand  getrennt.  Der  Staker  hat  nun  in  diese  folgendes  ein- 
gegraben: „Anno  Killi,  den  12.  Septembr.  H.  GVLOW44.  Damit  scheint 
mir  die  Zeit  der  Umgestaltung  zweifellos  festgestellt.  Die  beiden  über- 
einanderliegenden Böden,  sowie  der  über  dem  Altarraum  wurden  teils 
zu  gewerblichen  und  militärischen  Zwecken,  teils  im  Interesse  des 
Hospitals  verwertet.  Dass  die  Wandbilder  dadurch  nicht  gewannen, 
liegt  auf  der  Hand.  Schon  vorher  mögen  sie  teils  durch  das  Einbringen 
der  Balken  und  das  Entfernen  des  Westgiebels,  teils  durch  das  Hernnter- 
strömen  von  Regenfluten  durch  das  vermutlich  schadhaft  gewordene 
Dach  nicht  unerheblich  beschädigt  worden  sein.  Einzelne  Figuren 
.machen  geradezu  den  Eindruck,  als  ob  sie  durch  wiederholtes  Herunter- 
treiben von  Wasser  zur  Hälfte  herausgewaschen  seien. 

Bei  diesem  Umbau  ist  das  Fenster  der  Nord  wand  des  Langhauses 
bis  auf  den  Kaum  zu  einer  Pforte  vermauert.  Die  übrigen  Fenster  sind 
durch  Hineinbauen  von  Steinen  auf  gewöhnliche  Fensteröffnungen  ver- 
engert.   Zu  der  Vermauerung  hat  man  die  zerschlagenen  Dienste,  die 


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Die  Wandgemälde  in  der  Kapelle  St.  Spiritus  zu  Wusterhausen  a.  Dosse.  <)\ 


eine  sehr  sorgfältig  ausgeführte  und  gefüllige  Form  aufweisen,  als  ge- 
wöhnliches Baumaterial  mitverwendet.  In  dieser  schonungslosen  Zer- 
störung künstlicher  Gehildc  und  ihrem  demnächstigen  Verbrauch  könnte 
mau  den  Anfang  einer  Verrohung  des  Geschmackes  erblicken,  die  aus 
einer  gleichen  Beschaffenheit  der  Gemüter  entspringend,  die  Rohheiten 
des  darauffolgenden  dreissigjährigen  Krieges  die  Zeitgenossen  wohl 
weniger  hart  empfinden  Hess. 

Ich  wende  in  ich  zu  den  Bilder  resten  selbst. 

Das  Bild  an  der  Südwand  der  Kapelle  (s.  Tafel  II  umstehend)  stellt 
zweifellos  den  Moment  dar,  als  der  Heiland  unter  der  Last  des  Kreuzes 
zusammengebrochen  war.  Der  im  Vordergründe  stehende  Krieger,  der 
dem  Beschauer  zum  grössten  Teil  seine  Rückenansicht  darbietet,  ist 
augenscheinlich  bemüht,  das  Kreuz  hochzuziehen,  damit  der  Heiland  sich 
wieder  erheben  kann.  Der  bestimmende  Teil  dieses  Bildes  ist  leider  so 
verwischt,  dass  nur  lose  und  matte  in  Schwarz  und  Rot  ausgeführte 
Vorzeichnungen  zu  sehen  sind,  aus  denen  mit  einiger  Mühe  der  Zusammen- 
hang herauszulesen  ist. 

Die  aus  dem  Haufen  der  Begleiter  hoch  aufragenden  Gestalten 
eines  Mannes  und  einer  Frau  stellen  augenscheinlich  Josef  und  Maria 
dar.  Die  in  einer  gemalten  Nische  dargestellten  betenden  Kinder  sind 
von  unendlichem  Liebreiz,  während  die  sonstige  Begleitung  teils  Hohn, 
teils  brutalen  Stumpfsinn  in  den  Gesichtszügen  erkennen  lässt.  Nur 
Josef  scheint  tröstend  und  begütigend  auf  die  trauernde  Mutter  Gottes 
einzureden.  Die  mittlere  Partie,  in  der  die  meisten  Köpfe  liegen,  ist 
durch  einen  Zufall  ausserordentlich  gut,  namentlich  in  den  Farben, 
frisch  erhalten.  Dicht  am  Fussbodel)  befand  sich  ein  etwa  30  cm  hohes 
Holzpaneel,  das  ich  erst  entfernte,  um  die  Zeichnung  auszuführen. 
Dieser  Bildstreifen  lässt  erst  einen  richtigen  Schluss  auf  die  Farben- 
pracht sämtlicher  Darstellungen  machen,  zumal  in  den  Bildern  ait  der 
Nordwand  mit  Ausnahme  weniger  lebhafter  Farben  eine  bräunliche 
Grundfarbe  herrschend  ist.  Auch  der  Untergrund  dieses  Bildes  zeigt, 
soweit  noch  erkennbar,  eine  bräunlich-rote  Färbung.  Mit  Rücksicht  auf 
die  geinalte  Nische  wäre  es  denkbar,  dass  zur  Darstellung  der  Strasse 
jetzt  verwischte  Gebäude  den  Hintergrund  bildeten. 

Die  Nordwand  enthielt  in  seinen  4  Einzeldarstellungen  (s.  Tafel  III 
umstehend)  einen  abgeschlossenen  Kreis  aus  «1er  Märtyrergeschichte. 
Leider  ist  das  4.  Bild  bis  auf  einen  schmalen  Streifen  mit  dem  ab- 
fallenden Mauerputz  verloren  gegangen.  Immerhin  lässt  sich  aus  diesem 
Rest  der  Gegenstand  der  Darstellung  folgern.  Es  wird  ein  wüstes 
Durcheinander  von  Gemordeten  und  Trauernden,  die  von  den  geliebten 
Toten  Abschied  nahmen  oder  sie  aufhöbe?»,  um  sie  fortzutragen,  gewesen 
sein.  Einen  Zusammenhang  in  diese  4  Darstellungen  zu  bringen  dürfte 
um  so  weniger  schwierig  sein,  als  man  weiss,  wem  die  Kapelle  dereinst 


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92 


Karl  Altrichter: 


geweiht  war.  Den  Glanzpunkt  scheint  «las  zweite  Feld  unter  Zugrunde- 
legung des  9.  Kapitels  der  Apostelgeschichte  zu  bilden,  zu  dem  die 
anderen  Fehler  mehr  oder  weniger  Erläuterung  sind.     Auf  Feld  1 


erscheint  vor  dem  römischen  Richter,  der  auf  dem  Riehterstuhl  sitzt,  iu 
Figur  'A  augenscheinlich  ein  gefesselter  Christ;  schräg  hinter  ihm  steht 
ein  Wachmann,  der  an  dem  Ende  seines  Spiesses  als  solcher  erkennbar 
wird.    Zwischen  dem  Gefesselten  und  dem  Richter  sind  Überreste  einer 


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Die  Wandgemälde  in  der  Kapelle  St.  Spiritus  zu  Wustorhausen  a.  Dosse.  lX\ 


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94  Karl  Altrichter: 

Figur  erkennbar,  vermutlich  eines  Liktor  oder  sonst  einer  teils  zur  Be- 
dienung, teils  zur  Beschützung  des  Richters  bestimmten  Person. 

Der  Inhalt  der  Verhandlung  und  das  ergangene  Urteil  kann  dem 
kein  Geheimnis  sein,  der  die  Geschichte  der  Christenverfolguugen  auch 
nur  oberflächlich  kennt:  Abdikation  oder  Tod. 

Das  schon  erwähnte  zweite  Bild  zeigt  im  Vordergrunde  einen  Mann 
in  der  Kleidung  des  mittelalterlichen  Henkers.  Seine  Eigenschaft  als 
Heide  findet  ihren  Ausdruck  in  dem  Halbmond  an  der  hohen  Mütze, 
sein  Handwerk  in  einer  Schlinge,  die  er  in  den  Händen  hält.  Zu  be- 
merken ist,  dass  die  Haltung  des  Kopfes  eine  solche  ist,  als  ob  dieser 
Mann  etwas  überrascht  nach  oben  blicke.  Von  den  Augen  ist  leider 
nur  die  Zeichnung  der  Lider  erhalten.  Mindestens  gewinnt  man  den 
Eindruck,  als  ob  sein  Blick  den  beiden  Gefesselten  links  nach  der  Thür 
(Fenster  der  ehemaligen  Kapelle)  nicht  gelte.  Die  Bruchstücke  der 
zwischen  ihnen  und  dein  Henker  stellenden  Figur  könnten  die  eines 
Wächters  oder  Kriegers  sein.  Die  beiden  Gefesselten  stehen  schräg 
hintereinander.  Von  der  vordereu  ist  wesentlich  der  Kopf  und  am 
besten  das  eine  Auge  erhalten.  Dasselbe,  etwas  zu  Boden  gerichtet, 
trägt  einen  melancholischen,  totmüden  Ausdruck.  Von  der  Figur  dahinter 
ist  ausser  den  Umrissen  besonders  die  Fesselung  der  Hände  und  das 
Oberkleid,  nach  Schnitt  und  Geschmack  des  15.  Jahrhunderts,  leidlich 
erhalten.  Der  Ausdruck  für  eine  Handlung  fehlt  in  diesem  Bilde.  Diese 
nur  anzudeuten,  entspricht  nicht  dem  ästhetischen  Geschmack  des  Mittel- 
alters. Leider  ist  der  obere  Abschluss  dieses  Bildes  vollständig  von 
der  Wand  gewaschen,  sodass  nicht  einmal  die  leisesten  Umrisse  eineu 
Anhalt  für  die  Deutung  geben  können.  Nach  meiner  Auffassung  ist  hier 
doch  eine  Handlung  dargestellt,  aber  eine  überirdische,  die  mithin  nur 
in  ihrer  Wirkung  erscheint.  Oben  habe  ich  schon  auf  die  Bekehrung 
des  Saulus  hingewiesen.  Die  Stellung  des  Henkers  widerspricht  nicht 
der  Annahme,  dass  auch  aus  einer  leuchtenden  Wolke  an  ihn  die  Frage 
erging:  „Warum  verfolgst  Du  mich?"  Ich  halte  es  sogar  für  wahr- 
scheinlich, dass  die  Augen  nicht  mit  einer  Irls  versehen  waren,  um  das 
Geblendetsein  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Der  Henker  erblindete  wie 
einst  Saulus  auf  dem  Wege  nach  Damaskus;  er  konnte  demnach  auch 
sein  Henkeramt  nicht  ausüben.  Er  steht  mit  dem  Strick  in  der  Hand 
wie  versteinert.  Die  Schlussfolgeruug  aus  diesem  Bilde  liegt  wie  bei 
dem  ersten  dieser  Abteilung  nahe.  Auch  hier  findet  als  solche  sich  nur 
eine  einzige:  der  heidnische  Henker  wird  zum  Christentum  bekehrt. 
Zugleich  aber  wird  er  sehend,  ähnlich  wie  der  geblendete  Saulus  im 
Anschluss  an  Apostelgeschichte  Vers  17  und  18.  Besouders  für  die 
Örtlichkeit  ist  massgebend:  „Der  Herr  hat  mich  gesandt,  dass  Du 
wieder  sehend  und  mit  dem  Heiligen  Geiste  erfüllt  werdest". 


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Die  Wandgemfilde  in  der  Kapelle  St.  Spiritus  zu  Wusterhausen  a.  Dosse.  <)5 

Das  Bild  dient  zweifellos  zur  Verherrlichung  der  Macht  des  heiligen 
Geistes. 

Im  dritten  Felde  thut  ein  anderer  Henker,  was  der  erste  nicht 
ausführen  konnte.  Ein  wildes  Gewirr  von  Figuren,  deutlich  erkennbar 
nur  ein  bartloses  Gesicht  mit  dem  Ausdruck  ausschweifendster  Wildheit. 
Von  der  dazugehörigen  Figur  ist  nur  soviel  erkennbar,  dass  sie  mit 
ziemlicher  Gewalt  vorwärts  strebt,  in  der  hoeherhobenen  Rechten  den 
Speer  zum  Stoss  bereit  Da,  wohin  die  Spitze  treffen  muss,  sieht  man 
im  Vordergründe  des  Bildes  eine  knieende,  barhäuptige  Männergestalt, 
die,  wie  abwehrend,  die  Linke  erhebt.  Ganz  im  Vordergrunde  ist  ein 
dunkler  Körper  gezeichnet,  der  einem  Chorhut  nicht  unähnlich  ist. 
Dazwischen  scheint  eine  dritte  Figur  betend  zu  knieen.  Links  scheint 
sich  eine  ähnliche  Scene  zu  wiederholen.  Ganz  hinten  und  erhöht  er- 
scheinen einige  Köpfe  und  eine  Hand,  die  vielleicht  den  die  Hinrichtung 
überwachenden  Personen  angehören.  Soweit  überhaupt  deutliche  Formen 
erscheinen,  sind  dieselben  und  selbst  das  Gesicht  des  Henkers  bräunlich 
gehalten,  nur  die  knieende  Figur  links  am  Rande  hat  ein  hellgrünes 
Kleid,  nach  dem  sichtbaren  Teile  des  Unterarmes  war  das  weiss-quer- 
gestreifte  Unterkleid  rot  (jetzt  matt  ponceau).  Wie  im  allgemeinen 
dieses  Bild  auf  dieser  Wandseite  am  besten  erhalten  ist,  so  hat  sich 
auch  der  Abschluss  des  Bildes  nach  oben  erhalten.  Ein  mattgrünlicher 
Hintergrund  ist  mit  einer  purpurroten  Arabeske  abgeschlossen.  Die 
letzte  Abteilung  zeigt  eine  knieende  Männergestalt  mit  gefalteten  Händen. 
Das  Oberkleid  ist  hellgrün,  das  auf  der  Brust  erscheinende  Unterkleid 
matt-ponceau.  Davor  ist  sichtbar  ein  Kopf,  Rücken  und  rechter  Ann 
einer  zweiten  Gestalt,  die?  über  einer  dritten,  diese  umarmend,  liegt. 
Hier  ist  augenscheinlich  der  Sehluss  des  Dramas  aus  der  Märtyrerzeit, 
der  Abschied  von  einem  Sterbenden,  dargestellt. 

Wenn  man  diese  Bilder  und  deren  einzelne  Figuren,  soweit  sie 
eben  einigermassen  in  Zeichnung  und  Schattierung  erhalten  sind,  studiert, 
so  lassen  sich  folgende  Merkmale  aufstellen.  Zum  Teil  grobe  Ver- 
zeichnungen aus  Mangel  der  Kenntnis  von  der  Perspektive.  Dem  ersten 
Henker  z.  B.  wächst  der  rechte  Arm  aus  der  Brust  heraus.  Im  übrigen 
sind  die  Umrisse  sicher  und  klar,  die  Falten  der  Gewänder  zwar  etwas 
einförmig,  aber  nicht  unschön :  von  der  Anatomie  geringe  Kenntnis. 

Die  Gestalten  sind  mehr  oder  weniger  gedrungen,  kurzhalsig,  die 
Nasen  gross  und  dick,  die  Gesichter  meist  hart  und  eckig.  Es  liegt  hier 
augenscheinlich  ein  Erzeugnis  der  böhmischen  Malsehule  vor,  die  bald 
nach  Kaiser  Karl  IV.  zur  Blüte  kam. 

Was  nun  die  Technik  des  Malens  anlangt,  so  sind  diese  Bilder 
nicht  auf  frischen  Kalk  gebracht,  denn  die  Farben  blättern  ab  und 
lassen  sich  verreiben,  wie  unnütze  Finger  dies  mehrfach  erkennbar 
gemacht  haben.    Das  Malen  scheint  nun  in  der  Weise  betrieben  worden 


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96 


Karl  Altrichter: 


zu  sein,  dass  man  die  einzelnen  Teile  des  genauen  Aufrisses  zunächst 
in  dem  Farbenton  gleiehmässig  anlegte,  den  sie  endgiltig  haben  sollten, 
und  dass  man  dann  die  Schattierung  mit  Schwarz  oder  Dunkelbraun 
zum  'IVil  in  Stricbmanier  hineinbrachte  und  etwaige  Lichter  in  einem 
wenig  deckenden  Weiss  aufsetzte.  Ich  bin  geneigt,  die  auf  der  Nord- 
wand vorherrschende  braune  Farbe  auf  eine  Veränderung  zurückzuführen, 
die  die  aufgetragenen  Farben  durch  den  Kalk  in  Verbindung  mit  einer 
erklärlichen  Feuchtigkeit  des  Feldsteines,  aus  dem  die  Nordwand  auf- 
erbaut ist,  erlitten.  Auf  der  Südwand,  die  unter  dem  Einfluss  der 
Sonne  trockener  bleiben  musste  und  bei  der  Verwendung  von  Back- 
steinen haben  sich  die  Farben  fast  unverändert  erhalten,  namentlich 
soweit  sie  durch  das  niedrige  Paneel  geschützt  waren.  Dies  gilt 
namentlich  von  den  zwar  lebhaft,  aber  natürlich  gefärbten  Fleischteilen, 
die  auf  der  Nordseite  mit  Ausnahme  derjenigen  des  zweiten  Henkers 
durchaus  farblos  oder  braun  geworden  sind. 

Dafür,  dass  nicht  nur  ein  Künstler  der  böhmischen  Malschule, 
sondern  thatsächlich  ein  Böhme  sich  in  diesen  Bildern  verewigt  hat, 
bezeugt  die  obenerwähnte  Inschrift.  Nach  der  Aufzeichnung  aus  dem 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  sind  folgende  Schriftzeichen  aneinander- 
gereiht: E  W  V  S  S  V  K  W  C  L2.  Das  letzte  Zeichen  ist  die  Ab- 
kürzung für  die  lateinische  Endung  us  und  mit  dem  L  zusammengezogen. 
Die  Inschrift  heisst: 

„Effecit  Wussuk  WenCesLaUS".    „Wenzel  Wussuk  hat's  gemacht". 

Die  Beziehungen  der  Mark  bald  nach  Karls  IV.  Tode  zu  Böhmen 
scheinen  noch  längere  Zeit  fortgedauert  zu  haben.  In  einer  Geheim- 
schrift an  einem  Pfeiler  der  Stadtkirche,  der  zweifellos  erst  bei  dem 
Erweiterungsbau  von  1470  angelegt  wurde,  findet  sich  der  Vermerk, 
dass  „Babtist  Fabus,  ein  Böhme"  gebaut  habe  und  dass  dieser  lateinisch 
klingende  Name  nicht  einem  Deutschen,  sondern  einem  Böhmen  angehört 
hat,  bezeugt  die  Art,  wie  derselbe  in  derselben  Inschrift  „Wusterhausen" 
schreibt,  nämlich  „HWusterhauseu".  Dieses  vorschlagende  H  ist  ein 
Merkmal  der  böhmischen  Sprache. 

Mag  Kaiser  Karl  IV.  auch  bereits  1378  gestorben  sein,  so  mussten 
die  Anregungen,  die  dieser  prachtliebende  Fürst  gegeben  hatte,  doch 
durch  mehrere  Generationen  fort-  und  nachwirken,  um  so  mehr,  als 
damals  die  Zeit  nicht  so  raschlebig  und  neuerungssüchtig  war  wie  heute. 
Es  ist  deshalb  wohl  denkbar,  dass  noch  fast  nach  7U  oder  75  Jahren 
jeder,  der  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  etwas  Gutes  haben  wollte,  nach 
Böhmen  ging  oder  auf  böhmische  Künstler  zurückgritV,  namentlich  aber  in 
der  Mark,  die  damals  in  ihrer  traurigen  Verfassung  garnicht  imstande 
war,  etwas  Eigenes  von  einiger  Bedeutung  hervorzubringen.  Derartige 
Künstler  herbeizuschaffen  wird  aber  ferner  nicht  die  Schwierigkeiten 


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Die  Wandgemälde  in  der  Kapelle  St.  Spiritus  zu  Wusterhausen  a.  Dosse.  ')7 


bereitet  haben,  wie  es  den  Anschein  haben  könnte.  Es  werden  ans  der 
Zeit,  als  Karl  IV.  in  Tangermünde  residierte,  genug  Künstlerfamilien  aus 
Böhmen  in  der  Mark  zurückgeblieben  sein. 

Wie  langsam  andererseits  im  Mittelalter  gerade  auf  dem  Gebiete 
der  Kunst  die  Entwickelung  sich  fortbewegte,  bestätigen  die  langen 
Perioden  des  romanischen  und  gotischen  Baustils  gegenüber  den  kürzeren 
der  Renaissance,  des  Zopfstils  und  des  Rocoeo. 

Was  nun  die  genauere  Zeit  der  Herstellung  der  beschriebenen 
Wandbilder  anlangt,  so  weisen  die  Ausrüstung  der  Krieger,  in  der  die 
Plattenrüstung  und  der  Helm  mit  Nackenschirm  fehlt,  in  Verbindung  mit 
der  Einfachheit  der  Kleidung  auf  das  Reformationszeitalter,  während 
andererseits  die  mangelhaft»'  Anatomie  und  Perspektive  die  Zeit  vor  Dürer 
erkennen  lassen.  Man  wird  nicht  fehlgehen,  wenn  man  die  2.  Hälfte 
des  15.  Jahrhunderts  von  diesen  Gesichtspunkten  aus  als  die  Entstehungs- 
zeit annimmt.  Diese  Annahme  lindet  weiter  Bestätigung  in  den  be- 
gleitenden, aus  der  Geschichte  der  Stadt  und  ihrer  Bauwerke  hervor- 
gehenden Umständen. 

Die  Tafel  1  stellt  den  Ostgiebel  der  Kapelle  dar,  wie  er  sich  beim 
Eintritt  in  die  Stadt  darbietet. 


7 


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Die  Blockbaukirchc  in  Burschen. 

Von  Robert  Mielke. 


Spuren  von  einer  einst  in  der  Mark  uml  den  östlich  benachbarten 
Provinzen  ausgeübten  llolzbaukunst  linden  sich  sowohl  in  litterarischen 
wie  in  künstlerischen  Überlieferungen  dieser  Länder.  Sie  führen  uns 
jenen  Zustand  einer  einheimischen  volkstümlichen  Bauart  vor  Augen, 
der  der  entwickelteren  einer  Feldstein-  und  Ziegeltechnik  vorausging  und 
in  dem  altertümlichen  Hlockl.au  trotz  der  Unzulänglichkeit  seiner  Mittel 
für  ein  monumentales  Schallen  sich  im  Osten  der  Mark  bis  in  die 
Gegenwart  hinein  behauptet  hat.  Insbesondere  hat  das  Dauernhaus  in 
einzelnen  (legenden,  wie  im  Sprecwald,  diese  Technik  bewahrt,  während 
sich  für  die  Dorf kircheu  -  im  Gegensatz  zu  denen  Schlesiens,  Pidens. 
Westpreussens  und  Pommerns  —  bisher  kein  Beispiel  von  noch  er- 
erhaltenem  Blockbau  hatte  nachweisen  lassen.  Erst  im  vorigen  Jahre 
gelang  es,  einen  solchen  Bau  in  dem  Dorfe  Burschen  bei  Liebenau. 
Kreis  Oststernberg,  festzustellen,  nur  wenige  Wochen  vor  dem  beab- 
sichtigten Abbruch.  Dank  dem  Eingreifen  unseres  ProvinziaJ -Konser- 
vators, des  (ich.  Baurates  Blutli,  ist  dieses  Schicksal  voraussichtlich 
von  der  Kirche  abgewendet  und  damit  ein  Hauwerk  für  die  Kunst- 
geschichte der  Mark  gerettet,  das  in  seiner  Art  wohl  als  das  letzte  Bei- 
spiel des  Blockbaues  gelten  dürfte.*) 

Der  (irundriss  der  Kirche  in  Burschen  ist  sehr  einfach.  Das 
Schiff  besteht  aus  einein  Rechteck  von  17,20  m  Länge  und  10,50  m 
Breite,  dem  westlich  ein  nach  oben  sich  verjüngender  Turm  vorgelagert 
ist.  An  der  südlichen  Längswand  sind  den  Eingängen  zwei  kleine  Vor- 
häuser im  Fachwerk  angehängt,  die  sich  dadurch  als  spätere  Zuthateu 
erweisen,    während   die  an  der  Nordseite   befindliche  kleine  Sakristei 

*)  Pen  Mitteilungen  eines  Mitgliedes  der  „Hrandenbnrgia",  des  Herrn  Lackt» 
witz  verdanke  ich  einen  Hinweis  auf  eine  andere  Hlorkbaukirehe  ohne  Turm  in 
Ksehbruch  bei  Priesen  in  der  Ncumaik.  Leider  ist  es  mir  bisher  nicht  möglich 
gewesen  diese  Kirche  an  Ort  und  Stelle  zn  besichtigen.  liei  einer  Anwesenheit 
in  Woldenberg,  20  km  nördlich  Priesen,  wurde  mir 'diese  Ansähe  bestätigt  ;  jedoch 
konnte  ich  keine  sichere  Nachricht  erhalten,  ob  dieselbe  noch  heule  vorhanden  wäre. 
JJa  mich  die  Umstände  verhinderten,  Kschbruch  aufzusuchen,  so  mtiss  ieh  mich  mit 
diesem  Hinweis  begnügen. 


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Robert  Miclke:  Die  Blockbaukirche  in  Burschen. 


99 


gleichzeitig  mit  dem  Hauptraum  erbaut  ist.  Ein  Chor  ist  nicht  vor- 
handen. Die  gerade  Ostwand  wird  von  zwei  hochgelegenen  kleinen 
Fenstern,  jede  der  Langseiten  von 
je  vier  entsprechenden  durchbrochen, 
die  sich  nur  annähernd  einander 
gegenüberstehen.  Eine  verdeckte 
Holztreppe  führt  von  aussen  durch 
die  nördliche  Wand  zu  der  grossen 
westlichen  Orgelempore,  die  auf  roh 
geschnitzten  Ständern  ruht,*) 

An  der  Ostseite  ist  eine  gleiche 
aber  kleinere  Empore,  welche  zu- 
gleich den  Zugang  zu  der  über  dem 
Altar  befindlichen  Kanzel  vermittelt. 
Das  Innere  wird  von  einem  hölzer- 
nen, Ende  des  17.  oder  Anfang  des 
18.  .Jahrhunderts  wenig  kunstreich  bemalten  Tonnengewölbe  überdeckt, 
über  dem  das  steile  im  Osten  abgewalmte  Schindeldach  sich  erhebt. 


Sowohl  die  Wände  des  Hauptbaues  wie  die  der  Sakristei  sind  aus 
wagerecht  aufeinander  lagernden,  etwa  2~)  cm  dicken  Balken  gebildet, 


•)  Die  grobe  KerbschniUerei  verrät  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  den  aus  dem 
17.  Jahrhundert  stammenden  Ornamenten,  die  sich  an  den  Laubenhäusern  zu  Schwiebus 
befinden.  Ein  stilistischer  Zusammenhang  liegt  hier  um  so  näher,  als  die  gesamte  Innenaus- 
stattung vielleicht  auch  mit  Einschluss  der  Decke,  demselben  Jahrhundert  entstammt. 

7* 

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100 


Robert  Mielke: 


die  an  den  Ecken  durch  einen  Schwalbenschwanz-Verband  in  einander 
gefestigt  sind.  Da  diese  für  die  Länge  des  Raumes  nicht  ausreichten, 
so  sind  sie  in  der  Mitte  der  Längswand  in  senkrechte  Balken  eingenutet, 
die  ihrerseits  wieder  durch  einen  mächtigen  Horizontalbalken  an  ihren 
oberen  Enden  miteinander  verbunden  sind.  Sämtliche  ßlockwiiutle  ruhen 
auf  einem  Steinfundament.  Das  kräftig  ausladende  Hohlkehleugesiiiis 
im  Äusseren  ist  wohl  später  erneuert  worden,  da  es  in  Farbe  und  Er- 
haltung von  dem  übrigen  Teil  erheblich  abweicht.  Nachträglich  an- 
gefügt ist  dem  Ursprungsbau  wohl  auch  die  äussere  Treppe,  die  an  der 
Nordseite  zur  grossen  Empore  führt,  eine  um  so  berechtigtere  Annahme, 
als  sie  einen  heute  nicht  mehr  benutzten  Eingang  verdeckt.  Die  Ein- 
gänge befinden  sich  an  der  Südseite  unter  den  erwähnten  Fach  werk  - 
Vorbauten. 

Abweichend  von  diesem  einheitlichen  Blockbau  ist  der  Turm  als 
ein  Ständerbau  durchgeführt,  dessen  Aussenseite  mit  senkrechten  Bretter- 
lagen verkleidet  ist.  Es  ist  das  eine  im  Sternberger  Lande  uud  im 
Kreise  Schwiebus-Züllichau  nicht  seltene  Technik,  die  auch  an  Stein- 
und  Fachwerkbauten  vorkommt  (Kl  einzig  und  K  alz  ig  bei  Züllichau, 
Schönow  bei  Burschen).  Charakteristisch  sind  bei  derselben  die  nach 
unten  weit  auseinandergespreizten,  auf  grossen  Schwellen  eingezapften 
Ständer.  Spannriegel  und  schräge  Streben  verbinden  sie  miteinander 
und  mit  dem  grossen  Mittelständer,  der  in  seinem  oberen  Teil,  dem 
Königsstiel,  als  Träger  des  spitzen  Turmdaches  dient. 

In  diesen  Türmen  haben  wir  eine  alte  Überlieferung  vor  uns,  die, 
wie  sich  ergeben  wird,  nicht  ohne  Zusammenhang  mit  der  Entwicklung 
des  Holzbaues  im  Osten  steht.  Ursprünglich  dienten  diese  Türme  nur 
als  Glockenstuhl  und  standen  als  solche  abseits  und  ohne  Verbindung 
mit  dem  Ilauptbau.  Erst  nach  und  nach  sind  sie  in  die  Höhe  ent- 
wickelt und  in  den  Gesamtorganismus  der  Kirche  hineingewachsen. 
Auch  in  Burschen  steht  der  Turm  noch  eine  Handlänge  von  dem  Haupt- 
hause entfernt  und  ohne  Zusammenhang  mit  diesem.  Dadurch,  dass 
diese  Ständertiirme  —  stets  vom  Langhause  etwas  abgerückt  —  auch 
in  anderen  weit  auseinanderliegenden  Gegenden  Nord-  und  Mitteldeutsch- 
lands sich  nachweisen  lassen,  bezeugen  sie  ihren  Zusammenhang  mit 
einer  nicht  allgemein  ausgeübten  Bauweise,  aus  einer  Zeit,  in  der  der 
Wälderreichtum  noch  gewisse  gemeinschaftliche  Formen  in  der  Baukunst 
bedingte.  Solche  Glockentürme  —  bald  ganz  abseits  stehend,  bald  in 
der  Axe  des  Langhauses  errichtet  und  dann  in  mehr  oder  minder  aus- 
gesprochener Weise  als  Kirchtürme  in  die  Höhe  entwickelt  —  finden 
sich  in  Hannover  (Egesdorf  in  der  Lüneburger  Heide),  in  Schleswig- 
Holstein  (Nordhackstedt,  Heitingen,  Sieverstedt,  Wamderup,  Klein-  und 
Gross  -  Solt  bei  Flensburg,   Stedesand  bei  Niebüll),   in  Mecklenburg 


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Die  Blockbaukirche  in  Burschen. 


101 


(Rethwisch  bei  Doberan),  in  Pommern  (Tribohm  bei  Triebsees),  West- 
preussen  (Schloppe,  Ruschendorf  bei  Deutsch-Krone),  Posen  (Siedlec 
bei  Bentschen,  Klastave  und  Kuschten  bei  Bomst),  Schlesien  (Syrin, 
Lubein,  Rudnik  u.  a.).  Tn  der  Prignitz  sind  der  Tunn  in  dem  durch 
sein  Hünengrab  bekannten  Dorfe  Mellen,  der  fast  ein  Viertel  seines 
Durchmessers  entfernt  vor  der  Westseite  der  Kirche  steht,  und  der  in 
Mödlich,  der  aus  dein  Jahre  1050  stammt,  zu  erwähnen.  Einzelne  von 
diesen  Ständertürmen  sind  allerdings  erst  später  nach  Vernichtung  eines 
Massivbaues  als  Notbehelf  errichtet  worden,  die  meisten  haben  jedoch, 
wenn  überhaupt,  einen  hölzernen  Vorgänger  gehabt.  Dies  wird  bei  dem 
Mangel  eines  direkten  Beweises  dadurch  wahrscheinlich  gemacht,  dass 
sieh  in  Norddeutschland  einzelne  schon  aus  dem  13.  und  14.  Jahrhundert 
stammende  Granitkirchen  finden  (Borne  bei  Beizig,  Hohengörsdorf 
bei  Jüterbogk,  Retzow  bei  Lydien,  Eixen  bei  Triebsees,  Alt- 
Kaebelich  bei  Woldeck,  Dambek  bei  Röbel,  letztere  möglicherweise 
noch  aus  dem  ll2.  Jahrhundert),  die  keinen  Turm  besitzen.  Bei  diesen 
alten  turmlosen  Kirchen  war  es  durch  die  Beschaffenheit  des  Bodens 
oder  aus  anderen  Gründen  nicht  erforderlich,  einen  hohen  auch  zur  Ver- 
teidigung geeigneten  Turm  zu  errichten,  und  so  begnügte  man  sich  mit 
einem  einfachen  Glockengestühl. 

Auch  in  Burschen  ist  der  Ständerturm  an  Stelle  eines  älteren 
aufgebaut.  In  einer  schönen  lateinischen  Kursivschrift  hat  sich  der 
Meister  desselben  mit  den  Worten  verewigt:  „ANNO :  1690 :  DEN : 
SO  :  MAJ :  JST :  DJESER  :  TVRM :  GEBA  \  ET :  TOBJAS  :HERM AN  : 
BAVMEJSTER  :  DES :  TYRMES".  Jedenfalls  hat  der  Meister  Tobias 
Herman  das  Material  des  älteren  Turmes  mit  verwendet,  denn  an  dem 
Gestühl  der  aus  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  stammenden  Glocken 
stehen  noch  die  Jahreszahlen  1001)  und  104'.). 

Damit  haben  wir  einen,  wenn  auch  negativen  Anhalt  für  das  Alter 
des  Blockbaues  selbst.  Dass  dieser  älter  sein  muss,  lehrt  ein  Blick  auf 
seine  Hinfälligkeit.  Während  der  über  zwei  Jahrhunderte  alte  Turm 
noch  immer  unverändert  aufrecht  steht,  ist  der  Langbau  (1890)  zum  Teil 
auseinander  gedrückt;  der  Zusammenhang  der  Balken  hat  sich  gelockert, 
und  zwischen  ihnen  klaffen  fingerdicke  Spalten,  die  nur  notdürftig  mit 
Lehm  und  Leinwand  verkleistert  sind.  Man  wird  nicht  fehlgehen,  ihn 
mit  Einschluss  der  Sakristei  spätestens  in  das  1 5.  Jahrhundert  zu  setzen. 
Bei  dem  Mangel  jeglicher  architektonischen  Kunstform  —  das  obere 
Hohlkchlengesims  an  der  Aussenseite  der  Blockwände  dürfte,  wie  schon 
erwähnt,  erlieblich  jünger  sein  —  lässt  sich  mit  einiger  Gewissheit  nur 
annehmen,  dass  die  Küche  älter  ist  als  der  Turm.*) 


*)  In  meiner  ersten  kurzen  Veröffentlichung  („Vosaischo  Zeitung"  1896,  Nr.  176 
vom  15.  Arril)  setzte  ich  das  Bauwerk  in  das  14.  Jahrhundert.   Nachdem  ich  seither 


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102 


Robert  Mielkc: 


Leider  versagt  uns  auch  die  Geschichte  des  Ortes  einen  deutlichen 
Hinweis.  Der  Kreis  Oststernberg  gehört  in  seiner  volkstümlichen  Eigen- 
art mit  den  benachbarten  Gebieten  Posens,  in  seinen  späteren  geschicht- 
lichen Beziehungen  mit  Schlesien  zusammen.  Die  grossen  ausgedehnten, 
in  früheren  Jahrhunderten  nur  teilweis  gerodeten  Waldungen,  in  denen, 
abseits  von  jedem  bedeutenden  Kultlirwege,  der  Ort  ein  gescbichtslose.s 
Dasein  führte,  verbargen  ihn  vor  Ereignissen  von  politischer  Bedeutung. 
Erst  Ende  des  14.  Jahrhunderts  wird  das  Duukel,  das  auf  dem  stillen 
Walddorf  lagerte,  auf  einen  Augenblick  gehoben.  In  einer  Urkunde  vom 
2.  Juli  1304*)  wird  der  Name  „Burssen"  gemeinschaftlich  mit  den  nahe- 
gelegenen Seren,  Tempel  und  Langephuel  in  einem  Vertrage  genannt, 
in  dem  Abgesandte  des  Königs  Casimir  des  Grossen  von  Polen 
(1333 — 1370)**)  mit  solchen  des  Hochmeisters  von  Preussen  und  des 
Johanniterordens  eine  altere  Grenzbestimmung  zwischen  Polen,  Preussen 
und  der  Neumark  vom  Jahre  12ol  erneuern.  In  dieser  früheren  Urkunde, 
die  nicht  mehr  vorhanden  ist,  dürfte  Burschen  vermutlich  ebenfalls 
erwähnt  gewesen  sein.  Aus  dieser  dürftigen  Notiz  können  wir  allenfalls 
schliessen,  dass  Burschen  eine  alte  Ansiedelung  ist,  die  in  ihrer  Anlage 
sich  den»  gemeinsamen  Typus  der  ganzen  Gegend  eng  anschloss.  Wie 
für  die  Dörfer  der  Nachbarschaft  der  Holzbau  sich  aus  den  gegebenen 
Waldverhältnissen  von  selbst  ergab,  so  dürfte  für  seine  ursprüngliche 
Form  der  Blockverband  anzunehmen  sein,  der  in  den  Bauernhäusern 
sich  noch  bis  in  das  laufende  Jahrhundert  hinein  erhalten  hat.  Der 
Ständerbau,  wie  er  an  den  Türmen  ausgebildet  ist,  stellt  eine  vor- 
geschrittenere Technik  dar,  denn  er  setzt  ein  weit  entwickelteres 
konstruktives  Können  voraus.  Für  den  Holzbau  als  einheimische  Bau- 
weise sprechen  auch  die  Ständertürme  gewissermassen  als  letztes  Nach- 
klingen, nachdem  die  massiven,  schwerfälligen,  aber  leicht  zerstörbaren 
Blockkirchen  der  Vernichtung  anheimgefallen  sind,  die  charakteristischen 
Schindeldächer  und  auch  das  jüngere  Alter  der  Steinkirchen. 

Zwei  der  ältesten  von  ihnen  aus  der  Nachbarschaft  sind  frühestens 
in  den  Anfang  des  lß.  Jahrhunderts  zu  verlegen.    Es  sind  die  Kirchen 


jedoch  in  den  benachbarten  Gebieten  Posens  und  Westpreussens  verschiedene  Holz- 
kirchen mit  der  Erscheinung  der  Burschener  zu  vergleichen  Gelegenheit  hatte,  möchte 
ich  mich,  ohne  dabei  die  Möglichkeit  eines  höheren  Alters  zu  bestreiten,  mehr  für  das 
nächstfolgende  Jahrhundert  entscheiden.  Bestimmend  für  mich  ist  dabei  der  Mangel 
eines  Chores  oder  wenigstens  einer  Chornische,  die  bei  älteren  Kirchen  des  Ostens 
fast  immer  vorhanden  sind.  Auch  der  Turm  steht  hei  diesen  meistens  unsymmetrisch 
zur  Axe  des  Bauwerks. 

•)  Riedel.  Cod.  dipl.  Brand.   Abt.  A,  Bd.  XXIV,  S.  75. 

•*)  Derselbe  König,  von  dem  der  polnische  Geschichtsschreiber  Dlugosz  rühmt, 
dass  er  Polen  von  Holz  überkommen  und  von  Stein  hinterlassen  habe. 


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Die  Blockbaukirche  in  Burschen. 


103 


zu  Kutschiaa  und  Kalzig  bei  Züllichau.  Die  erstere,  aus  Ziegeln  im 
Format  9:13:28  cm  erbaut,  liisst  noch,  besonders  an  den  grossen 
Spitzbogenfenstern  und  dem  entwickelten  Sterngewölbc  die  Bau  Über- 
lieferung der  Gotik  erkennen,  während  die  andere  durch  das  nachlässige 
Feld-  und  Ziegelsteinmauerwerk  auf  eine  noch  spätere  Zeit  hinweist- 
Beide  sind  mit  Schindeln  gedeckt.  Die  weit  grössere  Anzahl  der 
benachbarten  Kirchen  besteht  aus  Faehwerk,  welches  ohne  besondere 
Kunst  errichtet  ist.  Es  scheint,  als  ob  die  Unruhen  des  17.  und  18.  Jahr- 
hunderts für  viele  Holzbauten  des  Kreises  verhängnisvoll  geworden  seien. 

Bergan  erwähnt  in  seinem  Inventar  von  den  hier  in  Betracht 
kommenden  Kirchen  nur  die  von  Klemzig  bei  Züllichau.  Von  ihr  sagt 
er,  dass  sie  „ein  Ziegel-  und  Holzbau  aus  verschiedenen  Zeiten1*  sei. 
Die  höchst  malerische  Kirche  ist  zum  grössten  Teil  als  Fachwerk  er- 
richtet: nur  die  West-  und  Ostseite  sind  massiv  und  mit  Brettern 
bekleidet.  Neuerdings  ist  auch  die  nördliche  Sakristei  in  Mauerwerk 
aufgebaut.  Der  Stäuderturm  ist  allein  in  der  oben  beschriebenen  Weise 
aus  Holz.  Da  Bauformen  und  die  Technik  der  älteren  Teile  sie  in  das 
Ende  des  Mi.  Jahrhunderts  verweisen,  sie  überdies  keim«  Spur  von 
Blockbau  zeigt,  so  scheidet  sie  hier  für  die  Altersbestimmung  der 
Bursehener  Kirche  als  unwesentlich  aus.*) 

Technisch  und  stilistisch  unmittelbar  mit  der  Kirche  von  Burschen 
zusammengehörig  ist  allein  nur  die  etwa  30  km  südöstlich  auf  posenschem 
Gebiete  gelegene  Kirche  von  Kuschten  bei  Bomst.  Obgleich  vielfach 
ausgebessert  und  vielleicht  auch  jünger,  bildet  sie  in  der  Nachbarschaft 
Burschens  den  letzten  Best  des  kirchlichen  Blockbaues.  Abgesehen  von 
der  neuerdings  im  Osten  angebauten  hölzernen  Sakristei  ist  sie  in  ihrem 
ältesten  Teil,  dem  Chor  und  Kirehenhaus,  in  gleicher  Weise  gebaut, 
obgleich  er  vielfach  Spuren  einer  späteren  Ergänzung  der  schadhaften 
Balken    zeigt.*"1)     Augenblicklich    fehlen    mir    für   eine   nähere  Zeit- 


*;  Mündliche  Überlieferung  weiss  hin  und  wieder  von  Blockkirchen  zu  be- 
richten, die  noch  vor  einem  Mcnschcnalter  vorhanden  waren.  So  ist  mir  Ladjewitz 
hei  Dürleltel  und  Meddcr  wiese  unweit  des  oben  erwähnten  Eschbruch  genannt 
worden.  Es  wird  sich  ein  Zusammenhang  zwischen  diesen  Kirchen  und  dem  Block- 
bau des  Bauernhauses  nicht  abweisen  lassen,  der  noch  heute  in  den  genannten 
Geilenden  vereinzelte  Repräsentanten  aufweist.  Aus  den  höher  kultivierten  und 
trocken  gelegeneren  (ielilnden  mit  ihren  Fachwerk-  und  Ziegelbauten  hohen  sich  die 
Niederungen  der  Oder,  der  Warthe  und  der  faulen  Ohra  durch  die  Blockhituser  deutlich 
ab,  obwohl  ihr  Zusammenhang  schon  hingst  durch  Eindringen  des  fränkischen  Fach- 
werkbaues  gelockert  ist.  Namentlich  zeigt  das  südlich  Schwiebus  gelegene  Oderthal 
noch  viele  und  gute  Beispiele  dieses  Blockbaucs. 

•*)  Die  Ergänzung  ist  in  der  Art  erfolgt,  dass  man  Teile  der  alten  Balken  heraus 
schnitt  und  neue  an  diese  Stelle  legte. 


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104 


Robert  Mielke;  Die  ßlockbaukirehe  i«  Burschen. 


bestimmung  die  geschieht) iclion  Hinweise;  vermutlieh  gehört  sie  in  das 
15.  Jahrhundert,  denn  die  unmittelbar  benachbarte  zu  K  las ta  wo  ist,  ob- 
wohl sie  im  Grundriss  und  in  einzelnen  Formen  ein  weit  altertümlicheres 
Gepräge  zeigt,  wahrscheinlich  jünger.  Das  geht  aus  der  Technik  hervor, 
die  lediglich  Fachwerk  bevorzugt,  dieses  aber  mit  senkrechten  Brettern 
aussen  verkleidet  hat. 

Ist  also  der  Bloekbaukircho  zu  Burschen  ein  in  die  älteste  Zeit 
des  märkischen  Kirchenbaues  zurückgehendes  Alter  nicht  zuzusprechen, 
ist  sie  auch  jünger  als  die  schönen  Kirchen  gleicher  Technik  in  Ober- 
schlesien,  die  bisweilen  in  das  14.  Jahrhundert  zurückgehen,  so  behält 
sie  doch  in  der  Kunstgeschichte  der  Mark  ihren  Wert  als  einziges 
sicheres  Denkmal  des  vollendeten  Blockbaues. 


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Flachsbau  und  Leinwandweberei. 

Von  Lange. 


Flachsbau  und  damit  verbundene  Leinwand  Weberei  standen  in 
vielen  Gegenden  unseres  Vaterlandes  vor  einein  halben  Jahrhundert 
noch  in  hoher  Blüte  und  gaben  den  Bewohnern  neben  schwerer  Arbeit 
guten  Verdienst.  Heute  dagegen  liegt  dieser  Erwerbszweig,  weil  er  oben 
nicht  mehr  lohnend  genug  ist,  sehr  darnieder  oder  ist  wohl  gänzlich 
eingegangen  und  der  jetzigen  Generation  unbekannt. 

Erklärte  mir  doch  erst  kürzlich  ein  junger  Mann,  dass  er  nie  ein 
blühendes  Flachsfeld  gesehen,  auch  von  den  Geräten,  die  bei  Be- 
arbeitung des  Flachses  und  bei  Herstellung  der  Leinewand  gebraucht 
werden,  keine  Kenntnis  habe.  Es  dürfte  darum  wohl  an  der  Zeit  sein 
von  den  Geräten,  die  in  den  einzelnen  Gegendon  verschieden  waren, 
noch  zu  sammeln  und  herbei  zu  scharten  was  irgend  möglich  ist  und 
den  Museen  zu  Nutz  und  Frommen  der  Mit-  und  Nachwelt  zur  Aut- 
bewahrung zu  überweisen.  In  den  Rumpelkammern  und  auf  den  Dach- 
böden lindet  man  noch  manches  wertvolle  Stück,  was  obigen  Zwecken 
gedient  hat  und  noch  wert  ist,  erhalten  zu  werden. 

Das  Säen  des  Flachssamens  (Lein)  fällt  in  die  erste  Woche  des 
Wonnemonats  auf  gut  hergerichtetem,  nicht  allzu  leichtem,  auch  nicht 
allzu  schwerem  Boden,  nachdem  der  Samen  auf  der  Leinklapper  vom 
Unkraut  gereinigt  worden  ist. 

Ist  die  Saat  gut  aufgegangen  und  «las  Pflänzloin  -1—5  cm  hoch, 
dann  geschieht  das  Ausjäten  oder  Wieten  des  Unkrautes  und  in  langen 
Reihen  sieht  man  die  Arbeiter  knieeud  neben  einander  auf  den  Flachs- 
feldern beschäftigt.  Das  dabei  niedergedrückte  Pllänzchen  richtet  sich 
alsbald  wieder  empor,  wächst  bei  günstiger  Witterung  üppig  und  kommt 
bald  zur  Blüte.  Der  gefährlichste  Feind  und  »1er  Schrecken  der  Anbauer 
des  Flachses  ist  die  Flachsseide,  Guscuta  Epilinum,  ein  Würger  und 
Schmarotzer,  der  nicht  nur  einzelne  Stellen,  sondern  oft  ein  ganzes 
Flachsfeld  vernichtet.  So  traurig  und  beklagenswert  diese  Erscheinung 
ist,  so  prächtig  und  erhebend  ist  aber  der  Anblick  eines  blühenden 
Flachsfeldes.  Man  kann  sich  nicht  satt  sehen  an  dem  blauen  Blüten- 
meero  und  wenn  der  Wind  darüber  hinstreicht  ist  es,  als  ob  Welle  an 
Welle  leise  an  uns  vorüberzieht.  Welche  Freude  für  den  glücklichen 
Besitzer! 


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106 


Lange: 


Kommt:  nun  die  Ernte,  Anfangs  August,  dann  beginnt  die  müh- 
selige Arbeit  und  hört  nicht  eher  auf,  bis  die  Leinewand  die  Bleiche 
verlä sst  und  entweder  zum  Selbstgebrauch  genommen  wird  oder  in  die 
Hände  des  Händlers  übergeht. 

Die  Ernte  des  Flachses  geschieht  nicht  etwa  mit  der  Sichel  oder 
Sense  durch  Abschneiden  der  einzelnen  Stengel,  sondern  durch  Ausziehen 
derselben  mit  der  Hand,  wobei  sorgfältig  darauf  geachtet  wird,  dass 
nicht  Unkräuter  dazwischen  geraten.  Der  Flachs  wird  nun  in  grössere 
Hunde  gebunden  eingebracht  und  gerecht,  d.  h.  die  endständigen  Samen- 
kapseln von  den  Stengeln  entfernt.  Die  Kapseln  werden  sodann  auf 
grossen  Laken  ausgebreitet  um  zu  trocknen,  dann  gedroschen  und  der 
Leinsamen  gewonnen.  Von  demselben  wird  ein  Teil  in  die  Ölmühle  zur 
Gewinnung  des  Öles  gebracht  und  der  übrige  Teil  zur  Saat  für  das 
nächste  Jahr  aufbewahrt.  Das  Öl  wird  zum  Brennen  auf  der  Lampe, 
auch  als  Fett  in  der  Küche  und  Bäckerei  (Pfannenkuchen)  benutzt. 

Der  Flachs  wird,  nachdem  die  Samenkapsel  entfernt,  in  kleinere 
Bündel  gebunden  und  in  die  Röte  gebracht,  liierunter  versteht  man 
«las  Einlegen  der  Flachsbündel  in  Wasser,  um  dieselben  darin  ungefähr 
14  Nächte,  nach  Nächten  wird  die  Zeit  gezählt,  rosten  oder  rotten  zu 
lassen,  damit  der  Stengel  mürbe  wird  und  der  umschliessende  Bast  sich 
leichter  lösen  lässt.  Ist  die  Zeit  des  Uötens  vorüber,  wird  der  Flachs 
aus  dem  Wasser  genommen  und  zum  Trocknen  auf  dem  Felde,  am 
liebsten  Stoppelfeld,  ausgespreitet.  Bei  abwechselndem  Regen  und 
Sonnenschein,  und  unter  Mitwirkung  des  Taues  ist  dies  Verfahren  so 
gut  wie  eine  halbe  Bleiche,  denn  der  Bast  bekommt  dadurch  eine 
schöne  weissliche  Färbung.  Zum  völligen  Nachtrocknen  kommt  dann 
der  Flachs  in  vorher  erwärmte  Öfen  (Backöfen),  und  gelangt  von  hier 
auf  die  Brake  oder  den  Brecher.  Dies  Gerät  dient  dazu,  den  Stengel 
nicht  nur  in  kleinere  Teilchen  zu  zerbrechen,  sondern  dieselben  auch 
teilweise  vom  Baste  zu  entfernen.  Das  letzte  Verfahren,  um  die  zer- 
kleinerten Stengelteilchen  gänzlich  zu  beseitigen  und  den  Bast  rein  zu 
erhalten,  ist  das  Schwingeln  oder  Schwingen,  eine  Arbeit,  die  mit  viel 
Gewandheit  und  Geschick  gehandhabt  sein  will,  will  man  sich  gegen 
Beschädigung  der  Hände  sichern.  Das  hierzu  verwandte  Gerät  ist  der 
Schwingelbock  und  die  Schwinge. 

Als  letzte  Arbeit,  um  den  Flachs  für  das  Spinnrad  herzurichten, 
ist  das  Hecheln  anzusehen.  Auch  hier  ist  Vorsicht  und  Geschick  er- 
forderlich, um  sich  gegen  Verletzungen  zu  sichern,  doch  aber  hatten 
einige  Frauen  durch  stete  Übung  in  dieser  Beschäftigung  eine  so  grosse 
Fertigkeit  erlangt,  dass  sie  darin  zu  einer  Berühmtheit  geworden,  gerne 
bevorzugt  und  beschäftigt  wurden.  Das  Hecheln,  Gerät  Hechel,  bezweckte 
die  Reinigung  von  dem  gröberen  und  kürzeren,  Heede  oder  Werg,  und 
dem  feineren  und  längeren,  dem  eigentlichen  Flachse.    Dieser  wurde 


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Flachsbau  und  Leinwandweberei. 


107 


handvollweise  zusammengelegt,  gedreht  und  gewunden  und  dann  an  den 
beiden  spitzen  Enden  geknotet,  welche  Bündeln  man  Knocken  nannte, 
welche  auf  Stangen  gereiht  nun  der  weiteren  Verarbeitung  auf  dem  Spinn- 
rade entgegensahen. 

Das  Spinnrad,  eine  segensreiche  Erfindung  des  Braunschweiger 
Bürgers  Jürgen,  hat  die  Spindel  verdrängt,  die  Herstellung  des  Garnes 
nicht  nur  vereinfacht  und  erleichtert,  sondern  auch  die  Hebung  der 
Leinwandindustrie  sehr  gefördert.  Eine  Geschichte  des  Spinnens  geben 
zu  wollen,  kann  nicht  meine  Absieht  sein,  nur  will  ich  daran  erinnern, 
dass  zu  dem  einspuligen  Spinnrade  bald  ein  zweispuliges  hinzukam. 
Die  Handhabung  resp.  völlige  Ausnutzung  dieses  Geräts  hatte  ihre 
Schwierigkeiten,  war  aber  die  Fertigkeit  darauf  zu  spinnen  erst  erlangt, 
so  wurde  auch  fast  das  doppelte  geleistet.  Die  zweispuligen  Räder 
scheinen  nicht  überall  verbreitet  gewesen  zu  sein,  ja  in  einigen  Gegenden 
waren  sie  völlig  unbekannt.  Die  Altniark  machte  hiervon  jedoch  eine 
recht  rühmliche  Ausnahme.  Das  Spinnen  wurde  nicht  nur  von  dem 
Weiblein  allein  ausgeübt,  nein,  Männloin  und  Kinder  wurden  dazu  heran- 
gezogen; denn  Leinewand,  wozu  das  Garn  von  Kindern  unter  7  Jahren 
gesponnen,  zu  Hemden  verarbeitet,  sicherten  das  Leben  der  Soldaten  im 
Kriege  gegen  Stich  und  Kugel,  machte  ihn  also  unverwundbar. 

Die  Spinnstuben,  jeno  abendlichen  Zusammenkünfte  der  Spinner  und 
Spinnerinnen,  haben  neben  manchen  Unzuträglichkeiten  doch  auch  ihr 
Gutes  gehabt,  namentlich  wenn  die  betreffende  Hauswirtin  als  Patriarchin 
auftrat  und  ihres  Amtes  gehörig  zu  pflegen  verstand.  Ein  erfreulicher 
Wetteifer  in  der  Arbeit  war  nicht  zu  verkennen,  und  zur  Unterhaltung 
wurden  kleine  Geschichten  erzählt,  auch  wohl  vorgelesen  und  Volks- 
lieder gesungen.  *) 

Ist  Flachs  und  Heede  aufgesponnen,  dann  beginnt  das  Weben, 
wozu  der  Webstuhl,  Webetau  (webe  zu)  benutzt  wurde.  Das  Weben 
selbst  wurde  in  vielen  Gegenden  von  den  Hausfrauen,  ältesten  Töchtern 
und  Mägden  besorgt,  während  in  anderen  Gegenden  gelernte  "Webe- 
meister  sich  damit  beschäftigten.  Die  erste  oder  Grossmagd  erhielt  ge- 
wöhnlich für  diese  besondere  Arbeit  als  Anerkennung  entweder  ein 
ansehnlich  Stück  Leinewand  oder  ein  mit  Leinsamen  besätes  Stück 
Ackerland  zu  ihrer  Verfügung.  Die  Bearbeitung  dieses  Flachsstückes 
wurde  von  den  Anverwandten  besorgt.  Das  Aufbringen  oder  Aufziehen 
des  Garnes  auf  den  Webebaum  erforderte  eine  eigene  Berechnung  in 


*)  Als  Lesestoff  dienten  die  Geschichten  der  h.  Genoveva,  der  hörnerne  Sieg- 
fried, Dornröschen,  Till  Eulenspiegel  u.  s.  w.  Das  Volkslied:  „Wilhelm,  komm  an 
meine  Seite  ti.  s.  w."  habe  ich  in  meiner  Jugend  in  der  Spinnstube  oft  gehört  und 
mich  gefreut,  als  ich  es  in  einem  früheren  Jahrgang  de«  „Bar"  wieder  fand.  In  der 
Uckermark  wurde  es  auch  beim  Tabakaufziehen  gesungen. 


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108 


Lange:  Flachsbau  und  Leinwand weberei. 


Bezug  auf  Länge,  Breite  und  Beschaffenheit  des  zu  webenden  Stückes. 
Es  wurden,  namentlich  in  der  Altmark,  nicht  nur  Stoffe  zur  Anfertigung 
von  Leibwäsche,  Tisch-  und  Handtüchern  gewebt,  sondern  auch  solche 
Stoffe,  die  sich  zur  Herstellung  von  Bekleidungsgegenständen  cils:  Böcke, 
Hosen,  Westen  und  Jacken  eigneten  und  durch  vorzügliche  Dauer- 
haftigkeit berühmt  waren.  Bis  zum  Buss-  oder  Bettag  musste  das 
Weben  beendet  und  der  Wehestuhl  an  die  Seite  gebracht  sein,  denn 
nun  begann  das  Auslegen  der  Leinewand  auf  die  Bleiche,  die  letzte 
mühevolle  Arbeit.  War  auch  diese  gethan,  so  wurde  das  sorgsam 
aufgerollte  Leinenzeug,  welches  zum  Verkauf  bestimmt  war,  für  den 
Händler  zurückgelegt,  der  übrige  Teil  aber  in  die  Kisten  nnd  Kasten 
der  Hausfrau  aufgestapelt,  welche  nicht  wenig  stolz  war  auf  diesen 
erworbenen  Schatz.  Weiss  wohl,  dass  es  anders  worden  in  dieser 
neueren  Zeit!  — 


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Der  Barzlin  im  Spreewald. 

Von 

Sanitatsrat  Dr.  Robert  Behla. 

Der  eigenartige  Spreewald  bietet  nicht  nur  ein  grosses  landschaft- 
liches und  ethnologisches  Interesse  dar,  auch  in  archäologischer  Be- 
ziehung erweist  sich  derselbe  bekanntlich  sehr  bedeutungsvoll.  Der 
Gedauke,  dass  dieser  Landstrich  in  alter  Zeit  ein  ganz  unzugänglicher 
Sumpf  gewesen  sei,  ist  abzuweisen.  Die  zahlreichen  prähistorischen 
Funde  lehren,  dass  der  Spreewaldsbezirk  schon  ziemlich  früh  von 
Menschen  bewohnt  worden  ist,  nicht  überall,  aber  einzelne  über  die 
Wiesenniederung  hervorragende  natürliche  Sanddünen  luden  dazu  ein. 
Ich  erinnere  z.  B.  an  den  zwischen  Burg  und  Struupitz  gelegenen  Zaucher 
Berg,  den  von  Sehulenburg  in  den  Niederlausitzcr  Mitteilungen  be- 
schrieben hat  (II.  Heft,  S.  35K).  Schon  längst  war  es  meine  Absieht, 
dem  nördlich  von  Lübbenau  gelegenen  vorgeschichtlichen  Hügel  Barzlin, 
einer  durch  zahllose  Gefässtrümmer  ausgezeichneten  Fundstätte  einen 
Besuch  abzustatten  und  «Uesen  auf  prähistorische  Einschlüsse  näher  zu 
untersuchen,  als  sich  im  Sommer  lS'.Mi  Gelegenheit  dazu  bot.  Ich  wählte 
meine  Fahrt  bei  schönstem  Wetter,  Lehde  passierend,  über  die  WotschotVkn, 
welche  ostlich  von  Lübbenau  gelegen  ist,  um  diese  neue  schöne  Schöpfungdcs 
unermüdlichen  Spreewaldvereins  näher  kenneu  zu  lernen.  Man  bewundert 
hier,  wie  Kunst  und  sinnige  Menschenhand  den  Beiz  der  landschaftlichen 
Natur  zu  erhöhen  vermocht  hat.  Wahrlich  ein  herrlicher  Anziehungs- 
punkt für  Spreewaldtouristen  ist  hier  erschlossen  worden,  eine  neue 
Spreewaldblume  in  dem  lieblichen  Gelände  erblüht.  Stattlich  und  ein- 
ladend liegt  es  da  das  holzgefügte  Gasthaus  mit  der  geräumigen 
Veranda  und  dem  weiten  Vorgarten.  Wotschofska  bietet  das  Angenehme, 
nicht  blos  auf  laubengleich  beschatteten  Gräben  schwankenden  Kahnes 
in  die  Umgehung  zu  steuern,  sondern  auch  zu  Fuss  dahinzuwanderii 
auf  schön  gepflegten  Spaziergängen,  durch  die  jungen,  grünen  Baum- 
ptlanzuugen,  über  hochragende  luftige  Brücken  hinweg,  lauschige  Busch- 
partieen  und  entzückende  Ausblicke  gewährend  in  die  benachbarte 
Spreewaldlandschaft.  Nur  ungern  trennte  ich  mich  von  diesem  Herz 
und  Körper  erquickenden  Plätzchen,  dessen  Zauber  noch  lange  nachklang 
in  der  Erinnerung,  als  ich  wieder  weitersteuerte  in  die  flache  Wiesen- 


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Iii) 


SanitiUsrat  Dr.  Robert  Behla: 


niederung  hinein,  welch»'  zur  Zeit  landschaftliche  Schönheit  nicht  darbot. 
Das  Gras  war  gemäht,  lag  trocken  geworden  in  langen  Reihen,  Heu- 
schober türmten  sich  auf,  hochbepaekte  heubcladene,  oft  zu  zweien  zu- 
sammengebundene Kähne  fuhren  vorbei.  Der  Blick  glitt  weithin  auf 
die  eintönigen,  gelblichen  Wiesentläehen,  nur  das  muntere  Spiel  zahl- 
loser blaugcflügelter  Libellen,  sowie  gelbe  und  weisse,  träumerisch 
blickende  Teichrosen  erfreuten  «las  Auge. 

Nach  einer  Stunde  war  ich  am  Zielpunkt  meiner  Fahrt  und  vor 
mir  lag  eine  ca.  1:*  Morgen  grosse,  fast  kreisrunde,  ca.  1  Meter  über 
die  Wiesentläehe  hervorragende  dünenartige  Insel.  Ich  stieg  ans  Land. 
Die  Bodeuerh» »hung  wird  jetzt  fast  durehweg  zu  Gartenkulturen  benutzt 
und  ist  Besitztum  des  Herrn  Fr.  Klepsch,  eines  Bruders  des  Herrn 
Bürgermeister  Klepsch  in  Lübbenau.  Letzterem  bin  ich  noch  zu  grossem 
Danke  verpflichtet,  insofern  er  mir  vor  meiner  Abfahrt  aus  der  Stadt 
sehr  schätzenswerte  Mitteilungen  über  diese  Lokalität  machte.  Mit 
gütiger  Erlaubnis  betrat  ich  die  einzelnen  Fehler,  und  die  Oberfläche  des 
Bodens,  zwischen  den  Gurken-  und  Kartoftelpflanzen  etc.,  zeigte  sich 
wie  übersäet  mit  Kesten  der  Vorzeit.  Ich  fand  zahlreiche  graue,  mit 
Kiesbrockeu  versehene,  sogenannte  slavischc  Gefässtrüinmer  mit  um- 
gelegten Rändern,  von  weiter  Mündung,  mit  flachem  Boden.  Unter  den 
Ornamenten  erkannte  man  zuweilen  mit  einer  Tzinkigen  Gabel  eingeritzte 
Wellenlinien,  zirkuläre  Streifen,  stempelförmige  Eindrücke,  eingedrückte 
l'unktlinieu,  Guirlundeu  von  eingedrückten  Kreisen,  auch  Linien  vou 
4  eckigen  Eindrücken.  Ein  besonderes,  dieser  Lokalität  speeifisches 
Ornament  trat  nicht  hervor,  die  Gesamtverzierung  der  überwiegend 
slavischen  Scherben  entsprach  im  allgemeinen  derjenigen,  die  sonst  auf 
Lausitzer  Rundwällen  slavischen  Ursprungs  üblich  ist.  Von  diesen 
Überbleibseln  wendischer  Töpferei  konnte  ich  in  kurzer  Zeit  sehr  viele 
und  gute  Specimina  sammeln. 

Gelegentlich  einer  Eingrabung  an  einer  nordwärts  gelegenen  Stelle 
repräsentierten  sich  in  der  oberen  Schicht  Thoufragmente  der  soeben  be- 
schriebenen Beschaffenheit  und  Ornamentik;  in  ca.  1  Meter  Tiefe  stiess 
ich  auf  eine  nässige  schlickige  Schicht,  weicht'  durchsetzt  war  von 
Scherben  ganz  anderer  (Qualität  und  Verzierung,  sogenannten  vor- 
slavischen  oder  germanischen  Trüiniuerresten.  Diese  Stücke  waren  ge- 
glättet, leicht  glänzend,  mit  Henkeln  versehen,  hatten  nach  oben  um- 
gelegte Ränder,  zeigten  geometrisch  angeordnete  breite  lineare  Eindrücke, 
auch  Vorsprünge  unter  dem  Rande  mit  stachelförmigen  Eindrücken, 
kurz  glichen  im  allgemeinen  den  Gelassen  der  Urnenfelder  mit  Thou- 
gefässen  des  Lausitzer  Typus,  wie  ich  sie  in  meinen  „ Urnenfriedhöfen u 
näher  beschrieben  habe.  Ich  bemerke  ausdrücklich,  dass  vollständig 
erhaltene  Gefässe  von  mir  nicht  zu  Tage  gefordert  wurden.  Es  wäre 
sehr   interessant,  darüber  sicheres  zu  erfahren,   ob  hier  in  frühereu 


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Der  Barzlin  im  Spreewald. 


111 


Jahren  auch  unversehrte  Gefasso,  welche  gebrannte  Knochen  bälgen, 
ausgegraben  wurden,  d.  I).  wirkliche  Urnen. 

An  vielen  Stellen  der  Oberfläche  des  Barzlin  sieht  man  beide 
Arten  von  Scherben  gemischt,  da  der  ßoden  durch  häufiges  Umgraben 
durcheinander  geraten  ist.  Mehr  nach  der  Tiefe  aber  tritt  überall  die 
charakteristische  Schichtung  hervor. 

Ausser  diesen  massenhaften  Scherben,  die  dem  Arbeiter  das  Graben 
ungemein  erschweren,  konstatierte  ich  auch  mehrfach  Feldsteine,  zuweilen 
pflasterartig  angeordnete  Lagerungen.  Manche  dieser  Steine  machten  den 
Eindruck,  dass  sie  lange  einem  heftigen  Feuer  ausgesetzt  waren.  Die 
Umgebung  des  Barzlin  ist  ganz  steinarm.  Dieselben  müssen  also  aus 
weiterer  Umgebung  hierher  transportiert  sein.  —  Es  kamen  mir  auch 
zu  Gesicht  blasig  aufgetriebene  bimsteinartige  Scherben,  wie  ich  sie  in 
meinen  „vorgeschichtlichen  Hund  wällen"  (S.  N)*)  näher  beschrieben 
habe.  Dieselben  sind  ohne  Zweifel  durch  abermaliges  Brennen  im  an- 
haltenden, heftigen  Feuer  entstanden.  Besonderes  Interesse  erregten  mir 
einzelne  flache  runde  Thonstückehen  von  der  Grösse  eines  Ein-  oder 
Zweimarkstücks,  die  zweifellos  durch  Abbrechen  oder  Abschleifen  her- 
gestellt sind.  Man  hat  derartig*;  auch  auf  dem  Burger  Schlossberg  aus- 
gegraben. Sie  entstammen  der  unteren  Schicht.  Vom  Barzlin  ist  auch 
ein  durchbohrter  runder  Scherben  notiert.  Virchow  („Zeitschrift  für 
Ethnologie"  1SS(I.  Verl).  S.  iWo)  und  Siehe  („Vorgeschichtliches  aus  der 
Niederlausitz"  lSSIJ,  S.  41)  machen  aufmerksam  auf  die  Ähnlichkeit 
mit  Geldstücken.  Die  Bedeutung  dieser  Gebilde  ist  noch  nicht  klar. 
Ob  sie  in  der  That  als  Geldstücke  fungierten,  muss  weiterer  Forschung 
vorbehalten  werden.  Ich  stellte  ausserdem  fest  au  Funden:  Holzkohle 
von  Eiche  und  Erle  etc.,  Knochen  von  Kind,  Ziege,  Schaf,  Schwein. 
Diese  Lokalität,  ist  leider  erst  ziemlich  spät  zur  Kenntnis  gekommen. 
Viele  dort  gefundene  Gegenstände  aus  früherer  Zeit  sind  verloren 
gegangen.  Der  Barzlin  ist  untersucht  worden  von  Virchow,  Siehe, 
.Tcntseh  etc.  Aus  der  Literatur  über  den  Barzlin**)  sind  noch  folgende 
Funde  bekannt:  2  Spinnwirtel  (1  aus  Thon,  I  aus  Sandstein),  gesägte 
Hirschgeweihe,  gelegentlich  auch  Eisenschlacken,  grosse  Klumpen  mit 
Sumpfpflanzen  durchkneteten],  gebranntem  Lehm;  auch  2  bronzene  llohl- 
kelte  stammen  von  hier;  der  grössere***)  ist  10,5  cm  lang,  an  der 
Schneide  4  cm  breit  mit  einer  sehr  weiten,  28  auf  2ö  mm  im  Durch- 


'l  Vgl.  meine  „Vorgeschichtliche  Kundwulle  im  östlichen  Deutschland".  Verlag 
von  Ascher  u.  Comp.    Berlin  lsss. 

*i'>  Literatur  Ober  <len  Barzlin:  Virchow  „Zeitseh.  f.  Ethnologie",  Verh.  JnSO. 
S.  MS.  —  Söhncl  „Die  Kundwalle  der  Niederlausitx",  S.  2:5.  Behla  „Die  vorgeschicht- 
lichen Rundwalle  im  östlichen  Deutschland",  S.  108.  —  Siehe  „Vorgeschichtliches  aus 
der  Niederlausitz",  8.  41. 

cf.  „Zeitschr.  f.  Ethnologie",  Verhandl.  1882.  S.  380. 


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11L> 


Suuitätsrnt  Dr.  Hubert  Behla: 


messer  haltenden,  Öffnung  und  einer  seitlichen  Öse  versehen  und  auf 
der  Fläche  mit  grossen  Höhenlinien  verziert.  Der  andere  ist  etwas 
kürzer  und  dicker  mit  leicht  vorspringendem  Knude,  aber  sonst  ganz 
ähnlich  etc. 

Fasst  man  alles  zusammen,  besonders  auch  im  Hinblick  auf  die 
kohlig-schwarze,  von  der  Umgebuni'  der  Wiesenfläche  sich  unterscheidende 
Erde,  so  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  hier  eine  alt«'  Siedehmg  aus 
prähistorischer  Zeit  vorliegt,  die  bis  in  die  germanische  Zeit  v.  Chr.  Geb. 
zurück-  und  bis  in  die  slnvisehe  Zeit  hineinreicht.  Diese-  Stätte  ist  auf 
einer  ursprünglichen  Sauddüne  künstlich  erhöht.  Es  fragt  sich  zunächst, 
war  es  eine  bewohnte  Stätte?  Der  Name  giebt  uns  keinen  Aufseh luss. 
Seine  Deutung  ist  unsicher:  man  schreibt  Barzlin,  Batzlin,  Barzcllin  etc. 
Von  Herrn  ( "rerichtssekretiir  ( iottschalk  in  Lübbenau  wurde  mir  gesagt,  dass 
mauclie  das  Wort  aus  dem  Wendischen  ableiteten  und  dass  der  Name  mit 
dem  Brüllen  des  Kindes  in  Verbindung  gebracht  wurde.  Sollte  darin  nicht 
aber  auch  ein  verstümmeltes  „lehn*  analog  Burglchn  bei  laibben  stecken? 
.Jede  weitere  Mitteilung  darüber  wird  mit  Dank  entgegengenommen  werden. 
Jedenfalls  ist  es  interessant,  dass  dieser  Wall  einen  eigenen  Namen  hat. 
Es  sei  hier  daran  erinnert,  dass  anderweitig  auch  Kundwälle  sich  eines 
eigenen  Namens  erfreuen.  Am  l'enzliner  See  beim  Dorfe  Werder  heisst 
noch  heute  ein  Burg  wall  Badegast.  Auf  der  Feldmark  Wischendorf  im 
alten  Land  Datzow c  liegt  ein  Burgwall  des  Namens  Ilackenwall,  der 
Burgwall  bei  Buschendorf  unweit  Malchow  heisst  Wiwerberg  etc.  (cf. 
meine  Kundwälle  S.  •"><>.) 

Ich  bin  nicht  der  Ansicht,  dass  der  Barzlin  dereinst  eine  Wohn- 
oder Dorfstätte  gewesen  ist,  wie  ich  überhaupt  der  Hypothese  nicht 
huldige,  dass  die  Kundwälle  früher  ständig  bewohnt  waren.  Im  all- 
gemeinen können  alle  die  Gegenstände,  welche  mau  für  Zeugen  von 
Haushaltungen  hält,  dorthin  verschleppt  worden  sein  —  in  Zeiten  der 
Not.  So  eine  Kesselaulagc  war  eine  Ablagerungsstelle  für  alles  mögliche. 
Und  passiert  es  nicht  heute  noch,  dass  die  Menschen  in  Kriegszeiten 
nach  Schlupfwinkeln  fliehen,  Geräte  mitnehmen,  dort  kochen  etc.  und 
schliesslich  vielerlei  Dinge  absichtlich  oder  zufällig  dort  zurückbleiben? 
Nehmen  wir  einmal  Lehmklumpen  mit  I  lolzabdrücken.  Sind  diese 
wirklich  ein  absoluter  Beweis  dafür,  dass  in  prähistorischer  Zeit  dort 
eine  Hütte  oder  ein  Haus  stand?  Nein.  In  dem  Borchelt  bei  Freesdorf 
kann  sich  jeder  davon  durch  den  Augenschein  heute  noch  'überzeugen, 
dass  alles  mögliche  Material,  darunter  auch  Lehmklumpen  enthaltender 
Brandschutt,  zum  Aufbau  verwendet  worden  ist.*)  Sodann,  welches  ist 
das  charakteristische  Zeichen,  dass  die  im  Barzlin  gefundenen  Lehiu- 
klumpen    mit   Holzabdrücken    prähistorischer  Zeit   entstammen?  Ein 

♦)  Vgl.  „Mitteilungen  des  Vereins  für  die  Geschichte  Berlins"  1895,  N.  (5,  GO. 


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Der  Barzlin  im  Spreewald. 


113 


Lehmklumpen  als  Hausbewurf  von  heute  sieht  nicht  anders  aus  als  ein 
solcher  aus  früherer  Zeit.  Und  gerade  vom  Barzlin  ist  es  bekannt, 
dass  im  Anfang  dieses  Jahrhunderts  dort  Lehmscheunen  und  Ställe  ge- 
standen haben.  .  Der  Barzlin  zeigt  heute  keine  Uinwallung  mehr;  er 
gleicht  in  der  Hinsicht  sehr  dem  mitten  im  Moor  gelegenen  Rundwall 
bei  Gossmar  unweit  Luckau.  Aber  es  giebt  eine  grosse  Zahl  «lieser  An- 
lagen, wo  die  Kesselnatur  ganz  erhalten  ist.  Schon  a  priori  kommt  man 
zu  theoretischen  Bedenken,  dass  diese  im  Zentrum  vertieften  Wälle 
ständig  bewohnt  waren.  Sie  sind  das  denkbar  unwohnlichste.  In  dem 
wenig  umfangreichen  Raum  muss  sich  uaturgemäss  bei  starken  Regen- 
güssen das  Wasser  in  der  Mitte  ansammeln,  der  Schnee  anhäufen,  beim 
Aufthau  das  Innere  mit  Wasser  füllen  etc.  Viele  Anlagen  sind  bekanntlich 
sehr  klein.  Kein  praktischer  Landmann  kann  sich  darauf  einen  Wohnungs- 
raum  für  Haus-  und  Viehwirtschaft  vorstellen.  Dazu  kommt,  dass  es 
vom  Garzer  Rundwall  auf  Rügen  ausdrücklich  heisst,  er  war  in  Friedens- 
zeiten unbewohnt  (ut  pacis  tempore  desertns).  Diese  Notiz  ist  sehr 
wichtig.  —  Eine  andere  Notiz  dagegen,  die  bekannte  Mitteilung  des  Ibrahim 
ihn  Jacub  über  den  Burgenbau  der  Slaven,  passt  nach  meiner  Ansicht 
garnicht  auf  die  Hund  wälle.  Damit  sind  wirkliche  Burgen  gemeint,  die 
mit  Graben  und  Brücke  versehen  waren,  wie  man  sie  vereinzelt  noch 
heute  in  der  Lausitz  trifft  z.  B.  Fürstlich  Drehna  (Kreis  Luckau),  Ukro 
(Kreis  Luckau).  Hier  ist  noch  Wassergraben  und  Brücke  vorhanden. 
Ich  streife  hier  nur  diesen- Punkt  und  verweise  des  Näheren  auf  meine 
Auseinandersetzungen  (Rundwälle,  S.  47). 

Dass  die  Rnndwälle  vorübergehend  als  Zufluchtsstätten  gedient 
haben,  diese  Ansicht  lasse  ich  gelten,  sie  ist  mehr  als  wahrscheinlich. 
Zeigt  uns  dies  doch  das  Beispiel  Arkonas  und  Garz,  zweier  Wallanlagen, 
die  im  Frieden  dem  Kultus  dienten,  im  Kriege  zu  Zufluchtsstätten 
wurden.  Aber  dies  ist  nicht  der  eigentliche  wahre  Zweck  dieser  zum 
Teil  sehr  grossartigen  Erdaufhäufungen.  Jeder,  der  diese  Werke  be- 
trachtet, muss  sich  sagen,  dass  vieler  Leute  Hände  dabei  mitgeholfen 
haben.  Das  kann  nicht  blos  von  ersten  Ansiedlern  gemacht  sein.  Der 
Hauptzweck  muss  ein  anderer  gewesen  sein.  Obwohl  ja  eine  ganze 
Reihe  von  Faktoren,  —  der  zum  Teil  sehr  geringe  Umfang,  die  ganz 
uuregelmässige  Lage,  die  Nachbarschaft  von  Näpfchen  und  Schalensteinen, 
die  Nähe  von  Totenfeldern,  die  vielfachen  Sagen,  die  alten  Bezeichnungen: 
„heiliges  Land*,  „heiliger  Steg"  (accessus  lucorum),  die  erhaltenen 
Namen  von  bestimmten  Gottheiten,  die  Errichtung  von  Kirchen  und 
Kapellen  in  der  Bekehrungszeit,  die  Glockensagen  etc.  —  die  Vermutung 
nahe  legen,  dass  diese  Wälle  mit  dem  heidnischen  Kultus  etwas  zu  thun 
haben,  so  muss  doch  zur  Zeit  zugestanden  werden,  dass  ganz  sichere 
zwingende  Beweise  für  diese  Hypothese  vor  der  Hand  fehlen,  insofern 
man  verlangt,  dass  in  ihrem  Innern  vor  allen  Dingen  kulturelle  Gegen- 

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Sanitätsrat  Dr.  Behla: 


stände  zu  Tage  treten  müssten.  Wenn  man  sieh  dies  alles  näher  über- 
legt, so  ist  des  eigentlich  ein  unbilliges  Verhingen.  Gesetzt,  es  waren 
in  Friedenszeiten  Opferwälle,  so  ist  nicht  anzunehmen,  dass  in  diesen 
die  rituellen  Geräte  aufbewahrt  wurden.  Die  „prähistorische  Sakristei", 
wo  dieselben  verwahrt  wurden,  wird  aller  Wahrscheinlichkeit  in  einem 
Hause  des  nahewohnenden  Priesters  ihren  Platz  gehabt  haben.  Von 
dort  wurden  sie  zu  bestimmten  feierlichen  Gelegenheiten  nach  den 
sakralen  Stätten  mitgenommen.  Dazu  kommt,  dass  in  der  Bekehrungs- 
zeit mit  fanatischem  Eifer  alle  Gegenstände,  die  an  das  Heidentum 
erinnerten,  vernichtet,  ins  Wasser  oder  in  den  Sumpf  geworfen  wurden. 
Hölzerne  Götzenbilder  wurden,  wie  wir  an  dem  Beispiel  von  Garz  und 
Arkoua  sehen  —  dort  hat  mau  bekanntlich  bei  einer  Nachgrabung  von 
rituellen  Dingen  auch  nichts  erübrigt  —  verbrannt,  oder  sie  haben  als  ver- 
gängliche Gegenstände  dem  Zahn  der  Zeit  nicht  trotzen  können.  Sei 
dem  aber  wie  ihm  wolle,  man  fragt  sich  immer  wieder,  wo  sind  denn 
die  Stätten,  wo  zur  heidnischen  Zeit  so  viel  geopfert  wurde,  wo  die 
Überbleibsel  von  Tieren,  Pflanzen  und  anderen  Opfern,  die  doch  that- 
sächlich  nach  tausend  faltigen  Notizen  von  Schriftstellern  bestimmten 
Göttern  dargebracht  wurden,  wo  sind  die  heiligen  Inseln  und  die  „sacra 
silvarum"  mit  den  „aceessus  lueorum?"  Der  gesunde  Menschenverstand 
sagt  sich,  dass  es  doch  Stellen  geben  muss,  die  mit  dem  früheren  Kultus 
zusammenhängen.  Dem  übertriebenen  Skepticismus  muss  mau  zurufen: 
Warum  willst  du  weiter  schweifen,  sieh  das  Richtige  liegt  so  nah. 
Manche  Forscher  hält  davon,  an  die  sacrale  Bestimmung  der  Rund- 
wälle zu  glauben,  der  Umstand  ab,  dass  diese  Wälle  jetzt  meist  frei  auf 
wiesigem  Terrain  liegen,  nicht  inmitten  von  Hainen.  Letztere  sind 
höchstwahrscheinlich  verschwunden  im  Laufe  der  Jahrhunderte  und  wer 
sich  davon  einen  Begriff  im  grösseren  Styl  machen  will,  der  fahre  einmal 
nach  dem  Spreewald;  ein  sehr  grosser  Teil  desselben,  die  ganze  Gegend 
zwischen  Lübbenau  und  Leipe,  wo  sich  jetzt  dem  Auge  ebene  Wiesen 
darbieten,  w  ar  noch  vor  verhältnismässig  kurzer  Zeit  starrender  Urwald. 
Also  die  Umgebung  unserer  Kingwälle  kann  sehr  wohl  ehemals  ein 
Ilain  gewesen  sein,  wie  nach  meinen  Beobachtungen  noch  heute  immer 
Quellen  oder  Wasser  in  der  Nachbarschaft  angetroffen  werden. 

Die  modei  ne  Forschung  hält  sich  selbstverständlich  an  die  Aus- 
grabungsgegenstände. Mustern  wir  die  Inclusa,  so  zeigt  sich  zunächst, 
dass  gerade  Waffen  an  diesen  Orten  nicht  häufig  sind.  Das  spricht 
gegen  fortifikatorische  Bestimmung.  Die  anderen  Altsacheu,  denen  sich 
ja  viele  moderne  beigemischt  haben,  sind  teilweis  profane,  die  an- 
scheinend der  Kultushypothese  widersprechen.  Ist  denn  aber  so  gut 
wie  nichts  von  rituellen  Dingen  darunter?  Es  muss  zugegeben  werden, 
dass  man  den  Steinlinden,  Kohlen  und  Knochen  nicht  ansehen  kann, 
ob  sie  zu  profanen  oder  Opferzwecken  gedient  haben.    Aber  man  muss 


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Der  Barzlin  im  Spreewald. 


115 


sicli  doch  immer  wieder  wundern  über  die  durchweg  kohlschwarze 
Erde  des  Wallinnern.  Dieses  deutet  auf  viele  Brände  an  verschiedenen 
Stellen.  Man  muss  sich  wundern  über  die  zahllosen  Scherben  von 
Thongefässen. 

Mag  man  auch  noch  so  lange  Zeiträume  aus  Belagerungs-  und 
Zufluchtszeiten  zur  Entstehung  derselben  in  Anspruch  nehmen,  die 
ungeheure  Zahl  und  Masse,  die  Wagner  z.  B.  vom  Schliebener  Burgwall 
auf  ca.  HH.KI  Fuhren  scliätzt,  setzt  geradezu  in  Erstaunen.  Von  zufallig 
entzwei  gegangenen  Gelassen  können  diese  Millionen  von  Scherben 
kaum  herrühren,  auch  von  zerfallenen  Urnen  nicht.  Immer  wieder 
finden  sich  neue  kohlige  Schichten  und  Erdstreifen  über  den  alten 
Scherbenlagern.  Es  muss  dies  einen  Grund  haben,  der  uns  noch 
unbekannt  ist.  Wir  wissen,  dass  heute  noch  in  der  Lausitz  an  Polter- 
abenden Töpfe  geworfen  werden,  dass  bei  Begräbnissen  der  alten 
Germanen  es  Sitte  war,  ein  Totenmahl  zu  feiern  und  die  dabei  ge- 
brauchten Gefässe  zu  zertrümmern  etc.,  war  es  vielleicht  auch  alter 
Brauch,  die  Thongeschirre,  aus  denen  die  Opfermahlzeit  genossen  wurde, 
zu  zerschlagen  u.  dgl.?  Weitere  Forschungen  werden  hoffentlich  in  dieser 
Hinsicht  weitere  Aufklärung  bringen.  Hat  aber  das  gewöhnliche  Topf- 
gerät nichts  Rituelles  an  sich,  woher  kommen  unter  dieses  Geschirr 
Räuchergefässe,  muldenartige,  als  Kohlenbecken  gedeutete  Gefässe, 
Scherben  mit  einem  vierspeichigen  Rad  (Schlichen),  ungebrannte  Menschen- 
knocheu  aus  fest  zusammengebackenen,  kompakten  Schichten  (Sehlieben) 
vorslavischer  Zeit,  wo  die  Toten  doch  verbrannt  wurden  etc.?  Wie  will 
man  sich  die  dicken  Lagen  halbverkohlter  Getreidehalme,  die  z.  B. 
Wagner  so  vielfach  im  Schliebener  und  Siehe  im  Tornower  Wall  auf 
Steinherden  konstatiert  hat,  erklären?  Tn  der  Nähe  mancher  Rund  wälle 
sind  Bronceidole,  in  der  Umgebung  des  Bürger  Schlossberges  die  be- 
rühmten Broncewagen  und  der  Bonceschmuck  von  Babow  etc.  ans  Licht 
gefordert  worden.  Macht  «las  nicht  stutzig?  Liegt  vielleicht  der  negative 
oder  geringe  Befund  von  Opfergeräten  auf  oder  neben  diesen  Anlagen 
nur  daran,  dass  noch  nicht  genügend  dort  gegraben  worden  ist?  Ist 
wirklich  alles  geschehen,  um  die  Bedeutung  derselben  völlig  klar  zu 
legen?  Durchaus  nicht.  Die  Frbauerfrage  kann  man  in  der  Lausitz 
als  gelöst  betrachten.  Die  (Qualität  der  Schei  ben,  die  Mehrschichtigkeit 
mancher  Wälle  ist  so  charakteristisch  und  wiederholt  sich  immer  wieder, 
dass  man  durch  ein  paar  Spatenstiche  so  zu  sagen  konstatieren  kann, 
wes  Geistos  Kind  ein  Rundwall  ist.  Ist  aber  ein  einfaches  Lochgraben 
oder  ein  Grabenziehen  entscheidend  für  das  Problem  des  Zweckes? 
Keineswegs,  das  sind  alles  keine  Ausgrabungen  grossen  Stils.  Es  ist 
durchaus  notwendig,  einmal  in  einer  der  grösseren  fundreichen  Anlagen, 
die  auf  lauge  Benutzung  hindeuten,  das  Wallinnere  komplet  durch- 
zugraben.    Was  hat  Wagner  in  dem  Schliebener  Burgwall,  in  dem  er 

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Sanitätsrat  Dr.  Robert  Behla:  Der  ßarzlin  im  Spreewald. 


wol  ein  Dutzend  mal  grub,  schon  alles  erzielt !  Unter  andern  an  mehr- 
fachen unberührten  Stellen  angebrannte  Mensehenknochen;  und  doch 
gesteht  er  an  einer  Stelle  seiner  Schriften  ein,  dass  er  kaum  den 
hundertsten  Teil  des  Wallinnern  erschlossen  habe.  Freilich  das  kostet 
Mittel.  Nicht  jedem  stehen  Schliemannsche  Mittel  zu  Gebote.  Es  bedarf 
eines  Rundwallausgrabefonds,  um  diesen  Plan  zu  realisieren.  Dann,  wenn 
das  geschehen,  wenn  die  sämtlichen  Fundgegenstände  eines  Walles  vor 
uus  liegen,  dann  wollen  wir  einmal  das  Plenum  der  inclusa  selbst  reden 
lassen.  Dann  kann  das  Urteil  anders  lauten.  Und  eine  umfangreiche 
weitere  Ausgrabung  ist  notwendig,  wenn  die  Rund  wall  »frage  schliesslich 
gelöst  werden  soll. 

Wer  da  glaubt,  dass  d;is  letzte  Wort  darin  gesprochen  ist,  täuscht 
sich.  Die  jetzt  dominierenden  Anschauungen  von  Befestigungen  etc. 
sind  zeitweilige  Strömungen.  Die  Wahrheit  über  den  wahren  Zweck  der 
Aufwerfung  muss  sich  wie  überall  allmählich  entwickeln  aus  dem  Wider- 
streit der  Meinungen.  Es  ist  notwendig,  Rundwall  vergleichende  Forschung 
zu  treiben.  Dank  des  Ministerialreskriptes  über  die  Erhaltung  und 
weitere  Bekanntmachung  dieser  Stätten*)  werden  immer  mehr  bekannt 
und  fordern  zur  Untersuchung  heraus.  Viele  solcher  runden  Anlagjen 
entpuppen  sich  bei  näherer  Prüfung  als  Pseudorundwälle.  Es  zeigt  sich 
ferner,  dass  nicht  alle  denselben  Zweck  hatten.  Vieles  ist  noch  der 
Klärung  bedürftig.  Ein  Befund  gilt  nicht  für  alle.  Und  wenn  erst  das 
Dogma  umgestossen  sein  wird,  wonach  diese  Wälle  erste  Ansiedelungs- 
pliitze,  ständige  Wohnsitze  etc.  gewesen  seien,  dann  wird  sich  auch  die 
nach  meinem  Dafürhalten  richtige  Ansicht  durchbrechen,  dass  erst  die 
Dörfer  da  waren  und  dann  die  Wälle  als  die  Werke  einer  oder  mehrerer 
Gemeinden  angelegt  wurden.  Welche  verschiedene,  sich  widersprechende 
Meinungen  haben  sich  hintereinander  im  Laufe  der  Jahrhunderte  über 
die  Pyramiden  Egyptens  abgelöst,  —  heute  sind  sie  wieder  das,  was  sie 
eigentlich  waren,  —  Gräber. 

Luckau  i.  Lausitz,  im  November  189(>. 

*)  Das  betreffende  Reskript  lautet:  „Auf  Anregung  des  Kultusministers  bat  der 
Minister  für  Landwirtschaft  durcb  Cirkular-Reskript  vom  15.  Aug.  1888  die  Königlichen 
Regierungen  auf  B.  's  Buch:  >Die  vorgeschichtlichen  Rundwälle  des  Ostlichen 
Deutschlands«  aufmerksam  gemacht  und  dieselben  zugleich  veranlasst,  an  der  Erhaltung 
der  Rundwälle,  soweit  sie  sich  auf  Domänen  und  forstfiskalischem  Grund  und  Boden 
befinden,  Bedacht  zu  nehmen,  insbesondere  aber  die  beteiligten  Forstbeamten  mit 
entsprechender  Weisung  zu  versehen.  Auch  soll  zur  weiteren  Auffindung  von  Kund- 
wällen  Herrn  B.  Mitteilung  gemacht  werden. 


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Die  Kirche  zu  Tammendorf  und  ihr  Erbauer, 

der  General-Lieutenant  Freiherr  von  Mikrander. 
Von  Pastor  Richter  in  Teupitz. 

Das  etwa  4(>0  Einwohner  zählende  Dorf  Tammendorf  liegt  an  der 
von  Frankfurt  a.  0.  nach  Crossen  führenden  Chaussee,  2  Meilen  von 
letzterem  auf  einer  sanft  ansteigenden  Anhöhe,  deren  Gipfel  die  Kirche 
einnimmt,  von  welcher  herab  man  in  das  Dorf  blickt  und  hinüber  zu 
dem  hinter  einem  Walde  und  dem  Oderstrom  anmutig  gelegenen  ehe- 
maligen Cisterzienser-Kloster  Neuzelle,  in  dessen  herrlichen  Räumen  sich 
bekanntlich  gegenwärtig  ein  Schullehrer  -  Seminar  befindet.  Unten  am 
Ende  des  Dorfes  in  einer  Niederung  vis-ä-vis  der  Kirche  residierte  in 
seinem  Schlosse  der  Freiherr  von  Mikrander,  ein  tapferer  Degen.  —  Er 
soll  der  allgemeinen  Annahme  nach  teilgenommen  haben  an  dem  Zuge 
gegen  die  Türken,  zu  welchem  bekanntlich  der  grosse  Kurfürst  dem 
Kaiser  infolge  eines  geschlossenen  Vertrages  ein  Hülfskorps  durch  den 
berühmten  General  von  Schöning  zuführen  Hess.  Der  Kurfürst  musterte 
das  Brandenburgische  Kontingent  am  17.  April  1(>83  in  der  Nähe  von 
Crossen  bei  dem  Dorfe  Sagar. 

Es  mögen  in  der  Kürze  zunächst  die  äusseren  Lebensverhältnisse 
unseres  Helden  vorgeführt  werden. 

Georg  Adolph  von  Mikrander  (Ort  und  Jahr  seiner  Geburt  sind 
unbekannt)  war  im  April  1683  in  den  Reichsfreiherrnstand  erhoben 
worden  und  erhielt  in  demselben  Monat  vom  Kurfürsten  das  Bestätigungs- 
diplom. Er  hatte  in  österreichischen  Diensten  gestanden  und  ward  in 
kurbrandenburgischen  1680  zum  Generalmajor,  1704  zum  Geuerallieutenant 
ernannt.  Später  war  er  Gouverneur  von  Colberg  geworden,  welchen 
Posten  er  1713  an  den  General  Grafen  von  Schlippenbach  abtrat.  Es 
war  ihm  auch  die  Würde  eines  Chefs  der  Ritterakademie  in  Pommern 
übertragen  worden.  Er  legte  sie  seines  hohen  Alters  wegen  nieder  und 
wurde  Gouverneur  der  Stadt  Frankfurt  a.  0.  1723  starb  er  hochbetagt 
auf  seinem  Rittersitze  Tammendorf,  den  Ruhm  eines  gelehrten,  tapferen 
und  einsichtsvollen  Mannes  hinterlassend.  Männliche  Descendenten  hatte 
er,  wie  es  scheint,  nicht.  Seine  Gemahlin,  eine  geborene  von  Klingsporn 
aus  dem  Hause  Blaustein  hatte  ihm  2  Töchter  geboren,  welche  den  Vater 


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Pastor  Rifhter: 


überlebten.  Im  Wappen  führte  er  einen  geharnischten  Manu  und  führte 
dieses  Sinnbild  mit  Recht. 

Wir  richten  nun  unsere  Blicke  auf  den  Schauplatz  seines  auch  in 
ländlicher  Zurückgezogeuheit  thätigen  Lebens,  auf  Tammendorf,  den 
langjährigen,  lieben  Wohn-  und  Wirknngsort  des  Schreibers  dieser  Zeilen. 

Das  Schloss  fand  der  Freiherr  bei  Übernahme  des  Ritterguts  vor. 
Im  Mittelalter  erbaut,  massiv,  war  es  ein  grosses,  imposantes  Gebäude, 
von  einem  Graben  umgeben,  zweistöckig,  mit  zwei  Seitenflügeln.  Die 
weiten  Räume  des  ersten  Stocks  waren  gewölbt  (Kreuzgewölbe);  die 
Umfassungsmauern  hatten  eine  Stärke  von  über  b'  Fuss,  und  man  fand 
in  ihnen,  als  das  Schloss  1840  niederbrannte,  Gänge  und  kleine  Gemächer 
und  in  letzteren  Apparate  zur  Herstellung  von  Münzen.  Wahrscheinlich 
hatten  vor  Zeiten  Falschmünzer  dort  ihr  heimliches  Wesen  getrieben. 
Einige  im  Schutt  vorgefundene,  für  numismatische  und  antiquarische 
Forschungen  wahrscheinlich  Anhalt  bietende  Münzen  entzogen  sich  der 
Cognition,  da  sie  durch  unberufene  Hände  bei  Seite  geschafft  worden 
waren.  — 

Die  Krbaunng  der  Kirche  fällt  wahrscheinlich  in  das  Jahr  1(>% 
und  soll  sich,  wie  erzählt  wird,  der  General  beim  Bau  der  Arbeit  eiues 
Frankfurter  Regiments  bedient  haben,  welchem  er  eine  Soldzulage  ge- 
währte aus  seinen  Mitteln,  was  wenigstens  nichts  Unwahrscheinliches 
hat.  Der  Kirchplatz  ward  von  ihm  von  einer  mit  Türmchen  und  Schiess- 
scharten versehenen  Mauer  umgeben,  welche  zum  Teil  noch  18)37  stand 
und  später  völlig  abgebrochen  ward.  Die  Kirche  selbst  (Tonnengewölbe, 
Rococostil)  ist  ein  schöner  Bau  und  erweckt  die  Aufmerksamkeit  der 
an  dem  Kirchberge  Vorüberreisenden.  Die  unter  dem  Turm  liegende 
Hauptthür  (Flügel),  welche  nur  bei  Trauungen  und  festlichen  Gelegen- 
heiten geöffnet  wird,  da  zum  gewöhnlichen  Gebrauch  eine  seitwärts  des 
Gebäudes  in  einem  Vorsprunge  angebrachte  kleine  Thür  dient,  gewährt 
einen  herrlichen  Blick  auf  das  Dorf  und  das  Oderthal,  sowie  auf  die 
gegenüber  liegenden  Berge  mit  der  Stadt  Fürstenberg.  Das  Innere  der 
Kirche  ist  klar,  ansprechend,  zumal  die  manche  Kirchen  beengenden 
und  verunstaltenden  Emporen  fehlen.  Die  beiden  einander  gegenüber 
liegenden  Logen,  die  des  Gutsherrn  von  Tammendorf  und  die  des  Guts- 
herrn von  Riesnitz,  liegen  in  Seitenräumen,  die  ebenfalls  hochgewölbt 
sind,  so  dass  die  Kirche  die  Gestalt  eines  Kreuzes  bildet.  Die  Gesimse 
und  die  Decke  sind  mit  Stuekaturarbeiten  schön  verziert.  —  Der  Altar 
beiludet  sich  auf  einem  erhöhten  Platz,  welcher  von  dem  andern  Kirchen- 
räum  durch  ein  eisernes  Gitter  getrennt  wird.  Es  ist  ein  einfach  ge- 
schmückter Holztisch,  überdeckt  mit  einer  schönen  Decke  von  Violettfarbe. 
Auf  ihm  ist  ein  Holzschnitzwerk  von  etwa  4  Fuss  Länge  und  1  \;»  Fuss 
Höhe,  die  Grablegung  Christi  darstellend,  aufgestellt.  Es  rührt  wahr- 
scheinlich aus  dem   15.  oder  1(5.  Jahrhundert  her  und  ward  aus  der 


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Die  Kirche  zu  Tammendorf  und  ihr  Erbauer 


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früheren  alten  Kirche  nach  deren  Abbruch  in  die  jetzige  übergeführt. 
Die  Skulptur  ist  nicht  ohne  Knnstwert  und  ward  vor  längerer  Zeit  von 
einem  Sachverständigen  mit  Bronzefarbe  überzogen. 

Auf  6  Stufen  steigt  man  zu  dem  unter  dem  Altar  befindlichen 
Tütengewölbe  hinab,  welches  den  Sarg  des  Freiherrn  und  4 — 5  andere 
Särge  mit  den  Uberresten  der  Seinigen  enthält.  Auch  eine  Mumie  findet 
sich  darunter,  nach  der  Tradition  die  Leiche  eines  Fräuleins  von  San- 
guinis (unbekannter  Name)  oder  einer  türkischen  in  der  Familie  des 
Generals  erzogenen  jungen  Dame.  Das  reiche,  nussbraune  Haar  war 
vor  20  Jahren  noch  wohlerhalten,  auch  die  Gesichtszüge  waren  noch 
erkennbar  und  Reste  von  Seidenkleidern  vorhanden.  Einen  kostbaren 
Ring  sollen  Diebe  vom  Finger  der  Toten  gezogen  haben.  Seitdem  hat 
alles  durch  das  oftmalige  Öffnen  des  Sarges  gelitten.  Aus  diesem  Grunde 
blieb  das  Untersuchen  des  Mikranderschen  Sarges  den  Neugierigen  mit 
Entschiedenheit  versagt.  Wahrscheinlich  ist  auch  in  diesem  Sarge  eine 
Mumie  vorhanden.  —  Ein  anderer  Sarg  hat  an  einer  Seite  eine  vier- 
eckige Fensterscheibe,  welche  nach  der  Bestimmung  des  Verstorbenen 
eingesetzt  ward.  Zwei  einander  gegenüber  liegende  vergitterte  Öffnungen 
führen  dem  Gewölbe  frische  Luft  zu,  sodass  der  sonst  in  Gewölben  an- 
zutreffende Modergeruch  fehlt. 

„Ainsi  tout  passe  sur  la  terre,  Esprit,  beauttf,  graces,  talents; 
Teile  est  une  fleur  Ephemere  que  renverse  le  moindre  vent". 

Gewiss,  an  diese  Wahrheit  wird  man  unwillkürlich  erinnert.  — 

Neben  dem  Altar,  einige  Schritte  hinterwärts,  ziemlich  hoch,  hängt 
das  mächtige  Bildnis  des  Erbauers  und  Schutzherrn  der  Kirche,  um- 
geben von  allen  Waffen  der  damaligen  Zeit  und  Emblemen  mannigfacher 
Art  (Zirkel,  Globen,  Papierrollen  etc.).  Die  Gegenstände  sind  aus  stark 
vergoldetem  Holz  geschnitzt  und  gut  gearbeitet.  Unter  dem  Bilde  sind 
auf  einer  ovalen  Tafel  die  Namen  und  Titel  des  in  seiner  ganzen  Er- 
scheinung stattlichen  Mannes  verzeichnet.  Das  Bild  ist  eine  Zierde  der 
Kirche.  — 

In  derselben  befinden  sich  auch  unter  der  auf  der  rechten  Seite 
(also  nicht  über  dem  Altar)  stehenden  Kanzel  die  mit  Heiligen-  und 
Apostelbildern  verzierten  Klappthüren,  welche  den  Altar  der  früheren 
Kirche  schmückten.  Leider  hat  der  Versuch  einer  ungeschickten  Hand, 
die  Bilder  durch  Wasser  (vielleicht  Seifenwasser)  zu  reinigen,  die  Farbe 
sehr  verblasst,  was  zu  bedauern  ist.  Möge  dies  anderen  unkundigen 
Konservatoren  zur  Warnung  dienen,  damit  nicht  die  Seltenheiten  und 
wenigen  Reste  aus  altehrwürdiger  Zeit  uns  mehr  und  mehr  verloren 
gehen!  Möchten  doch  alle  beflissen  sein,  von  dem  Untergänge  zu  retten, 
was  noch  gerettet,  erhalten  werden  kann!  — 


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120 


Pastor  Richter:  Die  Kirche  zu  Tammendorf  und  ihr  Erbauer. 


Wir  kehren  noch  einmal  zurück  zu  der  Person  des  Herrn  von 
Mikrander.  Dass  er  ein  gelehrter,  tapferer,  einsichtsvoller  Herr  gewesen 
ist,  ist  bereits  erwähnt  worden.  Die  Tradition  weiss  über  ihn  manches 
zu  berichten,  woraus  wir  schliessen  können,  dass  er  ein  ernster,  dabei 
milder  Mann  war.  Allsonntäglich  versammelte  er  die  Bauern  vor  seinem 
Schlosse,  um  sie  demnächst  in  die  Kirche  zu  führen,  nachdem  er  sie 
zuvor  gemustert  hatte  in  militärischer  Weise.  Die  ohne  ausreichende 
Entschuldigungsgründe  Fehlenden  oder  nachlässig  Gekleideten  wurden 
auf  einige  Stunden  eingekerkert,  aber  während  dieser  Zeit  gut  verpflegt. 
Diese  gute  Verpflegung  verwandelte  sich  indessen  in  eine  schlechte, 
spärliche  bei  vorkommender  Wiederholung  des  Vergehens.  Dem  Gottes- 
dienst wohnte  v.  M.  in  würdiger  Haltung  bei,  hörte  auch  die  von  der 
Kanzel  gegen  das  damals  in  Gebrauch  kommende  Tabakrauchen  ge- 
schleuderten Angriffe  an,  rauchte  aber  bald  darauf  im  Schlosse  noch 
vor  der  Mittagstafel  mit  Wohlbehagen  seinen  holländischen  Tabak.  Mit 
dem  Geistlichen  stand  er,  ungeachtet  des  von  demselben  geschmähten 
und  verabscheuten  Hänchens,  in  dein  besten  Vernehmen  und  förderte 
jeden  guten  Zweck  mit  grosser  Bereitwilligkeit.  Er  war  auch  ein 
Freund  der  Schule  und  Hess  sich  von  Zeit  zu  Zeit  von  dem  alten  Orts- 
lehrer ein  Verzeichnis  säumiger  Schulbesucher  vorlegen.  In  solchen 
Listen  fanden  sich  nach  der  Sitte  der  Zeit  wundersame  Dinge  z.  B. 
Stellen  wie  die  folgende:  Bauer  N.  hat  4  (nämlich  Kinder),  lässt  aber 
nur  selten  einen  gehen  (zur  Schule).  Kossäth  B.  hat  2,  von  welchen  er 
nur  1  gehen  lässt.  Kossäth  M.  hält  auch  an  sich  und  will  trotz  meiner 
Ermahnung  keinen  einzigen  gehen  lassen,  obgleich  er  3  hat,  welche  ihm 
viel  Rumor  machen,  wie  die  Leute  sagen:  Wie  will  das  werden?  Ich 
bitte  in  tiefster  Ersterbung  Eure  freiherrliche  Gnaden,  sich  dazwischen 
zu  legen.  —  Wahrscheinlich  geschah  letzteres  auch  in  fühlbarer  Weise 
nach  der  Regel  nou  verba,  sed  verbera!  — 

Ich  schliesse  meinen  kurzen  Bericht  über  den  Freiherrn  von 
Mikrander  und  sein  Bauwerk,  die  Kirche  zu  Tammendorf.  Möge  meine 
Schilderung  dazu  beitragen,  einen  edlen  Namen  der  Vergessenheit  zu 
entreissen  und  der  vaterländischen  Geschichte  zu  erhalten.  Vielleicht 
wird  auch  mancher  Leser  die  sich  etwa  darbietende  Gelegenheit  zur 
Besichtigung  jener  Kirche  gern  benutzen. 


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Über  die  historischen  Beziehungen  der  alten 
Stadt  Jüterbog  zu  Berlin. 

Von  W.  Zinckc. 


Sehen  wir  von  den  allgemeinen  Beziehungen  sowie  davon  ab,  dass 
bereits  1174  ein  Philipp  von  Jüterbock  eine  so  bedeutende  Persönlich- 
keit ist,  dass  er  als  Zeuge  auftritt,  so  verdient  jedenfalls  der  Umstand 
Beachtung,  dass  Markgraf  Ludwig  i.  J.  1336  die  Zollhebung  in  Havel- 
berg (theloneuin  in  Havel  borg)  für  328  Mk.  Silber  (brandenburg.)  an 
.Johann,  Bürger  zu  Cöln  (a.  d.  Spree)  und  Copikino,  dicto  Jüterbok, 
eorumque  legitimis  heredibus  verpachtet. 

Die  Familie  Coppeke  scheint  ausserordentlich  angesehen  und  reich 
gewesen  zu  sein.  Aus  dem  Jahre  1344  heisst  es:  Nos  Coppeke 
Juterbuck,  civis  in  Colne,  Claus  .Tuterbuck,  filius  Nicolai  Juterbuck 
ac  Coppeke  Juterbuck  (der  obenerwähnte),  filius  Henningi  Juterbuck, 
civium  olim  in  Brandeburg,  schenken  1344  an  die  neuerbaute  Kirche  in 
Buckow,  Filial  von  Garselitz,  124  Mk.  Silber.  Die  Kirche  zu  Buckow 
wird  laut  einem,  de  dato  Jüterbogk,  20.  Dezember  1351,  ausgestellten 
Rescript  des  Markgrafen  Ludwig  der  Römer  dem  Patronat  seiner 
Söhne  unterstellt.  Der  erwähnte  Markgraf  scheint  übrigens  öfter  in 
Jüterbock  Aufenthalt  gehabt  zu  haben,  denn  unter  dem  25.  Februar  1348 
verpfändet  er  von  Jüterbock  aus  an  Thilo  von  Calow,  Bürger  zu 
Luckau,  die  Juden  zu  Guben  und  Luckau  für  anderthalb  hundert  margk 
brandenb.  Silbers. 

Markgraf  Ludwig  der  Römer  hatte  unter  der  durch  das  Auftreten 
des  falschen  Waldemar  hervorgerufenen  Bewegung  sehr  zu  leiden.  Um 
die  letzten  Regungen  dieser  unheilvollen  Angelegenheit  zu  unterdrücken, 
hatte  er  Anstrengungen  gemacht,  denen  er  in  finanzieller  Hinsicht  nicht 
genügen  konnte;  er  geriet  in  immer  grössere  Schulden.  Aber  viele  an- 
gesehene und  vornehme  Bürger  Berlins  traten  als  kräftige  und  rührige 
Förderer  und  Verteidiger  der  Rechte  der  Wittelsbacher  auf  und  halfen 
dem  Markgrafen  mit  zum  Teil  sehr  bedeutsamen  Summen.  Unter  den 
Namen  dieser  Bürger  steht  auch  erwähnenswert  Bethke  (Albrecht) 
Jüterbogk. 


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122 


W.  Zincke: 


Am  18.  Februar  1355  bekunden  die  Ratmannen  in  Berlin  einen 
Erbschaft* verzieht  gegen  den  Rat  zu  Jüterbock.  Derselbe  hat  folgenden 
Wortlaut: 

„Den  ehrsamen  und  eifrigen  Leuten,  den  Rathmannen,  den 
Schöffen  und  dem  Schulzen  zu  Jüterbock  die  Rathraannen  in 
der  Altstadt  Berlin  Zunahme  an  Hochachtung  und  Dienstwillig- 
keit! Euch  und  Allen,  denen  daran  gelegen,  es  zu  wissen,  thuu 
wir  hiermit  ausdrücklich  kund,  dass  unser  Mitbürger  Bernhard 
Kixe  in  seinem  Namen  und  Namens  der  Wittwe  seines  Vaters 
Johannes  Kixe,  Adelheid,  und  seiner  Tochter  Margarethe,  in 
unserm  Beisein  freiwillig  auf  das  Erbe  oder  Haus,  das  bei  Euch 
steht  und  durch  den  Tod  der  Ehefrau  des  weiland  Arnold  Kixe 
an  sie  gefallen  ist,  zum  Besitze  und  Niessbrauch  der  ehrbaren 
Herrin  Adelheid,  Wittwe  Eures  Mitbürgers  Fritz  von  Züdem 
(Ziethen)  Verzicht  geleistet  haben  und  hierdurch  vor  uns  Ver- 
zicht leisten". 

Im  August  desselben  Jahres,  am  Tage  der  Enthauptung  Johannes 
des  Täufers,  den  29.  August,  war  Markgraf  Ludwig  der  Römer  zu  einem 
Kongress  in  Jüterbock.  Er  verhandelte  hier  mit  dem  Herzog  von 
Sachsen,  dem  Bischof  von  Magdeburg  und  dem  Markgrafen  von  Meissen 
zur  Durchführung  eines  Verbotes,  wegen  der  letztvergangenen  Zwietracht 
mit  Berlin  und  Köln  jemand  zur  Verantwortung  zu  ziehen. 

Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  der  erwähnte  Markgraf  bei 
seinem  wiederholten  Aufenthalt  in  Jüterbock  hier  auch  den  in  einer 
Treuenbriezener  Urkunde  von  1356  erwähnten  Marquard  Jutterbock 
kennen  lernte  und  in  seine  Dienste  nahm,  der  sich  in  diesem  Jahre  als 
Ritter  am  markgräflichen  Hofe  in  Berlin  findet. 

Unter  der  Herrschaft  des  Markgrafen  Sigismund  verbinden  sich 
137(«)  die  altmärkischen  Städte  Brandenburg,  Stendal,  Gardelegen,  Oster- 
bnrg  und  Tangermünde  „wegen  gemeiner  Sicherheit"  mit  dem  Erzstift 
Magdeburg  und  den  magdeburgischen  Städten  Calve,  Burg,  Haldensleben 
und  Jüterbock. 

Das  Jahr  1397  bringt  Jüterbock  mit  Berlin  in  enge  Berührung 
wegen  eines  unaugenehmen  Rechtsfalles.  Erstere  Stadt  hatte  ihr  hohes 
Gericht  geübt  und  einen  gewissen  Biodenstorf  aus  Brietzen  hingerichtet. 
Sein  dort  wohnender  Bruder  Hans  befehdete  darob  die  Stadt  Jüterbock , 
bis  Berlin  alle  Zwietracht  und  Streitigkeiten  freundlich  schlichtete, 
derart,  „dass  man  auf  beiden  Seiten  der  ganzen  Angelegenheit  mit  allen 
ihren  Folgen  und  Misshelligkeiten,  kleinen  oder  grossen,  weder  jetzt . 
noch  je  in  Zukunft  mehr  gedenken  soll".  Die  blutdürstige  Stadt  Jüter- 
bock mussto  30  Schock  meissnischer  Groschen  Sühne  an  die  Kinder  des 
Hingerichteten  zahlen. 


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Über  die  historischen  Beziehungen  der  alten  Stadt  Jüterbog  xu  Berlin.  123 


Eine  andere  Fehde,  die  um  die  Zeit  1412 — 1414  füllt,  ward  gleich- 
falls durch  Yermittelung  des  Rates  von  Berlin  beseitigt.  Ein  Bürger 
v<»n  Jüterbock,  Clav  es  (Claus)  Keling  hatte  das  Unglück  gehabt,  dass 
ihm  auf  der  Oder  durch  die  Märkischen  P/3  Last  Heringe,  1  Tonne 
Hechte  und  1  Annbrust  genommen  wurden.  Die  Beute  wurde  nach 
Bernau  gebracht.  Der  Rat  zu  Jüterbock  ersucht  nun  die  Ratmannen 
zu  Berlin,  ihrem  Mitbürger  guten  Willen  zu  zeigen  und  durch  einen 
Brief  an  den  Herzog  von  Mecklenburg  und  an  die  von  Bernau  zu  weisen, 
damit  ihm  seine  Habe  wiedergegeben  werde. 


In  unmittelbarste  Beziehungen  zu  Berlin  trat  Jüterbock  unter, 
der  Regierung  des  Burggrafen  Friedrich  von  Nürnberg.  Der  Raubkrieg 
welchen  die  Quitzows,  Bochows,  Putlitze  u.  a.  gegen  ihren  neuen  Mark- 
grafen und  auch  gegen  den  Erzbisehof  von  Magdeburg  führten,  berührte 
Jüterbock  ungemein.  14 \-\  „haben  die  Quitzowen  mit  Wichard  von 
Bochow,  der  Früwlein  Annam,  Herrn  Caspar  Ganses,  Edlen  Herrn  zu 
Putlitz  Tochter,  zur  Ehe  gehabt,  dem  Erzbischofte  zu  Magdeburg  grossen 
Schaden  angerichtet,  sonderlieh  im  Jüterbockischen  Lande  und  hat 
der  Burggraf  bei  jenen  soviel  nicht  können  erreichen,  dass  sie  sich  mit 
dem  Erzbischof  vertragen  und  von  irein  fürnemen  abgestanden  haben". 

Im  folgenden  Jahre  (1414)  zog  Mannschaft  von  Jüterbock  mit  in 
den  Feldzug,  den  Burggraf  Friedrich  zu  Nürnberg  mit  seinen  vier  Heeren 
gegen  die  vier  märkischen  Raubschlösser  auf  einmal  eröffnete.  Die 
Abteilung  von  Jüterbock  legte  sich  unter  Führung  von  Johann  von 
Torgow  am  Tage  Dorothee  mit  denen  von  Briesen,  Beelitz,  Zinna  und 
Lelinin  vor  Schloss  Buten  (oder  Beuthen),  darauf  „Gosske  Prederlauw, 
Hansens  von  Quitzow  Hauptmann  gesessen".  Nach  dem  Falle  von  Plaue 
übergab  Gosskinus  Prederlauw  auch  seinerseits  Beuthen.  „Sie  konnten 
frei  abziehen,  während  Wichart  von  Bochow,  mit  den  seinen  an  helssen 
stricken  habende,  und  die  Frawenzimmer  in  weissen  Badekitteln  gleicher- 
gestalt  vom  Hausse  gehende,  mit  einem  tieften  und  demüthigeu  Fussfal" 
in  die  Gefangenschaft  geführt  wurden. 


Dem  Geiste  der  Zeit  entspricht  es,  dass  bei  den  schnell  wechselnden 
Interessen  Jüterbock  gezwungen  war,  bald  für  —  bald  gegen  jemand 
Partei  zu  nehmen.  Je  nach  der  Seite,  nach  welcher  Erzbischof  Günther» 
Graf  von  Schwarzburg,  neigte,  musste  sich  auch  Jüterbock  neigen.  So 
finden  wir  am  Allerheiligen  Abend  I41.'i  Günther  mit  den  Bürgern  von 
Magdeburg  und  Jüterbock  in  Golwitz;  sie  „haben  den  armen  leuten 
da  genommen  ö  schock  Rindviehs,  2  schock  Pferde;  dazu  Korn,  Huser 
und  ezliche  (!!)  verbrannt,  insgesammt  schaden  von  GOU  böhmische 
groschen". 


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124 


W.  Zincke: 


Aus  dem  Jahre  1419  findet  sich  ein  Notariats-Instroment  der  Stadt 
Berlin  „schade  wegen".  Es  heisst  daselbst:  „Item  anno  1419  umb 
katherinen  hat  kerstan  wiczleue  (Christian  von  Witzleben),  hoybtman 
zur  Dame  und  Jäterbock,  velen  bürgern  von  Berlin  genommen  und 
vff  getreben  4  leste  heringe,  wo  die  last  kostet  30  beheimische  schock 
groschen.  Darzu  3  pferd  und  2  armborst  mit  andern  gerete,  daz  gud 
allis  den  unsen,  alz  wi  Jeke  mackeprange,  und  laurenz  schulzen  geherete 
und  er  fing  laurencz  schulzen  darzu,  der  noch  seyn  gefangen  ist  und  in 
syme  globde ;  von  den  4  lestin  behielt  er  eyne  last  mit  gewalt,  dy  noch 
unbezahlt  ist  und  tet  on  dy  andern  dry  leste  czu  borge  uff  insessin 
borgin  czu  juterbock  dy  borgin  noch  da  vor  steen  und  nicht  ledig  sin". 

Ein  zweites  Notariats  -  Instrument  an  den  Erzbischof  Gunther 
findet  sich  unter  dem  24.  Mai  1420  „über  die  von  den  zum  Kloster 
Zinna  gehörigen  Dörfern  geschehene  Verzichtleistung  aller  ihrer  Schäden 
und  Ansprüche,  die  ihnen  durch  das  Bündniss  des  Erzbischofs  zu 
Magdeburg  mit  dem  Markgrafen  zu  Brandenburg  gegen  Balthasar 
von  Wenden,  Caspar  zu  Putlitz,  Wichard  von  Bochow  u.  a.  in.  erwachsen". 

in  einem  Schreiben  aus  Jüterbock  vom  12.  März  1420  an  „den 
vorsichtigen  wisen  Rathmannen  und  borge rn  to  Berlin  vnsern  lieben 
besundern"  beklagt  sich  denn  Günther,  Erzbischof  von  Gottes  Gnaden 
zu  Meideborg  (Magdeburg)  über  den  Friedebruch  der  Hauptleute  zu 
Straussberg,  Nauen  und  Neustadt.    Es  heisst  darin: 

„uus  hebben  geklagt  Arend  Kepenitz  vnd  Peter  Zichow,  unsere 
börger  zu  Jüterbock,  dat  juwe  Howelüde  und  medebörger  von 
Straussberg  und  von  Naven  nemliken  Wemike  Moller  mit  sewen 
perden  unde  der  lloptinann  vnd  die  Borgern  von  der  Niestadt 
an  Sante  Simon  Jude  Dage  inen  hebben  genommen  ire  Habe, 
vier  Perde  an  gereiden  Gelde  vnd  an  anderen  gerete,  als  sie  dat 
achten  upp  vier  bömische  schock  groschen.  In  dem  Dorpe  to 
Cunersdorp  hebben  sie  dat  genommen  und  hebben  dat  tho  ge- 
drewen  to  Falkenhain.  Als  wir  doch  nicht  anders  weten,  denne 
dat  wir  mit  vch  in  einer  gütlichen  ennung  sitten,  darumme 
bidden  wir  iw  mit  besundern  fliethe,  dat  ir  den  unsern  vor- 
genannten ire  perde,  geld  und  habe  von  stat  an  wederkeret  vnd 
geldet:  wo  dat  nicht  von  stat  an  geschige,  so  müsten  wir  den 
vnsern  günnen,  da  sie  denen  iren  nachquemen  mit  Rechte 
vnd  begeren  des  juver  antwort". 

Am  1.  April  1421  verlängert  Erzbischof  Günther  mit  dem  Mark- 
grafen Friedrich  von  Brandenburg  in  Jüterbock  das  bereits  bestehende 
Bündnis  und  gelobt,  jeder  Beschädigung  der  Mark  Brandenburg  seitens 
seiner  Unterthanen  getreulich  zu  wehren.  Wenige  WTochen  darauf,  am 
9.  Mai,  trifft  Günther  wieder  in  Jüterbock  zusammen  mit  Herzog 


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Über  die  historischen  Beziehungen  der  alten  Stadt  Jüterbog  tu  Berlin.  125 

Albrecht  von  Sachsen  sowie  den  Markgrafen  Friedrich  und  Johann  von 
Brandenburg  zur  Aufrechterhaltung  des  Friedens  und  der  Landessicherheit. 

Besonders  eng  gestalteten  sich  die  Beziehungen  zwischen  Jüter- 
bock  und  Berlin  unter  der  Regierung  des  zweiten  Hohenzollern,  des 
Kurfürsten  Friedrich  II.  Unter  ihm  wird  Jüterbock  neben  Treuen- 
briezen,  Baruth,  Dame  und  Wittenberg  fast  ausschliesslich  als  Zahlstelle 
für  Zinsen  genannt. 

Am  tili.  Juli  1441  belehnt  er  dann  Bernd  Kerstian,  Loreuz  genannt, 
„Bürger  in  der  Stat  czu  Jwterbog,  unsern  lieben  getruwen"  mit 
Hebungen  aus  den  Städten  Treuenbriezeü,  Beelitz  und  den  Dörfern 
Zauchwitz,  Sticken  und  Fressdorf.  Die  von  „Ulrich  Zeuschel,  dem 
obersten  Küchenmeister"  ausgefertigte  Urkunde  besagt: 

„so  haben  wir  die  besunder  gnade  gethan,  und  Elsen  seiner 
Tochter  diese  obingesch rieben  guter,  jerlichen  Zinse  und  reute 
alle  zu  einem  leibgedinge  gnädigst  verliehen". 

1442  findet  zu  Jüterbock  eine  „Beteidigung"  der  sächsischen  und 
brandenburgischen  Räte  wegen  Grenzen  und  anderer  Punkte  statt. 

Vier  Jahre  später  findet  sich  Kurfürst  Friedrich  II.  persönlich  in 
Jüterbock.  144(>,  am  31.  Dezember,  beleiht  er  Hans  und  Heinrich 
Loser,  Erbmarschalke  des  Landes  czu  Sachsen  mit  Besitzungen  in 
der  Zauche. 

Die  Bürger  der  Stadt  Jüterbock  scheinen  dem  Kurfürsten  von 
Brandenburg  sehr  zugethan  gewesen  zu  sein;  denn  aus  dem  Jahre  144S 
ist  uns  ein  Dankschreiben  des  letzteren  an  sie  erhalten,  worin  er  ihnen 
seinen  Dank  und  seine  Anerkennung  zollt  für  geleistete  Dienste  in  einem 
(sonst  unbekannt  gebliebenen)  Heerzuge. 

Am  Sonntag  Lätare  des  Jahres  1451  findet  dann  eine  vergleichende 
Beratung  betreffs  weggenommener  Güter  Leipziger  Bürger  zwischen  dem 
Kurfürsten  Friedrich  von  Sachsen  und  dem  Kurfürsten  Friedrich  von 
Brandenburg  in  Jüterbock  statt.  Letzterer  kam  von  Nürnberg,  von 
wo  aus  er  unter  dem  27.  Januar  die  Einladung  hatte  ergehen  lassen. 

Zwischen  den  beiden  genannten  Fürsten  findet  bereits  im  nächsten 
Jahre  am  28.  April  eine  neue  Zusammenkunft  in  Jüterbock  statt 
zwecks  Regulierung  der  Grenzen  zwischen  Brück,  Beizig,  Brietzen  und 
Goltzow.  Die  Folge  davon  war  am  9.  Oktober  desselben  Jahres  ein 
Vergleich  des  Kurfürsten  von  Brandenburg  zwischen  Treuenbrietzen  mit 
Kloster  Zinna  wegen  eines  „Malhauffens  bei  dem  Kreuze  am  Hehrwege 
von  Jüterbock  nach  Briezen  zu  der  linden  werts". 

Gleichzeitig  fanden  in  diesen  Jahren  noch  Beratungen  der  Kom- 
missarien beider  Fürsten  in  Jüterbock  statt  behufs  Entscheidung  über 
vorgekommene  Räubereien.    Jüterbock  war  der  berufene  Platz  für 


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126 


W.  Zinrke: 


Kongresse.  Am  Sonnabend  nach  Allerheiligen  14<»0  fand  in  .Tüterbock 
ein  neue  Fürstenversannnliiug  statt.  In  Gegenwart  des  Kurfürsten  von 
Brandenburg  sowie  des  Hauptmanns  Balthasar  von  Schlichen  belehnt 
Bischof  Dietrich  von  Brandenburg  den  Herzog  Ernst  von  Sachsen  und 
Meissen  mit  den  Schlössern  Elbenau  und  Gottowe. 

Vom  l\.  Juli  14(i(.)  ist  des  weiteren  ein  Sehreiben  des  Kurfürsten 
Friedrieh  von  Brandenburg  bekannt  an  den  erwähnten  Herzog  Ernst 
wegen  einer  Zusammenkunft  ihrer  Räte  in  Jüterboek.  Der  Tag  blieb 
„märkischcrseitsu  aber  unhesueht.  Es  ist  darüber  ein  Schreiben  Georgs 
von  Schleinitz  und  anderer  sächsischer  Räte  an  die  Herzoge  Ernst  und 
Albrecht  von  Sachsen  vom  1.  August  vorhanden,  worin  sie  diesen 
melden,  dass  nur  der  Rat  von  Wittenberg  mit  den  Holtzdorffen,  Hans 
und  ('.  Meyr,  von  Hoyne  und  Köne  von  llerzberg  da  waren.  Das 
hinderte  Friedrieh  II.  aber  nicht,  sicli  an  die  sachsischen  Herzoge  um 
einen  guten  Büchsenmeister  und  2(H)  Reiter  zu  wenden:  sie  willfahren 
ihm  darin  auch. 

Der  Nachfolger  Friedrichs  II.  von  Brandenburg,  Kurfürst  Albree ht 
Achilles  ist  auch  einmal  wahrend  seiner  Hijährigen  Regierung  in  Jüter- 
boek gewesen.  Am  Montag  nach  Sant  lucastage,  l'J.  Oktober  1472, 
belehnt  er  daselbst  Hans,  Friedlieh,  Georg,  Liborius  und  Gurt  von 
Schlieffeii  mit  Deutsch-  und  Wendisch  -  Wusterhausen,  Schenkendorf, 
Hoheulöhue  und  Gross-Machnow. 

Der  grosse  Brand  von  147S,  durch  den  die  ganze  Stadt  Jüter- 
boek schwer  in  Mitleidenschaft  gezogen  wurde,  scheint  Fürstenver- 
sammlungen  auf  längere  Zeit  unmöglich  gemacht  zu  haben.  Aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  lielen  auch  von  diesem  Jahre  an  die  grossen 
Ausgaben  fort,  welche  der  Rat  der  Stadt  nach  Berlin  entsandte. 

1477  wird  zum  letzten  Male  des  Geschenkes  an  den  Markgrafen 
Albrecht  Erwähnung  gethan:  1  -  Fuder  Bier  zu  \)  Schilling  Groschen, 
2'.)  Groschen  für  seine  Räte  und  (J  Groschen  des  Markgrafen  Boten  für 
Uberbringung  von  Geschenken  und  Glückwünschen  zu  Neujahr. 

Nach  Wiederaufbau  der  Stadt  wurde  sie  wieder  zum  Mittelpunkt 
fürstlicher  Zusammenkünfte  bestimmt.  1522  kam  Erzbischof  Albrecht, 
Markgraf  von  Brandenburg,  mit  dem  Kurfürsten  Joachim  I.  von  Branden- 
burg und  Herzog  Georg  von  Sachsen  in  Jüterboek  zusammen,  um 
über  die  Unterdrückung  der  lutherischen  Reformation  zu  beraten.  Eine 
zweite  Zusammenkunft  zu  gleichem  Zwecke  fand  1527  daselbst  statt. 
Weitere  Beratungen  in  derselben  Angelegenheit  fanden  dann  in  den 
Jahren  1528  und  151.11  statt;  an  ihnen  nahmen  allerdings  nur  kur- 
fürstliche Räte  teil. 

Aus  dem  letzten  Jahre  der  Regierung  Joachims  I.  (15115)  meldet 
die  Chronik   eine  Begebenheit,   die   allerdings  nur  dein  Bereich  der 


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Über  die  historischen  Beziehungen  der  alten  Stadt  Jüterbog  zu  Berlin.  127 

„Curiositäten"  angehört,  immerhin  aber  verdient,  erwähnt  zu  werden. 
Es  heisst  daselbst: 

„(der  Markgraf)  hat  auch  zwene  reitende  bothen  gehabt,  einen 
Alten  und  Jungen  Beyerlin,  deren  beide  Schilde  noch  heutigen 
Tages  in  Marienkirchen  zu  Berlin,  am  Pfeiler,  wen  mau  zur 
leichhauss  thür  eingehet,  auflf  der  rechten  band  hangen,  welche 
überaus  schnei  haben  reiten  können,  dass  derselben  einer  den 
Churfürstcn  zu  Brandenburg  autt'  dem  Herrentage  zu  Güter- 
bock, als  in  octava  corporis  Christi,  nebst  seinen  Herrn  Bruder, 
dem  Erzbisehoffe  von  Meintz,  mit  der  Monstranz  hat  sollen 
herumb  leiten  (wie  es  im  Papstum  ist  gebreuchlich  gewesen) 
einen  Crantz  von  seinen  Gemahl  gebracht,  für  8  Uhr,  der  umb 
b'  Uhr  desselbigen  Morgens  ist  gewunden  worden". 

Ein  sehr  lebhafter  Verkehr  zwischen  dem  Rat  vonJüterbogk  und 
dem  von  Berlin  hat  im  Jahre  1588  stattgefunden  wegen  Entscheidung 
der  Angelegenheiten  des  bekannten  Rosskamms  Michael  Kohlhase. 

1541  fordern  die  kurfürstlichen  Kirchenvisitatoren  die  Bürger  zu 
Brandenburg  und  Jüterbock  auf,  gewisse  geistliche  Hebungen  näher 
anzuzeigen  und  ferner  folgen  zu  lassen.  Mit  Bezug  auf  Jüterbock  ist 
der  Brief  geschrieben: 

„Dem  erbaren  hermann  lambergk,  Bürger  zu  Jutterboek, 
nnscrm  guten  Freunde". 

Es  heisst  darin :  „wau  dan  die  gelegenheit  erfordert,  das  wir  des 
allen  Bericht  bedurften,  Erfordern  wir  Euch  kraft  empfangens  Churf. 
Befehls,  das  ir  uf  den  Dienstag  zu  pfingsten  schirst  in  Berlin  vor  uns 
erscheinet  u.  s.  w." 

Laut  einer  Urkunde  vom  20.  September  1543,  gegeben  zu  Cölln  a.  Sp., 
verkauft  Kurfürst  Joachim  II.  wiederverkäuflich  zur  Deckung  von 
Schulden  das  Kammergut  Chorin  für  20  (XK)  Thlr.  und  erklärt:  „so  ge- 
loben wir  bei  Ehren  und  treuen  den  achten  Tag  nach  der  meinung 

ider  eigner  Person,  mit  Pferden  und  drei  knechten  zu  Drossen,  Witten- 
berge oder  lucko  oder  Gutterbock  in  gemeinen  gasthoff  auf  Unser 
kosten  und  erliehe  Bezahlung  erscheynen  zu  wollen". 

Unter  Kurfürst  Joachim  II.  kam  Jüterbock  wieder  öfter  als  Platz 
für  Fürstentage  oder  andere  Zusammenkünfte  auf.  So  heisst  es  aus 
dem  Jahre  1545:  „Dienstag  nach  Cantate,  als  man  mit  dem  Sehmal- 
Ualdischen  Bunde  und  Kriegsrüstungen  widder  Keyser  Carolum  V. 
schwanger  gegangen,  ist  landtgraff  Philipp  aus  Hessen  von  Herrn  Johann 
Friderich,  Churf  Arsten  zu  Sachsen,  von  der  Lochowischen  Heide  zu 
Jüterbock  ankommen  und  mit  Markgraf  Joachim  IL,  Churfürsten  zu 
Brandenburg,  welcher  am  Mittwoch  morgen  von  Kloster  Zinna  auch 
hineinkommen,  auf  einen  halben  tag  Unterredung  gehalten".  Joachim  IL 


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128 


W.  Zincke: 


schloss  sich  aber  dem  Bündnis  nicht  an  und  blieb  dem  Kaiser  treu; 
„darüber  ist  der  landtgraff  entrüstet  gewesen  und  von  stundt  an  nach 
gehaltener  mittagmahlzeit  auffgebrochen,  widder  zum  Churfürsten  von 
Sachsen  gegen  Torgaw  gezogen". 

Die  theologischen  Streitigkeiten,  die  in  erster  Tiinie  Fürsten  und 
Geistliehe  beschäftigten,  übertrugen  sieh  aber  in  der  Folge  auch  auf 
das  Volk  und  die  breiteren  Massen.  Aus  dem  Jahre  1547  schildert  uns 
Hefter  in  seiner  Chronik  S.  322  eine  Revolte,  die  ihren  Ursprung  hat 
in  Verfügungen,  die  dem  Betroffenen  bei  seiner  Anwesenheit  in  Berlin 
eingehändigt  wurden. 

1548  fand  abermals  in  .lüterbock  eine  Theologen  Versammlung 
statt,  zu  der  auch  Kurfürst  Joachim  II.  wieder  aus  Berlin  kam. 

Die  Einführung  der  Reformation  in  den  kursächsischen  Ländern 
zeigte  die  Einwohner  von  Jüterbock  als  sehr  praktische  Geschäfts- 
leute. Luther  hatte  die  Verehrung  der  Heiligen  verworfen.  Dadurch 
waren  in  der  Stadtkirche  HO  Altäre  mit  ihrem  Gerät  überflüssig  ge- 
worden. Die  Jüterbocker  wussten  sich  zu  helfen.  Am  \\.  Februar  15<>2 
war  durch  einen  Sturm  die  Spitze  des  einen  Turmes  wenigstens  in  der 
oberen  Hälfte  herabgeworfen  worden.  Ilm  ihn  aufzubauen,  bedurfte  man 
Mittel.  In  ihrer  Wahl  war  man  nicht  bedenklich.  Das  überflüssig  ge- 
wordene Kirchensilber,  4'A  Mark  Ii  Loth,  verkaufte  man  und  zwar  in 
Berlin  für  ITC»- 3  Thlr.,  d.  i.  1  j  des  wirklichen  Wertes,  abgesehen  vom 
Kunstwert.  In  Jüterbock  erkannte  man  bald,  dass  man  sich  in  Berlin 
bei  dem  Handelsgeschäft  hatte  übervorteilen  lassen;  das  Geschäft  selbst 
aber  hatte  gefallen,  und  so  wurde  schon  ein  Jahr  darauf  noch  mehr 
Silbergerät,  auch  das  der  Mönehenkirche  verkauft,  diesmal  aber  in 
Leipzig.  Auch  der  Kurfürst  Johann  Georg  von  Brandenburg  kam  ver- 
schiedene Male  von  Berlin  nach  .lüterbock,  so  am  2.  November  1591 
mit  den  Herzogen  von  Weimar  zwecks  Beratung  über  die  kursächsische 
Vormundschaft,  und  dann  15(.)4,  wobei  ein  Feuer  in  der  Kirche  ausbrach. 

Reger  Verkehr  zwischen  beiden  Städten  fand  unter  der  Regierung 
des  Kurfürsten  Joachim  Friedrich  und  seines  Nachfolgers  statt.  Im 
Frühjahr  1004  traf  er  mit  dein  Kurfürsten  von  Sachsen  und  dem  Herzog 
Casimir  von  Gotha  in  Jüterbock  zusammen,  um  sich  mit  ihnen  über 
die  Jülichsche  Erbschaft  zu  besprechen.  Als  dann  der  Erbfall  wirklich 
eingetreten  war,  fand  Hill,  vom  l.  Februar  bis  21.  März,  volle  sieben 
Wochen  lang,  ein  Fürstentag  in  dieser  Angelegenheit  statt,  an  dem  von 
brandenburgischer  Seite  teilnahmen:  Kurfürst  Sigismund,  seine  beiden 
Oheime,  seines  Vaters  Brüder:  Markgraf  Christian  von  Baireuth  und 
Markgraf  Joachim  Ernst  von  Ansbach;  von  sächsischer  Seite  Kurfürst 
Christian  II.  und  seine  Brüder,  die  Herzoge  Johann  Casimir  und  Johann 
Ernst  von  Sachsen  (cfr.  Chronisten). 


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Über  die  historischen  Beziehungen  der  alten  Stadt  Jüterbog  zu  Berlin.  120 


Späterhin,  am  26.  April  1623,  fand  in  Jüterbock  auch  eine 
Zusammenkunft  des  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  von  Brandenburg  mit 
dem  Kurfürsten  Johann  Georg  I.  von  Sachsen  und  dem  Landgrafen 
Moritz  von  Hessen  statt. 

Der  dreissigjährige  Krieg  (1618—48)  inachte  sich  in  Jüterbock 
ausserordentlich  bemerkbar;  kurbrandenburgische  Heerführer  und  Kom- 
missare nahmen  hier  ständige  Quartiere  und  erfüllten  hier  die  Befehle, 
die  ihnen  von  Berlin  aus  zugingen.  Berlin  war  in  dieser  Zeit, 
namentlich  aber  in  den  Pestjahren  1611,  1621,  1626  und  1687,  auch  der 
Zufluchtsort  vieler  Jüterbocker  Bürger.  1689,  im  August,  als  eine 
schwedische  Heerschaar  von  Pommern  aus  bis  Berlin  vorrückte,  eilte 
der  Rat  der  Stadt  Jüterbock  in  seiner  Besorgnis  hierher,  um  sich  einen 
—  allerdings  ganz  überflüssigen  und  unnützen  —  Schutzbrief  (für  alle 
Fälle)  auszwirken. 

Durch  den  westfälischen  Frieden  (1648)  war  das  Erzbistum  Magde- 
burg an  Sachsen  übergegangen.  Das  Bedürfnis  nach  Ruhe  machte  sich 
aller  Orten  geltend;  der  Grosse  Kurfürst  von  Brandenburg  hatte  mit 
seinem  eigenen  Lande  vollauf  zu  thuu,  und  so  findet  sich  in  dieser 
Zeit  ganz  erklärlich  fast  gar  keine  Verbindung  zwischen  Jüterbock 
und  Berlin. 

Das  Jahr  1675  lässt  ersteres  dann  allerdings  den  Druck  der  auf- 
blühenden Macht,  die  in  Berlin  festsass,  ziemlich  nachhaltig  fühlen. 
In  diesem  Jahre  hatte  der  erzstif tische  Landesherr  Landeskinder  werben 
lassen,  um  sie  nach  berühmten  Mustern  den  Franzosen  als  Soldaten  zur 
Verfügung  zu  stellen.  Da  aber  Frankreich  mit  dem  deutschen  Reiche 
im  Krieg  stand,  wurden  die  Geworbenen  abgefangen  und  Brandenburg 
erhielt  den  Auftrag,  eine  Exekution  gegen  den  Fürsten  August  aus- 
zuführen. Am  16.  Dezember  erschien  der  brandenburgische  Oberst- 
lieutenaut  von  Golz  mit  8  Kompagnien  von  Berliu  vor  Jüterbock 
und  verschaffte  sich  gewaltsam  Einlass  und  Quartier.  Er  blieb  bis 
Ende  Mai  1676;  die  fast  halbjährige  Kriegsbelastung  schätzte  die  Stadt 
auf  10000  Thaler.  Sie  hatte  kaum  aufgeatmet,  als  am  4.  Dezember 
der  kurbrandenburgische  General  von  Wolfersdorf  mit  gleichfalls 
3  Kompagnien  vor  Jüterbock  erschien  und  sich  daselbst  bis  zum 
Juni  1677  einquartierte.  Zu  gleicher  Zeit  erschienen  ausserdem  300  Mann 
kaiserlicher  Truppen.  Der  rege,  wenn  auch  zuweilen  gezwungene  Ver- 
kehr mit  Berlin  hatte  in  anderer  Beziehung  aber  auch  wieder  sein 
Gutes.  In  Jüterbock  hatte  sich  ein  stark  betriebenes,  wiewohl  un- 
günstiges Gewerbe  entwickelt,  das  des  Strumpfstrickens;  man  strickte 
aber  nicht  blos  Strümpfe,  sondern  auch  Beinlinge,  die  Fortsetzung  der 
Strümpfe.  Da  dieser  Nahruugszweig  namentlich  Altersschwachen  und 
Gebrechlichen  durch  landesväterliches  Reskript  gestattet  wurde,  kam  er 

9 


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W.  Zincko: 


mit  der  Zeit  so  in  Aufnahme,  dass  wir  ihn  um  1700  finden  als  w  Armee- 
lieferant für  die  preussisehen  Truppen". 

Umgekehrt  war  Berlin  Lieferant  für  .Jüterbock.  1737  erbaute 
.loachim  Wagner  aus  Berlin  »las  noch  jetzt  vorhandene  schöne  und  grosse 
Orgelwerk  der  Nicolaikirche. 

Die  Regienmgszeit  Friedrichs  des  Grossen  ging  anfänglich  während 
der  schlesischen  Kriege  an  .lüterboek  nicht  sehr  fühlbar  vorüber;  als 
aber  der  siebenjährige  Krieg  ausbrach  und  König  Friedrich  II.  sofort 
aufbrach,  war  die  Grenzstadt  .lüterboek  sein  erstes  Hauptquartier. 
Am  "2\l  August  175(>  rückte  er  ein  und  nahm  im  Bürgermeister 
Schwenkeschen  (Gerhardsehen)  Hause  Wohnung.  Hier  erfolgte  auch 
nach  Ablehnung  des  Bündnisses  von  Sachsens  Seite  die  Kriegserklärung 
und  diu  feindliche  Behandlung  des  Landes.  Wie  seinerzeit  der  30jährige, 
so  hatte  auch  der  7jährige  Krieg  für  .lüterboek  noch  in  seinem 
Frieden  schlimme  Nachwirkungen. 

Die  Geschichte  der  Freiheitskriege  und  der  Zeit  unseres  Jahr- 
hunderts lebt  in  den  mittleren  Altersklassen  durch  Erzählung  der  Gross- 
väter und  Väter  noch  fort.  Mit  dem  Wiener  Frieden  wurde  .lüterboek 
preussisch  und  damit  trat  es  in  direkte  Beziehungen  zu  der  preussisehen 
Hauptstadt. 

Bedarf  es  ausser  diesen  oben  angeführten  Fakten  und  Daten  noch 
weiterer  Unterstützung,  so  mögen  zum  Schlüsse  noch  einige  bedeutende 
Männer  Erwähnung  linden,  welche  in  .lüterboek  geboren  sind  oder 
dort  gelebt  halten  und  die  in  engsten  Beziehungen  standen  zu  Berlin. 
Der  erste  Platz  gebührt  zweifellos  dem  bekannten  Schulmann  und 
märkischen  Chronisten 

Peter  II  äfft  iz, 

der  um  15:25  in  .lüterboek  geboren  wurde.  Seine  Thätigkeit  als  Lehrer 
an  der  Marien-  und  Nicolaischide  zu  Berlin,  seine  weitere  Amtstätigkeit 
als  Rektor  der  Petrischale  in  Cölln  a.  d.  Spree  sind  dem  Historiker 
weniger  wertvoll  als  die  Abfassung  seiner  in  annalistischer  Form  ver- 
fassten  „Kurtzen  und  wahrhaftigen  Beschreibung  des  Zustandes  der 
Kurmark  Brandenburg  von  LISS  bis  151I5U,  die  auch  uuter  dem  Titel 
„Micro-ehronologieum"  bekannt  ist.  Ist  es  auch  erwiesen,  dass  Hafttiz 
für  dieses  Werk  wenig  eigenes  schriftstellerisches  Talent  beanspruchen 
kann  und  gewissennassen  nur  ein  Plagiat  der  zeitgenössischen  Chronik 
des  Engelbert  Wusterwitz  geliefert  hat,  so  hat  er  doch  dadurch,  dass 
er  dieselbe  ausgiebiger  als  Angelus  nicht  blos  im  „Breviarium",  sondern 
auch  in  seinen  ausführlichen  „Annales  Marchiae  Brandenburgicae"  be- 
nützte,  ein  schätzbares  Material  zur  Rekonstruktion  jenes  leider  nur  in 
diesen  Fragmeuten  erhaltenen  Werkes  geliefert  und  seinem  Micro-chrono- 


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Über  die  historischen  Beziehungen  der  alten  8tadt  Jüterbog  zu  Berlin.  131 

"  logicum  einen  von  ihm  selbst  ungeahnten  Wert  verliehen.  HaH'tiz  starb 
1602  hier  in  Berlin. 

Ein  zweiter  Name,  der  verdient,  der  Vergessenheit  entrissen  zu 
werden,  ist  der  von 

Valentin  Ernst  L  ö  s  e  h  e  r  , 

der  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  ein  Vorkämpfer  der 
lutherischen  Orthodoxie  gegenüber  dem  Pietismus  war.  Während  seiner 
von  1698  bis  1701  dauernden  Thätigkeit  als  Pfarrer  und  Superintendent 
in  Jüterbock,  seinem  ersten  geistlichen  Amte,  hielt  er  Kateehismus- 
examina  ab  und  führte  dieselben  in  der  ganzen  Diözese  ein.  Grössere 
Beachtung  verdient  er  durch  sein  Auftreten  gegen  den  von  König 
Friedrich  L,  der  1703  in  Berlin  ein  Unionskollegium  eingesetzt  hatte, 
um  zwischen  der  lutherischen  und  reformierten  Kirche  zu  unterhandeln, 
gemachten  Unionsversuch,  der  die  Auflösung  des  Kollegiums  zur  Folge 
hatte.  Es  würde  zu  weit  führen,  hier  ausführlichere  biographische 
Notizen  mitzuteilen.  Nur  soviel  verdiene  Erwähnung,  dass  Löscher  ein 
halbes  Jahrhundert  lang  eiue  Säule  der  deutschen  evangelisch-lutherischen 
Kirche  war,  treu  ihrem  Bekenntnis,  mannhaft  für  ihre  Rechte,  unermüdet 
in  Wort  und  Schrift  für  ihr  Bestes  arbeitend.  Viele  Gedanken  und  Ge- 
sinnungen des  Mannes  sind  zu  seiner  Zeit  wenig  beachtet  worden,  haben 
aber  etwas  Prophetisches  für  unser  Jahrhundert. 

Noch  eiu  anderer  Theologe  verdient  aus  dieser  Zeit  Erwähnung, 
der  allerdings  zuletzt  als  „grober  Fanatiker  und  Inditterentist"  bezeichnet 
wurde,  der  auch  geistliche  Lieder  verfasste,  die  aber  keine  Verbreitung 
fanden,  ein  Mann,  der  ohne  Zweifel  ein  „wunderlicher  Heiliger"  war, 

Johann  Michael, 

•  der  nach  seiner  Amtsniederlegung  als  Pastor  in  Ahlsdorf  vorübergehend 
in  Jüterbock  lebte  und  von  hier  aus  gegen  seine  Zeit  ankämpfte. 
Michael  war.  1638  zu  Wittenberg  geboren. 

Zuletzt  möge  aber  genannt  werden  ein  Mann,  der  weit  über  den 
Kreis  seiner  Vaterstadt  hinaus  als  ausgezeichneter  Volksschullehrer  und 
Pädagog  gefeiert  wird,  der  am  30.  Juli  1809  zu  Jüterbock  als  Sohn 
eines  sächsischen  Feldwebels  geborene 

Karl  Eduard  Gabriel. 

Hier  in  Berlin  wurde  er  eines  der  thätigsten  Mitglieder  der  päda- 
gogischen Gesellschaft.  Im  Herbst  1832  übergab  ihm  Diesterweg  eine 
Lehrerstelle  an  der  mit  dem  Seminar  für  Stadtschulen  verbundenen 
Berliner  Stadtschule,  in  welcher  Eigenschaft  er  bis  zu  seinem  Tode  1841 
blieb.    Gabriel  war  nicht  nur  ein  ausgezeichneter  Lehrer,  sondern  auch 

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1H2    W.  Zincke :  Über  die  histor.  Besiehungen  der  alten  Stadt  Jüterbog  zu  Berlin. 

ein  wahrhafter  Erzieher.  Er  war  ein  erster  Anhänger  Pestalozzis  und 
als  solcher  ein  kraftbildender,  rationeller  Lehrer.  Seine  schrift- 
stellerischen Arbeiten,  unter  denen  die  vorzüglichste  seine  „Anthro- 
pologie"4 ist,  haben  den  Namen  des  vonnaligen  Aimahurger  Soldaten- 
waisenkuaben  über  alle  Teile  Deutschlands  verbreitet. 

Gedenken  wir  zum  Sehluss  noch  kurz  des  erst  vor  wenigen 
Jahren  verstorbenen,  gleichfalls  aus  Jute r bock  gebürtigen  Gyinnasial- 
direktors  ( 

K  e  r  n  iu  Berlin, 

so  dürfte  der  Beweis  erbracht  sein,  dass  Jäter  bock  der  Stadt 
Berlin  manchen  Tribut  in  geschichtlicher  und  wissenschaftlicher  Form 
gebracht  hat. 


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Über  die 

Bildung  natürlicher  Vegetationsformationen 
im  Norddeutschen  Flachlande. 

Von  P.  Graebner. 

Wenn  jemand  auf  den  grossen  Eisenbahnlinien  das  norddeutsche 
Flachland  durchkreuzt  und  so  auf  tagelangen  Fahrten  die  grossen  Thälor, 
in  denen  das  Wasser  des  abschmelzenden  Inlandeises  sich  seinen  Weg 
bahnte,  oder  auf  den  wenig  bewegten  1  nluvialplateaus  dahin  fährt,  wird 
er  wenig  angenehm  berührt  sein  durch  die  Monotonie  der  Landschaft,  die 
sich  seinen  Blicken  darbietet ;  —  im  Osten  meist  ausgedehnte  einförmige 
Kiefernwälder  oder  öde  Sandfelder,  die  nur  in  den  nördlicheren  Teilen 
dem  freundlicheren  Bilde  grösserer  Wiesenflächen  und  üppigerer  Äcker 
Platz  machen,  im  Westen  unabsehbare  Heideflächen  auf  sanft  gewölbten 
Hügeln,  nur  hin  und  wieder  unterbrochen  durch  nicht  minder  eintönige 
Moore.  Erst  eine  genauere  Kenntnis  des  so  oft  verachteten  rauhen 
Norddeutschlands  zeigt,  dass  das  Urteil,  welches  unseren  heimatlichen 
Gefilden  jedwede  landschaftlich»  Schönheit  abspricht,  nur  von  solchen 
Reisenden  gefällt  werden  kann,  die  aus  einem  flüchtigen  Besuch  sieh 
ihre  Anschauung  gebildet  haben.  Sobald  wir  jene  Gebiete  der  Monotonie, 
die  mit  Vorliebe  von  den  Eisenbahnteelinikern  ausgesucht  werden,  ver- 
lassen, treten  uns  die  mannigfachsten  Formationen  entgegen;  da  finden 
wir  rauschende  Buchenwälder  abwechselnd  mit  üppigen  Wiesen,  in 
manchen  Teilen  unterbrochen  durch  weitsehimmernde  Wasserflächen. 

Giebt  schon  eine  flüchtige  Reise  durch  das  Gebiet  zu  denken, 
warum  sich  der  Westen  uns  so  ganz  anders  gebildet  entgegenstellt  als 
der  Osten,  so  müssen  wir  uns  um  so  mehr  fragen,  wie  wir  uns  die 
Ausbildung  der  verschiedenen  Formationen  auf  engbegrenzten  Land- 
strichen zu  denken  haben,  warum  wir  hier  eine  Heid»  in  unmittelbarer 
Nachbarschaft  eines  Eichen-  oder  Buchenwaldes  sehen,  oft,  ohne  dass 
wir  äusserlich  erhebliche  Unterschiede  in  der  Bodengestaltung  zu  er- 
kennen vermögen,  warum  in  der  einen  Thalmulde  sieh  ein  Grünlandmoor 
mit  Riedgräsern  ausgebildet  hat,  während  eine  benachbarte  Senkung 
durch  ein  typisches  Heidemoor  ausgefüllt  wird.  Es  ist  denn  auch 
in  der  That  schon  seit  früher  Zeit  das  Bestreben  vieler  Botaniker, 


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134 


P.  Graebner: 


Land-  und  Forstwirte  gewesen,  hier  dem  geheimnisvollen  Walten  der 
Natur  au£  die  Spur  zu  kommen:  es  liegt  ein  eigener  Reiz  darin,  die 
Gründe  und  Gesetze  ausfindig  zu  machen,  von  denen  die  Naturprodukte 
bei  ihrem  Entstehen,  bei  ihrer  Ausbildung  abhängig  erscheinen.  Bereits 
in  den  älteren  pflanzengeographischen  Werken  finden  wir  Andeutungen 
und  Erklärungsversuche  für  diese  oder  jene  formationsgeschichtliche 
Thatsache,  so  schon  bei  Humboldt,  bei  Grisebach,  besonders  aber 
bei  De  Candolle.  In  neuerer  Zeit  sind  manuigfaehe  Ansichten  über 
die  Formationsbildung  aufgetaucht  und  besonders  eine  Reihe  von 
Beobachtungen  und  zahlreiche  Materialien,  die  sich  in  den  Museen  und 
Herbarien  gesammelt  finden,  sind  für  solche  Forschungen  nutzbringend 
verwertet  worden,  so  besonders  von  Warming,  Engler  u.  a.;  was 
speziell  das  norddeutsche  Flachland  betrifft,  so  finden  wir  in  vielen 
Arbeiten  Theorien  und  Thatsachen  niedergelegt,  die  gezogenen  Schlüsse 
stehen  sich  oft  diametral  gegenüber,  denn  während  die  einen  geneigt 
sind,  für  die  Selbständigkeit  und  Ursprünglichkeit  der  Formationen  ein- 
zutreten, glauben  wieder  andere  annehmen  zu  müssen,  dass  in  einem  so 
alten  Kulturlande  von  natürlichen  Formationen  keine  Rede  mehr  sein 
könne.  Besonders  Borggreve  und  E.  H.  L.  Krause,  von  denen  na- 
mentlich der  letztere  sich  hervorragende  Verdienste  um  die  Ermittelung 
florengeschichtlicher  Thatsachen  erworben  hat,  nahmen  an,  dass  das 
ganze  norddeutsche  Flachland,  wenn  es  auch  nur  KM)  Jahre  von  den 
Menschen  verlassen  sein  würde,  mit  Ausnahme  vielleicht  der  Salzsümpfe 
mit  einem  dichten  Urwald  bedeckt  sein  würde,  und  dass  die  Wälder, 
die  sich  heute  unseren  Blicken  darbieten,  nur  wenig  Ähnlichkeit  mit 
ursprünglichen  besitzen.  Demgegenüber  vertritt  Drude  wohl  mit  Recht 
die  Ansicht,  dass  sich  unsere  „Forsten"  in  Bezug  auf  Zusammensetzung 
der  Vegetation  nicht  erheblich  von  den  „Urwäldern"  unterscheiden. 

Eine  endgiltige  Lösung  der  Frage  der  natürlichen  Formations- 
bildung kann  nur  durch  das  gleichmässige  Fortschreiten  verschiedener 
Wissenschaften  gegeben  werden.  In  erster  Linie  ist  es  die  Quartär- 
geologie, von  der  von  vornherein  die  erheblichste  Förderung  zu  erwarten 
war,  und  gerade  auf  diesem  Gebiete  ist  unsere  Kenntnis  durch  die 
Arbeiten  von  Behrendt,  Wahnschaffe,  P.  E.  Müller  und  Ramann 
beträchtlich  erweitert  worden.  Zugleich  sind  auch  die  Forschungen  der 
Meteorologen  und  K  limatologen  soweit  gediehen,  dass  sie  uns  einen  um- 
fassenderen Uberblick  über  die  Witterungsverhältnisse  gestatten.  Die 
Resultate  beider  Wissenschaften  werden  wir  dann  auf  die  Übereinstimmung 
mit  pflanzengeographischen  Thatsachen  und  physiologischen  Ermittelungen 
zu  prüfen  und  demgemäss  zu  verwerten  haben. 

Es  ist  eine  den  Gärtnern  wohlbekannte  Erscheinung,  dass  eine 
ganze  Reihe  von  Pflanzen  gegen  eine  Anreicherung  im  Wasser  löslicher 
Mineralstoflfe  oder  Humussäuren  sich  so  empfindlich  zeigt,  dass  oft  eine 


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Über  die  Bildung  natürl.  Vegetationsformen  im  Norddeutsch.  Flachlande,  135 


einmalige  nnzeitige  Bewässerung,  die  eine  übermässige  Lösung  der  ge- 
nannten Verbindungen  zur  Folge  hat,  den  Tod  der  kultivierten  Pflanze 
zur  Folge  hat.    Stellt  man  nun  die  Arten,  die  eine  solche  Abhängigkeit 
zeigen,  zusammen,  so  findet  man  bald,  dass  sich,  wie  zu  erwarten  steht, 
ein  inniger  Zusammenhang  der  Kulturmethoden  mit  ihrem  Vorkommen 
in  der  freien  Natur  herausstellt.    Es  sind  nicht  nur  solche  Pflanzen,  die 
auf  trocknem  Boden  ihr  Dasein  fristen,  sondern  viele  derselben  (z.  B. 
eine  grosse  Zahl  von  Ericaceen)  wachsen  häufig  an  Stellen,  an  denen 
der  Fuss  des  Sammlers  tief  in  das  Wasser  einsinkt,  wenn  anders  ein 
Betreten  der  wasserzügigen  Stollen   überhaupt  möglich  erscheint;  die 
tropischen  Luft-Orchideen,  welche  in  den  feuchten  Jahreszeiten  an  Wasser 
keinen  Mangel  leiden,   weiden  in  unseren  Gewächshäusern  meist  in 
Moostorf  und  Sphagnum  kultiviert,  welches  in  ähnlicher  Weise  wie  die 
Ericaceen    eine    Ansammlung    stagnierenden    Wassers    nicht  erträgt. 
Andererseits  bemerken  wir  an  anderen  Arten,  die  wir  auf  unseren  Grün- 
landmooren   (Carices  etc.)   oder   an   Wasseriii ufen   (Iris  Pseudacorus, 
Sparganiuin  ramosum,  .huieus  eftusus  u.  a.)  und  auf  politischen  Hügeln 
(resp.  mergeligen  Buchenwäldern,  Ulmaria  Filipendula,  Lamium  Galeob- 
dolon,  Asarum  europaeuni  u.  v.  a.)  beobachten,  eine  auffällige  Uuempfind- 
liehkeit  gegen  die  Einflüsse  gelöster  Salze  etc.    Ich  habe  während  ver- 
schiedener Jahre  zahlreiche  Versuche  in  dieser  Richtung  gemacht,  alle 
mit  demselben  Erfolge:  es  zeigten  sich  die  Pflanzen  aus  den  verschiedensten 
Familien   in   gleicher  Wreise  abhängig;   Sphagnum   verhielt   sich  wie 
Drosera,   Juncus   squarrosus,   Calluna,   Erica,   Rhynchospora,  Ledum, 
(Pinns  silvestris)  und  viele  andere.    Sie  alle  starben  ab,  sobald  künstlich 
der  Abfluss  des  überflüssigen  Wassers  verhindert,  durch  nährstoffreichen 
Boden  geleitetes  Wasser  dargeboten  oder  ganz  geringe  Mengen  von 
Düngesalzen  zugesetzt  wurden,  was  die  Pflanzen  der  Grünlandmoore 
ohne  jeden  Schaden  ertrugen.    Ich  habe  Vertreter  der  letzteren,  besonders 
Carices,  lange  Zeit  in  unten  völlig  geschlossenen  Gefässen  gehalten,  und 
durch  die  fortwährende  Ergänzung  des  verdunstenden  Wassers,  welches 
immer  über  der  Bodenoberfläehe  stand,  war  die  Erde  nach  kurzer  Zeit 
vollkommen  sauer  geworden.    Ich  sprach  darauf  hin  bereits  in  früheren 
Arbeiten  die  Ansicht  aus,  dass  wahrscheinlich  die  Wässer  der  Heide- 
und  Grünlandinoore  einen  sehr  verschiedenen  Gehalt  an  gelösten  or- 
ganischen und  anorganischen  Stoffen  (nicht  nur  an  Kalken)  enthielten 
und  darauf  die  Verschiedenartigkeit  der  Vegetation  zurückzuführen  sei. 
Die  Arbeiten  der  Bodenchemiker  halten  die  Richtigkeit  der  Vermutung 
bestätigt.     Betrachtet  man  nun   die  übrigen  Vegetationsformationen  in 
ihren  Beziehungen  zu  Heidemoor  und  Wiesenmoor,  so  ergeben  sich  ganz 
auffällige  Übereinstimmungen:  dass  die  Sandfelder,  Heiden,  Heidemoore, 
Ileidetümpel  und  Seen  nur  durch  den  verschiedenen  Wassergehalt  in 
ihrer  Vegetation  von  einander  abweichen  und  so  eine  zusammengehörige 


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P.  Graebner: 


Gruppe  bilden,  zu  der  die  Formation  der  Kiefernwälder  in  engstem  Ver- 
hältnis steht,  lehrt  die  blosse  Betrachtung  in  der  Natur.  In  ähnlicher 
Weise  zeigen  sich  die  pontiscben  Hügel,  die  Buchenwälder,  die  Fluss- 
wiesen, Erlenbrücher,  Grünlandmoore  und  Landwässer  (Teiche,  Wasser- 
läufe und  Landseen)  mit  einander  nahe  verwandt,  ebenso  wie  Strand- 
dünen, Strandwiesen  und  Salzsümpfe.  Einen  gewissen  Ubergang  zwischen 
der  ersten  und  zweiten  Gruppe  bilden  die  Eichen-  und  Birkenwälder.  — 
Es  ist  augenscheinlich  nicht  die  grössere  oder  geringere 
Wassermenge,  die  in  den  verschiedenen  Formationen  den 
Pflanzen  zur  Verfügung  steht,  durch  welche  die  eingreifend- 
sten Unterschiede  in  der  Formationsgestaltung  hervorge- 
bracht werden,  sondern  der  Prozentgehalt  der  gelösten 
Stoffe,  den  das  an  die  Wurzeln  gelangende  Wasser  enthält, 
scheint  in  erster  Linie  massgebend  zu  sein  für  den  Charakter 
der  Vegetation.  Der  Kalkgehalt  des  Bodens,  den  man  als  ein  Haupt- 
agens  für  die  Formationsgestaltung  auch  im  norddeutschen  Flachlande 
anzusehen  häufig  geneigt  war,  scheint  nur  in  gewissen  Fällen  von 
wirklich  so  grundlegender  Bedeutung  zu  sein,  wie  man  vielfach  annahm ; 
da  z.  B.  die  Heide  nicht  so  sehr  die  Kalkböden  (nur,  wie  es  scheint, 
.1  urakalke)  meidet,  vielmehr  ist  es  wahrscheinlich,  dass  der  mit  dem 
Kalkgehalt  zugleich  sich  einfindende  Reichtum  an  anderen  Nährstoffen 
den  entscheidendsten  Einfluss  ausübt.  Selbstverständlich  ist  der  Kalk- 
resp.  Mergelgehalt  im  Diluvium  an  sich  auch  von  grossem  Einfluss  auf 
die  Ausbildung  der  Vegetation  im  allgemeinen,  aber  wohl  meist  indirekt, 
d.  h.  er  wirkt  nicht  hauptsächlich  als  ein  Bestandteil  des  von  den 
Wurzeln  aufgenommenen  Wassers,  sondern  dadurch,  dass  er  dem  Boden, 
dem  er  beigemischt  ist,  immer  bestimmte  physikalische  Eigenschaften 
verleiht,  ihn  zu  einem  für  viele  Pflanzen  geeigneten,  sogenannten  „warmen** 
Boden  macht  und  durch  seine  Anwesenheit  oft  sekundäre  Veränderungen 
(z.  B.  Ablagerung  von  Humussandstein)  verhindert  und  ihm  dadurch 
die  für  die  Vegetation  vieler  Arten  notwendige  „Tiefgründigkeit"  bewahrt. 

E.  Laufer  und  F.  Wahnschaffe*)  haben  in  der  Umgebung  von 
Berlin  zahlreiche  Bodenuntersuchungen  vorgenommen,  die  besonders  die 
grossen  Schwankungen  im  Gehalt  an  Eisenoxyd,  Kalkerde,  Magnesia, 
Kali,  Natron,  Kohlensäure,  Phosphorsäure  in  den  verschiedenen  Boden- 
arten erkennen  lassen.  Leider  fehlen  grosse  Reihen  von  Wasseranalysen, 
die  den  einzelnen  Formationen  entnommen,  nach  gleichen  Grundsätzen 
ausgeführt  sind,  vollkommen.  Es  wären  gerade  solche  Untersuchungen 
für  das  Studium  der  Formationsgeschichte  von  unschätzbarem  Werte. 

E.  Ramann*)  hat  einige  solcher  Wässer  analysiert  und  gerade  dte 

*)  Untersuchungen  des  Bodens  der  Umgebung  von  Berlin.   Abb.  geolog.  Spesial- 
karte  von  Preussen  a.  d.  Thür.  Staaten,  Bd.  III;  Heft  2,  1881,  p.  1—283. 

**)  Organogene  Bildungen  der  Jetztzeit.    Neues  Jahrb.  Mineralogie  etc.,  Beil. 
Bd.  X,  1895,  p.  119-166.   (p.  166  fl.) 


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Über  die  Bildung  natflrl.  Vegetationsformationen  im  nordd.  Flachlande.  137 

hier  gewonnenen  Resultate  sprechen  in  Zusammenhang  mit  den  von 
Laufer  und  Wahnschaffe  angegebenen  Werten  (durcli  verschiedene  Rea- 
gentien  aufgeschlossene  Böden)  für  die  gehegten  Vermutungen.  Rainann 
fand  u.  a.  in  100 OCH)  Teilen  Wasser  in  einem  Heidemoor,  welches  in 
ein  Grünlandmoor  überging,  folgendes  Verhältnis: 


Wiesenmoor 

Grenze 
zwischen 

Heidemoor 

Kali  

Schwefelsäure  

Phosphorsäure  ... 

0,140 
0,821 
15,000 
0,504 
0,108 
1,11« 
1,286 
0,128 
0,141 
2,498 

0,388 
0,912 
8,560 
0,448 
0,108 
0,324 
0,49« 
0,228 
0,064 
0,972 

0,139 
0,653 
0,960 
0,120 
0,048 
0,264 
0,485 
0,120 
0,099 
0,660 

Summe  der  Mineralstoffe 
Organische  Stoffe 

21,687 
3,92 

12,500 
1,92 

3,548 
1,79 

An  einer  anderen  Stelle  (am  Plager  See  bei  Chorin),  wo  auf  ein 
Grünlandmoor  ebenfalls  ein  Heidemoor  folgt,  welches  dann  nach  dem 
Landsee  zu  in  ein  Eriophoretum  und  dieses  wieder  am  Rande  des  Wassers 
in  einen  Schilfbestand  überging,  fand  Rainann  folgendes  Verhältnis: 


Wh  •scmnoor 

Heidemoor 
Mittei 

Heidemoor 
(Grenze) 

Krio- 
jdiorotum 

Sfhilf 

Natron  .... 
Kalkerde  .   .  . 
Magnesia   .    .  . 
Manganoxydul . 
Eisenoxydul  .  . 
Schwefelsäure  . 
Phosphorsäure  . 
Chlor        .   .  , 

Kieselsäure   .  . 

0,217 
o,736 
2,««  7 
0,353 
0,O|O 
1 ,355 

0,91« 
0,01  I 
n.  best. 
0,K09 

0,220 

0,4 1 4 
0,134 
0,152 
Spur 
0,12« 
0,53«) 
0,064 
n.  best. 
0,333 

0,292 
0,553 
i  »,7S5 
0,429 
0,101 
0,«0« 

0,4«3 
0,168 
0,171 
1,447 

0,254 
1 ,234 
1,92S 
0,407 
0,09S 
0,261 
0,585 
0,164 
0,094 
1,224 

0,44« 
1 ,557 
3,081 
0,612 
0,083 
0,207 
0,979 
0,029 
0,045 
(►,693 

Sa.  d.  Minoralst. 
Organ.  Stoffe  | 

7,(  >74 
0,9> 

1,979 

0,55 

5,015 
1,00 

6,249 
1,20 

7,732 
0,76 

„Das  Wasser  des  Grünland moores  entspricht  wohl  nicht  ganz 
normalen  Verhältnissen;  möglich,  dass  sich  ein  Teil  oberflächlich  zu- 
gelaufenen Regen wassers  beigemischt  hatte.    Die  Stelle,   an  der  die 


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138  P-  Graebner: 


Probenahme  ausgeführt  wurde,  war  noch  ziemlich  locker,  reich  an 
sandigen  Beimischungen,  ohne  saure  Reaktion.  Es  kann  daher  nicht 
auffallen,  dass  Phosphorsaure  nur  spuren  weise  vorhanden  ist;  die 
redimierende  Wirkung  der  organischen  Stoffe  zeigt  sich  im  Gehalt«'  von 
Eisenoxydul". 

„Auffällig  ist  der  fast  gleichbleibende  Gehalt  an  Kali  in  den 
Wässern  der  ganzen  Randgebiete.  Am  stärksten  weicht  der  Gehalt  an 
Kalk  und  Magnesia  von  einander  ab.  Während  beide  im  Wasser  des 
Arundinetums  48°,©  und  im  Grünlandstnoor  41  %  der  gelösten  Salze 
ausmachen,  betragen  sie  im  Wollgrasmoor  mich  1187©,  gehen  dagegen 
in  der  Grenze  des  Hochmoores  auf  2öp«,  im  Hochmoor  selbst  auf 
14%  herab.« 

„Einer  jeden  Vegetation  entspricht  demnach  ein  Wasser  mit  ab- 
weichendem Salzgehalt.  Das  Beispiel  ist  um  so  schärfer,  da  die  ganze 
Breite  des  Moores  noch  nicht  200  m  erreicht  und  speziell  die  des  Hoch- 
moores kaum  '20—30  m  beträgt." 

„Die  Verhältnisse  des  Plager  Fenns  lassen  sich  durch  ein  Profil 
darstellen,  welches  in  seiner  Art  nicht  weniger  geologische  Verhältnisse 
charakterisiert,  wie  dies  mit  anderen  Profilen  geschieht." 


„Mineralstoflgehalt  und  Kalkgehalt  in  100  000  Wasser". 

Flachmoor.  Sphagnetum.  Sphagnet.  Eriophoretum.  Arundinetutn.. 

Grenze. 


„Beachtet  man  die  Düngewirkung  von  Salzen  auf  Moore  und  dass 
es  bisher  nicht  gelungen  ist,  Sphagneen  in  kalkhaltigen  Wässern  längere 
Zeit  lebend  zu  erhalten*),  so  scheint  die  Frage,  ob  die  Verschiedenartig- 
keit der  Vegetation  die  Folge  oder  Ursache  der  wechselnden  Zusammen- 


*)  Sendtner:  „Vegetationsverhttltnisae  Südbaierns",  S.  6;18;  Sphagneen  in  kalk- 
haltigem Walser  ßtarben  ab,  in  destilliertem  Wasser  konnten  eie  jahrelang  vegetierend 
erhalten  werden. 


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über  die  Bildung  natürl.  Vegetationsformationen  im  Nordd.  Flachlande,  189 


setzung  der  Wässer  ist,  im  ersten  Sinne  entschieden;  nur  der  wechselnde 
Salzgehalt  des  Wassers,  insbesondere  Gegenwart  oder  Fehlen 
von  Kalk  kann  die  Ursache  der  Verschiedenheit  der  Vege- 
tation sein." 

„Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  es  hei  zahlreicheren  Unter- 
suchungen möglich  sein  wird,  hierbei  ganz  bestimmte  Verhältnisse  nach- 
zuweisen; die  Analysen  sprechen  dafür,  dass  die  Sphagneen  erst  bei 
einem  Salzgehalt,  der  ü-4  Teile  auf  100000  Teile  Wasser  nicht  über- 
steigt, dauernd  zu  vegetieren  vermögen." 

„Aus  den  Analysen  ergiebt  sich  endlich  noch,  dass  zwischen  dem 
Wasser  der  llochmoorschichten  und  dem  der  benachbarten  Gebiete  ein 
geringer  Austausch  stattfindet.  Überall  trägt  die  Zusammensetzung  der 
Wässer  desselben  Moores  gemeinsame  Züge,  die  durch  die  vorhandenen 
Unterschiede  nicht  völlig  verwischt  werden". 

Kamann  kommt  so  auf  Grund  chemischer  Analysen  zu  denselben 
Resultaten,  wie  ich  sie  zu  gleicher  Zeit  durch  Pflanzenkulturen  und 
Beobachtung  im  Freien  gewonnen  habe.  Die  auffällige  Übereinstimmung 
spricht  sehr  für  die  Richtigkeit  der  gemachten  Annahmen. 

Ob  wirklich  der  Kalkgehalt  unmittelbar  (nicht  mittelbar)  im  weichen 
Boden  des  Flachlandes  (im  Gebirge  auf  anstehendem  Gestein  sind 
natürlich  ganz  andere  Verhältnisse  massgebend)  einen  so  einschneidenden 
Einfluss  auf  die  Ausbildung  der  Vegetation  besitzt,  wie  bisher  ziemlich 
allgemein  angenommen  wurde,  erscheint  mir,  wie  bereits  oben  bemerkt 
nicht  sicher,  da  sowohl  meine  Kulturversuche  mit  Wiesenmoor-,  Wald- 
nnd  Heidepflanzen  (auch  Sphagneen)  auf  kalkfreiem  aber  an  löslichen 
Salzen  reichem  Substrat  als  auch  die  auf  Heidemooren  vorgenommenen 
Düngungen  mit  Kalisalzen  etc.  dasselbe  Resultat  ergeben  haben,  wie  es 
durch  Mergeldüngung"  etc.  erzielt  worden  ist.  Es  scheint  danach 
im  Flachlande  nicht  so  sehr  die  Höhe  des  Kalkgehaltes  als 
vielmehr  (in  der  bei  weitem  grössten  Mehrzahl  der  Fälle)  die  Summe 
der  in  dem  den  Wurzeln  zugeführten  Wasser  gelösten  Salzen 
für  die  natürliche  Formationsbildung  massgebend  zu  sein. 

Will  man  die  Vegetationsformationen  in  ihrer  Entstehung  verfolgen, 
so  wird  man  gut  thuu,  sie  an  solchen  Stellen  zu  beobachten,  wo  wir 
sicher  sind,  dass  von  Menschenhand  keine  Samen  dorthingetragen  sind, 
und  wo  wir  sehen,  dass  ein  aus  irgend  einem  Grunde  verkahlter  Boden, 
durch  eine  Erdrutsehung,  einen  Ausstich  oder  eine  Holzung  (resp. 
Windbruch)  sich  mit  einer  Vegetation  bedeckt,  in  der  entschieden  die 
Vertreter  einer  bestimmten  Formation  den  Vorrang  haben.  Zahlreiche 
Beobachtungen  und  Aufzeichnungen  in  dieser  Richtung  haben  mich  nun 
zu  der  Überzeugung  geführt,  dass  eine  natürliche  Einteilung  der  For- 


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140 


P.  Graebner: 


mationen,  ihrer  Entwickelung  entsprechend,  in  der  Weise  geschehen 
kann,  dass  der  Nahrstoff-Gehalt  des  zngefiihrten  Wassers  zur  Grundlage 
genommen  wird  und  dann  die  Quantität  desselben  in  Verbindung  mit 
anderen  äusserlich  eingreifenden  Faktoren  zur  Abgrenzung  der  weiteren, 
in  der  Natur  gegebenen  Vergesellschaftungen  benutzt  wird.  Die  Unter- 
suchungen der  Geologen,  besonders  E.  Laufers  und  F.  Wahnschaffes, 
P.  E.  Müllers  und  E.  Rainanns,  haben  die  Vermutung  bestätigt.  Be- 
sonders auffallend  tritt  der  Unterschied  der  Formationen  nahrstoffarmer 
oder  -reieher  Wässer  bei  den  waldlosen  Formationen  zu  tage  Die 
Formation,  die  wir  als  die  der  politischen  Hügel  bezeichnen,  haupt- 
sächlich an  trocknen,  mergelhaltigen  Abhängen  entwickelt,  weicht  ganz 
erheblich  von  der  der  trocknen  Heide  ab,  obwohl  das  Maass  der  Trocken- 
heit bei  beiden  ein  gleiches  sein  dürfte  und  ebenso  verschieden  ist  das 
Aussehen  der  Heide-  und  Grünlandmoore  wie  auch  die  Vegetation  ihrer 
Wasserlachen  und  Seen. 

Wollen  wir  so  versuchen,  die  Entwickelung  unserer  Vegetations- 
formationen in  natürlicher  Folge  zu  betrachten,  so  wird  sich  etwa  ' 
folgendes  Schema  ergeben: 

A.  Vegetationsformationen  mit  mineralstoffreichen  Wässern. 

1.  trockener  Boden: 

a)  übermässige  Ansammlung  (auch  organischer);  Ruderal- 
stellen, 

b)  Politische  Hügel. 

2.  mässig  feuchter  Boden  (Waldbildung): 

a)  auf  Mergelboden  Buchenwälder  (an  sandigeren  Stellen 
oft  die  Weissbuche  vorwiegend), 

b)  auf  Sand-  oder  doch  weniger  mergel haltigem  Boden: 

a)  trocknerer  Boden  Eichen-,  Birkenwälder  (hier  all- 
mähliche Übergänge  zu  B  2  b), 

ß)  feuchterer  Boden  (in  einigen  Teilen  des  Gebietes) 
Fichtenwälder. 

nasser  Boden: 

a)  ohne  übermässige  Anreicherung  von  Nährstoffen,  meist  an 
fliessendem  Wasser 

er)  ohne  Überschwemmung  und  Eisgang  Erlen  brücher, 

ß)  mit  Überschwemmung  ohne  Eisgang  Auenwälder, 

y)  mit  Überschwemmung  und  Eisgang  natürliche  Wiesen, 

b)  mit  übermässiger  Anreicherung  (auch  organischer  Stoffe) 
Grünland inoore  („saure  Wiesen"). 

4.  im  Wasser,  Landseen,  Teiche,  Flüsse,  Bäche. 


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Über  die  Bildung  natüil.  V'egetationsfonnationen  im  Nordd.  Flacblande.  141 


B.  Vegetationsformationen  mit  mineralstoffarmen  Wässern. 

1.  sehr  trockener  Boden,  Sandfelder, 

2.  trockener  bis  massig  feuchter  Boden: 

a)  mit  Ortstein   oder  dicken   Bleisandschichten,  Calluna- 
Heiden , 

b)  ohne  Ortstein    oder  dicke   Bleisandschichten,  Kiefern- 
wälder (hier  Übergang  zu  A  '2  b), 

3.  nasser  Boden,  Heidemoore, 

4.  im  Wasser,  Heideseen,  -tümpel. 

C.  Vegetationsformationen  mit  salzhaltigen  Wässern. 

1.  trockner  Boden,  Dünen, 

2.  feuchter  Boden,  Strand  wiesen, 

3.  nasser  Boden,  Salz  sümpfe. 

A.  Vegetationsfortnationen  mit  nährstoffreichen  Wässern. 

Wie  schon  oben  hervorgehoben  wurde,  muss  mau  in  diese  Gruppe 
alle  diejenigen  Formationen  rechnen,  in  denen  das  an  die  Wurzeln  der 
Pflanzen  gelangende  Wasser  einen  Mineralstoffgehalt  von  mehr  als  etwa 
fi  oder  10  (meist  über  15 — '{())  Teilen  auf  100  000  enthält,  während  sich 
in  der  Abteilung  B  selten  mehr  als  2  in  100  000  Teilen  vorfinden.  Je 
nach  der  Quantität  des  zu  Gebote  stehenden  Wassers  werden  sich 
naturgemäss  sehr  verschiedenartige  Formationen  ausbilden,  wobei  dann 
ebenfalls  die  vorhandene  Bodenart  ausschlaggebend  sein  wird;  jedoch 
zeigt  sich  hier,  dass  auch  die  Einteilung  nach  den  Substraten  keinen 
Widerspruch  ergiebt,  da  die  Mergel-,  Lehm-  und  Thonböden  (sterile 
Letten  kommen  bei  uns  nicht  in  Betracht)  alle  zu  den  nährstoffreichen 
Böden  gerechnet  werden  müssen,  und  nur  die  Sande  und  Torfe,  die  ja 
auch  die  allerverschiedenartigste  Vegetation  zu  tragen  vermögen,  finden 
wir  in  allen  Abteilungen  wieder. 

i.  Vegetationsformation  der  Rnderalstellen. 

Obgleich  die  Vegetationsformation  der  Ruderalstellen  nicht  eigentlich 
den  natürlichen  Formationen  wird  zugerechnet  werden  können,  habe  ich 
doch  geglaubt,  dieselbe  hier  erwähnen  zu  sollen,  da  sie  durch  in  der 
Natur  gegebene  Verhältnisse  hervorgerufen  wird  und  sich  meist  sogar 
gegen  den  Willen  des  Menschen  bildet.  Hin  und  wieder  finden  wir 
auch  in  unseren  Wäldern,  besonders  Eichen-,  ganz  ähnliche  Lokalitäten, 
an  denen  das  Wild  täglich  grast  und  an  denen  durch  die  Exkremente 
derselben  eine  Anreicherung  von  organischen,  besonders  ammoniakhaltigen, 
Stoffen  eintritt.  Derartige  Lichtungen,  die  zwar  wohl  nie  in  grösserer 
Ausdehnung  vorkommen,  sah  ich  mehrfach  (bei  Neuhaidensleben,  bei 
Berlin,  bei  Colberg  und  in  Westpreussen).  Die  Flora  derselben  erinnert 
lebhaft  an  die  der   Dorfstrassen  und  Schuttstelleu,  besonders  Urtica 


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142 


P.  Graebner: 


dioeca  tritt  fast  immer  in  grossen  Mengen  auf,  dazwischen  meist  sehr 
viel  Nardus  stricta,  Euphrasia  gracilis  und  Cirsium  lanceolatum.  An 
Pilzen  sind  oft  Ciavaria  Ligula,  Lycoperdon  caelatum  und  Thelephora- 
Arten  zahlreich  entwickelt. 

Die  Zusammensetzung  der  Ruderalfloren  in  Städten  und  Dörfern 
ist  bekannt,  Chenopodien,  Atriplex-Arten,  Urtica,  dreien  u.  a.  spieleu 
eine  grosse  Rolle,  von  seltneren  Arten  wohl  nur  Coronopus  squamatus 
und  Potentilla  supina.  Ungemein  zahlreiche  Pflanzenarten  linden  sich 
oft  zwischen  den  Pflastersteinen  und  an  den  Rinnsteinrändern*  kleinerer 
Städte;  ich  sah  besonders  in  Putzig  (Westpr.)  und  in  Oderberg  in 
Brandenburg  derartig  reich  entwickelte  Strassenfloren;  im  letztgenannten 
Orte  konnte  ich  mit  den  Herren  Prof.  Dr.  P.  Ascherson,  H. 
Poeverlein  und  E.  Pritzel  im  Sommer  18%  folgende  Pflanzen 
in  bestimmbarem  Zustande  notieren:  Cystopus  Candidus  (auf  Capsella 
bursa  pastoris),  Barbula  muralis,  Agrostis  vulgaris,  A.  spica  venti, 
Dactylis  glomerata,  Poa  annua,  P.  compressa,  Bromus  tectorum,  Lolium 
pereune,  Triticum  repens,  Hordeum  murinum,  .luncus  compressus,  J. 
glaucus,  Urtica  urens,  U.  dioeca,  Rumex  crispus,  Polygonum  aviculare, 
P.  nodosum,  Chenopodium  glaucum,  Ch.  album,  Atriplex  patulum, 
Amarantus  retroflexus,  A.  Blitum,  Ranunculus  repens,  Chelidoniuni 
majus,  Papaver  Argemone,  Lepidium  ruderale,  Sisymbrium  ofticinale, 
Raphanistrum  silvestre,  Barbarea  lyrata,  Nasturtium  silvestre,  Capsella 
bursa  pastoris,  Erysimum  chciranthoides,  Reseda  odorata,  Ribes  Gros- 
sularia  (Rinnsteinraiid  am  Markt),  Spergula  arvensis,  Sagina  procumbens, 
Cerastium  triviale,  Stellaria  media,  Potentilla  reptans,  P.  auserina, 
Trifolium  arvense,  Tr.  repens,  Medicago  sativa,  («eranium  pusillum, 
Sium  latifolium,  Daucus  Carota,  Coriandrum  sativum,  Toriiis  Anthriscus, 
Lamium  purpureum,  Elssholzia  Patrinii,  Glechoma  hederacea,  Stachys 
palustris,  Mentha  aquatica,  Lyeium  halimifolium,  Veronica  aquatica,  V. 
scutellata,  Plantago  major,  PI.  lanceolata,  Galium  palustre,  Erigeron 
canadeusis,  Gnaphalium  uliginosum,  Bidens  tripartitus,  Achillea  Mille- 
folium,  Chrysanthemum  inodorum,  Chr.  Parthenium,  Artemisia  vulgaris, 
A.  campestris,  Tnssilago  Farfarus,  Senecio  vulgaris,  Cirsium  arvense, 
Crepis  tectorum,  Leontodon  autumnale,  Taraxacum  vulgare,  Sonchus 
asper,  S.  oleraceus;  also  mit  Sicherheit  erkennbar  77  Arten. 

Südlich  des  Dorfes  Rheda  im  Kreise  Neustadt  in  Westpreussen  war 
ein  hoher,  steiler  Diluvialabhang  von  Geschiebemergel  fast  auf  der 
ganzen  Höhe  und  in  erheblicher  Breite  durch  starke  Regengüsse  voll- 
ständig seiner  Pflanzendecke  beraubt  worden.  Es  war  mir  interessant, 
zu  beobachten,  wie  dieser  Abhang,  eine  natürliche  Entblössung  des 
Bodens,  sich  im  ersten  Jahre  mit  einer  Vegetation  bedeckte,  die  sehr 
lebhaft  an  die  der  Ruderalstellen  erinnert,  trotzdem  von  einer  Einwirkuug 
des  Menschen  nicht  die  Rede  sein  konnte,  und  die  zugleich  zeigt,  dass 


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Über  die  Bildung  natürl.  Vegetationsformationen  im  Nordd.  Flacbiande.  143 


die  Flora  der  Ruderalstellen  mit  der  im  nächsten  Kapitel  zu  be- 
schreibenden der  „poutisehen"  Hügel  in  innigstem  Zusammenhange  steht, 
was  auch  dadurch  klar  wurde,  dass  die  unverletzten  älteren  Teile  des 
permanenten  Abhanges  die  Formation  2  trugen.  Es  bringt  hier  augen- 
scheinlich der  natürliche  Nahrstoftreichtum  der  unberührten  Diluvial- 
mergcl  im  ersten  Jahre  dieselbe  Vegetation  hervor,  wie  wir  sie  bei  den 
Wohnsitzen  des  Menschen  an  durch  Abfälle  oder  tierische  Exkremente 
gedüngten  Kuderal-  oder  Segetalstellen  (Äcker,  Gärten  etc.)  beobachten. 
In  späteren  Jahren  verschwindet  die  Flora  an  den  natürlichen  Stand- 
orten fast  ganz,  da  ihr  durch  die  sicli  ansiedelnden  mehrjährigen,  meist 
rasenbildenden  Pflanzen  der  Boden  entzogen  wird,  und  so  können  wir 
dort  alle  Übergänge  zu  der  Formation  2  vorfinden.  —  An  dem  Steil- 
abhang bei  Rheda  wurden  folgende  Arten,  die  über  den  kahlen  Boden 
zerstreut  waren,  beobachtet:  Festuca  ovina,  Agrostis  spica  venti,  Rumex 
Acetosella,  Mclandryum  albmn,  Silene  Otites,  Arenaria  serpyllifolia, 
Scleranthus  perennis,  Papaver  spec.  Stenophragma  Thalianum,  Viola 
tricolor,  Erodium  cicutarium,  Myosotis  stricta,  Convolvulus  arvensis, 
Knautia  arvensis,  Gnaphalium  uliginosum,  Anthemis  arvensis,  Senecio 
vernalis,  Erigeron  canadensis,  Acltillea  Millefoliuni,  Centaurea  Cyanus. 

2.  Vegetationsformation  politischer  Hügel. 

Es  bedarf  zuerst  einer  kurzen  Erklärung,  was  wir  unter  der  Be- 
zeichnung „politische  Hügel"  zu  verstehen  haben.  Eine  grosse  Anzahl 
derjenigen  Ptlanzcnarteii,  die  wir  nur  im  östlichen  Teile  unseres  nord- 
deutschen Flachlandes  verbreitet  linden,  die  in  diesem  Gebiete  der  Phy- 
siognomie mancher  Formationen  ein  sehr  charakteristisches  Gepräge 
geben,  gehören  alle  einer  Pflaiizengescllschaft  an,  die  wir  deshalb,  weil 
der  Hauptverbreitungsbezirk  der  betreffenden  Arten  oder  Gattungen  sich 
im  südöstlichen  Europa  befindet,  als  die  „pontische"  bezeichnen,  besonders 
im  Gegensatz  zu  der  nordwestlichen,  der  „nordisch-atlantischen".  Die 
Mehrzahl  der  ersteren  bevorzugt  nun  sehr  eigentümliche  Standorte,  wir 
finden  sie  nieist  an  den  trocknen,  oft  nach  Süden  gekehrten  Abhängen 
trockner  Hügel,  auf  mergeligem  Sand  oder  sandigein  Mergel.  Die 
Lokalität  ist  meist  mit  Strauchwerk  oder  einzelnen  kleineren  Bäumen 
bestanden  und  zeigt  fast  immer  zwischen  den  einzelnen  Stauden  kleiuere 
oder  grössere  Flächen  kahlen  Bndens,  die  oft  keineswegs  trocken  er- 
scheinen, sondern  meist,  zu  trocknen  Zeiten  in  geringer  Tiefe,  frisch 
und  feucht  sind.  Man  sieht  deutlich,  dass  durch  die  den  Abhang  herab- 
rieselnden  Kegcnwassermengen  die  oberste  Bodenschicht  erst  vor  kurzem 
fortgespült  worden  ist,  und  das  ist  eben  das  Charakteristikum  der 
politischen  Hügel  und  ihr  Gegensatz  zur  Heide  (siehe  unten),  dass  an 
den  immer  stark  geneigten,  oft  sehr  steilen  Abhängen  die  Bildung 
einer  oberen  ausgelaugten  Bodenschicht  dadurch  verhindert 


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144  P.  Graebner: 

wird,  dass  durch  dauernde,  wenn  auch  geringe  Abtragung 
der  der  Atmosphäre  ausgesetzt  gewesenen  Bodenteilchen  die 
unteren  weniger  zersetzten  zutage  kommen  und  so  von  den  auf- 
fallenden Regentropfen  immer  wieder  nährstoffreiche  Schichten  getroffen 
werden.  Man  kann  daher  häufig  die  Beobachtung  machen,  dass  an  der 
oberen  Grenze  der  mit  der  charakteristischen  Vegetation  bedeckten  Ab- 
hänge, wo  das  Terrain  allmählich  in  die  Fläche  des  Plateaus  übergeht, 
die  starke  Neigung  abnimmt  und  schliesslich  verschwindet,  die  For- 
mation sich  in  eine  heidige  (Kiefernwald  etc.)  oder  gar  in  eine  echte 
Heide  verwandelt;  bei  genauer  Betrachtung  sieht  man,  dass  der  Boden 
mit  einer  mehr  oder  weniger  dicken  Blei-Sandlage  bedeckt  ist,  die  oberen 
Schichten  zeigen  also  einen  starken  Grad  von  Verwitterung  und  Anslaugung, 
und  daher  Armut  an  löslichen  Stoffen,  weil  die  Regenmengen  auf  der  wenig 
oder  nicht  geneigten  Oberfläche  nichtfortrieselten,  sondern  immer  undimmer 
wieder  durch  dieselben  Erdschichten  durchsickerten  und  sie  so  allmäh- 
lich fast  aller  Nährstoffe  beraubten.  Von  Wichtigkeit  ist  hierbei  auch 
die  Erscheinung,  dass  an  den  stärker  geneigten  Abhängen  die  verwesen- 
den Ptlanzenreste,  weil  sie  mit  der  herabgeführten  Erde  gemischt  werden 
(oder  auch  selbst  fortgetragen  werden),  sich  vollständig  zersetzen,  jeden- 
falls keine  Humusschicht  hinterlassen,  welche  wegen  der  die  Ver- 
witterung stark  befördernden  Eigenschaften  der  in  Wasser  löslichen 
Humussäuren  bei  der  Bildung  der  mineralstoffarmen  Sande  (Heide)  eine 
grosse  Rolle  spielen.  Wie  schon  hervorgehoben,  sind  die  Abhänge  meist 
nur  mit  Strauchwerk  oder  niedrigen  Bäumen  bedeckt.  Ein  Waldbestand 
kann  sich  naturgemäss  bei  der  geringen  Stabilität  der  Bodenoberfläche 
nicht  ausbilden. 

Man  beobachtet  im  Frühjahr  oft  zahlreiche  Baumsämlinge  auf  den 
verwundeten  Stellen;  aber  schon  im  Herbst  zeigt  sich  die  Mehrzahl  der 
wenigen  erhalten  gebliebenen  Exemplare  verkrümmt  und  zur  Seite  ge- 
bogen, und  gar  im  nächsten  Jahre  ist  ein  grosser  Teil  verschüttet,  wir 
sehen  hier  und  dort  die  einzelnen  Triebe  aus  der  Erde  hervorragen, 
und  die  am  Leben  bleibenden  Individuen  entwickeln  sich  strauchförinig. 
Nur  selten  vermag  eine  Pflanze  fest  Wurzel  zu  fassen  (bes.  Espen)  und 
zu  einem  Baume  auszuwachsen;  aber  schon  in  nicht  allzuspäten  Jahren 
bemerkt  man,  dass  der  Stamm  sich  zu  neigen  beginnt,  und  häufig 
hängen  die  Bäume  dann  am  Abhang  mit  der  Krone  nach  unten.  Nur 
ganz  vereinzelt  stehen  alte  Bäume  an  solchen  Orten  (Eichen,  Linden), 
dann  aber  meist  in  einer  Mulde  oder  am  sanft  geneigten  Fusse.  Die 
dichten  Bestände  von  hohem  Buschwerk  und  Bäumen,  die  als  Ufersaum 
oft  die  Abhänge  an  unseren  grossen  Strömen  begleiten,  zeigen  schon 
eiu  ganz  verändertes  Aussehen;  die  grossen  Exemplare  stehen  meist 
unten  an  flachen  Stelleu,  oder  die  Gehänge  sind  durch  zahlreich  von 
der  Seite  her   eingewascheue  Querfurchen  und  Thaleiuschnitte  abge- 


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Über  die  Bildung  natflrl.  Vegetationsformen  im  Norddeutsch.  Flachlande.  145 

flacht  und  zergliedert;  an  solchen  Orten  geht  die  Formation  in  dio  der 
Erlenbrucher  oder  der  Laubwälder  über,  und  oft  ist  hier  in  erheblichen 
Mengen  Humus  abgelagert. 

In  hervorragendein  Maasse  ist  die  Formation  der  pontischen  Hügel 
auch  im  Osten  des  norddeutschen  Flachlandes  entwickelt,  und  zwar 
nicht  allein  deswegen,  weil  eine  grosse  Zahl  der  charakteristischen  Be- 
wohner nur  hier  verbreite  tist,  im  Westen  fehlt  oder  nur  sporadisch  aultritt, 
sondern  auch  weil  die  günstigen  Lokalitäten  im  östlichen  Teile  des 
Gebiets  erheblich  häufiger  sind,  wo  sie  nicht  nur  (wie  im  Westen)  an 
den  Rändern  grösserer  Wasserläufe,  sondern  auch  von  diesen  entfernt 
sehr  zahlreich  vorkommen.  Es  hängt  diese  Erscheinung  mit  dem  all- 
gemeinen Charakter  mancher  Gebietsteile  zusammen.  In  der  Provinz 
Hannover  überwiegen  (besonders  in  den  grossen  Heidegegenden)  die 
sanft  geneigten  Hügel,  namentlich  im  Osten  der  Mark  etc.  ist  das 
Diluvialplateau  durch  unzählige  mehr  oder  minder  steile  Furchen  und 
Einsenkungen  zerklüftet  und  zerspalten,  die  wir  meist  mit  der  pontischen 
Vegetationsformation  bedeckt  linden.  Es  mag  der  Ausdruck  „politische" 
Hügel  für  die  in  Rede  stehende  Formation  nicht  immer  ganz  zutreffend 
erscheinen,  weil  eben  die  politischen  Arten  den  Westen  des  Gebietes 
meiden,  in  dem  wohl  aber  die  Formation  vertreten  ist;  es  scheint  mir 
jedoch  diese  Bezeichnung  den  Charakter  der  Florengesellschaft  genauer 
zu  bezeichnen,  als  andere  in  den  Floren  gebräuchliche  Angaben,  die 
leicht  zu  Missverständnissen  Veranlassung  geben  können,  da  sie  eben- 
sogut für  irgend  eine  andere  völlig  verschiedene  Formation  angewandt 
werden  können  (z.  B.  trockne  Hügel  etc.).  An  den  Abhängen  der 
grossen  nordostdeutschen  Dilnvialthäler  findet  sich  die  Formation  sehr 
charakteristisch  ausgebildet.  Als  ein  Beispiel  mag  die  Vegetation  des 
vielen  märkischen  Botanikern  wohlbekannten  Pimpinellenberges  bei 
Oderberg  angeführt  werden.  Am  Westabhang  finden  wir  zwischen 
einzelnen  kleinen,  meist  wenig  über  mannesliohen  Kiefern  auf  wenig 
ausgelaugtem  mergeligem  Sande  Plileum  Boehmeri  (viel),  Koehleria  glauca, 
Festuca  ovina,  (Agrostis  alba,  A.  vulgaris),  Silene  chlorantha,  S.  Otites, 
Alyssum  montanum  (sehr  viel),  Trifolium  minus,  Seduin  reflexum,  S. 
mite,  Euphorbia  Cyparissias,  Euphrasia  lutea  (viel),  Thymus  Serpyllum, 
Knautia  arveusis,  Hieraeium  echioides  (viel),  H.  Pilosella.  An  der  Süd- 
seite desselben  Berges  konnte  ich  mit  den  Herren  Prof.  Aschers«» n, 
H.  Poeverlein  und  E.  Pritzel  folgende  Flora  konstatiren:  Cladonia 
rangiferina,  Ceratodon  purpureus,  (Polytrichuui  piliferum),  Hypnum 
cupressiforme ,  Stupa  capillata ,  Phleum  Boehmeri ,  Calamagrostis 
epigea,  (Agrostis  alba),  (A.  vulgaris),  Koeleria  glauca,  (Festuca 
ovina,  (Anthericuin  Liliago,  Rumex  Acetosa,  Dianthus  Cartlmsianorum, 
D.  prolifer,  Silene  Olites,  S.  chlorantha,  Scleranthus  perenuis,  (Sei. 
annuus),  Pulsatilla  pratensis,  Alyssum  montanum  (viel),  Sedum  reflexum, 

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P.  Graebner: 


8.  mite,  S.  inaximum,  Rosa  canina,  Trifolium  arvense,  Tr.  agrarium,  Tr. 
minus,  Vicia  cassubica,  V.  tenuiflora,  Ouonis  spinosa,  Euphorbia  Cypa- 
rissias,  Hypericum  perforatum,  Peueedanuin  Oreosclinuin,  Armeria  elon- 
gata,  Convolvulus  arvensis,  Calamintha  Acinos,  Thymus  Serpyllum, 
Salvia  pratensis,  Veronica  Teuerium,  Kuphrasia  lutea  (sehr  vieh,  Scabiosa 
suaveolens,  Kuautia  arvensis,  .lasioue  moutana,  Solidago  Virga  aurea, 
Krigeron  acer,  Heiichrysum  arenarium,  Artemisia  campestris,  Centaurea 
pannieulata  (viel),  Hypochoeris  radicata,  Chondrilla  juncea,  Hieraciuin 
echioides  sehr  viel),  H.  Pilosella,  Scor/onera  purpurea.  Am  unteren 
Teile  des  Abhangs  wuchs  sehr  viel  Peueedanuin  Oreoselinum,  dazwischen 
besonders  Weingaertneria  canescens,  Koeleria  glauca,  Carex  pilulifera, 
Bcrteroa  incana,  Potentilla  cinerea,  Astragalus  glyciphyllus,  Convolvulus 
arvensis,  Galium  Mollugo,  Erigeron  canadensis  (an  verwundeten  Stelleu), 
Achillea  Millefolium,  Centaurea  Scabiosa.  Sehr  interessant  war  der 
Ubergang  der  Formation  auf  dem  Gipfel  des  Hügels,  wo  der  Sandboden 
ganz  erheblich  verwittert ,  ausgelaugt  und  oben  von  einer  humosen 
Schicht  überdeckt  war.  Die  charakteristischen  politischen  Pflanzet] 
traten  mehr  und  mehr  zurück  und  mit  dem  zahlreicheren  Auftreten  von 
Calluua  vulgaris  vermehrten  sich  auch  die  übrigen  Heidepflanzen,  von 
denen  einige  schon  spärlich  sich  weiter  unten  vorfanden,  Cladonia  rangi- 
ferina,  Ceratodon  purpureus,  Polytrichum  pilifermn,  Hypuuin  eupressi- 
fornie,  Festuca  ovina,  Weingaertneria  canescens,  Agrostis  alba,  A.  vulgaris, 
Carex  eriectorum ,  (Scleranthus  perennis),  Silene  Otites,  Pulsatilla 
pratensis,  Thymus  Serpyllum  (viel),  Scabiosa  canescens,  Hieraciuin 
Pilosella  (viel).  Zugleich  mit  der  Zunalnne  der  Heidepflanzen  wurde 
auch  Pinns  silvestris  häufiger  und  höher,  und  die  Formation  ging  all- 
mählich in  einen  Kiefernwald  mit  lleidecbarakter  über. 

Es  dürfte  nicht  notwendig  erscheinen,  noch  weitere  vollständige 
Vetretationsbilder  politischer  Hügel  zu  geben,  wohl  aber  wird  es  zweck- 
mässig sein,  aus  dem  grossen  vorhandenen  Material  noch  einiger  inte- 
ressanter und  recht  charakteristischer  Vorkommnisse  Erwähnung  zu 
thuu.  Hei  Schwedt  a.,0.,  dessen  Umgebung  sehr  reich  au  derartigen 
Lokalitäten  ist,  wurden  von  uns  bei  Gelegenheit  der  Frühjahrsversamm- 
lung*)  des  botanischen  Vereins  der  Provinz  Brandenburg  an  verschiedenen 
Orten  Beobachtungen  und  Aufzeichnungen  gemacht.  An  den  Uollmanns- 
bergen**)  wuchsen  u.  a.  Avena  pratensis,  Anthericus  Liliago,  Dianthus 
Cartusianorum,  Viscaria  viscosa,  Thalictruin  flexuosuni,  Pulsatilla  pra- 
tensis, Seduni  reflexum,  Medicago  minima,  Trifolium  alpestre,  T.  mon- 
tanuin,  Coronilla  varia,  Vicia  teuuifolia,  Helianthemum  Chamaecistus, 

•)  Vgl.  P.  Ascherson  und  M.  Gürke,  Bericht  über  diu  50.  (34.  Frühjahrs  )  Haupt- 
Versammlung  dos  Botanisehen  Vereins  der  Provinz.  Brandenburg  zu  Schwedt  a./O.  am 
1*2.  Juni  1892.    Verh.  Bot.  Ver.  Brandenb.  XXXIV  (1892)  S.  I-XVI. 
*•)  Vgl.  a.  a.  O.  8.  HI. 


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Über  die  Bildung  natürl  Vegetationsformationen  im  Nordd.  Flachlande.  147 

Peueedanum  Oreosclinum,  Priinula  officinalis,  Ajuga  genevensis,  Salvia 
pratensis,  Canipanula  sibirica,  C.  persicifolia,  Centaurea  Scabiosa,  0. 
panniculata,  Onopordon  Acaiitlüuin,  Leontodon  hispidus,  Achyrophorus 
macularus,  Seorzonera  humilis.  Am  Briesenberge*)  fanden  sich  Phleuin 
Boehmeri,  Thesiuin  interniedium ,  Filipendula  hexapetala,  Viola  hirta, 
Peueedanum  Cervaria,  Myrrhis  bulbosa,  Coruus  sanguinea,  Stachys  rectus, 
Veronica  Teucrinm,  Orobanche  caryophyllea,  Vincetoxicum  album,  Asperula 
tinctoria,  Campanula  bononiensis,  C.  glomerata,  Chrysanthemum  corym- 
bosum.  Nicht  weit  davon  fand  mau  noch  Brachypodium  pinnatum, 
Carex  montana,  Anemone  silvestris,  Polygala  comosa,  Sanguisorba  minor, 
Astragalus  Cicer,  (ieranium  sanguiueum,  Lithospermum  oflicinale,  Oro- 
banche lutea,  Chondrilla  juncea.  Am  Schwakenberg**)  wurde  beobachtet: 
Thesium  intermedium,  Thalictrum  tlexuosum,  Pulsatüla  pratensis,  Poten- 
tilla  cinerea,  P.  Tabernaeinontani,  Trifolium  alpestre,  Helianthemum 
Chamaecistus,  Falcaria  sioides,  Briinella  grandiflora,  Cvnoglossum  offi- 
cinale,  Centn  urcu  panniculata.  Schliesslich  am  Schäferberg:  Phleum 
Boehmeri,  Nroinus  inermis, Thesium  intermedium,  Dianthus  Cartbusianorum, 
Viscaria  viscosa,  Silene  uutans,  Anemone  silvestris,  Alyssum  calycinum, 
Polygala  comosa,  Saxifraga  granulata,  Crataegus  monogyna,  Sanguisorba 
minor,  Potentilla  cinerea,  Filipendula  hexapetala,  Vicia  tenuifolia,  Tri- 
folium motitauum,  Medicago  minima,  Anthyllis  Vulneraria,  Helianthemum 
Chamaecistus,  Falcaria  sioides,  Ajuga  geiievensis,  Stachys  rectus,  Salvia 
pratensis,  (S.  dumetorum),  Veronica  Teucrium,  Orobanche  caryophyllacca, 
(). lutea,  Vincetoxicum  album,  Asperula  tinctoria,  Guliuui  boreale,  Scabiosa 
columbaria,  Campanula.  sibirica,  Centaurea  panniculata,  Leontodon 
hispidus,  Crepis  biennis,  Seorzonera  purpurea.  Wenig  weiter  südwärts 
wuchsen  Thalictrum  tlexuosum,  Th.  minus,  Oxytropis  pilosa  (sehr  viel), 
Stachys  germanicus  und  Melampyrum  arvense. 

An  ganz  trockenen  Orten  auf  den  politischen  Hügeln,  wo  sich  eine 
Formation  entwickelt  hat,  die  etwa  der  der  Sandfelder  bei  den  Pflanzen- 
gesellsehaften  nahrstoffanuer  Wässer  entspricht,  nimmt  die  Zahl  der 
Pflanzenarten  naturgeinäss  sehr  ab,  Stupa  capillata,  (St.  pennata)  linden 
sich  hauligalsCharakterptlanzen  solch  steriler  Stellen,  bei  Schwedt  a.  O.***) 
wuchsen  Fsoroiua  lentigerum  und  Ps.  fulgens,  die  sonst  den  mitteldeutschen 
Kalkbcrgen  eigentümlich  sind,  in  ihrer  Gesellschaft. 

Umgekehrt  linden  wir  an  den  feuchten  (oft  schattigen)  Stellen 
besonders  im  Frühling  eine  reiche  Flora,  in  den  bereits  oben  erwähnten 
Buschwäldern  der  Diluvialränder;  Triticum  caninum,  Allium  Scordo- 
prasum,  LTiims  campestris  suberosa,  Cleniatis  recta,  Corydallis  cava, 
C.  solida,  C.  intermedia,  Mercurialis  perennis,  Lithospermum  purpureo- 

*)  Vgl.  a.  a.  0.  S.  IV. 
*•)  Vgl.  a.  a  O.  S.  Vit. 
•••)  Vgl.  a.  a.  0.  8.  V. 

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148 


I\  Graebner: 


eoeruleum  (an  lichten  Orten),  Pulinouaria  officinalis,  Myosotis  sparsiflora, 
OmphalodfS  scorpioides,  Chrysanthennnn  corymbosum  und  viele  andere 
sammelte  ich  an  solchen  Lokalitäten,  kurz  eine  Flora,  die  schon  fast 
ganz  der  unserer  Laubwälder  gleicht. 

3.  Vegetationsformation  der  Buchenwälder. 
Überall  im  norddeutschen  Flachlaude ,  wo  nicht  irgendwelche 
schädlichen  Einflüsse  sich  geltend  machen,  zeigt  der  Boden  die  Neigung, 
sich  mit  Wald  zu  bedecken;  es  haben  deshalb,  wie  schon  hervorgehoben, 
einige  Forscher  angenommen,  dass  das  ganze  Gebiet  ohne  menschlichen 
Einfluss  einen  einzigen  Wald  darstellen  würde.  Wenn  dem  nun  auch 
wohl  sicher  nicht  so  ist,  so  ist  es  doch  richtig,  dass  bei  weitem  der 
grösste  Teil  Norddeutschlands  mit  Wald  bewachsen  sein  würde.  An 
allen,  Orten,  wo  nicht  Steilheit  der  Abhänge,  die  völlige  Sterilität  des 
Bodons,  der  Ortstein  oder  mechanische  Gewalten  zeitweise  strömenden 
Wassers  oder  des  Windes  die  Waldbilduug  verhindern,  wird  sich  je 
nach  der  Beschaffenheit  des  Bodens  ein  Laubwald  oder  Nadelwald 
ausbilden. 

Den  unmittelbaren  Anschluss  an  die  vorbeschriebene  Formation 
der  pontischen  Hügel  stellt  der  Buchenwald  dar.  Bestände  von  Fagus 
silvatica  finden  wir  überall  dort,  wo  ein  massig  feuchter,  mergelhaltiger 
Boden  vorhanden  ist.  Unter  solchen  Verhältnissen  findet  die  Buche  so 
günstige  Lebensbedingungen,  dass  die  übrigen  etwa  mit  ihr  aufwachsenden 
Bäume,  z.  B.  die  Eiche,  im  Wachstum  mit  ihr  nicht  gleichen  Schritt  zu 
halten  vermögen.  Man  hat  oft  zu  beobachten  Gelegenheit,  dass  an  ent- 
blößten Stellen,  wo  z.  B.  durch  Windbruch  im  Walde  eine  Lücke  ent- 
standen ist,  mit  der  Buche  zugleich  oft  eine  ganze  Anzahl  anderer 
Holzgewächse  sich  anfinden.  An  einem  solchen  Orte  sieht  man  über 
den  ganzen  Boden  zerstreut  zahllose  Sämlinge  der  Baumarten  (Eiche, 
Kiefer  etc.).  Die  Kiefern pflänzchen  verschwinden  sehr  bald  unter  dem 
Blätterdach  der  Laubbäumchen  und  schon  nach  einigen  Jahren  sieht 
man,  wie  die  Buche  alle  anderen  Pflanzen  an  Wachstum  bei  weitem 
übertrifft;  in  dem  dichten  Bestände,  in  dem  man  nur  mit  grösster  Mühe 
und  meist  unter  Zurücklassung  einiger  Kleiderfetzen  seinen  Beobachtungen 
nachgehen  kann,  stehen  die  sparrigen  Eichenstämmchen  nur  noch  mit 
wenigen  blättertragenden  Ästchen  besetzt  da,  an  Höhe  in  einem  erst 
etwa  4  m  hohen  Bestände  bereits  um  ein  Drittel  zurückbleibend,  andere 
sind  bereite  vor  Jahren  abgestorben.  In  einem  älteren  Walde  sieht  man 
selten  noch  einen  beigemischten  Baum,  wenn  anders  wir  nicht  überhaupt 
einen  Mischwald  vor  uns  haben,  dessen  Auftreten  weiter  unten  besprochen 
werden  mag.  —  Ich  sah  nirgend  einen  Bucheuhochwald,  dessen  Unter- 
grund, wenigstens  in  einiger  Tiefe  unter  der  Erdoberfläche, 
nicht  aus  mergelhaltigem  Boden  bestanden  hätte.  —  Es  erscheint 


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Über  die  Bildung  natfirl.  Vegetationstonnationen  iui  Xordd.  Flaehlande.  140 

wohl  sicher,  dass  zu  einer  Zeit,  als  die  Ackerkultar  noch  nicht  den 
Umfang  angenommen  hatte,  wie  heute,  die  Ausdehnung  der  Buchen- 
wälder eine  erheblich  grössere  gewesen  ist,  weil  gerade  ihnen  am  meisten 
Terrain  entzogen  worden  ist  wegen  ihrer  Vorliebe  für  die  Mergelböden, 
die  gerade  für  den  Landmann  die  wertvollsten  sind.*) 

Der  allgemeine  Charakter  der  Vegetation  unserer  Buchenwälder 
dürfte  bekannt  sein.  Die  Eigentümlichkeit  der  Flora  hat  ihren  Grund 
in  verschiedenen  durch  die  Lebensweise  des  Baumes  bedingten  Ver- 
hältnissen. Zunächst  die  auffällige  Armut  an  blühenden  Pflanzen  während 
der  Sommer-  und  Herbstzeit;  nur  im  Frühjahr  entwickelt  sich  stellen- 
weis eine  bunte  Decke.  Die  Anemonen  (A.  nemorosa,  A.  ranunculoides) 
färben  grosse  Flächen  weiss  und  gelb,  dazu  kommen  üepatica  triloba, 
Rannnculus  Ficaria,  Pulmonaria  officinalis  (seltener  P.  angustifolia)  und 
andere,  hin  und  wieder  Dentaria  bulbifera,  Corydallis  cava  und  Lathraea 
squamaria.  Wenn  auch  dies  die  auffälligsten  und  bekanntesten  frühlings- 
blühenden Buchenpflanzen  sein  mögen,  zu  denen  sich  nur  wenig  später 
der  Waldmeister  gesellt,  so  ist  ihre  Zahl  doch  noch  ganz  erheblich 
grösser.  Im  Sommer  dagegen  blüht  selten  eiue  Pflanze  unter  dem 
dichten  Schattendache  der  Buche.  Die  meisten  der  genannten  Arten  haben 
eine  kurze  Vegetationszeit,  während  der  sich  der  ganze  Regenerations- 
prozess  abspielt.  Ganz  früh  im  Jahre,  ehe  noch  die  Blätter  der  Buche 
zur  Entfaltung  gekommen  sind,  spriessen  die  Pflänzchen  aus  der  Erde, 
blühen  und  stehen  meist  schon  in  Frucht,  wenn  der  Wald  sich  belaubt. 
Viele,  wie  die  Anemonen,  Rannnculus  Ficaria,  Dentaria  bulbifera,  Cory- 
dallis und  andere,  sterben  bald  nach  der  Blütezeit  ab  und  es  macht  auf 
den  Besucher  einen  eigenartig  traurigen  Eindruck,  wenn  er  schon  im 
Frühsommer  dort  ein  Meer  toten  Buchenlaubes  findet,  aus  dem  nur  hie 
und  da  ein  Grashalm  oder  einige  Blättchen  hervorragen,  wo  sieh  im 
Frühjahr  seinen  Blicken  «'in  lebhaft  buntes  Bild  üppigster  Vegetation 
dargeboten  hatte.  —  Eine  weitere  Eigentümlichkeit  der  Buchenflora  ist 
die,  dass  ihr  fast  sämtliche  ein-  und  zweijährige  Pflanzen  fehlen.  Es 
hat  «lies  wohl  seinen  Grund  in  «lein  sich  alljährlich  wiederholenden 
starken  Laubfall.  Der  Boden  ist  stets  mit  einer  Decke  locker  auf- 
liegenden Laubes  bedeckt,  die  «len  Sämlingen  das  Eindringen  in  die  Erde 
ungemein  ersehwert,  uud  der  nächste  Herbst  begräbt  w  ieder  alles  unter 
«len  fallenden  Blättern.  Es  können  hier  naturgemäss  nur  solche  Arten 
gedeihen,  die  einen  kriechenden  Wurzelstock  besitzen  oder  sich 
durch  die  stetig  wachsende  Laubdecke  hindurchzuarbeiten  vermögen 
(Hepatica  etc.). 

So  gering  die  Zahl  der  Phanerogamen  in  den  dicht  belaubten 


•)  Vgl  Höck,  F.,  Laubwaldflora  Norddeutachlands,  Stuttgart  1890,  über  die  Ver- 
breitung der  Buche  und  die  Häufigkeit  der  Buchenwälder. 


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150 


P.  Graebner: 


Waldungen  ist,  eine  so  grosse  Menge  besonders  niederer  Pilze*)  linden 
wir  entwickelt.  In  der  sogenannten  Buchheide  bei  Templin  waren  im 
Frühjahr  in  reinem  Buchenbestande  zu  bemerken**):  E<|uisetum  hiemale, 
E.  pratensc,  Meliea  nutans,  Milium  effusum,  Braehypodiuni  silvaticum, 
Carex  silvatica,  C.  digitata,  Luzula  pilosa,  Gagea  silvatica,  Neottia  Nidus 
avis,  Listera  ovata,  Hepatica  triloba,  Anemone  nemorosa,  A.  ranunculoides, 
Kanunculus  Ficaria,  ('ardainine  silvatica,  C.  amara,  Dentaria  bulhiferu 
(stellenweis  den  Boden  weithin  bedeckend),  Kubus  saxatilis,  Lathyrus 
vernus,  Yieia  sepium,  Astragalus  glyciphyllus,  Viola  silvatica,  V.  Rivi- 
niana,  Oxalis  Aeetosella,  Circaea  lutetiana,  Lathraea  squamaria,  Pul- 
monaria offieinalis,  Asperula  odorata,  Lappa  nemorosa. 

An  sandigeren  Stellen,  auf  sanft  geneigten  Diluvialhügeln,  und  auf 
ebenem  Diluvialterrain  (Thalsand)  und  Alluvialsanden  finden  wir  nicht 
selten  die  Kotbuche  durch  die  Weissbuche  (Carpinus  Betulus)  vertreten. 
Ich  beobachtete  in  Westpreussen,  wo  sich  bei  Zarnowitz  ein  ausgedehnter 
Weissbuchenbestand  erstreckt,  der  in  einen  ßotbuchenwald  überging, 
dass  Carpinus  dort  überwog,  wo  eine  sandige  Schicht  von  ganz  erheb- 
licher Dicke  sich  vorfand.  Unter  Fagus  liess  sich  in  den  Erdlöchern 
und  an  den  Abhängen  in  geringer  Tiefe  der  Mergel  bemerken,  was  in 
dem  Wcissbuchenbestande  nicht  gelang.  Hier  fand  sich  in  erheblich 
starker  Lage  Saud  und  zwar,  worauf  es  besonders  anzukommen  scheint, 
ein  zwar  kalkarmer,  aber  im  übrigen  nicht  ausgelaugter  nährstoff- 
reicher Sandboden,  aus  dem  sich  in  klarem  Wasser  eine  sehr  grosse 
Menge  löslicher  Stoffe  herauswaschen  Hessen  (im  Gegensatz  zu  den 
später  zu  besprechenden  armen  Sauden  der  Heiden  und  Kiefernwälder, 
aus  denen  das  hindurchfiltrierte  Wasser  in  kaum  verändertem  Zustande 
wieder  heraustritt). 

Die  Flora  der  Weissbuchenbestände  schliesst  sich  eng  an  die  der 
eigentlichen  Buchenwälder  an,  wohl  hauptsächlich  wegen  der  ähnlichen 
Belichtungs-  und  Feuchtigkeits Verhältnisse,  die  den  Nicderptlanzen  dar- 
geboten werden.  Der  tiefe  Schatten  bewirkt  wenigstens  im  Sommer 
eine  überaus  grosse  Armut  an  Formen  blühender  Gewächse;  nur  die 
Zahl  der  Moose,  die  in  grösseren  oder  kleineren  Polstern  sich  auf  dem 
Boden  und  an  den  Stämmen  ansiedeln,  ist  Legion.  So  beobachtete  ich  in 
dem  obengenannten  Wahle  bei  Zarnowitz  i.  Wpr.  in  grossen  Mengen: 
Rndula  complanata,  Dicranella  cerviculata,  Dicranum  scoparium,  Cera- 


*)  Vgl.  z.  B.  P.  Henninga  und  G.  Lindau,  Verzeichnis  der  bei  Teinpliu  am 
'20.  Mai  1S04  beobachteten  und  gesammelten  Pilze.  Verb.  Bot.  Ver.  Brandenb.  XXXVJ. 
1804.  S.  XXXII-  XXXVI. 

*')  Vgl.  Aschcrson,  I\,  Bericht  über  die  (iO.  ^(i.  Fi ühjabrs)  Hauptversammlung 
des  Botaniselien  Vereins  der  Provinz  Brandenburg  zu  Templin  am  20.  Mai  1894. 
Verh.  Bot.  Ver.  Brandenburg  XXXVI  189-1,  S.  XXX. 


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(vber  die  Bildung  nattirl.  Vegetali<jnsfonuatiouen  im  Nordd.  Flachlandc.      1  öl 

todon  pnrpureus,  Webern  nutans,  Milium  cuspidatum,  Brachythecium 
velutinura,  Hypnum  cuspidatum,  II.  Schreberi,  Hylocomium  splendens. 

4.  Vegetationsformationen  der  Eichen-  und  Birkenwälder 

(e  x  c  1.  A  u  e  n  \v  il  1  d  e  r  ). 

Ganz  eng  an  die  Formation  der  vorbeschriebenen  Weissbnchen- 
bestände  sehliesst  sich  die  des  Eichenwaldes  an,  sowohl  was  Vorkommen 
als  was  Ansprüche  und  Vegetationsbedingungen  betrifft.  —  Man  beobachtet 
sehr  oft,  besonders  auf  den  schon  vorher  erwähnten  Thalsandfliichen, 
das  Übergehen  oder  die  allmähliche  Vermischung  von  Eichen-  und 
Weissbucheuwald.  Ich  habe  versucht,  besonders  in  der  Umgebung  von 
Neuhaidensieben,  von  Nauen  bei  Berlin  und  in  Westpreussen,  den  Ur- 
sachen dieses  Wechsels  auf  «lie  Spur  zu  kommen.  Es  scheint  mir,  als 
ob  das  Überwiegen  der  Eiche  (zusammen  mit  der  relativen  Seltenheit 
der  Carpinus-Bestände)  an  den  betreffenden  Orten  dadurch  veranlasst 
ist,  dass  die  Eichen  erhebliche  Hindernisse,  die  sich  ihnen  entgegenstellen, 
zu  überwinden  und  ungünstige  Vegetationsverhältnisse  zu  ertragen  ver- 
mögen, eine  Fähigkeit,  die  sowohl  den  Weiss-  als  den  Rotbuchen  ab- 
geht. Ich  fand  verschiedentlich  unter  Eichenwäldern  sogenannten 
schluffigen  Boden,  d.  h.  steinartig  zu  festen  Bänken  verkitteten  feinen 
Sand;  ferner  zeigte  sich  in  den  feuchten  Teilen  dieser  Wälder  an 
Gräben  etc.  eine  Cariceten-Flora,  die  zusammen  mit  dem  streng  nach 
Sumpfgas  und  Säuren  riechenden  Wasser  darauf  schliessen  Hess,  dass 
sich  in  dein  Grundwasser  erhebliche  Mengen  hmnoser  und  mineralischer 
Stoffe  angesammelt  finden,  und  last  not  least  erträgt  die  Eiche  einen 
ziemlich  hohen  Grad  von  Trockenheit  und  vermag  selbst  bei  stark  fort- 
geschrittener Heidebildung  sich  noch  gut  zu  erhalten  (vgl.  unten).  Alle 
diese  geschilderten  Verhältnisse  beobachtete  ich  nie  in  Buchenwäldern: 
Der  Boden  zeigte  sich  an  allen  Stellen  weich  und  durchlässig,  besass, 
wie  auch  das  Wasser,  einen  milden  (niemals  unangenehm  strengen) 
Geruch  und  ist  auch  nie  erheblich  trocken. 

Die  Flora  der  Eichenwälder  ist  mit  den  Feuchtigkeit-  und  Be- 
lichtungsverhältnissen ganz  ungemein  variabel.  Wir  finden  alle  Über- 
gänge von  der  Vegetationsgesellschaft,  die  sich  von  der  des  Buchen- 
waldes auch  um  nichts  (oder  wenig)  unterscheidet  (in  mässig  feuchten, 
dichten  Beständen*)  bis  zu  der  der  typischen  Heide**). 

Meist  auf  trockenerem  sandigen  Terrain  wird  die  Eiche  von  der 
Birke  und  zwar  von  Betula  verrucosa  abgelöst;  dieselbe  mischt  sich 

*)  Bei  Neuhaidensleben  (im  Listerbagcn  bei  Bodendorf)  z.  B.  Neottia  Nidus 
avis,  Corylus  Avellana,  Kanunculus  lanuginosus,  Galeadolon  luteum,  Galium  silvaticum, 
Pliyteuma  nigruni  etc.  vgl.  Graebner,  P.,  Studien  über  die  Norddeutsche  Heide.  Englers 
Bot.  Jahrb.  XX,  1895  S.  600- Ö54,  Taf.  IX-X  (S.  521). 
**)  Vgl.  a.  a.  O.  S.  544. 


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152 


P.  Graebner: 


meist  den  Eichen-  oder  Kiefernwäldern  (vgl.  unten)  bei  und  bildet  gern 
an  solchen  Stellen  Bestände,  wo  der  Sandboden  eine  grössere  Fein- 
körnigkeit zeigt.  Infolge  der  herrschenden  Trockenheit  findet  sich  meist 
(besonders  in  reinen  Beständen)  eine  ungemein  ärmliche  Flora;  einige 
Gräser  (Festuca  ovina  und  Aira  caespitosa)  bilden  oft  mit  Sporgularia 
rubra,  Potentilla  cinerea,  Hieracium  Pilosella  und  wenigen  anderen  fast 
die  einzige  Vegetation.  An  anderen  Orten,  wo  sich  indessen  schon 
andere  Laubbäume  eingemischt  haben,  ist  eine  grössere  Anzahl  von 
Arten  vertreten*). 

Die  beiden  letztgenannten  Formationen,  die  der  Eichen-  und  Birken- 
walduugen,  können  kaum  noch  den  Vegetationsformationen  nährstoff- 
reicher Wässer  zugerechnet  werden,  sie  bilden  gewissermaßen  den  Über- 
gang zur  2.  Gruppe.  Ich  habe  es  für  besser  gehalten,  sie  dieser  ersten 
Abteilung  zuzurechnen,  da  ihre  Flora  sich  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
(wenigstens  was  die  Eichenwälder  betrifft)  eng  an  die  der  übrigen  Laub- 
holzformationen anschliesst,  und  wenn  auch  der  Nährstoffgehalt  des 
Bodens,  resp.  der  in  demselben  sickernden  Wässer  nicht  immer  ein  hoher 
ist,  so  überwiegt  er  doch  den  der  heidigen  Formationen  um  ein  ganz 
bedeutendes. 

5.  Vegetationsformation  der  Fichtenwälder. 

Die  Formation  der  Fichtenwälder  ist  zwar  im  norddeutschen 
Flachlande  nur  an  wenigen  Stellen,  in  der  Provinz  Brandenburg  nur  im 
südlichsten  Teile  in  der  Lausitz  (Gross-Messow  bei  Drehna)  ausgebildet, 
sie  bildet  jedoch  in  ihrer  grossen  Armut  an  siphonogamen  Gewächsen 
einen  so  eigenartigen  Anblick  dar,  dass  sie  nicht  unerwähnt  bleiben  soll. 
In  reinen  Beständen  finden  wir  Picea  excelsa  im  Flachlande  meist  auf 
ebenem  Thalsande  auf  frischem,  tiefgründigem  Boden,  der  oft  sogar  voll- 
kommen sumpfig  sein  kann**).  Die  Formation  scheint  in  ihrem  Vor- 
kommen sich  ganz  ähnlich  wie  die  der  Weissbuchenwälder  zu  verhalten. 
Auch  in  Skandinavien  und  den  mitteleuropäischen  Berg-  und  Alpen- 
gebieten zeigt  sie  eine  Vorliebe  für  Orte  mit  frischen  an  gelösten  Mineral- 
stoffen reichen  Wässern,  ohne  (wie  die  Buche)  gegen  „kalte"  Böden 
empfindlich  zu  sein. 

Das  ganze  von  Fichten  bewachsene  Terrain  ist  dicht  bedeckt  mit 
abgefallenen  Nadeln,  die  lose  aufgesclüchtet  für  den  Pflanzenwuchs  (bes. 
für  Keimlinge)  ein  sehr  ungünstiges  Substrat  darsteilen.  Es  erklärt  sich 
dadurch,  zusammen  mit  dem  das  ganze  Jahr  andauernden  tiefen  Schatten, 
die  Pflanzenarmut  dichter  Fichtenwälder.  Ausser  Oxalis  (Listera  cordata), 
wenigen  lleidel-  und  Preisselbeersträuchern,  sind  es  oft  nur  einige 
Gräser  und  Farne,  die  hier  ihr  Dasein  zu  fristen  vermögen. 

♦)  Vgl.  auch  a.  a.  0.  S.  443. 

**)  Vgl.  Drude,  O.,  Deutachlands  Pflanzengeographie,  S.  818  ff. 


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f  ber  die  Bildung  natnrl.  Vegetatiousformationen  im  Nordd.  Flachlande. 


153 


V).  Vegetationsformation  der  Erlenbrücher. 
Fast  überall  dort,  wo  von  den  mergelhaltigen  Diluvialhügeln  herab 
das  Wasser  sich  in  Thälern  und  Mulden  zu  Bächen  oder  Sümpfen  ver- 
einigt oder  die  Quellen  zuthal  rieseln,  linden  wir  Erlen.  So  oft  ich 
versucht  habe,  den  Ursprung  der  die  Erlenbrücher  speisenden  Wasser- 
massen  festzustellen,  fand  ich,  dass  sie  in  Diluvialhügelu  ihren  Ursprung 
nahmen.  Ich  versuchte  darauf  ihre  Entstehung  zu  verfolgen.  Es  wollte 
mir  dies  lange  nicht  gelingen;  überall  sah  ich  fertige  Brücher,  zwar 
unter  bestimmten  Bedingungen,  aber  doch  war  ich  nie  sicher,  ob  hier 
wirklich  nur  der  Einfluss  des  nährstoffreichen  Wassers  die  Hauptursache 
der  Ausbildung  ist,  und  nicht  auch  zu  erheblichem  Maasse  die  Boden- 
beschaffenheit mitwirkt.  Erst  im  letzten  Sommer  sah  ich  ein  Erlenbruch 
auf  natürlichem  Wege  sich  ausbilden,  und  zwar  in  Hinterpommern.  Im 
sogenannten  Schnittbruch  bei  Ossecken*)  wird  das  Wasser  einiger 
kleiner,  aus  Diluvialthälern  kommender  Bächlein  durch  die  davorgelagerten 
Dünen  aufgestaut.  Durch  das  weitere  Vordringen  des  Dünensandes 
werden  immer  weitere  Flächen  des  Landes  unter  Wasser  gesetzt  und 
versumpfen.  Es  war  nun  interessant  zu  beobachten,  wie  sich  dort  die 
Erlen  in  grosser  Zahl  üppig  entwickelten  und  kräftig  emporsprossten, 
die  kränkelnde  Kiefer  und  andere  Bäume  im  Wachstum  erheblich  über- 
treffend. An  den  älteren  Stellen,  wo  die  Erlen  schon  eine  erhebliche 
Höhe  erreicht  hatten  und  die  ehemalige  Anwesenheit  von  Kiefern, 
Buchen  etc.  sich  nur  noch  aus  den  vermorschten  Stämmen  vermuten 
Hess,  hatte  sich  bereits  der  für  Erlenbrücher  so  charakteristische  Blätter- 
torf gebildet,  der  dadurch  entsteht,  dass  die  Blätter  im  Herbst  auf  den 
nassen  Hoden  oder  ins  Wasser  gelangen,  wo  die  Verwesung  nicht  so 
schnell  vor  sich  geht,  wie  die  Vertorfung.  Die  aufeinander  lagernden 
Blatten  bilden  einen  festen,  für  Wasser  schwer  durchlässigen  Torf. 

Die  Vegetation  solcher  Erlenbrücher  ist  sehr  eigenartig,  wenn  auch 
wechselnd.  Häufig  finden  wir  grosse  Bestände  von  Hopfen  oder  Brenn- 
nesseln  (Urtica  dioeca)  in  denselben;  stellen  weis  ist  der  Boden  ganz  mit 
Kanunculus  repens  oder  mit  Athyrium  filex  femina  bedeckt;  an  inter- 
essanteren Arten  sind  Lycopodium  Selago,  Glyeeria  nemoralis,  Daphue 
Me/ereum,  Circaea  alpina,  C.  intermedia  u.  a.  zu  nennen. 

7.  Vegetationsformation  der  Auenwälder. 

In  den  Auenwäldern,  die  in  den  Flussniederungen  grosser  Flüsse 
meist  auf  mässig  ausgedehntem  Terrain  entwickelt  sind,  begegnen  wir 
meist  Mischwäldern  verschiedenartiger  Gehölze.  An  typisch  ausgebildeten 


*)  Vgl.  Graebner,  P.,  Zur  Flora  der  Kreise  Putzig,  Neustadt  i./Wpr.  und  Lauen- 
burg i./P.  Sehr.  Naturf.  Ges.  Danzig  N.  F.  I.  Bd.  I.  Heft.  1895.  S.  272-390,  Taf.  VN, 
VIII  (8.  290. 


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154 


P.  Graebner: 


Stellen,  d.  Ii.  dort,  wo  alljährlich,  besonders  zur  Winterszeit,  das  Wasser 
des  Flusses  den  Grund  der  Stämme  umspült,  fehlen  Buche*)  und  Kiefer 
vollständig.  Hier  finden  wir  hauptsächlich  Eichenbestände  untermischt 
mit  Erlen,  Birken,  Pappeln  und  anderen.  Es  sind  solche  Auenwälder 
auf  demselben  Terrain  entwickelt,  auf  dem  wir  sonst  Flusswiesen  zu 
linden  gewohnt  sind  und  auch  aus  solchen  entstanden.  Als  Bestandbildner 
haben  sich  naturgemäss  solche  Bäume  entwickelt  und  erhalten,  deren 
Gedeihen  durch  die  zeitweise  Überschwemmung  nicht  wesentlich  beein- 
trächtigt wird.  Dass  wir  hier  nahezu  alle  Ilolzgewächse  der  Wälder 
nährstoffreicher  Böden  finden,  kann  nicht  wundernehmen,  da  bekannt- 
lich die  Fluss wässer,  besonders  zu  Zeiten  des  Hochwassers,  an  gelösten 
Substanzen  reich  sind,  sodass  unter  diesen  günstigen  Verhältnissen  die 
erheblich  üppiger  gedeihenden  Laubholzgewächse  der  Kiefer  den  Vorrang 
streitig  machen  müssen.  Das  Überwiegen  der  Eichen  mag  seineu  Grund 
mit  in  der  mechanischen  Festigkeit  haben,  die  den  vegetativen  Organen 
dieses  Baumes  eigen  ist.  —  Die  Flora  der  Auenwälder  schliesst  sich 
meist  eng  der  der  Flusswiesen  oder  der  Erlenbrücher  und  Eichen- 
wälder an. 

8.  Vegetationsformation  der  natürlichen  Wiesen. 

Wie  bereits  gesagt,  finden  wir  natürliche  Wiesen  vorzugsweise  (oder 
fast  nur)  in  den  Überschwemmungsgebieten  grösserer  Flüsse.  Dort,  wo 
durch  die  mechanische  Gewalt  des  fliessenden  Wassers  und  besonders 
im  Frühjahr  durch  die  des  treibenden  Eises  die  Ausbildung  der  soeben 
erwähnten  Auenwälder  verhindert  wird,  können  nur  die  rasenbildenden 
Pflanzenarten,  besonders  solche  mit  ausdauerndem  Wurzelstock  gedeihen. 
Es  haben  mehrere  Forscher  geglaubt  annehmen  zu  dürfen,  dass  alle 
unsere  Wiesen  lediglich  Produkte  menschlicher  Kultur  seien,  wohl  weil 
sie  eben  den  zahlreichen  Kunstwiesen  in  ihrer  Zusammensetzung  ganz 
ungemein  ähnlich  sind**).  Dem  ist  aber  nicht  so.  Die  Waldbildung  wird 
durch  das  strömend*'  Wasser  und  Eis  verhindert,  es  muss  sich  also  eine 
Vegetationsdecke  aus  niedrigen  Pflanzen  bilden.  Einjährige  und  zwei- 
jährige Pflanzen  können  auch  in  grösserer  Masse  nicht  auftreten,  weil 
sie  erstens  durch  das  im  Frühjahr  oder  Herbst  noch  einmal  steigende 
Wasser  oft  ihrer  Blüten  und  unreifen  Frucht  beraubt  würden  und 
zweitens  in  der  dichten  Decke  der  perennierenden  Arten  schlecht  ge- 
deihen können.  Für  Stauden,  besonders  solche  mit  kriechenden  Rhizomen, 
erscheinen  aber  die  Vegetationsbedingungen  besonders  günstig;  denn  sie 
bieten  den  darüber  fortgleitenden  Wassermassen  wenig  Hindernisse  und 
deshalb  wenig  Gelegenheit,  die  dichte  Decke  zu  zerstören,  des  weiteren 
ist  aber  auch  ein  Verlust  der_oberirdischen  Teile  ihrem  Wachstum  nicht 

•)  Vgl.  Drude.  O.,  Deutschlands  Pflanzengeographie  8.  307. 
**)  Vgl.  oraebner,  I\,  Studien  etc.  S.  51ß. 


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Über  die  Bildung  natürl.  Vegetntionsformationen  im  Nordd.  Flaehlaude.  155 

schädlich,  sondern  das  Absterben  der  Reproduktionsorgane  führt  zu 
einer  tun  so  stärkeren  Vermehrung  der  unterirdischen  Stengel  und  ist 
so  der  Rasenbildung  förderlich. 

Die  Flora  der  geschlossenen  Wiesen  ist  in  ihren  Hauptzügen  all- 
gemein bekannt,  vorwiegend  Gramineen,  untermischt  mit  dikotylen 
Stauden.  Es  sei  hier  besonders  auf  die  Arbeiten  C.  A.  Webers*)  über 
die  Vegetation  natürlicher  und  künstlicher  Wiesen  hingewiesen. 

An  den  Flussrändern  selber  und  an  den  durch  Hochwasser  ver- 
letzten oder  überdeckten  schlickigen  und  sandigen  Stellen  der  Fluss-  • 
wiesen  sehen  wir  eine  durchaus  abweichende  Vegetation  entwickelt,  die 
sich  aber  immer  nur  kurze  Zeit  erhält.  Auf  dem  kahlen  Terrain  finden 
wir  meist  sehr  spärlich,  seltener  in  dichteren  Beständen  eine  geringe 
Anzahl  meist  einjähriger  Pflanzenarten,  wie  Polygon  um  nodosum,  Juncus 
bufonius  und  andere. 

Si.  Vegetationsformation  der  Grünlandmoore. 

Ein  weiteres  Hindernis  für  die  Ausbildung  waldiger  Formationen 
ist  die  übermässige  Anreicherung  in  Wasser  löslicher  Stoffe  und  die 
Aufspeicherung  ausgefällter  Humussäuren,  die  infolge  der  fortdauernden 
Feuchtigkeit  nicht  eintrocknen  (vgl.  unten)  und  daher  als  schwammige 
Massen  erhalten  bleiben.  Alle  unsere  Waldbäume  vermögen  nicht  in 
solchem  strengen  Hoden  zu  wachsen,  und  es  bleibt  das  Terrain  deshalb 
kahl  und  wird  fast  nur  von  den  rasenbildenden  Sauergräsern  locker  be- 
deckt. Die  Entstehung  eines  Grüulandmoores  geht  etwa  in  folgender 
Weise  vor  sich:  Auf  undurchlässigen  Lehm-  oder  Thonschichten  stagniert 
das  von  der  Seite  zufliessende  Wasser.  Da  ein  Versickern  ganz  oder 
fast  ganz  uumögiich  ist,  geht  fast  nur  durch  Verdunstung  (oder  in 
feuchten  Zeiten  durch  seitliches  Cberfliessen)  Wasser  verloren.  Die  herbei- 
geführten Stoffe  werden  in  der  Mulde  abgelagert  (Iluuiiissäuren)  oder 
bleiben  (wenigstens  zum  Teil)  im  Wasser  gelöst,  in  dem  sie  naturgemäss 
fortwährend  zunehmen.  Ich  habe  mehrmals  die  Entwicklung  der  For- 
mation beobachten  können,  besonders  deutlich  einmal  in  Colberg  an 
einer  Stelle,  an  der  mich  jahrelang  mein  Schulweg  vorbeiführte.  Hier 
war  in  einem  Teile  des  jetzigen  Kaiserplatzes  an  einem  kleinen  Rinnsal, 
dessen  Wasser  aus  einer  nahe  dem  Bahnhofe  gelegenen  Wiese  stammte 
und  in  den  Wallgraben  sich  ergoss,  in  trockenen  Jahreszeiten  aber  leer 
war,  ein  schmaler  Wiesenstroifen  mit  Buschwerk  entwickelt.  Als  dort 
eine  Gewerbe- Ausstellung  errichtet  wurde,  ebnete  man  das  Terrain 

*)  Über  die  Vegetation  des  Moores  von  Augustutnal  bei  Heydekrug.  Mittb. 
Moorkultur  XII.  1894  No.  10  (S.  1  —  12  d.  S.  Abdr.).  Über  Veränderung  in  der  Vege- 
tation der  Hochmoore  unter  dem  Kinttusse  der  Kultur  etc.  Mitt.  0.  Moorkultur  XII. 
1804  No.  17,  S.  309-820.  —  Wie  kanu  man  eine  gute  Wiese  auf  nicbt  abgetorftem 
Hochmoor  mit  den  geringsten  Kosten  herstellen.    Ebend.  XIII.  1895  No.  1,  S.  3-24. 


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1Ö6 


P.  Graebner: 


etwas  ein,  das  kleine  Rinnsal  wurde  abgestaut  und  in  einen  später 
wieder  zugeschütteten  kleinen  Teich  geleitet.  Es  breitete  sich  nun  die 
zwar  sein*  geringe  Wassermenge  über  eine  ebene  Fläche  aus,  die  jahre- 
lang unbenutzt  Hegen  blieb.  Die  ehemalige  Vegetation  verschwand  nach 
und  nach,  und  die  Carices,  besonders  C.  stricto,  C.  pauicea  u.  a.  breiteten 
sich  immer  mehr  und  mehr  aus,  und  nach  einigen  Jahren  war  der 
ganze  (wenn  auch  kleine)  Flecken  Erde  mit  braunschwarzem,  schwam- 
migem Humus  dicht  bedeckt. 

Ein«  so  starke  Anreicherung  von  Mineralstoflen  und  Humussäuren 
wie  in  diesem  Falle  wird  man  nicht  allzu  häutig  treffen;  meist  wird  der 
Prozentgehalt  den  der  Erlenbrücher  um  etwas  zu  übersteigen  brauchen, 
um  ein  Vorwiegen  der  Carices  etc.  zu  veranlassen,  ein  Absterben  oder 
Verkümmern  der  Laubbäume  zu  bewirken. 

Ein  weiteres  Hindernis  für  die  Vegetation  bilden  oft  die  grossen 
Lagen  von  Wiesenerz  (Raseneisenstein)  oder  andere  ähnliche  Ablagerungen, 
auch  finden  wir  nicht  selten  Kalkbänke  an  Orten,  wo  sehr  kalkreiche 
Gewässer  in  die  Moore  münden. 

Die  Grünlandmoore  werden  oft,  selbst  von  Botanikern,  mit  den 
Wiesen  (Moorwiesen  oder  Wiesenmooren  der  Flussniederungen)  verwechselt, 
ebenso  mit  den  aus  Heidemooren  durch  Kultur  und  Düngung  hervor- 
gegangenen Wiesen,  zum  Teil  wohl  wegen  des  Namens  „Wiesenmoor*, 
der  ja  auch  in  manchen  Gegenden  für  die  moorigen  Flusswiesen  gebraucht 
wird.  Wenngleich  die  Formationen  der  Wiesen  und  der  Grünlandmoore 
in  ziemlich  engen  Beziehungen  stehen,  sind  sie  doch  streng  voneinander 
zu  scheiden.  Wie  die  ersteren  vorwiegend  durch  die  Vegetation  von 
Gräsern  ausgezeichnet  sind,  sind  es  die  letzteren  durch  die  Prävalenz 
der  Carices,  und  zwar  besonders  hochwüchsiger  harter  Arten  (C.  panni- 
culata,  A.  gracilis,  C.  Goodenoughii,  C.  pauicea,  C.  flava,  C.  Pseudo- 
Cyperus,  C.  rostrata,  C.  acutiformis  etc.).  In  ihrer  weiteren  Zusammen- 
setzung ist  die  Flora  der  Grünlandmoore  sehr  verschiedenartig  und  mit 
der  der  Umgebung  wechselnd,  sodass  es  zu  weit  führen  würde,  hier  auch 
nur  die  Haupttypen  eingehend  zu  besprechen. 

lü.  Vegetation»  forirtation  der  Landseen,  Teiche,  Flüsse 

und  Bäche. 

Auch  in  der  Vegetation  der  im  Wasser  flutenden  resp.  an  den 
Uferrändern  wachsenden  Pflanzen  macht  sich  ein  ganz  erheblicher  Unter- 
schied zwischen  der  der  nährstoffreichen  Landseen  und  Flüsse  und  der 
der  sogenannten  lleidetümpel  mit  armen  („weichen")  Wässern  bemerkbar. 
In  der  Hauptsache  dürfte  die  Pflanzengesellschaft,  wie  sie  uns  fast  über- 
all in  der  norddeutschen  Ebene  entgegentritt,  allgemein  bekannt  sein: 
An  den  Rändern  meist  Bestände  von  Phragmites  und  anderen  Rohr- 
gräsern, dazwischen  Typha-Arten,  Sparganiura  erectum,  Sp.  neglectura, 


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Über  die  Bildung:  natürl.  Vegetationsformationen  im  Nordd.  Flachlande.  157 

Sp.  simplex,  Triglochin  maritima,  Tr.  palustris,  Sagittaria  sagittifolia, 
Alisma  Plantago,  Hutomus  umbellatus,  Scirpus  lacustris,  Sc.  maritimus 
resp.  Sc.  Tabernaemontani  u.  a. ;  in  flachen  Tümpeln  treffen  wir:  Glyceria 
aquatica,  Gl.  fluitans,  Gl.  plicata,  Calla  palustris,  Lemna  minor,  Menyanthes 
trifoliata,  zahlreiche  Carex-Arten  etc.  Im  Wasser  der  Flüsse  und  Seen 
selber  begegnen  uns  ausser  der  Mehrzahl  der  ebengenannten  Arten  noch 
besonders  Potamogeton  natans,  P.  alpinus,  P.  lucens,  P.  perfoliatus,  P. 
crispus,  P.  compressus,  P.  pusillus,  P.  pectinatus,  P.  marinus,  P.  densus, 
Stratiotes  Aloides,  Ranunculus  aquatilis,  R.  divarieatus  und  zahlreiche 
andere.  Es  lassen  sich  naturgemäss  gerade  in  dieser  Formation  zahl- 
reiche Typen  und  Untertypen  feststellen,  aber  auch  nur  eine  oberfläch- 
liche Gliederung  würde  über  den  Rahmen  der  Arbeit  hinausgehen. 

B.  Vegetationsformationen  mit  mineralstoff armen  Wässern. 

Nachdem  im  vorigen  Abschnitte  alle  die  Formationen  abgehandelt 
sind,  in  denen  die  Pflanzen  an  den  Boden,  d.  h.  an  seinen  Nährstoffgehalt 
hohe  oder  doch  wenigstens  höhere  Ansprüche  stellen,  mögen  hier  die- 
jenigen folgen,  deren  Entstehen  und  Bestehen  wohl  lediglich  dein  Um- 
stände zu  verdanken  ist,  dass  die  den  Hauptbestand  der  vorherbesprochenen 
Vegetationsformationen  bildenden  Arten  entweder  auf  dem  zu  Gebote 
stehenden  Substrate  überhaupt  nicht  zu  gedeihen  oder  doch  mit  den 
hier  prävalierenden  Pflanzen  nicht  in  eine  erfolgreiche  Konkurrenz  zu 
treten  vermögen.  Die  wenigen  vorliegenden  Analysen  der  Sickerwässer 
oder  der  betr.  Bodenarten  zeigen,  dass  kaum  mehr  als  1—4  Teile  ge- 
löster anorganischer  Substanz  in  10U00U  Teilen  des  von  den  Pflanzen 
aufzunehmenden  Wassers  (in  typisch  ausgebildeten  Formationen)  sich 
linden;  alle  hierher  gehörigen  Formationen  können  als  „heidigeu  be- 
zeichnet werden*). 

1.  Vegetationsformation  der  Sandfelder. 
T)ie  Formation  der  Sandfelder  gehört  zu  den  sterilsten  und  pflanzen- 
armsten,  die  wir  in  der  norddeutschen  Ebene  antreffen,  da  sie  die  denk- 
bar ungünstigsten  Bedingungen  für  jedes  Pfl.mzenleben  darbietet.  Zu 
dein  Mangel  an  Nährstoffen  gesellt  sich  lange  andauernde  Trockenheit, 
die  bei  dem  losen,  wenig  wasserhaltenden  Sande  um  so  fühlbarer  wird. 
Am  besteu  vermögen  hier  noch  einige  Flechten  und  unter  ihnen  wieder 
der  anspruchslosesten  eine,  Cornicularia  aculeata  zu  gedeihen,  sie  über- 
ziehen oft  weite  Strecken  in  lockerem  Rasen,  der  hin  und  wieder  von 
grossen  ganz  oder  fast  ganz  kahlen  Flächen  unterbrochen  wird,  auf 

*)  Die  hier  zu  behandelnde  Gruppe  habe  ich  in  meiner  Arbeit:  Studien  Ober 
die  Norddeutsche  Heide,  Englers  Bot.  Jahrb.  XX.  1895.  S.  6Ü0— 064  c.  Tab.  IX— X 
eingehend  besprochen,  kann  mich  deshalb  hier  kürzer  fassen. 


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1;j8  P.  Graebner: 

denen  mir  zu  Zeiten  andauernder  Feuchtigkeit  sicli  ein  leichter  Schimmer 
grüner  AI  gen  Vegetation  bemerken  lässt.  Von  siphonogomen  Gewächsen 
gesellen  sich  kaum  andere  als  Weingaertneria  canescens,  Erophila  verna 
und  vielleicht  noch  Teesdalea  nudicaulis  und  Spergula  vernalis.  Nur 
hin  und  wieder  taucht  auf  dem  öden  Felde  eine  einsame  Kiefer  oder 
ein  struppiger  Waehholder  auf. 

2.  Vegetationsformation  der  Calluna-Heide. 

Wie  die  Sandfelder  finden  wir  auch  die  Heide  auf  einem  Terrain, 
auf  dem  die  oberen  Schichten  des  sandigen  Bodens  durch  die  jährlich 
darauf  herniedemVselnden  Uegenmassen  ausgelaugt  sind,  das  von  oben 
lierabsickernde  Wasser  löst  allmählich  alle  vorhandenen  löslichen  Mineral- 
stoft'e  und  entführt  sie  in  tiefere  Schichten.  Es  entsteht  dadurch 
ein  lockerer,  feuchter  (durch  beigemengte  Htmiusteile)  etwas  bläulich-grauer 
Sand,  der  seiner  Farbe  wegen  den  Namen  „Bleisand*  erhalten  hat.  Hat 
nun  die  Auslaugung  einen  bestimmten  Grad  erreicht,  so  würde  das  Wasser 
in  fast  reinem  Zustande  auf  eine  gewisse  Tiefe  in  den  Boden  eindringen, 
wenn  nicht  auf  der  Oberfläche  durch  absterbende  Pflanzenteile  eine 
humose  Schicht  sieh  gebildet  hätte,  aus  dieser  werden  nun  eine  grössere  - 
Menge  von  Humussäuren  gelöst  und  in  die  tieferen  Schichten  gebracht, 
(lelangt  das  so  mit  Htimiissüurcn  beladene  Wasser  an  die  untere  Grenze 
des  Bleisandes,  so  werden  aus  dem  dort  noch  nicht  ausgelaugten  Boden 
sofort  leicht  lösliche  Verbindungen  (Salze  etc.)  gelöst  und  die  Humus- 
säuren,  die  die  Eigenschaft  besitzen,  nur  in  reinem  Wasser  in  grösserer 
Menge  löslich  zu  sein,  als  eiue  braune  gallertige  Masse  ausgeschieden, 
die,  einmal  trocken  geworden,  die  Sandkörner  zu  einein  festen  in  Wasser 
unlöslichen  Sandstein,  dem  Ortstein  oder  Ur,  verkittet 

Hat  sich  nun  (meist  in  30 —SO  cm  Tiefe)  unter  dein  Walde  oder 
an  offenen  Orten  eine  solche  feste  Ortsteinschicht  gebildet,  wie  wir  sie 
in  Quadratmeilen  grossen  Flächen  fast  ununterbrochen  in  den  grossen 
Heidegebieten  vorfinden',  so  kann  sich  keine  andere  Vegetation  hier 
erhalten  als  die  Heide,  alle  mit  ihren  Wurzeln  tiefer  in  den  Boden  ein- 
dringenden Gewächse,  bes.  die  Waldhäume,  vermögen  nicht  die  dicke 
Oi  tsteiust  hicht  zu  durchbrechen  —  die  jungen  Pflanzen  vergehen  bei 
der  ersten  Uürreperiode. 

Dieselbe  wird  hervorgerufen  durch  die  Bildung  besonders  dicker 
Bleisamlscliichten  (auch  ohne  Ortstein),  in  denen  Pflanzen  mit  intensiverer 
StofFproduktion  als  die  Heidepflanzen  nicht  Nahrung  genug  finden  und 
daher  zu  Grunde  gehen,  ehe  sie  die  unteren  besseren  und  wasserhalten- 
deren  Bodenarten  erreicht  haben*). 

•)  leb  habe  Ober  die  Ursachen  der  Heidebildung  etc ,  die  Vegetation  und 
Gliederung  der  Heide  im  weitesten  Sinne  bereits  mehrfach  gesprochen,  so  a.  a.  Orten, 
Sehr.  Naturf.  Ges.  Danzig  X.  F.  IX,  1.  1890.  S.  302  ff.  und  Naturw.  Wochenschrift 
(Potoni6)  1896. 


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über  die  Bildung  natörl.  Vegetationaformationen  im  Nordd.  Flaehlande.  159 


?.   Vegetationsformation  der  Kiefernwälder. 

Diese  Vegetationsformation  schliesst  sich  auf  der  einen  Seite  dicht 
an  die  der  ebengeschilderten  Heide  an,  die  sie  nur  um  ein  weniges  an 
Nährstoffgehalt  des  Bodens  übertrifft,  oder  von  der  sie  sich  oft  nur 
durch  den  Mangel  resp.  die  schwache  Ausbildung  des  Ortsteins  unter- 
scheidet, auf  der  anderen  Seite  gehen  die  Kiefernwälder  ganz  unmerklich 
in  die  Formation  der  Birken-  und  Eichenwälder  über.  Wir  finden  sie 
meist  auf  sandigem,  ziemlich  armem  Boden  entwickelt  ;  oft  mischen  sie 
sich  mit  anderen  Bäumen  (ausser  den  genannten  besonders  mit  Buchen) 
uiid  zwar  immer  an  solchen  Stellen,  wo  der  Boden  au  der  Oberfläche 
in  massig  dicker  Schicht  ausgelaugt  ist  und  dadurch  den  Sämlingen  der 
Laubbäume  das  Gedeihen  zwar  erschwert,  aber  noch  nicht  unmöglich 
gemacht  wird,  für  die  Kiefer  aber  ein  erheblich  günstigeres  Terrain 
vorhanden  ist.  Anderwärts,  wo  die  Bleisandsehirht  dünner  ist,  sind  die 
Laubbäume  die  überlegenen  —  die  Kiefern  gehen  in  der  Mehrzahl  zu 
Grunde  und  Eiche  oder  Buche  herrschen  vor.  —  Man  kann  diesen 
Kampf  überall  dort  beobachten,  wo  an  den  Bändern  von  Mischwäldern 
eine  Kahlstelle  oder  innerhalb  derselben  durch  Windbruch  etc.  eine 
Lichtung  entstanden  ist:  in  unzähligen  Mengen  entstehen  auf  dem  Boden 
die  Keimlinge  aller  Arten  neben  einander,  aber  schon  im  ersten  Jahre 
kann  man  bei  entschiedener  l'rävalenz  einer  Art  das  üppigere  Gedeihen 
ihrer  Samenpflanzen  konstatieren  und  in  älteren  Beständen  wird  die 
Übermacht  des  einen  Baumes  immer  auffälliger. 

In  ihrer  Zusammensetzung  gleicht  die  Flora  der  trockeneren  Kiefern- 
wälder meist  der  der  trockeneren  Heide,  während  die  feuchteren,  moosigen 
Bestände  alle  Übergänge  bis  zur  Annäherung  an  die  Laubwaldflora 
zeigen,  so  sah  ich  beispielsweise  bei  Ossecken  im  Kreise  Lauenburg  i.  I». 
in  einem  Kiefernwalde  folgende  Arten*):  Hypnum  Schreberi,  Aspidium 
spinulosum,  A.  l'hegoptcris,  A.  Dryopteris,  Lycopodium  clavatum,  .Tuni- 
perus  communis,  Anthoxanthum  odoratum,  Aira  flexuosa,  Poa  triviaüs, 
T.  nemoralis,  Carex  pilulifera,  C.  venia,  Juncus  eflusus,  Luzula  pilosa, 
L.  cainpestris,  Betitln  verrucosa,  llumex  Acetosella,  Moehringia  trinervia, 
Kubus  Jdaeus,  Firns  aucuparia,  Viola  silvatica,  V.  eanina,  Calluna  vul- 
garis (wenig),  Vacciniuni  Myrtillus,  V.  Vitis  Yidaea,  Trientalis  europaea 
(sehr  viel),  Veronica  officinalis,  V.  Chamaedrys,  |Melainpvruiu  pratense, 
Hypochoeris  radicata,  Lactuca  muralis. 

4.  Vegetationsformation  der  Heidemoore. 

Hand  in  Hand  mit  der  Ausbildung  der  Heiden  geht  die  der  Heide- 
moore; beide  Formationen  sind  voneinander  nur  durch  den  Grad  der 
Feuchtigkeit  verschieden.    In  den  Mulden  und  tiefer  gelegenen  Stellen 

•)  Vgl.  Sch.  Naturf.  Ges.  Danzig  N.  F.  IX,  1,  1806.  8.  289. 


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1  CO 


P.  Graebner: 


der  Hcido  sammelt  sich  das  kalk-  und  nahrstoffarme  Wasser  und  giebt 
den  Torfmoosen,  den  Sphagnum-Arten,  Gelegenheit  zu  massenhafter  Aus- 
bildung. In  der  dichten  Moosdecke  linden  wir  neben  einigen  auch  für 
die  trockene,  sandige  Heide  charakteristischen  Arten,  wie  z.  B.  Calluna, 
Empctrum  etc.  eine  grosse  Anzahl  dieser  Formation  eigentümlichen 
Arten,  so  besonders  Myrica,  Leduin,  Vaccinium  Oxycoccus,  V.  uliginosum 
und  viele  andere.  Die  Flora  der  Heidemoore  weicht  von  der  der  Grün- 
landmoore und  der  der  Flusswiesen  (Wiesenmoorc  z.  T.)  ebenso  erheb- 
lich ab  als  die 

5.   Veget  ation  der  Heide  Seen  und  -tümpel 

von  der  der  Landseen  etc.  Zwar  besitzen  beide  letztere  eine  Anzahl 
übereinstimmender  Arten  (weit  mehr  als  den  beiden  Arten  von  Mooren 
gemeinsam  sind)  besonders  von  Potamogetcu,  dennoch  ist  das  Bild  eines 
Heidegewässers  ein  so  charakteristisches  und  in  jeder  Beziehung  ab- 
weichendes, dass  die  Formation  gesondert  besprochen  zu  werden  ver- 
dient. Die  Wasseransammlungen  beobachten  wir  entweder  inmitten  des 
Moores,  wo  sie  von  torfigen  Ufern  umgeben,  meist  eine  braune  Farbe 
zeigen.  Die  Vegetation  solcher  Tümpel  ist  gewöhnlich  sehr  ärmlich;  oft 
flutet  kaum  etwas  anderes  als  Hypnum  tluitans  oder  ein  Sphagnum, 
mitunter  auch  Scirpus  supinus.  Anders  in  den  klaren  Heidegewässern 
mit  sandigem  Grunde  und  sandiger  Umgebung.  Hier  linden  wir  als 
Charakterpflanzen  eine  grosse  Zahl  interessanter  Arten,  so  besonders 
Sparganium  affine,  Sp.  diversifolium,  Sp.  minimum,  Potamogeton  polygoni- 
folius,  Scirpus  fluitans,  Sc.  inulticaulis,  Montia  rivularis,  Ranunculus 
hololeucus,  Isnardia  palustris,  Myriophylluin  alterniflorum,  Helosciadium 
inuudatuin,  Litorella  unillora,  Lobelia  Dortmauna  etc.  Es  sind  dies  alles 
Pflanzen,  die  nicht  oder  doch  nur  ausnahmsweise  in  anderen  als  in 
heidigen  Gewässern  wachsen. 

C.  Vegetationsformationen  mit  salzhaltigen  Wässern. 

Anhangsweise  mögen  hier  noch  die  Vegetationsformationen  auf 
salzhaltigen  Böden  behandelt  werden,  weil  sie  in  gewisser  Weise  eine 
Zwischenstufe  oder  Ubergangsform  bilden  zwischen  den  beiden  vorbe- 
schriebenen Hauptgruppen,  andererseits  aber  eine  Sonderstellung  ein- 
nehmen. Die  trockneren  unter  ihnen  schliessen  sich  ziemlich  eng  an 
die  Formationen  nahrstoffarmer  Wasser  besonders  der  Heide  an;  ja  die 
Heide  selbst  kann  in  einigen  charakteristischen  Bestandteilen  nicht  als 
absolut  salzfeindlich  bezeichnet  werden,  denn  in  den  Dünenthälern  der 
Ostsee  tieften  wir  nicht  selten  auf  eine  sonderbare  Mischflora  echter 
Heidetypen  (mit  Calluna,  Erica  Tetralix  etc.)  und  der  massig  feuchten 
Strandwiese  (Juncus  balticus  etc.).    Die  Vegetation  der  Dünen  mit 


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Über  die  Bildung  natürl.  Vegetationaformationen  im  Nordd.  Flachlande.  Ißf 

ihrem  trockenen  Flugsande  ist  allgemein  bekannt  und  vor  allen  von 
Warming*)  eingehend  behandelt  worden.  In  den  Thalern  zwistheu 
ihnen  finden  wir  die  charakteristische  Formation  der  Strand  wiesen.  Der 
locker  mit  Pflanzen  bestandene  Sandboden  trägt  eine  auffällige  Flora 
•Tuncus  baltieus,  J.  Gerardi,  hin  und  wieder  in  Menge  Scirpus  coin- 
pressus  und  Sc.  infus,  an  anderen  Stellen  Cakile  maritima,  Uumex  inari- 
timus,  Sulsola  Kali,  Eryngium  maritimum  (auch  auf  deu  Dünen  vielfach), 
Euphrasia  Odoutites  u.  a.  Von  den  Strandwiesen,  die  wegen  der  unvoll- 
ständigen Pflanzendecke  den  Namen  „Wiesen"  kaum  verdienen,  giebt  es 
alle  Uebergänge  bis  zu  typischen  Wiesen,  deren  halophile  Vegetation 
den  Salzgehalt  des  Bodens  verrät  und  den  sich  anschliessenden  Saiz- 
sümpfen.  Auf  den  ersteren  begegnen  uns  dichte  Bestände  von  Juneus 
compressus  und  Triglochin  maritimum,  zwischen  ihnen  kriechen  Gkmx 
maritima  und  Spergularia  salina,  hin  und  wieder  leuchten  uns  im  Herbst 
grosse  Harste  von  Aster  Tripolium  entgegen.  Oft  treten  auch  Plantago 
Coronopus  und  Festnca  distans  in  grossen  Mengen  auf.  In  den 
Gewässern  flutet  Ruppia,  an  den  Rändern  wächst  Samolus  Valerandi. 
An  den  Stellen,  wo  der  Salzgehalt  grösser  wird  und  zur  Ausbildung 
typischer  Salz  sümpfe  fuhrt,  sind  oft  weite  Strecken  mit  Salieornia 
herbaeca  dicht  überzogen,  anderwärts  sind  Suaeda  maritima  oder  Obione 
peduneulata  beigemischt  oder  in  kleineren  Bestünden  vorhanden. 

•)  Warming,  K.,  Botaniake  Excursionen  2.  De  psamnaephibe  Fonnationer  i  Dan- 
mark. Vidensk.  Meddel.  fra  den  naturh.  Forening  1S01  p.  15:?  202.  Excursioner 
til  Fano  og  Blaavand  i  Juli  isO.J.  Botunisk  Tidskrift  XIX.  1  Hefte  Kbhvu  ISfU  p.  52-SÜ. 


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Register 


Seite 

Akten,  gerichtliche  v.  Driesen    .  .  .  24 

Altriehter,  Karl   85 

Auewülder  154 

Aufruf  des  Königs   47 

Barzliu  -.-   .  .  108 

Bar f us,  von   12 

Behl»,  Dr.  R  KtO 

Belling,  Joachim  Hans   11 

Birkenwälder  151 

Blockbaukirche  in  Burschen   ....  08 

Bluth,  Geh.  Baurat   8G 

Boleslaw.  König   2 

Bornstedt,  von   ....  12 

Brilnde  in  Driesen   25 

Braken,  d.  des  Flachses  ......  100 

Brouiberger  Canal  .........  39 

Buchenwälder  14S 

Buchdruckerei  in  Driesen   55 

Bürgergarde,  Bildung.  .....  47,  50 

Auflösung  51,  01 

Bürgermeister  v.  Driesen  53,  03,  05,  00 
Burschen,  Kirche   08 

Calluna  Heide  15s 

Cholera  iu  Driesen  53,  04 

Dampf  Schneidemühle   05 

Desertion  der  Soldaten   20 

Dreißigjähriger  Krieg  19,  129 

Driesen,  Stadt   1 

Eichenwälder  151 

Einwohnerzahl  Driesens  26,  55,  61,  03,  77 

Erlenhrücher  153 

Ernte  des  Jahres  1840    57 

FcuerkataBter   25 

Fichtenwälder   152 

Fischereistreit  .  .    24 

Flachsbau   105 

Flachseide  (Cuscuta  Epilinum)  ...  105 


Seite 


67 

Ed    »*  1            .   1               j~\  ■  .             |                               .  .  M  »  f\  mm  MJ  4 

.  9, 

123 

r  nennen  11,  Kunuret      .  .  .  . 

11, 

126 

Gabriel  E  K  Volksschullehrer 

•  - 

131 

fifirni«4nn  in  I)ripuf*n 

45 

52,  77 

Gesinden,  Verfahren  gegen     .  . 

25 

Gerichtswesen  in  Driesen 

01 

Gt'werhpstenerHste 

•  • 

78 

Giesebrccht  Historiker 

2 

Grnebner  Dr  Paul 

133 

Grünlandmoor  

133, 

155 

Gmndstücke,  Wert  in  Dnesen  . 

•  • 

81 

Hafftig,  P.  Chronist  

130 

Hecheln  des  Flachses  

106 

107 

Henke,  Astronom  

•  1 

56 

Hexenprozesse  in  Driesen      .  . 

.  17 

.  18 

133, 

100 

Heideseeen   

• 

100 

19 

56 

70 

Juden  iu  Driesen  ....... 

38 

128 

121 

23 

Kalkgehalt  dea  Grundwassers  .  . 

139 

Kapelle  zu  St.  Spiritus  in  Wusterhausen 

a.  D  

85 

159 

22 

22 

61 

66 

132 

,  M 

Kriegakontribution  von  1806  .  . 

•  • 

42 

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Register. 


Landseeen,  Vegetation  der  

157 

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Leiehensoeietüten  in  Driesen 

80 

100 

105 

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Ludwig  der  Römer,  Markgraf 

121 

Martyrergeschiehten  

91 

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Michael.  J.  Pastor  

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• 

Napoleonische  Kriege  

41 

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19  ! 

50  : 

05 

Polizei- Verordnung  in  Driesen    .  .  . 

22 

3 

13 

Pontische  Hügel  

143 

Privatkuabenschulo  in  Driesen  .  .  . 

08 

Privilegien  der  Gewerbe  in  Driesen  21 

,  37 

57 

Ratbaus  in  Driesen    ...  ... 

38 

riet;  Kling,  a,  ourgenueisier     .  . 

i 

Reformation,  Einführung  

128 

1 

4 

Röten  des  Flachses  ....... 

100 

Ruderalstellen  

Iii 

113 

Salzlösungen  für  die  Pflanzen  .... 

137 

168 

127 

Schulbau  in  Driesen        .  .         .  . 

27 

Seit« 

Sehuldokument   27 

Sehulenburg,  v  der   15 

Seeen.  Vegetation  der   157 

Siebenjähriger  Krieg                     .  .  28 

Sigismund,  Markgraf   4 

Silber,  Mutung  auf   17 

Sparr.  v   12 

Sparkasse  in  Driesen   82 

Sperlinge,  Verordnung  gegen  ....  38 

Spinnrad                                 ....  107 

Spinnstuben    107 

Spiritus,  Kapelle  St   85 

Spreewidd   109 

Stadt  blieb  von  Driesen  .......  22 

S. adteiuteilung  von  Driesen    .      .  09,  78 

Stadtgeriebt  v<«n  Driesen   45 

Stadtschulden  von  Driesen   50 

Stadtsiegel  von  Driesen   18 

Stadtverordneten  von  Driesen    .   .  .  07 

Städteordnung   43 

Strafen,  Abschaltung  .    45 

Strumpfstricken  in  Jüterbock  ....  129 

Taminetidorf  Kircbe  ........  117 

Tannenberg.  Seblaebt   9 

Treppmacher,  Kommerzienrat    ...  49 

Treu,  Bürgermeister   1 

Truppendurcbzügo  von  1807   ....  43 

Tuehmaeherinuung   27,  37,  55 

Urkunde  über  Driesen  .......  5 

Urnenfriedhof.   .                           .  .  110 

Urwalder                               ...  134 

Vegetationsformationen   132 

Viktualientabelle  von  Driesen    ...  38 

Waldemar,  Markgraf   3 

Walldurcbbrucb  .   76 

Wandgemälde  in  Wusterhausen  a.  D.  85 

Wedel,  Villau/,  v                   ....  14 

Westfälischer  Friede    129 

Wiesenvegetation   154 

Winter,  strenger   26 

Wladislaw,  König   2 

Wochenmarkte  in  Driesen   53 

Wotschosfka  im  Spreewald  ....  109 

Wusterhausen  a.  D.,  Geschichte    .  .  86 

Zantoeh,  Burg   3 

Zincke.  W   121 

Zustand  von  Driesen  1800    40 


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